Das OLG Hamm hat kürzlich eine examensrelevante Entscheidung zu den Verkehrssicherungspflichten von Autofahrern gefällt (Beschluss vom 05.11.2013 – 5 RBs 153/13). Hiernach hat der Führer eines Kraftfahrzeuges dafür Sorge zu tragen, dass ein im Fahrzeug befördertes Kind während der gesamten Fahrt vorschriftsmäßig gesichert ist und dies vor allem auch bleibt. Autofahrern, die Kinder befördern, wird nach der Entscheidung auferlegt, während der gesamten Fahrt zu kontrollieren, ob das Kind auch angeschnallt bleibt. Es genügt also nicht, lediglich zu Beginn der Fahrt zu überprüfen, ob das Kind angeschnallt war.
Grundsätzlich ist jeder Mitfahrer selbst verantwortlich
Das OLG Hamm stellte zwar fest, dass es im Regelfall dem jeweiligen Mitfahrer obliegt, sich anzuschnallen. Bei schutzbedürftigen Mitfahrern, wie etwa Kindern, treffe den Fahrzeugführer aber eine besondere Fürsorgepflicht. Deswegen müsse er auf deren vorschriftsmäßige Sicherung achten und dies während der gesamten Fahrt kontrollieren. Der Fahrzugführer ist deshalb gehalten, regelmäßig zu prüfen, ob das Kind sich nicht während der Fahrt abgeschnallt hat. Sofern der Fahrzeugführer bemerkt, dass sich das Kind abgeschnallt hat, hat er nach Auffassung des OLG Hamm die Fahrt zu stoppen und die Sicherung wiederherzustellen.
Darüber hinaus könne ein Fahrzeugführer im Einzelfall sogar gehalten sein, seine Route so zu wählen, dass er nur solche Straßen befahre, auf denen er sich regelmäßig nach einem zu sichernden Kind umsehen und erforderlichenfalls sofort anhalten könne. Ausnahmsweise könne der Fahrzeugführer sogar verpflichtet sein, die Sicherung eines beförderten Kindes durch eine mitgenommene Begleitperson zu gewährleisten.
Berücksichtigung beim (Mit)Verschulden
Die vom OLG Hamm aufgestellten Wertungen lassen sich wunderbar in eine Examensklausur verpacken. Man stelle sich vor, der Fahrzeugführer ist in einen Unfall verwickelt und es kommt zu Schäden bei dem mitfahrenden Kind, das sich während der Fahrt abgeschnallt hat. Sofern das Kind deliktische Ansprüche gegen den Fahrer (oder gegen den anderen Unfallbeteiligten) geltend macht, wird die hier geschilderte Problematik bei der Mitverursachung nach § 254 Abs. 1 BGB eine Rolle spielen. An dieser Stelle kann dann zugunsten des Kindes argumentiert werden, sofern es der Fahrer unterlassen hat auch während der Fahrt zu prüfen, ob das Kind angeschnallt war.
Zudem kann die Problematik beim Verschulden relevant werden, sofern man ein schädigendes Verhalten des Fahrers darin sieht, dass dieser es unterlassen hat, darauf zu achten, ob das Kind auch während der Fahrt angeschnallt war. Nach Auffassung des OLG Hamm stellt die unterlassene Aufsicht (oder unter Umständen sogar bereits das Unterlassen, Begleitpersonen für die Kontrolle hinzuzuziehen) eine Verletzung einer Verkehrssicherungspflicht dar, womit eine fahrlässige Verletzungshandlung zu bejahen wäre.
Haftung von Eltern
Sofern es sich bei dem Fahrer um einen Elternteil des verletzten Kindes handelt, ist im Hinblick auf das Verschulden zudem § 1664 Abs. 1 BGB zu beachten. Hiernach haften Eltern eines Kindes bei der Ausübung der elterlichen Sorge nur für die eigenübliche Sorgfalt, sprich die sog. diligentia quam in suis nach § 277 BGB. Sofern § 1664 BGB anwendbar sein sollte, käme eine Haftung der Eltern damit im Regelfall nur bei grober Fahrlässigkeit in Betracht.
Hierbei ist allerdings zu beachten, dass die eigenübliche Sorgfalt gerade nicht im Straßenverkehr gelten soll. Nach ständiger Rechtsprechung des BGH ist bei der Teilnahme am Straßenverkehr nämlich im Grundsatz kein Raum für eine eigenübliche Sorgfalt (vgl. etwa BGH, NJW1967, 558). Dogmatisch lässt sich ein solches Ergebnis durch eine teleologische Reduktion des § 277 BGB konstruieren, denn die Besonderheiten und Gefahren des Straßenverkehrs gebieten, dass bei Haftungsfällen in diesem Kontext ein objektiver Haftungsmaßstab gelten muss. Ein subjektiver, auf die Veranlagung und das gewohnheitsmäßige Verhalten des Handelnden abstellender Maßstab wird der Situation im Straßenverkehr hingegen regelmäßig nicht gerecht (vgl. Werkmeister, NJW 2012, 1820). Bei der gegenständlichen Konstellation, bei der es die Eltern unterließen, zu prüfen, ob das Kind angeschnallt war, lässt sich indes gut vertretbar gegen die Übertragbarkeit der vorgenannten Rechtsprechung des BGH argumentieren. Die vom Fahrer verletzte Sorgfaltspflicht bezieht sich nämlich nicht unmittelbar auf die Sicherheit im Straßenverkehr, sondern stellt eher eine Fürsorgepflicht gegenüber dem Kind dar. Wenn nämlich das Kind nicht angeschnallt ist, sind die anderen Teilnehmer im Straßenverkehr genauso sicher, wie sie es bei angeschnalltem Gurt wären.
Sofern man sich in dieser Hinsicht also für eine Anwendbarkeit des verringerten Haftungsmaßstabes nach §§ 1664, 277 BGB zugunsten der Eltern entscheidet, stellen sich bei Verkehrsunfallskonstellationen zusätzlich noch Probleme rund um die gestörte Gesamtschuld. Dies ergibt sich daraus, dass dem Kind zum einen Ansprüche gegen den Elternteil (als Fahrer) und zum anderen gegen den Unfallverursacher zustehen können. Die Handhabe derartiger Konstellationen haben wir bereits eingehender in diesem Beitrag behandelt. Das Grundlagenwissen zur Thematik der gestörten Gesamtschuld findet ihr hier. Für den Prüfungsaubau ist an dieser Stelle noch relevant, dass nach wohl h.M. § 1664 BGB auch als eigene Anspruchsgrundlage gegen die Eltern geprüft werden kann. Da es keine höchstrichterliche Rechtsprechung zu dieser Aufbaufrage gibt, ist es indes genauso vertretbar, §§ 1664, 277 BGB (wie hier suggeriert) im Rahmen des Verschuldens (etwa bei § 823 Abs. 1 BGB) zu prüfen.
Examensrelevanz
Der kursorische Problemaufriss zeigt, dass Sachverhalte, bei denen Kinder in Kraftfahrzeugen mitfahren, einige haftungsrechtliche Probleme mit sich bringen. Die Rechtsprechung des OLG Hamm macht darüber hinaus deutlich, dass neben den bekannten Anknüpfungspunkten ebenfalls eine Haftung des Fahrers wegen Unterlassen der regelmäßigen Kontrolle des Kindes während der Fahrt in Betracht kommen kann.
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