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Gastautor

BVerfG ändert seine Rspr. zu automatisierten Kennzeichen-Kontrollen

BVerfG Leitentscheidungen & Klassiker, Examensvorbereitung, Lerntipps, Öffentliches Recht, Rechtsgebiete, Rechtsprechung, Schon gelesen?, Startseite

Wir freuen uns, heute einen Gastbeitrag von Tobias Vogt veröffentlichen zu können. Der Autor hat an der Universität Bonn Jura studiert und ist derzeit wissenschaftlicher Mitarbeiter bei CMS Hasche Sigle.
In einer aktuellen Entscheidung (Beschl. v. 18.12.2018, Az. 1 BvR 142/15) ändert das Bundesverfassungsgericht seine Rspr. zur automatischen Kennzeichenerfassung und bejaht nun auch bei sog. „unechten Treffern“ und sogar bei „Nichttreffer“ einen Eingriff, obwohl es im Jahr 2008 (Beschl. v. 11.03.2008, Az. 1 BvR 2074/05) die Eingriffsschwelle in diesen Fällen noch nicht überschritten sah. Die Entscheidung ist von extrem hoher Examensrelevanz und wird mit Sicherheit in naher Zukunft Gegenstand von juristischen Prüfungen sein. Denn die Hauptprobleme liegen in der Entscheidung, ob ein Grundrechtseingriff vorliegt, sowie in der Prüfung der Verhältnismäßigkeit und betreffen somit Basics des Verfassungsrechts. Die Thematik kann zudem nicht nur in eine verfassungsrechtliche Klausur – als Verfassungsbeschwerde oder Normkontrolle – sondern auch in Form einer verwaltungsrechtlichen Unterlassungsklage geprüft werden.
I. Sachverhalt (vereinfacht)
Im bayrischen Polizeiaufgabengesetz (PAG) befinden sich Regelungen (Art. 33, 13 und 38 PAG), die die Polizei zu einer automatisierten Kennzeichenerfassung ermächtigen. An verschiedenen Kontrollstellen im Land Bayern werden auf dieser Grundlage die Kennzeichen der vorbeifahrenden Fahrzeuge abfotografiert und digitalisiert mit Nummernschildern aus Fahndungsdateien abgeglichen. Der Abgleich erfolgt grundsätzlich automatisch. Ergibt der Abgleich keinen Treffer, so werden die Daten automatisch und unverzüglich gelöscht („Nichttreffer“). Sofern das Programm einen Treffer meldet, wird das Bild temporär gespeichert und von einem Polizeibeamten überprüft, ob es tatsächlich mit dem Kennzeichen aus der Fahndungsdatei übereinstimmt. Denn in einigen Fällen kommt es aufgrund einer fehlerhaften Erfassung fälschlicher Weise zu einer Treffermeldung („unechter Treffer“). Dann wird der gesamte Vorgang unverzüglich nach der Überprüfung gelöscht. Bestätigt die Überprüfung einen „echter Treffer“, so werden die Daten gespeichert und gegebenenfalls weitere polizeiliche Maßnahmen in die Wege geleitet. Weder Fahrzeughalter noch Fahrzeugführer werden über die Kennzeichenkontrolle informiert.
II. Schutzbereich des Grundrechts auf informationelle Selbstbestimmung Art. 2 Abs. 1 i.V.m. Art. 1 Abs. 1 GG
 Der Schutzbereich des Rechts auf informationelle Selbstbestimmung ist eröffnet. So führt das BVerfG aus:
„Das Recht auf informationelle Selbstbestimmung trägt Gefährdungen und Verletzungen der Persönlichkeit Rechnung, die sich für den einzelnen, insbesondere unter den Bedingungen moderner Datenverarbeitung, aus informationsbezogenen Maßnahmen ergeben. Dieses Recht flankiert und erweitert den grundrechtlichen Schutz von Verhaltensfreiheit und Privatheit; es lässt ihn schon auf der Stufe der Gefährdung des Persönlichkeitsrechts beginnen. Eine derartige Gefährdungslage kann bereits im Vorfeld konkreter Bedrohungen von Rechtsgütern entstehen.“ Der Schutzumfang des Rechts auf informationelle Selbstbestimmung beschränkt sich nicht auf sensible Informationen. „Auch der Umgang mit personenbezogenen Daten, die für sich genommen nur geringen Informationsgehalt haben, kann, je nach seinem Ziel und den bestehenden Verarbeitungs- und Verknüpfungsmöglichkeiten, grundrechtserhebliche Auswirkungen auf die Privatheit und Verhaltensfreiheit des Betroffenen haben. Insofern gibt es unter den Bedingungen der elektronischen Datenverarbeitung kein schlechthin, also ungeachtet des Verwendungskontextes, belangloses personenbezogenes Datum mehr“. So können die Kennzeichen, auch ohne dass sie selbst sensible Informationen enthalten, den jeweiligen Haltern mit Name, Anschrift und weiteren Informationen zuordnen werden. Der Umstand, dass die erfassten Daten öffentlich zugänglich sind, lässt den Schutz nicht entfallen. Denn auch in der Öffentlichkeit schützt das Recht auf informationelle Selbstbestimmung den Einzelnen vor einer automatisierten Informationserhebung.
III. Eingriff
 Wichtig: Der Vorgang der automatisierten Kennzeichenkontrolle umfasst mehrere Einzelmaßnahmen die jeweils für sich einen Eingriff darstellen und daher zwingend separat zu prüfen sind! Sonst droht Punktabzug wegen unsauberer und undifferenzierter Prüfung. Insbesondere ist zwischen Datenerhebung, Speicherung und Verwendung zu unterscheiden. Bei einem datenabgleich stellen die Erfassung und der Abgleich der Daten je einen einzelnen Grundrechtseingriff dar.
Das BVerwG lehnte noch im Jahr 2014 unter Verweis auf die bisherige Rechtsprechung des BVerfG bei „Nichttreffern“ und „unechten Treffern“ einen Eingriff ab. Nun bejaht das BVerfG jedoch auch in diesen beiden Konstellationen einen Eingriff in das Recht auf informationelle Selbstbestimmung. Zwar hält das BVerfG an seiner Formal fest, dass es an der Eingriffsqualität fehle, „sofern Daten ungezielt und allein technikbedingt zunächst miterfasst, aber nach der Erfassung technisch wieder anonym, spurenlos und ohne Erkenntnissinteresse der Behörden ausgesondert werden“, wobei maßgeblich ist, ob sich das behördliche Interesse an den betroffenen Daten bereits hinreichend verdichtet hat. Nun sieht das BVerfG eine solche Verdichtung als gegeben an: „Wenn gezielt mittels Datenabgleich Personen im öffentlichen Raum daraufhin überprüft werden, ob sie oder die von ihnen mitgeführten Sachen polizeilich gesucht werden, besteht an deren Daten auch dann ein verdichtetes behördliches Interesse, wenn diese Daten im Anschluss an die Überprüfung unmittelbar wieder gelöscht werden. […]Die Einbeziehung der Daten auch von Personen, deren Abgleich letztlich zu Nichttreffern führt, erfolgt nicht ungezielt und allein technikbedingt, sondern ist notwendiger und gewollter Teil der Kontrolle und gibt ihr als Fahndungsmaßnahme erst ihren Sinn. In der ex ante-Perspektive der Behörde, die für die Einrichtung einer Kennzeichenkontrolle maßgeblich ist, besteht ein spezifisch verdichtetes Interesse daran, die Kennzeichen aller an der Kennzeichenerfassungsanlage vorbeifahrenden oder sonst in die Kontrolle einbezogenen Fahrzeuge zu erfassen, weil es gerade um deren Kontrolle selbst geht.“ Auch wenn den Betroffenen im Falle eines „Nichttreffers“ wegen der sofortigen Löschung weder Unannehmlichkeiten noch Konsequenzen erwachsen, ist hier die Eingriffsschwelle überschritten. Denn „zur Freiheitlichkeit des Gemeinwesens gehört es, dass sich die Bürgerinnen und Bürger grundsätzlich fortbewegen können, ohne dabei beliebig staatlich registriert zu werden, hinsichtlich ihrer Rechtschaffenheit Rechenschaft ablegen zu müssen und dem Gefühl eines ständigen Überwachtwerdens ausgesetzt zu sein“.
IV. Gesetzgebungskompetenz des Landes
Im Rahmen der Prüfung der formellen Verfassungsmäßigkeit der Regelungen über die automatisierte Kennzeichenerfassung ist zu problematisieren, dass die Regelungen sowohl dem präventiven Zweck der Gefahrenabwehr als auch dem repressiven Zweck der Strafverfolgung dienen. Da der Bundesgesetzgeber insbesondere mit der StPO von seiner konkurrierenden Gesetzgebungskompetenz im Bereich der Strafverfolgung aus Art. 74 Abs. 1 Nr. 1 GG Gebrauch gemacht hat, ist für diese Materie die Gesetzgebungskompetenz der Länder gesperrt. Im Falle einer doppelfunktionalen Regelung, die sowohl der Gefahrenabwehr als auch der Strafverfolgung dient, kommt es auf den Schwerpunkt des verfolgten Zwecks an. Lässt sich ein Schwerpunkt nicht eindeutig ermitteln, so steht dem Gesetzgeber ein Entscheidungsspielraum für die Zuordnung zu.
V. Verhältnismäßigkeit
Neben der Prüfung des Eingriffs liegt – wie so oft – in der Verhältnismäßigkeit ein weiterer Schwerpunkt des Falls.
Das BVerfG stufte die Regelungen im PAG für teilweise unverhältnismäßig ein und stellte besondere Voraussetzungen für eine verhältnismäßige Regelung der automatisierten Kennzeichenkontrolle auf:
– Die Regelung bedarf grundsätzlich eines objektiv bestimmten und begrenzten Anlass. Beliebige Kontrollen zu beliebiger Zeit und an beliebigem Ort ins Blaue hinein sind mit dem Rechtsstaatsprinzip nicht zu vereinbaren. Der Gesetzgeber kann auch auf typisiert umschriebene Gefahrenlagen abstellen oder Kontrollen erlauben, wenn im Einzelfall oder typischerweise eine spezifisch gesteigerte Wahrscheinlichkeit besteht, gesuchte Personen oder Sachen aufzufinden.
– Aufgrund des erheblichen Eingriffsgewichts automatisierter Kennzeichenkontrollen dürfen sie nur zum Schutz von Rechtsgütern von zumindest erheblichen Gewicht oder sonst einem vergleichbar gewichtigem Öffentlichen Interesse erfolgen. Zu den in Frage kommenden Rechtsgütern zählen Leib, Leben und Freiheit der Person, der Bestand und die Sicherheit des Bundes und der Länder sowie nicht unerhebliche Sachwerte.
– Der Datenabgleich ist auf solche Fahndungsbestände zu beschränken, die für den jeweiligen Zweck der Kennzeichenkontrolle Bedeutung haben können.
– Eine aufsichtsrechtliche Kontrolle ist geboten.
– Eine Information über die Kennzeichenerfassung und den Kennzeichenabgleich ist anders als bei heimlichen Überwachungsmaßnahmen von höherer Intensität nicht erforderlich. Es reicht aus, dass die Betroffenen nur im Rahmen etwaiger Folgemaßnahmen von den Kontrollen erfahren.
– Es bedarf einer nachvollziehbaren und überprüfbaren Dokumentation der Entscheidungsgrundlagen für den Einsatz der automatisierten Kennzeichenkontrolle. Dadurch wird die Behörde selbst gemäßigt und zudem sowohl eine aufsichtsrechtliche sowie gerichtliche Kontrolle erleichtert.
– Schließlich muss sich die Ausgestaltung solcher Kontrollen unter Berücksichtigung aller sie kennzeichnenden Umstände auch in einer Gesamtabwägung als verhältnismäßig erweisen.
In die Verhältnismäßigkeitsprüfung hat einerseits einzufließen, dass die Kennzeichenkontrolle im öffentlichen Raum stattfindet und die erfassten Kennzeichen für jedermann sichtbar sind. Zudem lässt sich der Bezug zu personenbezogenen Daten nur mittelbar herstellen. Auch ist die Kontrolle gegenüber der ganz überwiegenden Zahl der Betroffenen mit keinerlei unmittelbar beeinträchtigenden Folgen verbunden und hinterlässt keine Spuren. Dass der Datenabgleich in Sekundenschnelle durchgeführt wird und die erfassten Daten im Nichttrefferfall sofort vollständig wieder gelöscht werden, ohne einer Person bekannt zu werden, nimmt dem Eingriff erheblich an Gewicht.
Das Eingriffsgewicht erhöhend ist dagegen zu berücksichtigen, dass es sich um Eingriffe mit extrem großer Streubreite handelt, die praktisch jeden treffen können. Belastend fällt auch die Heimlichkeit der Maßnahme ins Gewicht. Es kann ein Gefühl des Überwachtwerdens entstehen.
VI. Prozessuale Probleme
Im Rahmen einer Rechtssatzverfassungsbeschwerde unmittelbar gegen die Regelungen, die zu automatisierten Kennzeichenkontrollen ermächtigen, sind die Beschwerdebefugnis sowie die Subsidiarität problematisch.
Die Beschwerdebefugnis kann nur bejaht werden, wenn neben der Möglichkeit der Grundrechtsverletzung der Beschwerdeführer auch selbst, gegenwärtig und unmittelbar betroffen ist. Eine unmittelbare Betroffenheit liegt bei einer Rechtssatzverfassungsbeschwerde grundsätzlich nur vor, wenn es sich um eine „self-executing“- Norm handelt, die keines Vollzugsaktes mehr bedarf, gegen den sich der Betroffene vor den Fachgerichten wehren kann. Die Heimlichkeit der Maßnahme führt aber dazu, dass der Beschwerdeführer fachgerichtlichen Schutz mangels Kenntnis von der Maßnahme nicht in die Wege leiten kann. Daher steht der Grundsatz der Unmittelbarkeit der Verfassungsbeschwerde nicht entgegen. Für die Darlegung einer gegenwärtigen Selbstbetroffenheit reicht es bei heimlichen Maßnahmen mit großer Streubreite aus, dass der Beschwerdeführer möglicherweise Adressat der Maßnahme ist. Dies ist bei einer Kennzeichenkontrolle grundsätzlich jeder Halter eines Kraftfahrzeugs, der Straßen des Bundeslandes befährt.
Nach dem Grundsatz der Subsidiarität ist eine Verfassungsbeschwerde gegen ein Gesetz unzulässig, wenn eine Inzidenter-Kontrolle vor den Fachgerichten dem Beschwerdeführer möglich, zumutbar und zur Entlastung des BVerfG zweckmäßig ist. Wegen der Heimlichkeit der Maßnahme ist dies dem Beschwerdeführer aber gerade nicht zumutbar.
VII. Fazit
Nach Ansicht des BVerfG stellt nun also selbst ein „Nichttreffer“ bei einer automatisierten Kennzeichenkontrolle einen Eingriff in das Recht auf informationelle Selbstbestimmung dar. Dies wird im Wesentlichen damit begründet, dass bewusst zunächst gerade sämtliche Kennzeichen erfasst werden und sich daher das behördliche Interesse an den Daten verdichtet hat. Die Kontrolle ist als solche auch ohne weitere Folgen freiheitsbeeinträchtigend, da durch die Kontrollen ein Gefühl des ständigen Überwachtwerdens entstehen kann. Ein Gesetz, das automatisierte Kennzeichenkontrollen vorsieht, kann dennoch verfassungsgemäß sein, sofern der Grundsatz der Verhältnismäßig gewahrt ist. Dazu dürfen die Kontrollen insbesondere nur zum Schutz von Rechtsgütern von zumindest erheblichen Gewicht oder sonst einem vergleichbar gewichtigem Öffentlichen Interesse zugelassen werden.
Ändert das BVerfG seine Rechtsprechung, so ist stets von einer Examensrelevanz auszugehen. Dies gilt umso mehr, wenn die Thematik Standartprüfungsstoff wie die Frage des Eingriffs in den Schutzbereich und die Verhältnismäßigkeit beinhaltet. Diese Entscheidung sollte daher jedem Examenskandidaten bekannt sein.
 
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12.02.2019/1 Kommentar/von Gastautor
https://www.juraexamen.info/wp-content/uploads/2022/05/je_logo.svg 0 0 Gastautor https://www.juraexamen.info/wp-content/uploads/2022/05/je_logo.svg Gastautor2019-02-12 09:39:462019-02-12 09:39:46BVerfG ändert seine Rspr. zu automatisierten Kennzeichen-Kontrollen
Dr. Maximilian Schmidt

BGH: Schönheitsreparaturen aufs Neue – als Zuschlag zulässig!

Mietrecht, Schon gelesen?, Zivilrecht

Ein hochinteressanter Beschluss des BGH zur Zulässigkeit eines „Zuschlags Schönheitsreparaturen“ ist nunmehr veröffentlicht worden (BGH, Beschluss vom 30.05.2017 – VIII ZR 31/17). Dass Schönheitsreparaturen und deren formularmäßige Abwälzung auf Mieter ein juristischer Dauerbrenner ist, muss nicht nochmals betont werden. Der vorliegende Fall ist gerade zu prädestiniert, das Argumentationsgeschick und die Systemkenntnis von Prüflingen abzuprüfen, da dieser völlig anders zu beurteilen ist als die gängigen Klauseln (starrer/flexibler Fristenplan etc.). Zudem sollte die Klausel im Zweiten Staatsexamen in einer Kautelarklausur bekannt sein, um dem Mandanten den bestmöglichen Rat geben zu können.
I. Der Sachverhalt
Der schriftliche Mietvertrag sieht in § 3 neben einer „Grundmiete“ und einer „Betriebskostenvorauszahlung“ einen monatlichen „Zuschlag Schönheitsreparaturen“ i.H.v. 79,07 EUR vor. In § 7 des Mietvertrages ist geregelt, dass der Vermieter die Ausführung der Schönheitsreparaturen übernimmt und der dafür in der Miete enthaltene Kostenansatz sich auf 0,87 EUR je qm monatlich beläuft.
II. Die rechtliche Bewertung
Der Vermieter könnte einen Anspruch auf Zahlung von monatlich 79,07 EUR aus § 3 des Mietvertrages haben. Dazu müsste die Vereinbarung einer rechtlichen Prüfung standhalten.
Zunächst könnte die Klausel im Wege einer AGB-Kontrolle nach §§ 305 ff. BGB unwirksam sein. Dazu müsste es sich aber überhaupt um eine kontrollfähige Abrede handeln. Nach § 307 Abs. 3 BGB sind der AGB-Kontrolle Hauptpreisabreden nicht unterworfen. Dies sind solche, die unmittelbar das Verhältnis von Leistung und Gegenleistung regeln. Sinn und Zweck dieser Herausnahme ist, dass es für die Angemessenheit einer Hauptpreisabrede im Lichte des Grundsatzes der Privatautonomie und des freien Marktes keinen Vergleichsmaßstab gibt. Mangels gesetzlicher Regelung für den Inhalt von Hauptleistungspflichten kann also keine Abweichung geprüft werden. Mit anderen Worten: Es gibt insoweit kein dispositives Recht, das Ausgangspunkt richterlicher Prüfung sein könnte. Vorliegend handelt es sich bei dem „Zuschlag Schönheitsreparatur“ der formalen Stellung nach um eine Hauptleistungsabrede, da dieser zusammen mit der Grundmiete geregelt ist. Wesentlicher ist aber, dass dieser Zuschlag inhaltlich ein Entgelt für die Hauptleistungspflicht (Gebrauchsgewährungs- und Gebrauchserhaltungspflicht) des Vermieters darstellt. Nach § 535 Abs. 1 S. 2 BGB ist nämlich dieser für die Gebrauchserhaltung der Mietsache verantwortlich (was freilich aufgrund der in der Praxis regelmäßig vorgenommenen formularvertraglichen Übertragung auf den Mieter übersehen wird) und erhält hierfür nach § 535 Abs. 1 S. 1 BGB die Miete. Daher unterfällt dieser Zuschlag bereits nicht der AGB-Kontrolle!
Allerdings könnte ein Umgehungsgeschäft nach § 306a BGB vorliegen, was wiederum zur Unwirksamkeit der Regelung führte. Nach § 306a BGB finden die Vorschriften der AGB-Kontrolle nämlich auch Anwendung, wenn sie durch anderweitige Gestaltungen umgangen werden. Dies wäre aber nur dann der Fall, wenn die Vereinbarung des Zuschlags eine Regelung darstellte, die eine anderweitige – dann unwirksame – Klausel ersetzte. Insoweit ist wiederum auf die Rechtsnatur als Hauptpreisabrede abzustellen: Die Parteien können als Gegenleistung für die Gebrauchsgewährung- und Gebrauchserhaltungspflicht des Vermieters frei einen Preis vereinbaren. Somit wird dem Mieter gerade nicht mittelbar eine Pflicht zur Vornahme von Schönheitsreparaturen auferlegt, die ansonsten unzulässig wäre: Die Parteien hätten ja einfach ohne gesonderte Ausweisung als „Zuschlag“ eine höhere Grundmiete vereinbaren können. An diesem Ergebnis ändert auch die Mitteilung des Kostenansatzes nichts, da hiermit der Vermieter nur seine interne Kalkulation bekannt gibt, ohne dass hierdurch irgendwelche Rechte oder Pflichten begründet würden.

Hinweis: Der BGH hat mit diesem Beschluss übrigens die Revision mangels grundsätzlicher Bedeutung nach § § 543 II 1 ZPO bereits nicht zugelassen! Ein anderes Ergebnis wird daher nur mit sehr guter Begründung vertretbar sein. Umso wichtiger die wesentlichen Argumente des BGH in der Prüfung nachzuvollziehen.

III. Examenstipps
Ein Fall, der juristische Argumentationsgeschick und Systemverständnis im Bereich der AGB-Kontrolle erfordert. Wichtig ist eine abgeschichtete Prüfung genau nach dem bekannten AGB-Kontrollschema. Zudem sollte kurz auf § 306a BGB eingegangen werden, um dem Prüfer ganz deutlich die Unterschiede zur formularmäßigen Abwälzung von Schönheitsreparaturen deutlich zu machen. In einem letzten Schritt könnte dann – etwa in einer Anwaltsklausur im Zweiten Staatsexamen – mit dem Hinweis geglänzt werden, dass die Vereinbarung eines Zuschlags für Schönheitsreparaturen der beste Weg ist, diese Kosten vom Mieter abdecken zu lassen. Die feinziselierte Rechtsprechung des BGH zur formularmäßigen Übertragung der Schönheitsreparaturen auf den Mieter kann so elegant beiseite gelassen werden (die dennoch notwendiges Wissen fürs Examen darstellt, s. unsere Beiträge hier und hier). Ein toller Fall fürs Examen!

24.07.2017/2 Kommentare/von Dr. Maximilian Schmidt
https://www.juraexamen.info/wp-content/uploads/2022/05/je_logo.svg 0 0 Dr. Maximilian Schmidt https://www.juraexamen.info/wp-content/uploads/2022/05/je_logo.svg Dr. Maximilian Schmidt2017-07-24 11:11:322017-07-24 11:11:32BGH: Schönheitsreparaturen aufs Neue – als Zuschlag zulässig!

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