Wir freuen uns, nachfolgenden Gastbeitrag von Lukas Eitel veröffentlichen zu können. Der Autor ist Student der Rechtswissenschaften an der Universität Bayreuth.
I. Einleitung
Die Eigentumsverhältnisse an der Kfz-Zulassungsbescheinigung Teil II (vormals Kfz-Brief), die den Halter eines Kfz ausweist, gelten gemeinhin als geklärt. Nachdem der BGH in ständiger Rechtsprechung § 952 BGB auf die Zulassungsbescheinigung Teil II anwendet (BGH NJW 2020, 3711 (3714); NJW 2007, 2844 (2844) mwN.) sind dieser Auffassung neben den Obergerichten (OLG Köln NJOZ 2018, 1581 (1581); KG OLGZ 1994, 113 (114)) auch das Schrifttum gefolgt (Füller, in: MüKo-BGB, Band 8, 8. Aufl. 2020, § 952 Rn. 11 mwN.). Tragend ist die Überlegung, dass der Kfz-Brief das Eigentum am Kfz sichern solle (BGH NJW 1978, 1854 (1854)). In der Rechtsfolge erwirbt der Eigentümer des Wagens zugleich das Eigentum am zugehörigen Kfz-Brief.
Lediglich eine Minderheit in der Literatur hat eine solche Ausdehnung des Anwendungsbereiches des § 952 BGB in Abrede gestellt (Hefermehl, in: Erman, 10. Aufl. 2000, § 952 Rn. 2; Wieling/Finkenauer, Sachenrecht, 6. Aufl. 2020, S. 135). Die Sicherungsfunktion des Kfz-Briefes erschöpfe sich in einer bloßen Reflexwirkung der verwaltungsrechtlichen Vorschriften. Vielmehr könne der Käufer die Herausgabe des Briefes nach § 444 BGB aF verlangen (Hefermehl, in: Erman, 10. Aufl. 2000, § 952 Rn. 2).
Die mit der umrissenen Problematik verbundenen Aufbaufragen machen diesen Themenkreis für Klausurersteller besonders reizvoll. Aufgrund der hohen Relevanz für Examen und Studium ist die Kenntnis dieses Streitstandes und seiner Folgen für die Prüfung daher unabdingbar. Der Beitrag stellt kritisch die Herleitung der skizzierten Analogie und ihre klausurmäßige Aufbereitung dar.
II. Die Anwendung von § 952 BGB auf die Kfz-Zulassungsbescheinigung Teil II
1. Keine direkte Anwendung
Dass eine direkte Anwendung des § 952 BGB auf die Kfz-Zulassungsbescheinigung Teil II nicht möglich ist, liegt angesichts des Wortlautes (bekanntlich Grenze der Auslegung) auf der Hand. § 952 Abs. 1 S. 1 BGB bestimmt, dass die Rechtsfolge des § 952 BGB lediglich für Schuldscheine gilt. § 952 Abs. 2 BGB erweitert zwar den Anwendungsbereich auf andere Urkunden kraft deren eine Leistung gefordert werden kann, insbesondere auf Hypotheken-, Grundschuld- und Rentenschuldbriefe. Zu alledem gehört der Kfz-Brief aber nicht. Die offene Aufzählung der Regelbeispiele deutet sicherlich darauf hin, dass der Gesetzgeber sehr wohl § 952 BGB über die aufgezählten Dokumente hinaus zur Anwendung bringen wollte. Diesen Kreis muss man jedoch auf Urkunden des privaten Rechts beschränken. Öffentliche Urkunden, wie die Zulassungsbescheinigung Teil II, unterfallen der Vorschrift nämlich nicht (Füller, in: MüKo-BGB, Band 8, 8. Aufl. 2020, § 952 Rn. 2 u. 11).
2. Analoge Anwendung
Fruchtbar machen lässt sich § 952 BGB demgegenüber im Wege der Analogie. Eine solche setzt bekanntlich zweierlei voraus: Eine planwidrige Regelungslücke und die Vergleichbarkeit der Interessenlagen.
a. Planwidrige Regelungslücke
Zu fragen ist zunächst nach einer planwidrigen Regelungslücke. Ausgangspunkt einer solchen Untersuchung ist regelmäßig die Normsetzungsgeschichte. Der Kfz-Brief geht zurück auf die Verordnung über den Kraftfahrzeugverkehr vom 11.04.1934 (RGBl I, 303). Der BGH entnimmt aus den Ausführungsanweisungen zur Verordnung, dass der Brief dazu dienen soll, das Eigentum an Kraftfahrzeugen zu sichern (BGH NJW 1978, 1854 (1854)). Demgegenüber wurde für den Brief selbst keine Anordnung über dessen Eigentumsverhältnisse getroffen. Letzteres ist bis heute unverändert. Aus diesem Grund ist es möglich, eine planwidrige Regelungslücke anzunehmen.
b. Vergleichbare Interessenlage
Im zweiten Schritt müssen sich auch die Interessenlagen gleichen.
Doch ein Vergleich zwischen den Urkunden des § 952 BGB und dem Kfz-Brief zeigt zunächst folgendes Ergebnis: § 952 erfasst allein Urkunden des privaten Rechts (Füller, in: MüKo-BGB, Band 8, 8. Aufl. 2020, § 952 Rn. 2). Ein Schuldschein ist eine vom Schuldner zu Beweiszwecken ausgestellte Urkunde, die eine Schuld begründet oder bestätigt (Berger, in: Jauernig, 18. Aufl. 2021, § 952 Rn. 1). Er ist dazu bestimmt, denjenigen auszuweisen, der aus diesem Schein zur Forderung einer Leistung berechtigt ist. Demgegenüber handelt es sich beim Kfz-Brief um eine öffentlich-rechtliche Urkunde, aus welcher kein Recht erwachsen kann (vgl. Schermaier, in: BeckOGK-BGB, Stand: 01.12.2021, § 952 Rn. 15.1). Insoweit unterscheiden sich die Interessenlagen zunächst im Grundsatz.
Die herrschende Meinung stützt sich deswegen vor allem auf die Überlegung, dass die Zulassungsbescheinigung Teil II gem. § 12 Abs. 6 FVZ legitimierende Wirkung entfalte. Liefen nun Eigentum am Kfz und Zulassungsbescheinigung Teil II nicht gleich, so fielen formelle und materielle Legitimation auseinander (Füller, in: MüKo-BGB, Band 8, 8. Aufl. 2020, § 952 Rn. 11). Dies widerspräche dem Sinn und Zweck des Kfz-Briefes (Frahm/Würdinger, JuS 2008, 14 (16); Fritsche/Würdinger, DAR 2007, 501 (502)). Bündeln lassen sich derartige Überlegungen in der Sicherungsfunktion, welcher der Zulassungsbescheinigung zugesprochen wird (vgl. BGH NJW 1978, 1854 (1854)). Dem lässt sich jedoch entgegenhalten, dass die Zulassungsbescheinigung gerade nicht den Eigentümer ausweist, sondern nur den Halter (Hefermehl, in: Erman, 10. Aufl. 2000, § 952 Rn. 2; Schermaier, in: BeckOGK-BGB, Stand: 01.12.2021, § 952 Rn. 15). Über die materielle Legitimation am Kfz trifft sie damit keine Aussage.
Die Analogie lässt sich aber rechtsfolgenorientiert begründen. Ausgangspunkt ist die Überlegung, ob es sinnvoll ist, dem Inhaber eines Rechtes zugleich das Recht an der Belegurkunde zuzusprechen. Sieht man darüber hinweg, dass die Zulassungsbescheinigung keine solche Belegurkunde ist, da sie nun den Halter ausweist, mag die Sinnhaftigkeit zu bejahen sein. Es stellt sich nämlich die Frage, wem außer dem Eigentümer des Kfz das Eigentum am Brief zustehen soll. Schließlich besitzt der Kfz-Brief keinen eigenen Nutzwert. Zu berücksichtigen gilt es außerdem, dass die Kfz-Zulassungsbescheinigung Teil II mittlerweile eine Bedeutung für den Rechtsverkehr erlangt hat, die eng mit dem Eigentum am Wagen zusammenhängt (vgl. Schermaier, in: BeckOGK-BGB, Stand: 01.12.2021, § 952 Rn. 15.1). So wird der Nachweis der Verfügungsberechtigung regelmäßig an den Kfz-Brief gebunden (Schermaier, in: BeckOGK-BGB, Stand: 01.12.2021, § 952 Rn. 15.1). Das zeigt sich schon daran, dass der Erwerber eines Kfz nur dann als gutgläubig im Sinne des § 932 Abs. 2 BGB gilt, wenn der Veräußerer neben dem Besitz am Wagen die Zulassungsbescheinigung Teil II vorweisen kann (BGH NJW 2020, 3711 (3714)).
Aus diesem Grund ist die analoge Anwendung von § 952 BGB auf die Kfz-Zulassungsbescheinigung Teil II zu bejahen.
c. Rechtsfolgen der Analogie
Damit richten sich die Eigentumsverhältnisse an der Zulassungsbescheinigung Teil II nach denen am Kfz selbst. Der Eigentümer des Kfz erwirbt also zugleich das Eigentum am Brief und kann vom Besitzer nach § 985 BGB die Herausgabe verlangen (Fritsche/Würdinger, NJW 2007, 1037 (1038)). Dies gilt auch dann, wenn das Eigentum am Kfz im Wege des gutgläubigen Erwerbes erlangt wurde (Heinze, in: Staudinger, 2020, § 952 Rn. 9). In beiden Fällen kann der Besitzer dem Eigentümer kein Zurückbehaltungsrecht aus § 986 BGB entgegenhalten (Füller, in: MüKo-BGB, Band 8, 8. Aufl. 2020, § 952 Rn. 11). Zugleich ist die Zulassungsbescheinigung bloßer Annex des Kfz (Heinze, in: Staudinger, 2020, § 952 Rn. 9). Sie ist nicht mehr selbstständiger Gegenstand im Rechtsverkehr (LG Frankfurt NJW-RR 1986, 986 (986)), womit sie nicht mehr einzeln übereignet werden kann (Schlechtriem, NJW 1970, 2088 (2091)).
III. Prüfungshinweise
In der Klausur wird sich der umrissene Problemkreis nicht isoliert zeigen.
Gängig ist vielmehr ein Sachverhalt, der ein Kfz zum Gegenstand hat, dessen Eigentumslage umstritten ist. In solchen Fällen wird einer der Beteiligten die Herausgabe der Kfz-Zulassungsbescheinigung Teil II von ihrem jeweiligen Besitzer fordern.
Der Schwerpunkt der Klausur liegt dann bei der Prüfung des § 985 BGB. Im Tatbestandsmerkmal der Eigentümerstellung am Brief muss die analoge Anwendung von § 952 BGB auf die Zulassungsbescheinigung diskutiert werden. Bejaht man dies, so lässt sich feststellen, dass sich die Eigentumsverhältnisse am Brief nach denen am Kfz richten. Sodann muss inzident der Eigentümer des Kfz herausgearbeitet werden (vgl. zu einer solchen Konstellation Frahm/Würdinger, JuS 2008, 14 (16 f.)).
Zugleich stellt sich die Frage bei der Prüfung von Bereicherungsansprüchen. Erwirbt ein Beteiligter das Eigentum am Kfz, so erstreckt sich das „erlangte etwas“ im Sinne des § 812 Abs. 1 S. 1 Alt. 1 BGB auch auf das Eigentum am Kfz-Brief.
Allerdings muss die Prüfung der Analogie selbst in der Klausur in der gebotenen Kürze erfolgen. Nach Aufriss des Problems und der versagten direkten Anwendung von § 952 Abs. 2 BGB ist regelmäßig kaum mehr Zeit als für die Feststellung, dass mangels der Regelung der Eigentumslage des Kfz-Briefes eine planwidrige Regelungslücke besteht und dass die Vergleichbarkeit der Interessenlagen wegen des faktischen engen Zusammenhanges von Eigentum und Papier im Wirtschaftsverkehres zu bejahen ist (vgl. v. Finckenstein/Kuschel, JuS 2016, 717 (721)).
Jedenfalls empfiehlt es sich, diese Analogie prüfungstaktisch zu bejahen. Es gilt sich nämlich vor Augen zu führen, dass die Analogie der ganz herrschenden Meinung entspricht, so dass die Prüfungslösungen die Konsequenzen einer abweichenden Meinung kaum berücksichtigen werden. Der Bearbeiter wird davon ausgehen müssen, dass Vertreten der Mindermeinung als schwerlich vertretbar gewürdigt werden wird. Zugleich verbaut sich der Bearbeiter die Prüfung des Schwerpunktes des Falles, nämlich die Eigentumslage am Kfz.