Leitsätze:
1. Im Bereich der Auftragsverwaltung nach Artikel 85 GG sind die Kompetenzen dergestalt verteilt, daß dem Land unentziehbar die Wahrnehmungskompetenz zusteht, die Sachkompetenz hingegen von vornherein nur unter dem Vorbehalt ihrer Inanspruchnahme durch den Bund.
2. a) Das Land kann durch eine Weisung des Bundes nach Artikel 85 Absatz 3 GG nur dann in seinen Rechten verletzt sein, wenn gerade die Inanspruchnahme der Weisungsbefugnis gegen die Verfassung verstößt.
b) Das Land hat dem Bund gegenüber kein einforderbares Recht, daß dieser seine im Einklang mit der Verfassung in Anspruch genommene Weisungsbefugnis inhaltlich rechtmäßig ausübt oder gar einen Verfassungsverstoß, insbesondere eine Grundrechtsverletzung, unterläßt. Eine Grenze ergibt sich in dem äußersten Fall, daß eine zuständige oberste Bundesbehörde unter grober Mißachtung der ihr obliegenden Obhutspflicht zu einem Tun oder Unterlassen anweist, welches im Hinblick auf die damit einhergehende allgemeine Gefährdung oder Verletzung bedeutender Rechtsgüter schlechterdings nicht verantwortet werden kann.
3. Die Weisung unterliegt dem Gebot der Weisungsklarheit: Die angewiesene Behörde muß unter Zuhilfenahme der ihr zu Gebote stehenden Erkenntnismöglichkeiten ihren objektiven Sinn ermitteln können.
4. Bei Ausübung seiner Weisungskompetenz unterliegt der Bund der Pflicht zu bundesfreundlichem Verhalten. Er muß grundsätzlich – d.h. außer bei Eilbedürftigkeit – vor Weisungserlaß dem Land Gelegenheit zur Stellungnahme geben, dessen Standpunkt erwägen und dem Land zu erkennen geben, daß der Erlaß einer Weisung in Betracht gezogen werde.
5. Aus dem Rechtsstaatsprinzip abgeleitete Schranken für Einwirkungen des Staates in den Rechtskreis des Einzelnen sind im kompetenzrechtlichen Bund-Länder-Verhältnis nicht anwendbar. Dies gilt insbesondere für den Grundsatz der Verhältnismäßigkeit.
Bedeutung:
Das Urteil befasst sich ausführlich und grundlegend mit dem Verhältnis zwischen Bund und Ländern bei der Bundesauftragsverwaltung, Art. 85 GG. Wichtig ist insoweit vor allem der erste Leitsatz, welcher die Wahrnehmungskompetenz den Ländern zuschreibt und die Sachkompetenz (d.h. auch Zweckmäßigkeitserwägungen, nicht bloße Rechtmäßigkeitskontrolle) dem Bund zubilligt. Das Land kann in einem Bund-Länder-Streit nur die Verletzung von Vorschriften rügen, die dieses spezifische Verhältnis betreffen, nicht aber etwaige Verstöße gegen sonstiges Verfassungsrecht (vor allem auch Grundrechte) durch den Bund, denn die Sachkompetenz steht ja gerade dem Bund zu (s. Leitsatz 5!).
Außerdem enthält das Urteil grundlegende Ausführungen zum (ungeschriebenen) Grundsatz bundesfreundlichen Verhaltens (Bundestreue). Dieser kann zB eine Anhörung der Länder gebieten (Leitsatz 4).
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Leitsätze:
1. Aus dem Grundsatz der parlamentarischen Demokratie darf nicht ein Vorrang des Parlaments und seiner Entscheidungen gegenüber den anderen Gewalten als ein alle konkreten Kompetenzzuordnungen überspielender Auslegungsgrundsatz hergeleitet werden.
2. Die normative Grundsatzentscheidung für oder gegen die rechtliche Zulässigkeit der friedlichen Nutzung der Kernenergie im Hoheitsbereich der Bundesrepublik Deutschland ist wegen ihrer weitreichenden Auswirkungen auf die Bürger, insbesondere auf ihren Freiheitsbereich und Gleichheitsbereich, auf die allgemeinen Lebensverhältnisse und wegen der notwendigerweise damit verbundenen Art und Intensität der Regelung eine grundlegende und wesentliche Entscheidung im Sinne des Vorbehalts des Gesetzes. Sie zu treffen ist allein der Gesetzgeber berufen.
3. Hat der Gesetzgeber eine Entscheidung getroffen, deren Grundlage durch neue, im Zeitpunkt des Gesetzeserlasses noch nicht abzusehende Entwicklungen entscheidend in Frage gestellt wird, kann er von Verfassungs wegen gehalten sein zu überprüfen, ob die ursprüngliche Entscheidung auch unter den veränderten Umständen aufrechtzuerhalten ist.
4. In einer notwendigerweise mit Ungewissheit belasteten Situation liegt es zuvorderst in der politischen Verantwortung des Gesetzgebers und der Regierung, im Rahmen ihrer jeweiligen Kompetenzen die von ihnen für zweckmäßig erachteten Entscheidungen zu treffen. Bei dieser Sachlage ist es nicht Aufgabe der Gerichte, mit ihrer Einschätzung an die Stelle der dazu berufenen politischen Organe zu treten. Denn insoweit ermangelt es rechtlicher Maßstäbe.
5. Die in die Zukunft hin offene Fassung des § 7 Abs. 2 Nr. 3 AtomG dient einem dynamischen Grundrechtsschutz. Sie hilft, den Schutzzweck des § 1 Nr. 2 AtomG jeweils bestmöglich zu verwirklichen.
6. Vom Gesetzgeber im Hinblick auf seine Schutzpflicht eine Regelung zu fordern, die mit absoluter Sicherheit Grundrechtsgefährdungen ausschließt, die aus der Zulassung technischer Anlagen und ihrem Betrieb möglicherweise entstehen können, hieße die Grenzen menschlichen Erkenntnisvermögens verkennen und würde weithin jede staatliche Zulassung der Nutzung von Technik verbannen. Für die Gestaltung der Sozialordnung muß es insoweit bei Abschätzungen anhand praktischer Vernunft bewenden. Ungewißheiten jenseits dieser Schwelle praktischer Vernunft sind unentrinnbar und insofern als sozialadäquate Lasten von allen Bürgern zu tragen.
Bedeutung:
Dieser Beschluss ist eine der wichtigsten Entscheidungen des BVerfG für die sog. Wesentlichkeitstheorie (s. vor allem der Leitsatz Nr. 2) und damit zum Vorbehalt des Gesetzes, welcher sich aus dem Rechtsstaats- und dem Demokratieprinzip ableitet.