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Schlagwortarchiv für: Koalitionsfreiheit

Dr. Sebastian Rombey

BVerfG: Streikverbot für Beamte ist verfassungsgemäß

Examensvorbereitung, Lerntipps, Rechtsprechung, Schon gelesen?, Startseite

Eine aktuelle Entscheidung zu den Grundsätzen des Berufsbeamtentums, prozessual eingekleidet in eine Verfassungsbeschwerde und dazu noch politisch brisant – eine Relevanz für das Examen scheint in einer solchen Konstellation vorprogrammiert.
Denn: Der zweite Senat des BVerfG hat am heutigen Tag (BVerfG, Urt. v. 12.06.2018 – 2 BvR 1738/12 u.a.) über die Verfassungsbeschwerden mehrerer verbeamteter Lehrer entschieden. Diese hatten sich – trotz Beamtenstatus und bestehenden Streikverbots für verbeamtete Lehrer – an einem Streik der Gewerkschaft Erziehung und Wissenschaft beteiligt. Die zuständigen Schulbehörden ergriffen Disziplinarmaßnahmen (ein Beamter dürfe nicht ohne Genehmigung des Dienstherren vom Dienst fernbleiben), die die Lehrer vor den Verwaltungsgerichten erfolgslos angriffen, so dass es zur Verfassungsbeschwerde nach Karlsruhe kam.
I. Die Ausgangslage
Eine explizite Regelung, die verbeamteten Lehrern das Streikrecht versagen würde, fehlt im Grundgesetz. Deshalb wird eine Verletzung von Art. 9 Abs. 3 GG i.V.m. Art. 20 Abs. 3 GG geltend gemacht. Kern des Verfahrens ist damit die Frage, ob die Koalitionsfreiheit auch ein Streikrecht für Beamte umfasst. Daneben wird eine Verletzung der Pflicht zur konventionskonformen Auslegung (Grundsatz der Völkerrechtsfreundlichkeit) gerügt. Art. 11 Abs. 1 EMRK gewährleiste nämlich dem Grundsatz nach jeder Person ein Streikrecht, und damit auch Beamten (streitig, vgl. dazu insbesondere die Entscheidung des EGMR, Urt. v. 12.11.2008 – 34503/97, NZA 2010, 1425, Demir u. Baykara / Türkei).
Allerdings besteht mit Art. 33 Abs. 5 GG eine Regelung über die hergebrachten Grundsätze des Berufsbeamtentums. Unter dieser auch als „magna charta des Berufsbeamtentums“ bezeichneten Bestimmung versteht das BVerfG den „Kernbestand von Strukturprinzipien, die allgemein oder doch ganz überwiegend und während eines längeren, Tradition bildenden Zeitraums, mindestens unter der Reichsverfassung von Weimar, als verbindlich anerkannt und gewahrt worden sind“ (so bereits BVerfG, Beschl. v. 02.12.1958 – 1 BvL 27/55, BVerfGE 8, 332 = NJW 1959, 189). Anhand dieser Definition hat die Rechtsprechung über Jahrzehnte hinweg Strukturprinzipien entwickelt, die das Berufsbeamtentum in seiner heutigen Form kennzeichnen. Es handelt sich also um Einrichtungsgarantien, die funktionell mit der Gestaltungsfreiheit des Gesetzgebers verknüpft sind (näher BeckOK-GG/Hense, 36. Ed. 2018, Art. 33 GG Rn. 34). Zu nennen sind hier:

  • Die Ausformung des Beamtenverhältnisses als öffentlich-rechtliches Dienstverhältnis,
  • die Ausformung des Beamtenverhältnisses als Treueverhältnis, das neben der Treuepflicht des Beamten als Gegenstück die Fürsorgepflicht des Dienstherren enthält,
  • das Lebenszeit-, Laufbahn-, Leistungs- (Bestenauslese), Alimentations- und Neutralitätsprinzip,
  • das Koalitionsrecht,
  • und zuletzt das in Rede stehende Streikverbot.

II. Argumentationshilfen für die Klausur
Hintergrund dieses letztgenannten Strukturprinzips ist der Gedanke, dass der Staat stets handlungsfähig bleiben muss, was nur der Fall ist, wenn er sich auch in Krisenzeiten auf seine Beamten verlassen kann. Eine Ausnahme vom Streikverbot für bestimmte Gruppen von Beamten, hier Lehrer, könnte zu einem Ungleichgewicht der Grundsätze des Berufsbeamtentums führen. Um es plastisch zu machen: Die Beamten sollen sich nicht die positiven Seiten des Berufsbeamtentums „herauspicken“ können, ohne gleichzeitig auch die negativen Seiten in Kauf nehmen zu müssen. Denn dieses Ungleichgewicht könnte dazu führen, dass etwa das Alimentationsprinzip mit all seinen Vorzügen ebenfalls in Frage zu stellen wäre. Zudem könnte anderenfalls ein System von Beamten erster und zweiter Klasse entstehen, bestehend aus Beamten erster Klasse, die vom Streikrecht ausgenommen sind, und aus Beamten zweiter Klasse, für die das Streikrecht gerade fortbesteht. So warnte bereits der damalige Bundesinnenminister Thomas De Maizière. Einige Literaten gehen sogar davon aus, bei dem Streikverbot handele es sich um einen „konstitutiven Bestandteil der rechtsstaatlichen Demokratie“ (Di Fabio, Das beamtenrechtliche Streikverbot, 2012, Untertitel des Werkes).
Gegen eine ausnahmslose Geltung des Streikverbots streitet indes, dass die Handlungsfähigkeit des Staates möglicherweise auch dann gewährleistet werden könnte, wenn bestimmte Gruppen von Beamten vom Streikverbot ausgenommen würden. Insoweit wird von Seiten der verbeamteten Lehrer vorgeschlagen, nicht nach dem Beamtenstatus an sich zu differenzieren, sondern nach der Funktion, die der jeweilige Beamte ausübt (so auch Henriette Schwarz vom DGB). In Krisenzeiten müssten allein originär hoheitliche Tätigkeiten, wie sie etwa von Polizei oder Militär aus Sicherheitsgründen wahrgenommen werden, zwingend gewährleistet sein; der Unterricht in Schulen gehöre indes funktionell nicht dazu. Trifft diese Argumentation zu, unterfallen verbeamtete Lehrer nicht Art. 33 Abs. 4 GG und damit auch nicht dem Streikverbot des Art. 33 Abs. 5 GG. Soweit allerdings die erstgenannte Auffassung, die verbeamtete Lehrer als vom Streikverbot erfasst ansieht, zutrifft, könnte das Streikverbot, jedenfalls was verbeamtete Lehrer angeht, gegen den Grundsatz der Verhältnismäßigkeit verstoßen.
III. Die Entscheidung des BVerfG, Urt. v. 12.06.2018 – 2 BvR 1738/12 u.a.
In seinem heutigen Urteil hat das BVerfG sich den Argumenten der erstgenannten Ansicht weitestgehend angeschlossen. Das Streikverbot verstoße nicht gegen die Koalitionsfreiheit. Dem Urteil liegen die folgenden Erwägungen zu Grunde:

  • Der Schutzbereich des Art. 9 Abs. 3 GG ist eröffnet. Dazu die Pressemitteilung des BVerfG Nr. 46/2018: „Zwar sind Beamte von der tariflichen Lohngestaltung ausgeschlossen. Entscheidend ist im konkreten Fall aber, dass die Disziplinarverfügungen die Teilnahme an gewerkschaftlich getragenen, auf – wenngleich nicht eigene – Tarifverhandlungen bezogene Aktionen sanktionieren. Ein solches umfassendes Verständnis von Art. 9 Abs. 3 GG greift im Sinne einer völkerrechtsfreundlichen Auslegung auch die Wertungen des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte zu Art. 11 EMRK auf, wonach auch der Unterstützungsstreik jedenfalls ein ergänzendes Element der Koalitionsfreiheit darstellt.“
  • Auch stellt das Streikverbot einen Eingriff dar, da die Koalitionsfreiheit verkürzt wird. Die Disziplinarmaßnahmen und deren fachgerichtliche Bestätigung hindern fraglos die verbeamteten Lehrer an der Teilnahme am Arbeitskampf.
  • Allerdings ist der Eingriff verfassungsrechtlich gerechtfertigt.
  • Dazu das BVerfG: „Ein Streikrecht, auch nur für Teile der Beamtenschaft, griffe in den grundgesetzlich gewährleisteten Kernbestand von Strukturprinzipien ein und gestaltete das Verständnis vom und die Regelungen des Beamtenverhältnisses grundlegend um. Es hebelte die funktionswesentlichen Prinzipien der Alimentation, der Treuepflicht, der lebenszeitigen Anstellung sowie der Regelung der maßgeblichen Rechte und Pflichten einschließlich der Besoldung durch den Gesetzgeber aus, erforderte jedenfalls aber deren grundlegende Modifikation. Für eine Regelung etwa der Besoldung durch Gesetz bliebe im Falle der Zuerkennung eines Streikrechts kein Raum. Könnte die Besoldung von Beamten oder Teile hiervon erstritten werden, ließe sich die derzeit bestehende Möglichkeit des einzelnen Beamten, die verfassungsmäßige Alimentation gerichtlich durchzusetzen, nicht mehr rechtfertigen. Das Alimentationsprinzip dient aber zusammen mit dem Lebenszeitprinzip einer unabhängigen Amtsführung und sichert die Pflicht des Beamten zur vollen Hingabe für das Amt ab.“
  • Kurzum: Das Streikverbot ist untrennbar mit den anderen hergebrachten Grundsätzen des Berufsbeamtentums verbunden; Ausnahmen davon zuzulassen, hieße, das gesamte System aus dem Gleichgewicht zu bringen.
  • Zudem könne auf diese Weise auch praktische Konkordanz zwischen den tangierten der Koalitionsfreiheit und den hergebrachten Grundsätzen des Berufsbeamtentums hergestellt werden. Dazu das BVerfG: „Unabhängig hiervon verzichtete die Anerkennung eines Streikrechts für „Randbereichsbeamte“ auf die Gewährleistung einer stabilen Verwaltung und der staatlichen Aufgabenerfüllung jenseits hoheitlicher Tätigkeiten. Davon abgesehen schüfe ein solchermaßen eingeschränktes Streikrecht eine Sonderkategorie der „Beamten mit Streikrecht“ oder „Tarifbeamten“, die das klar konzipierte zweigeteilte öffentliche Dienstrecht in Deutschland durchbräche.“
  • Darüber hinaus sei das Grundgesetz auch nicht konventionswidrig ausgelegt (und damit nicht gegen den Grundsatz der Völkerrechtsfreundlichkeit verstoßen) worden. Denn: „Unabhängig davon, ob das Streikverbot für deutsche Beamte einen Eingriff in Art. 11 Abs. 1 EMRK darstellt, ist es wegen der Besonderheiten des deutschen Systems des Berufsbeamtentums jedenfalls nach Art. 11 Abs. 2 Satz 1 EMRK beziehungsweise Art. 11 Abs. 2 Satz 2 EMRK gerechtfertigt.“ Mithin kann die Frage, ob ein Eingriff vorliegt, offengelassen werden, eine Rechtfertigung aber mit ähnlicher Argumentation wie oben über Art. 11 Abs. 2 S. 1 und 2 EMRK begründet werden.

IV. Fazit
Die Entscheidung entfaltet eine erhebliche Breitenwirkung (so der Präsident des BVerfG, Andreas Voßkuhle) und betrifft rund 600.000 verbeamtete Lehrer in ganz Deutschland. Zu Recht geht das BVerfG davon aus, dass das Streikverbot ausnahmslos fortgelten müsse. Man überlege sich etwa, es käme zu Streiks der verbeamteten Lehrer während der zentralen Abiturprüfungen oder in unteren Jahrgangsstufen zu spontanen Schulausfällen. Insoweit ist das Urteil des BVerfG durchaus nachvollziehbar.
 

12.06.2018/0 Kommentare/von Dr. Sebastian Rombey
https://www.juraexamen.info/wp-content/uploads/2022/05/je_logo.svg 0 0 Dr. Sebastian Rombey https://www.juraexamen.info/wp-content/uploads/2022/05/je_logo.svg Dr. Sebastian Rombey2018-06-12 10:58:192018-06-12 10:58:19BVerfG: Streikverbot für Beamte ist verfassungsgemäß
Redaktion

10 Thesen zum Entwurf eines Gesetzes zur Tarifeinheit (Tarifeinheitsgesetz) – BR-Drucks. 635/14

Arbeitsrecht, Schon gelesen?, Startseite, Verfassungsrecht, Verschiedenes

Wir freuen uns, heute einen Gastbeitrag des renommierten Arbeitsrechtlers Prof. Dr. Gregor Thüsing (Universität Bonn) veröffentlichen zu dürfen. Als Sachverständiger ist er vom Bundestag zum geplanten Tarifeinheitsgesetz gehört worden und hat durch zahlreiche Publikationen (s. etwa hier und hier) und Stellungnahmen die Diskussion um die Tarifeinheit vorangetrieben.
10 Thesen zum Entwurf eines Gesetzes zur Tarifeinheit (Tarifeinheitsgesetz) – BR-Drucks. 635/14
1. Die in § 4a TVG-E genannten Ziele sind in Rechtsprechung und Literatur bislang zwar nur ungenau konturiert, als rechtspolitische Eckpfeiler des Handelns aber sicherlich richtig. Es geht im Kern um eine Stärkung der Funktionsfähigkeit der Tarifautonomie.
2. Diese ist durch die Entscheidung des Bundesarbeitsgerichts vom 7.7.2010 (4 AZR 549/08), in dem der Grundsatz der Tarifeinheit aufgegeben wurde, möglicherweise gefährdet. Ob sich diese Gefährdungen tatsächlich realisieren werden, ist schwer zu prognostizieren. Der Gesetzgeber braucht jedoch nicht zu warten, bis eine Regelung u.U. zu spät ist. Er kann sich auf Regeln vernünftigen Vermutens verlassen. Es ist gut, dass der Gesetzgeber handelt.
3. Um diese Gefährdung zu beseitigen, will der Entwurf jedoch nicht den erprobten Status quo ante wiederherstellen, sondern er ist einen neuen Weg der Auflösung von Tarifkonkurrenzen gegangen: das betriebsbezogene Mehrheitssystem. Zuvor wurden Tarifpluralitäten regelmäßig nach dem Spezialitätsprinzip aufgelöst, d.h. der Tarifvertrag, der dem Betrieb räumlich, betrieblich, fachlich und persönlich am nächsten steht und deshalb den Erfordernissen und Eigenarten des Betriebes und der darin tätigen Arbeitnehmer am besten gerecht wird (z.B. BAG v. 20.3.1991 – 4 AZR 455/90, BAGE 67, 330, zu B II 3 der Gründe; 20.3.1991 – 4 AZR 457/90 -, zu B II 3 der Gründe, jeweils m.w.N.). Nun soll sich die Gewerkschaft durchsetzen, die mehr Mitglieder im Betrieb hat.
4. Der Wert des Gesetzes liegt dabei in der Verhinderung der Herausbildung von Kleinstgewerkschaften und der Zersplitterung der Tariflandschaft. Sollte sich zukünftig die Betriebsfeuerwehr eines chemischen Unternehmens entscheiden, eine eigene Gewerkschaft zu gründen (ggf. mit andere Betriebsfeuerwehren), und wäre diese Gruppe dann tatsächlich eine Gewerkschaft, dann könnte sie eigennützig streikend nur für ihre wenigen Mitglieder das ganze Unternehmen lahmlegen, das ohne funktionierende Feuerwehr nicht produzieren darf. Dies gilt es zu verhindern, sollte dies eine reale Gefahr sein. Das Wirken der GDF deutet freilich in der Tat in diese Richtung (s. den Streik der Vorfeldlotsen in Frankfurt im Februar 2012).
5. Dieser Weg kann freilich im Einzelfall zu sinnwidrigen Ergebnissen führen. So könnte eine Berufsgruppe damit von einer Gewerkschaft vertreten werden, in der sie kein einziges Mitglied hat, obwohl die konkurrierende Gewerkschaft, deren Tarifvertrag verdrängt wird, einen sehr hohen Organisationsgrad hat. Eine plastisches Beispiel: Sollte sich UFO auf Grundlage des vorliegenden Gesetzesentwurfs entscheiden, künftig auch die Piloten zu behandeln, so würde deren Cockpit-Tarifvertrag verdrängt werden, obwohl kein einziger Pilot bei UFO ist und sie ggf. alle zu 100 % bei Cockpit organisiert sind –einzig und allein deswegen, weil UFO unter Flugbegleitern einen sehr hohen Organisationsgrad hat, und es sehr viel mehr Flugbegleiter als Piloten gibt. Zudem: Statt Tarifpluralitäten im Betrieb gibt es nun solche im Unternehmen. Das ist auch nicht praktikabler oder solidarischer. Wenn künftig etwa die GDL in einem Betrieb die Mehrheit der Arbeitnehmer organisiert, in einem anderen Betrieb aber die EVG, so gilt im einen Betrieb für die Lokführer der GDL-Tarifvertrag, im anderen der EVG-Tarifvertrag. Der Arbeitgeber könnte dieses Ergebnis zudem durch Versetzungen von Arbeitnehmern beeinflussen, leichter noch als durch den Zuschnitt der Betriebe, der ebenfalls in seiner Hand liegt.
6. Auch löst der Entwurf das Problem der Häufung von Arbeitskämpfen bei konkurrierenden Gewerkschaften nicht. Um es deutlich zu sagen: Hierdurch wird es keinen Streik weniger geben. Denn der Gesetzesentwurf sagt es in seiner Begründung deutlich: „Die Regelungen zur Tarifeinheit ändern nicht das Arbeitskampfrecht“. Bislang durfte jeder Arbeitnehmer eines Unternehmens für einen Tarifvertrag streiken, auch wenn er nicht von ihm erfasst wurde. Dies ist unbestritten, und eben dies ist der Grund, warum auch unbestritten ist, dass Nichtorganisierte streiken dürften (s. so schon vor vielen Jahren Thüsing, Der Außenseiter im Arbeitskampf, 1994). Daher könnte jeder Arbeitnehmer eines Unternehmens streiken für einen Tarifvertrag, von dem nicht ausgeschlossen ist, dass er sich später in zumindest einem Betrieb durchsetzen würde. Dies aber kann ex ante nie sicher ausgeschlossen werden. Sollte daher das Gesetz hier Streiks eindämmen wollen, müsste das Bundesarbeitsgericht seine Rechtsprechung ändern. Dies wäre wohl nicht zu erwarten, auch weil dann viele Folgefragen auf einmal nicht mehr stimmig beantwortet werden könnten. Wer also tatsächlich eine Begrenzung des Streikrechts will, der müsste dies ausdrücklich normieren.
7. Nicht alles, was – wie dargelegt – zu zuweilen sinnwidrigen Ergebnissen führt oder wichtige Probleme ungelöst lässt, ist verfassungswidrig. Hier liegt jedoch eine strukturelle Benachteiligung von Spartengewerkschaften, die rechtfertigungsbedürftig ist, unabhängig davon, ob es sich hierbei um eine Ausgestaltung der Koalitionsfreiheit handelt oder um einen Eingriff in diese. Beides dürfte kaum abgrenzbar sein. Denn jede Ausgestaltung ist auch eine Begrenzung, dass andere Varianten der Ausgestaltung nicht gewählt wurden („to define is to limit“). Denn auch bei der Ausgestaltung sind die grundrechtlich geschützten Interessen der Betroffenen in einen verhältnismäßigen verfassungsrechtlichen Ausgleich zu setzen. Eine Ausgestaltung, die den Spartengewerkschaften die Luft zum Atmen nimmt, wäre ohne hinreichende Rechtfertigung auch als Ausgestaltung verfassungswidrig. Viele sehen diese Rechtfertigung als nicht gegeben an. Zählt man die Stimmen, ohne sie zu wiegen, so sind diese klar in der Überzahl (s. nur die Nachweise im Gutachten des wissenschaftlichen Dienstes des Bundestags vom Februar 2015, im Übrigen zuletzt insb. Schliemann/Konzen, RdA 2015, 1-16). Ich selber bin mir da nicht sicher. Die Sicherungsmittel des Entwurfs, die Verfassungskonformität zu sichern, sind jedenfalls absurd: Ein einklagbares Recht der Minderheitsgewerkschaft, ihre Forderungen mündlich vortragen zu dürfen (§ 4 Abs. 5 TVG-E), ist genauso funktionslos wie das Recht einer Gewerkschaft, den von ihr nicht mit beeinflussten Tarifvertrag, zu dem sie ja in Konkurrenz agiert hat, eins zu eins nachzuzeichnen (§ 4 Abs. 4 TVG-E). Welche Gewerkschaft, die etwas auf sich hält, würde sich auf solche Rechte berufen?
8. Die verfassungsrechtlichen Probleme lassen sich deutlich entschärfen, wenn man einen Weg findet, die Konkurrenzen anders aufzulösen, ohne die Spartengewerkschaften strukturell zu benachteiligen. Ein möglicher Weg wäre es, das Mehrheitssystem nicht am Betrieb ansetzen zu lassen, sondern am sich überschneidenden Bereich: Es würde sich im Bereich der Überschneidung der Tarifvertrag der Gewerkschaft durchsetzen, die in der Personengruppe, für die beide Gewerkschaften tätig geworden sind, die meisten Mitglieder hat. Weil hierin aber eine strukturelle Bevorzugung von Spartengewerkschaften liegen würde (die in Sparten tendenziell besser organisieren können), sollte im Gegenzug diese Konkurrenzregelung davon abhängig gemacht werden, dass dieser Überschneidungsbereich eine Mindestgröße der Belegschaft ausmacht, z.B. 15 %. Damit würden die bisherigen Spartengewerkschaften in ihrem Wirken regelmäßig nicht beeinträchtigt, neue Kleinstgewerkschaften könnten sich jedoch nicht etablieren, weil sie es nicht schaffen, in einem solchen Teil der Belegschaft die Mehrheit zu organisieren. Die Werksfeuerwehr und die Vorfeldlotsten wären ein zu kleiner Teil der Belegschaft, um sich hier gegen eine Gewerkschaft durchzusetzen, die die gesamte Belegschaft repräsentiert. Dieser Ansatz wäre verfassungsrechtlich weitaus unproblematischer als der vorliegende Entwurf und würde das bisherige Gleichgewicht der Gewerkschaften deutlich weniger beeinträchtigen.
9. Auch dieser Ansatz lässt aber die Probleme des Arbeitskampfs in der Daseinsvorsorge ungelöst. Diese aber bedürfen dringend einer Lösung. Nicht die Geltung mehrerer Tarifverträge im Betrieb ist das zurzeit wohl drängendste Problem, sondern die Vielzahl und die Heftigkeit der Arbeitsniederlegungen in Unternehmen, auf deren Leistungen die Öffentlichkeit in besonderem Maße angewiesen ist. Eben hier müsste eine Regelung ansetzen. Es braucht angemessene Regeln für die Arbeitsniederlegung, die die Drittinteressen in Betrieben der Daseinsvorsorge schützen. Hierzu gibt es an erprobten Modellen des Auslands orientierte Vorschläge. Andere Länder haben sehr wohl die Notwendigkeit des Handelns erkannt: Wer sich umschaut, der findet Rechtsordnungen mit Ankündigungspflichten, mit Wartezeiten, mit obligatorischen Schlichtungsverfahren, mit detaillierten Regelungen des Notdienstes – all das kann Modell sein. Das wesentliche Problem, dass die Streiks vor allem unbeteiligte Dritte – z.B. die Reisenden –treffen, die nichts zur Lösung des Tarifkonfliktes beitragen können, wird so gelöst oder zumindest erheblich reduziert, ohne dass kleinen Gewerkschaften ihre Verhandlungsfreiheit genommen wird. Ein solcher Ansatz ist verfassungskonform und er adressiert das eigentliche Problem.
10. Der Ansatz des Gesetzes ist daher zu ergänzen um Regelungen, wie sie der CSU-Vorstand in seinem Beschluss vom Januar 2015 und die Mittelstands- und Wirtschaftsvereinigung der CDU fordern. Verfassungsrechtliche Hürden bestehen hier nicht (ausführlich die in der BR-Drucks. 6355/14 erwähnte Initiative der Carls Friedrich von Weizsäcker Stiftung, dargestellt Franzen/Thüsing/Waldhoff, Arbeitskampf in der Daseinsvorsorge, 2012, abrufbar in einer gekürzten Fassung unter, http://www.cfvw.org/stiftung/images/stories/downloads/Mono_17.10._final_Web-Version.pdf).

08.06.2015/0 Kommentare/von Redaktion
https://www.juraexamen.info/wp-content/uploads/2022/05/je_logo.svg 0 0 Redaktion https://www.juraexamen.info/wp-content/uploads/2022/05/je_logo.svg Redaktion2015-06-08 10:50:232015-06-08 10:50:2310 Thesen zum Entwurf eines Gesetzes zur Tarifeinheit (Tarifeinheitsgesetz) – BR-Drucks. 635/14
Maria Dimartino

Grundlagen kollektives Arbeitsrecht: Rechtmäßigkeitsvoraussetzungen eines Streiks

Arbeitsrecht, Lerntipps, Schon gelesen?, Schwerpunktbereich, Verschiedenes

A. Grundlagen kollektives Arbeitsrecht: Rechtmäßigkeitsvoraussetzungen eines Streiks

Dieser Beitrag gibt eine grobe Übersicht über die von der Rechtsprechung entwickelten Voraussetzungen eines rechtmäßigen Arbeitskampfes.
 
I. Zunächst einige grundlegende Gedanken vorab
 
 1. Was ist Streik?
Streik ist ein sog. Arbeitskampfmittel. Unter Arbeitskampf wird eine kollektive Maßnahme zur Störung der Arbeitsbeziehungen verstanden, mit der die Arbeitnehmerseite oder die Arbeitgeberseite versuchen ein bestimmtes (tarifliches) Ziel zu erreichen[1]. Es besteht grundsätzlich die Freiheit der Wahl des Arbeitskampfmittels (kein Numerus clausus von Arbeitskampfmitteln). Streik ist die kollektive, planmäßige durchgeführte Einstellung der Arbeit durch eine größere Anzahl von Arbeitnehmern innerhalb eines Betriebes oder eines Gewerbe- oder Berufszweiges[2]. Während eines rechtmäßigen Arbeitskampfes ruhen die Hauptleistungspflichten (Entgeltzahlung/Arbeitsleistung).
 
a) Arbeitskampfmittel (klassisch) auf der Arbeitnehmerseite

  • Boykott
  • Warnstreik
  • Dienst nach Vorschrift
  • Streik

 
b) Arbeitskampfmittel (klassisch) auf der Arbeitgeberseite

  • Aussperrung
  • Ggf. Streikbruchprämien

 
 2. Sinn und Zweck? Warum gibt es Streik(recht)?
Um die Rechtmäßigkeitsvoraussetzungen eines Streiks zu verstehen ist es wichtig sich zunächst die Funktion eines Streikes vor Augen zu führen. Streik gehört zu den Arbeitskampfmitteln und ist äußerstes Mittel (Ultima Ratio) um die Tarifautonomie der Arbeitnehmerverbände (Gewerkschaften) zu gewährleisten. Arbeitskampfmittel dienen vornehmlich der Schaffung von Verhandlungsgleichgewicht (auch Kampfparität). Tarifverhandlungen bei Interessengegensatz ohne das Recht zum Streik nicht mehr als „kollektives Betteln“ (vgl.  BAG vom 10.6.1980 – Az. 1 AZR 822/79).
 
3. Wo ist das Streikrecht geregelt?
Das Streikrecht ist in Deutschland nicht ausdrücklich gesetzlich geregelt sondern entwickelt aus sog. Richterrecht. Gewährt wird das Arbeitskampfrecht verfassungsrechtlich als Ausfluss der Koalitionsfreiheit bzw. Tarifautonomie in Art. 9 Abs. 3 GG (sog. Doppelgrundrecht positive/negative Koalitionsfreiheit).

„Der Schutzbereich des Art. 9 Abs. 3 GG beschränkt sich nicht auf diejenigen Tätigkeiten, die für die Einhaltung und die Sicherung des Bestandes der Koalition unerlässlich sind; er umfasst alle koalitionsspezifischen Verhaltensweisen (BVerfGE 93, 352)“.

 
 4. Wer darf zum Streik aufrufen?
Zum Streik aufrufen dürfen nur Koalitionen, welche Träger der Tarifautonomie sind im Sinne von Art. 9 Abs. 3 GG, § 2 TVG. Dies sind in der Regel die Gewerkschaften.
 
 a) Unstreitige Merkmale einer Koalition

  • Freiwilliger Zusammenschluss auf privatrechtlicher Grundlage auf „Dauer“ (keine ad-hoc Koalitionen)
  • Demokratische Organisation
  • Satzungsgemäßer Zweck der Vereinigung: Wahrung und Förderung der Arbeits- und Wirtschaftsbedingungen
  • Gegnerfreiheit und Gegnerunabhängigkeit
  • Unabhängigkeit von Dritten

 
 b) Umstrittene Merkmale einer Koalition

  • Tarifwilligkeit
  • Arbeitskampfbereitschaft
  • Soziale Mächtigkeit/Durchsetzungsfähigkeit
  • Überbetrieblichkeit

Nicht zum Streik aufrufen darf der Betriebsrat, dieser vertritt zwar im Betrieb die Rechte der Arbeitnehmer, ist jedoch keine Tarifvertragspartei und somit auch nicht Adressat der Tarifautonomie, vgl. § 74 Abs. 2 BetrVG. Das Gebot der vertrauensvollen Zusammenarbeit in § 2 Abs. 2 BetrVG wird durch § 74 Abs. 2 BetrVG ergänzt durch die betriebliche Friedenspflicht. Der Betriebsrat als Organ ist zur Neutralität verpflichtet. Das Amt des Betriebsrates wird durch den Arbeitskampf grundsätzlich nicht berührt es besteht mit allen seinen Rechten und Pflichten fort und ruht demnach auch nicht.
Grundsätzlich können jedoch auch Betriebsratsmitglieder in ihrer Funktion als Arbeitnehmer sich an Arbeitskampfmaßnahmen beteiligen, vgl. § 74 Abs. 3 BetrVG. Die dem Betriebsrat als Organ zur Verfügung gestellten Mittel, z.B. Räumlichkeiten, kommunikationstechnische Mittel (z.B. E-Mail, Intranet, Internet, Hauspost), wirtschaftliche und sachliche Mittel dürfen nicht für den Arbeitskampf eingesetzt werden (vgl. Fitting § 74 Rn. 16 ff). Fraglich bleibt, ob eine solche Unterscheidung zwischen Amtsinhaber Betriebsrat und Arbeitnehmer in der Praxis wirklich umsetzbar ist.
 
5. Wer darf sich an einem Streik beteiligen?
Grundsätzlich dürfen Arbeitnehmer streiken. Das Gesetz definiert den Begriff des Arbeitnehmers nicht – vielmehr wird dieser vom Begriff des Selbstständigen nach § 84 HGB abgegrenzt. Demnach ist Arbeitnehmer wer aufgrund eines privatrechtlichen Arbeitsvertrages, weisungsgebunden, fremdbestimmt (Ort, Zeit, Art) in persönlicher Abhängigkeit seine Arbeit verrichtet, vgl. auch § 5 ArbGG, § 5 BetrVG.
Nach herrschender Meinungen dürfen Beamte „als Teil des Staates“ sich nicht auf ein Streikrecht berufen sondern unterliegen den sog. verankerten hergebrachten Grundsätze des Berufsbeamtentums, Art. 33 Abs. 5 GG[3]. (vgl. kritisch dazu Däubler-Hensche, Arbeitskampf, § 18a Rn. 15.; EGMR 12.11.2008 Demir und Baykara ./. Türkei – gegen ein generelles Streikverbot; Art. 11 EMRK)
 Anmerkungen: Ausführlich hierzu im Blog : Notiz: BVerwG Streikverbot für Beamte weiterhin gültig 27.02.2014 (2 C 1/13)  und OVG NRW
 
II. Voraussetzungen eines rechtmäßigen Streiks
Das Arbeitskampfrecht ist in Deutschland nicht gesetzlich geregelt. Gewährt wird das Arbeitskampfrecht als Ausfluss der Koalitionsfreiheit/Tarifautonomie in Art. 9 Abs. 3 GG. Die Rechtsprechung hat folgende Voraussetzungen für die Rechtmäßigkeit eines Arbeitskampfmittels entwickelt (sog. Richterrecht).
 
1. Von einer Gewerkschaft getragen
Ein Arbeitskampf muss von einer Gewerkschaft getragen sein. Spontane Arbeitsniederlegung und Aussperrungen ohne Verbandsbeschluss sind als sog. wilde Streiks nicht von der Koalitionsfreiheit/Tarifautonomie umfasst.
Anmerkung: Beachte den begrifflichen Unterschied der Koalition nach Art. 9 Abs. 3 GG und § 2 TVG, letzteres setzt eine „Tariffähigkeit“ voraus.
 
 2. Der Streik muss sich gegen den sozialen Gegenspieler richten
Mit sozialer Gegenspieler ist in der Regel der Arbeitgeber gemeint, also derjenige der den Tarifforderungen auch nachkommen kann.
 
3. Tariflich regelbares Ziel/kein politischer Streik
Der Arbeitskampf (i.d.R. Streik) muss sich auf ein tariflich regelbares Ziel beziehen[4]. Nicht geschützt wird ein sog. politischer Streik als Protestaktion gegen staatliche Instanzen.
 
4. Kein Verstoß gegen die Friedenspflicht
Arbeitskampfmaßnahmen dürfen nicht gegen die sog. Friedenspflicht verstoßen. Es wird unterschieden zwischen der absoluten und der relativen Friedenspflicht. Absolute Friedenspflicht bedeutet, dass währen der Laufzeit eines Tarifvertrages generell keine Arbeitskampfmittel ergriffen werden dürfen. Die absolute Friedenspflicht wird kaum vereinbart werden. Relative Friedenspflicht bedeutet, dass keine Arbeitskampfmaßnahmen gegen im laufenden Tarifvertrag (abschließend) geregelte Sachverhalte geführt werden dürfen. Ob etwas abschließend durch Tarifvertrag geregelt werden sollte lässt sich im Streitfall durch Auslegung ermitteln. Oft findet man in Tarifverträgen auch sog. Öffnungsklauseln, die explizit darauf verweisen, dass dieser Sachverhalt nicht abschließend geregelt werden sollte und z.B. durch eine Betriebsvereinbarung noch der genaueren Ausformung bedarf (vgl. auch Regelungssperre § 77 Abs. 3 BetrVG).
 
5. Verhältnismäßig/ Ultima Ratio
Maßnahmen des Arbeitskampfes müssen stets verhältnismäßig sein[5]. Arbeitskampfmaßnahmen sollen erst als letztes Mittel (Ultima Ratio) nach Ausschöpfung aller anderen Möglichkeiten ergriffen werden. Die Rechtsprechung hat als Grenze der Arbeitskampffreiheit sich für ein sog. faire Arbeitskampfführung ausgesprochen, die hier nur exemplarisch aufgezählt werden.

  • Ausfluss des Rechtsgedanken aus § 826 BGB
  • Keine Anwendung von Gewalt
  • Keine Betriebsblockade
  • Erhaltungsarbeiten (z.B. Maschinen die durchlaufen müssen)

„Erhaltungsarbeiten, die auch während eines Arbeitskampfes zu leisten sind, sind diejenigen Arbeiten, die erforderlich sind, um die Anlagen und Betriebsmittel während des Arbeitskampfes so zu erhalten, dass nach Beendigung des Kampfes die Arbeit fortgesetzt werden kann“ (vgl. BAG v. 30.3.1982 – 1 AZR 265/80)

  • Notdienstgewährleistung (z.B. Krankenhaus)

 
Exkurs Warnstreik
Der Warnstreik ist eine Sonderform des Streiks und beinhaltet – im Gegensatz zum richtigen Streik – eine relativ kurze Arbeitsniederlegung. Die Rechtmäßigkeit solcher Streiks während laufender Verhandlungen war lange umstritten. Solche kurzen Warnstreiks während Tarifverhandlungen nach Ablauf der Friedenspflicht sind jedoch zulässig, wenn diese von einer Gewerkschaft getragen sind und die Verhandlungen (vorerst) gescheitert sind. Warnstreiks sind ebenfalls umfasst vom Schutzbereich der Koalitionsfreiheit (BAG v. 17.12.1976 – 1 AZR 605/75). Das Verhältnismäßigkeit- und Ultima-Ratio-Prinzip gilt auch für Warnstreiks, ihnen muss so wie bei jedem anderen Streik der Versuch von druckfreien Verhandlungen vorangegangen sein.
 
III. Folgen eines rechtswidrigen Arbeitskampfes
 
 1. Folgen eines rechtswidrigen Arbeitskampfes des Arbeitgebers
War eine Aussperrung rechtswidrig, so haben die Arbeitsnehmer Anspruch auf Zahlung des Lohnes wegen Annahmeverzug des Arbeitgebers nach § 615 BGB sowie einen einklagbaren Beschäftigungsanspruch.
Daneben steht den Gewerkschaften ein deliktischer Unterlassungsanspruch nach § 1004 BGB i. V. m. § 823 Abs. 1 BGB und Art. 9 Abs. 3 GG wegen unzulässigen Eingriffs in das Recht zur koalitionsmäßigen Betätigung zu. Zusätzlich kommen Schadensersatzansprüche nach § 823 Abs. 1 BGB sowie vertragliche Unterlassungs- und Schadensersatzansprüche aus § 280 Abs. 1 S. 1 BGB wegen der Verletzung des Tarifvertrages in Betracht.
 
2. Folgen eines rechtswidrigen Arbeitskampfes der Arbeitnehmer
War ein Arbeitskampfmittel/Streik rechtswidrig, so besteht wegen Verletzung der arbeitsvertraglichen Arbeitspflicht eine daraus resultierende Schadensersatzpflicht soweit auch ein Verschulden vorliegt. Ein Verschulden liegt beispielsweise nicht vor, wenn die Arbeitnehmer einem Streikaufruf der Gewerkschaft gefolgt sind, denn diese dürfen dann auf die Rechtmäßigkeit des Streikaufrufs vertrauen (vgl. BAG v. 21.3.1978 -1 AZR 11/76).
Die Verletzung der aus dem Arbeitsvertrag resultierenden Arbeitspflicht aufgrund einer Teilnahme an einem rechtswidrigen Streik stellt dies grundsätzlich auch einen wichtigen Grund zur außerordentlichen Kündigung nach § 626 BGB dar (vgl. BAG v. 29.11.1983 – 1 AZR 469/81). Zumindest ist eine Abmahnung möglich, da das Arbeitsverhältnis nicht ruhte. Weiter in Betracht kommt eine Verletzung der Treuepflicht gem. § 241 BGB und letztlich § 823 Abs. 1 BGB i.V.m. mit einem rechtswidrigen und schuldhaften Eingriff in den eingerichteten und ausgeübten Gewerbetriebs des Arbeitgebers.
 
3. Haftung der Gewerkschaft
Aus Vertragsverletzung haftet die Gewerkschaft nur bei einem schuldhaften Verstoß gegen die aus dem Tarifvertrag resultierende Friedenspflicht. Ansonsten kommt § 823 Abs. 1 BGB wegen eines schuldhaften und rechtswidrigen Eingriffs in den eingerichteten und ausgeübten Gewerbebetrieb in Betracht.
 
Aber beachte: Der Arbeitgeberverband hat mittels Unterlassungsklage vorbeugend beabsichtigten rechtswidrigen Streikaktionen entgegenzuwirken (vgl. BAG v. 26.4.1988 – 1 AZR 399/86). Er darf also nicht sehenden Auges die Haftung ins Uferlose laufen lassen.
 
Anmerkung: Prozessual werden kollektivrechtliche Streitigkeiten vor dem zuständigen Arbeitsgericht geltend gemacht und im Beschlussverfahren durchgeführt, vgl. §§ 80 ArbGG i.V.m. § 2a ArbGG, § 82 ArbGG. Im arbeitsgerichtlichen Beschlussverfahren herrscht ein sog. Untersuchungsgrundsatz, § 83 Abs. 1 ArbGG.
 
B. Fazit
Das Arbeitskampfrecht in Deutschland ist nicht gesetzlich geregelt sondern wurde durch sog. Richterrecht entwickelt. Es gibt durch die Rechtsprechung entwickelte Voraussetzungen, die vorliegen müssen damit ein Arbeitskampf rechtmäßig ist. Während eines rechtmäßigen Arbeitskampfes ruhen die Hauptleistungspflichten aus dem Arbeitsvertrag. Bei der Ergreifung von Arbeitskampfmittel sind immer Verhältnismäßigkeit (Ultima Ratio) und ein faire Kampfführung (Erhaltung von Notdiensten, Erhaltungsarbeiten) zu beachten.
[1] Kittner/Zwanziger/Deinert, Arbeitsrecht, § 136 Rn. 1.
[2] Creifelds, Rechtswörterbuch, S.1321.
[3] BVerwG v. 27.02.2014 (2 C 1/13).
[4] BAG v. 19.6.1973.
[5] BAG v. 21.4.1971.

08.10.2014/0 Kommentare/von Maria Dimartino
https://www.juraexamen.info/wp-content/uploads/2022/05/je_logo.svg 0 0 Maria Dimartino https://www.juraexamen.info/wp-content/uploads/2022/05/je_logo.svg Maria Dimartino2014-10-08 21:06:252014-10-08 21:06:25Grundlagen kollektives Arbeitsrecht: Rechtmäßigkeitsvoraussetzungen eines Streiks
Dr. Maximilian Schmidt

Tarifeinheit – Ein Debattenbeitrag

Arbeitsrecht, Schon gelesen?, Schwerpunktbereich, Tagesgeschehen, Verfassungsrecht

Tarifeinheit – ein Begriff, den sicherlich alle Juristen und auch am Tagesgeschehen Interessierte schon einmal gehört haben. Spätestens wenn man mal wieder aufgrund eines Streikes der GDL oder Cockpit auf den Zug wartet oder am Flughafen gestrandet ist, erinnert man sich an den Slogan „Ein Betrieb, ein Tarifvertrag“. Doch was hat es mit der Tarifeinheit genau auf sich? Der nachfolgende Beitrag soll die juristischen Grundlagen der rechtspolitischen Diskussion veranschaulichen und aufzeigen, wo Regelungsbedürfnisse gegeben sind.
I. Was bedeutet der „Grundsatz der Tarifeinheit“?
Das Problem der Tarifeinheit tritt auf, sofern im Betrieb eine sog. Tarifpluralität oder Tarifkonkurrenz vorliegt. Dies ist der Fall, wenn ein Arbeitgeber sich mehreren Gewerkschaften und damit konkurrierenden Tarifverträgen gegenübersieht und auf der anderen Seite ein Arbeitnehmer nur an einen dieser Tarifverträge gebunden ist. Fraglich ist dann, welcher Tarifvertrag für welche Arbeitnehmer gilt: Einer für alle?
Grundsätzlich ist der Arbeitnehmer an den Tarifvertrag „seiner“ Gewerkschaft gebunden, §§ 3 Abs. 1, 4 Abs. 1 TVG. Ist der Arbeitnehmer nicht Mitglied in der Gewerkschaft, kann er nicht nach § 3 Abs. 1 TVG tarifgebunden sein. In der Praxis finden sich in den Arbeitsverträgen aber regelmäßig in allen Arbeitsverträgen sog. Bezugnahmeklauseln, so dass das gesamte Tarifwerk über die vertragliche Vereinbarung Anwendung findet (schuldrechtlich, nicht tarifrechtlich).
Treten nun in einem Betrieb mehrere Gewerkschaften auf und schließt der Arbeitgeber mit diesen konkurrierende Tarifverträge, liegt ein Fall der Tarifpluralität vor. Eigentlich kein Problem – möchte man meinen, denn bei strikter Gesetzesanwendung müsste gelten: Die Arbeitnehmer sind an den jeweiligen Tarifvertrag ihrer jeweiligen Gewerkschaft gebunden, § 3 Abs. 1 TVG.
Früher ständige Rechtsprechung: Tarifeinheit
Das BAG nahm aber bis zum Jahr 2010 in st. Rspr. an, dass eine solche Situation konkurrierender Tarifverträge in einem Betrieb nicht auftreten dürfe (Grundsatz der Tarifeinheit, s. BAG v. 26.1.1994 – 10 AZR 611/92). Als Argument führte es an, dass es ansonsten zu einem Tarifchaos käme und der Betrieb durch mögliche Streiks der unterschiedlichen Gewerkschaften lahmgelegt werden könne. Hinter diesem Argument steckt das tarifrechtliche Ordnungsprinzip, wie es in § 1 TVG Ausdruck findet. Auch eine Gefährdung des Betriebsfriedens wurde befürchtet. Zudem könne es zu einem „Gewerkschaftshopping“ aus individuellen Optimierungsinteressen einzelner Arbeitnehmer kommen, das letztlich zu einem „Hochschaukeln“ der Forderungen der Gewerkschaften führe. Daher müsse der Tarifvertrag der kleineren Gewerkschaft vom Tarifwerk der Mehrheitsgewerkschaft verdrängt werden; nur dieser zeitige Rechtsfolgen. Einher ging hiermit ein faktisches Streikverbot für die Minderheitsgewerkschaft.
Das Ergebnis war, dass die Arbeitnehmer der Minderheitsgewerkschaft den erstrittenen Tarifvertrag verloren, zugleich mangels Mitgliedschaft aber auch nicht an den Tarifvertrag der Mehrheitsgewerkschaft gebunden waren. Somit standen sie letztlich ohne Tarifvertrag da.
Aufgabe der Rechtsprechung im Jahr 2010
Das BAG hat diese Rechtsprechung, die weder gesetzlich noch gewohnheitsrechtlich verankert ist, im Jahr 2010 mit Hinweis auf Art. 9 Abs. 3 GG ausdrücklich aufgegeben (BAG v. 23.6.2010 – 10 AS 3/10; BAG v. 27.1.2010 – 4 AZR 549/08, NZA 10, 645). Es liege ein Verstoß gegen die Koalitionsfreiheit der Arbeitnehmer in der Minderheitsgewerkschaft vor, da deren Tarifvertrag immer ausgestochen werde. Zum einen sei kein Tarif- oder Streikchaos für den Fall der Geltung mehrerer Tarifverträge in einem Betrieb zu erwarten, zum anderen könne dies einen solch schwerwiegenden Eingriff in Art. 9 Abs. 3 GG auch nicht rechtfertigen.
Diese Entwicklung verdient Beifall. Erstens führt der Grundsatz der Tarifeinheit zu einer Verzerrung der Entlohnung bestimmter Gruppen. So konnten Zugführer oder Piloten jahrzentelang nicht den marktangemessenen Lohn durch Streiks erzwingen, sondern mussten mit der Mehrheitsgewerkschaft Kompromisse eingehen. Damit lag ihr Lohn unter ihrem Marktwert, so dass letztlich die Arbeitgeber durch geringere Entgeltzahlungen Nutznießer dieser Rechtsprechung waren. Ein weiterer Nutznießer waren zweitens die „großen“ Gewerkschaften, deren Position quasi unanfechtbar war. Die Tarifeinheit zementierte ihre Monopolstellung, da mangels Tarifgeltung und Streikrecht kleinere Gewerkschaften de facto keine Möglichkeit hatten zu wachsen. Wer wird schon Mitglied einer Gewerkschaft, die ohnehin nichts durchsetzen kann? Drittens ist ein Tarifchaos oder eine Zersplitterung der Tariflandschaft nicht eingetreten. Lokführer- oder Pilotenstreiks führen immer zu einem volkswirtschaftlichen Schaden, unabhängig davon, ob sie von einer Mehrheits- oder Minderheitsgewerkschaft ausgeführt werden. Und viertens – ein häufig übersehenes Argument: Arbeitsrechtler beklagen den schwindenden Organisationsgrad in den Gewerkschaften. Arbeitnehmer sind immer seltener bereit, sich in Gewerkschaften zu organisieren und ihre Rechte durchzusetzen. Die Tarifeinheit verstärkte diesen Trend noch, da es für die meisten Minderheitsberufsgruppen in einem Betrieb sinnlos war, sich zu organisieren, da ihr Einfluss ohnehin verschwindend gering war und sie sich nicht selten durch die goßen Gewerkschaften nicht hinreichend vertreten fühlten.
Man mag die „überzogenen“ Forderungen von GDL, Cockpit und Co. kritisieren – für die Dynamik der Tariflandschaft und die Effektivität der grundrechtlich geschützten Tarifautonomie sind die erzielten Abschlüsse aber ein eindrucksvolles Zeugnis. Zugleich kann den Tarifabschlüssen der Lokführer, Vorfeldlotsen oder Piloten eine Vorbildwirkung zukommen. Auch andere Arbeitnehmer können sich hierdurch angespornt sehen, mehr für ihre Rechte zu kämpfen – und der mündige Arbeitnehmer ist doch das Ziel jeder Arbeitsmarktpolitik.
II. Welche Vorschläge zur Normierung gibt es?
In der Zwischenzeit gab es einige Vorschläge zur gesetzlichen Normierung der Tarifeinheit. Diese werden – wenig überraschend – nicht nur von den großen Gewerkschaften, sondern auch von Arbeitgeberseite unterstützt.
Arbeitsministerin Nahles drohte zuletzt als Reaktion auf die Streiks der GDL eine Gesetzesinitiative an (kurios hierbei ihr Hinweis, dass die Ausgestaltung „am besten natürlich verfassungskonform“ erfolgen solle). Zuvor gab es schon einen gemeinsamen Vorschlag des Arbeitgeberverbandes und der Gewerkschaften sowie einen sog. Professorenentwurf (NZA Aktuell, Heft 7/2012). Alle wurden ganz überwiegend als verfassungswidrig eingeordnet, jedenfalls im Ergebnis aber abgelehnt (Bayreuther, NZA 2013, 1395).
III. Was kann verfassungskonform geregelt werden?
Aktuell wurde das Thema zudem durch den jüngsten 71. Juristentag in Hannover. Die Abteilung Arbeitsrecht konnte sich auf keinen Beschluss einigen – was die Brisanz des Themas noch einmal verdeutlicht. Anscheinend will es sich niemand mit der Politik verscherzen und dieser ins Stammbuch schreiben, dass der Grundsatz der Tarifeinheit in Form der alten Rechtsprechung des BAG tot ist – ohne Chance auf verfassungskonforme Reanimation.
Verfassungskonform könnten hingegen Abspracheerfordernisse zwischen den Gewerkschaften sein. So wird man dem Grundsatz der Verhältnismäßigkeit folgend eine Streikabsprache zwischen den einzelnen Gewerkschaften fordern können, soweit eine Vielzahl von aufeinander folgenden Streiks drohte und hiermit das bestreikte Unternehmen in eine wirtschaftliche Schieflage geriete. Auch könnte ein einheitlicher Endzeitpunkt für die abgeschlossenen Tarifverträge verlangt werden (so Franzen, RdA 2008, 193, 203f.). Solche Minusmaßnahmen könnten auch gesetzlich festgeschrieben werden. Erforderlich ist dies aber nicht, hat sich doch bisher die Rechtsprechung in der Ausgestaltung des Streikrechts verdient gemacht.
IV. Warum sollte ich das alles wissen?
Die Diskussionen zur Tarifeinheit flachen nicht ab. Und wie so häufig ist es sinnvoll, die rechtlichen Grundlagen durchdacht zu haben, um zu einer fundierten Meinung zu kommen. Die Tatsache, dass sog. Funktionseliten wie Vorfeldlotsen und Piloten extreme Gehaltssteigerungen erkämpfen konnten, spricht insoweit eine eindeutige Sprache: Der Grundsatz der Tarifeinheit hat jahrzehntelang den Markt zuungunsten dieser Berufsgruppen verzerrt. Der Ärger über verspätete Bahnen oder Flugzeuge ist sicherlich kein valides Argument, in Zukunft diesen ihren gerechten – auf der Angemessenheitsvermutung des Tarifvertrages beruhenden – Lohn vorzuenthalten.
 

24.09.2014/4 Kommentare/von Dr. Maximilian Schmidt
https://www.juraexamen.info/wp-content/uploads/2022/05/je_logo.svg 0 0 Dr. Maximilian Schmidt https://www.juraexamen.info/wp-content/uploads/2022/05/je_logo.svg Dr. Maximilian Schmidt2014-09-24 13:00:212014-09-24 13:00:21Tarifeinheit – Ein Debattenbeitrag
Gastautor

BAG: Aufruf von Gewerkschaften zum Streik in kirchlichen Einrichtungen rechtmäßig

Arbeitsrecht, Öffentliches Recht, Öffentliches Recht, Rechtsgebiete, Rechtsprechung, Rechtsprechungsübersicht, Schon gelesen?, Startseite, Verfassungsrecht, Zivilrecht, Zivilrecht

Wir freuen uns, heute einen Gastbeitrag von Marvin Granger veröffentlichen zu können. Der Autor hat seit 2007 an der Universität Münster studiert und in diesem Jahr sein Studium dort erfolgreich abgeschlossen.
Das Bundesarbeitsgericht (BAG) hat am 20. November 2012 in einem Urteil (Az: 1 AZR 179/11) entschieden, dass der gewerkschaftliche Aufruf zum Streik die Kirche als Arbeitgeberin nicht in ihrem verfassungsrechtlich garantierten Selbstverwaltungsrecht aus Art. 140 GG i.V.m. Art. 137 Abs. 3 WRV verletzt. Bislang liegt nur die Presseerklärung zu der Entscheidung vor.
I. Sachverhalt
Geklagt hatte u.a. die Evangelische Kirche von Westfalen, die von der Gewerkschaft ver.di verlangt hatte, Warnstreikaufrufe in kirchlichen diakonischen Werken zu unterlassen. Die Kirche meinte, diese Aufrufe würden sie in ihrem Selbstverwaltungsrecht aus Art. 140 GG i.V.m. Art. 137 Abs. 3 WRV verletzen. Dagegen hatte ver.di vorgebracht, wegen der vorbehaltlos gewährleisteten Koalitionsfreiheit nach Art. 9 Abs. 3 GG, auch gegen die Kirche als Arbeitgeberin zum Warnstreik aufrufen zu dürfen. Trotz der zwischen der Arbeitgeber- und der Arbeitnehmerseite ausgehandelten Arbeitsbedingungen konnte die Kirche einseitig zwischen verschiedenen Arbeitsregelungen wählen.
Die Vorinstanz, das Landesarbeitsgericht Hamm, hatte die Klage der Kirche abgewiesen. Gegen diese Entscheidung hatte die Kirche Revision eingelegt.
II. Entscheidungsgründe
Das BAG hat nun das Urteil des Landesarbeitsgerichts Hamm bestätigt. Zwar habe die Kirche gem. Art. 140 GG i.V.m. Art. 137 Abs. 3 WRV das Recht, ihre Angelegenheiten eigenständig zu ordnen und zu verwalten, doch dieses Recht sei nicht vollumfänglich gewährleistet, sondern

„funktional auf die Verwirklichung der Religionsfreiheit aus Art. 4 Abs. 1 und 2 GG“ beschränkt, heißt es in der Presseerklärung. „Sein Schutzbereich umfasst auch die Entscheidung, die Arbeitsbedingungen der in der Diakonie beschäftigten Arbeitnehmer nicht mit Gewerkschaften durch Tarifverträge zu regeln, sondern entsprechend ihrem religiösen Bekenntnis einem eigenständigen, am Leitbild der Dienstgemeinschaft ausgerichteten Arbeitsrechtsregelungsverfahren zu überantworten.“

Zur Erläuterung: Dieses genannte Arbeitsrechtsregelungsverfahren am Leitbild der Dienstgemeinschaft wird von einem Gremium vorgenommen, das jeweils zum Teil aus Vertretern der Arbeitgeber- und der Arbeitnehmerseite zusammengesetzt ist. Kommt es zwischen den Parteien zu Unstimmigkeiten, so werden diese durch eine Schlichtungskommission mit einem neutralen Vorsitzenden geklärt. Dieses Arbeitsrechtsregelungsverfahren bezeichnet man als sog. „Dritten Weg“. Daneben gibt es noch die Möglichkeiten, die Arbeitsbedingungen entweder einseitig durch Kirchengesetze (sog. „Erster Weg“) oder durch Tarifvertrag festzulegen (sog. „Zweiter Weg“) (Ehlers, in: Sachs, Grundgesetz, Kommentar, 6. Aufl., München 2011, Art. 140, Art. 137 WRV Rn. 10 m.w.N. ).
Das kirchliche Selbstbestimmungsrecht hat im Rahmen der o.g. Grenzen einen weiten Schutzbereich und umfasst stets die Ausgestaltung kirchlicher Arbeitsverhältnisse (Ehlers, in: Sachs, Grundgesetz, Kommentar, 6. Aufl., München 2011, Art. 140, Art. 137 WRV Rn. 10. ) . Konsequenterweise ist deren Ausgestaltung durch staatliche Gerichte auch grundsätzlich nicht überprüfbar, denn in innerkirchliche – religiöse – Angelegenheiten hat der Staat sich wegen des aus Art. 4 Abs. 1 GG folgenden religiösen und weltanschaulichen Neutralitätsgebots nicht einzumischen.
Auch die Gewerkschaften dürfen sich in der Regel nicht in die innerkirchlichen privatrechtlichen Arbeitsregelungen einmischen, so das BAG, doch dies gelte nur,

„sofern diese (Anm.: also die Gewerkschaft) sich innerhalb des Dritten Weges noch koalitionsmäßig betätigen kann, die Arbeitsrechtssetzung auf dem Dritten Weg für die Dienstgeber verbindlich ist und als Mindestarbeitsbedingung den Arbeitsverträgen auch zugrunde gelegt wird.“

Auf die Koalitionsfreiheit gem. Art. 9 Abs. 3 GG können die Gewerkschaften sich dann also nicht berufen, denn dies würde im vorliegenden Fall die diakonische Tätigkeit der Kirche stark behindern und ihrer Glaubwürdigkeit schädigen, so das BAG. Zwar waren zwischen der Kirche und den Arbeitnehmern im Rahmen des „Dritten Weges“ Arbeitsrechtsregelungen ausgehandelt worden, doch diese waren für die Kirche nicht verbindlich, vielmehr konnte sie einseitig zwischen unterschiedlichen Regelungen wählen. Daher sei die Koalitionsfreiheit in diesem Fall nicht ausgeschlossen, so das BAG.
Die Kirche muss also die Warnstreikaufrufe dulden. Folglich war die Klage vom Landesarbeitsgericht Hamm zu Recht abgewiesen worden und dementsprechend die Revision unbegründet.
Anmerkungen/Prüfungsrelevanz
Der Fall kann auch für Prüfungen in der Ausbildung bzw. im Examen aus mehreren Gründen relevant sein:
• Man kann an der Entscheidung des BAG sehr schön sehen, dass die Gerichte in Fällen mit Grundrechtsbezug die widerstreitenden Grundrechte gegeneinander abwägen und zu einem möglichst schonenden Ausgleich bringen müssen (sog. praktische Konkordanz). Dabei darf nicht das eine Verfassungsgut ohne Rücksicht auf das andere über dieses gestellt werden, sondern beide Güter müssen berücksichtigt und gegeneinander abgewogen werden. Die Verfassungsgüter begrenzen sich gegenseitig, sodass beide zu möglichst optimaler Wirkung gelangen können (Konrad Hesse, Grundzüge des Verfassungsrechts der Bundesrepublik Deutschland, 20. Aufl., Heidelberg 1995, Rn. 72. ). Wo diese „optimale“ Wirkung beider Güter liegt, muss im Einzelfall durch Abwägung im Rahmen einer Verhältnismäßigkeitsprüfung festgestellt werden (Konrad Hesse, Grundzüge des Verfassungsrechts der Bundesrepublik Deutschland, 20. Aufl., Heidelberg 1995, Rn. 72. ).
Im vorliegenden Fall des BAG standen sich das kirchliche Selbstverwaltungsrecht auf der einen und die Koalitionsfreiheit der Arbeitnehmer und ihrer Gewerkschaft auf der anderen Seite gegenüber. Das Gericht hat festgestellt, dass die Koalitionsfreiheit nicht per se hinter das kirchliche Selbstverwaltungsrecht zurücktritt (obgleich dieses sehr weit geht, s.o.), sondern nur, sofern die Gewerkschaften bei der Aushandlung der Arbeitsrechtsregelungen hinreichend beteiligt worden sind und die erzielten Ergebnisse für die Arbeitgeberin (Kirche) als Mindestarbeitsbedingungen verbindlich sind. Streiks und Aufrufe hierzu sind dann rechtswidrig, weil die Arbeitnehmer sich nicht auf Art. 9 Abs. 3 GG berufen können. Dies war hier nicht der Fall (s.o.).
Es sollte, was die Rechtmäßigkeit von Streiks betrifft, unbedingt die Parallele zu Tarif-verträgen gesehen werden: Solange ein Tarifvertrag Geltung hat, sind Streiks rechtswidrig (sog. Friedensfunktion von Tarifverträgen). Hier wurde zwar kein Tarifvertrag geschlossen (Zweiter Weg), aber im Rahmen des Dritten Weges eine besondere vertragliche Vereinbarung. Auch diese entfaltet eine Friedensfunktion, wenn die Arbeitnehmer hinreichend beteiligt worden sind.
• Der Fall könnte im Examen, jedenfalls in der mündlichen Prüfung, einerseits als arbeitsrechtliche Aufgabe wie oben kommen. Denkbar ist jedoch wegen seiner Grundrechtsrelevanz andererseits auch, dass die Thematik in einer öffentlich-rechtlichen Prüfungsaufgabe gestellt wird, etwa im Rahmen einer Verfassungsbeschwerde. Bei der Begründetheitsprüfung einer solchen „Urteilsverfassungsbeschwerde“ ist zu beachten, dass das BVerfG nur prüft, ob das Fachgericht (hier das BAG) spezifisches Verfas-sungsrecht verletzt hat. Dies ist nur dann der Fall, wenn das Fachgericht die Grund-rechtsrelevanz des Falles entweder komplett verkannt hat oder wenn es sie zwar gesehen, aber die widerstreitenden Grundrechte bei der Abwägung nicht hinreichend gewichtet hat (beides kann man dem BAG nicht vorwerfen). Die Sachentscheidung über-prüft das BVerfG dagegen nicht, denn das ist nach seiner ständigen Rechtsprechung al-lein die Aufgabe der Fachgerichte. Das BVerfG ist keine Superrevisionsinstanz.
Für eine solche Grundrechtsprüfung sei an dieser Stelle auf die etwas versteckten, aber nicht zu unterschätzenden „Weimarer Kirchenartikel“ (Art. 136-139, 141 WRV) hin-zuweisen. Es ist allgemein anerkannt, dass diese Vorschriften, die gem. Art. 140 GG sog. inkorporiertes und damit voll gültiges Verfassungsrecht darstellen, die Religions-freiheit der Glaubensgemeinschaften ergänzen und überlagern. Sie sind besondere Ausprägungen der Religionsfreiheit. Daher sind auch diese Artikel verfassungsbeschwerdefähig. Wenn im Prüfungsfall eine Religionsgesellschaft (z.B. die Evangelische Kirche von Westfalen) also eine Verfassungsbeschwerde erhebt, ist nicht nur auf Art. 4 Abs. 1 und 2 GG, sondern auch auf Art. 140 GG i.V.m. den Weimarer Kirchenartikeln einzugehen.
• Gerade die Kombination zweier klassischer Rechtsgebiete – Arbeitsrecht und Verfassungsrecht – macht den Fall des BAG für das Examen interessant. Es geht im Kern mal wieder darum, wo die Religionsfreiheit (hier der Kirche, in spezieller Ausprägung des Selbstverwaltungsrechts) ihre Grenzen findet. Mit dem gleichen Problem hatten sich in jüngster Zeit schon andere Gerichte zu beschäftigen (z.B. BVerwG: Berliner Schulgebet; LG Köln: Beschneidung Minderjähriger).

27.11.2012/0 Kommentare/von Gastautor
https://www.juraexamen.info/wp-content/uploads/2022/05/je_logo.svg 0 0 Gastautor https://www.juraexamen.info/wp-content/uploads/2022/05/je_logo.svg Gastautor2012-11-27 09:30:002012-11-27 09:30:00BAG: Aufruf von Gewerkschaften zum Streik in kirchlichen Einrichtungen rechtmäßig

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