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Schlagwortarchiv für: Körperverletzung

Dr. Lena Bleckmann

BGH entscheidet erstmals zum Alternativvorsatz – Neues im Strafrecht AT

Examensvorbereitung, Lerntipps, Rechtsgebiete, Rechtsprechung, Schon gelesen?, Startseite, Strafrecht, Strafrecht AT

Wenn es um den allgemeinen Teil des Strafrechts geht, mögen Studenten vor lauter Problemen und Streitigkeiten den Eindruck bekommen, das Meiste müsste so langsam geklärt sein. Dass aber tatsächlich auch noch ganz grundlegende Fragen offen sind, zeigt eine aktuelle Entscheidung des BGH vom 14.1.2021 (Az. 4 StR 95/20). Der Gerichtshof musste hier erstmalig zum strafrechtlichen Alternativvorsatz urteilen. Die Entscheidung dürfte alsbald Einzug in Universitäts- und Examensklausuren finden. Hier ein Überblick.
I. Worum geht es?
Der Sachverhalt ist schnell erzählt: A schlug mit einem Hammer in Richtung der F. Ihr Bruder B stand dabei direkt hinter ihr. Dem A war dabei bewusst, dass er sowohl F als auch B mit dem Hammer treffen und verletzen könnte, was er billigend in Kauf nahm. Die F konnte den Schlag abwenden, der B wurde allerdings leicht am Kopf getroffen.
Strafbarkeit des A?
II. Die Entscheidung des BGH 
Hier geht es nun ersichtlich um Körperverletzungsdelikte. Zulasten der F kommt – mangels Taterfolgs – nur eine versuchte Körperverletzung nach § 223 Abs. 1, 2, i.V.m. §§ 22, 23 StGB in Betracht. Der Hammer ist zudem ein Gegenstand, der nach seiner objektiven Beschaffenheit und der konkreten Art seiner Verwendung geeignet ist, erhebliche Verletzung herbeizuführen und somit ein gefährliches Werkzeug, sodass die Tat nach § 224 Abs. 1 Nr. 2, Abs. 2 qualifiziert ist. Zulasten des B liegt objektiv eine gefährliche Körperverletzung nach § 224 Abs. 1 Nr. 2 StGB vor. So weit so gut – der objektive Tatbestand ist hier in beiden Fällen schnell abgehandelt.
Das Problem liegt allerdings im subjektiven Tatbestand. Denn das Besondere an diesem Sachverhalt ist, dass der A zwar davon ausging, entweder die F oder den B verletzen zu können, nicht aber davon, dass der Taterfolg bei beiden eintreten könnte. Es handelt sich also um einen Fall des sog. Alternativvorsatzes, bei dem der Täter von der Möglichkeit des Erfolgseintritts bei mehreren Personen, dies aber nur alternativ, ausgeht. Abzugrenzen ist das von Fällen des Kumulativvorsatzes, bei dem der Täter beispielsweise den Erfolgseintritt bei einem Opfer bewusst anstrebt, bei dem anderen billigend in Kauf nimmt und dabei davon ausgeht, dass beide Erfolge zugleich eintreten können. Hierzu hat der BGH bereits 2005 – wenn auch nicht ausdrücklich – entschieden, dass beide Vorsätze nebeneinanderstehen und einander nicht ausschließen (s. BGH, Urt. v. 15.9.2005 – 4 StR 216/05, zur Erläuterung siehe das aktuell besprochene Urteil in Rn. 6). Darüber hinaus ist anerkannt, dass mehrere Vorsätze nebeneinander bestehen können, wenn der Täter sich mehrere einander ausschließende Folgen seiner Tat vorstellt – so ist es etwa, wenn er alternativ den Tod des Opfers oder aber das Weiterleben mit schweren Folgen i.S.d. § 226 StGB in Kauf nimmt (s. etwa BGH, Beschl. v. 3.7.2012 – 4 StR 16/12, Rn. 4).
In seiner neuen Entscheidung zum Alternativvorsatz setzt der BGH sich nun mit den in der Literatur vertretenen Ansichten auseinander (s. BGH, Urt. v. 14.1.2021 – 4 StR 95/20, Rn. 8). Hier wird vertreten, es könne nur einer der beiden Vorsätze, etwa nur der hinsichtlich des schwereren Delikts, zur Strafbarkeit führen, weil der Täter es für sich ausgeschlossen habe, mehrere Delikte zu vollenden (s. etwa Lackner/Kühl/Kühl, 29. Aufl. 2018, § 15 StGB Rn. 29 m.w.N.). Überwiegend geht man allerdings davon aus, beide Vorsätze könnten nebeneinanderbestehen und zur Strafbarkeit führen, es soll sich letztlich um ein Konkurrenzproblem handeln (s. etwa Schönke/Schröder/Sternberg-Lieben/Schuster, 30. Aufl. 2019, § 15 StGB Rn. 91 m.w.N.).
Dem schließt sich der BGH nun ausdrücklich an:

„Der Senat geht entsprechend der überwiegenden Meinung in der Literatur davon aus, dass der Angeklagte mit zwei ‒ ihm zurechenbaren ‒ bedingten Körperverletzungsvorsätzen gehandelt hat. Bedingt vorsätzliches Handeln setzt voraus, dass der Täter den Eintritt des tatbestandlichen Erfolges als möglich und nicht ganz fernliegend erkennt, weiter, dass er ihn billigt oder sich um des erstrebten Zieles willen mit der Tatbestandsverwirklichung zumindest abfindet. Diese Voraussetzungen sind nach den Feststellungen sowohl hinsichtlich der Nebenklägerin als auch in Bezug auf ihren Bruder erfüllt. Für die Annahme von nur einem zurechenbaren Vorsatz besteht kein Grund. Ein Verstoß gegen Denkgesetze liegt nicht vor, denn auf sich gegenseitig ausschließende Erfolge gerichtete Vorsätze können miteinander verbunden werden, solange sie – wie hier – nicht den sicheren Eintritt eines der Erfolge zum Gegenstand haben.“ (BGH, Urt. v. 14.1.2021 – 4 StR 95/20, Rn. 9-11, Nachweise im Zitat ausgelassen)

Mithin verwirklicht der A die §§ 224 Abs. 1 Nr. 2, Abs. 2, 22, 23 StGB zulasten der F sowie § 224 Abs. 1 Nr. 2 StGB zulasten des B. Die Delikte stehen zueinander in Tateinheit nach § 52 StGB, denn der A hat durch eine Handlung denselben Tatbestand mehrmals verwirklicht und dadurch die Rechtsgüter verschiedener Personen beeinträchtigt. Hierzu der BGH:

„Daran gemessen ist auch im vorliegenden Fall von (gleichartiger) Tateinheit auszugehen. Denn der Angeklagte hat sowohl die zum Schutz der körperlichen Unversehrtheit der Nebenklägerin als auch die zum Schutz der körperlichen Integrität ihres Bruders aufgestellten Verhaltensnormen verletzt und in Bezug auf beide ein Delikt verwirklicht bzw. unmittelbar dazu angesetzt. Obgleich er davon ausgegangen ist, dass allenfalls ein tatbestandsmäßiger Erfolg eintreten wird, hat er damit eine größere Tatschuld auf sich geladen, als derjenige, der nur einen einfachen Vorsatz aufweist.“ (BGH, Urt. v. 14.1.2021 – 4 StR 95/20, Rn. 14, Nachweise im Zitat ausgelassen)

Im Übrigen setzt sich der BGH ausführlich mit dem Strafmaß auseinander, da das Landgericht nicht berücksichtigt habe, dass der Alternativvorsatz einen verminderten Handlungsunwert bedeute und daher nicht beide Delikte uneingeschränkt strafschärfend zu gewichten seien (s. (BGH, Urt. v. 14.1.2021 – 4 StR 95/20, Rn. 17). Auf die Ausführungen des Senats sei an dieser Stelle verwiesen, für Kandidaten des ersten Examens sind sie zunächst von geringerer Relevanz.
III. Ausblick
Wenn der BGH grundlegende Aussagen zum allgemeinen Teil des Strafrechts trifft, ist das für Studierende und Examenskandidaten stets von besonderer Relevanz. Nichts anderes gilt für die hier besprochene Entscheidung. Der BGH schließt sich insgesamt der in der Literatur herrschenden Meinung an und hält den Alternativvorsatz, d.h. zwei nebeneinanderstehende Vorsätze, sofern der Täter davon ausgeht, der Erfolg werde nur bei einem von mehreren möglichen Opfern eintreten, für möglich. Das sollte man sich merken. Wer darüber hinaus noch etwas zur sich anschließenden Konkurrenzfrage sagen kann, wird in Klausuren und mündlichen Prüfungen punkten können.
 

09.02.2021/3 Kommentare/von Dr. Lena Bleckmann
https://www.juraexamen.info/wp-content/uploads/2022/05/je_logo.svg 0 0 Dr. Lena Bleckmann https://www.juraexamen.info/wp-content/uploads/2022/05/je_logo.svg Dr. Lena Bleckmann2021-02-09 08:30:212021-02-09 08:30:21BGH entscheidet erstmals zum Alternativvorsatz – Neues im Strafrecht AT
Dr. Melanie Jänsch

BGH zum Deliktsrecht: Haftung für psychische Gesundheitsverletzung eines Polizeibeamten

Deliktsrecht, Examensvorbereitung, Lerntipps, Rechtsgebiete, Rechtsprechung, Schon gelesen?, Startseite, Zivilrecht

Mit aktuellem Urteil vom 8. Dezember 2020 (Az.: VI ZR 19/20) hat sich der BGH zu einem besonders klausur- und examensrelevanten Problemkomplex des Deliktsrechts – der Zurechnung psychischer Gesundheitsverletzungen – geäußert. Konkret hat der BGH entschieden, dass auch bei der Verwirklichung eines berufsspezifischen Risikos psychische Gesundheitsbeeinträchtigungen eines Polizeibeamten oder einer professionellen Rettungskraft dem Schädiger jedenfalls bei unmittelbarer aufgezwungener Beteiligung an einem traumatisierenden Geschehen grundsätzlich zuzurechnen sind. Da deliktsrechtliche Fragen, insbesondere Kausalitätsprobleme, absolute Dauerbrenner in Studium und Examen sind, soll die Entscheidung im Folgenden ausführlich dargestellt werden.
 
A) Sachverhalt (vereinfacht und leicht abgewandelt)
Mehrere Polizeibeamte waren wegen einer tätlichen Auseinandersetzung in einer Cocktailbar im Einsatz. Dabei kam ein deutlich erkennbar und stark alkoholisierter Beteiligter einem Platzverweis auch nach mehrfacher Aufforderung nicht nach; er setzte sich gegen seine nachfolgend durchgeführte Ingewahrsamnahme heftig zur Wehr und verletzte dabei einen Polizeibeamten am Daumen. Infolge der Auseinandersetzung mit dem Schädiger erlitt der betreffende Polizeibeamte zudem eine psychische Erkrankung in Form einer posttraumatischen Belastungsstörung, die zur dauerhaften Dienstunfähigkeit führte. Er verlangt vom Schädiger Schadensersatz für Behandlungskosten und Verdienstausfall aus vorsätzlich begangener unerlaubter Handlung.
 
B) Rechtsausführungen
Zu prüfen war ein Anspruch des Polizeibeamten gegen den Schädiger aus § 823 Abs. 1 BGB, der zunächst die Verletzung eines absoluten subjektiven Rechts bzw. Rechtsgutes voraussetzt. In Betracht kommt hier allein die durch die tätliche Auseinandersetzung herbeigeführte Gesundheitsverletzung in Form der posttraumatischen Belastungsstörung, die zur Dienstunfähigkeit geführt hat. Unter einer Gesundheitsverletzung ist jedes Hervorrufen eines von den normalen körperlichen Funktionen nachteilig abweichenden Zustands zu verstehen, wobei unerheblich ist, ob Schmerzzustände auftreten oder ob eine tiefgreifende Veränderung der Befindlichkeit, etwa durch den Ausbruch einer Krankheit, eingetreten ist (st. Rspr., s. beispielhaft BGH, Urt. 14.6.2005 – VI ZR 179/04, NJW 2005, 2614, 2615).
 
Anmerkung: Die Abgrenzung der Körper- von der Gesundheitsverletzung ist mitunter schwierig, wenngleich praktisch folgenlos. Als Abgrenzungsformel kann man sich gleichwohl merken, dass die Körperverletzung Eingriffe in die physische Integrität erfasst, wohingegen sich die Gesundheitsverletzung „auf das Funktionieren der inneren Lebensvorgänge“ (so MüKoBGB/Wagner, 8. Aufl. 2020, § 823 BGB Rn. 204) beschränkt.
 
Eine Gesundheitsverletzung ist damit insbesondere bei somatischen Beeinträchtigungen, die nicht auf einer Verletzung der körperlichen Integrität beruhen, sowie psychischen Störungen jedweder Art gegeben (MüKoBGB/Wagner, 8. Aufl. 2020, § 823 BGB Rn. 205). Der ständigen Rechtsprechung des BGH entspricht, dass durch ein Geschehen ausgelöste psychische Störungen, die einen realen Krankheitswert haben, Gesundheitsverletzungen i.S.v. § 823 Abs. 1 BGB darstellen (vgl. nur Senatsurteile vom 21.5.2019 – VI ZR 299/17, BGHZ 222, 125, Rn. 7; v. 27.1.2015 – VI ZR 548/12, NJW 2015, 1451, Rn. 6; v. 20.5.2014 – VI ZR 381/13, BGHZ 201, 263, Rn. 8). Ohne Zweifel können die psychisch vermittelten Beschwerden des Polizeibeamten nach diesen Maßstäben als Gesundheitsverletzung eingeordnet werden.
 
Anmerkung: Resultieren die psychischen Beschwerden nicht aus einer unmittelbaren Beteiligung am schädigenden Ereignis, sondern ist die psychische Beeinträchtigung mittelbar auf die Verletzung eines Dritten zurückzuführen, stellt sich bereits beim Prüfungspunkt „Rechtsgutsverletzung“ die sog. Schockschaden-Problematik. Der BGH verlangt in diesen Fällen für die Annahme einer deliktsrechtlich relevanten Gesundheitsverletzung, dass die psychische Beeinträchtigung einen pathologisch fassbaren Krankheitswert hat und über die „üblichen“ gesundheitlichen Beeinträchtigungen hinausgeht, denen Betroffene beim Tod oder einer schweren Verletzung eines nahen Angehörigen in der Regel ausgesetzt sind, und eine persönliche Nähe zwischen dem unmittelbar Verletzten und dem mittelbar Geschädigten besteht (s. hierzu exemplarisch BGH, Urt. v. 10.2.2015 – VI ZR 8/14, NJW 2015, 2246 und die Ausweitung auf fehlerhafte ärztliche Behandlung in BGH, Urt. v. 21.5.2019 – VI ZR 299/17, NJW 2019, 2387, besprochen in unserem Beitrag).
 
Die Handlung des Schädigers müsste aber auch haftungsbegründend kausal für die psychische Gesundheitsverletzung gewesen sein. Der Prüfungspunkt „haftungsbegründende Kausalität“ betrifft die Ursächlichkeit der Verletzungshandlung für die Rechtsgutsverletzung. Die Kausalitätsprüfung erfolgt stets in drei Schritten: In einem ersten Schritt ist festzustellen, ob Äquivalenz im Sinne eines „condicio-sine-qua-non“-Zusammenhangs besteht. Auf dieser Stufe ist also zu klären, ob der Beitrag des Schädigers nicht hinweggedacht werden kann, ohne dass die Gesundheitsverletzung des Geschädigten entfiele. Als zweiter Filter der Kausalität ist Adäquanz insofern erforderlich, als die Rechtsgutverletzung nicht außerhalb des nach allgemeiner Lebenserfahrung Erwartbaren liegen darf; hiermit soll die Haftung für gänzlich atypische, unwahrscheinliche Fälle ausgeklammert werden. Im vorliegenden Fall war revisionsrechtlich zu unterstellen, dass bei dem Polizeibeamten infolge der schädigenden Handlung eine Traumafolgestörung von Krankheitswert eingetreten ist, für die das Verhalten des Schädigers sowohl äquivalent als auch adäquat kausal war.
Auf dritter Stufe erfolgt die Prüfung der Ursächlichkeit aber zusätzlich unter normativen Gesichtspunkten: Maßgeblich ist, ob die gegenständliche Anspruchsgrundlage gerade vor solchen Folgen, wie sie beim Anspruchsteller eingetreten sind, schützen will, sog. Lehre vom Schutzzweck der Norm. Herausfiltern soll dieser dritte Prüfungsschritt Konstellationen, in denen dem Schädiger eine Haftung nach wertender Betrachtung nicht zugemutet werden kann – etwa in Fällen, in denen sich ausschließlich das „allgemeine Lebensrisiko“ realisiert. An dieser Stelle stellen sich vorliegend zwei Problemkreise, die ausführlicherer Erörterung bedürfen:
I. Zum einen bedarf es nach der Rechtsprechung des BGH gerade in Fällen psychischer Gesundheitsbeeinträchtigungen einer besonderen Prüfung der Zurechnung:

„Sie soll der Eingrenzung einer sonst ausufernden Haftung für normale Belastungen in den Wechselfällen des Zusammenlebens dienen, auf die sich der Mensch im Leben einrichten muss (vgl. BGB-RGRK/Steffen, 12. Aufl., § 823 Rn. 11), darf aber nicht der gegenüber körperlichen Verletzungen oft als erschwert angesehenen Objektivierbarkeit psychischer Beeinträchtigungen geschuldet sein. Dabei wird berücksichtigt, dass die Schadensersatzpflicht durch den Schutzzweck der verletzten Norm begrenzt wird. Eine Schadensersatzpflicht besteht nur, wenn die Tatfolgen, für die Ersatz begehrt wird, aus dem Bereich der Gefahren stammen, zu deren Abwendung die verletzte Norm erlassen worden ist. Hierfür muss die Norm den Schutz des Rechtsguts gerade gegen die vorliegende Schädigungsart bezwecken; die geltend gemachte Rechtsgutsverletzung bzw. der geltend gemachte Schaden müssen also auch nach Art und Entstehungsweise unter den Schutzzweck der verletzten Norm fallen. Daran fehlt es in der Regel, wenn sich eine Gefahr realisiert hat, die dem allgemeinen Lebensrisiko und damit dem Risikobereich des Geschädigten zuzurechnen ist.“ (Rn. 11)

Ausgehend hiervon kann bei einem geringfügigen schädigenden Ereignis angenommen werden, dass eine extreme psychische Reaktion außer Verhältnis steht und daher nicht mehr zugerechnet werden kann; vielmehr bewege sich diese im Bereich des allgemeinen Lebensrisikos. Dagegen realisiere sich dann nicht mehr das allgemeine Lebensrisiko, wenn „der Schädiger dem Geschädigten die Rolle eines unmittelbaren Unfallbeteiligten aufgezwungen hat und dieser das Unfallgeschehen psychisch nicht verkraften konnte“ (vgl. Urt. v. 22.5.2007 – VI ZR 17/06, BGHZ 172, 263 Rn. 14; v. 12.11.1985 – VI ZR 103/84, VersR 1986, 240, 242, Rn. 14), was im vorliegenden Fall anzunehmen sei.  
II. Hinzu kommt hier aber noch ein zweiter Aspekt: Bei professionellen Rettungskräften oder Polizeibeamten wird zuweilen erwogen, dass im Falle der Verwirklichung des berufsspezifischen Risikos die Zurechnung psychischer Beeinträchtigungen zur Vermeidung uferloser Ausdehnung der Haftung des Schädigers unterbleiben muss. Letzteres hat etwa das Berufungsgericht – das OLG Celle – in seiner Entscheidung vom 12. Dezember 2019 angenommen: Bei dem betreffenden Sachverhalt habe es sich um eine für einen Polizeibeamten alltägliche Situation gehandelt, mit der im Rahmen der Berufstätigkeit ständig zu rechnen sei. Sofern eine solche Situation zu einer schweren psychischen Gesundheitsverletzung mit der Folge der Dienstunfähigkeit führe, könne dies dem Schädiger nicht zugerechnet werden (OLG Celle, Urt. v. 12.12.2019 – 5 U 116/19, BeckRS 2019, 43669, Rn. 33). Dieser Auffassung ist der BGH – in strikter Gleichsetzung physischer und psychischer Primärschäden – entschieden entgegengetreten:

„Bei der gebotenen wertenden Betrachtung ist das Risiko einer psychischen Gesundheitsverletzung eines Polizeibeamten oder einer professionellen Rettungskraft jedenfalls bei unmittelbarer aufgezwungener Beteiligung an einem traumatisierenden Geschehen grundsätzlich auch bei Verwirklichung eines berufsspezifischen Risikos dem Schädiger zuzuordnen. Auch wenn es zur Ausbildung und zum Beruf von Polizeibeamten gehört, sich auf derartige Belastungssituationen vorzubereiten, mit ihnen umzugehen, sie zu bewältigen und zu verarbeiten (Senatsurteil vom 17. April 2018 – VI ZR 237/17, BGHZ 218, 220 Rn. 20), gebietet eine solche Vorbereitung und etwaige Stärkung ihrer Psyche regelmäßig nicht, ihnen beim dennoch erfolgenden Eintritt einer psychischen Erkrankung den Schutz des Deliktsrechts zu versagen. Es ist bereits nicht zu erklären, weshalb zwischen physischen und psychischen Primärschäden unterschieden werden sollte. Für den Bereich der Sekundärschäden und der haftungsausfüllenden Kausalität geht der Senat vielmehr regelmäßig von einer grundsätzlichen Gleichstellung der psychischen mit den physischen Schäden aus.“ (Rn. 16 f.)

Zudem lasse die entgegengesetzte Argumentation außer Acht, dass bei ausgebildeten Einsatzkräften die Gefahr des Eintritts psychischer Schäden im Vergleich zu Laien bereits vermindert sei. Komme es trotz professioneller Vorbereitung im Einzelfall dennoch zu psychischen Schäden, rechtfertige dies keine Risikoverlagerung auf den Geschädigten (Rn. 18). Um die Haftung des Schädigers in diesen besonderen Fällen einzugrenzen, knüpft der BGH die Zurechnung gleichwohl an verschiedene Kriterien: Neben dem Erfordernis, dass die psychische Beeinträchtigung realen Krankheitswert aufweist, muss der Schädiger – in Abgrenzung zu Fällen bloßer Anwesenheit des Polizeibeamten am Unfallort – dem Geschädigten die Rolle eines unmittelbar (Unfall-)Beteiligten aufgezwungen haben. Darüber hinaus muss sich auch der Verschuldensvorwurf gegen den Verursacher auf die Folgeschäden erstrecken, was bei psychischen Erkrankungen als Folge von Routineeinsätzen nicht zwangsläufig der Fall ist. Auf dieser Grundlage hat der BGH die Sache letztlich unter Teilaufhebung der angefochtenen Entscheidung an das Berufungsgericht zurückverwiesen.
 
C) Fazit
Festzuhalten bleibt: Bei der Verwirklichung des berufsspezifischen Risikos sind psychische Gesundheitsverletzungen mit Krankheitswert von Polizeibeamten oder ähnlichen professionellen Rettungskräften dann dem Schädiger zuzurechnen, wenn der Schädiger dem Geschädigten die Beteiligung an dem traumatisierenden Geschehen unmittelbar aufgezwungen hat. Die Grundsätze, die der BGH in seinem Amoklauf-Urteil (Urt. v. 17.4.2018 – VI ZR 237/17, BGHZ 218, 220, besprochen in unserem Beitrag) aufgestellt hat, werden damit auf polizeiliche „Standardsituationen“ ausgeweitet. Für eine Zurechnung entscheidend ist damit nicht, dass es sich wie bei einem Amoklauf um ein vorsätzliches schweres Gewaltverbrechen eines besonders aggressiven Täters handelt, sondern vielmehr insbesondere, ob der Geschädigte lediglich am Tatort anwesend oder unmittelbar in das Geschehen involviert war.
 
 

28.01.2021/1 Kommentar/von Dr. Melanie Jänsch
https://www.juraexamen.info/wp-content/uploads/2022/05/je_logo.svg 0 0 Dr. Melanie Jänsch https://www.juraexamen.info/wp-content/uploads/2022/05/je_logo.svg Dr. Melanie Jänsch2021-01-28 09:00:472021-01-28 09:00:47BGH zum Deliktsrecht: Haftung für psychische Gesundheitsverletzung eines Polizeibeamten
Gastautor

Rechtsprechungsüberblick Strafrecht und Strafprozessrecht 2019

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Wir freuen uns, heute einen Beitrag von Charlotte Schippers veröffentlichen zu können. Die Autorin hat an der Universität Bonn Jura studiert und ist derzeit wissenschaftliche Mitarbeiterin und Doktorandin am Institut für Arbeitsrecht und Recht der Sozialen Sicherheit an der Universität Bonn (Lehrstuhl Thüsing).
 
Bei der Vorbereitung auf die schriftliche und vor allem mündliche Examensprüfung, aber auch auf Klausuren des Studiums, ist die Kenntnis aktueller Rechtsprechung unbedingt erforderlich. Neue Urteile und Beschlüsse werden immer wieder als ein Teil der Prüfung herangezogen oder bei besonders wichtigen Entscheidungen ausdrücklich abgefragt. Der folgende Überblick soll für die examensrelevanten Entscheidungen in Strafsachen des Jahres 2019 als Stütze dienen und Ausgangspunkt für eine tiefere Auseinandersetzung sein.
 
Strafrecht
 
BGH, Beschl. v. 8.1.2019 – 1 StR 356/18: Bestätigung der Verurteilung gegen Waffenverkäufer im Fall des Amoklaufs in Münchener Olympia-Einkaufszentrum
Der BGH hat Anfang des Jahres das Urteil des LG München (19.1.2018 – 12 KLs 111 Js 239798/16) gegen den Verkäufer der Waffe, die der Amokläufer im Münchener Olympia-Einkaufszentrum verwendete, bestätigt, indem er die Rechtsmittel von Verteidigung und Nebenklage zurückwies: Der Verkäufer wurde durch das LG München wegen fahrlässiger Tötung in neun Fällen und wegen fahrlässiger Körperverletzung in fünf Fällen verurteilt. Eine Strafbarkeit wegen Beihilfe zum Mord, wie sie auch die Nebenkläger forderten, lehnte das LG München ab, denn der notwendige doppelte Beihilfevorsatz fehle. Es liege aber eine Sorgfaltspflichtverletzung durch den illegalen Verkauf von Schusswaffen und Munition, der sogar selbst den Straftatbestand des § 52 Abs. 1 Nr. 2c WaffG verwirklicht, vor. Darüber hinaus sei der Eintritt des tatbestandlichen Erfolgs erkennbar und vorhersehbar. Das Dazwischentreten eines Dritten, also des Täters, stehe der Strafbarkeit nicht entgegen:

„[E]ine Mitverantwortung Dritter [führt] nur dann zum Wegfall des Zurechnungszusammenhangs zwischen dem pflichtwidrigen Verhalten des Täters und dem eingetretenen Erfolg, wenn das für den Erfolg ebenfalls kausale Verhalten des Dritten außerhalb jeder Lebenserfahrung liegt. Erforderlich ist demnach, dass die vom Täter ursprünglich gesetzte Ursache trotz des in den Kausalverlauf eingreifenden Verhaltens des Dritten wesentlich fortwirkt, der Dritte also hieran anknüpft. Hiervon ist jedenfalls in solchen Fallgestaltungen auszugehen, in denen sich in dem pflichtwidrigen Handeln des Dritten gerade das Risiko der Pflichtwidrigkeit des Täters selbst verwirklicht.“

Vgl. hier unsere ausführliche Besprechung.
 
Raserfälle: Relevant waren dieses Jahr auch die Verurteilungen von Rasern. Dies ist gerade mit Blick auf die Neueinführung des § 315d StGB ein hoch examensrelevantes Themengebiet, aber auch das mediale Interesse um die Verurteilungen wegen Mordes rückt entsprechende Urteile auch in den Fokus der Examensprüfer.
BGH, Beschl. v. 16.1.2019 – 4 StR 345/18: Bestätigung des Mordurteils gegen einen Raser
Anfang des Jahres hat der BGH ein Mordurteil gegen einen Raser bestätigt. Vorangegangen war die Entscheidung des LG Hamburg (Az.: 621 Ks 12/17) zu folgendem Sachverhalt: Bei einer Verfolgungsfahrt mit der Polizei in einem gestohlenen Taxi und fuhr der alkoholisierte A in der Innenstadt bewusst auf die Gegenfahrbahn. Diese war leicht kurvig und baulich von der übrigen Fahrbahn abgetrennt. A fuhr mit einer Geschwindigkeit von bis zu 155 km/h, bis er wegen Kollisionen mit dem Kantstein der Fahrbahn und einer Verkehrsinsel die Kontrolle über das Fahrzeug verlor und nach Überqueren einer Kreuzung mit einer Geschwindigkeit von mindestens 130 km/h frontal mit einem ihm mit nur ca. 20 km/h entgegenkommenden Taxi zusammenstieß. Einer der Insassen verstarb, zwei weitere wurden schwer verletzt.
Das LG ging bei seiner Entscheidung davon aus, dass A mit bedingtem Vorsatz gehandelt habe, was auch der BGH bestätigte:

„[A war] bewusst, ,dass es mit hoher, letztlich unkalkulierbarer und nur vom Zufall abhängender Wahrscheinlichkeit zu einem frontalen Zusammenstoß mit entgegenkommenden Fahrzeugen kommen würde.‘ Ihm war auch ,bewusst, dass ein Frontalunfall mit sehr hoher Wahrscheinlichkeit zum Tod eines oder mehrerer direkter Unfallbeteiligter sowie eventuell zur Schädigung weiterer Personen führen würde.‘ All dies, auch der eigene Tod, wurde vom Angekl. gebilligt, weil er ,kompromisslos das Ziel, der Polizei zu entkommen‘, verfolgte.“

Das Vorliegen eines Mordmerkmals mag mit Blick auf die Verwendung eines gemeingefährlichen Mittels einschlägig sein, das ließ der BGH aber offen. Erfüllt sei vorliegend jedenfalls die Verdeckungsabsicht, da es A maßgeblich darauf ankam, zu entkommen.
Zu mehr Einzelheiten vgl. auch unsere Besprechung.
 
LG Berlin, Urt. v. 26.3.2019 – 532 Ks 9/18: Bedingter Tötungsvorsatz bei Autorennen
Im medialen Fokus stand bereits letztes Jahr das Urteil des LG Berlin, mit dem es zwei Raser, die bei einem illegalen Autorennen einen unbeteiligten Verkehrsteilnehmer getötet hatten, wegen Mordes verurteilte. Dieses erste Urteil hatte der BGH zwar aufgehoben, sodass das LG Berlin erneut entscheiden musste. Es blieb aber dabei, die Angeklagten wegen Mordes zu verurteilen: Zunächst maßgeblich war der Vorsatz. Die Angeklagten hätten das Risiko des Todes anderer Verkehrsteilnehmer erkannt, hätten aber – aus Gleichgültigkeit – dennoch entsprechend gehandelt. Dieses Bewusstsein habe schon in dem Zeitpunkt vorgelegen, in dem die volle Kontrolle über das Fahrzeug noch vorhanden gewesen sei – zur Erinnerung: Der BGH war davon ausgegangen, dass der Tötungsvorsatz erst nach der Tat gegeben sei und demnach unbeachtlich war.
An Mordmerkmalen bejahte das LG das Auto als gemeingefährliches Mittel, die Heimtücke, da das Opfer die Ampel bei Grün überquert habe und damit arglos gewesen sei, sowie niedrige Beweggründe.
Zu weiteren Details sei auf unsere ausführliche Besprechung verwiesen.
 
OLG Karlsruhe, Beschl. v. 17.1.2019 – 2 Ws 341/18: Beendigung einer Beziehung als empfindliches Übel
Das OLG Karlsruhe hatte dieses Jahr darüber zu entscheiden, ob die Ankündigung der Beendigung einer Beziehung als ein empfindliches Übel bei der Strafbarkeit wegen (sexueller) Nötigung verstanden werden kann. Nachdem der Täter T die 17 Jahre alte O über ein soziales Netzwerk kennengelernt und mit dem falschen Profil X eine Internet-Beziehung aufgenommen hatte, traf er sich selbst als T mit O und kündigte an, dass, sollte sie sich weigern, mit ihm in sexuellen Kontakt zu treten, die Internet-Beziehung mit X beendet werde.
Das OLG entschied, dass T hierdurch den Tatbestand der sexuellen Nötigung gem. § 177 Abs. 2 Nr. 5 StGB verwirklicht habe, da bei der Frage, ob eine Drohung mit einem empfindlichen Übel vorliege, ein individuell-objektiver Maßstab zugrunde zu legen sei:

„Danach ist das angedrohte Übel dann empfindlich, wenn der in Aussicht gestellte Nachteil von solcher Erheblichkeit ist, dass seine Ankündigung geeignet erscheint, den Bedrohten im Sinn des Täterverlangens zu motivieren, und von dem Bedrohten in seiner Lage nicht erwartet werden kann, dass er der Bedrohung in besonnener Selbstbehauptung standhält. Mithin kommt es auf eine den Opferhorizont berücksichtigende Sichtweise und nicht auf einen besonnenen Durchschnittsmenschen an. Auch unter Berücksichtigung des Schutzgutes der Nötigungsdelikte – die Freiheit der Willensentschließung und -betätigung – kommt deshalb der Individualität des Bedrohten und der Frage, weshalb gerade von ihm in seiner konkreten Situation ein Standhalten gegenüber der Drohung erwartet werden kann, entscheidende Bedeutung. Danach kann auch ein angedrohter Beziehungsabbruch ein empfindliches Übel darstellen, wenn dieser Beziehung für den Bedrohten ein hoher Stellenwert zukommt.“

Das OLG Karlsruhe ging mithin im Ergebnis von der Strafbarkeit des T wegen sexueller Nötigung aus, s. auch unsere Besprechung.
 
OLG Köln, Beschl. v. 4.4.2019 – 2 Ws 122/19: Strafbarkeit eines gedopten Profiboxers nach § 223 StGB
Das OLG Köln beschäftigte sich im April mit der Strafbarkeit eines gedopten Profiboxers wegen Körperverletzung gem. § 223 Abs. 1 StGB. Profiboxer T besiegte in einem Boxkampf seinen Kontrahenten; allerdings war die nachfolgende Dopingprobe im Hinblick auf das synthetische anabole Steroid Stanozolol positiv. Nach Bejahung des objektiven Tatbestandes der einfachen Körperverletzung – ein Verwenden eines gefährlichen Werkzeugs wegen der eingesetzten Boxhandschuhe lehnte des OLG ausdrücklich ab – ist maßgeblich nach der rechtfertigenden Einwilligung zu fragen, die bei einem Sportwettkampf regelmäßig konkludent vorliegt. Hierbei ist ein Irrtum des Einwilligenden denkbar, denn der Gegner geht regelmäßig von einem anderen Leistungsniveau aus, als von dem, welches erst durch das Doping erzielt wird. So führt das OLG Köln aus:

„Die vom Teilnehmer eines Boxkampfes zumindest konkludent erteilte Einwilligung erstreckt sich ausschließlich auf solche Verletzungen, die bei regelkonformem Verhalten des Gegners üblich und zu erwarten sind. Doping als schwere Missachtung der anerkannten Sport- und Wettkampfregeln, die der Gegner nicht zu erwarten braucht, kann der wirksamen Einwilligung entgegenstehen.“

All dies steht unter dem Vorbehalt, dass das Doping dem Täter sicher nachgewiesen wird, was im konkreten Fall noch aussteht. Sollte dies jedenfalls der Fall sein, handelte er ohne Rechtfertigung und hat sich mithin wegen Körperverletzung gem. § 223 Abs. 1 StGB strafbar gemacht.
Vgl. hierzu unsere ausführlichere Besprechung.
 
BGH, Urt. v. 6.4.2019 – 5 StR 593/18: Konkretisierung des Gewahrsamswechsels bei kleinen, leicht transportablen Sachen
Im Frühjahr dieses Jahres hat der BGH eine Konkretisierung des Gewahrsamswechsels beim Diebstahl vorgenommen, wobei es insbesondere um die examensrelevante Frage der Begründung neuen Gewahrsams durch Verbringen der Sache in eine Gewahrsamsenklave ging. Der Sachverhalt ist schnell erzählt: Es ging um die Mitnahme von sechs Flaschen Alkohol, die der Täter T in einen Einkaufskorb und dann in seine Sporttasche legte, welche er verschloss, um die Flaschen ohne Bezahlung für sich zu behalten. Er wurde aber vor Verlassen des Ladens vom Ladendetektiv aufgehalten.
Zur Bestimmung, ob eine Wegnahme vorliegt, stellt der BGH auf die Gesamtumstände des konkreten Falls unter Berücksichtigung von Größe, Gewicht und Transportmöglichkeit der jeweiligen Sache ab:

„Danach macht es einen entscheidenden Unterschied, ob es sich bei dem Diebesgut um umfangreiche, namentlich schwere Sachen handelt, deren Abtransport mit besonderen Schwierigkeiten verbunden ist, oder ob es nur um kleine, leicht transportable Gegenstände geht. Bei unauffälligen, leicht beweglichen Sachen […] lässt die Verkehrsauffassung für die vollendete Wegnahme schon ein Ergreifen und Festhalten der Sache genügen. Steckt der Täter einen Gegenstand in Zueignungsabsicht in seine Kleidung, so schließt er allein durch diesen tatsächlichen Vorgang die Sachherrschaft des Bestohlenen aus und begründet eigenen ausschließlichen Gewahrsam.“

Das gilt unabhängig davon, wenn sich die handelnde Person noch im Gewahrsamsbereich des Berechtigten – hier des Supermarktes befindet. Für Fälle wie den Vorliegenden gilt daher:

„Für ohne Weiteres transportable, handliche und leicht bewegliche Sachen kann jedenfalls dann nichts anders gelten, wenn der Täter sie in einem Geschäft – wie hier – in Zueignungsabsicht in eine von ihm mitgeführte Hand-, Einkaufs-, Akten- oder ähnliche Tasche steckt; hierdurch bringt er sie in ebensolcher Weise in seinen ausschließlichen Herrschaftsbereich wie beim Einstecken in seine Kleidung.“

Die Strafbarkeit wegen vollendeten Diebstahls ist im vorliegenden Fall somit gegeben. S. zu diesem Urteil unsere Besprechung.
 
BGH, Beschl. v. 7.5.2019 – 1 StR 150/19: Niedrige Beweggründe bei Tötung des Intimpartners
Zu folgendem Fall (gekürzt) erging im Mai dieses Jahres ein Beschluss des BGH: Zwischen T und seiner Ehefrau F kam es vor allem wegen des täglichen Alkoholkonsums des T zu Streit, wobei sich F von T trennte und ihn aufforderte, aus ihrer Wohnung auszuziehen. Auch am nächsten Morgen beharrte sie auf ihrem Entschluss. Als sie das Haus verließ, um zur Arbeit zu gehen, folgte T ihr mit einem Messer in der Jackentasche und dem Vorhaben, sie zu töten, sollte sie ihm keine weitere Chance geben. F verneinte das Ansinnen des T und wandte sich von ihm ab, sodass T ihr, die sich keines Angriffs versah, von hinten vier Mal in den Rücken stach. F drehte sich überrascht um und ging infolge weiterer gegen die Brust geführter Stiche zu Boden. T setzte sich sodann auf die auf dem Rücken liegende F und stach weiter wuchtig auf ihren Brustbereich ein, wobei ihre Versuche, die Stiche abzuwehren, erfolglos blieben. T ließ erst von ihr ab, als sie regungslos liegenblieb. F starb durch die Blutungen.
Die Überlegungen des LG München, es handle sich um einen Mord, bei welchem die Mordmerkmale der Heimtücke und der niedrigen Beweggründe vorliegen, stimmte der BGH nur teilweise zu: Während das Merkmal der Heimtücke gegeben sei, sei hinsichtlich der niedrigen Beweggründe, anders als vom LG vorgenommen, weder maßgeblich darauf abzustellen,

„ob der Täter tatsachenfundiert auf den Fortbestand der Verbindung zum Opfer vertrauen durfte, noch darauf, wie der Zustand der Beziehung war, ob sich das Tatopfer aus nachvollziehbaren Gründen zur Trennung entschlossen hat, ob der Täter seinerseits maßgeblich verantwortlich für eine etwaige Zerrüttung der Partnerschaft war und ob er – dies ist ohnehin stets der Fall – ,die Trennungsentscheidung‘ des Partners ,hinzunehmen‘ hatte. Derartige Erwägungen sind zwar für die entscheidende Frage, ob die – stets als verwerflich anzusehende – vorsätzliche und rechtswidrige Tötung eines Menschen jeglichen nachvollziehbaren Grundes entbehrt, nicht ohne jede Bedeutung; allein der Umstand, dass sich die Trennung des Partners wegen des Vorverhaltens des Täters und des Zustands der Beziehung als „völlig normaler Prozess“ darstellt und (daher) von diesem hinzunehmen ist, ist aber nicht geeignet, die Tötung des Partners, die wie jede vorsätzliche und rechtswidrige Tötung verwerflich ist, als völlig unbegreiflich erscheinen zu lassen.“

Zu beachten ist bei der Prüfung auch, dass nach Auffassung des BGH der Umstand, dass die Trennung vom Tatopfer ausgegangen ist, als gegen die Niedrigkeit des Beweggrundes sprechender Umstand beurteilt werden darf.
 
BGH, Urt. v. 3.7.2019 – 5 StR 132/18 und 5 StR 393/18: Grundsatzurteile zur Sterbehilfe
Medial auch im Fokus standen zwei Urteile zur Sterbehilfe, die der BGH diesen Sommer erlassen hat. Es ging um die Strafbarkeit zweier Ärzte: Der im Hamburger Verfahren angeklagte Facharzt erstellte für zwei Frauen, die sich an einen Sterbehilfeverein gewandt hatten, neurologisch-psychiatrische Gutachten zu ihrer Einsichts- und Urteilsfähigkeit. Hierbei hatte er an der Festigkeit und Wohlerwogenheit ihrer Suizidwünsche keine Zweifel. Auf ihr Verlangen wohnte er auch der Einnahme der tödlich wirkenden Medikamente bei und unterließ Rettungsmaßnahmen. Eine Strafbarkeit nach §§ 216 Abs. 1, 13 Abs. 1 StGB und nach § 323c StGB wurde bereits in der Vorinstanz aufgrund der Tatherrschaft der Frauen über die Todesherbeiführung verneint. Der andere Arzt, um dessen Strafbarkeit es im Berliner Verfahren ging, war Hausarzt der Suizidwilligen, die an einer nicht lebensbedrohlichen, aber stark krampfartige Schmerzen verursachenden Krankheit litt und bereits mehrere Suizidversuche unternommen hatte. Er besorgte ihr ein tödlich wirkendes Medikament und betreute sie, als sie nach der Einnahme des Medikaments bewusstlos wurde. Auch er nahm keine Rettungsmaßnahmen vor. Auch hier wurde die Strafbarkeit abgelehnt, denn die Beschaffung des Medikaments eine straflose Beihilfe zur eigenverantwortlichen Selbsttötung.
Zwar lagen die Voraussetzungen für eine Strafbarkeit durch Unterlassen im Grundsatz wohl vor, wenn auch die Frage nach der Garantenstellung weitestgehend offen gelassen wurde. Allerdings verneinte der BGH die Pflicht zur Abwendung des Todeserfolgs:

„Beide Angeklagte waren nach Eintritt der Bewusstlosigkeit der Suizidentinnen auch nicht zur Rettung ihrer Leben verpflichtet. Der Angeklagte des Hamburger Verfahrens hatte schon nicht die ärztliche Behandlung der beiden sterbewilligen Frauen übernommen, was ihn zu lebensrettenden Maßnahmen hätte verpflichten können. Auch die Erstellung des seitens des Sterbehilfevereins für die Erbringung der Suizidhilfe geforderten Gutachtens sowie die vereinbarte Sterbebegleitung begründeten keine Schutzpflicht für deren Leben. Der Angeklagte im Berliner Verfahren war jedenfalls durch die Ausübung des Selbstbestimmungsrechts der später Verstorbenen von der aufgrund seiner Stellung als behandelnder Hausarzt grundsätzlich bestehenden Pflicht zur Rettung des Lebens seiner Patientin entbunden.“ (Pressemitteilung Nr. 90/2019)

Konsequenterweise war daher auch nicht von einer Strafbarkeit wegen unterlassener Hilfeleistung gem. § 323c StGB auszugehen. Im Ergebnis verneinte der BGH daher insgesamt die Strafbarkeit der Ärzte. Da sich im Rahmen der Sterbehilfe jedenfalls komplizierte Fälle stellen lassen, sind diese Entscheidungen besonders (examens-)relevant.
Vgl. hierzu auch unsere umfassende Besprechung.
 
Strafprozessrecht
 
BVerfG, Beschl. v. 5.7.2019 – 2 BvR 167/18: Neues zur Wahlfeststellung
Das BVerfG hat sich im Sommer mit der echten Wahlfeststellung beschäftigt. Zur Erinnerung: Die echte Wahlfeststellung kommt infrage, wenn sicher ist, dass der Täter einen von mehreren möglichen Straftatbeständen erfüllt hat, aber nicht klar ist, welches Delikt er tatsächlich vorliegt. Daher erfolgt nach Auffassung der Rechtsprechung bei rechtsethischer und physiologischer Vergleichbarkeit oder nach der h. L. bei Identität des Unrechtskerns eine wahlweise Bestrafung. Teilweise bestehen Zweifel an der Verfassungsmäßigkeit der Wahlfeststellung, insbesondere da es an einer gesetzlichen Grundlage fehle, die aber wegen ihrer strafbarkeitsbegründenden Wirkung erforderlich sei, vgl. Art. 103 Abs. 2 GG. Das BVerfG hat nun jedoch die Verfassungsmäßigkeit bejaht. Zunächst stellte es heraus, dass es sich um eine Entscheidungsregel des Strafverfahrens handle, die nicht den Schutzbereich des Art. 103 Abs. 2 GG berühre. Darüber hinaus sei auch kein Verstoß gegen den Grundsatz „nulla poena sine lege“ festzustellen:

„In der Wahlfeststellungssituation hat das Tatgericht aufgrund des jeweils anwendbaren Straftatbestands zu prüfen, auf welche Strafe zu erkennen wäre, wenn eindeutig die eine oder die andere strafbare Handlung nachgewiesen wäre. Von den so ermittelten Strafen ist dann zugunsten des Angeklagten die mildeste zu verhängen. Dass sich hiernach die zu verhängende Strafe durch einen Vergleich (der für jede Sachverhaltsvariante konkret ermittelten Strafen) bestimmt, ändert nichts daran, dass das Tatgericht Art und Maß der Bestrafung einem gesetzlich normierten Straftatbestand entnimmt, genauer dem Gesetz, das für den konkreten Fall die mildeste Bestrafung zulässt.“

Auch der Unschuldsvermutung sei Genüge getan: Zwar könne dem Angeklagten eine konkrete, schuldhaft begangene Straftat nicht nachgewiesen werden, dennoch stünde zur Überzeugung des Gerichts fest, dass der Angeklagte sicher einen von mehreren alternativ in Betracht kommenden Straftatbeständen schuldhaft verwirklicht habe. Demnach ist die echte Wahlfeststellung als verfassungsgemäß zu betrachten.
Diesen Beschluss haben wir ebenfalls ausführlich besprochen.
 
 

11.11.2019/2 Kommentare/von Gastautor
https://www.juraexamen.info/wp-content/uploads/2022/05/je_logo.svg 0 0 Gastautor https://www.juraexamen.info/wp-content/uploads/2022/05/je_logo.svg Gastautor2019-11-11 09:51:002019-11-11 09:51:00Rechtsprechungsüberblick Strafrecht und Strafprozessrecht 2019
Dr. Melanie Jänsch

BGH: Anwendung der Grundsätze zum Schockschaden auf fehlerhafte ärztliche Behandlung

Deliktsrecht, Examensvorbereitung, Lerntipps, Rechtsgebiete, Rechtsprechung, Schon gelesen?, Startseite, Zivilrecht

Mit Urteil vom 21. Mai 2019 (Az.: VI ZR 299/17) hat sich der BGH zu einem besonders klausur- und examensrelevanten Problembereich des Deliktsrechts geäußert. Konkret ging es um die Problematik des sog. „Schockschadens“ – einem deliktsrechtlichen Klassiker, der jedem Examenskandidaten ein Begriff sein sollte. Nunmehr hat der BGH festgestellt, dass die Grundsätze zur Ersatzfähigkeit von „Schockschäden“ auch in dem Fall anzuwenden sind, in dem das haftungsbegründende Ereignis kein Unfallereignis im eigentlichen Sinne, sondern eine fehlerhafte ärztliche Behandlung ist. Gerade vor dem Hintergrund des am 27.7.2017 in Kraft getretenen § 844 Abs. 3 BGB, der unter engen Voraussetzungen einen Anspruch auf Hinterbliebenengeld gewährt und einen Sonderbereich des Schockschadens regelt (BeckOK BGB/Spindler, 51. Ed. 2019, § 844 BGB Rn. 42), hat die deliktsrechtliche Problematik in den letzten beiden Jahren erhöhte Aufmerksamkeit erlangt – die gesteigerte Prüfungsrelevanz liegt damit auf der Hand. Angesichts dessen sollen die Grundzüge der Entscheidung im Folgenden dargestellt und erläutert werden.
 
A) Sachverhalt (vereinfacht und leicht abgewandelt):
Der Sachverhalt ist schnell erzählt: Patient P ließ in einem von K betriebenen Krankenhaus eine Operation durchführen. Bei dieser unterlief dem Arzt – wie es spätere Gutachten feststellten – ein Behandlungsfehler, welcher zu einer lebensgefährlichen Entzündung führte. Aus den Gutachten ergab sich, dass die Operation verspätet und unter Anwendung einer fehlerhaften Operationstechnik durchgeführt wurde. P einigte sich schließlich mit dem Haftpflichtversicherer der K auf eine Abfindungszahlung. In der Folgezeit verstarb P. Nunmehr nimmt die Ehefrau des P, die E, die K auf materiellen und immateriellen Schadensersatz in Anspruch – im Wesentlichen mit der Behauptung, P sei in dem von K betriebenen Krankenhaus grob fehlerhaft behandelt worden und habe deshalb mehrere Wochen in akuter Lebensgefahr geschwebt, weshalb sie massive psychische Beeinträchtigungen in Form eines depressiven Syndroms mit ausgeprägten psychosomatischen Beschwerden und Angstzuständen erlitten habe.
 
Die erste Instanz, das LG Köln (Urt. v. 26. Oktober 2016, Az.: 25 O 326/15), hat die Klage abgewiesen; die hiergegen gerichtete Berufung der K hatte auch vor dem OLG Köln (Urt. v. 12. Juli 2017, Az.: 5 U 144/16) keinen Erfolg. Der BGH hat die vorinstanzlichen Urteile nunmehr aufgehoben und die Sache zurückverwiesen.
 
B) Rechtsausführungen
Zu prüfen war ein Anspruch der E gegen die K aus § 823 Abs. 1 BGB, der zunächst die Verletzung eines absoluten subjektiven Rechts bzw. Rechtsgutes voraussetzt. In Betracht kommt hier allein eine durch die fehlerhafte ärztliche Behandlung herbeigeführte Gesundheitsverletzung. Unter einer Gesundheitsverletzung ist jedes Hervorrufen eines von den normalen körperlichen Funktionen nachteilig abweichenden Zustands zu verstehen, wobei unerheblich ist, ob Schmerzzustände auftreten oder ob eine tiefgreifende Veränderung der Befindlichkeit, etwa durch den Ausbruch einer Krankheit, eingetreten ist (st. Rspr., s. beispielhaft BGH, Urt. 14.6.2005 – VI ZR 179/04, NJW 2005, 2614, 2615). Eine Gesundheitsverletzung ist damit insbesondere bei somatischen Beeinträchtigungen, die nicht auf einer Verletzung der körperlichen Integrität beruhen, sowie psychischen Störungen jedweder Art gegeben (MüKoBGB/Wagner, 7. Aufl. 2017, § 823 BGB Rn. 178).
 
Anmerkung: Die Abgrenzung der Körper- von der Gesundheitsverletzung ist mitunter schwierig, wenngleich praktisch folgenlos. Als Abgrenzungsformel kann man sich gleichwohl merken, dass die Körperverletzung Eingriffe in die physische Integrität erfasst, wohingegen sich die Gesundheitsverletzung „auf das Funktionieren der inneren Lebensvorgänge“ (so MüKoBGB/Wagner, 7. Aufl. 2017, § 823 BGB Rn. 177) beschränkt.
 
Zweifelsohne können die von der E geschilderten psychisch vermittelten Beschwerden nach diesen Maßstäben als Gesundheitsverletzung eingeordnet werden. Problematisch ist indes, dass nicht die E die fehlerhafte ärztliche Behandlung erfahren hat, sondern ihr Ehemann P. Insofern erörtert der BGH bereits auf der Ebene der Rechtsgutsverletzung die Schockschaden-Problematik, namentlich welche Anforderungen an das Vorliegen einer Gesundheitsverletzung zu stellen sind, wenn ein Dritter betroffen ist, der zu dem unmittelbar Geschädigten in besonderer Verbindung steht:

„Nach ständiger höchstrichterlicher Rechtsprechung können psychische Störungen von Krankheitswert eine Gesundheitsverletzung iSd § 823 I BGB darstellen (…). Im Bereich der so genannten „Schockschäden“ erfahren diese Grundsätze allerdings eine gewisse Einschränkung. Danach begründen seelische Erschütterungen wie Trauer oder seelischer Schmerz, denen Betroffene beim Tod oder einer schweren Verletzung eines Angehörigen erfahrungsgemäß ausgesetzt sind, auch dann nicht ohne Weiteres eine Gesundheitsverletzung iSd § 823 I BGB, wenn sie von Störungen der physiologischen Abläufe begleitet werden und für die körperliche Befindlichkeit medizinisch relevant sind. Denn die Anerkennung solcher Beeinträchtigungen als Gesundheitsverletzung iSd § 823 I BGB widerspräche der Absicht des Gesetzgebers, die Deliktshaftung gerade in § 823 I BGB sowohl nach den Schutzgütern als auch nach den durch sie gesetzten Verhaltenspflichten auf klar umrissene Tatbestände zu beschränken und Beeinträchtigungen, die allein auf die Verletzung eines Rechtsgutes bei einem Dritten zurückzuführen sind, mit Ausnahme der §§ 844, 845 BGB ersatzlos zu lassen. Psychische Beeinträchtigungen können in diesen Fällen deshalb nur dann als Gesundheitsverletzung iSd § 823 I BGB angesehen werden, wenn sie pathologisch fassbar sind und über die gesundheitlichen Beeinträchtigungen hinausgehen, denen Betroffene beim Tod oder einer schweren Verletzung eines nahen Angehörigen in der Regel ausgesetzt sind.“ (Rn. 7)

Der BGH beruft sich hierbei also auf seine ständige Rechtsprechung zu Schockschäden bei Unfallereignissen (s. exemplarisch BGH, Urt. v. 10.2.2015 – VI ZR 8/14, NJW 2015, 2246), nach der für eine relevante Gesundheitsverletzung verlangt wird, dass (1) die psychische Beeinträchtigung einen pathologisch fassbaren Krankheitswert hat und (2) über die „üblichen“ gesundheitlichen Beeinträchtigungen hinausgeht, denen Betroffene beim Tod oder einer schweren Verletzung eines nahen Angehörigen in der Regel ausgesetzt sind. Diese Rechtsprechung beschränke sich nicht nur auf Unfallereignisse, sondern sei vielmehr auf fehlerhafte ärztliche Behandlungen zu übertragen:

„Es ist kein Grund erkennbar, denjenigen, der eine (psychische) Gesundheitsverletzung im dargestellten Sinne infolge einer behandlungsfehlerbedingten Schädigung eines Angehörigen erleidet, anders zu behandeln als denjenigen, den die (psychische) Gesundheitsverletzung infolge einer auf einem Unfallereignis beruhenden Schädigung des Angehörigen trifft.“ (Rn. 8)

Auch nach diesen Maßstäben muss eine im Rahmen des § 823 Abs. 1 BGB relevante Gesundheitsverletzung angenommen werden; die mittelschwere Depression der E ist pathologisch fassbar und geht nach den gutachterlichen Feststellungen auch hinsichtlich Dauer und Intensität über das hinaus, was ein Angehöriger in vergleichbarer Lage erleidet.
Die fehlerhafte Behandlung müsste aber auch kausal für die Gesundheitsverletzung gewesen sein. Die Kausalitätsprüfung – sowohl im haftungsbegründenden als auch im haftungsausfüllenden Tatbestand – erfolgt in drei Schritten: Zunächst ist festzustellen, ob Ursächlichkeit im Sinne eines „condicio-sine-qua-non“-Zusammenhangs besteht. Es ist also zu fragen, ob der Beitrag des Schädigers nicht hinweggedacht werden kann, ohne dass die Gesundheitsverletzung der E entfiele. Dies kann hier offensichtlich bejaht werden: Ohne die grob fehlerhafte ärztliche Behandlung des P hätte die E keine psychischen Beeinträchtigungen erfahren. Weiterhin bedarf es zur Feststellung der Kausalität einer Adäquanz insofern, als die Rechtsgutverletzung nicht außerhalb des nach allgemeiner Lebenserfahrung Erwartbaren liegen darf; hiermit soll die Haftung für gänzlich atypische, unwahrscheinliche Fälle ausgeklammert werden. Da es sich aber regelmäßig als psychisch belastendes Ereignis darstellt, wenn ein Angehöriger in Lebensgefahr schwebt, ist die fehlerhafte ärztliche Behandlung auch als adäquat kausal für die Gesundheitsverletzung anzusehen. Schließlich erfolgt die Prüfung der Ursächlichkeit in einem dritten Schritt unter normativen Gesichtspunkten: Maßgeblich ist, ob die gegenständliche Anspruchsgrundlage gerade vor solchen Folgen, wie sie beim Anspruchsteller eingetreten sind, schützen will, sog. Lehre vom Schutzzweck der Norm. Herausfiltern soll dieser dritte Prüfungsschritt Konstellationen, in denen dem Schädiger eine Haftung nach wertender Betrachtung nicht zugemutet werden kann – etwa in Fällen, in denen sich das „allgemeine Lebensrisiko“ realisiert. Gerade in Fällen psychischer Gesundheitsbeeinträchtigungen bedarf dies – so betont es der BGH – einer gesonderten Prüfung:

„Dabei ist zu berücksichtigen, dass die Schadensersatzpflicht durch den Schutzzweck der verletzten Norm begrenzt wird. Eine Schadensersatzpflicht besteht nur, wenn die Tatfolgen, für die Ersatz begehrt wird, aus dem Bereich der Gefahren stammen, zu deren Abwendung die verletzte Norm erlassen worden ist. Hierfür muss die Norm den Schutz des Rechtsguts gerade gegen die vorliegende Schädigungsart bezwecken; die geltend gemachte Rechtsgutsverletzung bzw. der geltend gemachte Schaden müssen also auch nach Art und Entstehungsweise unter den Schutzzweck der verletzten Norm fallen. Daran fehlt es in der Regel, wenn sich eine Gefahr realisiert hat, die dem allgemeinen Lebensrisiko und damit dem Risikobereich des Geschädigten zuzurechnen ist. Der Schädiger kann nicht für solche Verletzungen oder Schäden haftbar gemacht werden, die der Betroffene in seinem Leben auch sonst üblicherweise zu gewärtigen hat. Insoweit ist eine wertende Betrachtung geboten (…). Für den auch im Streitfall betroffenen Bereich der so genannten „Schockschäden“ ist in der höchstrichterlichen Rechtsprechung (…) anerkannt, dass es an dem für eine Schadensersatzpflicht erforderlichen Schutzzweckzusammenhang fehlt, wenn der Dritte, auf dessen Tod oder schwere Verletzung die psychischen Beeinträchtigungen des Betroffenen zurückgehen, diesem nicht persönlich nahesteht; auch insoweit verwirklicht sich allein ein – dem Schädiger nicht zurechenbares – allgemeines Lebensrisiko (…)“ (Rn. 11 f.)

Im Rahmen des Zurechnungszusammenhangs nimmt der BGH bei Schockschäden also noch eine weitere Einschränkung (3) vor, indem er verlangt, dass der Anspruchsteller eine besondere persönliche Nähe zum unmittelbar Betroffenen aufweisen muss – die bei nahen Angehörigen gegeben ist. Legt man diese Rechtsprechung zugrunde, ist der Zurechnungszusammenhang zu bejahen: Die E war die Ehefrau des P, sie weist insofern die erforderliche persönliche Nähe auf. Zudem konnte die psychische Beeinträchtigung auch bei wertender Betrachtung nicht ihrer Sphäre zugeordnet werden. Auch an dieser Stelle hat der BGH betont, dass insofern kein Unterschied erkennbar sei, der es rechtfertige, von den Rechtsprechungsgrundsätzen zu „Schockschäden“ bei Unfallereignissen abzuweichen. Auf dieser Grundlage hat der BGH das Urteil aufgehoben und an das Berufungsgericht zurückverwiesen.
 
C) Fazit
Zusammenfassend gilt also: Die Grundsätze zum Schockschaden, die der BGH in Bezug auf Unfallereignisse entwickelt hat, gelten ausweislich des aktuellen Urteils auch für fehlerhafte ärztliche Behandlungen. Das heißt, eine Haftung für psychische Beeinträchtigungen Dritter kommt dann in Betracht, wenn

  • die psychische Beeinträchtigung pathologisch messbar ist,
  • sie über die gesundheitlichen Beeinträchtigungen hinausgeht, denen Betroffene in vergleichbarer Situation regelmäßig ausgesetzt sind und
  • der Anspruchsteller eine persönliche Nähe zum unmittelbar Betroffenen aufweist.

In einer Klausur sollte dabei beachtet werden, dass die Problematik zum einen bereits an der Stelle der Rechtsgutsverletzung anzusprechen, zum anderen aber auch im Rahmen des Zurechnungszusammenhangs zu erörtern ist.
 
 

04.11.2019/1 Kommentar/von Dr. Melanie Jänsch
https://www.juraexamen.info/wp-content/uploads/2022/05/je_logo.svg 0 0 Dr. Melanie Jänsch https://www.juraexamen.info/wp-content/uploads/2022/05/je_logo.svg Dr. Melanie Jänsch2019-11-04 09:08:372019-11-04 09:08:37BGH: Anwendung der Grundsätze zum Schockschaden auf fehlerhafte ärztliche Behandlung
Dr. Sebastian Rombey

OLG Köln zur Strafbarkeit eines gedopten Profiboxers nach § 223 StGB

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Das OLG Köln hat sich in einem äußerst interessanten Beschluss vom 4. April 2019 (2 Ws 122/19, SpuRt 2019, 134) mit der Frage auseinandergesetzt, ob ein Profiboxer sich der Körperverletzung strafbar machen kann, wenn er im Ring gedopt ist. Um es vorwegzunehmen: Eine Strafbarkeit ist denkbar. Der Fall erregt seit längerem größere mediale Aufmerksamkeit, da kein geringerer als der bekannte Profiboxer Felix Sturm in der nun durch das OLG Köln zugelassenen Hauptverhandlung vor der Großen Strafkammer des LG Köln auf der Anklagebank sitzen wird. Es wird das erste Mal sein, dass sich ein Profiboxer vor einem deutschen Strafgericht für einen derartigen Vorwurf wird verantworten müssen. Einen Tag nach dem Beschluss des OLG Köln wurde er auf der Kölner Sportmesse Fibo wegen des bestehenden Verdachts der Steuerhinterziehung in einer anderen Rechtssache verhaftet und sitzt seitdem in Untersuchungshaft. Da sich strafrechtliche Fragestellungen grundlegender Art mit einem in der Öffentlichkeit präsenten Thema des Dopings im Profisport vermengen, ist von einer deutlich erhöhten Prüfungsrelevanz auszugehen.
I. Was war geschehen?
Nach dem spannenden WM-Rückkampf im Supermittelgewicht gegen den Russen Fjodor Tschudinow (im Folgenden „T“) am 20. April 2016, den Felix Sturm (im Folgenden „S“) nach Punkten für sich entscheiden und erneut Weltmeister der WBA werden konnte (den Kampf vom 9. Mai 2015 hatte S noch verloren), fiel die routinemäßig durchgeführte Dopingprobe im Hinblick auf Stanozolol erst in der A-Probe und später auch in der B-Probe positiv aus. Zum Hintergrund: Stanozolol (in manchen Kreisen kurz „Stano“ genannt) ist ein synthetisches anaboles Steroid, das zu einem kontinuierlichen Kraftzuwachs führen kann. Auch wenn S zunächst bestritt, dass die Dopingprobe von ihm stamme, weshalb das LG Köln die Eröffnung der Hauptverhandlung ablehnte, legte die StA Köln gegen diese Entscheidung Beschwerde ein, die nun vor dem OLG Köln Erfolg hatte. Zur besseren materiell-rechtlichen Beurteilung wird im Folgenden unterstellt, dass die Anklage in tatsächlicher Hinsicht zutrifft – auch wenn natürlich weiterhin die Unschuldsvermutung gilt.
Unabhängig von den prozessualen Beweisproblemen um die Verstöße gegen das AntiDopG ist materiell-rechtlich spannend, ob zugleich eine Körperverletzung im Sinne des § 223 Abs. 1 StGB gegeben sein kann. Denn, so legt die StA Köln es ihm jedenfalls zur Last: S wollte durch das Stanozolol seine Muskulatur stimulieren und definieren, um bei Boxschlägen gegen T „erhöhte Schnellkraft und erhöhte Maximalkraft“ zu erlangen. Dabei wusste S – auch das wird man als zutreffend unterstellen müssen –, „dass es sich bei Stanozolol um ein verbotenes Dopingmittel handelte und nahm es dennoch zur Leistungssteigerung in der Absicht ein, sich Vorteile in dem Boxkampf zu verschaffen. Hierbei nahm er es auch billigend in Kauf, dass sein Gegner […] in Kenntnis seines Dopings den Boxkampf nicht mit ihm bestritten hätte und er ihm dennoch mit seinen Boxhandschuhen Schmerzen zufügte.“ Doch reicht das, um eine Strafbarkeit aus § 223 Abs. 1 StGB zu begründen? Im Einzelnen:
II. Rechtliche Würdigung
S könnte sich der gefährlichen Körperverletzung gemäß § 223 Abs. 1 StGB strafbar gemacht haben, indem er mehrfach gegen Oberkörper und Kopf des T schlug.
1. In tatbestandlicher Hinsicht bestehen keine Bedenken dagegen, dass S durch Jab, Cross und Haken den T übel und unangemessen behandelt hat, wodurch dieser in seinem körperlichen Wohlbefinden beeinträchtigt und ein vom Normalzustand negativ abweichender Gesundheitszustand (erkennbar anhand von Hämatomen) hervorgerufen wurde, mithin eine körperliche Misshandlung (Alt. 1) sowie eine Gesundheitsschädigung (Alt. 2) vorliegen.
Zwar wird von einigen Stimmen im Schrifttum diskutiert, ob nicht bei Risikosportarten wie insbesondere dem Boxen, das gerade auf die Zufügung von Körperverletzungen ausgerichtet ist, eine objektive Zurechnung entfallen müsse, da die Handlung sich im Rahmen des erlaubten Risikos bewege und damit sozialadäquat sei (s. nur Lackner/Kühl/Kühl, StGB, 29. Aufl. 2019, § 228 StGB Rn. 2a m.w.N.). Mit dieser Ansicht muss man sich indes nicht näher auseinandersetzen, da selbst dann, wenn man ihr folgen wollte, durch das – unterstellt nachweisbare – Doping des S der durchaus schwammige Rahmen der Sozialadäquanz verlassen wurde (kritisch Jahn, Jus 593, 594, der fordert, dass sich die durch die Dopingeinnahme gesteigerte Schlagkraft im Taterfolg realisieren müsse). Die Tathandlung ist damit objektiv zurechenbar.
Ebenso wenige Zweifel bestehen an dem Wissen und Wollen des S im Hinblick auf die Tatbestandsverwirklichung, sodass S vorsätzlich handelte, § 15 StGB.
2. Im Zentrum der rechtlichen Prüfung steht damit die Frage, ob die Tat rechtswidrig war, was insbesondere dann der Fall ist, wenn keine Rechtfertigungsgründe eingreifen. In Betracht kommt vorliegend die Einwilligung des T. Dass die Einwilligung in eine Körperverletzung möglich sein muss, ist nicht nur gewohnheitsrechtlich anerkannt, schließlich ist das Strafrecht nichts weiter als der Schutz besonderer Rechtsgüter, auf den der Rechtsgutsträger jedenfalls grundsätzlich auch verzichten können muss, sondern wird auch durch § 228 StGB impliziert, der die Wirksamkeit der Einwilligung unter den Vorbehalt der Sittenwidrigkeit stellt.
a) Die Prüfung der Sittenwidrigkeit, die sich auf die Tat und nicht auf die Einwilligung bezieht und der h.M. folgend nach einer Gesamtschau von Tatschwere und Tatzweck richtet (vgl. Lackner/Kühl/Kühl, StGB, 29. Aufl. 2019, § 228 StGB Rn. 10), bietet sich indes eher weniger an, da die Tatschwere bei einem Boxkampf nicht über einfache Körperverletzungen hinausgehen dürfte. Die Frage bedarf allerdings ohnehin nicht mehr der Erörterung, wenn die Einwilligung aus anderen Gründen unwirksam ist.
b) Dies wäre hier auf Grund eines rechtsgutsbezogenen Irrtums des Einwilligenden denkbar. T müsste dafür einer Fehlvorstellung unterlegen sein. Das kann angesichts des Dopings mittels des leistungssteigernden Stanozolols durchaus angenommen werden, da es im Kampf zu einer Verschiebung des Leistungsniveaus zugunsten des S führt, die T bei seiner Einwilligung nicht einkalkuliert haben konnte. Denn, so das OLG Köln (Rn. 35):

„Die vom Teilnehmer eines Boxkampfes zumindest konkludent erteilte Einwilligung erstreckt sich ausschließlich auf solche Verletzungen, die bei regelkonformem Verhalten des Gegners üblich und zu erwarten sind. Doping als schwere Missachtung der anerkannten Sport- und Wettkampfregeln, die der Gegner nicht zu erwarten braucht […], kann der wirksamen Einwilligung entgegenstehen.“

Gerade der Umstand, dass sich S durch eine schwere Missachtung der Sport- und Wettkampfregelungen eine Leistungssteigerung verschaffte, begründet also nach Ansicht des OLG Köln die Unwirksamkeit der Einwilligung. Einfache Regelverletzungen dagegen reichen nicht aus, schlicht weil die Rechtsprechung zu Recht davon ausgeht, dass unreflektierte Regelverletzungen im „Eifer des Gefechts“ zum sportlichen Wettkampf dazugehören und demgemäß von einer erteilten Einwilligung gedeckt sind (s. bereits BGH, Urt. v. 22.01.1953 – 4 StR 373/52, NJW 1953, 912; ausführlich MüKo-StGB/Hardtung, 3. Aufl. 2017, § 228 StGB Rn. 44; klassisches Beispiel ist die „Grätsche“ im Fußball). Hier aber geht es nicht um eine im Eifer des Gefechts begangene Regelverletzung, sondern vielmehr um eine von langer Hand geplante, über viele Male hinweg gestreckte Missachtung aller sportlichen Grundregeln durch Dopingeinnahme, sodass die Einwilligung unwirksam ist (Jahn, Jus 2019, 593, 595).
Mangels Rechtfertigungsgrund war die Tat rechtswidrig.
3. An der Schuld bestehen keine Zweifel.
4. Mithin hat sich S der Körperverletzung gemäß § 223 Abs. 1 StGB strafbar gemacht.
5. Da es sich bei § 223 Abs. 1 StGB um ein relatives Antragsdelikt handelt, musste das OLG Köln weiterhin das besondere öffentliche Interesse an der Strafverfolgung bejahen, § 230 Abs. 1 S. 1 StGB. Das hat es jedoch ohne nähere Auseinandersetzung damit getan, was angesichts der Tatsache, dass es sich um eine grundlegende Frage handelt, wenig erstaunlich ist.
Anmerkung: Im Originalfall ging das OLG Köln noch auf die Rechtsfrage ein, ob die bei den Schlägen des S gegen T getragenen Boxhandschuhe als gefährliche Werkzeuge im Sinne von § 224 Abs. 1 Nr. 2 Alt. 2 StGB anzusehen sein könnten. Darunter fallen nach der allgemein bekannten Definition Gegenstände, die nach der konkreten Art ihrer Verwendung geeignet sind, erhebliche Verletzungen hervorzurufen. Zwar sind Boxhandschuhe, auch wenn sie im Vergleich zu Schlägen mit der Hand weniger Verletzungspotential aufweisen, da sie die mit ihnen ausgeführten Schläge abfedern können, bei ihrer konkreten Verwendungsart durchaus dazu geeignet, erhebliche Verletzungen herbeizuführen. Man denke nur an den einen oder anderen legendären, aber blutigen Boxkampf, etwa den zwischen Vitali Klitschko und Lennox Lewis im Jahre 2003. Gleichwohl wurde zwischen den Boxenden unter Einbeziehung der Sport- und Wettkampfregeln vereinbart, dass solche Handschuhe gerade zur Verletzungsreduzierung getragen werden sollen; sie kommen daher von vornherein nicht als gefährliche Werkzeuge im Sinne des § 224 Abs. 1 Nr. 2 Alt. 2 StGB in Betracht, jedenfalls solange sie im sportlichen Kontext eingesetzt werden. Dazu das OLG Köln (Rn. 36):

„Bei den eingesetzten Boxhandschuhen handelt es sich allerdings um bestimmungsgemäß in Einsatz gebrachte Sportgeräte, nicht um gefährliche Werkzeuge […]“

Eine Strafbarkeit aus der Qualifikation des § 224 Abs. 1 Nr. 2 Alt. 2 StGB scheidet damit aus.
III. Fazit: Doping als Strafbarkeitsrisiko im Profiboxen
Gedopte Profiboxer riskieren nicht nur ihr Image, ihre Karriere, ihre Titel und eine Strafbarkeit nach dem AntiDopG, sondern auch eine Strafbarkeit nach § 223 StGB. Auch wenn man das Hauptverfahren vor dem LG Köln sowie den zu erwartenden Instanzenzug wird abwarten müssen: Jedenfalls vorerst dürfte der Beschluss des OLG Köln ein Weckruf an alle Profisportler sein, nicht nur die gesundheitlichen, sondern auch die strafrechtlichen Gefahren des Dopings gründlich zu wägen und bestenfalls neu zu bewerten. Es bleibt also weiterhin spannend.
Wer sich näher mit dem Themenkomplex auseinandersetzen will, wann ein Sportler sich bei regelwidrigem Verhalten der Körperverletzung strafbar machen kann (nicht nur in Kampfsportarten wie dem Boxen, sondern auch in Ballsportarten wie dem Fußball), dem sei der Aufsatz von Figura, BRJ 2014, 17 ans Herz gelegt.

13.08.2019/3 Kommentare/von Dr. Sebastian Rombey
https://www.juraexamen.info/wp-content/uploads/2022/05/je_logo.svg 0 0 Dr. Sebastian Rombey https://www.juraexamen.info/wp-content/uploads/2022/05/je_logo.svg Dr. Sebastian Rombey2019-08-13 08:57:372019-08-13 08:57:37OLG Köln zur Strafbarkeit eines gedopten Profiboxers nach § 223 StGB
Dr. Yannik Beden, M.A.

StGB: Die Körperverletzungsdelikte in der Klausur: Definitionen und Streitstrände

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Vor allem im juristischen Grundstudium sind Straftatbestände, die Verletzungen von Leib und Leben sanktionieren, regelmäßig Prüfungsgegenstand. Die §§ 223 ff. StGB gehören dabei zu den „Klausurklassikern“, bei denen von jedem Prüfling Grundkenntnisse erwartet werden. Das gilt nicht nur für die Definitionen von Tatbestandsmerkmalen, sondern auch Meinungsstreitstände zu Problemstellungen, die überdurchschnittlich häufig abgefragt werden. Der nachstehende Beitrag gibt einen Überblick zu den klausur- bzw. examensrelevantesten Definitionen. Zudem werden – nicht abschließend – die wichtigsten Streitstände mit kurzen Erläuterungen zu den jeweils vertretenen Ansichten in Rechtsprechung und Literatur dargestellt.
I. Die Definitionen
1. § 223 StGB
(1) Körperliche Misshandlung
ist jede substanzverletzende Behandlung des Körpers, durch die das körperliche Wohlbefinden oder die körperliche Unversehrtheit mehr als nur unerheblich beeinträchtigt wird.
(2) Gesundheitsschädigung
ist das Hervorrufen, Steigern oder Aufrechterhalten eines vom Normalzustand negativ abweichenden pathologischen Zustands physischer (oder psychischer, str.) Art.
2. § 224 StGB
(1) Gift
sind alle organischen und anorganischen Stoffe, die durch chemische und/oder chemisch-physikalische Wirkung geeignet sind, erhebliche Gesundheitsschädigungen herbeizuführen.
(2) Andere gesundheitsschädliche Stoffe
sind solche, die mechanisch oder thermisch wirken sowie biologisch schädliche Stoffe, die dazu geeignet sind, erhebliche Gesundheitsschädigungen herbeizuführen.
(3) Waffe
ist im technischen Sinn jedes Werkzeug, welches nach der Art seiner Anfertigung von vornherein dazu bestimmt ist, (nicht notwendigerweise Menschen) zumindest erhebliche Verletzungen zuzufügen.
(4) Gefährliches Werkzeug
ist jeder Gegenstand, der nach seiner objektiven Beschaffenheit und Verwendungsart im konkreten Einzelfall dazu geeignet ist, zumindest erhebliche Verletzungen zuzufügen.
(5) Hinterlistiger Überfall
Ist jeder plötzliche, unerwartete Angriff auf einen ahnungslosen Menschen, bei dem der Täter seine wahre Absicht planmäßig verdeckt und dadurch die Verteidigungsmöglichkeiten des Opfers einschränkt.
(6) Mit einem anderen Beteiligten gemeinschaftlich
begeht der Täter die Körperverletzung, wenn mindestens zwei Personen unmittelbar am Tatort gemeinschaftlich wirken, wobei unerheblich ist, ob dies in mittäterschaftlicher Begehung oder in Gestalt von Täterschaft und Teilnahme passiert.
(7) Mittels einer das Leben gefährdenden Behandlung
wird die Körperverletzung nach h.M. begangen, wenn die Verletzungen den objektiven Umständen des Einzelfalls nach geeignet ist, das Leben des Tatopfers zu gefährden, wobei es keiner tatsächlichen konkreten Lebensgefahr im Einzelfall bedarf.
3. § 225 StGB
(1) Quälen
ist das Zufügen länger andauernder oder wiederkehrender Schmerzen oder Leiden seelischer oder körperlicher Art.
(2) Rohes Misshandeln
ist eine Behandlung, die einer gefühllosen, fremde Leiden missachtenden Gesinnung entspricht und sich in Handlungsfolgen von erheblichem Gewicht für das körperliche Wohlbefinden des Tatopfers manifestiert.
(3) Böswillig
handelt der Täter, wenn er die ihm obliegende Sorgfaltspflicht aus besonders verwerflichen Gründen verletzt (Hass, Egoismus, Gewinnstreben o.ä.).
4. § 226 StGB
(1) Verlust des Sehvermögens
tritt ein, wenn die Fähigkeit, Gegenstände als solche zu erkennen, nahezu aufgehoben ist (Rspr.: 10 % der normalen Sehkraft)
(2) Wichtiges Glied des Körpers
sind alle äußerlichen Körperteile, die abgeschlossen in Erscheinung treten, mit dem Körper durch ein Gelenk verbunden sind und eine bestimmte Funktion im Gesamtorganismus haben.
(3) Dauernd entstellt in erheblicher Weise
ist das Tatopfer, wenn das äußere Gesamterscheinungsbild endgültig oder für einen unbestimmten Zeitraum verunstaltet wird und dies von einem Gewicht ist, welches in seiner Bedeutung den anderen schweren Nachteilen des § 226 StGB entspricht.
5. § 228 StGB – Sittenwidrigkeit
Sittenwidrig ist die Körperverletzung, wenn sie Anbetracht des Umfangs der Verletzung sowie des damit verbundenen Gefahrengrads für Leib und Leben trotz Einwilligung des Rechtsgutsträgers nicht mehr als von der Rechtsordnung hinnehmbar erscheint. Entscheidend ist nicht die Zwecksetzung der Tat oder die moralische Vorstellung der Gesellschaft, sondern der Grad der (Lebens-)Gefährdung, der mit der Verletzungshandlung einhergeht.
6. § 229 StGB – Fahrlässigkeit
Fahrlässig begeht die Körperverletzung, wer die im Verkehr erforderliche Sorgfalt außer Acht lässt, zu der er nach den konkreten Umständen und seinen subjektiven Fähigkeiten und Kenntnissen nach verpflichtet und imstande ist.
7. § 231 StGB
(1) Schlägerei
ist eine tätliche Auseinandersetzung von mindestens drei Personen, die mit gegenseitigen Körperverletzungen verbunden ist.
(2) Von Mehreren verübter Angriff
ist eine in feindseliger Willensrichtung verübte unmittelbare Einwirkung auf den Körper eines anderen durch mindestens zwei Personen.
(3) Beteiligt
ist, wer sich unmittelbar am Tatort befindet und durch physische (oder psychische, str.) Mitwirkung an den gegen einen anderen gerichteten Tätlichkeiten teilnimmt.
II. Klassische Streitstände
1. Stellt ein de lege artis durchgeführter ärztlicher Eingriff eine Körperverletzung i.S.v. § 223 StGB dar?
(1) Rechtsprechung
Ärztliche Eingriffe stellen stets eine tatbestandliche Körperverletzung dar, die allerdings gerechtfertigt sein können, insbesondere durch eine (ausdrückliche oder mutmaßliche) Einwilligung des Patienten (vgl. grundlegend BGHSt 11, 111 (112)).
(2) Abweichende Literaturmeinung
Indizierte und kunstgerecht durchgeführte ärztliche Eingriffe sind nicht tatbestandsmäßig. Grund: Nach ihrem sozialen Sinngehalt können sie nicht „auf eine Stufe mit dem Messerstecher“ im Sinne einer Misshandlung oder Gesundheitsschädigung gestellt werden. Mitunter wird auch danach differenziert, ob der Heilgriff erfolgreich war oder misslungen ist und ob neue gesundheitliche Gefahren durch den Eingriff geschaffen worden sind.
2. Fallen rein psychische Beeinträchtigungen unter den Tatbestand des § 223 Abs. 1 StGB?
(1) Rechtsprechung und h.M. der Literatur
Rein psychische Empfindungen genügen bei keiner Handlungsalternative, um eine Körperverletzung zu begründen. Diese liegt erst dann vor, wenn ein pathologischer, somatisch-objektivierbarer Zustand hervorgerufen wird. Emotionale Reaktionen oder etwa latente Angstzustände sind danach für sich genommen nicht tatbestandlich (vgl. BGH Beschluss v. 18.7.2013 – 4 StR 168/13).
(2) Abweichende Literaturmeinung
Auch psychische Erkrankungen bzw. Beeinträchtigungen können tatbestandlich sein – es bedarf keines somatisch-objektivierbaren Zustands.
3. Können unbewegliche Sachen bzw. Gegenstände (Wand, Fußboden usw.) gefährliche Werkzeuge i.S.v. § 224 Abs. 1 Nr. 2 Alt 2. StGB sein?
(1) Rechtsprechung und Teile der Literatur
Nein, nur Gegenstände, die durch menschliche Einwirkung in Bewegung gesetzt werden können, können gefährliche Werkezuge darstellen. In den meisten Fällen wird es sich jedoch um eine lebensgefährdende Behandlung nach § 224 Abs. 1 Nr. 5 StGB handeln (vgl. BGHSt 22, 235).
(2) Abweichende Literaturmeinung
Auch unbewegliche Gegenstände können gefährliche Werkzeuge darstellen. Zum einen ist der Wortlaut der Norm weit gefasst und steht diesem Verständnis deshalb nicht entgegen, zum anderen führt die Ansicht der Rechtsprechung zu zufälligen Ergebnissen: Es kann keinen Unterschied machen, ob das Opfer gegen eine fest montierte Säge gewuchtet wird oder der Täter eine Säge in die Hand nimmt und das Opfer verletzt.
4. Bedarf es für eine lebensgefährdende Behandlung i.S.v. § 224 Abs. 1 Nr. 5 StGB einer konkreten Lebensgefahr des Opfers?
(1) Rechtsprechung und h.M.
Nein, es genügt bereits, dass die Tathandlung eine abstrakte Gefährdung des Lebens begründet, die tatsächliche Verletzung des konkreten Tatopfers muss nicht lebensgefährlich sein (z.B. BGHSt 36, 1 (9)). Denn der Wortlaut des Gesetzes stellt auf die Handlung ab, § 224 Abs. 1 Nr. 5 StGB ist ersichtlich kein Erfolgsdelikt.
(2) Abweichende Literaturmeinung
Es bedarf einer konkreten Lebensgefährdung. Aufgrund der hohen Strafandrohung ist eine restriktive Auslegung der Norm geboten.
5. Knüpft der Gefahrverwirklichungszusammenhang bei § 227 StGB an die Verletzungshandlung oder an den Verletzungserfolg an?
(1) Rechtsprechung
Ausreichend ist, dass die Körperverletzungshandlung den tödlichen Erfolg herbeiführt. Aus dem Klammerzusatz in § 227 Abs. 1 StGB ergibt sich zudem, dass ein vollständiger Verweis auf die §§ 223 – 226a StGB vorgenommen wurde. Danach ist sind auch die §§ 223 Abs. 2, 224 Abs. 2 sowie 225 Abs. 2 StGB umfasst (vgl. BGHSt 48, 34 (38)). Daraus folgt vor allem: Auch die versuchte Körperverletzung mit Todesfolge ist möglich!
(2) Abweichende Literaturmeinung
Anzuknüpfen ist ausschließlich an den Körperverletzungserfolg (sog. Letalitätslehre). Die Schwere der Tat ergibt sich gerade aus der Realisation des Verletzungserfolges. Dieses Verständnis gebiete auch die hohe Strafandrohung. Auch der Wortlaut der Norm spricht vom Tod der „verletzten“ Person. Einen erfolgsqualifizierten Versuch kann es deshalb auch nicht geben.
6. Ist dem Täter bei § 231 StGB der Todeserfolg auch zuzurechnen, wenn dieser eintritt, nachdem der Täter die Schlägerei verlassen hat?
(1) Rechtsprechung und Teile der Literatur
Der Erfolg muss sich nicht notwendigerweise im Zeitraum, in dem der Täter noch der Schlägerei beiwohnt, realisieren. Erforderlich ist allein, dass sich der Täter überhaupt an der den Tod verursachenden Schlägerei beteiligt hat (vgl. BGHSt 14, 132 (134)). Grund: Ein anderes Verständnis führt zu Beweisproblemen und konterkariert den Zweck der Strafnorm, die gerade die besondere Gefährlichkeit von Schlägereien im Blick hat. § 231 ist ein reines Gefährdungsdelikt – wer sich entscheidet, an einer Schlägerei teilzunehmen, hat keinen Einfluss mehr auf die Folgen, die hieraus eventuell entstehen. Das soll dem Täter nicht zu Gute kommen.
(2) Abweichende Literaturmeinung
Der Täter muss sich im Zeitpunkt des Eintritts des Todes noch fortwährend an der Schlägerei beteiligen. Die Strafandrohung wird gerade durch den Eintritt des Erfolgs legitimiert, der sich durch das Handeln der Beteiligten manifestiert. Der Täter muss genau dieses Risiko (mit-)geschaffen haben.
 
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14.11.2018/1 Kommentar/von Dr. Yannik Beden, M.A.
https://www.juraexamen.info/wp-content/uploads/2022/05/je_logo.svg 0 0 Dr. Yannik Beden, M.A. https://www.juraexamen.info/wp-content/uploads/2022/05/je_logo.svg Dr. Yannik Beden, M.A.2018-11-14 10:00:342018-11-14 10:00:34StGB: Die Körperverletzungsdelikte in der Klausur: Definitionen und Streitstrände
Gastautor

BGH: Dauerhaftigkeit des Verlustes der Gebrauchsfähigkeit eines Körperglieds: Wie wirkt sich das Unterlassen fehlender medizinischer Nachsorge des Tatopfers auf die Strafbarkeit gem. § 226 I Nr. 2 StGB aus?

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Wir freuen uns sehr, nachfolgend einen Gastbeitrag von Hüveyda Yilmaz veröffentlichen zu können. Die Autorin hat als Stipendiaten der Studienstiftung des deutschen Volkes Rechtswissenschaften an der Freien Universität Berlin studiert und dort während ihres Studiums als studentische Mitarbeiterin an einem strafrechtlich-kriminoligischen Lehrstuhl gearbeitet.
 
I. Einleitung 
Körperverletzungsdelikte spielen in juristischen Examensarbeiten sowie in mündlichen Prüfungen eine große Rolle. Auch § 226 StGB kann im Examen Prüfungsgegenstand sein und sollte in der Vorbereitung nicht vernachlässigt werden. Folgende BGH-Entscheidung (BGH, Urt. v. 7.2.2017 – 5 StR 483/ 16, NJW 2017, 1763) könnte etwa Grundlage einer Prüfung innerhalb der Körperverletzungsdelikte sein. Der BGH geht in der Entscheidung u. a. auf die Frage ein, wie es sich auf die Strafbarkeit gem. § 226 I Nr. 2 StGB auswirkt, wenn das Tatopfer notwendige medizinische Nachsorge nicht vorgenommen hat und so zumindest teilweise die dauernde Gebrauchsunfähigkeit eines wichtigen Körpergliedes mit verursachte. Wie der BGH diese Frage bezogen auf den erforderlichen Zurechnungszusammenhang zwischen Grunddelikt und schwerer Folge entschied, soll im Folgenden dargestellt werden.
II. Sachverhalt
Dem Urteil lag folgender (vereinfachter) Sachverhalt zugrunde: Der Angeklagte A und der Nebenkläger N bewohnten ein Zimmer in einem Asylbewerberheim. Weil A der Freundin des N nachstellte, verschlechterte sich das Verhältnis zwischen ihnen und N zog aus. Am Tattag begab sich N in das Zimmer des A, um sein Antennenkabel mitzunehmen. Daraus entstand eine verbale Auseinandersetzung, die sich zu einer körperlichen zuspitzte: N schlug dem A ins Gesicht, woraufhin A mit einer Fernbedienung auf den Mund des N zurückschlug. Als beide getrennt wurden und N schon gehen wollte, ergriff A ein Messer und schlug mehrere Male in Richtung des Kopfes und Halses des N. Dieser hob zur Abwehr seine Hände über den Kopf und wurde durch das Messer verletzt. N zog sich Schnittverletzungen an der linken Hand zu. Wegen einer lebensgefährlichen Schlagaderverletzung musste er sich auch einer Notoperation unterziehen. Seitdem ist seine linke Hand nahezu unbrauchbar. Teilweise ist diese Bewegungseinschränkung darauf zurückzuführen, dass der N auf medizinisch notwendige Nachsorge verzichtete. Bei ordnungsgemäßer Nachsorge wäre die Einschränkung der Bewegungsmöglichkeit deutlich geringer.
III. Problemaufriss
Die schwere Körperverletzung nach § 226 I StGB ist ein erfolgsqualifiziertes Delikt (Fischer, StGB 64. Aufl., § 226 I Rn. 2, 3). Bezogen auf die schwere Folge ist kein Vorsatz, jedoch Fahrlässigkeit erforderlich (vgl. § 18 StGB). Bei dem erforderlichen Zusammenhang zwischen dem Grunddelikt und der schweren Folge reicht eine reine Kausalitätsbeziehung nicht aus. Vielmehr ist ein sog. objektiver Zurechnungszusammenhang notwendig (Anm. Grünewald, NJW 2017, 1765). Dass die linke Hand ein wichtiges Glied i. S. d. § 226 I Nr. 2 StGB ist, das dauernd gebrauchsunfähig geworden ist, müsste in einer Examensarbeit zunächst definiert und sauber subsumiert werden. Hier liegt der Problemschwerpunkt jedoch auf der Frage des Zurechnungszusammenhangs. Ob der Zurechnungszusammenhang durch die fehlende Inanspruchnahme medizinischer Nachsorge entfällt oder weiterhin aufrechterhalten werden kann, wurde folgendermaßen vom BGH entschieden:
IV. Lösung des BGH
Der BGH geht davon aus, dass (dem zugrundeliegenden Sachverhalt nach) auch im Falle einer Nichtvornahme medizinischer Nachsorge der Zurechnungszusammenhang zwischen dem Grunddelikt und der schweren Folge vorliegt. Begründet wird dies unter anderem dadurch, dass der Täter zumindest mitkausal für die schwere Folge sei und die schwere Folge auch vorhersehbar wäre. Die vorhersehbare Dauerhaftigkeit des Funktionsverlustes der linken Hand beruhe auf der Verletzungshandlung des Angeklagten. Hierbei sei nicht notwendig, dass die Körperverletzung die ausschließliche Ursache des nicht wiedergutzumachenden Schadens ist. Der Umstand, dass die fehlende Nachsorge nicht vorgenommen worden sei, ändere nichts an der Vorhersehbarkeit.
Weiterhin führt er aus:

„Das im Anwendungsbereich des § 226 StGB ohnehin stets außerordentlich schwer getroffene Opfer wird – hier nicht gegebene extrem gelagerte Konstellationen etwa der Böswilligkeit ausgenommen – in aller Regel aus Tätersicht nicht zu hinterfragende Gründe haben, weitere Behandlungen nicht auf sich zu nehmen, selbst wenn diese nach ärztlicher Beurteilung sinnvoll wären.“

Ebenso werden Motive seitens des Opfers aufgegriffen, wie etwa Furcht vor (Folge-)Operation und damit verbundenen Risiken und Leiden und zugunsten des Opfers gewertet:

„Es würde jeglichem Gerechtigkeitsempfinden widersprechen, über den Gedanken der Zurechnung eine Art Obliegenheit des Opfers zu konstruieren, sich ungeachtet dessen aus übergeordneter Sicht zumutbaren (Folge-) Operationen und andere beschwerlichen Heilmaßnahmen zu unterziehen, um dem Täter eine höhere Strafe zu ersparen. Darüber hinaus würde dem irreversibel geschädigten Opfer gegebenenfalls durch Gerichtsurteil bescheinigt, es sei gar nicht auf Dauer beeinträchtigt.“

Auch sei nicht ersichtlich, das Kriterium der Zumutbarkeit als Gradmesser heranzuziehen. Die Zumutbarkeitsbetrachtung würde beispielsweise bei der Heranziehung der Finanzierbarkeit (der Folgemaßnahmen) zu einer Entscheidung führen, die endgültig zu zufälligen Ergebnissen führen könnte.
V. Lösungsansätze in der Literatur
In der Literatur wird hingegen vertreten, dass die Dauerhaftigkeit der schweren Folge dem Täter dann nicht mehr zugerechnet werden kann, wenn die medizinische Nachsorge bzw. die Beseitigung der schweren Folge oder auch Abmilderung dem Opfer machbar oder zumutbar gewesen wäre (vgl. etwa MüKoStGB/Hardtung, 2. Aufl., § 226 Rn. 42). Dies wird anhand einer wertenden Abwägung vorgenommen, bei dieser auch Kriterien der Erfolgsaussichten der Operation, Risiken und auch Finanzierbarkeit der Nachsorge eine Rolle spielen (Rengier, Strafrecht Besonderer Teil II, 18. Aufl., § 15 Rn. 23). Bei der Beurteilung der zugrundeliegenden Frage können aber auch allgemeine Zurechnungsregeln mit einbezogen werden (vgl. Urteilsanmerkung Grünewald, NJW 2017, 1765). Gegen den Zurechnungszusammenhang in diesem Falle spräche, dass ärztliche Konsultationen zu keinem Risiko und auch zu keiner Überforderung des Tatopfers führen und daher dem Tatopfer zumutbar seien (Eisele, JuS 2017, 894). Der BGH hingegen wendet gegen diese wertenden Kriterien und Faktoren ein, dass sie geeignet seien, gegen das Bestimmtheitsgebot des Art. 103 II GG zu verstoßen. In Anbetracht der Tatsache, dass wertende Kriterien (wie etwa eine Gesamtwürdigung aller Umstände des Einzelfalls im Bereich der Vorsatzermittlung) im Strafrecht häufig Gegenstand der Normsubsumtion sind, müsste dies konsequenterweise auch in anderen Kontexten eine Gefährdung des Bestimmtheitsgebots zur Folge haben (hierzu Eisele, JuS 2017, 895).
VI. Fazit
Wie in anderen Examensarbeiten in der ersten juristischen Prüfung können bei guter Begründung beide Ansichten vertreten werden. Auch wenn die Entscheidung vorher nicht bekannt war, ist mit allgemeiner strafrechtlicher Argumentation (etwa mit der Heranziehung von Zumutbarkeitserwägungen oder wertende Kriterien bzw. Opfermitverantwortlichkeit) die richtige Handhabung der Problematik möglich.

13.11.2017/1 Kommentar/von Gastautor
https://www.juraexamen.info/wp-content/uploads/2022/05/je_logo.svg 0 0 Gastautor https://www.juraexamen.info/wp-content/uploads/2022/05/je_logo.svg Gastautor2017-11-13 10:00:452017-11-13 10:00:45BGH: Dauerhaftigkeit des Verlustes der Gebrauchsfähigkeit eines Körperglieds: Wie wirkt sich das Unterlassen fehlender medizinischer Nachsorge des Tatopfers auf die Strafbarkeit gem. § 226 I Nr. 2 StGB aus?
Gastautor

Grundlagen des materiellen Arztstrafrechts

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Wir freuen uns heute einen Gastbeitrag von Anne Sophie Schulz zum materiellen Arztstrafrecht zu veröffentlichen. Die Autorin hat an der HU Berlin und am King’s College London studiert und ist aktuell Rechtsreferendarin in Berlin mit Nebentätigkeit in einer Medizinrechtskanzlei.

Das materielle Arztstrafrecht findet sowohl im ersten als auch im zweiten Staatsexamen immer wieder Einzug in die Examensklausuren.

Um die Klausuren rund um das Arztstrafrecht mit Erfolg zu meistern, ist es von erheblicher Bedeutung, sich zunächst mit der Strafbarkeit des Heileingriffes und schließlich mit den spezifischen Rechtfertigungsgründen auseinanderzusetzen. Hierbei ist ein besonderes Augenmerk auf den ärztlichen Heileingriff im Rahmen der Körperverletzung i.S.d. § 223 I StGB und die Rechtfertigungsgründe der ausdrücklichen bzw. mutmaßlichen Einwilligung zu richten. Auf diese Schwerpunkte wird im Folgenden näher eingegangen.

I. Tatbestand der Körperverletzung

Bereits seit dem Jahr 1894 wird der ärztliche Heileingriff als eine von § 223 I StGB erfasste, tatbestandliche Körperverletzung angesehen. Diese bedarf, auch bei dem lege artis durchgeführten Eingriff, einer besonderen Rechtfertigung durch die tatsächliche oder zumindest mutmaßliche Einwilligung des Patienten oder ganz allgemein durch die Voraussetzungen des rechtfertigenden Notstandes gemäß § 34 StGB. Forensisch häufig handelt es sich jedoch um einen unglücklichen Verlauf bei einem ärztlichen Eingriff, sodass allenfalls die Fahrlässigkeit mit Sicherheit feststeht, nicht jedoch der Vorsatz. Der strafrechtliche Schwerpunkt bei der Examensklausur im Arztstrafrecht wird demnach mangels Vorsatzes häufig bei § 222 StGB oder bei § 229 StGB liegen. Dies gilt sowohl für das erste als auch für das zweite Staatsexamen.

1. Der ärztliche Heileingriff als Körperverletzung

Die Frage, ob der lege artis durchgeführte ärztliche Heileingriff die tatbestandlichen Voraussetzungen der Körperverletzung erfüllt, war Grund jahrzehntelanger Auseinandersetzungen und Kontroversen. Gerade im Schrifttum wurden immer wieder Stimmen laut, der Arzt könne nicht schlechthin als „Messerstecher“ gelten. Der BGH hält jedoch beharrlich an seiner vom Reichsgericht übernommenen Rechtsprechung fest, dass jeder ärztliche Heileingriff, auch wenn er nach den Regeln der ärztlichen Kunst durchgeführt wird, zunächst einmal tatbestandlich eine Körperverletzung darstellt. In der Rechtsprechung wird diese Judikatur bis heute, mit unterschiedlicher Begründung, mit Nachdruck widersprochen. So wird zum Teil der Tatbestandsausschluss auf den lege artis durchgeführten und gelungenen Eingriff beschränkt. Zum Teil wird jedoch auch auf das für den Heileingriff charakteristische Fehlen einer Körperinteressenverletzung abgestellt.

Dieser weitreichende Widerspruch zwischen der Ansicht des BGH und der Auffassung der Literatur sollte in der Klausur beider Examina zumindest kurz angesprochen werden um aufzuzeigen, dass man mit dem Problem vertraut ist. Damit steht auf der Tatbestandsebene zunächst fest, dass eine Körperverletzung seitens des behandelnden Arztes vorliegt. Einer Strafbarkeit kann demnach nur noch entgegenstehen, dass der ärztliche Eingriff gerechtfertigt oder entschuldigt ist. Insbesondere spielen dabei die Rechtfertigungsgründe eine bedeutende Rolle, weshalb auf diese im Folgenden näher eingegangen werden soll.

2. Rechtfertigungsgründe

Als Rechtfertigungsgründe kommen sowohl ganz allgemein der Notstand nach § 34 StGB, als auch die ausdrückliche Einwilligung gemäß § 228 StGB oder zumindest die gewohnheitsrechtlich anerkannte mutmaßliche Einwilligung in Betracht. Die größte Bedeutung haben in den Examensarbeiten dabei die beiden letztgenannten Rechtfertigungsgründe, weshalb diese im Nachfolgenden näher beleuchtet werden sollen.

a) Die ausdrückliche Einwilligung

Wird mit der Ansicht des BGH der erfolgte Heileingriff als tatbestandliche Körperverletzung angesehen, kommt in erster Linie die Einwilligung als Rechtfertigungsgrund in Frage.

Dass die Körperverletzung grundsätzlich einwilligungsfähig ist, kann mittelbar aus dem § 228 StGB entnommen werden. Die Einwilligung des Verletzten in die Körperverletzung soll gemäß § 228 StGB ihre rechtfertigende Wirkung dann nicht entfalten, wenn die Tat trotz der Einwilligung „gegen die guten Sitten“ verstößt. Es kommt insoweit auf die Sittlichkeit der Tat i.S.d. §§ 223 ff. StGB an, nicht aber auf die Sittlichkeit der Einwilligung selbst. Dieser Wortlaut stellt unmissverständlich klar, dass die Wirksamkeit der Einwilligung als Rechtfertigungsgrund nach dem Willen des Gesetzes in jedem Fall von der vorausgehenden Beurteilung der Tat hinsichtlich ihrer Vereinbarkeit mit den guten Sitten abhängen soll.

Eine wirksame Einwilligung setzt dabei einen durch ärztliche Aufklärung informierten Patienten voraus. Die Einwilligung ist dabei Ausfluss der Autonomie des Patienten. Die Wurzeln dieses Selbstbestimmungsrechts führen letztlich auf das Grundgesetz, genauer auf die Artikel 1 I, 2 II des Grundgesetzes, zurück. Die wirksam erklärte Einwilligung setzt dabei neben einem inneren Konsens auch ein Sichtbarwerden des Willens nach außen voraus. Für die Artikulation des Willens seitens des Patienten gelten dabei keine Formerfordernisse. Freilich wird in der Praxis mit Aufklärungsbögen gearbeitet, welche von dem Patienten vor dem Eingriff unterschrieben werden müssen.

Aus dem Grundgedanken, dass die Einwilligung Ausfluss des Autonomieprinzips des Patienten ist, folgt, dass eine antizipierte Einwilligung nicht bindend ist. Sie ist demnach zu jedem Zeitpunkt frei widerruflich.

Aus demselben Grund muss die Einwilligung des Patienten im Zeitpunkt des Eingriffes noch aktuell sein. Gerade bei einem längeren Intervall hat der Arzt genauestens zu prüfen, ob der Patient noch an seiner erklärten Einwilligung festhält.

Die Einwilligungsfähigkeit ist gerade bei Minderjährigen problematisch. Dies gilt vor allem vor dem Hintergrund, dass bei einem Heileingriff in die Körpersphäre ein höchstpersönliches Interessen eines jeden Patienten auf dem Spiel steht. Aus diesem Grunde ist die Einsichtsfähigkeit unter maximaler Wahrung des Autonomieprinzips nicht nach dem Gedanken der Rechtsgeschäftsfähigkeit auszurichten. Das hat zur unmittelbaren Folge, dass die auf Willenserklärungen zugeschnittenen Vorschriften des BGB hier nicht anwendbar sind.

Hier entsteht scheinbar ein Dilemma, weil anders lautende ausdrückliche Bestimmungen fehlen, auf die man stattdessen zurückgreifen könnte. Demgemäß ist allgemein anerkannt auf die geistige und sittliche Reife des Minderjährigen abzustellen. Diese ist dann zu bejahen, wenn der Minderjährige nach seiner persönlichen Entwicklung dazu in der Lage war, bei der zugrunde liegenden Sachlage die Bedeutung und Tragweite des Eingriffes und der insoweit erklärten Einwilligung zu erkennen. Auf eine starre Altersgrenze kommt es folgerichtig also nicht an. Dennoch kann das Alter zumindest Beurteilungshilfe sein, weshalb man das Alter in die Beurteilung mit einbeziehen sollte.

Häufig vergessen wird in den Examensarbeiten das subjektive Rechtfertigungselement. In subjektiver Hinsicht ist ein Handeln des Täters in Kenntnis und aufgrund der Einwilligung erforderlich. Anderenfalls entfaltet die dem Täter unbekannt gebliebene Einwilligung keine rechtfertigende Wirkung und eine Strafbarkeit wegen Versuchs verbleibt, während die irrige Annahme einer in Wirklichkeit fehlenden Einwilligung die analoge Anwendung des § 16 I 1 StGB eröffnet.

In der Examensarbeit kann man sich dabei an folgendem Prüfungsschema orientieren:

1. Anwendungsbereich des § 228 StGB

2. Disponibles Rechtsgut

3. Einwilligungsfähigkeit

4. Rechtzeitigkeit der Einwilligungserklärung

5. Subjektives Rechtfertigungselement

b) Die mutmaßliche Einwilligung

Vorab ist festzuhalten, dass die Grundsätze der mutmaßlichen Einwilligung nur dann von dem Examenskandidaten zu erörtern sind, wenn ein ausdrücklicher Wille des Verletzten für den behandelnden Arzt unter keinen Umständen zu erkennen war. Die mutmaßliche Einwilligung ist gesetzlich nicht ausdrücklich normiert, sondern nach der h.M. ein eigenständiger und gewohnheitsrechtlich anerkannter Rechtfertigungsgrund.

Die Frage der mutmaßlichen Einwilligung stellt sich vor allem im Rahmen von Noteingriffen oder einer bestehenden Bewusstlosigkeit, also bei „Gefahr in Verzug“. Ist in ärztlichen Notfällen ein Eingriff dringend indiziert und in Hinblick auf das vorrangige, gesundheitliche Interesse nicht aufschiebbar, kann der Arzt sich auf die mutmaßliche Einwilligung als Rechtfertigungsgrund stützen. Es kommt also nur dann auf den mutmaßlichen Willen des Patienten an, wenn der Arzt keine Möglichkeit hatte, vorher die ausdrückliche Einwilligung des Patienten einzuholen. Nur durch dieses Konstrukt kann das Interesse beider Seiten gewahrt werden.

In der Examensklausur ist zunächst zu prüfen, welche persönliche Entscheidung bei objektiver Beurteilung unter Berücksichtigung aller Umstände von dem Patienten individuell zu erwarten war; bloße Spekulationen genügen insoweit nicht.

Hinzukommen muss, dass es sich bei dem Eingriff um die Wahrung höherrangiger Interessen, hier der Gesundheit, handelt. Diese Frage ist wiederum anhand der medizinischen Indikation zu beurteilen. Wie beim allgemeinen Notstand geht es an dieser Stelle um die Frage der Abwägung der geschützten und beeinträchtigten Interessen.

Besondere Beachtung ist dabei der häufig vorkommenden Fallkonstellation zu schenken, dass sich der aus den Umständen ergebende Wille des Patienten als objektiv unvernünftig darstellt. Dieser ist, sei er auch noch so unvernünftig, zwingend durch den behandelnden Arzt zu beachten. Ein Eingriff wäre in diesem Fall demnach nicht von der Einwilligung des Patienten gedeckt und damit rechtswidrig.

II. Andere Strafrechtsnormen

Die Frage der Strafbarkeit des ärztlichen Heileingriffs kann auch im Rahmen der vorsätzlichen Tötung gemäß §§ 212, 211 StGB vorkommen. Dies allerdings nur unter dem Aspekt der Sterbehilfe.

III. Zusammenfassung

Zusammenfassend lässt sich festhalten, dass das materielle Arztstrafrecht immer wieder in beiden Examina vorkommt und sich einer großen Beliebtheit bei den Prüfern erfreut. Mit den Besonderheiten sollte man daher vertraut sein, zum einen um Zeit bei der Bearbeitung der Examensklausuren zu sparen und zum anderen um die Examensarbeit durch die gezielte Schwerpunktsetzung souverän zu meistern.

Weitere Infos zur ärztlichen Aufklärungspflicht findet ihr hier: https://red.ab7.dev/gastbeitrag-arztliche-aufklarungspflicht-bei-behandlung-mit-zitronensaft-aufbearbeitung-im-klausurschema/

22.11.2014/3 Kommentare/von Gastautor
https://www.juraexamen.info/wp-content/uploads/2022/05/je_logo.svg 0 0 Gastautor https://www.juraexamen.info/wp-content/uploads/2022/05/je_logo.svg Gastautor2014-11-22 10:00:242014-11-22 10:00:24Grundlagen des materiellen Arztstrafrechts
Christian Muders

BGH: Sittenwidrigkeit der Körperverletzung trotz Einwilligung in Schlägerei

Rechtsgebiete, Rechtsprechung, Rechtsprechungsübersicht, Startseite, Strafrecht, Strafrecht, Strafrecht BT

Anm. zu BGH, Beschluss v. 20.2.2013 – 1 StR 585/12
1. Um was gehts?
Nach der Pressemitteilung des BGH hatten zwei rivalisierende Gruppen Jugendlicher bzw. junger Erwachsener nach vorangegangenen wechselseitigen Provokationen verabredet, sich miteinander zu schlagen. Die an dieser faktisch zustande gekommenen Übereinkunft Beteiligten beider Gruppen stimmten zu, die Auseinandersetzung auch mit Faustschlägen und Fußtritten auszutragen. Den Eintritt selbst erheblicher Verletzungen billigten sie jeweils. Im Verlaufe der wechselseitigen Tätlichkeiten erlitten mehrere Angehörige einer Gruppe nicht unerhebliche Verletzungen. So musste etwa einer der Beteiligten drei Tage stationär, davon einen Tag auf der Intensivstation, behandelt werden. Das LG Stuttgart hat drei heranwachsende Mitglieder der gegnerischen Gruppe wegen von ihnen begangener oder als Mittäter der übrigen Gruppenmitglieder zu verantwortender gemeinschaftlicher gefährlicher Körperverletzungen (§ 224 Abs. 1 Nr. 4 StGB) zu unterschiedlichen Sanktionen des Jugendstrafrechts verurteilt. U.a. hiergegen richtete sich die Revision der Betroffenen beim BGH.
2. Was sagt das Gericht?
Der BGH hat die Verurteilungen der drei Heranwachsenden bestätigt und dabei insbesondere eine vorherige Einwilligung in die begangenen Körperverletzungen nach § 228 StGB ausgeschlossen.
a) Gemäß der letztgenannten Vorschrift handelt ein Täter trotz Einwilligung des Opfers in die begangene Körperverletzung dann rechtswidrig, wenn die Tat trotz der Einwilligung gegen die guten Sitten verstößt. Ein solches hat der BGH vorliegend angenommen. Die Pressemitteilung teilt hierzu Folgendes mit:

Die Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs hat bislang bereits Einwilligungen von späteren Opfern von Körperverletzungen keine rechtfertigende Wirkung beigemessen, wenn die Taten mit einer konkreten Gefahr des Todes für die Opfer verbunden sind. Nunmehr hat der 1. Strafsenat deutlich gemacht, dass, jedenfalls bei wie hier verabredeten wechselseitigen Tätlichkeiten zwischen Gruppen, § 228 StGB die Wirksamkeit der erteilten Zustimmung zu eigenen Verletzungen regelmäßig ausschließt, weil die typischerweise eintretenden gruppendynamischen Prozesse generell mit einem so erheblichen Grad an Gefährdung des Lebens und der körperlichen Unversehrtheit der Kontrahenten verbunden sind, dass die Grenze der „Sittenwidrigkeit“ der Taten überschritten ist.

b) Im Folgenden werden in der Pressemitteilung Abgrenzungshinweise zu ähnlichen Situationen gegeben. Dies betrifft zum einen verabredete Schlägereien zwischen rivalisierenden Hooligan-Gruppen (sog. „Dritte Halbzeit“), die mit dem vorstehend entschiedenen Sachverhalt als vergleichbar erachtet werden:

Selbst wenn solche körperlichen Auseinandersetzungen auf getroffenen Abreden über die Art des „Kampfes“ beruhen, werden sich die Taten wegen der typischen Eskalationsgefahren trotz der Einwilligungen sämtlicher Beteiligten als Verstoß gegen die „guten Sitten“ erweisen.

Zum anderen sollen demgegenüber mit erheblichen Gesundheitsgefahren verbundene Sportwettkämpfe auch bei einer Austragung durch Mannschaften nicht betroffen sein:

Das vorhandene Regelwerk der Sportarten, dessen Einhaltung regelmäßig durch eine neutrale Instanz kontrolliert wird, begrenzt üblicherweise den für die Beteiligten vorhandenen Gefährdungsgrad. Wie schon bisher sind strafbare Körperverletzungen hier erst dann gegeben, wenn diese aus grob regelwidrigem Verhalten hervorgehen.

3. Warum ist die Entscheidung interessant?
a) Mit dem vorliegenden Beschluss bleibt der BGH der Linie seiner neueren Rechtsprechung treu, wonach die Sittenwidrigkeit der Körperverletzung maßgeblich durch den Umfang der vom Opfer hingenommenen körperlichen Misshandlung oder Gesundheitsschädigung und dem Grad der damit verbundenen Leibes- oder Lebensgefahr abhängig ist (vgl. dazu etwa BGH, Urteil v. 26.5.2004 – 2 StR 505/03 = BGHSt 49, 166 ff. = NJW 2004, 2458 ff.). Dies kann grundsätzlich durchaus begrüßt werden, da hiermit dem schwierig zu subsumierenden, da unbestimmten, Rechtsbegriff der „guten Sitten“ eine relativ trennsichere, rechtsgutsbezogene Auslegung beigelegt wird und somit Bedenken wegen dessen Unbestimmtheit nach Art. 103 Abs. 2 GG entschärft werden können.
b) Bereits an anderer Stelle wurde indes darauf hingewiesen, dass eine solch strikte Folgenbetrachtung nicht in jedem Fall durchzuhalten ist, wenn z.B. die Lebensgefahr des Opfers aus einer Rettungsmotivation des Täters heraus erfolgt. Gedacht sei etwa das Beispiel, dass ein Pkw-Fahrer seinen besten Freund, der gerade einen Herzinfarkt erlitten hat, auf dessen Wunsch mit überhöhter Geschwindigkeit zum Krankenhaus fährt und dabei von der Fahrbahn abkommt, so dass sein Freund erhebliche Unfallverletzungen erleidet. Hier von einer fahrlässigen Körperverletzung auszugehen, obwohl der Patient dem Handeln des Pkw-Fahrers zugestimmt hatte, ist nicht unbedingt überzeugend. Daher erscheint es angebracht, jedenfalls ergänzend zur Schwere der drohenden Verletzungen die Gesinnung des handelnden Täters heranzuziehen, und zwar in dem Sinne, dass eine hohe Todesgefahr bzw. das Risiko schwerer Gesundheitsschädigungen zwar als wesentlicher Indikator für eine Sittenwidrigkeit der Tat behandelt wird, der jedoch von Fall zu Fall – im Sinne einer „Gegenprobe“ – durch eine billigenswerte Motivation des Täters „entschärft“ werden kann.
c) Auch bei diesem modifizierenden Ansatz bleibt im Übrigen die im vorliegenden Fall vorgenommene Abgrenzung zwischen der Strafbarkeit verabredeter Schlägereien und dem Eingreifen der rechtfertigenden Einwilligung bei sportlichen Wettkämpfen erhalten: Neben dem überzeugenden Hinweis des BGH darauf, dass bei „echten“ Sportwettkämpfen aufgrund des hier vorhandenen Regelwerks und der Kontrolle der Einhaltung desselben durch einen oder mehrere Schiedsrichter die Gefahr schwerer Gesundheitsschädigungen erheblich gemindert ist, ist auch die Motivation in beiden Fällen unterschiedlich: Während bei Sportveranstaltungen das in unserer Gesellschaft allseits akzeptierte Element des Wettbewerbs, des Kräftemessens zwischen unterschiedlichen Mannschaften und Einzelkontrahenten im Vordergrund steht, tritt bei verabredeten Schlägereien der Beweggrund der Schädigung des Gegenübers in den Vordergrund. Die Verletzung des „Feindes“ ist damit die eigentliche Antriebsfeder für die körperliche Betätigung, was sich auch in den vom BGH beschriebenen „gruppendynamischen Prozessen“ manifestiert, die sich bei verabredeten Gruppenschlägereien ergeben können. Demgemäß sind auch bei einer ergänzenden Heranziehung der Motivation des Täters Sportarten wie Boxen oder auch das sog. „Ultimate Fighting“, so lange sie nicht zu einen bloßen Deckmantel für eine eigentlich intendierte, größtmögliche Beeinträchtigung des „Feindes“ degenerieren, erlaubt. Zur (grundsätzlich fehlenden) Strafbarkeit der letzteren Sportart sei schließlich noch auf einen ausführlichen Artikel hier verwiesen.

28.03.2013/2 Kommentare/von Christian Muders
https://www.juraexamen.info/wp-content/uploads/2022/05/je_logo.svg 0 0 Christian Muders https://www.juraexamen.info/wp-content/uploads/2022/05/je_logo.svg Christian Muders2013-03-28 14:00:372013-03-28 14:00:37BGH: Sittenwidrigkeit der Körperverletzung trotz Einwilligung in Schlägerei
Christian Muders

Eckpunkte eines Gesetzesentwurfs zur Erlaubnis religiöser Beschneidung Minderjähriger auf FAZ.net.

Startseite, Strafrecht, Strafrecht AT, Tagesgeschehen

Die strafrechtlichen Konsequenzen einer religiösen Beschneidung waren ja nun schon wiederholt Thema auf Juraexamen.info (vgl. etwa hier und hier). Auf FAZ.net ist nun ein Artikel publiziert worden, der Eckpunkte für eine gesetzgeberische Reform des BGB vorstellt mit dem Ziel, religiöse Beschneidungen an Minderjähren bei Wahrung medizinischer Mindeststandards zu erlauben. Demnach soll die vom LG Köln als Rechtfertigungsgrund noch verschmähte „elterliche Personensorge“ explizit um „das Recht, in eine medizinisch nicht erforderliche Beschneidung des nicht einsichts- und urteilsfähigen männlichen Kindes einzuwilligen“ ergänzt werden, „wenn diese nach den Regeln der ärztlichen Kunst durchgeführt werden soll“. Auch an einen begrenzenden Gegenpassus hat der Gesetzgeber offenbar gedacht, wonach die Personensorge eine religiöse Beschneidung dann nicht deckt, „wenn durch die Beschneidung auch unter Berücksichtigung ihres Zwecks das Kindeswohl gefährdet wird“ – womit die gerade bei Rechtfertigungsgründen regelmäßig erforderliche Interessenabwägung (man denke an §§ 34, 193 StGB – Ausnahme § 32 StGB) auch hier gesetzlich verankert wird. Zudem ist geplant, die Vornahme einer religiösen Beschneidung nicht allein  Ärzten vorzubehalten, sondern bei einer Durchführung innherhalb der ersten sechs Monate nach der Geburt auch „auf von einer Religionsgesellschaft dazu vorgesehene Personen“ zu erstrecken , „wenn sie dafür besonders ausgebildet und, ohne Arzt zu sein, für die Durchführung der Beschneidung vergleichbar befähigt sind“ – wiederum eine Konzession an religiöse Gebote, da etwa im Judentum die Beschneidung durch eine speziell dafür ausgebildete Person (Mohel) Brauch ist.
Zum ganzen Artikel auf FAZ.net geht’s hier.
Und hier noch ein alternativer Artikel auf SPON.

25.09.2012/6 Kommentare/von Christian Muders
https://www.juraexamen.info/wp-content/uploads/2022/05/je_logo.svg 0 0 Christian Muders https://www.juraexamen.info/wp-content/uploads/2022/05/je_logo.svg Christian Muders2012-09-25 17:43:452012-09-25 17:43:45Eckpunkte eines Gesetzesentwurfs zur Erlaubnis religiöser Beschneidung Minderjähriger auf FAZ.net.
Tom Stiebert

Ohrlöcher als Körperverletzung?

Rechtsprechungsübersicht, Schon gelesen?, Startseite, Strafrecht, Strafrecht AT, Strafrecht BT, Tagesgeschehen

Das Amtsgericht Berlin-Lichtenberg verhandelt heute einen Fall, der in den Medien bereits Wellen geschlagen hat: Es geht um die Strafbarkeit des Stechens von Ohrlöchern bei Kleinkindern. Auch wenn es bei dem Urteil nur um die zivilrechtliche Ebene geht, ist vor allem nach dem Urteil des LG Köln zur Beschneidung die strafrechtliche Dimension spannend. Nicht allein die Strafbarkeit des Tätowierers (der das Ohrloch sticht) wirft Probleme auf, insbesondere bei der Strafbarkeit der Eltern zeigt sich die Schwierigkeit der Abgrenzung von Täterschaft und Teilnahme.
I. Strafbarkeit Tätowierer
Durch den Tätowierer wird tatbestandlich eine Körperverletzung nach § 223 StGB begangen. Eine Sozialadäquanz der Handlung lässt jedenfalls nach h.M. den Tatbestand nicht entfallen. Wenn selbst ein ordnungsgemäß durchgeführter ärztlicher Eingriff als Körperverletzung anzusehen ist, so muss dies erst recht hier gelten.
Fraglich ist aber, ob eine Rechtfertigung vorliegt. Zunächst könnte das Kind selbst hier einwilligen. Maßgeblich ist dazu dessen individuelle Einwilligungsfähigkeit. Diese liegt dann vor, wenn das Kind begreift, dass das Ohrlochstechen Schmerzen hervorruft und ein – wenn auch sehr kleines – bleibendes Loch hinterlässt. Bei einem dreijährigen Kind ist dies wohl abzulehnen. Dennoch sollte m.E. die Altersgrenze hier nicht zu hoch liegen, m.E. nach vermag ein 5-6-jähriges Kind die Bedeutung des Ohrlochstechens in dem gezeigten Ausmaß zu erkennen.
Allerdings könnten die Eltern für ihr Kind einwilligen. Grundsätzlich liegt eine solche Einwilligung wohl vor. Fraglich ist aber, ob diese wirksam ist. Überträgt man die Wertungen des LG Köln, so ist das wohl zu verneinen. Das Ohrlochstechen an sich widerspricht dem Wohl des Kindes (§ 1627 S. 1 BGB). [Hier könnte erwogen werden, ob das Ohrlochstechen der Verschönerung wie bspw. ein Haarschnitt dient. Im Ergebnis ist dies aber wohl zu verneinen.] Es sprechen auch keine grundrechtlichen Erwägungen für eine Zulässigkeit – das Erziehungsrecht der Eltern aus Art. 6 GG tritt hinter der körperlichen Unversehrtheit des Kindes aus Art. 2 Abs. 1 GG zurück. Eine Rechtfertigung scheidet damit aus.
Allerdings kann hier – parallel zur Entscheidung des LG Köln – das Vorliegen eines Verbotsirrtums nach § 17 Abs. 1 StGB bejaht werden.
II. Strafbarkeit Eltern
Fraglich ist, wie sich die Eltern strafbar gemacht haben könnten.
Eine Strafbarkeit nach § 171 StGB scheidet aus. Die Handlung ist weder gröblich, also subjektiv und objektiv schwerwiegend (BeckOK/Heuchemer, § 171 StGB Rn. 4), noch liegt eine konkrete erhebliche Gefährdung des Kindes vor.
Auch eine Misshandlung von Schutzbefohlenen nach § 225 StGB scheidet tatbestandlich aus. Weder liegen ein Quälen oder eine rohe Misshandlung, noch eine böswillige Vernachlässigung der Sorgepflichten vor. Zwar mag eine Vernachlässigung der Sorgepflichten und eine daraus resultierende Gesundheitsschädigung nach dem oben Dargelegten noch bejaht werden können, jedenfalls eine Böswilligkeit scheidet aber aus. Diese steht auf einer Stufe mit den beiden ersten Tatbestandsalternativen und ist „gekennzeichnet durch ein eigensinniges Verhalten aus Bosheit, Lust an fremden Leid, Hass und anderen besonders verwerflichen Gründen“ (BeckOK/Eschelbach, § 225 StGB Rn. 24).
Es bleibt damit auch bei den Eltern eine mögliche Strafbarkeit nach § 223 StGB. Fraglich ist dabei, ob sie diese als Täter oder als Teilnehmer begangen haben.  Hier liegt das besondere Problem vor, dass die Eltern nicht aktiv handeln, sondern allenfalls eine Unterlassensstrafbarkeit begehen können, indem sie die Körperverletzung nicht verhindern. Die Eltern haben jedenfalls eine Garantenstellung aus ihrer elterlichen Fürsorgepflicht. [Hier ist es auch gut vertretbar, die Eltern als Handelnde zu sehen, da sie das  Kind zum Tätowierer bringen. Im Vordergrund steht m.E. aber die Nichtverhinderung des Handelns des Tätowierers, so dass ein Unterlassen zu bejahen ist.]
Beim Nebeneinander von Unterlassen und aktiver Handlung kann vieles vertreten werden. Die Literatur stellt maßgeblich auf die Tatherrschaft ab. Nach einer Ansicht kann neben einer aktiven Handlung nie eine Tatherrschaft vorliegen (Gallas JZ 1952, 372; Jescheck/Weigend § 64 IV 5; Kühl § 20 Rn 230). Eine Mindermeinung bejaht dagegen stets auch eine Täterschaft aufgrund der herausgehobenen Stellung einer Garantenpflicht (Mitsch Jura 1989, 197). Teilweise wird nach der Art der Garantenpflicht differenziert (Beschützergaranten als Täter, Überwachergaranten nur als Teilnehmer, vgl. Herzberg JuS 1975, 171; Schönke/Schröder StGB vor §§ 25 ff Rn 101 ff).
Die Rechtsprechung hingegen stellt maßgeblich auf einen Täter- oder Teilnehmerwillen ab (BGH NJW 1952, 552; BGH NJW 1966, 1763). Da die Eltern hier mitbestimmend beim Geschehen sind, wäre eine Täterschaft zu bejahen.
An dieser Stelle soll gar nicht versucht werden, eine „richtige“ Antwort vorzugeben – alle Lösungen sind mit der entsprechenden Begründung sehr gut vertretbar. Je nachdem wie man sich aber entscheidet, haben sich die Eltern, legt man das Ohrlochstechen als Körperverletzung aus, wegen einer solchen als Täter oder Teilnehmer strafbar gemacht. Es muss aber klar sein, dass auch hier wieder ein Verbotsirrtum nach § 17 Abs. 1 StGB zu bejahen ist, so dass im Ergebnis eine Strafbarkeit nicht vorliegt.
III. Fazit
Der Fall ist wie geschaffen für eine mündliche Prüfung. Bewegt man sich anfangs noch auf bekannten Pfaden und kann bei der Prüfung des § 223 StGB sein erlerntes Wissen zeigen, so muss man spätestens bei §§ 171 und 225 StGB auch eigenständige Argumentationen entwickeln. Die Hauptschwierigkeit liegt dann jedenfalls bei der Abgrenzung von Täterschaft und Teilnahme (insbesondere durch das Vorliegen eines Unterlassens). Hier muss dann selbständig argumentiert und ein gutes Problembewusstsein gezeigt werden.

31.08.2012/4 Kommentare/von Tom Stiebert
https://www.juraexamen.info/wp-content/uploads/2022/05/je_logo.svg 0 0 Tom Stiebert https://www.juraexamen.info/wp-content/uploads/2022/05/je_logo.svg Tom Stiebert2012-08-31 15:48:152012-08-31 15:48:15Ohrlöcher als Körperverletzung?
Christian Muders

LG Köln: Religiöse Beschneidung von Kindern und Jugendlichen verboten.

Rechtsprechung, Rechtsprechungsübersicht, Startseite, Strafrecht, Strafrecht, Strafrecht BT

Das LG Köln (Urteil vom 07.05.2012 – 151 Ns 169/11) hat entschieden, dass die religiöse Zirkumzision (Beschneidung) von Kindern und Jugendlichen eine strafbare Körperverletzung darstellt, die nicht durch die Einwilligung der Eltern bzw. als Ausfluss der grundrechtlich geschützten Religions- und Erziehungsfreiheit gerechtfertigt ist. Das Thema ist in wissenschaftlicher Hinsicht bereits seit längerer Zeit ein (strafrechtlicher) Dauerbrenner (siehe etwa den Aufsatz von Herzberg, ZIS 2010,  471 ff. [hier geht´s zur ZIS] gegen den Beitrag von Fateh-Moghadam, RW 2010, 115 ff. [eine gekürzte Ausgabe des letztgenannten Aufsatzes findet sich hier]). Das LG Köln hat jetzt aber als erstes Gericht ein Urteil hierzu vorgelegt.
Bisher war lediglich anerkannt, dass eine Körperverletzung dann vorliegt, wenn eine Einwilligung der sorgeberechtigten Eltern nicht erfolgt ist oder wenn ein noch nicht einwilligungsfähiger Minderjähriger eingewilligt hat. Dabei wurde keine starre Altersgrenze gezogen, sondern stattdessen auf die individuelle Einsichtsfähigkeit des Minderjährigen und seine Fähigkeit zur Ausübung der Religionsfreiheit abgestellt (siehe hierzu etwa: OLG Frankfurt v. 21.08.2007 – 4 W 12/07 [zivilrechtliche Entscheidung]).
Im Hinblick auf das aktuelle Urteil des LG Köln sei hingewiesen auf eine knappe Urteilsanmerkung von Prof. Dr. Holm Putzke in der LTO, die hier zu finden ist und sowohl den Sachverhalt als auch die Entscheidung kurz beleuchtet.

26.06.2012/5 Kommentare/von Christian Muders
https://www.juraexamen.info/wp-content/uploads/2022/05/je_logo.svg 0 0 Christian Muders https://www.juraexamen.info/wp-content/uploads/2022/05/je_logo.svg Christian Muders2012-06-26 14:58:332012-06-26 14:58:33LG Köln: Religiöse Beschneidung von Kindern und Jugendlichen verboten.
Dr. Stephan Pötters

Bundestag beschließt umstrittenes Gesetz zur Patientenverfügung

Strafrecht, Zivilrecht

Vorschlag des Abgeordneten Stünker in offener Abstimmung angenommen
Der Deutsche Bundestag hat am 18. Juni 2009 eine gesetzliche Regelung zur Patientenverfügung getroffen (Drittes Gesetz zur Änderung des Betreuungsrechts). Diese benötigt noch die Zustimmung des Bundesrats und tritt dann wohl am 1. September 2009 in Kraft. Der Beschluss des Bundestages geht auf den Vorschlag des Abgeordneten Stünker (SPD) zurück. Daneben gab es noch weitere Vorschläge, wovon eine der diskutierten Initiativen eine gesetzliche Regelung gänzlich ablehnte, da man diese in ethischer Hinsicht heikle Thematik nicht regeln könne. Der nun beschlossene Gesetzesentwurf sieht hingegen eine verbindliche Regelung der Patientenverfügung vor.
Dort wird eine Patientenverfügung legaldefiniert als die Festlegung eines einwilligungsfähigen Volljährigen für den Fall seiner Einwilligungsunfähigkeit, ob er in bestimmte, zum Zeitpunkt der Festlegung noch nicht unmittelbar bevorstehende Untersuchungen seines Gesundheitszustandes, Heilbehandlungen oder ärztliche Eingriffe einwilligt oder sie untersagt (nach dem voraussichtlichen neuen Wortlaut § 1901a BGB). Außerdem ist ein Schriftformerfordernis vorgesehen.
Auch jetzt schon ist die Patientenverfügung nach der BGH-Rechtsprechung verbindlich
Damit wird die neue Rechtslage im Wesentlichen der alten entsprechen. Denn in einem richtungsweisenden Urteil erkannte der BGH 2003 die verbindlichkeit der Patientenverfügung an (BGH, Beschluss vom 17. März 2003, Az XII ZB 2/03). So hieß es in diesem Urteil:
„Ist ein Patient einwilligungsunfähig und hat sein Grundleiden einen irreversiblen tödlichen Verlauf angenommen, so müssen lebenserhaltende oder -verlängernde Maßnahmen unterbleiben, wenn dies seinem zuvor – etwa in Form einer sog. Patientenverfügung – geäußerten Willen entspricht. Dies folgt aus der Würde des Menschen, die es gebietet, sein in einwilligungsfähigem Zustand ausgeübtes Selbstbestimmungsrecht auch dann noch zu respektieren, wenn er zu eigenverantwortlichem Entscheiden nicht mehr in der Lage ist. Nur wenn ein solcher erklärter Wille des Patienten nicht festgestellt werden kann, beurteilt sich die Zulässigkeit solcher Maßnahmen nach dem mutmaßlichen Willen des Patienten, der dann individuell – also aus dessen Lebensentscheidungen, Wertvorstellungen und Überzeugungen – zu ermitteln ist.“
Strafbarkeit des behandelnden Arztes?
Sofern ein Arzt aufrgund einer wirksamen Patientenverfügung eine unerwünschte Behandlung abbricht und dies zum Tod des Patienten führt, ist er straffrei (passive Sterbehilfe). Sofern er sich über den Willen des Patienten hinwegsetzt und weiterbehandelt, kann er sich wegen Körperverletzung gem. §§ 223 ff. StGB strafbar machen, auch wenn er nur „das Beste“ für den Patienten will. Der Arzt, der hierdurch das Leben des Patienten verlängert, ist auch nicht nach § 34 StGB gerechtfertigt. Dies kann man damit begründen, dass § 34 StGB auf den Fall einer „internen Güterkollision“ (beide tangierten Rechtsgüter sind solche des Patienten) nicht anwendbar ist, oder aber dass hier das aus Art. 1 I GG abgeleitete Selbstbestimmungsrecht des Patienten höherwertig ist als der Erhalt des Lebens des Patienten.

29.06.2009/0 Kommentare/von Dr. Stephan Pötters
https://www.juraexamen.info/wp-content/uploads/2022/05/je_logo.svg 0 0 Dr. Stephan Pötters https://www.juraexamen.info/wp-content/uploads/2022/05/je_logo.svg Dr. Stephan Pötters2009-06-29 20:41:522009-06-29 20:41:52Bundestag beschließt umstrittenes Gesetz zur Patientenverfügung

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