Heute hat sich das OLG München erneut zur Causa Pechstein geäußert. Daher im Folgenden einen kurzen Überblick über die Geschehnisse:
I. Die Ausgangslage
Claudia Pechstein konnte sich im Verlauf ihrer Karriere fünfmal die olympische Goldmedaille umhängen. 2009 wurde sie jedoch durch den Internationalen Sportgerichtshof CAS (Court of Arbitration for Sport) zu einer zweijährigen Dopingsperre verurteilt. Einer ihrer Blutwerte deutete indirekt auf Doping hin. Da die Einnahme illegaler leistungsfördernder Substanzen ihr nie unmittelbar nachgewiesen werden konnte, sondern das Urteil nur auf Auffälligkeiten des Blutbildes gestützt war, ging Claudia Pechstein hiergegen vor. Sie verlangte Schadensersatz in Höhe von über vier Millionen Euro.
Durch ein medizinisches Gutachten konnte später sogar bewiesen werden, dass die Höhe der Retikulozyten-Werte auf einer genetischen Besonderheit Pechsteins beruhten. Es sei an dieser Stelle erwähnt, dass sich heute nicht mehr auf diese Blutwerte bezogen wird, wenn es um die Feststellung eines Dopingfalles geht.
II. Besonderheiten
Claudia Pechstein kritisierte auf dem Weg durch die verschiedenen internationalen Instanzen (u.a. Schweizer Bundesgerichtshof und EGMR) nicht nur die Feststellung des vermeintlichen Dopings, sondern die Schiedsvereinbarung, die sie mit dem Internationalen Fachverbands für Eisschnelllauf ISU (International Skating Union) im Rahmen ihrer Anmeldung für Profi-Wettkämpfe unterzeichnet hatte.
Demnach wird für Dopingstreitigkeiten die Zuständigkeit der Disziplinarkommission der ISU bzw. des CAS festgelegt. Nach der Auffassung Pechsteins widerspricht eine solche Vereinbarung dem „Recht auf ein faires Verfahren“ vor einem unabhängigen Gericht, vgl. Art. 6 I und II EMRK.
III. Erstinstanzliches Urteil des LG München I
In Deutschland klagte Pechstein zunächst vor dem LG München I (Az. 37 O 28331/12) gegen die ISU und die Deutsche-Eisschnelllauf-Gemeinschaft DESG. Mit der DESG hatte Pechstein ebenfalls eine Schiedsvereinbarung zugunsten der internationalen Sportgerichtsbarkeit geschlossen.
In seinem Urteil gelangte das LG zu der Auffassung, dass diese Klauseln unwirksam seien, weil Pechstein aufgrund „struktureller Unterlegenheit“ gegenüber den Verbänden „keine Wahl“ gehabt hätte, diese nicht zu unterzeichnen. Ohne Unterzeichnung hätte sie schließlich nicht an den Wettkämpfen teilnehmen können.
Es nimmt dabei Bezug auf § 138 BGB wonach ein Rechtsgeschäft dann unwirksam ist, wenn es gegen die guten Sitten verstößt.
Den Verstoß leitet sie aus dem Sozialstaatsprinzip aus Art. 20 und 28 GG her. Dieses gebietet, bei struktureller Unterlegenheit einer Partei, eine richterliche Korrektur.
Durch diese Korrektur wird aber nicht der Verzicht auf die nationale Gerichtsbarkeit zugunsten anderer Schiedsgerichte an sich verboten. Es geht vielmehr darum, dass die Privatautonomie des einzelnen bei seiner Entscheidung gewahrt bleiben soll. Da dies aufgrund der strukturellen Unterlegenheit und faktischen Monopolstellung der Verbände nicht der Fall war, wurde die Rechtswahlklausel als unzulässig bezeichnet.
Daraus folgten aber keine Schadensersatzansprüche Pechsteins, weil sie dies vor dem Schweizer Bundesgericht als erste Kotrollinstanz des CAS hätte vorbringen müssen, sodass sich das Landgericht dem Richterspruch des CAS im Ergebnis anschloss.
IV. Entscheidung des OLG München
Das OLG München hat die Entscheidung nun revidiert. Seiner Auffassung nach verstoße die Vereinbarung derart eklatant gegen geltende Grundsätze, dass es die Schadensersatzklage zulässt. Allerdings sind die Weltverbände in Revision gegangen, sodass erst eine Stellungnahme des BGH abzuwarten bleibt, bevor über die Höhe eines etwaigen Schadensersatzes entschieden wird.
Sollte der BGH die Auffassung des OLG teilen, könnte dies weitreichende Folgen für die Sportgerichtsbarkeit nach sich ziehen. Den Sportlern könnte dann in Zukunft ein Wahlrecht zwischen Sport- und ordentlicher Gerichtsbarkeit zustehen. Ob das als Ende der Sportgerichtsbarkeit an sich betrachtet werden kann, bleibt indes fraglich. Schließlich haben CAS und Co. in ihren Fachbereichen vielmehr Expertise und vor allem vielmehr zeitliche und personelle Ressourcen als die ordentlichen Richter, um zu schnellen und sachgerechten Ergebnissen zu gelangen. Ein Garant für richtige Entscheidungen ist das selbstverständlich nicht.
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