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Carlo Pöschke

Reaktionen des Gesetzgebers auf die COVID-19-Pandemie – Teil II: Allgemeines Zivilrecht

Examensvorbereitung, Lerntipps, Mietrecht, Mündliche Prüfung, Rechtsgebiete, Schuldrecht, Startseite, Tagesgeschehen, Zivilrecht

Die Ausbreitung des COVID-19-Virus und die gegen die Ausbreitung des Virus gerichteten staatlichen Maßnahmen haben Unternehmen und Verbraucher wirtschaftlich hart getroffen. Zur Eindämmung der nachteiligen Folgen der Pandemie hat der Bundestag das Gesetz zur Abmilderung der Folgen der COVID-19-Pandemie im Zivil-, Insolvenz- und Strafverfahrensrecht (im Folgenden: COVG) beschlossen. Der erste Teil dieses Beitrags hat sich mit den vorübergehenden Änderungen im Insolvenz- und Gesellschaftsrecht auseinandergesetzt. Der zweite Teil behandelt nun die besonders klausur- und examensrelevanten Änderungen des allgemeinen Zivilrechts.
 
 C. Allgemeines Zivilrecht
Infolge der gegen die Ausbreitung des Virus gerichteten Maßnahmen haben zahlreiche Unternehmen ihr Geschäft beschränkt oder eingestellt, sodass deren Mitarbeiter erhebliche Einkommensverluste erleiden. Ist das verbleibende Einkommen, z.B. das Kurzarbeitergeld, zu niedrig und verfügen die Betroffene nicht über ausreichende finanzielle Rücklagen, können sie in eine Situation geraten, in der sie nicht oder nur eingeschränkt in der Lage sind, ihre Verbindlichkeiten zu begleichen. In letzter Konsequenz kann dies bedeuten, dass sie ihre Wohnung verlieren und von Leistungen der Grundversorgung wie Strom, Gas oder Telekommunikation abgeschnitten werden. Dem will der durch Art. 5 COVG neu in das EGBGB eingefügte Art. 240 mit einem Leistungsverweigerungsrecht (I.), einer Beschränkung der Kündigung von Miet- und Pachtverhältnissen (II.) sowie einer Stundung von Ansprüchen des Darlehensgebers (III.) entgegenwirken.
 
I. Leistungsverweigerungsrecht
Herzstück des neuen Corona-Vertragsrechts ist das in Art. 240 § 1 EGBGB geregelte Leistungsverweigerungsrecht für Verbraucher und Kleinstunternehmen. Für Verbraucher sind dessen Voraussetzungen in Art. 240 § 1 I, III 1, IV EGBGB geregelt, während die Voraussetzungen für Kleinstunternehmen in Art. 240 § 1 II, III 2, IV EGBGB zu finden sind. Die Prüfungsstruktur ist bei Verbrauchern und Kleinstunternehmen jedoch dieselbe, sodass die Voraussetzungen (1.) und Rechtsfolgen (2.) des Zahlungsmoratoriums im Folgenden gemeinsam betrachtet werden sollen.
 
1. Voraussetzungen
a) Verbraucher oder Kleinstunternehmen
In persönlicher Hinsicht umfasst Art. 240 § 1 I, III 1, IV EGBGB Verbraucher. Art. 240 § 1 I 1 EGBGB spricht zudem von einem Anspruch, der in einem Zusammenhang mit einem Verbrauchervertrag steht. § 310 III BGB wiederum legaldefiniert einen Verbrauchervertrag als einen Vertrag zwischen einem Unternehmer und einem Verbraucher. Liest man die Voraussetzungen „Verbraucher“ und „Verbrauchervertrag“ zusammen, sind vom persönlichen Anwendungsbereich des Art. 240 § 1 I, III 1, IV EGBGB Verbraucher erfasst, deren Vertragspartner ein Unternehmer ist. Auch die Begriffe „Verbraucher“ und „Unternehmer“ sind im BGB definiert. So ist Verbraucher nach § 13 BGB jede natürliche Person, die ein Rechtsgeschäft zu Zwecken abschließt, die weder ihrer gewerblichen noch ihrer selbständigen Tätigkeit zugerechnet werden können. § 14 I BGB wiederum versteht unter einem Unternehmer eine natürliche oder juristische Person oder eine rechtsfähige Personengesellschaft, die bei Abschluss eines Rechtsgeschäfts in Ausübung ihrer gewerblichen oder selbständigen beruflichen Tätigkeit handelt.
Von Art. 240 § 1 II, III 2, IV EGBGB umfasst werden Kleinstunternehmen i.S.d. Empfehlung 2003/361 EG der Kommission vom 06.05.2003 betreffend die Definition der Kleinstunternehmen sowie der kleinen und mittleren Unternehmen (ABl. L 124 vom 20.05.2003,  36). Demnach sind Kleinstunternehmen Unternehmen mit bis zu neun Beschäftigten und einem Jahresumsatz von bis zu zwei Millionen Euro.
 
b) Wesentliches Dauerschuldverhältnis
In sachlicher Hinsicht beziehen sich Art. 240 § 1 I 2 EGBGB und Art. 240 § 1 II 2 EGBGB auf wesentliche Dauerschuldverhältnisse, die vor dem 08.03.2020 geschlossen wurden. Wesentliche Dauerschuldverhältnisse i.S.d. Art. 240 § 1 I 2 EGBGB sind gem. Satz 3 solche Dauerschuldverhältnisse, die zur Eindeckung mit Leistungen der angemessenen Daseinsvorsorge erforderlich sind. Hierzu zählen ausweislich der Gesetzesbegründung (BT-Drucks. 19/18110, 34) etwa Pflichtversicherungen, Verträge über die Lieferung von Strom und Gas oder über Telekommunikationsdienste sowie Verträge über die Wasserver- und -entsorgung, soweit diese zivilrechtlich geregelt sind. In Art. 240 § 1 II 3 EGBGB ist eine ganz ähnliche Legaldefinition des wesentlichen Dauerschuldverhältnisses i.S.d. Art. 240 § 1 II 2 EGBGB zu finden. Dass nur Dauerschuldverhältnisse erfasst werden, die vor dem 08.03.2020 geschlossen wurden, liegt daran, dass der Gesetzgeber davon ausgeht, dass nach diesem Zeitpunkt die pandemieartige Ausbreitung des Virus absehbar war und die Vertragschließenden mit tiefgreifenden Veränderungen des Wirtschaftslebens rechnen mussten und daher nicht mehr schutzwürdig sind (BT-Drucks. 19/18110, S. 34).
 
c) Umstände, die auf die Ausbreitung der COVID-19-Pandemie zurückzuführen sind
Weiterhin erfordert ein Leistungsverweigerungsrecht das Vorliegen von Umständen, die auf die Ausbreitung der COVID-19-Pandemie zurückzuführen sind (Art. 240 § 1 I 1 EGBGB bzw. Art. 240 § 1 II 1 EGBGB). Solche Umstände können für Kleinstunternehmen beispielsweise in Einnahmeverlusten durch behördlich angeordnete Geschäftsschließungen oder durch Kaufzurückhaltung der Kunden sowie in zusätzlichen Kosten liegen, die zur Einhaltung der erhöhten Hygienestandards anfallen, liegen. Bei Verbrauchern kann ein solcher Umstand im Beziehen von Kurzarbeitergeld statt des gewöhnlichen Arbeitsentgelts oder einer betriebsbedingten Kündigung liegen.
 
d) Gefährdung des Schuldners oder Unvermögen des Kleinstunternehmens
Des Weiteren muss die Erbringung der Leistung den angemessenen Lebensunterhalt des Schuldners gefährden oder den angemessenen Lebensunterhalt der unterhaltsberechtigten Angehörigen des Schuldners unmöglich machen (Art. 240 § 1 I 1 EGBGB). Das Pendant zur Gefährdung des angemessenen Lebensunterhalts ist für Kleinunternehmen die Gefährdung der wirtschaftlichen Grundlage des Erwerbsbetriebs (Art. 240 § 1 II 1 Nr. 2 EGBGB). Um zu bestimmen, wann eine Gefährdung der wirtschaftlichen Grundlage vorliegt, könne man sich, so wird vorgeschlagen, aufgrund der Insolvenznähe des Art. 240 § 1 EGBGB an den Eröffnungsgründen des Insolvenzrechts orientieren. Eine Gefährdung sei daher bei Zahlungsunfähigkeit (§ 17 InsO), drohender Zahlungsunfähigkeit (§ 18 InsO) sowie Überschuldung (§ 19 InsO) anzunehmen. Bei Verbrauchern genüge auch, wenn nach Kurzarbeit oder Arbeitsplatzverlust das monatliche Haushaltseinkommen den Grundbedarf unterschreitet und nennenswerte liquide Reserven nicht vorhanden sind (Schmidt-Kessel/Möllnitz, NJW 2020, 1103, 1104). Für Kleinstunternehmen nennt Art. 240 § 1 II 1 Nr. 1 EGBGB zusätzlich den Fall, dass das Unternehmen die Leistung nicht erbringen kann. Dadurch werden Kleinstunternehmer davon entbunden, sich Liquidität zum Beispiel durch Aufnahme von Darlehen zu beschaffen oder den Ausfall von Personal oder die Nichtbeschaffbarkeit von Material und Infrastruktur zu kompensieren (Schmidt-Kessel/Möllnitz, NJW 2020, 1103, 1104).
 
e) Zusammenhang zwischen den auf die Pandemie zurückzuführenden Umständen und der Gefährdung des Schuldners oder dem Unvermögen des Kleinstunternehmens („infolge“)
Die Gefährdung bzw. das Unvermögen des Kleinstunternehmens zur Leistung muss „infolge“ von Umständen, die auf die Ausbreitung der Pandemie zurückzuführen sind, eingetreten sein (Art. 240 § 1 I 1 EGBGB bzw. Art. 240 § 1 II 1 EGBGB). Es muss also ein Zusammenhang zwischen den beiden Tatbestandsmerkmalen bestehen. Ähnlich wie beim „Beruhen“ i.S.d. § 1 S. 2 COVInsAG stellt sich die Frage, wie dieses Tatbestandsmerkmal auszulegen ist. Insb. in Bezug auf Kleinstunternehmen wird es Fälle geben, in denen die Pandemie nicht der einzige Grund für die Gefährdung oder das Unvermögen des Kleinstunternehmen sein, sondern weitere Umstände wie Managementfehler oder Veränderungen im Marktumfeld hinzutreten. Zur Auslegung dieses Tatbestandsmerkmals gibt die Gesetzesbegründung keine Hinweise. Aufgrund des Telos des Gesetzespakets und der in Frage stehenden Norm, die Folgen der Pandemie abzumildern sowie Verbrauchern und Kleinstunternehmen Zeit zu verschaffen, ist dieses Tatbestandsmerkmal großzügig auszulegen. Es ist keine Monokausalität, sondern lediglich Kausalität i.S.d. der Äquivalenztheorie erforderlich (zum gleichen Ergebnis im Zusammenhang mit dem „Beruhen“ i.S.d. § 1 S. 2 COVInsAG kommt Schluck-Amend, NZI 2020, 289, 290).
 
f) Keine Verteidigung des Gläubigers
Die Gewährung eines temporären Leistungsverweigerungsrechts durch Gesetz stellt einen schwerwiegenden Eingriff in die Vertragsfreiheit dar, die grundrechtlich über Art. 2 I GG hergeleitet wird. Um die Verhältnismäßigkeit dieses Eingriffs zu wahren, eröffnet Art. 240 § 1 III 1, 2 EGBGB dem Gläubiger eine Verteidigungsmöglichkeit (BT-Drucks. 19/18110, 35). Das Leistungsverweigerungsrecht des Verbrauchers gilt nach Art. 240 § 1 III 1 EGBGB nicht, wenn die Ausübung des Leistungsverweigerungsrecht für den Gläubiger unzumutbar ist, da die Nichterbringung der Leistung die wirtschaftliche Grundlage des Erwerbsbetriebs gefährden würde. Das Leistungsverweigerungsrecht des Kleinstunternehmens gilt nach Art. 240 § 1 III 2 EGBGB ebenfalls bei Unzumutbarkeit für den Gläubiger nicht. Eine solche Unzumutbarkeit kann in einer Gefährdung des angemessenen Lebensunterhalts oder der wirtschaftlichen Grundlage des Erwerbsbetriebs liegen. Befinden sich Schuldner und Gläubiger also in vergleichbar schwierigen wirtschaftlichen Lagen, hat sich der Gesetzgeber zugunsten des Gläubigers entschieden. Bei Ausschluss des Leistungsverweigerungsrechts nach Art. 240 § 1 III 1, 2 EGBGB steht dem Schuldner nur noch ein Kündigungsrecht gem. Art. 240 § 1 III 3 EGBGB zu.
 
g) Kein Ausschluss des Leistungsverweigerungsrecht nach Art. 240 § 1 IV EGBGB
Schließlich darf das Leistungsverweigerungsrecht nicht nach Art. 240 § 1 IV EGBGB ausgeschlossen sein. Ausgeschlossen ist ein Leistungsverweigerungsrecht für Ansprüche aus Miet-, Pacht- und Darlehensverträgen (Nr. 1) sowie arbeitsrechtliche Ansprüche (Nr. 2).
 
2. Rechtsfolgen
Das Leistungsverweigerungsrecht ist als Einrede konzipiert. Der Schuldner muss sich im Prozess also auf diese Einrede berufen und dessen Voraussetzungen belegen. Hat sich der Schuldner erfolgreich auf die Einrede berufen, entfällt die Durchsetzbarkeit des Anspruchs bis zum 30.06.2020 (Art. 240 § 1 I 1 EGBGB bzw. Art. 240 § 1 II 1 EGBGB), wobei Art. 240 § 4 I Nr. 1 EGBGB die Bundesregierung ermächtigt, durch Rechtsverordnung die Dauer des Leistungsverweigerungsrechts bis längstens zum 30.09.2020 zu verlängern. Allerdings steht dem Schuldner das Leistungsverweigerungsrecht nur solange zu, wie er wegen der Pandemie an seiner Leistungserbringung gehindert ist. Das Leistungsverweigerungsrecht ändert nichts an der primären Leistungspflicht, diese ist bloß später zu erfüllen. Es hindert die Vollstreckbarkeit der vereinbarten Leistung und damit zugleich die Entstehung von Sekundäransprüchen, die an die Nichterbringung von Leistungspflichten geknüpft sind, z.B. Verzug (§§ 286 ff. BGB), Schadensersatz statt der Leistung (§§ 280 I, III, 281 BGB) und Rücktritt (§ 323 I BGB) (BT-Drucks. 19/18110, 35).
 
II. Beschränkung der Kündigung von Miet- und Pachtverhältnissen
Durch die Pandemie ist damit zu rechnen, dass einige Mieter und Pächter vorübergehend nicht in der Lage sind, die fälligen Mieten und Pachten fristgerecht zu zahlen. Gem. § 543 I, II Nr. 3 lit. a) BGB (beim Pachtvertrag i.V.m. § 581 II BGB) steht dem Vermieter bzw. Verpächter ein Recht zur außerordentlichen fristlosen Kündigung zu, wenn der Mieter bzw. Pächter für zwei aufeinanderfolgende Termine mit der Entrichtung der Miete bzw. Pacht oder eines nicht unerheblichen Teils davon in Verzug ist.
Um zu verhindern, dass Mieter ihren Wohnraum bzw. Gewerbemieter oder -pächter die Grundlage ihrer Erwerbstätigkeit verlieren, schließt Art. 240 § 2 I EGBGB (bei Pachtverhältnissen i.V.m. Art. 240 § 2 III EGBGB) nun ein Kündigungsrecht für Miet- und Pachtverhältnisse über Grundstücke oder über Räume aus dem alleinigen Grund, dass der Mieter bzw. Pächter die Miete bzw. Pacht im Zeitraum vom 01.04.2020 bis zum 30.06.2020 trotz Fälligkeit nicht leistet, aus, sofern die Nichtleistung auf den Auswirkungen der Pandemie beruht. Somit stellen Mietrückstände weder einen wichtigen Grund nach § 543 I, II Nr. 3 lit. a) BGB (ggf. i.V.m. § 581 II BGB), noch ein berechtigtes Interesse nach § 573 I, II Nr. 1 BGB (ggf. i.V.m. § 581 II BGB) dar. Auch bei der Kündigungsbeschränkung wird die Bundesregierung ermächtigt, die Anwendung dieser Bestimmung zeitlich zu verlängern (Art. 240 § 4 I Nr. 2 EGBGB). Zentrales Tatbestandsmerkmal der Kündigungsbeschränkung ist das Beruhen der Nichtleistung auf den Auswirkungen der Pandemie. Dieser Zusammenhang ist – wie beim Moratorium nach Art. 240 § 1 EGBGB (Genaueres hierzu unter Gliederungspunkt C.I.1.e)) – großzügig auszulegen, was auch dadurch deutlich wird, dass die Gesetzesbegründung als Beispiel, bei dem die Nichtleistung nicht auf den Auswirkungen der Pandemie beruht, die Zahlungsunwilligkeit des Mieters anführt (BT-Drucks. 19/18110, S. 36).
Die Kündigungsbeschränkung von Miet- und Pachtverhältnissen nach Art. 240 § 2 EGBGB unterscheidet sich in zwei wesentlichen Punkten vom allgemeinen Moratorium nach Art. 240 § 1 EGBGB: Einerseits eröffnet sie nicht wie Art. 249 § 1 III EGBGB dem Vermieter bzw. Verpächter eine Verteidigungsmöglichkeit, die ihn letztendlich doch zur Kündigung aufgrund des Zahlungsverzugs berechtigt, wenn der Ausschluss der Kündigung seinerseits unzumutbar ist. Andererseits bleiben die Mieter bzw. Pächter nach den allgemeinen Grundsätzen zur Leistung verpflichtet und können auch in Verzug geraten, sodass der Vermieter bzw. Verpächter beispielsweise gem. § 288 I 1 BGB Verzugszinsen fordern kann. Dieser Unterschied ggü. Art. 240 § 1 III EGBGB kann als Ausgleich zur fehlenden Verteidigungsmöglichkeit des Vermieters bzw. Verpächters aufgefasst werden und begrenzt die Intensität des Eingriffs in die Rechte des Vermieters bzw. Verpächters.
 
III. Stundung von Ansprüchen des Darlehensgebers
Auf Corona beruhende Einnahmeverluste können nicht nur dazu führen, dass Verbraucher ihre Miete oder Forderungen aus Dauerschuldverhältnissen nicht rechtzeitig begleichen können, sondern auch dazu, dass sie vorübergehend Darlehensrückzahlungen nicht leisten können. Der Zahlungsverzug des Darlehensnehmers kann im schlimmsten Fall zur Kündigung des Darlehensvertrags und zur Verwertung der eingeräumten Sicherheiten führen. Die neuen Regelungen zum Darlehensrecht in Art. 240 § 3 EGBGB sollen durch eine vorübergehende ipso iure eintretende Stundung der Ansprüche des Darlehensgebers den Verbrauchern Luft zum Atmen geben.
 
1. Voraussetzungen
Einige der Voraussetzungen der Stundung nach Art. 240 § 3 EGBGB gleichen den Voraussetzungen des Leistungsverweigerungsrechts des Art. 240 § 1 EGBGB. Die Voraussetzungen der Stundung sollen daher nur kurz angesprochen werden.
 
a) Verbraucherdarlehensvertrag
Erste Voraussetzung für die Stundung ist das Vorliegen eines Verbraucherdarlehensvertrags, der vor dem 15.03.2020 geschlossen wurde. Nach der Legaldefinition des § 491 I 2 BGB fallen unter Verbraucherdarlehensverträge sowohl Allgemein-Verbraucherdarlehensverträge als auch Immobiliar-Verbraucherdarlehensverträge. Entsprechende Legaldefinitionen finden sich wiederum in § 491 II 1 BGB bzw. § 491 III 1 BGB, wobei die in § 491 II 2 BGB bzw. § 491 III 2, 4 BGB normierten Ausnahmen unbedingt zu beachten sind.
 
b) Unzumutbare pandemiebedingte Ausnahmefälle
Weiter fordert Art. 24o § 3 I EGBGB, dass der Verbraucher aufgrund der durch Ausbreitung der Pandemie hervorgerufenen außergewöhnlichen Verhältnisse Einnahmeausfälle hat, die dazu führen, dass ihm die Erbringung der Leistung nicht mehr zumutbar ist. Erforderlich ist somit ein doppelter Kausalzusammenhang zwischen der Corona-Pandemie und den außergewöhnlichen Verhältnissen sowie zwischen außergewöhnlichen Verhältnissen und der Unzumutbarkeit der Leistungserbringung. Auch hier genügt Kausalität i.S.d. Äquivalenztheorie. Art. 240 § 3 I 2 EGBGB enthält Regelbeispiele, wann die Erbringung der Leistung als nicht zumutbar anzusehen ist. Demnach ist die Erbringung der geschuldeten Leistung insb. bei Gefährdung eines angemessenen Lebensunterhalts unzumutbar, was insoweit mit der Formulierung in Art. 240 § 1 I 1 EGBGB übereinstimmt (s. Gliederungspunkt C.I.1.d)). Lühmann (NJW 2020, 1321, 1322) schlägt vor, der Begriff des angemessenen Lebensunterhalts könne in Anlehnung an den Begriff des notwendigen Lebensunterhalts in § 850f I lit. a) ZPO konkretisiert werden. Dieser Vorschlag kann indes nicht richtig sein: Zunächst spricht der Wortlaut des Art. 240 § 3 I 2 EGBGB ausdrücklich vom „angemessenen“ und nicht vom „notwendigen“ Lebensunterhalt. § 850 I lit. a) ZPO verweist zu unterschiedlichen Vorschriften des SGB II und des SGB XII. Notwendiger Lebensunterhalt i.S.d. § 850 I lit. a) ZPO i.V.m. § 27a I 1 SGB XII ist damit der „für die Gewährleistung des Existenzminimums notwendige Lebensunterhalt“, der gem. § 28 I SGB XII im Regelbedarfsermittlungsgesetz (RBEG) bestimmt ist. Es würden damit die für Sozialhilfe- und Grundsicherungsempfänger geltenden Regelsätze Anwendung finden. Ausgaben, die über dem für das Existenzminimum Notwendigem liegen, sind allerdings nicht per se auch unangemessen. Im Gegenteil: Wer vor Corona ein auskömmliches Einkommen gehabt und einen entsprechenden Lebensstandard gepflegt hat, kann die Kosten – v.a. die Unterkunftskosten – nicht innerhalb von kürzester Zeit auf ein dem notwendigen Lebensunterhalt im sozialrechtlichen Sinn entsprechendes Niveau senken. Auch der gesetzgeberische Wille spricht gegen den Vorschlag Lühmanns: Die Schwelle der relevanten Einnahmeminderung sei nicht pauschal festgelegt, sondern vom individuellen Einzelfall abhängig (BT-Drucks. 19/18110, 39). Das Abstellen auf § 850 I lit. a) ZPO läuft jedoch im Ergebnis auf die Anwendung pauschaler Werte hinaus. Hätte dies der Gesetzgeber gewollt, hätte er es im Gesetzestext oder zumindest in der Gesetzesbegründung erwähnt.
 
c) Keine Verteidigung des Darlehensgebers
Nach Art. 240 § 3 VI wird die Forderung nicht gestundet, wenn dem Darlehensgeber die Stundung unter Berücksichtigung aller Umstände des Einzelfalls unzumutbar ist. Diese Bestimmung soll eine unverhältnismäßige Beeinträchtigung der Rechte des Darlehensgebers verhindern und Raum für eine einzelfallbezogene Interessenabwägung lassen. Grds. geht der Gesetzgeber allerdings von einer überwiegenden Schutzbedürftigkeit der Verbraucher aus, sodass eine Stundung nur in extremen, meist im Verhalten des Darlehensnehmers begründeten, Fällen ausgeschlossen ist. Beispielhaft führt die Gesetzesbegründung „gravierende oder sich über einen längeren Zeitraum hinziehende schuldhafte Pflichtverletzungen des Verbrauchers wie zum Beispiel betrügerische Angaben oder vertragswidrige Veräußerungen von Sicherheiten“ (BT-Drucks. 19/18110, 40) an. Drohende Liquiditätsprobleme eines Kreditinstituts, die durch die Stundung der Rückzahlungen einer Vielzahl von Kunden entstehen, dürften damit nicht zu einem Ausschluss der Stundung nach Art. 240 § 3 VI EGBGB führen. Hier könnte sich der einzelne Kunde zudem stets darauf berufen, dass die Aussetzung der Rückzahlungen eines einzelnen (Privat-)Kunden ein Kreditinstitut nicht in Liquiditätsschwierigkeiten bringt und etwaige Liquiditätsprobleme vielmehr vom Gesetzgeber durch Verabschiedung des COVG in Kauf genommen wurden.
 
2. Rechtsfolgen
Liegen die Voraussetzungen vor, werden Ansprüche des Darlehensgebers auf Rückzahlung, Zins- oder Tilgungsleistungen, die zwischen dem 01.04.2020 und dem 30.06.2020 fällig werden, mit Eintritt der Fälligkeit für die Dauer von drei Monaten ipso iure gestundet. Unter einer Stundung versteht man dabei seit jeher das Hinausschieben der Fälligkeit bei fortbestehender Erfüllbarkeit (BGH, NJW 1998, 2060, 2061; MüKo-BGB/Krüger, 8. Aufl. 2019, § 271 Rn. 22). Insofern ist der Hinweis in Art. 240 § 4 I 3 EGBGB, dass der Verbraucher berechtigt ist, seine vertraglichen Zahlungen zu den ursprünglich vereinbarten Leistungsterminen weiter zu erbringen, rein deklaratorischer Natur. Art. 240 § 3 IV 1 EGBGB fordert von dem Darlehensgeber, dem Verbraucher ein Angebot über die Möglichkeit einer einverständlichen Regelung und über mögliche Unterstützungsmaßnahmen anzubieten. Kommt der Darlehensgeber dieser Pflicht nicht nach oder kommt eine einverständliche Regelung für den Zeitraum nach dem 30.06.2020 nicht zustande, verlängert sich die Vertragslaufzeit um drei Monate und die Fälligkeit der vertraglichen Leistungen wird um diese Frist hinausgeschoben (Art. 240 § 3 V 1, 2 EGBGB). Durch diese Regelung soll eine Situation vermieden werden, in der die Darlehensnehmer zwar einen Aufschub erhalten, nach dessen Ablauf sie aber dennoch ganz erheblich überfordert sind (BT-Drucks. 19/18110, 40). Wie alle Regeln des COVG sind auch die Regelungen zum Darlehensrecht mit einer Verordnungsermächtigung zur Verlängerung des zeitlichen Anwendungsbereichs verbunden (Art. 240 § 4 I Nr. 3 EGBGB).
 
IV. Ein letztes Zwischenfazit
Im Vordergrund der Corona-bedingten Änderungen des allgemeinen Zivilrechts steht der Schutz des Verbrauchers. Es soll verhindert werden, dass der Verbraucher von Leistungen der Grundversorgung ausgeschlossen wird, seine Wohnung verliert oder Darlehensverträge gekündigt werden mit der Folge, dass die eingeräumten Sicherheiten verwertet werden. Letztendlich belastet Art. 240 EGBGB diejenigen stärker, bei denen der Gesetzgeber davon ausgeht, sie kämen mit den Folgen der COVID-19-Pandemie besser zurecht als die Verbraucher; das sind Unternehmer, Vermieter und Banken. Letztendlich ist Art. 240 EGBGB Ausdruck von sozialstaatlicher Solidarität. Ohne Risiken und Nebenwirkungen ist diese Strategie freilich nicht:  Wenn Banken über einen längeren Zeitraum ohne einen nicht unerheblichen Teil der Darlehensrückzahlungen auskommen müssen und dazu im schlimmsten Fall noch eine kollektive Verunsicherung der Anleger hinzukommt, können auch die vermeintlich Stärksten in Liquiditätsschwierigkeiten kommen. Die Vergangenheit hat gezeigt, dass Liquiditätsprobleme einzelner Kreditinstitute aufgrund ihrer vielfältigen Verknüpfungen schnell eine Kettenreaktion auslösen können. Sollte dies bevorstehen, müssen rechtzeitig Maßnahmen ergriffen werden, wird die Wirtschaft in der Zeit nach Corona doch besonders auf eine rege Kreditvergabe angewiesen sein.
 
D. Fazit
Während die Änderungen durch das COVG im Insolvenz- und Gesellschaftsrecht dem Examenskandidaten sicherlich nicht en détail bekannt sein müssen, ist eine vertiefte Befassung mit den vorübergehenden Änderungen des allgemeinen Zivilrechts aufgrund der engen Verknüpfung mit dem Pflichtfachstoff ratsam. Zusammenfassend lässt sich festhalten:

  • Das COVInsAG soll Unternehmen, die Corona-bedingt in Schwierigkeiten geraten sind, vor der Insolvenz bewahren und Geschäftspartnern Anreize schaffen, die Geschäftsbeziehungen mit betroffenen Unternehmen aufrechtzuerhalten und ihnen Liquidität zuzuführen.
  • Die in Art. 2 COVG Änderungen des Gesellschaftsrechts sichern die Handlungsfähigkeit von Gesellschaften und Vereinen, indem sie die Regeln für die Durchführung von Haupt-, Gesellschafter- und Mitgliederversammlungen lockern.
  • Im Vordergrund des neuen Art. 240 EGBGB steht der Schutz der Verbraucher. Es soll verhindert werden, dass Verbraucher von Leistungen der Grundversorgung ausgeschlossen werden, ihre Wohnung verlieren oder Darlehensverträge gekündigt werden mit der Folge, dass die eingeräumten Sicherheiten verwertet werden. Im Einzelnen wird dies durch ein Leistungsverweigerungsrecht (Art. 240 § 1 EGBGB), die Beschränkung der Kündigung von Miet- und Pachtverhältnissen (Art. 240 § 2 EGBGB) und der Stundung von Darlehensrückzahlungen (Art. 240 § 3 EGBGB) erreicht.

Insgesamt lässt sich sagen, dass der volle Titel des Gesetzes „Gesetz zur Abmilderung der Folgen der COVID-19-Pandemie […]“ hält, was er verspricht: Das Gesetz wird einen Beitrag zur Reduzierung der wirtschaftlichen Folgen der Pandemie leisten. Nicht vergessen werden sollte allerdings, dass insb. die Änderungen im allgemeinen Zivilrecht und im Insolvenzrecht nicht ohne Risiken sind und erheblich in die Rechte anderer eingreifen. Daher sollten die Änderungen zwar solange wie nötig, aber keinesfalls länger als nötig gelten.

20.05.2020/1 Kommentar/von Carlo Pöschke
https://www.juraexamen.info/wp-content/uploads/2022/05/je_logo.svg 0 0 Carlo Pöschke https://www.juraexamen.info/wp-content/uploads/2022/05/je_logo.svg Carlo Pöschke2020-05-20 09:30:252020-05-20 09:30:25Reaktionen des Gesetzgebers auf die COVID-19-Pandemie – Teil II: Allgemeines Zivilrecht
Gastautor

BAG: Neues zum Zugang einer Kündigungserklärung

Arbeitsrecht, Examensvorbereitung, Lerntipps, Rechtsgebiete, Rechtsprechung, Schon gelesen?, Startseite

Wir freuen uns sehr, nachfolgend einen Gastbeitrag von Hannah Linke veröffentlichen zu können. Die Autorin hat Jura an der Ludwig-Maximilians-Universität München studiert und ist derzeit als wissenschaftliche Mitarbeiterin bei Freshfields Bruckhaus Deringer LLP am Düsseldorfer Standort im Arbeitsrechtsteam tätig. 
 
Die Parteien streiten um die Wirksamkeit einer außerordentlichen Kündigung. Im Fokus der Entscheidung des BAG (Urt. v. 22.8.2019 – 2 AZR 111/19) steht der Zeitpunkt des Zugangs der Kündigungserklärung. Vom Zugangszeitpunkt hängt es insbesondere ab, ob die Ausschlussfrist des § 626 Abs. 2 BGB gewahrt ist, oder ob die Klagefrist des § 4 S. 1 KSchG eingehalten wird. Letzteres ist auch in dem hier zu besprechenden Urteil problematisch. Sollte Arbeitsrecht einmal Thema einer Examensklausur sein, ist in der Regel die Wirksamkeit einer Kündigung, ggf. eingebettet in die Prüfung der Erfolgsaussichten einer Kündigungsschutzklage, zu prüfen. Aber nicht nur für Examenskandidaten ist der folgende Beitrag von Interesse: Es geht maßgeblich um die Zugangsvoraussetzungen einer empfangsbedürftigen Willenserklärung unter Abwesenden. Unter Punkt III. findet sich ein informativer Exkurs zu diesem Komplex, sodass auch Studierende in den Anfangssemestern angesprochen werden.
 
I. Sachverhalt
Die Beklagte ließ das Kündigungsschreiben von einer Mitarbeiterin gegen 13.25 Uhr am 27.1.2017 (Freitag) in den Briefkasten des bei ihr angestellten Klägers werfen. Die Postzustellung im Wohnort des Klägers ist in aller Regel bis 11.00 Uhr abgeschlossen. Die Kündigungsschutzklage des Klägers ging am 20.2.2017 (Montag) beim Arbeitsgericht ein. Der Kläger macht geltend, er habe das Kündigungsschreiben erst am 30.1.2017 seinem Briefkasten entnommen. Der Zugang habe folglich frühestens an dem auf den 27.1.2017 folgenden Tag stattfinden können.
 
II. Vorinstanzen
Die Vorinstanzen (ArbG Karlsruhe v. 17.4.2018 – 2 Ca 60/17; LAG Baden-Württemberg v. 14.12.2018 – 9 Sa 69/18) haben die Klage abgewiesen. Mangels Einhaltung der maßgeblichen Drei-Wochen-Frist des § 4 S. 1 KSchG gelte die außerordentliche Kündigung nach § 13 Abs. 1 S. 2 iVm § 7 Hs. 1 KSchG als von Anfang an wirksam. Sowohl das Arbeitsgericht als auch das Landesarbeitsgericht haben mithin einen Zugang des Kündigungsschreibens bereits am 27.1.2017 angenommen. Nach dem LAG könne der Verkehrsanschauung entsprechend mit einer Kenntnisnahme von Schriftstücken, die im Briefkasten eines Arbeitnehmers hinterlassen werden, bis 17.00 Uhr gerechnet werden. Auf den Zeitpunkt des Abschlusses der örtlichen Postzustellung komme es hingegen nicht (mehr) an. Heutzutage könne bei Berufstätigen mit einer Leerung des Briefkastens erst nach Rückkehr von der Arbeit gerechnet werden.
 
III. Exkurs: Zugang von Willenserklärungen unter Abwesenden
Neben der Abgabe stellt der Zugang kumulativ vorzuliegende Voraussetzung für das Wirksamwerden empfangsbedürftiger Willenserklärungen dar. Das Erfordernis des Zugangs einer Willenserklärung gegenüber Abwesenden ist in § 130 Abs. 1 S. 1 BGB geregelt. Definiert wird der Begriff des Zugangs im Gesetz jedoch nicht. Nach ständiger Rechtsprechung ist eine Willenserklärung zugegangen, wenn sie so in den Bereich des Erklärungsempfängers gelangt ist, dass dieser unter normalen Umständen die Möglichkeit hat, vom Inhalt der Erklärung Kenntnis zu nehmen.[1]Da nach dieser Definition im Hinblick auf die Komponente der Kenntnisnahmemöglichkeit nur auf die gewöhnlichen Verhältnisse abgestellt wird, ist es für die Annahme eines Zugangs unerheblich, wann die Kenntnisnahme durch den Empfänger tatsächlich erfolgt.[2]Auch die Tatsache, dass der Empfänger im Urlaub, Krankenhaus oder aus sonstigen Gründen für längere Zeit nicht zu Hause ist, steht dem Zugang der Willenserklärung prinzipiell nicht entgegen. Den Erklärungsempfänger trifft die Obliegenheit, die nötigen Vorkehrungen zu treffen, um eine Kenntnisnahme vom Inhalt von in seinen Machtbereich gelangten Willenserklärungen auch bei seiner Abwesenheit zu gewährleisten, sofern er mit dem Zugang rechtserheblicher Erklärungen rechnen muss. Dies ist beispielsweise der Fall bei der Anbahnung von vertraglichen Beziehungen oder im bestehenden Arbeitsverhältnis.[3]Selbst wenn der Erklärende von der Abwesenheit des Empfängers weiß, gilt grundsätzlich nichts anderes.[4]Das ist auch interessengerecht, da die Risikosphäre des Empfängers eröffnet ist, sobald die Erklärung in seinen Herrschaftsbereich (Briefkasten, Empfangsboten etc.) gelangt ist. Beim Übergabe-Einschreiben ist dabei Folgendes zu beachten: Schlägt die Aushändigung des Einschreibens durch die Zustellungsperson fehl, weil der Empfänger nicht zugegen ist, erfolgt der Zugang der Willenserklärung nicht schon mit der Hinterlegung des Benachrichtigungsscheins im Briefkasten des Empfängers, sondern erst mit Abholung bei der Post.[5]Erst dann gelangt die Erklärung in seinen Machtbereich. Sollte die Erklärung fahrlässig oder vorsätzlich nicht bei der Poststelle abgeholt werden, liegt ein Fall der Zugangsvereitelung vor.
Zu differenzieren ist zwischen der berechtigten und der unberechtigten Zugangsvereitelung.[6]Von der berechtigten Zugangsverweigerung spricht man, wenn der Erklärungsempfänger sich auf einen legitimen Grund für die Verweigerung der Entgegennahme der Erklärung berufen kann. Dieser Fall ist etwa dann einschlägig, wenn der Empfänger ein sog. Nachentgelt zahlen muss, weil das Schreiben vom Absender nicht ausreichend frankiert wurde.[7]Hier fehlt es an einem Zugang und die Willenserklärung wird nicht wirksam. Der Erklärende muss einen erneuten Zustellungsversuch unternehmen. Das Gleiche gilt bei der fahrlässigen Zugangsvereitelung, auch wenn hier keine Rechtfertigungsgründe für die Zugangsverhinderung gegeben sind. Erfolgt unverzüglich ein weiterer Zustellungsversuch, kann der Empfänger sich nach den Grundsätzen von Treu und Glauben (§ 242 BGB) indes nicht auf eine verspätete Zustellung berufen. Die fahrlässige Zugangsvereitelung zieht eine Rechtzeitigkeitsfiktion nach sich.[8]Etwas anderes gilt bei der vorsätzlichen Zugangsver-eitelung, bei der ein erneuter Zustellungsversuch nicht unternommen werden muss. Die Zustellung wird hier nach dem Rechtsgedanken der §§ 162 Abs. 1, 815 BGB fingiert.[9]
 
IV. Entscheidung des BAG 
Das BAG hat sich den Vorinstanzen nicht angeschlossen. Zumindest mit der vom LAG angebotenen Begründung hätte der Kündigungsschutzantrag nicht abgewiesen werden dürfen. Zwar sei das Kündigungsschreiben bereits am 27.1.2017 in den Machtbereich des Klägers gelangt. Ob an diesem Tag aber auch bereits mit einer Kenntisnahme durch den Arbeitnehmer gerechnet werden könne, sei problematisch. Vor allem die Aussage des LAG, von einer Leerung des Briefkastens sei bei Arbeitnehmern nach der Verkehrsanschauung um 17.00 Uhr auszugehen, hat das BAG als willkürlich kritisiert:

„Ob die Möglichkeit einer Kenntnisnahme bestand, ist nach den gewöhnlichen Verhältnissen und den Gepflogenheiten des Verkehrs zu beurteilen. So bewirkt der Einwurf in einen Briefkasten den Zugang, sobald nach der Verkehrsanschauung mit der nächsten Entnahme zu rechnen ist. Dabei ist nicht auf die individuellen Verhältnisse des Empfängers abzustellen. Im Interesse der Rechtssicherheit ist vielmehr eine generalisierende Betrachtung geboten.“[10]

Grundsätzlich sei die Annahme einer Verkehrsanschauung, wonach eine Leerung der Hausbriefkästen unmittelbar nach Abschluss der Regelpostzustellzeiten erfolge, nicht zu beanstanden. Zwar könne das LAG eine davon abweichende Verkehrsanschauung aufgrund sich ändernder Lebensumstände annehmen, jedoch seien die Ausführungen des Berufungsgerichts nicht geeignet, eine solche Anschauung zu begründen. Teilzeitbeschäftigte, im Homeoffice tätige Arbeitnehmer, Nachtarbeiter oder nicht erwerbstätige Personen würden bei Beurteilung der Leerungszeiten von Briefkästen am Wohnort des Klägers durch das LAG außer Betracht bleiben. Hinzukomme, dass der Kläger im Elsass wohnhaft sei, sodass die durch das Gericht in zweiter Instanz herangezogenen Werte und Statistiken in Bezug auf Deutschland nicht herangezogen werden könnten. Auch eine auf Verhältnismäßigkeitserwägungen beruhende Festlegung der Leerungszeit auf 17.00 Uhr sei nicht geeignet, eine dahingehende Verkehrsanschauung zu begründen. Schließlich sei auch die landgerichtliche Argumentation, wonach ein fristwahrender Zugang für den Erklärenden bis 24.00 Uhr möglich sein müsse, da andernfalls eine unzulässige Verkürzung des Fristendes nach § 188 BGB gegeben sei, nicht haltbar. Die Regelung des § 188 BGB bezieht sich auf das Ende einer Frist, trifft aber keine Aussage zum Zugang von Willenserklärungen.
Das BAG hat die Entscheidung des LAG aufgehoben und an das Berufungsgericht zurückverwiesen. Es sei dessen Aufgabe festzustellen, wann nach der Verkehrsanschauung mit der Entnahme des am 27.1.2017 in den klägerischen Briefkasten eingeworfenen Schreibens zu rechnen war. Die Feststellung des Inhalts der Verkehrsanschauung sei eine Tatfrage, deren Beurteilung vom Revisionsgericht nur eingeschränkt kontrolliert werden könne. 
Im Jahr 2015 hat das BAG[11]zum Zeitpunkt des Zugangs einer Kündigung festgehalten: „Anders als dann, wenn ein Brief ohne Wissen des Adressaten erst nach den üblichen Postzustellzeiten in dessen Hausbriefkasten eingeworfen wird, ist mit der Kenntnisnahme eines Schreibens, von dem der Adressat weiß oder annehmen muss, dass es gegen 17.00 Uhr eingeworfen wurde, unter gewöhnlichen Verhältnissen noch am selben Tag zu rechnen. Ob die Kl. dazu angesichts ihrer Termine tatsächlich in der Lage war, ist nicht entscheidend.“ Das BAG unterscheidet richtigerweise dazwischen, ob der Arbeitnehmer mit der Zustellung eines Schreibens nach den üblichen Postzustellungszeiten rechnet bzw. rechnen muss. Orientiert man sich hieran, spricht, sofern der Kläger nichts von dem Einwurf des Kündigungsschreibens um 13.25 Uhr wusste oder wissen musste, gegen einen Zugang des Schreibens noch am 27.1.2017. Zu berücksichtigen ist nichtsdestotrotz, dass der Einwurf des Kündigungsschreibens hier am frühen und nicht am späten Nachmittag stattgefunden hat.
Es bleibt somit abzuwarten, wie da LAG Baden-Württemberg im Anschluss an das Urteil des BAG entscheidet.
 
V. Fazit
Auch wenn das BAG noch keine abschließende Entscheidung zu der Frage getroffen hat, wann die Kündigungserklärung dem Kläger im Fall zugegangen ist, enthält das Urteil wichtige Kriterien zur Bestimmung der jeweils einschlägigen Verkehrsanschauung, die den Zugangszeitpunkt bestimmt. Denn sobald die jeweilige Erklärung in den Machtbereich des Empfängers gelangt ist, kommt es bei der Bestimmung, wann der Empfänger Möglichkeit hatte, vom Inhalt der Erklärung Kenntnis zu nehmen, nur auf die Verkehrsanschauung an. Ist nach der Verkehrsanschauung die Kenntnisnahmemöglichkeit zu bejahen, gilt die Willenserklärung als zugegangen. Auf den tatsächlichen Zeitpunkt der Kenntnisnahme durch den Empfänger kommt es hingegen nicht an.
[1]Palandt/Ellenberger, BGB, 78. Aufl. 2019, § 130 Rn. 5.
[2]Noack/Uhlig, JA 2012, 740, 741.
[3]LAG-Schleswig-Holstein v. 1.4.2019 – 1 Ta 29/19, NZA-RR 2019, 528, 529; BAG v. 22.9.2005 – 2 AZR 366/04, NZA 2006, 204, 205.
[4]Vgl. hierzu etwa BAG v. 24.6.2004 – 2 AZR 461/03, NZA 2004, 1330.
[5]Klinkhammer/Schmidbauer, ArbRAktuell 2018, 362, 363.
[6]Noack/Uhlig, JA 2012, 740, 744.
[7]MüKo/Einsele, BGB, 8. Aufl. 2018, § 130 Rn. 36; https://www.deutschepost.de/content/dam/dpag/images/G_g/Gesamtpreisliste/dp-leistungen-und-preise-012019.pdfS. 35 (Stand: 11.1.2020).
[8]Preis, in: Ascheid/Preis/Schmidt, Kündigungsrecht, 5. Aufl. 2017, 1. Teil, Kap. D Rn. 58.
[9]Weiler, JuS 2005, 788, 792 f.
[10]BAG v. 22.8.2019 – 2 AZR 111/19, NJW 2019, 3666, 3667
[11]BAG v. 26.3.2015 – 2 AZR 483/14, NZA 2015, 1183, 1183 f.
 
 

24.01.2020/3 Kommentare/von Gastautor
https://www.juraexamen.info/wp-content/uploads/2022/05/je_logo.svg 0 0 Gastautor https://www.juraexamen.info/wp-content/uploads/2022/05/je_logo.svg Gastautor2020-01-24 09:15:472020-01-24 09:15:47BAG: Neues zum Zugang einer Kündigungserklärung
Redaktion

Zivilrecht III – April 2019 – NRW – 1. Staatsexamen

Arbeitsrecht, Examensreport, Examensvorbereitung, Lerntipps, Nordrhein-Westfalen, Rechtsgebiete, Schon gelesen?, Zivilrecht

Nachfolgend erhaltet ihr ein Gedächtnisprotokoll zur Examensklausur Zivilrecht III, 1. Staatsexamen, NRW, April 2019. Ergänzungen und Korrekturanmerkungen sind wie immer gerne gesehen. Wir danken sehr herzlich für die Zusendung.
 
Unser Examensreport lebt von Eurer Mithilfe. Deshalb bitten wir Euch, uns Gedächtnisprotokolle Eurer Klausuren zuzuschicken, damit wir sie veröffentlichen können. Nur so können Eure Nachfolger genauso von der Seite profitieren, wie Ihr es getan habt.
 
Fall:
Der A ist seit 2012 als Erzieherbei der KiTa GmbH beschäftigt. Die Geschäftsführerin der GmbH ist die G. Neben dem A arbeiten noch vier Erzieherinnen und ein weiterer Erzieher bei der KiTa GmbH. Im November 2018 tauchen auf der Plattform „Instaphoto“ Bilder von einem nackten Mann in den Räumlichkeiten der KiTa auf. Um welche Person es sich handelt, kann auf den ersten Blick nicht eindeutig festgestellt werden. Der Statur nach kann es sich um den A handeln, nicht jedoch um den anderen männlichen Erzieher. In dem Zeitraum, in dem das Foto entstanden sein muss, fanden ebenfalls Bauarbeiten in der KiTa statt. Bauarbeiter hätten entsprechend auch zu jeder Tages- und Nachtzeit Zutritt zu den Räumen gehabt. Allein der A steht jedoch unter Verdacht. Die G leitet sofort Ermittlungen ein und stellt den A zunächst zum 15.11.2018 von der Arbeit frei. Er soll so lange zuhause bleiben, bis sich der Verdacht aufgelöst hat. Die Eltern der Kinder sind jedoch mit diesem Vorgehen nicht einverstanden. Die Hälfte der Eltern kündigen an, ihre Kinder von der KiTa abzumelden, sollte der A nicht unverzüglich gekündigt werden. Auch die übrigen ErzieherInnen kündigen an, dass ihnen der Stress bzgl. des Fotos so sehr zu Gemüte schlage, dass die G mit einer Erkrankung ihrerseits zu rechnen habe. Ohne dem A eine Möglichkeit zur Stellungnahme gegeben zu haben, bringt die G am 30.11.2019 ein Kündigungsschreiben in das Büro der Ehefrau des A. Die Ehefrau übergibt dem A das Schreiben noch am Abend desselben Tages. In dem Schreiben kündigt die G den A fristlos zum 1.12.2019. Hiergegen möchte der A vorgehen. Er erhebt form- und fristgemäß eine Kündigungsschutzklage.
 
Frage 1: Wie wird das zuständige Arbeitsgericht entscheiden (Die Zulässigkeit ist nicht zu prüfen)?
 
Frage 2: Es sei anzunehmen, dass die Kündigung unwirksam war. Dies entscheidet das Gericht am 28.2.2019. Hat der A Anspruch auf Lohn vom 1.12.2018 bis zum 28.2.2019, wenn anzunehmen ist, dass der A der KiTa während der ganzen Zeit ferngeblieben ist?
 
Fallfortsetzung:
Dem A wird nicht gekündigt. Er wird jedoch ebenfalls am 15.11.2018 freigestellt. Die G fordert den A auf, den Schlüssel für die KiTa-Räumlichkeiten unverzüglich in der KiTa abzugeben. Hiermit ist der A jedoch nicht einverstanden. Zwar geht er davon aus, dass er zur Herausgabe des Schlüssels verpflichtet ist, er sieht es jedoch nicht ein, hierfür zur KiTa zu fahren. Vielmehr ist er der Meinung, dass die G den Schlüssel bei ihm abholen müsse. Die G fordert den A am 20.11.2018 erneut auf, ihr den Schlüssel in die KiTa zu bringen. Der A weigert sich erneut. Die G spielt mit dem Gedanken die Schließanlage der KiTa auszutauschen. Hierbei hätte sie Kosten i.H.v. 2000 EUR. Schlussendlich entscheidet sie sich jedoch gegen den Austausch. Die 2000 EUR soll der A jedoch trotzdem zahlen.
 
Frage 3: Hat die KiTa GmbH, vertreten durch die G, einen Anspruch i.H.v. 2000 EUR?
 
Fallfortsetzung:
Im Streit um die Kündigung vor dem zuständigen Arbeitsgericht, wird am 28.2.2019 ein Vergleich geschlossen. In dem wird festgehalten, dass der A bis zum 15.4.2019 nicht zur Arbeit erscheinen solle, weiterhin jedoch für diesen Zeitraum den Lohn erhalte. Er dürfe in der Zwischenzeit keine andere Tätigkeit wahrnehmen, solle jedoch gerade die Zeit nutzen, um eine neue Stelle zu finden. Sollte er eine Stelle vor dem 15.4.2019 gefunden haben, sei dies der KiTa GmbH fünf Tage vor dem neuen Arbeitsbeginn mitzuteilen. Die Lohnzahlung werde dann entsprechend eingestellt. Am 7.3.2019 findet der A tatsächlich eine geeignete Stelle, bewirbt sich und erklärt der G, er werde zum 15.3.2019 einer neuen Tätigkeit nachgehen. Am 10.3.2019 erhält der A jedoch für ihn sehr unerwartet eine Absage. Daraufhin möchte er von der KiTa GmbH auch weiterhin seinen Lohn erhalten. Dieser könne durch seine Ankündigung einen neuen Arbeitgeber gefunden zu haben, nicht erloschen sein. Sein Anspruch bestehe weiterhin, da der geschlossene Vergleich ohnehin unwirksam sei. Die angeführte „Ankündigungsfrist“ stehe im Widerspruch mit den gesetzlichen Kündigungsfristen. Er wendet sich an die Rechtsanwälten R mit der Bitte um Rat, da er davon ausgeht einen Anspruch auf Zahlung seines Lohns vom 15.3.2019 bis zum 15.4.2019 zu haben.
 
Frage 4: Was wird die R ihm mitteilen?
 
 

17.05.2019/0 Kommentare/von Redaktion
https://www.juraexamen.info/wp-content/uploads/2022/05/je_logo.svg 0 0 Redaktion https://www.juraexamen.info/wp-content/uploads/2022/05/je_logo.svg Redaktion2019-05-17 09:30:102019-05-17 09:30:10Zivilrecht III – April 2019 – NRW – 1. Staatsexamen
Gastautor

BGH: Kündigungsschutzklausel in Vertrag zwischen Veräußerer und Erwerber einer Immobilie begründet eigene Schutzrechte des Mieters

AGB-Recht, Examensvorbereitung, Lerntipps, Mietrecht, Mündliche Prüfung, Rechtsgebiete, Rechtsprechung, Schon gelesen?, Startseite, Zivilrecht

Wir freuen uns sehr, nachfolgend einen Gastbeitrag von Tobias Vogt veröffentlichen zu können. Der Autor war am Institut für Arbeitsrecht und Recht der sozialen Sicherheit der Universität Bonn tätig und ist derzeit Wissenschaftlicher Mitarbeiter bei Flick Gocke Schaumburg.
Der BGH stärkt in einer aktuellen Entscheidung (Urt. v. 14.11.2018, Az. VIII ZR 109/18) Mieterrechte und äußert sich dabei seit langem wieder einmal zu einem Vertrag zu Gunsten Dritter (VzD) i.S.d. § 328 BGB. Der Mieter kann sich gegenüber seinem Vermieter auf eine Kündigungsschutzklausel aus dem zwischen dem jetzigen Vermieter und dem vorherigen Eigentümer der Immobilie geschlossenen Kaufvertrag über die Immobilie berufen und sich so gegen eine Kündigung des Mietvertrags wehren, entschied der VIII Zivilsenat. Gerade aufgrund der enormen medialen Aufmerksamkeit in der Tagespresse liegt die Examensrelevanz auf der Hand. Zudem macht die Kombination aus Mietrecht, AGB-Kontrolle und VzD diese Entscheidung aus Prüfersicht attraktiv. Sie sollte daher jedem Examenskandidaten bekannt sein. Auch wenn die Entscheidung noch nicht im Volltext veröffentlicht wurde, ergeben sich die wesentlichen Gründe bereits aus der Pressemitteilung des BGH.
I. Sachverhalt (leicht abgewandelt)
Die Beklagten sind seit 1981 Mieter einer Wohnung in einem aus zwei Wohnungen bestehenden Siedlungshaus. Im Jahr 2012 erwarb die Klägerin das Hausgrundstück von der Stadt Bochum und bewohnt mittlerweile die zweite Wohnung des Hauses. Der Kaufvertrag zwischen der Stadt Bochum und der Klägerin enthält folgenden Klausel, die die Stadt Bochum für eine Vielzahl von Immobilienverträgen verwendete: „Die Mieter haben ein lebenslanges Wohnrecht. Der Käufer übernimmt das bestehende Mietverhältnis. Er darf insbesondere keine Kündigung wegen Eigenbedarfs oder wegen der Behinderung einer angemessenen wirtschaftlichen Verwertung aussprechen. Möglich ist lediglich eine Kündigung wegen der erheblichen Verletzung der dem Mieter obliegenden vertraglichen Verpflichtungen […] Für den Fall, dass der Käufer ohne Zustimmung des Verkäufers oder ohne Vorliegen eines außerordentlichen Kündigungsgrundes das Mietverhältnis kündigt, ist der Verkäufer berechtigt, das Kaufgrundstück lasten- und schuldenfrei wiederzukaufen.“ Dennoch kündigte die Klägerin das Mietverhältnis unter Berufung auf § 573a Abs. 1 S. 1 BGB, der eine Kündigung von Seiten des Vermieters unter erleichterten Bedingungen vorsieht, wenn dieser im selben Gebäude mit nicht mehr als zwei Wohnungen die zweite Wohnung selbst bewohnt. Mit der anschließenden Räumungsklage scheiterte die Klägerin in den Vorinstanzen und nun auch vor dem BGH.
II. Kündigungsschutzklausel als echter Vertrag zugunsten Dritter, § 328 BGB
Zunächst sollte in einer Prüfung festgestellt werden, dass die Klägerin durch den Erwerb des Hausgrundstücks nach § 566 Abs. 1 BGB in das zuvor zu der Stadt Bochum bestehende Mietverhältnis eingetreten ist und eine ordnungsgemäße Kündigungserklärung vorliegt. Auch sollten die Voraussetzungen des § 537a BGB geprüft werden, die hier vorliegen. Dann ist die Kündigungsschutzklausel aus dem Grundstückskaufvertrag anzusprechen, die einer Kündigung nach § 573a BGB entgegenstehen könnte. Dazu müsste diese aber auch im Verhältnis der Mieter zur Vermieterin gelten. Der Grundstückskaufvertrag ist jedoch zwischen jetzigem und vorherigem Vermieter geschlossen worden. Verträge gelten grundsätzlich nur inter partes. Eine Ausnahme von diesem Grundsatz stellt das Konstrukt des Vertrags zugunsten Dritter nach § 328 BGB dar. Nach § 328 Abs. 1 BGB kann eine Leistung an einen Dritten derart bedungen werden, dass dieser unmittelbar das Recht erwirbt die Leistung zu fordern. Ob ein solches Recht bestehen soll, ist in Ermangelung einer besonderen Bestimmung gemäß § 328 Abs. 2 BGB aus den Umständen, insbesondere dem Zwecke des Vertrags, zu ermitteln. An dieser Stelle können Prüflinge mit einer umfassenden Auslegung der Klausel punkten, wobei insbesondere auf den Wortlaut und auch den von der Stadt Bochum bezweckten Mieterschutz aufgrund deren Verantwortung als kommunaler Eigentümer und Veräußerer eingegangen werden. So führte der BGH in seiner Pressemitteilung aus: „Schon der Wortlaut der Regelung, in der von einem bestehenden lebenslangen Wohnrecht der Mieter und einer Übernahme dieses Mietverhältnisses durch den Käufer die Rede ist, bringt hinreichend deutlich zum Ausdruck, dass den Mietern hiermit eine (eigene) gesicherte Rechtsposition auch gegenüber dem Käufer als neuem Vermieter eingeräumt wird. Ihren bisherigen Wohnraum sollen sie lediglich bei selbst zu vertretender (erheblicher) Verletzung ihrer Mieterpflichten verlieren können. Für diese naheliegende Auslegung der vertraglichen Regelungen sprechen zusätzlich auch die hohe Schutzbedürftigkeit der Beklagten als langjährige Mieter und die Verantwortung der Stadt Bochum als kommunaler Eigentümer und Veräußerer. Darüber hinaus unterstreicht das für den Fall einer unberechtigten Vermieterkündigung vereinbarte Wiederkaufsrecht der Stadt, dass diese mit den vertraglichen Regelungen erkennbar einen möglichst umfassenden Schutz der Mieter herbeiführen wollte.“ Daher handelt es sich also um einen echten Vertrag zugunsten Dritter i.S.d. § 328 BGB, sodass die Mieter die Kündigungsschutzklausel dem Vermieter entgegenhalten können.
III. Auslegung der Klausel: Auch Kündigung nach § 573a BGB ausgeschlossen
Fraglich ist zudem, ob die Klausel ihrem Inhalt nach auch eine Kündigung nach § 573a BGB ausschließen soll. Dies ist durch Auslegung nach dem objektiven Empfängerhorizont §§ 133,157 BGB zu ermitteln. Zwar sind ausdrücklich nur die Kündigung wegen Eigenbedarf und wegen Behinderung einer angemessenen Verwertung ausgeschlossen. Jedoch lässt sich schon aus der Formulierung „insbesondere“ erschließen, dass dies keine abschließende Aufzählung darstellt. Vielmehr wird im nächsten Satz klargestellt, dass lediglich eine Kündigung wegen der erheblichen Verletzung der vertraglichen Mieterpflichten möglich sein soll. Die Kündigung nach § 573a BGB erfordert jedoch – ebenso wie die in der Klausel ausdrücklich genannten Kündigungsgründe – weder eine Pflichtverletzung noch ein Verschulden des Mieters. Die Klausel umfasst daher auch eine Kündigung nach § 573a BGB.
IV. Keine Unwirksamkeit aufgrund AGB-Kontrolle
Die Kündigungsschutzklausel kann selbstverständlich aber nur dann der Kündigung entgegenstehen, wenn sie wirksam ist. Da die Klausel für eine Vielzahl von Verträgen vorformuliert und von der Stadt Bochum einseitig gestellt wurde, handelt es sich um eine Allgemeine Geschäftsbedingung, § 305 BGB. Es ist daher zu prüfen, ob die Klausel gegen §§ 307 – 309 BGB verstößt. In Betracht kommt hier ein Verstoß gegen § 307 Abs. 1 BGB. Dazu müsste die Klägerin durch die Klausel unangemessen benachteiligen. Zwar wird das Recht zur Kündigung in weiten Fällen ausgeschlossen. Jedoch ist das Kündigungsrecht nicht völlig ausgeschlossen, sondern es verbleibt dem Erwerber die Möglichkeit zur Kündigung wegen wesentlicher Pflichtverletzung des Mieters. Die Regelung dient dem berechtigten Interesse der langjährigen Mieter, ohne eigene erhebliche Pflichtverletzung nicht einer Kündigung ausgesetzt zu werden. Auch die Stadt Bochum hat als kommunalen Träger ein berechtigtes Interesse, durch eine Kündigungsschutzklausel die bislang in ihrem Eigentum wohnenden Mieter vor einer Kündigung durch den neuen Vermieter zu schützen. Daher benachteiligen die „kaufvertraglichen Bestimmungen, mit denen das Recht der Erwerber zur ordentlichen Kündigung für die Lebensdauer der aktuellen Mieter eingeschränkt wird, […] den Käufer einer entsprechenden Immobilie nicht unangemessen im Sinne von § 307 Abs. 1 und 2 BGB, sondern stellen vielmehr eine inhaltlich ausgewogene Regelung für den Verkauf eines im kommunalen Eigentum stehenden, von langjährigen Mietern bewohnten Siedlungshauses dar“, so der BGH in seiner Pressemitteilung.
V. Summa
Eine Klausel in dem Grundstückskaufvertrag zwischen Veräußerer und Erwerber, die das Kündigungsrecht des Erwerbers gegenüber den Mietern einschränkt, ist (jedenfalls bei ähnlicher Formulierung wie im konkreten Fall) als Vertrag zugunsten Dritter i.S.d. § 328 BGB auszulegen, so dass der Mieter sie dem (neuen) Vermieter entgegenhalten kann. Eine solche Vereinbarung stellt eine inhaltlich ausgewogene Regelung dar, die auch einer AGB-Kontrolle standhält.

16.11.2018/1 Kommentar/von Gastautor
https://www.juraexamen.info/wp-content/uploads/2022/05/je_logo.svg 0 0 Gastautor https://www.juraexamen.info/wp-content/uploads/2022/05/je_logo.svg Gastautor2018-11-16 09:00:082018-11-16 09:00:08BGH: Kündigungsschutzklausel in Vertrag zwischen Veräußerer und Erwerber einer Immobilie begründet eigene Schutzrechte des Mieters
Dr. Lena Bleckmann

Die Chefarztentscheidung – Kündigung wegen zweiter Ehe?

Arbeitsrecht, Europarecht, Schon gelesen?, Schwerpunktbereich, Startseite, Tagesgeschehen

Das Urteil des EuGH vom 11.9.2018 erfuhr eine Aufmerksamkeit in den deutschen Medien, wie sie für den Bereich des kirchlichen Arbeitsrechts ausgesprochen selten ist. Die Entscheidung soll hier kurz aufgearbeitet werden, da ihre Kenntnis als Teil des juristischen Tagesgeschehens durchaus vorteilhaft ist und sie gerade im Bereich der Schwerpunktbereichsprüfung im Arbeitsrecht Bedeutung erlangen kann. Dem Examenskandidaten sollte die Entscheidung Anlass liefern, das Selbstbestimmungsrecht der Kirche sowie das Zusammenspiel nationaler und europarechtlicher Normen zu wiederholen.
I. Sachverhalt (gekürzt)
Der Kläger war von 2000 bis 2009 Chefarzt der Inneren Medizin in einem Krankenhaus der Beklagten. Er selbst ist katholischer Konfession, die Beklagte ist eine GmbH unter der Aufsicht der katholischen Kirche.
Nachdem seine erste Ehefrau aus katholisch anerkannter Ehe ihn bereits 2005 verlassen hatte und sich scheiden ließ, ging der Kläger im Jahre 2008 eine zweite standesamtliche Ehe ein. Die katholische Kirche hatte die erste Ehe zuvor nicht für nichtig erklärt.
Als die Beklagte hiervon Kenntnis erlangte, kündigte sie das Dienstverhältnis. Der Kläger erhob Kündigungsschutzklage und macht geltend, ein evangelischer Mitarbeiter in derselben Position wäre unter denselben Bedingungen nicht gekündigt worden.
Das Arbeitsgericht Düsseldorf entschied zugunsten des Klägers, ebenso wie das LAG Düsseldorf und das BAG. Das Urteil des BAG wurde allerdings vom BVerfG wegen mangelnder Berücksichtigung des kirchlichen Selbstbestimmungsrechts aufgehoben und zurückverwiesen (siehe zu der wichtigen Entscheidung BVerfG, NZA 2014, 1387). Nun fand der Fall nach einem Vorabentscheidungsersuchen des BAG seinen Weg zum EuGH.
II. Gesetzliche Grundlagen
Das Arbeitsrecht im Rahmen der katholischen Kirche birgt einige Besonderheiten und ist von hoher praktischer Relevanz, da die Kirchen nach dem Staat der zweitgrößte Arbeitgeber Deutschlands sind.
Die Besonderheiten sowohl im nationalen als auch im europäischen Recht folgen daraus, dass der Status der Kirchen und ihr Selbstbestimmungsrecht ausdrücklich anerkannt werden (siehe Art. 140 GG i.V.m. Art. 137 Abs. 3 WRV; Erwägungsgrund 24 RL 2000/78 EG).
Dem wird auch im Rahmen des Allgemeinen Gleichbehandlungsgesetzes Rechnung getragen: Während unmittelbare Diskriminierungen wegen der Religion nach § 7 I AGG i.V.m. § 8 I AGG nur gerechtfertigt werden können, wenn die Religion eine wesentliche berufliche Anforderung darstellt und die Ungleichbehandlung einen legitimen Zweck angemessen verfolgt, so gilt allein für kirchliche Einrichtungen zusätzlich der Rechtfertigungsgrund nach § 9 AGG. Hiernach ist sie auch zulässig, wenn die Religion im Hinblick auf das Selbstbestimmungsrecht der Kirche oder nach Art der Tätigkeit eine gerechtfertigte berufliche Anforderung darstellt. Weiterhin dürfen die kirchlichen Einrichtungen nach § 9 II AGG im Hinblick auf ihr Selbstverständnis besondere Loyalitätsobliegenheiten der Mitarbeiter vorsehen.
Dies hat die katholische Kirche in Art.  4 I, 5 II, III GrO 1993 getan, wo festgelegt ist, dass eine nach kirchlichem Verständnis ungültige Ehe einen Kündigungsgrund insbesondere für leitende Mitarbeiter katholischer Konfession darstellt. Demgegenüber wird von nicht katholischen Mitarbeitern lediglich die Achtung der Werte des Evangeliums verlangt (Art. 4 II GrO 1993).
III. Fragen des BAG – Antworten des EuGH
Fraglich war nun zunächst, ob die Loyalitätsobliegenheiten, die die Kirchen nach Art der Tätigkeit und Umständen ihrer Ausübung als wesentliche, rechtmäßige und gerechtfertigte berufliche Anforderungen vorsehen können, einer vollständigen gerichtlichen Überprüfbarkeit unterliegen. Dies hat der EuGH bejaht – insbesondere die Vereinbarkeit der Anforderungen mit der RL 2000/78 EG darf der gerichtlichen Kontrolle nicht entzogen werden. Schon im Fall Egenberger (Urt. v. 17.4.2018 – C-414/16) stellte der EuGH fest, dass die Gerichte in der Lage sein müssen zu überprüfen, ob die Voraussetzungen des Art. 4 II RL 2000/78/EG (der von § 9 AGG umgesetzt wird) überhaupt erfüllt sind. Die Ungleichbehandlung wegen der Religion muss tatsächlich wesentliche Anforderung im Hinblick auf das Ethos der Kirche sein und darf kein sachfremdes Ziel verfolgen.
Sollte die Anordnung durch die Kirche insoweit zulässig sein, stellt sich weiterhin die Frage, ob sich die Anforderungen, die an loyales Verhalten gestellt werden, danach unterscheiden dürfen, ob der betreffende Mitarbeiter katholischer Konfession ist oder nicht. Dies bejaht der EuGH mit einem großen „Aber“: Grundsätzlich ist eine solche Ungleichbehandlung nicht unzulässig, solange die Religion oder Weltanschauung (hier genauer gesagt die katholische Konfession und damit verbundene Akzeptanz des unauflöslichen Charakters der Ehe) im Hinblick auf die Tätigkeit wesentliche, gerechtfertigte berufliche Anforderung i.S.d. Art. 4 II RL 2000/78/EG ist. Das wäre der Fall, wenn es dem Ethos der Kirche widerspräche, wenn der Mitarbeiter auf der betreffenden Position die Anforderung nicht erfüllt. In einem Hinweis an die nationalen Gerichte stellt der Gerichtshof sodann fest, dass doch allein die Tatsache, dass auf gleicher Ebene Mitarbeiter beschäftigt seien, die eben nicht katholischer Konfession sind und für die die Loyalitätsobliegenheit somit nicht gilt, gegen eine wesentliche Anforderung spreche. Letztlich obliegt diese Entscheidung aber dem BAG.
IV. Auswirkungen der Entscheidung
Nach dem deutlichen Hinweis des EuGH ist zu erwarten, dass das BAG zugunsten des Arztes entscheiden wird. Zu beachten ist, dass das AGG nach § 2 IV AGG auf Kündigungen grundsätzlich nicht anwendbar ist. Um auch bei Kündigungen einen angemessenen Diskriminierungsschutz zu gewährleisten geht man allerdings davon aus, dass eine diskriminierende Kündigung nicht sozial gerechtfertigt sein kann und damit nach § 1 I KSchG unwirksam ist.
Das BAG hat nun auch zu entscheiden, ob § 9 AGG europarechtskonform ausgelegt werden kann. Die volle gerichtliche Überprüfbarkeit und die Anforderung, dass jede Ungleichbehandlung nur wegen „wesentlicher, rechtmäßiger und gerechtfertigter“ beruflicher Anforderungen erfolgen kann, darf dem Wortlaut des § 9 AGG nicht widersprechen. Sollte eine europarechtskonforme Auslegung nicht möglich sein, muss die Norm von den deutschen Gerichten unangewendet bleiben – zwar entfaltet die Diskriminierungsrichtlinie selbst keine unmittelbare Wirkung innerhalb der Mitgliedsstaaten, allerdings konkretisiert sie das nun in Art. 21 Grundrechtecharta niedergelegte Diskriminierungsverbot, dessen volle Wirksamkeit durch die Gerichte zu gewährleisten ist (siehe zur Problematik auch ausführlich Thüsing/Mathy, RIW 2018, 559).
Die Reaktion des BAG bleibt gerade wegen dieser folgeträchtigen Frage mit Spannung abzuwarten.

15.10.2018/1 Kommentar/von Dr. Lena Bleckmann
https://www.juraexamen.info/wp-content/uploads/2022/05/je_logo.svg 0 0 Dr. Lena Bleckmann https://www.juraexamen.info/wp-content/uploads/2022/05/je_logo.svg Dr. Lena Bleckmann2018-10-15 09:55:502018-10-15 09:55:50Die Chefarztentscheidung – Kündigung wegen zweiter Ehe?
Dr. Sebastian Rombey

BGH stärkt Mieterschutz: Neues zur Eigenbedarfskündigung einer GbR

Examensvorbereitung, Lerntipps, Mietrecht, Rechtsgebiete, Rechtsprechung, Schon gelesen?, Startseite, Zivilrecht

In einer aufsehenerregenden und für Examen wie Praxis gleichermaßen relevanten Entscheidung hat der BGH eine analoge Anwendung des § 573 II Nr. 2 BGB auf die Kündigung einer teilrechtsfähigen Außen-GbR wegen Eigenbedarfs eines Gesellschafters bejaht (Urt. v. 14.12.2016 – VIII ZR 232/15, NZG 2017, 215).
Diese Rechtsprechung hat der Mietrechtssenat des BGH vergangene Woche bestätigt und konkretisiert, in dem die mit § 573 II Nr. 2 BGB in Zusammenhang stehende Kündigungsbeschränkung des § 577a BGB unabhängig davon gelten soll, ob beim Erwerb vermieteten Wohnraums durch eine Personengesellschaft tatsächlich Wohnungseigentum begründet werden soll oder nicht (Urt. v. 21.03.2018 – VIII ZR 104/17, juris). Da es sich um eine „Hot Topic“ handelt, soll der Beitrag einen Kurzüberblick über die relevanten Senatserwägungen geben.
I. Zur analogen Anwendung des § 573 II Nr. 2 BGB
Dass der BGH § 573 II Nr. 2 BGB analog anwendet, verwundert auf den ersten Blick angesichts des Wortlauts der Norm, der auf natürliche Personen ausgerichtet ist:
§ 573 BGB Ordentliche Kündigung des Vermieters:
(1) Der Vermieter kann nur kündigen, wenn er ein berechtigtes Interesse an der Beendigung des Mietverhältnisses hat. Die Kündigung zum Zwecke der Mieterhöhung ist ausgeschlossen.
(2) Ein berechtigtes Interesse des Vermieters an der Beendigung des Mietverhältnisses liegt insbesondere vor, wenn […]
2. der Vermieter die Räume als Wohnung für sich, seine Familienangehörigen oder Angehörige seines Haushalts benötigt […].
Gleichwohl geht der BGH in der Urteilsbegründung neben der gegebenen planwidrigen Regelungslücke von der notwendigen vergleichbaren Interessenlage aus und widerspricht insoweit weiten Teilen des Schrifttums. Die GbR sei nicht mit einer juristischen Person gleichzustellen, die sich nicht darauf berufen kann, die Wohnung für sich selbst oder Familien- bzw. Hausangehörige zu benötigen. Die Regelung des § 573 Abs. 2 Nr. 2 BGB solle zwar den Mieter vor einem Verdrängungsrisiko durch eine unüberschaubare Anzahl von Personen auf Vermieterseite schützen. Eine Außen-GbR sei aber wegen der anerkannten Teilrechtsfähigkeit zumindest im Kern vergleichbar mit einer Vermietermehrheit oder Erbengemeinschaft, der sich der Mieter ebenso ausgesetzt sehen kann. Deshalb überzeugen vorgetragene Schutzzwecküberlegungen wenig, denn auch in derartigen Fällen kann dem Mieter eine Vielzahl von Vermietern gegenüberstehen, die das potentielle Risiko einer Eigenbedarfskündigung maximieren (vgl. instruktiv zur Begründung der Analogie Häublein, Die Eigenbedarfskündigung einer vermietenden Gesellschaft bürgerlichen Rechts, NZG 2018, 41 ff.).
Überdies entsprach es – auch aus sozialstaatsrechtlichen Überlegungen heraus – lange Zeit höchstrichterlicher Rechtsprechung, dass den wegen Eigenbedarfs kündigenden Vermieter respektive die Vermieter-GbR eine vertragliche Rücksichtnahmepflicht aus § 241 II BGB zur Bereitstellung einer – soweit in derselben Wohnanlage vorhandenen – vergleichbaren Mietwohnung traf (sog. Anbietpflicht), deren Verletzung als rechtsmissbräuchlich i.S.d. § 242 BGB qualifiziert wurde und zur Unwirksamkeit der Eigenbedarfskündigung führte. In Aufgabe der bisherigen Rechtsprechung geht der Senat nunmehr davon aus, dass die Verletzung der Anbietpflicht nicht den Eigenbedarf entfallen, sondern vielmehr Schadenersatzansprüche entstehen lasse.
In Folge der Entscheidung wurde, auch wenn es sich letztlich allein um eine zu Ende gedachte Rechtsfähigkeit der GbR auch im Mietrecht handelt, u.a. von Mieterschutzbünden eine Absenkung des Mieterschutzes bemängelt. Vielleicht trägt der Mietrechtssenat des BGH in seiner aktuellen Entscheidung (BGH, Urt. v. 21.03.2018 – VIII ZR 104/17, juris) gerade auch dieser Kritik Rechnung, indem er den Mieterschutz stärkt.
II. Zur extensiven Auslegung des § 577a BGB
Nach neuester Rechtsprechung gilt die in § 577a BGB vorgesehene Kündigungsbeschränkung beim Erwerb vermieteten Wohnraums durch eine Personengesellschaft unabhängig davon, ob tatsächlich Wohnungseigentum begründet werden soll oder nicht (Wohnungsumwandlung). Erneut verwundert die Entscheidung mit Blick auf den eindeutig erscheinenden Wortlaut der Norm:
§ 577a Kündigungsbeschränkung bei Wohnungsumwandlung
(1) Ist an vermieteten Wohnräumen nach der Überlassung an den Mieter Wohnungseigentum begründet und das Wohnungseigentum veräußert worden, so kann sich ein Erwerber auf berechtigte Interessen im Sinne des § 573 Abs. 2 Nr. 2 oder 3 erst nach Ablauf von drei Jahren seit der Veräußerung berufen.
(1a) Die Kündigungsbeschränkung nach Absatz 1 gilt entsprechend, wenn vermieteter Wohnraum nach der Überlassung an den Mieter
1. an eine Personengesellschaft oder an mehrere Erwerber veräußert worden ist oder
2. zu Gunsten einer Personengesellschaft oder mehrerer Erwerber mit einem Recht belastet worden ist, durch dessen Ausübung dem Mieter der vertragsgemäße Gebrauch entzogen wird. […]
1. Sachverhalt (beruhend auf der Pressemitteilung Nr. 60/2018)
Vier Monate nachdem die GbR als Vermieterin in das Mietverhältnis eingetreten war, kündigte sie der in der vermieteten Wohnung lebenden Familie wegen Eigenbedarfs. Dabei fühlte sich die Vermieter-GbR nicht an die dreijährige Kündigungssperrfrist des § 577a BGB gebunden, letztlich da zum Zeitpunkt des Kaufvertragsschlusses nicht die Absicht bestanden hatte, den vermieteten Wohnraum in Wohnungseigentum umzuwandeln. Der BGH aber sah das anders.
2. Entscheidung des BGH
Zunächst bestätigt der Senat seine oben erläuterte Rechtsprechung, wonach sich eine GbR in analoger Anwendung des § 573 II Nr. 2 BGB auf Eigenbedarf eines Gesellschafters berufen kann. Eine abschließende Entscheidung hinsichtlich der Frage, ob Eigenbedarf tatsächlich vorlag, was im Prozess streitig war, musste der Senat allerdings nicht fällen, da die dreijährige Sperrfrist des § 577a I, Ia 1 Nr. 1 BGB nicht eingehalten worden war.
Angesichts der Überschrift „Kündigungsbeschränkung bei Wohnungsumwandlung“ verblüfft diese Sichtweise. Allerdings verweist der BGH darauf, dass der hinter der Vorschrift stehende Mieterschutz auch dann greifen müsse, wenn es tatsächlich nicht zur Begründung von Wohnungseigentum kommt. Genau für solche Fälle, in denen neue Wege zur Umgehung des Abs. 1 gesucht werden, sei zudem Abs. 1a nachträglich in die Norm eingefügt worden, u. a. wegen des praktizierten „Münchener Modells“ zur Umgehung des Abs. 1. Außerdem sei dem Wortlaut der Norm nicht zu entnehmen, dass der Eigenbedarf bereits bei Kaufvertragsschluss vorliegen müsse. Zudem bestehe die typische Gefährdungslage des Mieters bereits ab dem Zeitpunkt der Erhöhung der Vermieteranzahl (vor allem bei Eintritt einer GbR in das Mietverhältnis).
„Mit der eingefügten Neuregelung des § 577a Abs. 1a BGB wollte der Gesetzgeber jedoch nicht allein Umgehungen der Sperrfrist nach dem „Münchener Modell“ entgegenwirken, sondern ausdrücklich auch etwaigen neuen Umgehungstatbeständen vorbeugen. Deshalb hat er für ein Eingreifen der Sperrfrist jede Veräußerung eines mit Mietwohnraum bebauten Grundstücks an eine Gesellschaft bürgerlichen Rechts oder an mehrere Erwerber ausreichen lassen, da sich nach seiner Einschätzung bereits hierdurch das Verdrängungsrisiko für den Mieter erhöht und dieser insoweit eines Schutzes bedarf.“
Zudem räumt der Mietrechtssenat des BGH noch verfassungsrechtliche Bedenken im Hinblick auf die Eigentumsgarantie des Art. 14 Abs. 1 GG sowie den Gleichbehandlungsgrundsatz des Art. 3 I GG aus:
„§ 577a Abs. 1a BGB verstößt auch nicht gegen höherrangiges Verfassungsrecht. […] Den insoweit zum Schutz des Mieters erforderlichen Eingriff in die Eigentumsrechte des Vermieters hat der Gesetzgeber mit der Kündigungssperrfrist in § 577a Abs. 1 in Verbindung mit Abs. 1a Satz 1 BGB dabei auf das erforderliche Maß beschränkt und etwa davon abgesehen, einer Gesellschaft bürgerlichen Rechts grundsätzlich zu verwehren, sich entsprechend § 573 Abs. 2 Nr. 2 BGB auf den Eigenbedarf eines Gesellschafters zu berufen. Ebenso wenig verletzt es das verfassungsrechtliche Gleichbehandlungsgebot (Art. 3 Abs. 1 GG), dass nach § 577a Abs. 1a Satz 1 BGB nur der Erwerb durch eine Personengesellschaft oder -mehrheit, nicht aber durch eine Einzelperson die Sperrfrist auslöst. Denn es liegt auf der Hand, dass sich mit jeder weiteren Person, deren Eigenbedarf dem Mieter gegenüber geltend gemacht werden kann, die Wahrscheinlichkeit für den Mieter erhöht, auch tatsächlich wegen Eigenbedarfs in Anspruch genommen zu werden.“
III. Fazit
Zwei brandheiße Entscheidungen des BGH, die es sich nachzuarbeiten lohnt. Kurz zusammengefasst verlaufen die Linien der Rechtsprechung wie folgt:

  • § 573 II Nr. 2 BGB ist auf die Kündigung einer GbR analog anwendbar. Insoweit genügt es, wenn nur ein GbR-Gesellschafter Eigenbedarf nachweisen kann.
  • Die Verletzung der vermieterseitigen Anbietpflicht führt nicht dazu, dass die Eigenbedarfskündigung wegen Rechtsmissbrauchs unwirksam ist, sondern allein zu einem Schadensersatzanspruch in Geld. 
  • § 577a I, Ia BGB ist dergestalt auszulegen, dass die dreijährige Kündigungssperrfrist unabhängig von der Frage gilt, ob es später zu einer Wohnungsumwandlung kommen sollte oder nicht.

26.03.2018/1 Kommentar/von Dr. Sebastian Rombey
https://www.juraexamen.info/wp-content/uploads/2022/05/je_logo.svg 0 0 Dr. Sebastian Rombey https://www.juraexamen.info/wp-content/uploads/2022/05/je_logo.svg Dr. Sebastian Rombey2018-03-26 09:11:092018-03-26 09:11:09BGH stärkt Mieterschutz: Neues zur Eigenbedarfskündigung einer GbR
Redaktion

Schema: Außerordentliche Kündigung, § 626 BGB

Arbeitsrecht, Rechtsgebiete, Schon gelesen?, Startseite, Verschiedenes, Zivilrecht

Die außerordentliche Kündigung, § 626 BGB

I. Wirksamer Arbeitsvertrag

II. Wirksame Kündigungserklärung, § 623 BGB

– Einseitige, empfangsbedürftige Willenserklärung, d.h. insbesondere Zugang der Erklärung beim AN erforderlich.
Schriftformerfordernis, § 623 BGB
– Aus der Erklärung muss mit hinreichender Bestimmtheit der Wille zu einer außerordentlichen Kündigung hervorgehen. Das ist insbesondere der Fall, wenn der AG sich auf einen wichtigen Grund beruft oder fristlos kündigen möchte.

III. Kündigungserklärungsfrist, § 626 II BGB
Dem AN muss die Kündigung innerhalb von zwei Wochen nach Erlangung der Kenntnis von den Gründen, die die Kündigung rechtfertigen, zugehen.

IV. Einhaltung der Klagefrist, § 13 I 2 KSchG iVm § 4 S. 1 KschG
Wenn der Kläger die dreiwöchige Klagefrist gem. § 4 S. 1 KSchG versäumt, greift eine Fiktion der Wirksamkeit der Kündigung.

V. Wichtiger Grund, § 626 I BGB

1. „An sich“ geeignete Kündigungstatsache
Die Tatsachen müssen generell geeignet sein, einen wichtigen Grund für eine Kündigung darzustellen.
Störungen im Arbeitsverhältnis, zB im Vertrauens- oder Leistungsbereich

2. Interessenabwägung
Die Tatsachen müssen auch im konkreten Fall geeignet sein, einen wichtigen Grund darzustellen.
Die Fortsetzung des Arbeitsverhältnisses bis zum Ablaut der ordentlichen Kündigungsfrist muss unzumutbar sein.

VI. Betriebsratsbeteiligung, § 102 BetrVG
Nur erforderlich, soweit ein Betriebsrat vorhanden ist.

VII. Besonderer Kündigungsschutz

– Mitglied des Betriebsrats, § 103 BetrVG iVm § 15 KSchG
– Schwerbehinderung, §§ 85, 91 SGB IX
– § 9 MuSchG bei Schwangerschaft
– Sonstige Gründe, § 13 KSchG

 

Das Schema ist in den Grundzügen entnommen von myjurazone.de.

13.07.2017/0 Kommentare/von Redaktion
https://www.juraexamen.info/wp-content/uploads/2022/05/je_logo.svg 0 0 Redaktion https://www.juraexamen.info/wp-content/uploads/2022/05/je_logo.svg Redaktion2017-07-13 10:00:502017-07-13 10:00:50Schema: Außerordentliche Kündigung, § 626 BGB
Redaktion

Anforderungen an eine wirksame Wohnraumkündigung

Mietrecht, Rechtsgebiete, Rechtsprechung, Startseite, Zivilrecht

Wir freuen uns sehr, heute einen Gastbeitrag von Jonas Lange, derzeit Rechtsreferendar am Landgericht Köln, veröffentlichen zu können. Der Beitrag befasst sich mit aktueller Rechtsprechung zu den Anforderungen an eine Wohnraumkündigung.
I. Einleitung
Im 1. Staatsexamen an Bedeutung gewinnend, hat es im zweiten längst seinen festen Platz als Standardprüfungsstoff inne. Zudem ist es ein Teil des besonderen Schuldrechts, mit dem Studierende und Rechtsreferendare gleichermaßen auch abseits von Vorlesungen und Klausuren typischerweise in Berührung kommen (können) – das Mietrecht, speziell: das Kündigungsrecht über Wohnraum.
Gründe genug also, die zu dieser Thematik kürzlich ergangenen Entscheidungen des BGH zum Anlass zu nehmen, um das ordentliche Wohnraumkündigungsrecht des Vermieters zu beleuchten. Innerhalb einer Klausur wird die Frage der wirksamen Kündigung insbesondere bei der Prüfung eines möglichen Anspruchs des Vermieters gegen den Mieter auf Herausgabe des Mietobjekts gem. § 546 Abs.1 BGB zu diskutieren sein.
 
II. Rechtliche Grundlagen
Die Kündigung von Wohnraum bemisst sich nach den §§ 542, 543 BGB i.V.m. §§ 568 ff. BGB. Nach § 542 Abs.1 BGB kann jede Vertragspartei das Mietverhältnis nach den gesetzlichen Vorschriften kündigen, sofern es nicht auf bestimme Zeit geschlossen worden ist. Mietverhältnisse auf unbestimmte Zeit können mithin von beiden Parteien durch wirksame ordentliche oder wirksame außerordentliche Kündigung beendet werden. Sowohl die ordentliche als auch die außerordentliche Kündigung ist wirksam, wenn sie auf einem geeigneten Kündigungsrund beruht, formal ordnungsgemäß erklärt worden und nicht aufgrund besondere Umstände des Einzelfalles ausgeschlossen ist.
Die Formalien der ordentlichen Kündigung (Form – Frist – Inhalt) sind in den § 568 BGB, § 573c BGB geregelt. Als Gestaltungsrecht ist die Kündigung grundsätzlich bedingungsfeindlich. Ihre Erklärung wird mit Zugang wirksam.
Der Vermieter kann ferner nur kündigen, wenn er ein berechtigtes Interesse an der Beendigung des Mietverhältnisses hat, § 573 Abs.1 S.1 BGB (Ausn.: § 573a Abs.1 BGB). Ein berechtigtes Interesse zur ordentlichen Kündigung kann insb. aufgrund:

  • nicht unerheblicher, schuldhafter Verletzung vertraglicher Pflichten durch den Mieter,
  • Eigenbedarfs des Vermieters oder
  • der Hinderung angemessener wirtschaftlicher Verwertung des Grundstücks
    gegeben sein, § 573 Abs.2 Nr.1-3.

Die Prüfung unbilliger Härte erfolgt auf Widerspruch des Vermieters gegen die Kündigung im Rahmen des § 574 BGB. Unbillige Härte liegt grundsätzlich vor, wenn die Beendigung des Mietverhältnisses für den Mieter, seine Familie oder einen anderen Angehörigen seines Haushalts einen Nachteil (wirtschaftlicher, finanzieller, gesundheitlicher, familiärer oder persönlicher Art) mit sich bringt, der die üblichen mit einem Umzug verbundenen Beschwernisse deutlich übersteigt und unter Berücksichtigung der gesamten Umstände nicht zumutbar ist.
 
III. Aktuelle Rechtsprechung des BGH
Der BGH hat sich im März diesen Jahres in gleich mehreren Entscheidungen zu den Voraussetzungen eines ordentlichen Kündigungsgrundes bzw. der unbilliger Härte einer Kündigung verhalten.

1. Urteil vom 29. März 2017 – Berufs- oder Geschäftsbedarf als anzuerkennendes Eigeninteresse (§ 573 Abs. 1 S. 1 BGB)?
Mit Urteil vom 29. März 2017 – VIII ZR 45/16 hat der BGH Leitlinien zum Umgang mit Wohnraumkündigungen wegen sog. Berufs- oder Geschäftsbedarfs gem. § 573 Abs.1 S.1 BGB formuliert und entschieden, dass es – entgegen verbreiteter Praxis – nicht zulässig ist, den Berufs- oder Geschäftsbedarf als ungeschriebene weitere Kategorie eines typischerweise anzuerkennenden Vermieterinteresses an der Beendigung eines Wohnraummietverhältnisses zu behandeln. Vielmehr haben die Gerichte im Einzelfall festzustellen, ob ein berechtigtes Interesse des Vermieters an der Beendigung des Mietverhältnisses besteht.
Denn nur mit den typisierten Regeltatbeständen des § 573 Abs.2 BGB hat der Gesetzgeber für die praktisch bedeutsamsten Fallgruppen selbst geregelt, unter welchen Umständen der Erlangungswunsch des Vermieters Vorrang vor dem Bestandsinteresse des Mieters hat. Die Kündigung wegen Berufs- oder Geschäftsbedarfs unterfällt aber weder dem Kündigungstatbestand des Eigenbedarfs, § 573 Abs. 2 Nr.2 BGB, noch dem der wirtschaftlichen Verwertung i.S. des § 573 Abs.2 Nr.3 BGB. Bei der mithin Anwendung findenden Generalklausel des § 573 Abs.1 S.1 BGB verlangt das Gesetz aber stets eine einzelfallbezogene Feststellung und Abwägung der beiderseitigen Belange der betroffenen Mietvertragsparteien. Für die Bestimmung des berechtigten Interesses haben die Gerichte zu beachten, dass sowohl die Rechtsposition des Vermieters als auch das vom Vermieter abgeleitete Besitzrecht des Mieters von der verfassungsrechtlichen Eigentumsgarantie geschützt sind. Allgemein verbindliche Betrachtungen verbieten sich dabei. Für das Interesse des Vermieters, seine Wohnung zu (frei-)beruflichen oder gewerblichen Zwecken selbst zu nutzen, lassen sich allerdings anhand bestimmter Fallgruppen grobe Leitlinien bilden:

  • So weist der Entschluss eines Vermieters, die Mietwohnung nicht nur zu Wohnzwecken zu beziehen, sondern dort zugleich überwiegend einer geschäftlichen Tätigkeit nachzugehen (sog. Mischnutzung), eine größere Nähe zum Eigenbedarf nach § 573 Abs.2 Nr.2 BGB auf, da er in solchen Konstellationen in der Wohnung auch einen persönlichen Lebensmittelpunkt begründen will. In diesen Fällen wird es regelmäßig ausreichen, dass dem Vermieter bei verwehrtem Bezug ein beachtenswerter Nachteil entstünde, was bei einer vernünftigen Abwägung der Lebens- und Berufsplanung des Vermieters häufig der Fall sein dürfte. Entsprechendes gilt, wenn die Mischnutzung durch den Ehegatten oder Lebenspartner des Vermieters erfolgen soll.
  • Dagegen weisen Fälle, in denen der Vermieter oder sein Ehegatte/Lebenspartner die Wohnung ausschließlich zu geschäftlichen Zwecken nutzen möchte, eine größere Nähe zur Verwertungskündigung nach § 573 Abs.2 Nr.3 BGB auf. Angesichts des Umstands, dass der Mieter allein aus geschäftlich motivierten Gründen von seinem räumlichen Lebensmittelpunkt verdrängt werden soll, muss der Fortbestand des Wohnraummietverhältnisses für den Vermieter einen Nachteil von einigem Gewicht darstellen, was etwa dann anzunehmen sein kann, wenn die geschäftliche Tätigkeit andernfalls nicht rentabel durchgeführt werden könnte oder die konkrete Lebensgestaltung die Nutzung der Mietwohnung erfordert (z.B. gesundheitliche Einschränkungen, Betreuung von Kindern oder pflegebedürftigen Personen). 

2. Urteil vom 15. März 2017 – Umfang der Prüfpflicht der Gerichte mit den vom Mieter vorgetragenen Härtegründen (§ 574 Abs. 1 BGB)?
Mit Urteil vom 15. März 2017 – VIII ZR 270/15 hat der BGH zu der Frage Stellung bezogen, in welchem Umfang sich Gerichte mit den von Mietern vorgetragenen Härtegründen im Rahmen des § 574 Abs.1 BGB auseinanderzusetzen haben. Danach hat sich das angerufene Gericht in der gebotenen Weise, d.h. stets eigenständig (u.U. mittels eines Sachverständigen), eingehend und umfassend mit dem Inhalt der vorgetragenen Härten auseinanderzusetzen, die einen Verbleib in der Wohnung rechtfertigen könnten. Dieser Prüfpflicht kommt das Gericht insbesondere dann nicht nach, wenn es den Parteivortrag zu den Härtegründen lediglich formal als wahr unterstellt.
Gerade bei drohenden schwerwiegenden Gesundheitsbeeinträchtigungen oder Lebensgefahr seien die Gerichte verfassungsrechtlich gehalten, ihre Entscheidung auf eine tragfähige Grundlage zu stellen, Beweisangeboten besonders sorgfältig nachzugehen sowie den daraus resultierenden Gefahren bei der Abwägung der widerstreitenden Interessen hinreichend Rechnung zu tragen. Mache ein Mieter schwerwiegende gesundheitliche Auswirkungen eines erzwungenen Wohnungswechsels geltend, müssten sich die Gerichte bei Fehlen eigener Sachkunde mittels sachverständiger Hilfe ein genaues und nicht nur an der Oberfläche haftendes Bild davon verschaffen, welche gesundheitlichen Folgen im Einzelnen für den Mieter mit einem Umzug verbunden seien, insbesondere welchen Schweregrad zu erwartende Gesundheitsbeeinträchtigungen erreichen könnten und mit welcher Wahrscheinlichkeit diese eintreten könnten. Erst dies versetze die Gerichte in einem solchen Fall in die Lage, die Konsequenzen, die für den Mieter mit dem Umzug verbunden seien, im Rahmen der nach § 574 Abs. 1 BGB notwendigen Abwägung sachgerecht zu gewichten.

 

III. Fazit
Losgelöst von den behandelten Fällen sollte sich der Leser im Prüfungsfall stets vergegenwärtigen, dass sowohl § 573 BGB als auch § 574 BGB Ausfluss des sozialen Mietrechts sind.
Ursprünglich als Ausgleich der unterschiedlichen Marktstellungen von Vermieter und Mieter in Regionen mit besonderem Wohnungsbedarf gedacht, dient § 573 BGB mittlerweile dem allgemeinen Schutz des vertragstreuen Mieters vor dem Verlust seiner Wohnung als Mittelpunkt seiner Lebensführung. Die damit verbundene Einschränkung der Vermieterrechte findet in der Sozialpflichtigkeit des Eigentums aus Art 14 Abs.2 GG seine Rechtfertigung und Grenzen gleichermaßen. Ziel des § 574 BGB ist es, soziale Notstände des Einzelfalls, die sich aus persönlichen Umständen, oder im Zusammenhang mit der alten oder einer neuen Wohnung stehenden, ergeben können, abzuwenden. Wer dies berücksichtigt, wird auch andersgelagerte Fallkonstellationen sachgerecht lösen können.

29.05.2017/0 Kommentare/von Redaktion
https://www.juraexamen.info/wp-content/uploads/2022/05/je_logo.svg 0 0 Redaktion https://www.juraexamen.info/wp-content/uploads/2022/05/je_logo.svg Redaktion2017-05-29 10:00:292017-05-29 10:00:29Anforderungen an eine wirksame Wohnraumkündigung
Dr. Maximilian Schmidt

BGH: Leitlinien zum Umgang mit Wohnraumkündigungen wegen sog. „Berufs- oder Geschäftsbedarfs“ (§ 573 BGB)

Mietrecht, Rechtsprechung, Schon gelesen?, Startseite, Zivilrecht

Der Bundesgerichtshof hat mit Urteil vom 29.3.2017  – VIII ZR 45/16 Leitlinien formuliert, unter welchen Voraussetzungen die Kündigung eines Wohnraummietverhältnisses durch den Vermieter zum Zwecke der Eigennutzung zu (frei-)beruflichen oder gewerblichen Zwecken möglich ist. Die Entscheidung wird (ausnahmsweise) zu Recht als „Grundsatzentscheidung“ bezeichnet und ist von enormer Praxis- und Examensrelevanz. Daher sollten die wesentlichen Aussagen, die in diesem Beitrag zusammengefasst und erläutert werden, von Examenskandidaten in Vorbereitung der schriftlichen Prüfungen durchgearbeitet werden. Auch ein vergleichender Pendelblick zur Entscheidung des BGH v. 26.9.2012 – VIII ZR 330/11, in der es ebenfalls bereits um die Eigenbedarfskündigung für berufliche Zwecke ging, sei empfohlen (s. unseren Beitrag).
I. Sachverhalt (der Pressemitteilung entnommen)

Der Beklagte ist seit dem 1. Juli 1977 Mieter einer 27 qm großen Zweizimmerwohnung in Berlin. Die Klägerin hat die Wohnung im Jahr 2008 durch Zuschlag im Rahmen einer Zwangsversteigerung erworben und ist als Vermieterin in den Mietvertrag eingetreten. Der Ehemann der Klägerin betreibt nach ihrer Darstellung im ersten Geschoss des Vorderhauses des Anwesens, in dem sich die vom Beklagten genutzte Wohnung befindet, ein Beratungsunternehmen. Die Klägerin kündigte das Mietverhältnis mit der Begründung, ihr Ehemann benötige die Wohnung zur Erweiterung seines seit 14 Jahren ausgeübten Gewerbes, da die räumliche Kapazität der hierzu im ersten Obergeschoss des Anwesens angemieteten Räume ausgeschöpft sei. Die auch als Beratungsräume genutzten Büroräume seien überfrachtet mit bis an die Decke reichenden, überfüllten Aktenregalen. Ihr Ehemann beabsichtige daher, in der Wohnung des Beklagten einen weiteren Arbeitsplatz samt Archiv einzurichten. Zur Verwirklichung dieses Vorhabens wolle sie ihm die vom Beklagten genutzte Mietwohnung zur Verfügung stellen.

II. Lösungshinweise

Die Kündigung setzt einen Kündigungsgrund voraus. Dieser könnte sich aus § 573 Abs. 2 Nr. 2, 3 BGB ergeben, wonach der sog. „Eigenbedarf“ des Vermieters diesen zur Kündigung berechtigen kann.

Kurz zur Systematik der Eigenbedarfskündigung:

  • § 573 Abs. 1 S. 1 BGB enthält für die ordentliche Kündigung des Mietverhältnisses eine Generalklausel, wonach der Vermieter nur kündigen kann, wenn er ein berechtigtes Interesse an der Beendigung des Mietverhältnisses hat. Dieses kann nicht in der bloßen Erhöhung der Miete bestehen, S. 2.
  • § 573 Abs. 2 BGB regelt daneben, wann ein berechtigtes Interesse i.S.d. § 573 Abs. 1 S. 1 BGB vorliegt. Es handelt sich um vertypte Fallgruppen, in denen das Interesse der Vermieters an der Auflösung des Mietverhältnisses das gegenläufige Bestandsinteresse des Mieters überwiegt.
  • Die Eigenbedarfskündigung ist hierbei in § 573 Abs. 2 Nr. 2 BGB geregelt und ermöglicht eine Kündigung, wenn der Vermieter die Räume als Wohnung für sich, seine Familienangehörigen oder Angehörige seines Haushalts benötigt. Zudem sieht § 573 Abs. 2 Nr. 3 BGB eine Lösungsmöglichkeit für den Vermieter vor, wenn dieser durch die Fortsetzung des Mietverhältnisses an einer angemessenen wirtschaftlichen Verwertung des Grundstücks gehindert ist und dadurch erhebliche Nachteile erleidet.
  • Vorteil des Eingreifens des § 573 Abs. 2 BGB ist für den Vermieter, dass keine Einzelfallprüfung hinsichtlich der Abwägung von Lösungsinteresse und Bestandsschutz vorzunehmen ist – anders als im Rahmen von § 573 Abs. 1 BGB.

Unterfällt nun die Kündigung eines Wohnraummietverhältnisses § 573 Abs. 2 Nr. 2 oder Nr. 3, wenn der Vermieter bzw. ein naher Familienangehöriger die Fläche zu gewerblichen Zwecken nutzen möchte? Nein, sagt der BGH nunmehr:

Wenn der Vermieter die Wohnung – wie vorliegend – jedoch nicht zu Wohnzwecken benötigt, sondern sie einer gewerblichen Nutzung zuführen will, ist der Kündigungstatbestand des Eigenbedarfs gemäß § 573 Abs. 2 Nr. 2 BGB* nicht erfüllt. Ebenso wenig stellt die Eigennutzung der vermieteten Wohnräume zu (frei-)beruflichen oder gewerblichen Zwecken eine wirtschaftliche Verwertung im Sinne von § 573 Abs. 2 Nr. 3 BGB* dar.

§ 573 ABs. 2 Nr. 2 BGB will allein verhindern, dass sich ein Vermieter in der unglücklichen Lage sieht, die Wohnung zu eigenen bzw. familiären Wohnzwecken nutzen zu wollen, und dennoch sich nicht vom Mieter trennen zu können. Geht es hingegen nur um gewerbliche Interessen, kann man nicht von einem generellen Überwiegen der Vermieterinteressen gegenüber dem Bestandsschutz des Mieters ausgehen.
Daher muss die Generalklausel des § 573 Abs. 1 BGB Anwendung finden:

Bei Anwendung der Generalklausel des § 573 Abs. 1 Satz 1 BGB* hingegen verlangt das Gesetz stets eine einzelfallbezogene Feststellung und Abwägung der beiderseitigen Belange der betroffenen Mietvertragsparteien. Für die Bestimmung des berechtigten Interesses haben die Gerichte zu beachten, dass sowohl die Rechtsposition des Vermieters als auch das vom Vermieter abgeleitete Besitzrecht des Mieters von der verfassungsrechtlichen Eigentumsgarantie geschützt sind. Allgemein verbindliche Betrachtungen verbieten sich dabei.

Das „berechtigte“ Interesse i.S.d. § 573 Abs. 1 BGB ist also als unbestimmter Rechtsbegriff Einfallstor für die mittelbare Wirkung der Grundrechte, da diese als objektive Wertordnung von der Rechtsordnung anerkannte Interessen bereitstellen. Es stehen sich gegenüber:

  • Art. 14 GG des Mieters auf der einen Seite – dazu die Rspr. des BVerfG, BVerfG WM 1993, 377, die auch dem Mieter einen grundrechtlichen „Eigentumsschutz“ angedeihen lässt). Ergänzend vielleicht noch das allgemeine Persönlichkeitsrecht (Art. 2 Abs. 1 i.V.m. Art. 1 Abs. 1 GG), weil Frage der persönlichen Lebensgestaltung.
  • Art. 14 GG des Vermieters sowie hier auch noch Art. 12 GG (auch für nahe Angehörige, insofern ist wegen Art. 6 GG auch das Berufen auf „fremde“ Interessen zulässig). Bei Wohnnutzung kann man auch hier noch ergänzend das allgemeine Persönlichkeitsrecht heranziehen, ebenso wie bei Mieter Frage der persönlichen Lebensgestaltung.

Nun nimmt der BGH eine an der Systematik des § 573 Abs.  2 BGB orientierte Auslegung vor und kommt zu folgenden grundlegenden Einordnungen:

  • Mischnutzung sowohl zu Wohn- als auch gewerblichen Zwecken: Nähe zu § 573 Abs. 2 Nr. 2 BGB. Daher genügt es in diesen Fällen regelmäßig , dass dem Vermieter bei verwehrtem Bezug ein beachtenswerter Nachteil entstünde.
  • Ausschließlich gewerbliche Nutzung: Nähe zu § 573 Abs. 2 Nr. 3 BGB. Daher muss der Fortbestand des Wohnraummietverhältnisses für den Vermieter einen Nachteil von einigem Gewicht darstellen, was etwa dann anzunehmen sein kann, wenn die geschäftliche Tätigkeit andernfalls nicht rentabel durchgeführt werden könnte oder die konkrete Lebensgestaltung die Nutzung der Mietwohnung erfordert (z.B. gesundheitliche Einschränkungen, Betreuung von Kindern oder pflegebedürftigen Personen). 

Im zur Entscheidung vorliegenden Fall lag eine ausschließlich gewebliche Nutzung vor, wobei Nachteile von einigem Gewicht nicht dargelegt worden waren. Allein die Auslagerung des Aktenbestandes reichte nicht aus.
Die Eigenbedarfskündigung spielt in Examensklausuren immer wieder eine Hauptrolle, weswegen unser überblickartiger Artikel hierzu dringend zur Lektüre empfohlen sei.

31.03.2017/0 Kommentare/von Dr. Maximilian Schmidt
https://www.juraexamen.info/wp-content/uploads/2022/05/je_logo.svg 0 0 Dr. Maximilian Schmidt https://www.juraexamen.info/wp-content/uploads/2022/05/je_logo.svg Dr. Maximilian Schmidt2017-03-31 15:29:102017-03-31 15:29:10BGH: Leitlinien zum Umgang mit Wohnraumkündigungen wegen sog. „Berufs- oder Geschäftsbedarfs“ (§ 573 BGB)
Dr. Sabine Vianden

BGH: Neue examensrelevante Rechtsprechung zum Mietrecht

Mietrecht, Rechtsgebiete, Rechtsprechung, Schuldrecht, Startseite, Zivilrecht

Am 14.12.2016 hatte der Achte Zivilsenat des BGH gleich in zwei examensrelevanten mietrechtlichen Sachverhalten ein Urteil zu fällen. Einmal ging es um die Frage, unter welchen Umständen ein Mieter, der in seiner Wohnung illegale Betäubungsmittel aufbewahrt für Wohnungsschäden nach einer polizeilichen Durchsuchung haftet, einmal um die Zulässigkeit von Eigenbedarfskündigungen durch eine GbR.
I. Haftung des Mieters für Wohnungsschäden nach einer polizeilichen Durchsuchung
1. Der Sachverhalt
Dem ersten Urteil lag folgender Sachverhalt zugrunde: Die Wohnung des beklagten Mieters wurde Ende Juni 2013 aufgrund eines richterlichen Beschlusses von der Polizei durchsucht. Grund dafür war ein Verdacht bezüglich des unerlaubten Handeltreibens mit Betäubungsmitteln in beträchtlicher Menge. Hinsichtlich des Handeltreibens wurde der Beklagte zwar später rechtskräftig freigesprochen, bei der Durchsuchung hatte man allerdings immerhin 26 g Marihuana aufgefunden. Deshalb wurde der beklagte Mieter wegen vorsätzlichen unerlaubten Erwerbs von Betäubungsmitteln zu einer Freiheitsstrafe von drei Monaten verurteilt.
Daraufhin wurde der Beklagten auf Ersatz der Reparaturkosten der beim Polizeieinsatz beschädigten Wohnungstür von seiner Vermieterin in Anspruch genommen. Da sie aber in den Vorinstanzen keinen Erfolg hatte, wurde die Revision nur noch von dem Bundesland Bayern als Träger der Polizei im Wege der Streithilfe mit gleichbleibendem Begehren weiterverfolgt.
2. Die Entscheidung des BGH
Doch auch der BGH hat eine Schadensersatzpflicht des Mieters verneint. Zunächst einmal aber zum Vorgehen in der Klausur: Das Aufbewahren illegaler Betäubungsmittel in der Wohnung stellt einen vertragswidrigen und über den zulässigen Rahmen hinausgehenden Gebrauch der Mietsache dar, folglich eine Pflichtverletzung, sodass grundsätzlich ein Schadensersatzanspruch des Vermieters nach §§ 535, 280 Abs. 1 BGB in Betracht kommt. Auch der BGH bestätigt dies in seiner Pressemitteilung grundsätzlich (Pressemitteilung des BGH Nr. 226/2016 v. 14.12.2016 – VIII ZR 49/16):
„Zwar habe der Beklagte mit der Aufbewahrung von 26 Gramm Marihuana in der Wohnung die Grenzen vertragsgemäßen Gebrauchs überschritten und seine gegenüber dem Vermieter bestehende mietvertragliche Obhutspflicht verletzt. Denn ein Mieter habe die Mietsache schonend und pfleglich zu behandeln und bei ihrer Benutzung alles zu unterlassen, was zu einer – von dem ihm zustehenden vertragsgemäßen Verbrauch nicht umfassten – Verschlechterung oder einem Schaden an dieser führen könne. Bereits nach allgemeiner Lebenserfahrung müsse derjenige, der seine Wohnung als Aufbewahrungsort für illegale Betäubungsmittel nutze oder zur Verfügung stelle, damit rechnen, dass es im Zuge aufgrund dessen durchgeführter strafprozessualer Maßnahmen – wie Durchsuchungen – zu Schäden an der Wohnung kommen könne.“
Laut BGH fehlt es aber an dem erforderlichen Ursachenzusammenhang zwischen dieser Pflichtverletzung und den bei der Durchsuchung entstandenen Schäden. Von dem Tatvorwurf des Handeltreibens mit illegalen Betäubungsmitteln, der auch Grundlage für den Durchsuchungsbeschluss war, ist der Mieter ja schließlich freigesprochen worden. Wie jedem Examenskandidaten bekannt sein dürfte, muss aber, damit Kausalität bejaht werden kann, jedenfalls die sog. conditio-sine-qua-non-Formel erfüllt sein. Die Pflichtverletzung, also das Aufbewahren des Marihuanas, dürfte nicht hinweggedacht werden können, ohne dass der Erfolg, also die Beschädigung der Türe entfiele. In der Pressemitteilung heißt es dazu:
„Die Ermittlungsmaßnahmen wären in gleicher Weise durchgeführt worden, wenn der Beklagte diese Betäubungsmittel nicht erworben und in der Wohnung aufbewahrt hätte. Ohne entsprechenden Kausalzusammenhang – die so genannte conditio sine qua non – fehle es aber bereits am Grunderfordernis einer jeden Schadenszurechnung und eine Ersatzpflicht des Beklagten sei deshalb – auch nach den Vorschriften über unerlaubte Handlungen (§ 823 BGB) – ausgeschlossen.“
Die Durchsuchung hat aufgrund des Verdachts hinsichtlich des Handels mit Betäubungsmitteln, nicht des Erwerbs von Betäubungsmitteln stattgefunden. Der Erwerb und die Aufbewahrung des Marihuanas – also die vorwerfbare Pflichtverletzung – standen also in keinem Zusammenhang zu der bei der Durchsuchung eingetretenen Beschädigung der Wohnungstür. Da der Verdacht des Handeltreibens nicht bestätigt werden konnte, kann man dies dem Mieter auch nicht als Pflichtverletzung vorwerfen.

  1. Erstes Fazit

Man kann abschließend sagen: Der Mieter hat gleich in mehrfacher Hinsicht Glück gehabt, dass sich der Verdacht des Handeltreibens nicht erhärtet hat. Mehrfaches Glück und bestenfalls Erfolg hat auch der Examenskandidat, der den Zusammenhang zwischen Vorwerfbarkeit der Pflichtverletzung und Kausalität erkennt. In der mündlichen Prüfung bietet es sich dann insbesondere für den Zivilrechtler an, sich dem Sachverhalt seines Kollegens aus dem Strafrecht anzuschließen und die hier dargestellten Probleme erörtern zu lassen.
II. Zulässigkeit von Eigenbedarfskündigungen durch eine GbR
Der zweite Sachverhalt betraf die Frage, ob auch eine GbR sich als Vermieterin auf den Kündigungsgrund Eigenbedarf berufen kann. Obwohl § 573 Abs. 2 Nr. 2 BGB seinem Wortlaut nach auf natürliche Personen zugeschnitten ist, hat der BGH dies bejaht und somit seine bisherige Rechtsprechung, wonach einer Gesellschaft des bürgerlichen Rechts ein Eigenbedarf eines Gesellschafters oder deren Angehörigen „zuzurechnen“ ist, im Ergebnis bestätigt. Außerdem hat der BGH seine Rechtsprechung zu den Konsequenzen einer unterlassenen Anbietung von alternativem Wohnraum geändert.
1. Sachverhalt (aus Pressemitteilung, verkürzt)
Die Klägerin ist eine aus vier Gesellschaftern bestehende GbR, der ein Anwesen gehört, in welcher die streitige Wohnung liegt. Nach dem Gesellschaftsvertrag besteht der Zweck der Gesellschaft in der „Instandsetzung, Modernisierung und dem Ausbau des Anwesens, dessen Vermietung sowie nach Möglichkeit der Aufteilung in Wohnungseigentum“. Die streitige Wohnung war an die Beklagten vermietet. Im September 2013 kündigte die Klägerin das Mietverhältnis und begründete dies mit Eigenbedarf der Tochter eines der Gesellschafter. Dabei hat die Klägerin es unterlassen den Mietern eine sich ebenfalls in dem Gebäude befindliche Zweizimmerwohnung anzubieten.
2. Die Entscheidung des BGH
a. Eigenbedarf auch bei GbR?
Hauptproblem des Falles ist die Anwendbarkeit des Kündigungsgrundes Eigenbedarf gem. § 573 Abs. 2 Nr. 2 BGB auf eine GbR als Vermieterin. Das Berufungsgericht hatte nämlich eingewandt, dieser Tatbestand könne aus Schutzzwecküberlegungen bei einer GbR gar nicht vorliegen: Die Regelung des § 573 Abs. 2 Nr. 2 BGB solle den Mieter vor einem Verdrängungsrisiko durch eine unüberschaubare Anzahl von Personen auf Vermieterseite schützen.
Der BGH erkennt laut seiner Pressemitteilung (BGH Nr. 225/2016 v. 14.12.2016 – VIII ZR 232/15) zwar an, dass § 573 Abs. 2 Nr. 2 BGB seinem Wortlaut nach prinzipiell auf natürliche Personen zugeschnitten ist, hält der Argumentation des Berufungsgerichts aber entgegen:
„Der Zweck der Kündigungsregelungen in § 573 BGB bestehe dagegen darin, einerseits den vertragstreuen Mieter, für den die Wohnung einen Lebensmittelpunkt darstelle, vor willkürlichen Kündigungen zu schützen, andererseits aber auch dem Vermieter die Befugnis einzuräumen, sich bei Vorliegen eines triftigen Grundes aus dem Mietverhältnis lösen zu können. Durch die Ausgestaltung der einzelnen Kündigungstatbestände sollen keineswegs nur (berechtigte) Mieterinteressen geschützt werden. Vielmehr solle hierdurch ein gerechter Interessenausgleich zwischen den Mietvertragsparteien ermöglicht werden.“
Schon vor der Anerkennung einer Teilrechtsfähigkeit einer (Außen-)Gesellschaft des bürgerlichen Rechts habe der BGH anerkannt, dass eine GbR als Vermietermehrheit von natürlichen Personen wegen Eigenbedarfs kündigen darf. Seit der Anerkennung der Teilrechtfähigkeit habe sich die Interessenlage – so die Pressemitteilung – obwohl nicht mehr die Gesellschafter als natürliche Personen, sondern nun die Gesellschaft selbst Vermieterin geworden ist, nicht verändert. Somit kommt eine analoge Anwendung des § 573 BGB in Betracht.
Weitere Voraussetzung der Analogie ist aber die planlose Regelungslücke, welche der BGH wie folgt begründet:
„Den Gesetzesmaterialien zum Mietrechtsreformgesetz (in Kraft seit 01.09.2001) sei zu entnehmen, dass eine Änderung der bisherigen Rechtslage nicht beabsichtigt war. Mit der im Jahr 2013 erfolgten Ergänzung der Kündigungssperre des § 577a BGB auf bestimmte Fälle der Kündigung eines Mietverhältnisses wegen Eigenbedarfs eines Gesellschafters einer Personengesellschaft habe der Gesetzgeber (erneut) bestätigt, dass er einer Gesellschaft des bürgerlichen Rechts nicht die Befugnis zur Kündigung wegen Eigenbedarfs eines Gesellschafters oder dessen Angehörigen absprechen wolle, sondern lediglich in bestimmten Fallkonstellationen die Verlängerung der Kündigungsfrist für geboten hält.“
Die Lücke lasse sich nicht ausreichend durch Anwendung des § 573 Abs. 1 Satz 1 BGB (Ordentliche Kündigung des Vermieters) schließen, weil dieser eine umfassende Einzelfallabwägung erfordert. Auch das Schutzzweckargument des Berufungsgerichts greift nach Ansicht des BGH nicht, weil eine solche „Unüberschaubarkeit“ ebenso bei anderen Vermietermehrheiten, wie Miteigentümer- oder Erbengemeinschaften, auftreten könne und es keinen Grund gibt die GbR demgegenüber schlechter zu behandeln. Missbrauchsfällen kann in ausreichendem Maße durch § 242 BGB begegnet werden.
b. Unterlassene Anbietung
Außerdem hatte der BGH zu klären, ob die Eigenbedarfskündigung der Vermieterin durch die unterlassene Anbietung der in demselben Gebäude gelegenen Zweizimmerwohnung rechtsmissbräuchlich und damit unwirksam geworden ist. Hier hat der BGH seine bisherige Rechtsprechung aufgegeben und stattdessen entschieden, dass die Eigenbedarfskündigung in einem solchen Fall nicht unwirksam ist, weil es sich nicht um unzulässige Rechtsausübung (§ 242 BGB) handle, sondern um eine Verletzung der mietvertraglichen Rücksichtnahmepflichten (§ 241 Abs. 2 BGB), sodass lediglich Schadensersatzansprüche bezüglich z.B. Umzugs- und Maklerkosten entstünden.
3. Zweites Fazit
Überraschend ist dieses Urteil nicht. Vielmehr stellt es eine Klarstellung dahingehend dar, dass der BGH seine vor Anerkennung der Teilrechtsfähigkeit entwickelte Rechtsprechung zur Anwendbarkeit der Eigenbedarfskündigung auf die GbR fortsetzt. Die Teilrechtsfähigkeit der GbR ist inzwischen anerkannt, eine kurze Begründung sollte man im Examen aber parat haben (u.a. Einstufung als insolvenzfähig, § 11 Abs. 2 Nr. 1 InsO).
Über eine ähnliche Fallgestaltung der Eigenbedarfskündigung einer BGB-Gesellschaft für einen Gesellschafter bei beabsichtigter Wohnungsumwandlung haben wir bereits berichtet. Auch die Fälle der Eigenbedarfskündigung einer GmbH und Co KG, auf welche die Rechtsprechung zur GbR nicht anwendbar ist, und einer Person des öffentlichen Rechts sollten an dieser Stelle nachgelesen werden, um sich die Unterschiede zwischen den Konstellationen einzuprägen. Hier ist die Begründung entscheidend!

19.12.2016/6 Kommentare/von Dr. Sabine Vianden
https://www.juraexamen.info/wp-content/uploads/2022/05/je_logo.svg 0 0 Dr. Sabine Vianden https://www.juraexamen.info/wp-content/uploads/2022/05/je_logo.svg Dr. Sabine Vianden2016-12-19 10:00:252016-12-19 10:00:25BGH: Neue examensrelevante Rechtsprechung zum Mietrecht
Gastautor

BGH: Kündigung und AGB-Kontrolle bei Online-Dating-Portalen

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Online-Dating-Portale bieten eine große Bandbreite von potentiellen persönlichen, aber auch juristischen Problemfeldern. Ein aktuelles Urteil des Bundesgerichtshofs (BGH v. 14.07.2016 – III ZR 387/15) beschäftigt sich mit der Frage unter welchen Voraussetzungen ein Vertrag mit einer online agierenden Partnervermittlung gekündigt werden kann. Dabei hatte das Gericht zu beantworten, ob es für den Kunden eine unangemessene Benachteiligung darstellt, wenn ihm für die Kündigungserklärung in den AGB die Schriftform aufgezwungen wird, während dies für das Dating-Portal nicht erforderlich ist und der Vertrag auch im Übrigen digital abgewickelt wird.
Darüber hinaus berühren Probleme im Bereich von Online-Dating-Portalen regelmäßig auch noch andere klassische zivilrechtliche Prüfungsgebiete des ersten juristischen Staatsexamens. Aus diesen Gründen ist es in jedem Fall lohnenswert diesem Thema Aufmerksamkeit zu schenken und sich die typischen Problemkonstellationen einzuprägen. Dieser Beitrag soll deshalb zunächst einen kurzen Überblick über die allgemein relevanten Prüfungspunkte geben und anschließend den Inhalt des aktuellen Urteils in Form einer kommentierten, klausurmäßigen AGB-Prüfung wiedergeben.
I. Allgemeine Examenskonstellationen bei Partnervermittlung
Zunächst stellt sich die Frage, ob die modernen Partnervermittlungsdienstleistungen unter den Ehemaklervertrag des § 656 BGB subsumiert werden können. Das hätte zur Folge, dass es sich nur um eine sog. „Naturalobligation“ handelt, es besteht also eine Forderung, diese ist aber gerichtlich nicht durchsetzbar. Aus der Perspektive des Bereicherungsrechts hat dies zur Folge, dass die Leistung zwar nicht eingefordert werden kann, wurde sie aber einmal geleistet, stellt der Ehemaklervertrag einen Rechtsgrund für das Behaltendürfen der Leistung dar (§ 656 Abs. 1 S. 2). Weiterhin ist regelmäßig zu diskutieren, ob dem meist enttäuschten Verbraucher auch ein entsprechendes Widerrufsrecht aus §§ 312 ff. BGB zusteht oder er den Vertrag nach § 627 BGB kündigen kann. (vgl. zu diesen Problemfeldern bereits unseren Beitrag von 2015).
II. Das aktuelle Urteil
Auf der Internetseite von Elitepartner.de fand sich bis vor kurzem (das Portal hat inzwischen auf das Urteil reagiert) in den AGB folgende Klausel:

„Die Kündigung der VIP- und/oder Premium-Mitgliedschaft bedarf zu ihrer Wirksamkeit der Schriftform (eigenhändige Unterschrift) und ist z.B. per Fax oder per Post an E.          GmbH (Adresse siehe Impressum) zu richten; die elektronische Form ist ausgeschlossen.“

Im vorliegenden Fall hatte der Bundesverband der Verbraucherzentralen gegen die Verwendung dieser Klausel geklagt, weil sie die Möglichkeiten zur Wahrung der Schriftform bei der Kündigung durch den Kunden unzulässig einschränke und die Vertragsauflösung ersichtlich erschwere, worin eine unangemessene Benachteiligung des Kunden zu sehen sei. Dies ergab sich insbesondere auch daraus, dass die Beklagte ihrerseits eine fristlose Kündigung per E-Mail aussprechen konnte und sich das Vertragsverhältnis auch im Übrigen digital vollzog.
In einer Examensklausur ist aber die Konstellation wahrscheinlicher, dass die Wirksamkeit einer solchen Klausel im Rahmen einer AGB-Kontrolle zu prüfen ist, bei der Frage, ob der Kunde wirksam gekündigt hat. Hierbei kann der Kandidat punkten, der eine dogmatisch saubere Prüfung vornimmt:
1. Vorliegen von AGB
Zunächst einmal müsste die Klausel eine allgemeine Geschäftsbedingung i.S.v. § 305 Abs. 1 S. 1 BGB darstellen, also „für eine Vielzahl von Verträgen vorformulierte Vertragsbedingung, die eine Vertragspartei (Verwender) der anderen Vertragspartei bei Abschluss eines Vertrags stellt“ sein. Um vorformuliert zu sein, müsste die Vertragsbedingung also bereits vor Vertragsschluss festgestanden haben (vgl. MüKo/Basedow, BGB 7. Aufl. § 305 Rn. 13).Zudem dürfte sie nicht das Ergebnis eines Aushandelns zwischen Arbeitgeber und Arbeitnehmer sein (§ 305 Abs. 1 S. 3 BGB). Weiterhin muss die Absicht des Verwenders, also hier des Dating-Portals, bestehen, die Klausel in einer Vielzahl von Fällen, also mindestens dreimal (vgl. MüKo/Basedow, BGB 7. Aufl. § 305 Rn. 18)zu benutzen. Das Dating-Portal verwendet diese vorgefertigte Klausel beim Vertragsschluss mit seinen Kunden im Internet, sie wird also in einer großen Zahl von Fällen verwendet und der Kunde hat keine Möglichkeit auf den Inhalt der Klausel Einfluss zu nehmen. Handelt es sich bei dem Kunden, wie im vorliegenden Fall um einen Verbraucher i.S.v. § 13 BGB, so gilt die Klausel bereits gem. § 310 Abs. 3 Nr. 1 BGB als „gestellt“. Mithin handelt es sich um eine allgemeine Geschäftsbedingung.
2. Einbeziehungskontrolle
Weiterhin müsste die Klausel aber auch wirksam i.S.v. § 305 Abs. 2 BGB in den Vertrag einbezogen worden sein. Das Dating-Portal müsste also auf die AGB hingewiesen haben und dem Kunden in zumutbarer Weise die Möglichkeit zur Kenntnisnahme verschafft haben. Dies war im vorliegenden Fall nicht problematisch. Hier ließe sich allerdings ein weiteres Problem einbauen, denn bei Vertragsschluss im Internet ist es notwendig, dass ein Hinweis auf die AGB erfolgen muss, der praktisch nicht übersehen werden kann (BGH v. 14. 6. 2006 – I ZR 75/03). Das ist z.B. dann der Fall, wenn die Bestellung erst ausgeführt werden kann, wenn der Kunde zuvor eine Box angeklickt hat, in der auf die – herunterladbaren – AGB hingewiesen wurde (AG Düsseldorf v. 14.06.2012 – 51 C 9042/11).
Kein Vertragsbestandteil werden allerdings überraschende Klauseln i.S.v. § 305c I BGB. Eine Klausel kann sowohl formell, als auch materiell überraschend sein. Formelle Überraschung liegt vor, wenn die Klausel an der konkreten Stelle im Vertrag ungewöhnlich ist oder trotz Wichtigkeit nicht hervorgehoben wird. Eine materielle Überraschung besteht vor allem bei inhaltlicher Ungewöhnlichkeit in Bezug auf den konkreten Vertragstyp. Regelungen über die Kündigungsmöglichkeit sind aber bei Dauerschuldverhältnissen üblich. Die Festlegung einer bestimmten Form ist auch in Anbetracht von § 127 BGB nicht ungewöhnlich. Mithin ist von einer wirksamen Einbeziehung auszugehen.
3. Inhaltskontrolle
a) Spezielle Klauselverbote
Vorrangig zu prüfen bei der Inhaltskontrolle sind die speziellen Klauselverbote gem. §§ 308, 309 BGB. Hier kam insbesondere ein Verstoß gegen § 309 Nr. 13 BGB in Betracht, wonach solche allgemeinen Geschäftsbedingungen unwirksam sind, „durch die Anzeigen oder Erklärungen, die dem Verwender oder einem Dritten gegenüber abzugeben sind, an eine strengere Form als die Schriftform oder an besondere Zugangserfordernisse gebunden werden“. Die Vorinstanz, das OLG Hamburg, hatte einen solchen Verstoß abgelehnt mit der Begründung, unter Berücksichtigung der Auslegungsregel des § 127 Abs. 2 BGB stelle der Ausschluss der elektronischen Kündigung, mit Ausnahme des Faxes, eine im Rahmen der Vertragsfreiheit zulässige Schriftformgestaltung dar. Die Klausel sei auch im Übrigen nicht unangemessen benachteiligend.
Der BGH lässt die Frage nach einem Verstoß gegen § 309 Nr. 13 BGB offen und kommt zu einem anderen Ergebnis: Zwar könne davon ausgegangen werden, dass eine Klausel, die den Anforderungen des § 309 Nr. 13 BGB entspricht, im Regelfall auch mit § 307 BGB vereinbar sei (vgl. MüKo/Wurmnest, BGB 7. Aufl. § 309 Nr. 13 Rn. 4). Dies gelte jedoch nicht ausnahmslos, sodass eine Prüfung nach § 307 Abs. 1 nicht ausgeschlossen ist.
Hinzuweisen ist an dieser Stelle noch darauf, dass gem. der Neufassung von § 309 Nr. 13 BGB ab Oktober 2016 Kündigungen oder andere Erklärungen von Verbrauchern in AGB an keine strengere Form als die Textform geknüpft werden dürfen. Davon wäre eben auch eine einfache E-Mail erfasst.
b) Unangemessene Benachteiligung, § 307 Abs. 1 S. 1 BGB
So kommt der BGH zu einer Prüfung des Vorliegens einer unangemessenen Benachteiligung nach § 307 Abs. 1 S. 1 BGB.
Unangemessen im Sinne des § 307 Abs. 1 Satz 1 BGB ist eine Benachteiligung, wenn der Verwender durch einseitige Vertragsgestaltung missbräuchlich eigene Interessen auf Kosten seines Vertragspartners durchzusetzen versucht, ohne von vornherein auch dessen Belange hinreichend zu berücksichtigen und ihm einen angemessenen Ausgleich zuzugestehen. Es bedarf dabei einer umfassenden Würdigung der wechselseitigen Interessen, wobei die Abweichung vom dispositiven Recht Nachteile von einigem Gewicht begründen muss und Gegenstand, Zweck und Eigenart des Vertrags mit zu berücksichtigen sind (BGH v. 19. 12. 2007 – XII ZR 61/05). Dazu führt der BGH aus:

„Die Beklagte bietet eine reine Online-Partnervermittlung an, bei der eine ausschließlich digitale Kommunikation geführt wird und die ohne sonstige Erklärungen in Schriftform, also auch ohne Unterschrift oder eingeschränkte elektronische Übermittlung zur Begründung des Vertragsverhältnisses, auskommt. Auch die Leistungen der Beklagten werden ausschließlich elektronisch abgerufen. Bei einer derart umfassenden und bis auf die Kündigung durch den Kunden ausnahmslos digitalen Ausgestaltung der Vertragsbeziehung ist es allein sachgerecht, für die Beendigungsmöglichkeit dieselben elektronischen Möglichkeiten und Formen zuzulassen wie für die Begründung des Vertrags und seine gesamte Durchführung. Deshalb widerspricht es den schutzwürdigen Interessen des Kunden, der mit der Beklagten ausschließlich eine digitale Kommunikation führt, gerade und nur für seine Kündigung die über die Textform hinausgehende Schriftform (mit eigenhändiger Unterschrift) zu verlangen. Denn der Kunde kann nach der besonderen Ausgestaltung des Vertrags generell davon ausgehen, alle Erklärungen, also auch eine Kündigung, digital, insbesondere auch per E-Mail, abgeben zu können.“

Der BGH war also der Ansicht, dass eine unangemessene Benachteiligung des Kunden vorliegt, wenn diesem bei einem vom Abschluss, über die weitere Kommunikation, bis hin zur Leistungserbringung durch das Dating-Portal ausschließlich digital abgewickelten Vertrag, für eine Kündigung lediglich von seiner Seite, die Wahrung der Schriftform auferlegt wird.
Die Beklagte hatte versucht, die geforderte Schriftform mit einer bestehenden Missbrauchsmöglichkeit und der Sicherheit bezüglich der Identität des Kunden zu rechtfertigen. Dem erteilte der BGH aber eine Absage im Hinblick auf die bereits von den Kunden erhaltenen Daten und die auch im Übrigen digitale Ausgestaltung des Vertrages. Insbesondere bestünde die Gefahr, Verbraucher ungewollt in langfristigen Vertragsbeziehungen mit negativen Kostenfolgen zu halten, weil ihnen die ordnungsgemäße und fristgerechte Kündigung erschwert wird.
III. Fazit
Inhaltlich stellt das Urteil keine Überraschung dar. Die Benachteiligung liegt in den ungleichen Kündigungsmöglichkeiten der Parteien, auch im Hinblick auf die sonstige Ausgestaltung des Vertrages. Aufgrund der Einbettung in die Online-Partnervermittlung lädt der Fall aber geradezu dazu ein ihn zum Anlass einer Prüfung der damit verbundenen Problemfelder in der Examensklausur oder in der mündlichen Prüfung zu nehmen. Es handelt sich bei weitem nicht um die einzige aktuelle Entscheidung in diesem Kontext. Das LG München I ( LG München I v. 12.05.2016 – 12 O 17874/15) hat eine ähnliche Klausel wegen Verstoßes gegen das Transparenzgebot (§ 307 Abs. 1 S. 2 BGB) für unwirksam erklärt, weil das beklagte Portal die Einhaltung der gesetzlich geregelten elektronischen Form verlangte und gleichzeitig auf die Möglichkeit einer E-Mail hinwies. Die Richter in Berlin( LG Berlin v. 30.06.2016 – 52 O 340/15) urteilten zum einen, dass der Hinweis auf die verlinkten AGB nicht genügt, wenn sich die Mitgliedschaft ohne fristgemäße Kündigung automatisch um sechs Monate zu einem deutlich höheren Preis verlängert. Zum anderen wurde mit der Anmeldung ein Verzicht auf das Widerrufsrecht bei sofortiger Nutzung der Inhalte verbunden, ein solcher hätte aber laut LG Berlin ausdrücklich erfolgen müssen.
Autorin des Beitrags ist Sabine Vianden aus Bonn. Sabine hat nach Ihrem erfolgreichen Ersten Staatsexamen im Sommer 2016 den Schwerpunktbereich beendet und bereitet sich aktuell auf Ihre Promotion vor.

17.08.2016/0 Kommentare/von Gastautor
https://www.juraexamen.info/wp-content/uploads/2022/05/je_logo.svg 0 0 Gastautor https://www.juraexamen.info/wp-content/uploads/2022/05/je_logo.svg Gastautor2016-08-17 09:30:132016-08-17 09:30:13BGH: Kündigung und AGB-Kontrolle bei Online-Dating-Portalen
Tom Stiebert

BGH: Keine außerordentliche Kündigung von Fitnessstudio bei Umzug

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Entscheidungen, die gleichermaßen juristisch wie gesellschaftlich relevant sind, sind selten. Häufig wird eine examensrelevante Rechtsprechung bei nichtjuristischen Adressaten auf ein müdes Gähnen stoßen. Anders bei dem Fall, den der Bundesgerichtshof heute am 4.5.2016 entscheiden hat (Az. XII ZR 62/15): Es ging dabei um die Frage, wann ein Fitnessstudiovertrag außerordentlich gekündigt werden könne. Dabei werden auch noch weitere Probleme rund um das Fitnessstudio relevant.
I. Sachverhalt
Dem lag folgende Fallgestaltung zugrunde:

Die Parteien schlossen im Jahr 2010 einen Vertrag über die Nutzung des Fitnessstudios in Hannover für einen Zeitraum von 24 Monaten ab dem 1. August 2010. Sie vereinbarten ein monatliches Nutzungsentgelt von 65 Euro zuzüglich einer – zweimal im Jahr fälligen – Pauschale von 69,90 Euro für ein „Trainingspaket“. Ferner enthält der Vertrag eine Verlängerungsklausel um jeweils zwölf Monate für den Fall, dass er nicht bis zu drei Monate vor Ablauf gekündigt wird.

Im Oktober 2013 wurde der bis dahin in Hannover lebende Beklagte zum Soldaten auf Zeit ernannt. Ab diesem Zeitpunkt zahlte er keine Mitgliedsbeiträge mehr. Am 5. November 2013 kündigte er den Fitnessstudiovertrag. Als Soldat wurde er für die Zeit von Oktober bis Dezember 2013 nach Köln und für die Zeit von Januar bis Mai 2014 nach Kiel abkommandiert; seit Juni 2014 ist er in Rostock stationiert.

Das Fitnessstudio verlangte nun die Mitgliedsbeiträge für den Zeitraum Oktober 2013 bis Juli 2014.

II. Rechtliche Würdigung

Der Anspruch ist davon abhängig, ob in dem streitigen Zeitraum der Vertrag weiter bestanden hat.
a) Vertrag
An sich besteht ein solcher Anspruch durch die automatische Verlängerung des Vertrags. Beim Fitnessvertrag handelt es sich im Grundsatz um einen typengemischten Vertrag mit maßgeblichen Elementen des Mietvertrags (Palandt/Weidenkaff, vor § 535, Rn. 36) und des Dienstvertrags, wobei die mietvertraglichen Elemente im Regelfall überwiegen. Aus diesem Grund sieht auch die Rechtsprechung diesen Vertrag als einen Mietvertrag an (BGH NJW 2012, 1431):

Der zwischen den Parteien abgeschlossene Vertrag über die Nutzung des von der Klägerin betriebenen Fitnessstudios ist als ein Gebrauchsüberlassungsvertrag zu qualifizieren […]. Zwar wird teilweise die Auffassung vertreten, der Vertrag über die Nutzung eines Fitnessstudios sei als typengemischter Vertrag zu qualifizieren, der neben mietvertraglichen auch dienstvertragliche Elemente enthalte, weil der Betreiber des Studios nicht nur die Nutzung der Räumlichkeiten und der bereitgestellten Sportgeräte schulde, sondern sich auch zur Erbringung weiterer Leistungen wie etwa die Einweisung des Kunden in den Gebrauch der Geräte, ihn zu beraten und zu beaufsichtigen, verpflichte (vgl. Graf von Westphalen Vertragsrecht und AGB-Klauselwerke [Stand: 2011], Fitness- und Sportstudiovertrag, Rn. 1; Christensen in Ulmer/Brandner/Hensen AGB-Recht, 11. Aufl., Teil 2 [Sportstudioverträge], Rn. 1; Damman in Wolf/Lindacher/Pfeiffer AGB-Recht, 5. Aufl., Klauseln [Fitnessstudiovertrag], F 21; OLG Düsseldorf NJW-RR 1995, 55; OLG Celle NJW-RR 1995, 370, 371; OLG Hamm NJW-RR 1992, 242)
Im vorliegenden Fall hat das Berufungsgericht jedoch besondere Verpflichtungen der Klägerin mit dienstvertraglichem Charakter nicht festgestellt. Nach dem Inhalt des zwischen den Parteien geschlossenen Vertrages ist der Beklagte lediglich zur Nutzung der Geräte und der Räumlichkeiten der Klägerin berechtigt. Weitere Verpflichtungen der Klägerin, etwa zu Unterrichts- oder anderen Dienstleistungen, sieht der Vertrag nicht vor. Soweit für die Nutzung der Geräte im Einzelfall eine Einweisung durch die Klägerin oder ihre Mitarbeiter erforderlich sein sollte, schuldet sie diese als bloße vertragliche Nebenleistungen (vgl. OLG Frankfurt OLGR 1995, 38, 39 mwN; aA OLG Hamm NJW-RR 1992, 242, 243). Wesentlicher Inhalt des Vertrages ist daher das Zurverfügungstellen der Fitnessgeräte und die Nutzung der Räumlichkeiten des Fitness-Studios, sodass jedenfalls im hier zu entscheidenden Fall der Vertrag über die Nutzung des Fitness-Studios der Klägerin als reiner Mietvertrag einzustufen ist.

Auch hier lässt zumindest der Sachverhalt eine entsprechende Klassifizierung nicht zu. Sowohl die Erstlaufzeit von 24 Monaten als auch die Verlängerung ist hier aus Sicht der Rechtsprechung zulässig. Fraglich ist dabei, ob die Grenze des § 309 Nr. 9 BGB hier greift. Die Norm gilt an sich nicht für Miet- sondern allein für Dienstleistungsverträge. Die Rechtsprechung geht hier aber gerade von einem Mietvertrag aus. Dennoch wendet sie die Wertung dieser Regelung jedenfalls mittelbar bei einer Inhaltskontrolle nach § 307 BGB an. Ein Verstoß liegt im konkreten Fall aber nicht vor (BGH NJW 2012, 1431):

Diese in § 309 Nr. 9 lit. a BGB zum Ausdruck gekommene Regelungsabsicht des Gesetzgebers ist auch bei der nach § 307 Abs. 1 BGB vorzunehmenden Abwägung zu berücksichtigen, ob durch eine vorformulierte Laufzeitklausel eine unangemessene Benachteiligung des Kunden gegeben ist. Das schließt zwar nicht aus, dass eine Klausel, die nach ihrem Regelungsgehalt in den Anwendungsbereich der Klauselverbote fällt, mit den in Betracht kommenden Einzelverboten aber nicht kollidiert, nach der Generalklausel des § 307 Abs. 1 BGB unwirksam sein kann (vgl. Senatsurteil vom 4. Dezember 1996 – XII ZR 193/95 – NJW 1997, 739, 740). Voraussetzung hierfür ist jedoch, dass sich die unangemessene Benachteiligung des Kunden nicht allein aus den Nachteilen einer langfristigen Vertragsbindung ergibt, die der Gesetzgeber bei der Schaffung des § 309 Ziff. 9 BGB im Blick hatte. Da es unzulässig ist, aufgrund allgemeiner Überlegungen, die sich nicht aus den Besonderheiten gerade des zu beurteilenden Vertrages ergeben, über die Generalklausel die gesetzgeberische Regelungsabsicht geradezu „auf den Kopf zu stellen“ (Senatsurteil vom 4. Dezember 1996 – XII ZR 193/95 – NJW 1997, 739, 740), muss sich die Unangemessenheit einer Laufzeitklausel aus besonderen, von der Verbotsnorm nicht erfassten Gründen ergeben.

Damit lag ein wirksamer Vertrag vor.
Achtung: Bei der Prüfung des § 309 Nr. 9a BGB sollte eine Besonderheit bekannt sein. Das Gesetzt fordert eine maximale Bindung von 24 Monaten. Die Frist beginnt dabei mit dem Abschluss des Vertrages, da hier schon eine Bindung vorliegen soll, nicht also erst mit der erstmaligen Leistungserbringung (BGHZ 122, 63 = NJW 1993, 1651). Nicht mitgezählt wird dagegen eine Probezeit, da hier keine Bindung vorliegt (BGHZ 120, 108 = NJW 1993, 326 (327 f.).
 
b) Kündigung des Vertrags
Fraglich bleibt daher allein, ob eine Kündigung des Vertrags vorgelegen hat. Grundsätzlich kann ein Dauerschuldverhältnis außerordentlich aus wichtigen Gründen gekündigt werden. Diese Wertung bestätigen die speziellen Normen der §§ 543 Abs. 1 BGB und 626 Abs. 1 BGB sowie die allgemeine Regelung in § 314 Abs. 1 BGB. Stets wird auf einen wichtigen Grund zur Kündigung abgestellt. Ein wichtiger Grund liegt vor, wenn dem kündigenden Teil unter Berücksichtigung aller Umstände des Einzelfalls und unter Abwägung der beiderseitigen Interessen die Fortsetzung des Vertragsverhältnisses bis zur vereinbarten Beendigung oder bis zum Ablauf einer Kündigungsfrist nicht zugemutet werden kann.
Dies verneinte der BGH nun. Das Gericht begründete dies damit, dass die Änderungen der Umstände hier in der Risikosphäre des Kunden lägen und dies entscheidend zu beachten ist:

Allerdings trägt der Kunde grundsätzlich das Risiko, die vereinbarte Leistung des Vertragspartners aufgrund einer Veränderung seiner persönlichen Verhältnisse nicht mehr nutzen zu können. Etwas anderes gilt nur dann, wenn ihm aus Gründen, die er nicht beeinflussen kann, eine weitere Nutzung der Leistungen des anderen Vertragspartners nicht mehr zumutbar ist.

Der BGH tätigt daher die Aussage, dass eine Veränderung der persönlichen Verhältnisse im Regelfall keinen wichtigen Grund darstellt, eben weil man dies beeinflussen könne. Das Gericht zählt hiernach Gründe auf, bei denen abweichendes gelten sollte. Ein Wohnsitzwechsel genügt aber nie:

Bei einem Vertrag über die Nutzung eines Fitnessstudios kann ein solcher – nicht in seinen Verantwortungsbereich fallender – Umstand etwa in einer die Nutzung ausschließenden Erkrankung gesehen werden. Ebenso kann eine Schwangerschaft die weitere Nutzung der Leistungen des Studiobetreibers bis zum Ende der vereinbarten Vertragslaufzeit unzumutbar machen. Ein Wohnsitzwechsel stellt dagegen grundsätzlich keinen wichtigen Grund i.S.v. §§ 314 Abs. 1 BGB, 543 Abs. 1 BGB, 626 Abs. 1 BGB BGB für eine außerordentliche Kündigung eines Fitnessstudiovertrags dar. Die Gründe für einen Wohnsitzwechsel – sei er auch berufs- oder familienbedingt – liegen in aller Regel allein in der Sphäre des Kunden und sind von ihm beeinflussbar.

Zuletzt prüft das Gericht eine analoge Anwendung des § 46 Abs. 8 Satz 3 TKG, die dem Nutzer einer Telekommunikations-Leistung (etwa DSL) ein Sonderkündigungsrecht unter Einhaltung einer Kündigungsfrist von drei Monaten einräumt, wenn die Leistung am neuen Wohnsitz nicht angeboten wird. Deren Anwendung wird aber hier abgelehnt.

III. Bewertung

Die Entscheidung mag im ersten Moment überraschen und zu hart erscheinen, juristisch überzeugt sie aber. Die Tatsache, dass ein Wohnsitzwechsel grundsätzlich bewusst herbeigeführt wird, vermag im Regelfall einen wichtigen Grund entfallen zu lassen. Allenfalls in atypischen Konstellationen scheint ein anderes Ergebnis denkbar. Auch hier wäre die wohl zu erwägen gewesen, da der besonderen Situation des Soldaten Rechnung getragen werden könnte. Insgesamt aber ein Urteil, das überzeugt.

Für eine Klausur ist es gerade auch durch seine Verknüpfung mit der AGB-Kontrolle perfekt geeignet und bietet Prüfungskandidaten eine Vielzahl von Möglichkeiten sich juristisch auszuzeichnen.

Für den nächsten Besuch im Fitnessstudio seid ihr damit auf jeden Fall gerüstet.

04.05.2016/17 Kommentare/von Tom Stiebert
https://www.juraexamen.info/wp-content/uploads/2022/05/je_logo.svg 0 0 Tom Stiebert https://www.juraexamen.info/wp-content/uploads/2022/05/je_logo.svg Tom Stiebert2016-05-04 15:35:142016-05-04 15:35:14BGH: Keine außerordentliche Kündigung von Fitnessstudio bei Umzug
Dr. David Saive

LAG Schleswig Holstein: Keine Kündigung am Sonntag

Rechtsprechung, Startseite, Zivilrecht

Das Landesarbeitsgericht Schleswig Holstein hat sich in seinem Urteil vom 13.10.2015, Aktenzeichen 2 Sa 149/15, das heute veröffentlich worden ist, mit allseits beliebten Fristenproblemen befasst.
 
Zum Sachverhalt:
Im vorliegenden Falle beschäftigte der beklagte Rechtsanwalt eine nun klagende Rechtsanwaltsgehilfin. Dieser wollte er noch innerhalb der Probezeit kündigen. Die Probezeit endete am Sonntag, den 30.11.2014. Innerhalb der Probezeit konnte er das Arbeitsverhältnis mit einer Frist von zwei Wochen beenden; danach mit einer Frist von vier Wochen.
Um noch rechtzeitig innerhalb der Probezeit kündigen zu können, warf der Rechtsanwalt das Kündigungsschreiben bei der Klägerin am Sonntag, den 30.11.2014, in den Briefkasten.
Der Beklagte ist der Auffassung, die Kündigung sei rechtzeitig zugegangen, wobei die Klägerin dies bestreitet und sich auf die nunmehr gültige Kündigungsfrist von vier Wochen beruft, nach der sie noch bis zum 31.12.2014 beschäftigt gewesen wäre.
 
Aus den Gründen:
Das Gericht gab der Klägerin recht. Als Begründung führte das Gericht an, dass Arbeitnehmer grundsätzlich nicht dazu verpflichtet sind, ihren Briefkasten auch sonntags zu leeren. Dies gelte sogar dann, wenn an diesem Tag die Probezeit endet und am diesen Tag auch gearbeitet werde. Das Schreiben ist der Klägerin somit frühestens am 01.12.2014 zugegangen, sodass das Arbeitsverhältnis bis zum 31.12.2014 fortbestand.
 
Anmerkung:
Das Urteil regt dazu an, sich erneut vertieft mit dem Zugang von Willenserklärungen und den damit zusammenhängenden Fristenproblemen zu beschäftigen. Bei allen Kündigungsfristen des BGB ist die Sonntagsregelung des § 193 BGB weder direkt noch analog anwendbar (BGH NJW 2005, 1354, 1355). Nach ganz herrschender Meinung dient § 193 BGB dem Schutz des Gekündigten. Insbesondere bei Arbeitsverhältnissen ist es dem Gekündigten nicht zumutbar, sich mit den komplexen Fristenregelungen des BGB auseinanderzusetzen (MüKo BGB, Grothe, § 193, Rn.7).
Ausnahmsweise mal eine Begründung, die sich jedem Jurastudenten sofort erschließt.
Zur Wiederholung der Fristenberechnung lohnt sich ein Blick hier.

11.11.2015/0 Kommentare/von Dr. David Saive
https://www.juraexamen.info/wp-content/uploads/2022/05/je_logo.svg 0 0 Dr. David Saive https://www.juraexamen.info/wp-content/uploads/2022/05/je_logo.svg Dr. David Saive2015-11-11 19:18:112015-11-11 19:18:11LAG Schleswig Holstein: Keine Kündigung am Sonntag
Gastautor

BGH: Wer hat ein Recht auf Rauch auf dem Balkon?

Mietrecht, Rechtsgebiete, Rechtsprechung, Rechtsprechungsübersicht, Schon gelesen?, Startseite, Zivilrecht, Zivilrecht

Wir freuen uns, heute einen Gastbeitrag von Konstantin Filbinger veröffentlichen zu können. Der Autor hat sein Studium und Referendariat in Freiburg absolviert und ist aktuell als Akad. Rat a.Z. am LS für Bürgerliches Recht und Rechtsgeschichte bei Prof. Kannowski in Bayreuth tätig. Zudem ist er Co-Autor des Werks „BGB AT – Das Werkstattbuch“ (Filbinger/Lebkuecher).
Vor einigen Monaten entschied der BGH (Urt. v. 16.01.2015, Az. V ZR 110/14) einen aufsehenerregenden Fall. In der letzten Woche wurden hierzu nun auch die Urteilsgründe veröffentlicht. Dem lag folgender Sachverhalt zugrunde:
Der Mieter (R=Raucher) eines Mehrfamilienhauses raucht exzessiv auf seinem Balkon im ersten Stock. Einem anderen, nichtrauchenden Mieter (NR) „stinkt“ das: Er stört sich am aufsteigenden Zigarettenrauch und verlangt vom rauchenden Mieter persönlich (zeitweise) Unterlassung des Rauchens.
Zu Recht?
I. Schuldrechtliche Unterlassungsansprüche scheiden mangels schuldrechtlicher Beziehung aus. Auch die faktische Nähebeziehung von Nachbarn vermag kein Schuldverhältnis zu begründen (ganz h.M., Umkehrschluss aus § 922 S.4 BGB).
II. Anspruch aus §§ 862 I, 858 I?
1. Die Beeinträchtigung durch Immissionen i.S.d. § 906 I 1 kann eine Besitzstörung darstellen.
2. Eine Besitzstörung ist nicht zu verneinen, weil das Rauchen dem R von seinem Vermieter (schuldrechtlich) gestattet ist; § 858 I BGB stellt allein auf eine mögliche Gestattung per Gesetz ab.
3. Anspruchsausschluss, § 906 I 1 analog
a) Der BGH wendet § 906 I 1 analog an: Der Abwehranspruch sei ausgeschlossen, „wenn die mit dem Tabakrauch verbundenen Beeinträchtigungen nur unwesentlich sind.“
b) Vor Inkrafttreten der Nichtrauchergesetze wurde von der Rspr. vertreten, dass Rauchen sozialadäquat und in der Gesellschaft akzeptiert sei. Vor diesem Hintergrund und Art. 2 I GG des Rauchenden sei die Beeinträchtigung anderer stets unwesentlich.
c) Der BGH schließt sich jedoch dem Schrifttum an: Auch das Recht des Nichtrauchenden auf Gebrauch seiner Mitsache sei zu beachten, der Rauchende habe „sich auf maßvolles Rauchen zu beschränken“. Der Gedanke der Sozialadäquanz überzeuge mit Inkrafttreten der Nichtraucherschutzgesetze nicht mehr.
d) Ab welchem Punkt liegt nun eine (un)wesentliche Beeinträchtigung vor?
Entscheidend ist laut BGH die Sicht des „verständigen durchschnittlichen Menschen“!
Liege nach diesem Maßstab eine als störend empfundene – also wesentliche – Beeinträchtigung vor, sei ein Unterlassungsanspruch zu bejahen. Allerdings bestehe dieser nur eingeschränkt: Die beiden „grundrechtlich geschützten Besitzrechte“ seien in angemessenen Ausgleich zu bringen. Der nichtrauchende Mieter habe ein Recht auf tabakrauchfreie Wohnungsnutzung, der rauchende Mieter ein Recht auf Nutzung der Wohnung zur Verwirklichung seiner Lebensbedürfnisse. Im Regelfall sei eine Regelung nach Zeitabschnitten zu treffen: Zu bestimmten Zeiten müsse jedem der Beteiligten die von diesen gewünschte Nutzung (aktives Rauchen vs. kein Passivrauchen) gewährt werden (sog. „Gebot der gegenseitigen Rücksichtnahme“).
III. In Betracht kommt ferner ein Anspruch auf Unterlassung aus § 1004 I 2 BGB analog i.V.m. § 823 I BGB. Die Norm wird auf absolute Rechte i.S.d. § 823 I BGB entsprechend angewandt.
Voraussetzungen:

  1.  Beeinträchtigung
  2. Anspruchssteller Rechtsgutsinhaber
  3. Anspruchsgegner Störer
  4. Wiederholungsgefahr
  5. Rechtswidrigkeit / Keine Duldungspflicht

1) Der Anspruch setzt zunächst eine „Beeinträchtigung“ voraus; gemeint ist ein Eingriff in ein nach § 823 I BGB geschütztes Rechtsgut. Die Gesundheit des NR könnte beeinträchtigt sein. Allerdings sei bei der Einschätzung der Gefährlichkeit durch Tabakrauch zu berücksichtigen, dass im Freien geraucht werde. Den Nichtraucherschutzgesetzen komme insoweit Indizwirkung zu, dass mit dem Rauchen auf dem Balkon keine konkreten Gefahren für die Gesundheit anderer einhergingen.
Diese Annahme müsse der Anspruchssteller erschüttern. Er habe nachzuweisen, dass im konkreten Fall der fundierte Verdacht einer Gesundheitsbeeinträchtigung bestehe. Nur dann liege eine wesentliche Beeinträchtigung vor. Sei dies der Fall, müsse eine Gebrauchsregelung getroffen werden.
Hier fehlte es an entsprechenden Feststellungen der Vorinstanz. Unter anderem deshalb wurde der Fall zurückverwiesen.
2) Der Anspruchssteller ist Inhaber des „gestörten“ Rechtsguts.
3) Der Anspruchsgegner R bewirkt die Beeinträchtigung selbst, indem er raucht. Damit ist er unmittelbarer Handlungsstörer, mithin Störer i.S.v. § 1004 I BGB.
4) Wiederholungsgefahr
Die Beeinträchtigung indiziert die Wiederholungsgefahr. Diese Vermutung hat R nicht widerlegt.
5) Rechtswidrigkeit / Keine Duldungspflicht
Der Anspruch wäre aber ausgeschlossen, wenn es an der Rechtswidrigkeit fehlte, der NR zur Duldung verpflichtet wäre, vgl. § 1004 II BGB analog. Die Beweislast hierfür liegt bei R.
Mangels individueller Vereinbarungen kommt hier nur eine gesetzliche Duldungspflicht aus § 906 I 1 BGB in Betracht.
Immissionen, die die Gefahr gesundheitlicher Schäden begründen, sind nach Ansicht des BGH grundsätzlich als eine wesentliche und damit nicht zu duldende Beeinträchtigung anzusehen. In diesem Fall wäre eine Gebrauchsregelung nach obig dargestellter Maßgabe zu treffen.
 IV. Fazit
Der BGH bejaht unter bestimmten Voraussetzungen einen Unterlassungsanspruch. Als beeinträchtigte Rechte kommen Besitz und Gesundheit in Betracht. Ein ggf. bestehender Anspruch führt indes regelmäßig nur zu einer zeitlich begrenzten Unterlassung, also einer Gebrauchsregelung zwischen den Parteien.
Das possessorische Besitzrecht schützt auch den fehlerhaften Besitz. Auch der bösgläubige Wohnungsbesetzer kann also mit Erfolg gegen rauchende Nachbarn vorgehen. Im Übrigen greift das Selbsthilferecht nach § 859 I BGB.
In der Klausur muss i.R.d. Prüfung des § 1004 I 2 BGB die Beweislastverteilung klar herausgearbeitet werden; wichtig ist auch der Schlüsselbegriff „Gebot der gegenseitigen Rücksichtnahme“. Für den Klausurersteller bietet sich ferner ein Anspruchsausschluss gemäß § 864 I an. Man sollte dann thematisieren, ob § 864 I analog auf den Abwehranspruch aus § 1004 I 2 BGB anzuwenden ist, schließlich richten sich die Ansprüche hier gegen das gleiche Verhalten. Mangels Regelungslücke ist eine Analogie aber zu verneinen.

18.05.2015/0 Kommentare/von Gastautor
https://www.juraexamen.info/wp-content/uploads/2022/05/je_logo.svg 0 0 Gastautor https://www.juraexamen.info/wp-content/uploads/2022/05/je_logo.svg Gastautor2015-05-18 08:50:132015-05-18 08:50:13BGH: Wer hat ein Recht auf Rauch auf dem Balkon?
Dr. Maximilian Schmidt

Kostenloser Seitensprung? Tinder, parship und co. als Heiratsvermittler i.S.d. § 656 BGB?

Schon gelesen?, Schuldrecht, Startseite, Verbraucherschutzrecht, Verschiedenes, Zivilrecht

Immer mehr Dating- und Partnerplattformen verlangen für ihre Dienste eine Nutzungsgebühr. Während Akademiker und Singles mit Niveau (anscheinend ein Widerspruch…) mit mindestens 30€ pro Monat dabei sind, verlangt tinder seit diesem Jahr für alle anderen ca. 10€ p.M. Findige Juristen könnten nun auf die Idee kommen nach Nutzung der Dienste das Entgelt nicht zu bezahlen – zumindest in anteiliger Höhe mit Verweis auf das verbraucherschutzrechtliche Widerrufsrecht (hierzu V.) oder in voller Höhe auf § 656 BGB:

(1) Durch das Versprechen eines Lohnes für den Nachweis der Gelegenheit zur Eingehung einer Ehe oder für die Vermittlung des Zustandekommens einer Ehe wird eine Verbindlichkeit nicht begründet.

I. Rechtsnatur der sog. Naturalobligation – „Wettschulden sind Ehrenschulden“
Ein Rechtsbegriff der vor allem für mündliche Prüfungen bekannt sein sollte ist der der „Naturalobligation„. Hierbei handelt es sich um unvollkommene, nicht einklagbare, also nicht mit staatlicher Hilfe durchsetzbare Forderungen.  Neben dem Ehemäklerlohn ist dies das klassische Beispiel „Spiel und Wette“  i.S.d. § 762 BGB. Auch in diesen Fällen können Forderungen nicht durchgesetzt werden. Somit erklärt sich auch das Sprichtwort: „Wettschulden sind Ehrenschulden“ – sie können nicht eingeklagt werden, sondern müssen vom Ehrenmann „von sich aus“ beglichen werden (oder dieser zur „freiwilligen“ Zahlung gebracht werden – Stichwort: Moskau Inkasso). Eine dennoch eingereichte Klage wird als unbegründet, nicht als unzulässig abgewiesen, da ein materiell-rechtliches Hindernis vorliegt (BGH v. 4.3.2004 – III ZR 124/03).
II. Grund für die fehlende Durchsetzbarkeit
Ursprünglich wurde die sittliche Anstößigkeit der entgeltlichen gewerblichen Ehevermittlung als Normzweck angesehen, also eine Ausprägung des § 138 BGB. Die Ehe beruhe auf „himmlischen Einflüssen“, so dass die weltliche Vermittlung anstößig erscheine. Heute hat sich der Schutzzweck leicht verschoben, es soll die Intimssphäre der Ehegatten vor unerwünschten Ehemaklerprozessen geschützt werden (Diskretionsbedürfnis). Ein solcher Prozess, in welchem der Nachweis der Gelegenheit zur Eingehung einer Ehe erbracht werden müsste, könnte das Persönlichkeitsrecht der betroffenen Personen stark beeinträchtigen – müsste doch konkret dargelegt werden, inwiefern man die Partner zusammengebracht hat. Daher erscheint der Ausschluss der Durchsetzbarkeit auch heute noch angemessen.
III. Anwendbarkeit des § 656 BGB auf Online-Dating/Partner-Plattformen
Findet § 656 BGB nun Anwendung auch auf Partnervermittlung? Um Kostenansprüchen der Partnerbörsen entgehen zu können, müssten diese den „Nachweis der Gelegenheit zur Eingehung einer Ehe oder für die Vermittlung des Zustandekommens einer Ehe“ erbringen. An dieser Stelle muss man zwischen den verschiedenen Plattformen differenzieren. Auf Partnervermittlungen ist § 656 BGB analog anzuwenden. Grund hierfür ist zum einen, dass die heutige Partnerschaftsvermittlung in der Praxis die Eheanbahnung nahezu vollständig abgelöst hat (Meier, NJW 2011, 2396 ). Mag dies noch nicht wirklich überzeugen, kommt zum anderen hinzu, dass es bei teleologischer Betrachtung keine Rolle spielt, ob die Vermittlung tatsächlich in letzter Konsequenz auf eine Heirat gerichtet ist oder ob eine bloße außereheliche Partnerschaft angestrebt wird. In beiden Fällen geht es um die Zusammenführung zweier Menschen im Bereich ihres höchstpersönlichen Lebens, so dass der Schutz des persönlichen Intimbereichs der Betroffenen auch hier Geltung beansprucht (IV ZR 160/89 – BGHZ 112, 122; BGH, NJW-RR 2004, 778; Staudinger/Reuter, § 656 Rn. 7; Meier, NJW 2011, 2396). Hiermit ist selbstverständlich nichts über die rechtspolitische Sinnhaftigkeit der Norm an sich gesagt. Ob Klagen aus Ehe- und Partnervermittlungsverträgen tatsächlich das Diskretionsbedürfnis der Betroffenen verletzten, ist zumindest fraglich.
Soweit es sich also um eine Partnervermittlung handelt, findet § 656 BGB Anwendung. Parship und elitepartner.de sind echte Partnervermittlungen, so dass bei diesen die Durchsetzbarkeit etwaiger Forderungen gehindert ist. Anders hingegen bei tinder. Hier ist die Möglichkeit zum Kennenlernen doch erkennbar auf kurzfristige Kontakte ausgelegt und es werden insbesondere keine weitergehenden Dienstleistungen erbracht als die bloße, zufällige Möglichkeit sich kennenzulernen. Es liegt letztlich nur eine Gelegenheit für verschiedene Personen vor, miteinander in Kontakt zu treten; es fehlt an einer aktiven Förderung der Kontakteaufnahme durch Persönlichkeitsprofile, „passgenaue“ Vorschläge usw. Tinder entspricht daher eher „virtuellen Freizeitclubs“, die nach der Rechtsprechung nicht von § 656 BGB (analog) erfasst sind (OLG Frankfurt NJW 1984, 180 f.; zugegeben: tinder klingt besser als Freizeitclub). Dies führt zu der – auf den ersten juristischen und auch zweiten laienhaften Blick – erstaunlichen Erkenntnis, dass Seitensprünge (Geld) kosten, während Partnerschaften „kostenfrei“ sind.
IV. Möglichkeit des Widerrufs, § 312 ff. BGB?
Viel ist mit der Anwendbarkeit von § 656 BGB jedoch nicht gewonnen, da so gut wie alle Partnerbörsen wohl auch gerade wegen § 656 BGB die Zahlung im voraus verlangen. Daher stellt sich die Frage nach der Möglichkeit des Widerrufs nach den verbraucherschutzrechtlichen Vorschriften der §§ 312 ff. BGB. Grundsätzlich steht dem Kunden ein Widerrufsrecht zu, da er als Verbraucher mit einem Unternehmer qua Fernkommunikationsmittel einen Vertrag schließt. Fraglich ist hingegen der Ausschluss der Widerrufbarkeit.
Ein solcher könnte sich aus § 312g Abs. 2 Nr. 1 BGB ergeben, wonach “ Verträge zur Lieferung von Waren, die nicht vorgefertigt sind und für deren Herstellung eine individuelle Auswahl oder Bestimmung durch den Verbraucher maßgeblich ist oder die eindeutig auf die persönlichen Bedürfnisse des Verbrauchers zugeschnitten sind“ vom Widerruf ausgeschlossen sind. Mit Blick auf die von elitepartner.de und anderen „echten“ Partnervermittlungen durchgeführten Persönlichkeitstest kann man durchaus von einer individualisierten Leistung sprechen. Hiergegen spricht jedoch, dass es sich um eine Dienstleistung und keine Ware handelt. Auch eine analoge Anwendung muss wohl ausscheiden (s. zum alten Recht ausführlich Meier, NJW 2011, 2396). Andere Ausschlussgründe greifen ebenfalls nicht. Daher ist grundsätzlich ein Widerruf des Partnervermittlungsvertrages möglich und führt zur Rückabwicklung der erbrachten Leistungen. Wie hoch der zu ersetzende objektive Wert einer u.U. durchgeführten Persönlichkeitsanalyse ist, sei an dieser Stelle dahingestellt; dieser ist jedoch mit dem rückzuerstattenden „Mitgliedsbeitrag“ zu verrechnen, § 346 Abs. 2 Nr. 1 BGB.
V. Kündigung nach § 627 BGB
Nach h.M. ist zudem die jederzeitige Kündigung nach § 627 BGB möglich (BGH NJW 1987, 2808 f.; BGH MMR 2010, 90, Rn. 19). Begründet wird dies damit, dass die Partnervermittlung ein besonderes Vertrauensverhältnis benötige (zur Kritik s. Rachow, MMR 2015, 152). Die Kündigung wirkt jedoch nur ex nunc, so dass diese nicht zur Kostenfreiheit führt, sondern allein ein Fortlaufen des Vertrages verhindert.

VI. Fazit: Liebe gratis, Sex aber nicht?
Die große Liebe zu finden kann damit kostenlos sein: Entweder weil nicht im voraus bezahlt wird und in der Folge auf § 656 BGB berufen wird oder aber ein Widerruf nach §§ 312 ff. BGB erklärt wird. Ein solcher Widerruf ist zwar auch bei bloßen Kennenlern-Plattformen wie tinder denkbar, doch kann mangels Anwendbarkeit des § 656 BGB keine völlige Kostenfreiheit hergestellt werden – eine gesetzgeberische Wertung, die wohl nur den einen oder anderen überzeugen mag…
 

07.05.2015/6 Kommentare/von Dr. Maximilian Schmidt
https://www.juraexamen.info/wp-content/uploads/2022/05/je_logo.svg 0 0 Dr. Maximilian Schmidt https://www.juraexamen.info/wp-content/uploads/2022/05/je_logo.svg Dr. Maximilian Schmidt2015-05-07 09:00:072015-05-07 09:00:07Kostenloser Seitensprung? Tinder, parship und co. als Heiratsvermittler i.S.d. § 656 BGB?
Tom Stiebert

KiTa-Streik und die (arbeitsrechtlichen) Folgen

Arbeitsrecht, Schon gelesen?, Startseite, Tagesgeschehen, Zivilrecht

In ganz Deutschland nehmen derzeit zahlreiche Erzieher in Kindertagesstätten ihr aus Art. 9 Abs. 3 GG resultierendes Recht wahr und streiken. Erstrebt wird eine höhere Eingruppierung, da sich das Bild der Erzieherin in den letzten Jahren stark gewandelt habe.
Eine Vielzahl von Eltern steht nun vor dem Problem, dass zumindest teilweise eine Unterbringung der Kinder in der Kindertagesstätte nicht möglich ist, sie aber auch andererseits nicht die Möglichkeit haben, die Kinder auf Ihrer Arbeitsstelle selbst zu betreuen. Es stellt sich damit die Frage, welche Möglichkeiten die Eltern nun zur Betreuung Ihrer Kinder haben.
Diese Fragen könnten auch in einer mündlichen Prüfung angerissen und vertieft werden. Der Beitrag will aus diesem Grund einen Überblick über den Problemkreis geben und die wesentlichen Fragen beantworten.

I. Inwiefern haben also Eltern, deren wegen des anstehenden Kita-Streiks nicht betreut werden können, Ansprüche gegenüber dem Arbeitgeber? Dürfen sie insbesondere zu Hause bleibe, um sich um die Kleinen zu kümmern?

Beide Fragen sind letztlich gemeinsam zu bearbeiten, denn der einzige Anspruch gegen den Arbeitgeber, mit dem eine arbeitsvertragliche Beziehung besteht, kann ja letztlich die Freistellung von der Tätigkeit sein. Diese ist – gesetzlich geregelt – nur in seltenen Fällen möglich, schließlich ist der Arbeitnehmer stets zur Erbringung seiner – vertraglich vereinbarten – Arbeitsleistung verpflichtet. Unterlässt er dies, drohen Abmahnungen und natürlich im schlimmsten Fall die Kündigung.

Klar ist auch, dass man in einen solchen Fall sein Arbeitsentgelt nicht bekommt – es gilt: „Kein Lohn ohne Arbeit“ sofern das Gesetz hiervon nicht Ausnahmen vorzieht (bspw. bei Krankheit im EFZG oder bei Urlaub; eine besondere Regelung besteht zudem bei der Krankheit von Kindern – § 45 SGB V)

§ 616 BGB sieht allerdings vor, dass der Arbeitnehmer dann, wenn er für eine verhältnismäßig kurze Zeit durch einen in seiner Person liegenden Grund ohne sein Verschulden an der Dienstleistung verhindert ist, seinen Anspruch auf den Lohn auch ohne Arbeit behält. Das heißt in einem solchen Fall darf der Arbeitnehmer a) der Arbeit fernbleiben und behält b) sogar seinen Entgeltanspruch.

Hierunter fällt bspw. die Betreuung kranker Kinder (für die es zudem auch spezielle Vorschriften gibt vgl. § 45 SGB V), der Umzug, die Hochzeit, Beerdigungen naher Angehöriger etc. Auch die Betreuung der eigenen Kinder ist eine Pflicht, die die Eltern im Rahmen ihrer elterlichen Sorge (§ 1626 Abs. 1 BGB) zunächst persönlich trifft und die der Pflicht zur Arbeit widerspricht. Und dennoch gilt hier nicht uneingeschränkt das Gleiche. Es müssen besondere Gegebenheiten hinzutreten um einen Fall des § 616 BGB bejahen zu können – so muss der Streik bspw. plötzlich und nicht planbar eingetreten sein – und – das ist die zentrale Voraussetzung – der Arbeitnehmer muss alles zumutbare für eine Ersatzkinderbetreuung getan haben. Nur dann wäre ein solcher Anspruch denkbar. Auf jeden Fall ist der Arbeitnehmer aber verpflichtet, den Arbeitgeber frühzeitig hierüber zu informieren. Ein nicht angekündigtes Fernbleiben ist jedenfalls unzulässig.

Die Hürden, wann ein Streik unter § 616 BGB subsummiert werden kann, dürften recht hoch sein – am ersten überraschenden Streiktag mag der Anspruch noch gegeben sein, ab dem zweiten – planbaren – Tag dann wohl schon nicht mehr. Auch sind familiäre Betreuungsmöglichkeiten (Oma und Opa etc.) vorrangig zu prüfen. Auch wenn den Arbeitgeber die Pflicht zur Betreuung seines Kindes trifft, so darf diese Pflicht nicht pauschal die Pflicht zur Erbringung der Arbeitsleistung überwiegen, insbesondere weil nach den Grundsätzen des § 616 BGB sogar das Entgelt fortzugewähren ist.
II. Gibt es Ausfallzahlungen oder einen Sonderurlaub?
Greift also die Norm des § 616 BGB, so bedarf es keiner Ausfallszahlungen, da sogar das Arbeitsentgelt weiterzugewähren ist. Die Kriterien hierfür sind allerdings – wie dargelegt – recht strikt.
Ergänzend treffen den Arbeitgeber aber auch Rücksichtnahmepflichten aus dem Arbeitsvertrag. Aus diesem Grund ist er zumindest verpflichtet, den Arbeitnehmer unbezahlt von der Beschäftigung freizustellen, wenn dieser das verlangt und besondere Gründe (insbesondere wie hier die Betreuung seiner Kinder im Streikfall) hierfür anführt, es sei denn besondere betriebliche Gründe widersprechen dem. Auch hier gilt aber: Der Arbeitnehmer muss dies mit dem Arbeitgeber besprechen; ein Fernbleiben ohne Information und Absprache ist stets unzulässig. Allerdings überwiegt hier – im Gegensatz zu § 616 BGB das Interesse des Arbeitgebers, da diesen sogar eine gesetzliche Pflicht zur Kinderbetreuung trifft. Eine Ablehnung dieses Verlangens ist damit allenfalls im Einzelfall zulässig.

III. Muss das alles individuell in Arbeitsverträgen festgehalten werden oder ist es allgemein gültig?
Das Gesagt ergibt sich aus dem Gesetz, wie § 616 BGB deutlich macht. Auch der unbezahlte Anspruch auf Freistellung ist als eine allgemeine Nebenpflicht des Arbeitgebers im Rahmen der Rücksichtnahmepflicht anzusehen.
Möglich ist allerdings, dass im Arbeitsvertrag bezogen auf § 616 BGB Abweichendes entweder zu Gunsten des Arbeitnehmers oder aber – viel häufiger – zu seinen Lasten vereinbart ist. Dann ist zwar in schwerwiegenden Fällen nicht der Freistellungsanspruch, zumindest aber die Entgeltfortzahlung aus § 616 BGB ausgeschlossen. Eine solche Regelung ist im Grundsatz auch in allgemeinen Geschäftsbedingungen möglich. Ein Ausschluss der Rücksichtnahmepflichten ist hingegen – jedenfalls durch AGB – nicht zulässig und verstößt zumindest gegen § 307 BGB.

13.04.2015/1 Kommentar/von Tom Stiebert
https://www.juraexamen.info/wp-content/uploads/2022/05/je_logo.svg 0 0 Tom Stiebert https://www.juraexamen.info/wp-content/uploads/2022/05/je_logo.svg Tom Stiebert2015-04-13 14:44:502015-04-13 14:44:50KiTa-Streik und die (arbeitsrechtlichen) Folgen
Maria Dimartino

Besonderer Kündigungsschutz für Betriebsratsmitglieder – vgl. BAG v. 23.2.2010 – 2 AZR 656/08

Arbeitsrecht, Rechtsprechung, Rechtsprechungsübersicht, Schon gelesen?, Verschiedenes, Zivilrecht, Zivilrecht

Sachverhalt (vereinfacht)
Die Parteien streiten über die Wirksamkeit einer ordentlichen Kündigung eines Betriebsratsmitgliedes.
Die Beklagte ist ein Versicherungsunternehmen mit bundesweiten Niederlassungen sog. Vertriebsdirektionen.Der Kläger ist 1957 geboren und ausgebildeter Versicherungskaufmann. Er ist seit 1973 bei der Beklagten tätig. Der Kläger war zeitweise als Kundenberater eingesetzt. Zuletzt war er in der Vertriebsdirektion M tätig, der ca. 80 Mitarbeiter zugeordnet sind. Nebenberuflich ging er einer Außendiensttätigkeit auf Provisionsbasis nach. 2007 entschied sich die Beklagte, den „dezentralen Innendienst“ bundesweit „zu schließen“. Es wurde mit dem Gesamtbetriebsrat ein Sozialplan vereinbart.
Der Betriebsrat wurde nach Maßgabe des § 102 BetrVG zur Kündigung des Klägers angehört. Mit Schreiben vom 26. Juni 2007 kündigte die Beklagte das Arbeitsverhältnis ordentlich zum 30. Juni 2008.
Der nach § 102 BetrVG angehörte Betriebsrat ist der Meinung, dass es bei der beabsichtigten Beendigungskündigung seiner Zustimmung nach § 103 BetrVG bedürfe. Im Übrigen widersprach der Betriebsrat der Kündigung, mit der Begründung der Kläger könne eine Tätigkeit als „Außendienstmitarbeiter/Organisationsleiter“ in der Vertriebsdirektion übernehmen. Der Kläger bekundete gegenüber der Beklagten sein Interesse an einer Weiterbeschäftigung und verwies auf seine Bereitschaft „über die Modalitäten einer Weiterbeschäftigung zu verhandeln“.
Der Kläger ist der Meinung, dass die Voraussetzungen des § 15 Abs. 5 KSchG nicht vorliegen und dass die Beklagte nicht ihrer Pflicht nachgekommen sei ihm in eine andere Betriebsabteilung zu übernehmen, obwohl geeignete Arbeitsplätze vorhanden seien z.B. die des Betriebsdirektors oder eines Agenturleiters.
Der Kläger hat daraufhin fristgerecht Kündigungsschutzklage vor dem zuständigen Arbeitsgericht erhoben.
Zulässigkeit und Begründetheit der Kündigungsschutzklage?
 
A. Zulässigkeit
 
I. Rechtswegeröffnung
Die Rechtswegzuständigkeit zu den Arbeitsgerichten ist eröffnet gemäß § 2 Abs. 1 Nr. 3b ArbGG, weil eine Streitigkeit zwischen einem Arbeitnehmer und einem Arbeitgeber über das Bestehen oder Nichtbestehen des Arbeitsverhältnisses vorliegt.
 
II. Örtliche Zuständigkeit
Gemäß § 48 Abs. 1 Nr. 1a ArbGG ist das Arbeitsgericht örtlich zuständig, in dessen Bezirk der Arbeitnehmer seine Arbeit üblicherweise seine Arbeit verrichtet.
 
III. Instanzielle Zuständigkeit
In erster Instanz ist grds. das Arbeitsgericht zuständig, § 1 ArbGG i.V.m. § 8 Abs. 1 ArbGG. (Dreistufiger Aufbau der Arbeitsgerichtbarkeit: Arbeitsgerichte, Landesarbeitsgerichte, Bundesarbeitsgericht)
 
IV. Verfahrensart
Das Arbeitsgericht entscheidet hier im Urteilsverfahren gem. § 46 Abs. 1 ArbGG i.V.m. § 2 Abs. 1 Nr. 3b ArbGG und nicht im Beschlussverfahren, da keine Kollektivrechte geltend gemacht werden, denn es wird nicht um Rechte gestritten, die alle Arbeitnehmer im Betrieb betreffen, sondern um das Bestehen oder Nichtbestehen eines konkreten Arbeitsverhältnisses.
 
V. Antrag
Punktuelle Feststellungsklage gem. §§ 46 Abs. 2 ArbGG i.V.m. § 495 Abs. 1 ZPO ; § 256 Abs. 1 ZPO. Das Feststellungsinteresse ergibt sich aus der Präklusionsgefahr der §§ 4,7 KSchG. 
 
VI. Ergebnis
Die Kündigungsschutzklage ist zulässig.
 
B. Begründetheit
Die Kündigungsschutzklage ist begründet, wenn die Kündigung sich als unwirksam erweist.
 
I. Form
Die Formvorschriften einer Kündigung wurden eingehalten.
1. Schriftform, §§ 623, 126 Abs. 1 BGB (+)
2. Unterschrieben vom Kündigungsberechtigten (+)
 
II. Zugang (+)
 
III. Präklusion, §§ 7, 4 KSchG
Die Drei-Wochen-Frist zur Erhebung einer Kündigungsschutzklage ab Zugang der Kündigungserklärung wurde eingehaltengen, so dass keine Wirksamkeitsfiktion gem. §§ 7, 4 KSchG eingetreten ist.
 
IV. P: Ordnungsgemäße Betriebsratsbeteiligung
Fraglich ist, ob der Betriebsrat ordnungsgemäß beteiligt wurde.
 
1. Mitbestimmung bei Kündigungen, § 102 BetrVG
Grundsätzlich muss vor jeder Kündigung (Probezeitkündigung, Änderungskündigung, Beendigungskündigung) der Betriebsrat – soweit vorhanden- angehört werden, vgl. § 102 BetrVG. Da Betriebsräte einen besonderen Kündigungsschutz besitzen, darf Ihnen grundsätzlich nur außerordentlich gekündigt werden nach § 15 Abs. 1 Hs. 2 KSchG. Es gilt dann als Maßstab für die Betriebsratsbeteiligung, § 103 BetrVG.
 
2. Außerordentliche Kündigungen und Versetzung in besonderen Fällen, § 103 BetrVG
Wenn ein wichtiger Grund (vgl. § 626 BGB) vorliegt, der den Arbeitgeber zur fristlosen Kündigung eines Betriebsratsmitglieds berechtigt, muss der Arbeitgeber zunächst noch die ausdrückliche Zustimmung des Betriebsrats einholen, bevor er die Kündigung aussprechen darf, vgl. § 103 Abs. 1 BetrVG.
Wenn der Betriebsrat seine Zustimmung zur Kündigung eines Betriebsratsmitglieds verweigert, kann der Arbeitgeber beim Arbeitsgericht die Ersetzung der Zustimmung des Betriebsrats beantragen. Gleiches gilt, wenn der Betriebsrat innerhalb von drei Tagen ab Zugang des Zustimmungsantrags keine Erklärung abgegeben hat, denn in diesem Fall gilt die Zustimmung des Betriebsrats als verweigert.
 
Anmerkung: Achtung Präklusionsfrist!
Hat der Betriebsrat seine Zustimmung zur Kündigung des Betriebsratsmitglieds nicht erteilt und spricht der Arbeitgeber dennoch die Kündigung aus, ist diese ohne weiteres unwirksam. Allerdings muss das Betriebsratsmitglied auch die Unwirksamkeit der Kündigung wegen fehlender Zustimmung des Betriebsrats innerhalb einer Frist von drei Wochen ab Zugang der Kündigung mit einer Kündigungsschutzklage beim Arbeitsgericht geltend machen. Sonst gilt die Kündigung als wirksam (Wirksamkeitsfiktion, §§ 7, 4 KSchG).
 
3. Ausnahme: Ordentliche Kündigung nach § 15 Abs. 5 KSchG, § 102 BetrVG

„Für die Anhörung des Betriebsrates zu einer auf § 15 Abs. 5 KSchG gestützte Kündigungen gelten die allgemeinen, zu § 102 BetrVG entwickelten Grundsätze. Die Mitteilungspflicht des Arbeitgebers ist subjektiv determiniert. Der Arbeitgeber muss dem Betriebsrat nicht alle objektiven kündigungsrechtlich erheblichen Tatsachen nennen, sondern nur die aus seiner Sicht für die Kündigung auschlaggebenden Umstände mitteilen“.

 
Um zu beurteilen, ob der Betriebsrat ordnungsgemäß beteiligt wurde, ist zunächst die Frage zu klären, ob der besondere Kündigungsschutz nach § 15 Abs. 1 KSchG eingreift.
 
V. Allgemeiner Kündigungsschutz (-)
Allgemeine Kündigungsschutzgründe wie z.B. §§ 134, 138, 242 BGB liegen nicht vor.
 
VI. Besonderer Kündigungsschutz § 15 KSchG (soweit keine Ausnahme greift)
Hier hat die Beklagte gegenüber dem klagenden Betriebsratsmitglied eine ordentliche Kündigung ausgesprochen. Grundsätzlich kann nach § 15 Abs. 1 Hs. 2 KSchG einem Betriebsratsmitglied nur aus wichtigen Grund (außerordentlich) gekündigt werden. Der besondere Kündigungsschutz eines Betriebsratsmitglieds greift mit Beginn der Amtszeit ein und entfaltet noch ein Jahr nach Beendigung der Amtszeit eine Nachwirkung (§ 21 BetrVG, § 15 Abs. 1 S. 2 KSchG ).
 
1. Ausnahmen vom besonderen Kündigungsschutz:
Ausnahmen vom besonderen Kündigungsschutz sind in den §§ 15 Abs. 4, 15 Abs. 5 KSchG geregelt, sowie in den Fällen, in denen die Beendigung der Mitgliedschaft in der Arbeitnehmervertretung auf einer gerichtlichen Entscheidung beruht, vgl. § 15 Abs. 1 S. 2 Hs. 2. In diesem Fall hatte die Beklagte einen Fall von § 15 Abs. 5 KSchG geltend, eine sog Betriebsteilstilllegung.
 
Anmerkung:
Um die Härte für Personen mit besonderen Kündigungsschutz zu mildern, die nur aufgrund einer außerordentlichen Kündigung gekündigt werden können wird in solchen Fällen oft eine außerordentliche Kündigung mit „sozialer Auslauffrist“ ausgesprochen.
 
2. Voraussetzungen, § 15 Abs. 5 KSchG
 
a) Betriebsabteilung
„Eine Betriebsabteilung i.S.v. § 15 Abs. 5 KSchG ist ein räumlich und organisatorisch abgetrennter Teil eines Betriebes, der eine personelle Einheit erfordert, dem eigene technische Betriebsmittel zur Verfügung stehen und der einen eigenen Betriebszweck verfolgt, auch wenn dieser in einem bloßen Hilfszweck für den arbeitstechnischen Zweck des Gesamtbetriebs besteht.“
 
b) P: Fremdvergabe: Stilllegung/Verkleinerung des Betriebsteils
Es ist stets abzugrenzen, ob eine tatsächliche Stilllegung einer Abteilung erfolgt ist oder von einer Verkleinerung des Betriebes auszugehen ist.

„Eine Stilllegung setzt voraus, um die Gefahr einer Austauschkündigung auszuschließen, dass die „Fremdvergabe“ tatsächlich zur Aufgabe der Arbeitgeberstellung der Beklagten bei der Erledigung der betreffenden Arbeiten geführt hat“.

 
Anmerkung: in der Originalentscheidung wurde zur weiteren Feststellung von Tatsachen, ob ein Fall des § 15 Abs. 5 KSchG vorliegt an das Landesarbeitsgericht zurück verwiesen (§ 563 Abs. 1 S. 1 ZPO)
 
c) Anspruch auf Weiterbeschäftigung in einer anderen Betriebsabteilung
Grundsätzlich hat ein Betriebsratsmitglied Anspruch auf eine Weiterbeschäftigung auf einen vergleichbaren Arbeitsplatz in eine andere Betriebsabteilung unter Umständen sogar unter Freikündigung eines anderen Arbeitsplatzes. Sinn- und Zweck ist die Erhaltung des Gremiums Betriebsrates und dessen Funktionsfähigkeit, vgl. § 15 Abs. 5 Hs. 2 KSchG.
 
Hier jedoch bedurfte es keiner näheren Ausführungen zur Möglichkeit, den Kläger auf einen anderen „freizumachenden“ Arbeitsplatz zu besetzten, da kein vergleichbarer Arbeitsplatz vorhanden war. Die vom Kläger vorgeschlagenen Positionen waren alle „höherwertig“ dies wird u.a. abgegrenzt anhand der Gehaltsgruppierung .
 
d) Ergebnis
Kein Anspruch des Klägers auf Weiterbeschäftigung oder „Freikündigung“ in eine andere Betriebsabteilung, da kein entsprechender Platz vorhanden ist.
 
e) P: Anspruch auf höherwertigen Arbeitsplatz bei fachlicher Qualifikation
Teilweise wird die Auffassung vertreten, die nach § 15 Abs. 5 bestehende Übernahmepflicht sei nicht auf gleich- oder geringwertige Arbeitsplätze beschränkt. Um dem Betriebsratsmitglied im kollektiven Interesse die Beschäftigung zu sicheren, sei danach zu fragen, oder Mandatsträger aufgrund seiner tatsächlichen fachlichen Qualifikation in der Lage sei, einen Arbeitsplatz in einer anderen Betriebsabteilung zu besetzten. Beim Vorliegen dieser Voraussetzungen sei der Arbeitgeber grundsätzlich verpflichtet, dem Betriebsratsmitglied den höherwertigen Arbeitsplatz anzubieten. Da der Gesetzestext auch keine solche Einschränkung vorgibt (vgl. LAG Rheinland-Pfalz v. 13.11.2007 – 1 Sa 914/06).
 
aa) Schutzzweck § 15 KSchG – „Kein Anspruch auf Beförderung“
Dagegen spricht der Rechtscharakter des § 15 KSchG, welcher nur auf eine Bestandsicherung und einer Benachteiligungsverbot abziele. Eine Begünstigung aufgrund des Amtes sei nicht vom Schutzzweck erfasst. Weiter dient § 15 KSchG dem Bestandsschutz des Mandatsträgers nicht aber dem Arbeitsentgeltschutz, für den Fall, dass dieser auf einen Arbeitsplatz übernommen wird, für den schlechtere oder völlig andere Bedingungen gelten.
 
bb) Keine Begünstigung durch das Betriebsratsamt, § 78 S. 2 Hs. 1 BetrVG
Hinzu kommt, dass Betriebsratsmitglieder nach § 78 S. 2 Hs. 1 BetrVG wegen ihrer Tätigkeit nicht begünstigt werden dürfen. Dies gilt nach § 78 S. 2 Hs. 2 auch für die berufliche Entwicklung.
 
cc) Ergebnis
Kein Anspruch auf die „Freikündigung“ eines höherwertigen Arbeitsplatzes.
 
4. Ergebnis
Es lag ein Kündigungsgrund nach § 15 Abs. 5 KSchG vor. Eine Weiterbeschäftigungsmöglichkeit besteht nicht. Der Maßstab der Betriebsratsbeteiligung für eine Kündigung nach § 15 Abs. 5 KSchG richtet nicht nach § 103 BetrVG, d.h. der Betriebsrat musste nur Angehört werden und nicht der Kündigung zustimmen. Folglich war die Betriebsratsanhörung nach § 102 BetrVG auch ordnungsgemäß.
 
C. Ergebnis
Die Kündigung ist wirksam. Die Kündigungsschutzklage ist zulässig aber unbegründet.
 
D. Fazit
In besonderen Fällen ist eine ordentliche Kündigung eines Betriebsratsmitgliedes nach Maßgabe § 15 Abs. 4, Abs. 5 zulässig, wenn ein Betriebsteil stillgelegt wird und eine anderweitige gleichwertige Beschäftigung bzw. eine Änderungskündigung zu schlechteren Bedingungen nicht möglich ist. Bei einer ordentlichen Kündigung nach § 15 Abs. 4, Abs. 5 KSchG eines Betriebsratsmitgliedes richtet sich die Beteiligung des Betriebsrates nach § 102 BetrVG.

12.08.2014/0 Kommentare/von Maria Dimartino
https://www.juraexamen.info/wp-content/uploads/2022/05/je_logo.svg 0 0 Maria Dimartino https://www.juraexamen.info/wp-content/uploads/2022/05/je_logo.svg Maria Dimartino2014-08-12 14:12:532022-08-05 07:38:35Besonderer Kündigungsschutz für Betriebsratsmitglieder – vgl. BAG v. 23.2.2010 – 2 AZR 656/08
Maria Dimartino

Fallbeispiel: „Low Performer – Kündigung“ Fallbeispiel nach: BAG Urteil v. 11.12.2003 Az. 2 AZR 667/02 (vgl. auch BAG Urteil v. 17.01.2008 Az. 2 AZR 536/06)

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Sachverhalt
K ist 1947 geboren und seit 1980 bei einem Einzelhandelsunternehmen E (bzw. seiner Rechtsvorgängerin) als Kommissionierer beschäftigt. Sein Entgelt setzt sich aus einer Grundvergütung und einer Prämie zusammen. Eine Prämie wird gezahlt, wenn der Arbeitnehmer die mit Zahlenwert 1,0 versehene Normalleistung überschreitet. Die Leistungswerte des K lagen 1999 bei 0,57 und im Jahre 2000 bei 0,62. Die durchschnittlich erreichte Prämienstufe der Kommissionssammler im Hauptlager lag 1999 bei 1,06 und im Jahre 2000 bei 1,01. E wies in zwei Gesprächen den K auf seine nicht ausreichenden Leistungen hin. K erhielt 1999 und 2000 jeweils eine Abmahnung in der er durch die E zu einer Leistung von mindestens 1,0 aufgefordert wurde. Als sich keine Veränderung der Leistung einstellte kündigte die E dem K ordentlich. Daraufhin erhob K fristgerecht Kündigungsschutzklage vor dem zuständigen Arbeitsgericht.
Begründetheit der Kündigungsschutzklage?
A. Zulässigkeit
Die Kündigungsschutzklage ist zulässig.
B. Begründetheit
I. Bestehen eines Arbeitsverhältnis z.Z. der Kündigung
Zwischen den Parteien bestand unstreitig zum Zeitpunkt des Ausspruchs der Kündigung ein wirksames Arbeitsverhältnis.
II. Wirksame Kündigungserklärung
1. Schriftform, §§ 623, 126 BGB
Eine Kündigung muss immer schriftlich erfolgen, vgl. § 623 BGB
2. Erklärung durch Kündigungsberechtigten
Die Kündigung muss vom Kündigungsberechtigen unterschrieben worden sein, soweit nicht der „Chef“ selbst unterschrieben hat ist darauf zu achten, dass eine Originalvollmacht anbei liegt. Liegt keine Originalvollmacht anbei kann die Kündigung ggf. zurückgewiesen werden, vgl. § 174 BGB.
3. Zugang der Kündigung, § 130 BGB
Die Kündigung ist dem K auch unstreitig postalisch zugegangen. Anmerkung: In der Praxis wird eine direkte Übergabe im Betrieb gegen Empfangsbestätigung oder eine Zustellung durch einen Boten, der zu Beweiszwecken den Inhalt des Schreibens kennt, empfohlen.
III. Rechtzeitige Erhebung der Kündigungsschutzklage
Die Kündigung muss innerhalb der Drei-Wochen-Frist angegriffen werden, § 4 S.1 KSchG. Die Frist beginnt ab Zugang der schriftlichen Kündigung. Geschieht dies nicht tritt die Präklusionswirkung des § 7 KSchG ein mit der Folge, dass die Kündigung als von Anfang an als wirksam gilt.
IV. Allgemeine Kündigungsschutzgründe z.B. §§ 134, 138, 242 BGB (-)
V. Besonderer Kündigungsschutz/Zustimmungserfordernis
Es ist kein besonderer Kündigungsschutz bzw. ein Zustimmungserfordernis ersichtlich z.B. § 85 SGB IX, § 9 MuSchG, § 18 BEEG, §§ 15 KSchG i.V.m. § 103 BetrVG (-)
VI. Betriebsratsanhörung, § 102 BetrVG
Bei einer Kündigung wegen Schlecht- bzw. Minderleistung sollte soweit ein Betriebsrat vorhanden ist dieser vorsorglich immer zu einer personenbedingten als auch zu einer verhaltensbedingten Kündigung angehört werden.
VII. Anwendung des Kündigungsschutzgesetzes
1. Arbeitnehmer
K ist unstreitig Arbeitnehmer der E.
2. Wartezeit erfüllt, § 1 Abs. 1 KSchG (sechs Monate)
K hat die Wartezeit von sechs Monaten des § 1 Abs. 1 KSchG erfüllt, da sein Arbeitsverhältnis bei E bereits seit 1980 besteht (Betriebszugehörigkeit über 20 Jahre).
3. Kein Kleinunternehmen gem. § 23 KSchG
Es handelt sich hier nicht um einen Kleinbetrieb i.S.d § 23 KSchG so, dass die Kündigung am Maßstab der sozialen Rechtfertigung nach § 1 KSchG zu überprüfen ist.
4. Soziale Rechtfertigung, § 1 Abs. 2 KSchG
Sozial ungerechtfertigt ist eine Kündigung, wenn sie nicht durch Gründe die in der Person oder im Verhalten des Arbeitnehmers liegen, oder durch dringende betriebliche Erfordernisse, die einer Weiterbeschäftigung des Arbeitnehmers in diesem Betrieb entgegenstehen, bedingt ist (§ 1 Abs. 2 S. 1 KSchG).
a) Betriebsbedingte Kündigung
Eine betriebsbedingte Kündigung kommt hier nicht Betracht, da durch Einführung des Mess-Systems gekoppelt mit einer Leistungsabhängigen Prämienzahlung weder der Arbeitsplatz aufgrund einer unternehmerischen Entscheidung weggefallen ist noch sich die Anforderungen aufgrund dieses Systems gravierend geändert haben.   In Betracht kommt hier vielmehr sowohl eine Verhaltensbedingte als auch eine personenbedingte Kündigung wegen Schlecht- bzw. Minderleistung (sog. Low Performer Kündigung). Ein verhaltensbedingter Grund läge vor: „wenn der Mitarbeiter kann, aber nicht will“. Ein in der Person bedingter Kündigungsgrund läge hingegen vor: „wenn der Mitarbeiter will, aber nicht kann“.
b) Verhaltensbedingte Kündigung
Für eine verhaltensbedingte Kündigung genügen solche im Verhalten des Arbeitnehmers liegende Umstände, die bei einer verständigen Würdigung in Abwägung der Interessen der Vertragsparteien und des Betriebes die Kündigung als billigenswert und angemessen erscheinen lassen.
aa) Pflichtverletzung
Als verhaltensbedingter Grund ist insbesondere eine rechtswidrige Pflichtverletzung aus dem Arbeitsvertrag geeignet. Für diese ist regelmäßig ein Verschulden (§ 276 BGB) erforderlich. Eine Pflichtverletzung kann bei quantitativen (Minderleistung) oder qualitativen Mängeln (Schlechtleistung) über einen längeren Zeitraum vorliegen, die das Austauschverhältnis erheblich stören. K arbeitet nicht schlecht, sondern erreicht hier nicht die durch den Arbeitgeber ermittelte Durchschnittsleistung, so dass ein Fall von Minderleistung vorliegen könnte.
(1) Maßstab
Eine Minder- oder Schlechtleistung im arbeitsrechtlichen Sinne liegt erst vor, wenn die Ist-Leistung von der geschuldeten Soll-Leistung erheblich abweicht. Die Soll-Leistung bestimmt sich nach den arbeitsvertraglichen Vereinbarungen (Menge, Qualität) oder das im Rahmen des Direktionsrecht festgelegten Arbeitsinhalts unter Ausschöpfung der persönlichen, subjektiven Leistungsfähigkeit des Arbeitnehmers. Ein rein objektiver Maßstab ist nicht anzusetzen, dies wird dem Charakter des Arbeitsvertrages als besonderer Dienstvertrag nicht gerecht. Geschuldet ist das Wirken nicht das Werk (a.A. Hunold BB 2003, 2345f – objektive Normalleistung).

„Der Arbeitnehmer muss tun, was er soll, und zwar so gut, wie kann.“

Normalleistung = Ausschöpfung der persönlichen Leistungsfähigkeit Fraglich ist was eine Normalleistung ist und wonach diese bemessen wird. Der Arbeitnehmer muss unter Ausschöpfung seiner persönlichen Leistungsfähigkeit arbeiten. Dies ist für einen Arbeitgeber jedoch nicht ohne objektive Kriterien erkennbar, denn wenn ein Arbeitnehmer unterdurchschnittliche Leistungen erbringt, muss das nicht zwangsläufig bedeuten, dass der Arbeitnehmer seine persönliche Leistungsfähigkeit nicht ausschöpft.

„In einer Vergleichsgruppe ist stets ein Angehöriger der Gruppen das Schlusslicht. Das kann seine Ursache auch darin haben, dass die übrigen Gruppenangehörigen besonders leistungsstark sind, sich überfordern oder dass umgekehrt der gruppenschwächste Arbeitnehmer besonders leistungsschwach ist […]“.

D.h. nicht jede unterdurchschnittliche Leistung eines Arbeitnehmers stellt eine arbeitsrechtlich relevante „low performance“ dar.

„Andererseits ist das deutliche und längerfristige Unterschreiten des von vergleichbaren Arbeitnehmern erreichten Mittelwert oft der einzige für den Arbeitgeber erkennbare Hinweis darauf, dass der schwache Ergebnisse erzielende Arbeitnehmer Reserven nicht ausschöpft, die mit zumutbaren Anstrengungen nutzbar wären […]“

(2) Darlegungs- und Beweislast einer erheblichen Störung der betrieblichen Interessen durch Schlechtleistung/Minderleistung
Dieser Konflikt zwischen der geschuldeten Ausschöpfung der (subjektiven) persönlichen Leistungsfähigkeit des Arbeitnehmers und der rein objektiven Möglichkeit der Leistungsbemessung und Vergleichbarkeit für den Arbeitgeber, löst das BAG nach den Regeln der abgestuften Darlegungs- und Beweislast. Nach § 1 Abs. 2 S. 4 KSchG trifft den Arbeitgeber die Darlegung- und Beweislast im Falle einer Kündigung, d.h. er hat die Tatsachen darzulegen und zu beweisen, welche die Kündigung bedingen. Das hat zur Folge, dass bei einer sog. Low Performer Kündigung, der Arbeitgeber grds. nicht nachweisen kann dass der Arbeitnehmer sein subjektives Leistungsvermögen nicht voll ausschöpft. In der Praxis besteht weiter das Problem der Messbarbarkeit der Arbeitsleistung bzw. der Fehlerhäufigkeit. Diese lässt sich nicht für alle Berufsgruppe einfach ermittelt (insbesondere im Dienstleistungssektor), u.a. ist auch die Ermittlung einer aussagekräftigen Durchschnittsleistung nicht immer einfach. Eine Durchschnittsleistung lässt sich nur ermitteln, wenn eine größere Anzahl von Mitarbeitern im Wesentlichen die gleiche Arbeit leistet (Problem einer Vergleichsgruppe in mittelständigen Betrieben).
1. Stufe: Erhebliche Unterschreitung
Der Arbeitgeber muss Tatsachen vortragen, aus denen sich ergibt, dass der betroffene Arbeitnehmer deutlich hinter der Leistung von vergleichbaren Arbeitnehmern zurückbleibt, also eine erhebliche Unterschreitung der Arbeitsleistung vorliegt. Das BAG nimmt eine erhebliche Unterschreitung der Arbeitsleistung mit Beeinträchtigung des Austauschverhältnisses an, wenn die Leistung des Arbeitnehmers dauerhaft deutlich mehr als 1/3 der Durchschnittsleistung unterschreitet. Anmerkung: Diese Berechnung kann nicht ohne Weiteres auf Fälle der Schlechtleistung übertragen werden, vgl. BAG Urteil v. 17.01.2008 Az. 2 AZR 536/06.
2. Stufe: Qualifiziertes Bestreiten
Der Arbeitnehmer muss dies qualifiziert bestreiten. Beispielsweise muss er das Zahlenwerk und seine Aussagekräftigkeit im Einzelnen bestreiten und/oder darlegen, warum er mit seiner deutlich unterdurchschnittlichen Leistung dennoch seine persönliche Leistungsfähigkeit ausschöpft. Hier können altersbedingte Leistungsdefizite, Beeinträchtigungen durch Krankheit oder durch betriebliche Umstände eine Rolle spielen. Trägt der Arbeitnehmer solcher Umstände nicht vor, so gilt das schlüssige Vorbringen des Arbeitgebers als zugestanden (vgl. § 138 Abs. 3 ZPO). Anmerkung: In diesem Punkt hatte das BAG den Fall als noch nicht Entscheidungsreif gesehen.
(3) Verschulden
Der Ausspruch einer verhaltensbedingten Kündigung setzt regelmäßig voraus, dass die dem Arbeitnehmer vorgeworfene Pflichtverletzung schuldhaft begangen wurde. Wird eine Schlechtleistung bzw. Minderleistung festgestellt, so steht damit ebenso fest, dass der Arbeitnehmer zumindest die übliche Sorgfalt außer Acht gelassen hat (§ 276 BGB). Das Verschulden nach § 276 BGB gilt auch im Arbeitsrecht uneingeschränkt zu beachten ist jedoch die Beweislastregelung des § 619a BGB.
bb) Verhältnismäßigkeit (Ultima-Ratio) – milderes Mittel
Denkbar wäre soweit möglich eine Versetzung im Rahmen des Direktionsrechtes, diese ist hier aber nicht sinnvoll möglich, da alle Kommissionierer zu den selben Bedingungen arbeiten. Abmahnungen sind erfolgt, das Verhalten Arbeitsleistung hat sich nicht geändert. Diese ist auch nicht durch eine kurzweilige Nachschulung änderbar. Ggf. wäre noch Änderungskündigung mit leistungsangepasster Entlohnung denkbar. (Bei einer Schlechtleistung wäre eine Änderungskündigung nicht immer ein sinnvolles milderes Mittel – vgl. BAG Urteil v. 17.01.2008 Az. 2AZR 536/06)
cc) Interessenabwägung

  • Dauerhafte Minder-bzw. Schlechtleistung
  • Betriebliche Auswirkungen
  • Negative Prognose
  • Dauer der Betriebszugehörigkeit
  • Alter des Arbeitnehmers und Arbeitsmarktchancen

dd) Ergebnis
Soweit keine Änderungskündigung möglich ist wird eine ordentliche verhaltensbedingte Kündigung Erfolg haben. (Das BAG hatte in der Originalentscheidung an das LAG zurückverwiesen wegen weiterer Tatsachenerhebungen bzgl. der abgestuften Darlegungs- und Beweislast und auch darauf hingewiesen, dass das LAG ggf. eine personenbedingte Kündigung überprüfen müsse)
c) Personenbedingte Kündigung
aa) Gründe in der Person
Eine personenbedingte Kündigung kann sozial gerechtfertigt sein, wenn der Arbeitnehmer aus Gründen, die in seiner Sphäre liegen, jedoch nicht von ihm verschuldet sein müssen, zu der nach dem Vertrag vorausgesetzten Arbeitsleistungen ganz oder teilweise nicht mehr in der Lage ist.

„Eine personenbedingte Kündigung wegen Minderleistung setzt deshalb nicht voraus, dass der Arbeitnehmer gegen die subjektiv zu bestimmende Leistungspflicht verstößt. Es kommt darauf an, ob die Arbeitsleitung die berechtigte Gleichwertigkeitserwartung des Arbeitgebers in einem Maße unterschreitet, dass ihm ein Festhalten an dem (unveränderten) Arbeitsvertrag unzumutbar wird […]“.

bb) Negativprognose
Weiter muss feststehen, dass auch für die Zukunft nicht mit einer Wiederherstellung des Gleichgewichts von Leistung und Gegenleistung zu rechnen ist und kein milderes Mittel zur Wiederherstellung eines Vertragsgleichgewichts zur Verfügung steht (z.B. Schulung).
cc) Erhebliche Beeinträchtigung betrieblicher Interessen
Diese Minderleistung muss sich erheblich auf die betrieblichen Interessen auswirken. Das BAG erachtet eine Minderleistung als erheblich, wenn ein Arbeitnehmer die Durchschnittsleistung längerfristig mehr als 1/3 unterschreitet.
dd) Milderes Mittel
Ein milderes Mittel kann beispielsweise eine Herbeiführung von Änderungen der Vertragsbedingung durch eine Änderungskündigung sein (Versetzung, Vergütungsanpassung).
ee) Interessenabwägung (s.o.)
ff) Ergebnis
Dem Vortrag der Parteien ließen sich keine Tatsachen entnehmen, die darauf hinwiesen, dass K wegen eines in seiner Person liegenden Grundes die durchschnittliche Arbeitsleistung nicht erbringen konnte. Das BAG hatte hier an das LAG wegen weiter zu treffender Feststellungen zurück verwiesen.
C. Fazit
Soweit nicht vertraglich eine Leistung genau definiert wurde, kommt es bei der Bestimmung einer Schlecht- bzw. Minderleistung auf das subjektive Leistungsvermögen des Arbeitnehmers an. Nicht jede Schlechtleistung bzw. Minderleistung stellt einen Kündigungsgrund dar. Es muss eine erhebliche Minder- bzw. Schlechtleistung über einen längeren Zeitraum vorliegen und kein milderes Mittel zur Verfügung stehen. Eine Kündigung ist und bleibt das letzte Mittel (Ultima-Ratio). Eine Kündigung wegen Schlecht-/Minderleistung kann aus verhaltensbedingten oder personenbedingten Gründen erfolgen, dies sollte schon bei der Betriebsratsanhörung berücksichtigt werden. Der Interessenkonflikt zwischen Arbeitgeber und Arbeitnehmer wird durch die Regeln der abgestuften Darlegungs- und Beweislast gelöst.

16.06.2014/4 Kommentare/von Maria Dimartino
https://www.juraexamen.info/wp-content/uploads/2022/05/je_logo.svg 0 0 Maria Dimartino https://www.juraexamen.info/wp-content/uploads/2022/05/je_logo.svg Maria Dimartino2014-06-16 10:58:502014-06-16 10:58:50Fallbeispiel: „Low Performer – Kündigung“ Fallbeispiel nach: BAG Urteil v. 11.12.2003 Az. 2 AZR 667/02 (vgl. auch BAG Urteil v. 17.01.2008 Az. 2 AZR 536/06)
Tom Stiebert

BGH: Zulässigkeit und Rechtsfolgen der Untervermietung – Ein aktueller Klassiker

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Der Bundesgerichtshof hat mit Urteil vom 8.1.2014 (VIII ZR 210/13) einen Klausurklassiker neu belebt: Es geht um die Zulässigkeit der Untervermietung einer Wohnung und die daraus resultierenden Rechtsfolgen einer unzulässigen Untervermietung. Hier hat der BGH die Frage entschieden, wie weit die Erlaubnis zur Untervermietung reicht. Bisher wurden eher die Rechtsfolgen dieser Frage von der Rechtsprechung betrachtet. Nun tritt ein neuer Klausurbaustein hinzu.
Der Fall eignet sich also perfekt, um das absolut notwendige Wissen zur Untervermietung zu wiederholen.
I. Rechtmäßigkeit der Untervermietung
Grunsätzlich ist die Untervermietung unzulässig (vgl. § 540 BGB). Es bedarf also einer entsprechenden Erlaubnis durch den Vermieter. Liegt diese nicht vor, so ist zu fragen, welche Ansprüche der Vermieter gegen den Mieter hat. Aber selbst wenn eine entsprechende Erlaubnis vorliegt, muss zunächst ihre Reichweite geprüft werden. Dies hat der BGH in seinem aktuellen Urteil getan. Im konkreten Fall erteilte der Vermieter eine „Erlaubnis zur Untervermietung „ohne vorherige Überprüfung“ gewünschter Untermieter“. Hintergrund war, dass der Mieter die Wohnung nur aller 14 Tage zum Besuch seiner Tochter nutzte und im übrigen Zeitraum damit untervermieten wollte.
Der Vermieter bot nun die Wohnung an Dritte zur Untervermietung an. Es erfolgte eine „tageweisen Anmietung von bis zu vier Feriengästen“. Fraglich war, ob dies durch die Erlaubnis gedeckt war. Dies hat der BGH nun verneint. Die Reichweite der Erlaubnis zur Untervermietung ist nach den allgemeinen Regeln zur Auslegung von Willenserklärungen (§§ 133, 157 BGB) zu ermitteln.
Hier kam der BGH zu dem Ergebnis,

„dass die Überlassung der Wohnung an beliebige Touristen sich von einer gewöhnlich auf gewisse Dauer angelegten Untervermietung unterscheidet und deshalb nicht ohne weiteres von einer Erlaubnis zur Untervermietung umfasst ist. Hier hatte die Vermieterin zudem verlangt, dass der Beklagte den Untermietern Postvollmacht erteilen solle; schon daraus war erkennbar, dass sich die Erlaubnis nicht auf die Vermietung an Touristen bezog, die eine derartige Funktion offensichtlich nicht wahrnehmen konnten.“

Die tageweise Überlassung an Feriengäste etc. ist damit nicht von der Erlaubnis nach § 540 BGB erfasst. Damit war die Untervermietung an die Feriengäste unzulässig.
In einer Klausur würde sich an dieser Stelle auch sehr gut die Prüfung des § 553 Abs. 1 BGB anbieten. Hier ist insbesondere zu klären, wann ein berechtigtes Interesse des Mieters an einer Erlaubniserteilung besteht. Dieses kann swohl aus höchstpersönlichen, aber auch aus finanziellen und wirtschaftlichen Gründen resultieren.
II. Rechtsfolgen einer rechtswidrigen Untervermietung
Fraglich ist, welche Rechtsfolgen aus einer solch rechtswidrigen Untervermietung resultieren, welche Ansprüche also der Vermieter gegenüber seinem Mieter geltendmachen darf.
1. Kündigung
Zunächst kommt eine Kündigung durch den Vermieter in Betracht (§ 543 Abs. 2 S. 1 Nr. 2 BGB). Allein das bloße Nichtvorliegen einer Erlaubnis berechtigt allerdings zur Kündigung dann noch nicht, wenn ein Anspruch auf Erlaubniserteilung nach § 553 Abs. 1 BGB bestehen würde. Hier kann es also zu einer Inzidenzprüfung kommen.
Absolut examensrelevant ist an dieser Stelle auch die ganz aktuelle Rechtsprechung des BGH zur Möglichkeit der Kündigung des Mieters bei Rücknahme einer Untervermieterlaubnis. Hier ist der BGH verhälötnismäßig streng (BGH, Urt. v. 4.12.2013 – VIII ZR 5/13)
2. Regress gegen Mieter
Bedeutsamer sind aber die Regressansprüche des Vermieters gegen den Mieter bei einer unzulässigen Untervermietung. Er hat hier ein Interesse daran, vom Mieter die (zu Unrecht) vom Untermieter erlangte Miete erstattet zu bekommen.
a) Vertragliche Ansprüche
Anspruchsgrundlage könnte hier § 280 Abs. 1 BGB iVm § 535 BGB sein. Einziges Problem ist hier das Vorliegen eines Schadens – Schuldverhältnis und Pflichtverletzung liegen unproblematisch vor. Zumindest die eigentliche Untermiete kann hierunter nicht subsumiert werden. Möglicherweise hätte der Vermieter aber die Miete erhöht, wenn er eine Untervermietungserlaubnis erteilt hätte (vgl. § 553 Abs. 2 BGB). Scheint hier bereits die Kausalität fraglich, so steht einem Anspruch nach Ansicht des BGH zumindest die gesetzliche Wertung des BGB entgegen, dass die Ansprüche bei unberechtigter Untervermietung abschließend regelt (vgl. §§ 549 Abs. 1, 543 Abs. 2 Nr. 2 BGB).
b) Vertragsähnliche Ansprüche
Abzulehnen ist auch ein Anspruch aus GoA (§ 684 S. 1 BGB). Durch den Mietvertrag ist die (Unter)vermietung kein Geschäft des Vermieters mehr. Er verfügt gerade nicht mehr über die Sache.
Es bleiben damit nur bereicherungsrechtliche, dingliche und deliktsrechtliche Ansprüche.
c) Dingliche Ansprüche
Auch ein Anspruch aus §§ 987, 990 BGB ist hier abzulehnen. Dazu müsste der Mieter als Besitzer gegenüber dem Vermieter nicht (mehr) zum Besitz berechtigt sein. Dies liegt aber nicht vor, da der Mietvertrag den Mieter gerade hierzu berechtigt. Zu erwägen wäre zwar, die Möglichkeit, die konkrete Nutzung des Beitzes für unzulässig zu erachten (nicht-so-berechtigter-Besitz). Eine solche Konstruktion ist aber abzulehnen. Eine Aufsplittung des Besitzes ist nicht möglich. Eventuelle Verstöße sind allein über § 280 BGB zu ahnden. Etwas anderes gilt allerdings ab der Rechtshängigkeit des Herausgabeanspruchs (BGH v. 12.8.2009 – XII ZR 76/08).

d) Deliktsrechtliche Ansprüche
Gleiches gilt auch für einen Anspruch aus § 823 BGB – hier scheidet bereits eine Eigentumsverletzung aus. Der Mieter hat gerade das Recht, das Eigentum vollumfänglich zu nutzen. Verstöße hiergegen sind allein über § 280 BGB zu ahnden. Überdies wäre auch hier das Vorliegen eines Schadens fraglich.
e) Bereicherungsrechtliche Ansprüche
Damit bleiben allein bereicherungsrechtliche Ansprüche bestehen. Verneint wird hier ein Anspruch aus § 816 Abs. 1 S. 1 BGB. Zunächst liegt bereits keine Verfügung im Sinne dieser Regelung vor; die Rechte des Vermieters werden nicht beeinträchtigt; aber auch eine analoge Anwendung scheitert. Diese würde voraussetzen, dass der Mieter etwas erlangt, das eigentlich dem Vermieter zusteht. Da der Vermieter aber bereits an den Mieter vermietet hat, dürfte er nicht mehr untervermieten. § 816 Abs. 1 S. 1 BGB scheidet damit aus.
Diese Wertung zeigt sich auch bei § 812 Abs. 1 S. 1 Var. 2 BGB. Der Mieter greift gerade nicht in den Zuweisungsgehalt des Vermieters ein, da er eben sebst durch den Abschuss des Mietvertrages mit dem Mieter nicht zur weiteren Untervermietung mehr berechtigt ist.
f) Fazit
Damit zeigt sich, dass Regressansprüche gegen den Mieter nicht in Betracht kommen. Dies begründet der BGH mit allgemeinen Gerechtigkeitserwägungen (BGH, Urteil vom 13.12.1995 – XII ZR 194/93):

Der Senat sieht auch sonst keinen Anlaß, von der bisherigen Rechtsprechung des BGH abzuweichen, zumal sie den Vermieter nicht unbillig benachteiligt. Gegen den unbefugten Gebrauch der Mietsache durch einen Dritten kann der Vermieter sich – wie dargelegt – durch fristlose Kündigung oder Unterlassungsklage wehren, §§ BGB § 550, BGB § 553 BGB. Soweit ihm aus der unbefugten Untervermietung ein Schaden – beispielsweise durch erhöhte Abnutzung – entstehen sollte, ist ihm der Mieter ohnehin ersatzpflichtig. Durch die Untervermietung als solche entsteht dem Vermieter jedoch kein Schaden, so daß auch Ansprüche aus positiver Vertragsverletzung ausscheiden. Unter diesen Umständen sprechen auch Gründe der Billigkeit nicht dafür, ihm darüber hinaus die Wahlmöglichkeit zu eröffnen, die unbefugte Untervermietung hinzunehmen und anstelle der im Gesetz ausdrücklich vorgesehenen Sanktionen Zugriff auf den vom Mieter erzielten Untermietzins zu nehmen (vgl. auch Reuter/Martinek, S. 311).
 

III. Examensrelevanz
Die Rechtsprechung zur Untervermietung, die auch gern im Examen geprüft wird, sollte zumindest in Ansätzen bekannt sein. Durch das neue Urteil wird sie um eine zusätzliche Facette angereichert. Letztlich ist eine saubere Prüfung möglicher Anspruchsgrundlagen geboten. Zudem sollte bekannt sein, dass der BGH Ansprüche des Vermieters grundsätzlich verneint. Etwas anderes kann aber dann gelten, wenn der Mietvertrag nicht (mehr) besteht. Hier müssten die Wertungen dann modifiziert werden.

21.01.2014/7 Kommentare/von Tom Stiebert
https://www.juraexamen.info/wp-content/uploads/2022/05/je_logo.svg 0 0 Tom Stiebert https://www.juraexamen.info/wp-content/uploads/2022/05/je_logo.svg Tom Stiebert2014-01-21 16:00:482014-01-21 16:00:48BGH: Zulässigkeit und Rechtsfolgen der Untervermietung – Ein aktueller Klassiker
Dr. Stephan Pötters

BGH: Ausschluss der ordentlichen Kündigung trotz unwirksamer Befristungsabrede im Mietvertrag

BGB AT, Mietrecht, Rechtsgebiete, Rechtsprechung, Rechtsprechungsübersicht, Schon gelesen?, Startseite, Zivilrecht, Zivilrecht

In einem aktuellen Urteil (BGH vom 10.7.2013 – VIII ZR 388/12; vgl. hierzu die Pressemitteilung Nr. 11/13) entschied der BGH, dass bei einer unwirksamen Befristung in einem Mietvertrag im Wege ergänzender Vertragsauslegung (§§ 133, 157 BGB) von einem Ausschluss der ordentlichen Kündbarkeit für den Befristungszeitraum auszugehen sei. Dem Fall lag folgender Sachverhalt zugrunde:

Sachverhalt

Der Beklagte mietete von der Klägerin ab dem 1. November 2004 eine Wohnung. Der Vertrag enthält folgende Bestimmung:

„Das Mietverhältnis ist auf Verlangen des Mieters auf bestimmte Zeit abgeschlossen. Es beginnt am 1. November 2004 und endet am 31. Oktober 2011, wenn es nicht verlängert wird mit 2 x 3-jähriger Verlängerungsoption.“

Mit Schreiben vom 28. Februar 2011 kündigte die Klägerin das Mietverhältnis wegen Eigenbedarfs zum 31. August 2011. Mit Schreiben vom 2. Oktober 2012 kündigte sie fristlos. Der Beklagte zog jedoch nicht aus. Die Klägerin verlangte daraufhin die Räumung der Wohnung.

Unwirksamkeit der Befristung

Die Befristungsabrede ist unwirksam. Vorliegend ist zu beachten, dass bei einem Mietverhältnis über Wohnraum neben den allgemeinen Mietrechtsvorschriften auch die Sonderregeln des Untertitels 2 (§§ 549 ff. BGB) eingreifen. Eine Befristung ist bei Wohnraummietverhältnissen nur nach § 575 BGB möglich:

(1) Ein Mietverhältnis kann auf bestimmte Zeit eingegangen werden, wenn der Vermieter nach Ablauf der Mietzeit

1. die Räume als Wohnung für sich, seine Familienangehörigen oder Angehörige seines Haushalts nutzen will,

2. in zulässiger Weise die Räume beseitigen oder so wesentlich verändern oder instand setzen will, dass die Maßnahmen durch eine Fortsetzung des Mietverhältnisses erheblich erschwert würden, oder

3. die Räume an einen zur Dienstleistung Verpflichteten vermieten will

und er dem Mieter den Grund der Befristung bei Vertragsschluss schriftlich mitteilt. Anderenfalls gilt das Mietverhältnis als auf unbestimmte Zeit abgeschlossen.

(2) …

(4) Eine zum Nachteil des Mieters abweichende Vereinbarung ist unwirksam.

Die Voraussetzungen dieser Vorschrift waren im vorliegenden Fall nicht erfüllt. Die Befristung ist somit unwirksam, das Mietverhältnis gilt gem. § 575 Abs. 1 S. 2 BGB als auf unbestimmte Zeit geschlossen.

Aber: Ordentliche Kündigung ausgeschlossen

Die Wirkung einer Befristungsabrede ist, dass die ordentliche Kündigung für den Befristungszeitraum ausgeschlossen ist. Dies ergibt sich – trotz der speziellen Regelung in § 575 BGB – aus der allgemeinen Vorschrift des § 542 Abs. 2 Nr. 1 BGB (s. nur MüKO-BGB/Häublein, 6. Aufl. 2012, § 575 Rn. 4). Der „Clou“ der hier besprochenen Entscheidung ist nun, dass der BGH im Wege ergänzender Vertragsauslegung trotz der Unwirksamkeit der Befristungsabrede letztlich dieselbe Rechtsfolge herstellt.

Exkurs: Dogmatische Grundlage des Rechtsinstituts der ergänzenden Vertragsauslegung sind nach hM §§ 133, 157 BGB (ausführlich MüKO-BGB/Busche, 6. Aufl. 2012, § 157 Rn. 26 ff.). Voraussetzung ist zunächst eine Lücke in der vertraglichen Regelung. Diese ist gegeben, „wenn der Vertrag innerhalb des durch ihn gesteckten Rahmens oder innerhalb der wirklich gewollten Vereinbarungen ergänzungsbedürftig ist“ (BGHZ 77, 301, 304). Diese Lücke ist durch eine ergänzende Vertragsauslegung nach §§ 133, 157 BGB zu schließen. Dabei ist darauf abzustellen, „was die Parteien bei einer angemessenen Abwägung ihrer Interessen nach Treu und Glauben vereinbart hätten, wenn sie den von ihnen nicht geregelten Fall bedacht hätten” (BGHZ 169, 215, 219). Dabei darf  die Auslegung des Vertrages nicht zu einer Erweiterung des Vertragsgegenstandes führen und muss in dem Vertrag auch eine Stütze finden (BGHZ 9, 273; BGHZ 40, 91, 103).

Übertragen auf den vorliegenden Fall bedeutet dies: Aufgrund der Unwirksamkeit nach § 575 BGB ist im Vertrag eine Lücke entstanden. Diese ist nach dem BGH durch eine ergänzende Vertragsauslegung zu schließen. Da das von beiden Parteien verfolgte Ziel einer langfristigen Bindung an den Mietvertrag durch einen beiderseitigen Kündigungsverzicht erreicht werden könne, sei ein solcher Ausschluss der ordentlichen Kündigung für die Dauer der Befristung anzunehmen.

Typische Klausur im (Wohnraum-) Mietrecht

Der Fall ist typisch für eine Klausur im Mietrecht. Hier zeichnet sich eine gute Arbeit vor allem durch ein systematisches Verständnis des Mietrechts aus. Das Ineinadergreifen der AT- und BT-Vorschriften ist gerade bei Wohnraummietverhältnissen bei bloßem Durchblättern des Gesetzes nicht immer einfach zu verstehen – hier hilft ein schneller Blick in das Inhaltsverzeichnis. Danach wird deutlich: Es gibt neben dem „allgemeinen AT“ des Mietrechts (§§ 535 ff. BGB) noch einen „besonderen AT“ nur für Wohnraummietverhältnisse (§§ 549-555 BGB) und dann noch die besonderen Vorschriften für Wohnraummietverhältnisse (§§ 556 ff. BGB).

Neben diesen systematischen Schwierigkeiten eignet sich das Mietrecht auch deshalb gut für Examensklausuren, weil es sich ideal mit Problemen aus dem BGB AT (Zugang einer Kündigung, Stellvertretung etc.) und des allgemeinen Schuldrechts (vor allem AGB-Recht, aber zB auch Vertrag mit SchuWi) kombinieren lässt.

16.08.2013/0 Kommentare/von Dr. Stephan Pötters
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