Die Zeit berichtet, dass sich die die EU-Finanzminister in letzter Minute geeinigt haben, um Zypern mit einem Hilfsprogramm von zehn Milliarden Euro zu unterstützen. Im Gegenzug wird in Zypern eine „Zwangsabgabe“ für bestimmte Guthaben auf zypriotischen Konten umgesetzt. Demnach sollen u.a. Einlagen von über 100.000 EUR einer einmaligen Abgabe (nach dem letzten Stand zum Zeitpunkt des Verfassens dieses Beitrages von bis zu 40%) unterworfen werden. Damit die Durchsetzung einer derartigen Zwangsabgabe realisierbar war, wurde in Zypern bereits vor einer Woche beschlossen, dass bestimmte Geldbeträge auf zyprischen Banken „eingefroren“ wurden. Dies hatte zur Folge, dass die Zyprioten nicht über ihr gesamtes Kontoguthaben verfügen konnten. Rechtstechnisch erfolgte dieser Eingriff ohne das Vorliegen einer gesetzlichen Grundlage. Ein Gesetz, dass das „Einfrieren“ nachträglich billigt, soll mit retrospektiver Wirkung im zypriotischen Parlament beschlossen werden.
Der Sachverhalt ist derzeit ein brisantes Politikum. Gleichwohl eignet sich das aktuelle politische Tagesgeschehen, dass den Fortgang der Finanz- und in gewissem Ausmaß auch der Realwirtschaft der Eurozone maßgeblich bestimmt, auch hervorragend, um verschiedenste Grundkenntnisse im mündlichen Staatsexamen abzufragen.
Europäisches Primärrecht
Zumindest die europarechtlichen Grundlagen des Primärrechts, also das Recht nach AEUV und EUV gehören in den juristischen Staatsexamina zum Prüfungsstoff, so dass hier Basiswissen erwartet werden kann. Zum einen stellt sich in dieser Hinsicht die Frage, ob die europarechtlichen Grundfreiheiten, namentlich die Kapitalverkehrsfreiheit, das Einfrieren der Konten sowie die Zwangsabgabe zulassen. Art. 63 Abs. 1 AEUV postuliert beispielsweise, dass alle Beschränkungen des Kapitalverkehrs zwischen den Mitgliedstaaten sowie zwischen den Mitgliedstaaten und dritten Ländern verboten seien. Das Einfrieren der Konten, womit die Verfügungsbefugnis über bestimmte Geldbeträge eingeschränkt wird, stellt insofern einen Eingriff in Art. 63 Abs. 1 AEUV dar.
Gemäß Art. 65 Abs. 1 b) AEUV bleibt es den Mitgliedstaaten indes unbenommen, die unerlässlichen Anordnungen zu treffen, um Maßnahmen zu ergreifen, die aus Gründen der öffentlichen Ordnung oder Sicherheit gerechtfertigt sind. Das Verhindern der Staatspleite des zyprischen Staates kann als extremer Sonderfall bewertet werden, so dass vorliegend wohl ein Rechtfertigungsgrund für den Eingriff in Art. 63 Abs. 1 AUEV vorliegt.
Im Hinblick auf die Einführung einer Zwangsabgabe lässt sich aus europarechtlicher Sicht Art. 63 Abs. 1 a) AEUV heranziehen. Hiernach darf ein Mitgliedstaat die einschlägigen Vorschriften ihres Steuerrechts anwenden […]. Insofern ist das Einführen einer Abgabe, also einer Steuer, europarechtlich in das Ermessen des Mitgliedstaates gestellt. Art. 110 AEUV, der ebenfalls Vorgaben für die Einführung bestimmter steuerrechtlicher Regelungen enthält, ist vorliegend nicht anwendbar, da diese Vorschrift sich lediglich auf Abgaben, die auf Waren erhoben werden, und gerade nicht auf Kapitalabgaben, bezieht.
Nationales Recht
Im Rahmen einer mündlichen Examensprüfung würde selbstverständlich nicht das zypriotische Landes- sowie Verfassungsrecht abgefragt. Die Geschehnisse aus Zypern können jedoch zumindest einer verfassungsrechtlichen Betrachtung aus Sicht des deutschen Grundgesetzes unterzogen werden. Der Erlass eines Gesetzes, wonach rückwirkend das „Einfrieren“ von Konten bewilligt wird, ist am Maßstab des Rechtsstaatsprinzips nach Art. 20 Abs. 1, Abs. 3 GG zu messen. Hieraus ergibt sich nach der Rechtsprechung des BVerfG ein grundsätzliches Verbot von sog. echter Rückwirkung (siehe ausführlich und grundsätzlich zum Rückwirkungsverbot diesen Beitrag). Gesetze, die rückwirkend einen abgeschlossenen Sachverhalt regeln (echte Rückwirkung) sind dabei nur unter sehr strengen Voraussetzungen zulässig. Dies ist insbesondere dann der Fall, wenn die echte Rückwirkung aufgrund überwiegender Gründe des Gemeinwohls erforderlich ist.
Bei der Subsumtion der Staatskrise in Zypern wird man derartige Umstände wohl annehmen müssen, da das rückwirkende Einfrieren der Konten u.a. eine Kapitalflucht aus Zypern verhindern soll, was im weiteren Sinne dem Abwenden einer Staatspleite dient. Auch nach deutschem Verfassungsrecht könnte eine rückwirkende Billigung des „Einfrierens“ der Konten demnach zulässig sein.
Die Verfassungsmäßigkeit einer Zwangsabgabe, die auf Kontoguthaben, das in nationalen Banken lagert, erhoben wird, bemisst sich hingegen u.a. am Maßstab des Art. 3 Abs. 1 GG. Hiernach wäre zu fragen, ob das Heranziehen der Konteninhaber, die über 100.000 EUR angelegt haben, eine willkürliche Ungleichbehandlung zu anderen Kapitalanlegern darstellt. Anleger, die beispielsweise Millionen in Immobilien angelegt haben, sind nicht von der Zwangsabgabe betroffen. Ebenso wenig sind sonstige Sachwerte von der Abgabe betroffen. In dieser Hinsicht gilt es jedoch zu postulieren, dass dem Gesetzgeber im Bereich des Steuerrechts von der Rechtsprechung ein recht weitgehender Ermessensspielraum übertragen wurde. Ein sachlicher Grund für die Ungleichbehandlung mag sich vorliegend beispielsweise aus Praktikabilitätsgründen herleiten lassen, da die Belastung des vorhandenen Barvermögens effektiver umsetzbar ist, als eine Belastung von Sachvermögen. Gleichwohl mag es in diesem Kontext ein Problem darstellen, wenn Härtefälle (beispielsweise Kapitalinhaber, die auf der anderen Seite Verbindlichkeiten in gleicher Höhe ausgesetzt sind und somit effektiv kaum über eigenes Kapital verfügen) ebenfalls von der Zwangsabgabe erfasst werden.
Ohne das Thema an dieser Stelle vertieft und abschließend zu behandeln, ergeben sich im Bereich der Rechtfertigung eines Eingriffes in Art. 3 Abs. 1 GG jedenfalls einige Argumentationsstränge, die das Gespräch im Rahmen einer mündlichen Prüfung wohl ausfüllen würden. Bei einer Betrachtung nach deutschem Recht würden darüber hinaus noch finanzverfassungsrechtliche Fragestellungen eine Rolle spielen. Diese stellen jedoch keinen Pflichtfachstoff, sondern allenfalls eine Materie der Schwerpunktbereichsprüfung dar.
Fazit
Der hiesige Problemaufriss lässt wahrlich mehr Fragen offen, als er beantwortet. Für Argumentationsmaterial im Rahmen einer mündlichen Prüfung wird Detailwissen bei derart aktuellen Themen an sich allerdings auch nie erwartet. Es genügt, wenn man sich die Rechtsprobleme, die sich auf nationaler und supranationaler Ebene stellen, zumindest einmal vergegenwärtigt hat. Der Rest ist dann Argumentationssache…
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