Der „Herrenreiter“-Fall ist eine Entscheidung des Bundesgerichtshofs vom 14. Februar 1958 (BGHZ 26,349).
Sachverhalt
Der Kläger ist Mitinhaber einer Brauerei in K. Er betätigt sich als Herrenreiter (heute: Dressurreiter) auf Turnieren. Die Beklagte ist Herstellerin eines pharmazeutischen Präparats, das nach der Vorstellung weiter Bevölkerungskreise auch der Hebung der sexuellen Potenz dient. Sie hat zur Werbung für dieses Mittel in der Bundesrepublik, u.a. auch in K., ein Plakat mit der Abbildung eines Turnierreiters verbreitet. Dem Plakat lag ein Originalphoto des Klägers zugrunde, das von dem Presseverlag S. auf einem Reitturnier aufgenommen worden war. Eine Einwilligung zur Verwendung seines Bildes hatte der Kläger nicht erteilt.
Der Kläger nimmt die Beklagte für den Schaden in Anspruch, der ihm durch die Verbreitung des Werbeplakats entstanden ist. Er macht geltend, dass ihm bei der gegebenen Sachlage nur der Weg bleibe, Ersatz dessen zu fordern, was er erlangt haben würde, wenn er der Beklagten die Benutzung seines Bildes gestattet hätte. Da seine geschäftliche und gesellschaftliche Stellung es ihm nicht gestatteten und seine Vermögensverhältnisse ihn auch in keiner Weise dazu nötigten, sein Bild für Werbezwecke, insbesondere für das Präparat der Beklagten, zur Verfügung zu stellen, würde er dies, wenn überhaupt, nur für ein angemessenes Entgelt getan haben. Dieses sei schätzungsweise auf mindestens 15 000 DM zu bemessen.
Der Kläger hat beantragt, die Beklagte zu verurteilen, einen angemessenen, vom Gericht festzusetzenden Betrag als Schadensersatz zu zahlen.
Leitsatz
Nachdem durch Art. 1, 2 GG das Recht zur freien Selbstbestimmung der Persönlichkeit als ein Grundwert der Rechtsordnung anerkannt ist, ist es gerechtfertigt, in analoger Anwendung des § 847 BGB (jetzt § 823 Abs. 1 BGB in Verbindung mit Art. 1 Abs. 1, 2 Abs. 1 GG) auch dem durch die unbefugte Veröffentlichung seines Bildes Verletzten wegen eines hierdurch hervorgerufenen, nicht vermögensrechtlichen Schadens eine billige Entschädigung in Geld zu gewähren.
Bedeutung
Bei diesem BGH Klassiker handelt es sich um eine der wichtigsten höchstrichterlichen Entscheidungen zum Schutz des allgemeinen Persönlichkeitsrechts (APR) im Zivilrecht. Im Rahmen des Deliktsrechts ist das APR neben dem Recht am eingerichteten und ausgeübten Gewerbebetrieb eines der zwei anerkannten Rahmenrechte. Im Herrenreiterfall ließ der BGH erstmalig die Zahlung von Schmerzensgeld für die Verletzung des allgemeinen Persönlichkeitsrechts durch die unerlaubte Veröffentlichung von Bildern zu.
Das OLG Köln als Berufungsgericht hatte dem Kläger einen Schadensersatz in Höhe von 10.000 DM auf Grund der Fiktion eines abgeschlossenen Lizenzvertrages zugebilligt.
Hierzu sagte der BGH jedoch:
Diese Art der Schadensberechnung kommt nur in Betracht, wenn davon ausgegangen werden kann, daß ein Vermögensschaden irgendwelcher Art zugefügt worden ist und nur der oftmals schwierige Nachweis der Höhe dieses Schadens erleichtert werden soll. Sie versagt, wenn eine Beeinträchtigung vermögensrechtlicher Belange überhaupt nicht in Frage steht. Sie versagt im vorliegenden Falle auch um deswillen, weil sie dem Kläger ein Verhalten unterstellen müsste, das er — und nicht nur er, sondern auch alle andern in der gleichen beruflichen und gesellschaftlichen Stellung befindlichen Personen — als kränkend und als erneute Persönlichkeitsminderung empfinden müssten. Sie müsste unterstellen, dass der Kläger sich für viel Geld doch freiwillig in die unwürdige Lage gebracht hätte, gegen die er sich nun wehrt. Dem Klaganspruch kann deshalb nicht auf Grund der vom Berufungsgericht gewählten Berechnungsmethode mit Hilfe der Fiktion einer entgangenen Lizenzgebühr stattgegeben werden.
In Wahrheit verlangt er nicht Ersatz eines gar nicht vorhandenen Vermögensschadens, sondern begehrt eine fühlbare Genugtuung für einen widerrechtlichen Eingriff in seine durch § 22 KunstUrhG, Art. 1 und 2 Grundgesetz geschützte Persönlichkeitssphäre.
Er begehrt Genugtuung dafür, dass ihn das weitverbreitete Plakat, indem es ihn ohne sein Wissen in der Pose des Herrenreiters für das — auch sexuelle — Kräftigungsmittel der Beklagten werben, man könnte fast sagen: reiten ließ, in eine weithin demütigende und lächerliche Lage gebracht hat.
Es ging hier also nicht um einen Vermögensschaden, sondern um einen immateriellen Schaden, welcher grundsätzlich gem. §§ 249, 250 BGB im Wege der Naturalrestitution zu ersetzen ist. Eine Naturalrestitution war jedoch hier unmöglich. Der BGH bejahte in diesem Fall dennoch den immateriellen Schaden, indem er die Verletzung des Rechtes am eigenem Bild der Verletzung des in § 847 BGB a.F. (heute: 253 Abs. 2 BGB) geschützten Rechtsgutes der Freiheit gleichstellte.
Die unbefugte Veröffentlichung des Bildes eines Menschen stellt, wie in der Rechtslehre seit langem anerkannt ist, einen Eingriff in die Freiheit der Selbstbestimmung und der freien Betätigung der Persönlichkeit. Das Unzulässige der eigenmächtigen Bildnisveröffentlichung durch einen Dritten liegt darin, dass damit dem Abgebildeten die Freiheit entzogen wird, auf Grund eigener Entschließung über dieses Gut seiner Individualsphäre zu verfügen.
Würdigt man unter diesem Blickpunkt die die Persönlichkeit beeinträchtigende Verletzung des Rechts am eigenen Bild, so lässt sich in diesem Bereich für die Frage, wie die Zubilligung des Ersatzes auch immaterieller Schäden im einzelnen begründet werden könne, schon an die Regelung anknüpfen, die § 847 BGB für den Fall der “Freiheitsentziehung” trifft und kraft deren er dem Verletzten auch wegen eines nicht vermögensrechtlichen Schadens eine billige Entschädigung in Geld gewährt. Zwar versteht das Bürgerliche Gesetzbuch hierunter Freiheitsentziehung die Entziehung der körperlichen Bewegungsfreiheit sowie die Nötigung zu einer Handlung durch Gewalt oder Bedrohung (BGB-RGRK § 823 Anm. 7), während es sich bei dem Tatbestand des § 22 KunstUrhG um eine Freiheitsberaubung im Bereich eigenverantwortlicher Willensentschließung handelt.
Bereits vor dem Inkrafttreten des Grundgesetzes ist jedoch schon mehrfach die Ansicht vertreten worden, dass als Freiheitsverletzung im Sinne des § 847 BGB jeder Eingriff in die ungestörte Willensbetätigung anzusehen sei (vgl. u.a. Staudinger, Anm. II A 2 c zu § 823 BGB). Nachdem nunmehr das Grundgesetz einen umfassenden Schutz der Persönlichkeit garantiert und die Würde des Menschen sowie das Recht zur freien Entfaltung der Persönlichkeit als einen Grundwert der Rechtsordnung anerkannt und damit die Auffassung des ursprünglichen Gesetzgebers des Bürgerlichen Gesetzbuches, es gäbe kein bürgerlich-rechtlich zu schätzendes allgemeines Persönlichkeitsrecht, berichtigt hat und da ein Schutz der “inneren Freiheit” ohne das Recht auf Ersatz auch immaterieller Schäden weitgehend unwirksam wäre, würde es eine nicht erträgliche Missachtung dieses Rechts darstellen, wollte man demjenigen, der in der Freiheit der Selbstentschließung über seinen persönlichen Lebensbereich verletzt ist, einen Anspruch auf Ersatz des hierdurch hervorgerufenen immateriellen Schadens versagen. Begründet die schuldhafte Entziehung der körperlichen Freiheit einen Anspruch auf Ersatz des ideellen Schadens, so ist kein sachlicher Grund ersichtlich, der es hindern könnte, die in § 847 BGB getroffene Regelung im Wege der Analogie auch auf solche Eingriffe zu erstrecken, die das Recht der freien Willensbetätigung verletzen, zumal auch bei dieser Freiheitsberaubung “im Geistigen” in gleicher Weise wie bei der körperlichen Freiheitsberaubung in der Regel eine Naturalherstellung ausgeschlossen ist. Bei Beeinträchtigungen der vorliegenden Art, durch die in den natürlichen Herrschafts- und Freiheitsraum des Einzelnen unter schuldhafter Verletzung seines Persönlichkeitsrechtes eingegriffen wird, kann der nach dem Grundgesetz gebotene wirksame Rechtsschutz, solange es an einer gesetzlichen Sonderregelung fehlt, tatsächlich nur durch ihre Einbeziehung in die in § 847 BGB angeführten Verletzungstatbestände erzielt werden, weil ihre Schadensfolgen auf Grund der Natur des angegriffenen Rechtsgutes zwangsläufig in erster Linie auf immateriellem Gebiet liegen.
Seit der Soraya-Entscheidung (BVerfGE 34, 269) stützt der BGH bei schweren Beeinträchtigungen des APR, die nicht mehr anderweitig ausgeglichen werden können, den Schmerzensgeldanspruch nicht mehr auf die analoge Anwendung des § 253 Abs. 2 BGB, sondern leitet ihn unmittelbar aus § 823 Abs. 1 BGB i.V.m. Art. 1 Abs. 1, 2 Abs. 1 GG her.
Das allgemeine Persönlichkeitsrecht und seine besonderen Erscheinungsformen dienen in erster Linie dem Schutz ideeller Interessen, insbesondere dem Schutz des Wert- und Achtungsanspruchs der Persönlichkeit. Dieser Schutz wird dadurch verwirklicht, dass bei einer Verletzung dieser Rechte neben Abwehransprüchen auch Schadensersatzansprüche in Betracht kommen, die nicht nur auf den Ersatz materieller, sondern – wenn es sich um einen schwerwiegenden Eingriff handelt und die Beeinträchtigung nicht in anderer Weise befriedigend ausgeglichen werden kann – auch auf den Ausgleich immaterieller Schäden gerichtet sind. Dieser Ausgleich beruht allerdings nicht auf einem Schmerzensgeldanspruch nach § 847 BGB, sondern auf einem Rechtsbehelf, der unmittelbar auf den Schutzauftrag aus Art. 1 und 2 Abs. 1 GG zurückgeht (vgl. BVerfGE 34, 269, 282 u. 292 = GRUR 1974, 44, 46, 48 u. 50 – Soraya). Die Zubilligung einer Geldentschädigung in derartigen Fällen beruht auf dem Gedanken, daß ohne einen solchen Anspruch Verletzungen der Würde und Ehre des Menschen häufig ohne Sanktion blieben mit der Folge, daß der Rechtsschutz der Persönlichkeit verkümmern würde. (Bundesgerichtshof, Az: I ZR 149/97, 01.12.1999)