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Schlagwortarchiv für: Immaterieller Schaden

Dr. Melanie Jänsch

Rechtsprechungsänderung: Schmerzensgeld nun auch bei Aufopferungsanspruch

Lerntipps, Rechtsprechung, Schon gelesen?, Staatshaftung, Startseite

Das Staatshaftungsrecht gehört vermutlich zu den Materien, die viele Studierende auch in der Examensvorbereitung noch recht stiefmütterlich behandeln. Auch wenn das Rechtsgebiet zugegebenermaßen selten den Schwerpunkt der Klausur bilden wird (auch das kann aber – wie in Ö II im September 2017 in NRW – der Fall sein!), eignet sich seine Einbettung hervorragend, um den Schwierigkeitsgrad zu erhöhen. So wird eine polizeirechtliche Klausur regelmäßig um eine staatshaftungsrechtliche Zusatzfrage erweitert. Solide Kenntnisse sind mithin Grundvoraussetzung, um in die oberen Notenbereiche vorzudringen – insbesondere sollte man wissen, wenn der BGH eine seit 1956 ständig vertretene Rechtsprechung aufgibt, wie es bei dem hier zu besprechenden Urteil vom 7.9.2017 (Az.: III ZR 71/71) der Fall ist: Der allgemeine Aufopferungsanspruch umfasst nun entgegen früherer BGH-Rechtsprechung auch nichtvermögensrechtliche Nachteile des Betroffenen.
 
A. Sachverhalt (vereinfacht und abgewandelt)
Aus einem fahrenden Pkw wurden Schüsse auf ein Restaurant abgegeben. Im Zuge der darauf eingeleiteten Fahndungsmaßnahmen finden die Polizeibeamten die mutmaßlichen Täter A und B auf einem nahegelegenen Parkplatz in einem Auto sitzend vor. Weil die Täterbeschreibung auf A und B zutraf, gingen die Polizeibeamten davon aus, dass die beiden Schusswaffen mit sich führten, wovon auch ein besonnener Amtsträger ausgegangen wäre. Die Polizeibeamten forderten A und B auf, die Hände zu heben. Sodann brachten sie die mutmaßlichen Täter zu Boden und legten ihnen Handschellen an, was auch von § 163b Abs. 1 StPO gedeckt war. Dabei erlitt der A eine schwere Schulterverletzung, die langfristig zu Schmerzen und Einschränkungen in der Bewegung führte. Es stellte sich aber heraus, dass A und B unschuldig sind.
A verlangt nun – neben Ersatz des aufgrund der Verletzung erlittenen Vermögensschadens, auf den mangels Problematik nicht eingegangen wird – insbesondere Schmerzensgeld.
Anmerkung: Es ist davon auszugehen, dass keine spezialgesetzliche Anspruchsgrundlage im Landesgesetz besteht. Eine solche wäre freilich ansonsten zuerst zu prüfen.
 
B. Lösung
I. Amtshaftungsanspruch gemäß § 839 BGB iVm Art. 34 GG
Zunächst kommt ein Anspruch aus § 839 BGB iVm Art. 34 GG in Betracht. Zwar handelten die Polizeibeamten in Ausübung eines öffentlichen Amtes; allerdings liegt hier aufgrund des rechtmäßigen Handelns keine Amtspflichtverletzung vor.
Zur Erinnerung: § 839 BGB und Art. 34 GG bilden eine einheitliche Rechtsgrundlage. Dabei ergibt sich der Anspruch aus § 839 BGB und Art. 34 GG fungiert als verfassungsrechtlich verbürgte befreiende Schuldübernahme, indem die Haftung, sofern der Amtsträger hoheitlich handelt, auf den Hoheitsträger übergeleitet wird, s. auch unser Schema hierzu.
 
II. Aufopferungsanspruch
Rechtsgrundlage könnte aber der gewohnheitsrechtlich anerkannte allgemeine Aufopferungsanspruch sein, der auf den §§ 74, 75 der Einleitung des Allgemeinen Preußischen Landrechts von 1794 beruht.
 
1. Eingriff in ein nichtvermögenswertes Recht
Zunächst müsste hierfür ein Eingriff in ein nichtvermögenswertes Recht vorliegen. Hierunter fallen jedenfalls die Schutzgüter des Art. 2 Abs. 2 GG. Vorliegend handelt es sich bei der Schulterverletzung des A durch die Maßnahme der Polizeibeamten um einen Eingriff in die körperliche Unversehrtheit, Art. 2 Abs. 2 S. 1 GG, sodass diese Voraussetzung gegeben ist.
 
2. Gemeinwohlbezogenheit und Unmittelbarkeit des Eingriffs
Ferner müsste auch unmittelbar eingegriffen worden sein. Daran fehlt es etwa im Falle eines Unterlassens staatlicher Stellen oder bei einem überwiegend freiwilligen Verhalten der betroffenen Person (BeckOK-GG/Grzeszick, 38. Edt., Stand: 15.8.2018, Art. 34 Rn. 52). Vorliegend wurde die körperliche Unversehrtheit des A gerade durch das Anlegen der Handschellen beeinträchtigt, geschah mithin unmittelbar durch die hoheitliche Maßnahme. Indem es sich um eine Maßnahme der Strafverfolgung handelte, diente sie ihrer Intention auch dem Wohl der Allgemeinheit.
 
3. Vorliegen eines Sonderopfers
Des Weiteren müsste der Eingriff bei dem A zu einem Sonderopfer geführt haben. Hierbei indiziert die Rechtswidrigkeit des staatlichen Handelns regelmäßig das Vorliegen eines Sonderopfers (BeckOK-GG/Grzeszick, 38. Edt., Stand: 15.8.2018, Art. 34 Rn. 53). Im konkreten Fall handelten die Polizeibeamten aber rechtmäßig, sodass es einer positiven Begründung bedarf. Ein Sonderopfer ist dann nicht gegeben, „wenn das Gesetz für alle Bürger oder einen unbestimmten Kreis von ihnen eine gleiche Pflichtenlage geschaffen habe und von ihnen in gleicher Weise ein Tun, Dulden oder Unterlassen verlange, mithin dem einzelnen ein von den übrigen nicht gefordertes Opfer nicht auferlege“ (BGH v. 29.5.1962 – I ZR 137/61, NJW 1962, 1505). Mit anderen Worten: Die Beeinträchtigung des Betroffenen muss das übersteigen, das allen bzw. einer Gruppe von Personen ohnehin zuzumuten ist. Ob das Anlegen von Handschellen den A bereits in besonderer Weise belastet, erscheint fraglich; jedenfalls ist aber zu berücksichtigen, dass die Verletzung langfristig zu Schmerzen und Einschränkungen in der Bewegung führte. Folglich ist vom Vorliegen eines Sonderopfers auszugehen.
Der Tatbestand ist demnach gegeben.
 
4. Rechtsfolge
Nach bisheriger BGH-Rechtsprechung bestand nur ein Anspruch auf Ausgleich des eingetretenen Vermögensnachteils, nicht dagegen Ersatz immaterieller Schäden (seit BGH, Urteil v. 13.2.1956 – III ZR 175/54, NJW 1956, 629). Hierfür führte der BGH die folgenden Argumente an:
• § 253 I BGB enthalte die gesetzgeberische Wertung, dass ein Ausgleich in Geld nur für Vermögensschäden verlangt werden kann.
• Sofern der Gesetzgeber ausnahmsweise auch bei Nichtvermögensschäden einen Ausgleich in Geld vorgesehen habe, handele es sich hierbei um Tatbestände, bei denen ein Drittem durch ein vermeidbares schuldhaftes Handeln Schaden zugefügt worden sei, was den Genugtuungsgedanken ausdrückt.
• Auch wenn im Rahmen der §§ 74, 75 EinlALR der Schutz verfassungsgemäßer Rechte genannt wird, könne die klare Wertung, von der der Gesetzgeber in § 253 I BGB ausgegangen sei, nicht übergangen werden.
 
Im Urteil vom 7.9.2017 gab der BGH diese Rechtsprechung nun ausdrücklich aus, was wie folgt begründet wird:

„Die im Urteil vom 13.2.1956 dargestellte Gesetzeslage hat sich zwischenzeitlich grundlegend geändert. Von einem Willen des Gesetzgebers, die Ersatzpflicht im Schadensersatz- und Entschädigungsrecht bei Eingriffen in immaterielle Rechtsgüter wie Leben, Freiheit oder körperliche Unversehrtheit grundsätzlich auf Vermögensschäden zu beschränken, kann nicht mehr ausgegangen werden.“

Durch die Einführung des § 253 II BGB im Jahre 2002 wurde

„ein allgemeiner Anspruch auf Schmerzensgeld eingeführt, der über die bereits erfasste außervertragliche Verschuldenshaftung hinaus auch die Gefährdungshaftung und die Vertragshaftung mit einbezieht. […] Durch diese Neuregelung hat der Gesetzgeber den bisher in § 253 BGB normierten Grundsatz, auf den der Senat sein Urteil vom 13.2.1956 wesentlich gestützt hat, verlassen. Nunmehr kann im Schadensersatzrecht bei Verletzungen des Körpers, der Gesundheit, der Freiheit oder der sexuellen Selbstbestimmung Schmerzensgeld verlangt werden. Auch soweit der Senat in diesem Zusammenhang auf die Verschuldenshaftung und den Gedanken der Genugtuung abgestellt hatte, ist dieser Argumentation nach der Einbeziehung der Gefährdungshaftung in die Änderung des Schadensersatzrechts die Grundlage entzogen, abgesehen davon, dass der Gedanke der Genugtuung regelmäßig nur bei besonderen Fallgestaltungen eine Rolle spielt, während für die Bemessung des Schmerzensgeldes der Entschädigungs- oder Ausgleichsgedanke im Vordergrund steht.“

Zudem habe der Bundes- und Landesgesetzgeber zwischenzeitlich in vielen Bereichen Haftungen für immaterielle Schäden eingeführt.
Dass Schmerzensgeld ausgenommen sei, ergebe sich auch nicht aus der Natur des öffentlich-rechtlichen Aufopferungsanspruchs:

„Bei einem hoheitlichen Eingriff in die körperliche Unversehrtheit besteht das Sonderopfer aber nicht nur in den daraus folgenden materiellen, sondern auch in den daraus folgenden immateriellen Nachteilen. […] Ein Ausschluss des Schmerzensgeldes folgt auch nicht aus dem Umstand, dass der allgemeine Aufopferungsanspruch kein Schadensersatzanspruch iSd §§ 249 ff. BGB ist. Der Anspruch aus Aufopferung geht auf Leistung eines angemessenen bzw. billigen Ausgleichs für das dem Betroffenen hoheitlich auferlegte Sonderopfer […]. Der Anspruch auf Entschädigung kann insoweit – wie in der Senatsrechtsprechung verschiedentlich im Zusammenhang mit Vermögensschäden ausgeführt worden ist […] – zwar im Einzelfall darin bestehen, dem Geschädigten vollen Schadensersatz zuzubilligen, aber die Kriterien der Angemessenheit und Billigkeit können auch Einschränkungen rechtfertigen. Insoweit ist der Aufopferungsanspruch – anders als grundsätzlich der Anspruch auf Schadensersatz – nicht seiner Natur nach auf restlosen Ersatz gerichtet. Dieser Unterschied, auf den im Übrigen der Senat in seinem Urteil vom 13.2.1956 auch nicht abgestellt hat, hat jedoch keinen inhaltlichen Bezug zu der Frage, ob die Aufopferungsentschädigung auf vermögenswerte Nachteile beschränkt ist. Die für den Umfang der Entschädigung maßgebliche Angemessenheit und Billigkeit besagt nichts darüber, welche Arten von Schäden von dem Anspruch erfasst sind.“
Überdies komme ein Ausschluss nicht mit dem Argument in Betracht, dass
„der allgemeine Aufopferungsanspruch für hoheitliche Eingriffe in nichtvermögenswerte Rechtsgüter kein Schadensersatzanspruch sei. [Denn es gehe] nicht um die Frage einer analogen Anwendung des § 253 II BGB, sondern darum […], ob die billige und angemessene Entschädigung für ein im Zusammenhang mit einem hoheitlichen Eingriff in die körperliche Unversehrtheit erbrachtes Sonderopfer von vorneherein nur materielle und keine immateriellen Nachteile erfasst.“, was im konkreten Fall zu verneinen sei.

 
5. Ergebnis
Nach neuerer BGH-Rechtsprechung kann A also auch Schmerzensgeld verlangen.
 
C. Fazit
Die Entscheidung des BGH, die Gewährung von Schmerzensgeld auch im Rahmen des allgemeinen Aufopferungsanspruchs zu ermöglichen, ist im Ergebnis überzeugend; die Begründung hinkt allerdings stellenweise, indem etwa aus speziellen einfachgesetzlich geregelten Aufopferungsansprüchen, die ausnahmsweise Schmerzensgeld gewähren, eine allgemeine Regel abgeleitet wird (kritisch auch Singbartl/Zintl, NJW 2017, 3384, 3387). Zu hoffen bleibt, dass sich irgendwann der Gesetzgeber einer umfassenden Kodifikation des Staatshaftungsrechts annehmen wird.
 

27.09.2018/1 Kommentar/von Dr. Melanie Jänsch
https://www.juraexamen.info/wp-content/uploads/2022/05/je_logo.svg 0 0 Dr. Melanie Jänsch https://www.juraexamen.info/wp-content/uploads/2022/05/je_logo.svg Dr. Melanie Jänsch2018-09-27 10:00:442018-09-27 10:00:44Rechtsprechungsänderung: Schmerzensgeld nun auch bei Aufopferungsanspruch
Dr. Sebastian Rombey

Neues und Grundlegendes zum Nutzungsausfallschaden nach einem Autounfall

Examensvorbereitung, Lerntipps, Rechtsgebiete, Schon gelesen?, Startseite, Verschiedenes, Zivilrecht

Der Nutzungsausfallschaden stellt ein klassisches Schadensproblem dar, mit dem sich leicht kaufrechtliche Fallkonstellationen um ein weiteres Problemfeld erweitern lassen. Erneut ist die Thematik Gegenstand einer obergerichtlichen Entscheidung geworden. Angesichts der Kaufrechtsreform liegt die Examensrelevanz auf der Hand.
I. Problemstellung und Lösungsansätze
Da das BGB grundsätzlich allein auf den Ersatz materiellen Schadens ausgerichtet ist, der per Differenzhypothese ermittelt wird, § 249 I BGB, ist für den Ersatz immaterieller Schäden ein erhöhter Begründungsaufwand notwendig, soweit nicht Sondernormen Ersatz oder Entschädigung explizit anordnen, etwa bei Schmerzensgeld § 253 II BGB, bei nutzlos aufgewendeter Reisezeit § 651 f II BGB oder bei Diskriminierung § 15 I, II AGG. Da die Höhe des Schadens in Abweichung der Prozessgrundsätze aber nur schwer bezifferbar ist, kann das Gericht eine Schätzung vornehmen, § 287 ZPO.
Muss ein Pkw in Folge eines Unfalls in Reparatur gegeben und in der Zwischenzeit ein Mietwagen angemietet werden, stellt sich inhaltlich die Frage nach dem immateriellen Schaden nicht, da in dem Mietzins ein materieller Schaden erblickt werden kann. Allein die Höhe des Schadens ist in derartigen Fällen problematisch, da der Geschädigte während der Nutzung des Mietwagens keinen Verschleiß an seinem eigentlichen Pkw hinnehmen muss, so dass 10-20 % Verschleiß im Wege der Vorteilsausgleichung vom Ersatz des vollen Mietzinses abzuziehen sind.
Kommt es indes nicht zur Anmietung eines Ersatzwagens, wird die Frage nach dem Nutzungsausfallschaden virulent. Der Differenzhypothese folgend besteht in der entgangenen Nutzungsmöglichkeit kein materieller Schaden, da die bestehende Nutzungsmöglichkeit an dem nun beschädigten Pkw nicht abgebildet wird. Da immaterieller Schaden nach der oben erläuterten gesetzlichen Grundkonzeption dem Grundsatz nach aber nicht ersatzfähig ist (e contrario § 253 BGB), wurde versucht, mittels des Frustrierungsgedankens den eigentlich immateriellen als materiellen Schaden zu qualifizieren (grundlegend Tolk, Der Frustrierungsgedanke und die Kommerzialisierung immaterieller Schäden, 1977). Die Investitionen, die der Geschädigte getätigt hat, um den nun beschädigten Pkw nutzen zu können, seien für die Zeit der fehlenden Nutzungsmöglichkeit des Fahrzeugs frustriert. Eine derartige Materialisierung der in der Vergangenheit getätigten Investitionen hätte aber die nicht nachvollziehbare Konsequenz, dass der Schädiger nicht für den konkret entstandenen Schaden, sondern vielmehr für die vorherigen, nun materialisierten Investitionen haften müsste. Dies aber liefe dem deutschen Schadensrecht ersichtlich zuwider, könnte doch der Geschädigte letztlich seine Lebenshaltungskosten auf den Schädiger abwälzen. Schon früh wurde deshalb der Frustrationsgedanke verworfen.
Ein weiterer Ansatz liegt in der Annahme, die immaterielle Nutzungsmöglichkeit sei kommerzialisiert und stelle demnach einen materiellen Schadensposten dar (Kommerzialisierungsthese, dazu ausführlich MüKo-BGB/Oetker, 7. Aufl. 2016, § 249 Rn. 41 ff.). Die Kommerzialisierung beurteile sich nach der Verkehrsauffassung und sei deshalb insbesondere bei Pkw anzunehmen. Aufgrund der wirtschaftlichen Marktlage ist jedoch davon auszugehen, dass nach dieser Argumentation nahezu alles kommerzialisiert ist. Diese Argumentation führt im Ergebnis jedenfalls in Fällen des Nutzungsausfalls zu einer uferlosen Ausweitung der Schädigerhaftung, was weiter gedacht auch gesamtwirtschaftlich mit Blick auf die Versicherungswirtschaft schwer tragbar wäre.
Der große Senat des BGH hat dagegen im Wege der richterlichen Rechtsfortbildung in einer wegweisenden Entscheidung den eingeschränkten Kommerzialisierungsgedanken entwickelt (BGH (GS), Beschl. v. 09.07.1986 – GSZ 1/86, BGHZ 98, 212 = NJW 1987, 50). Danach ist die Nutzungsmöglichkeit ausnahmsweise nur dann kommerzialisiert und nach § 249 II 1 BGB ersatzfähig, soweit neben der notwendigen

  • Kommerzialisierung am Markt
  • für den betreffenden Zeitraum die hypothetische Nutzungsmöglichkeit
  • sowie der entsprechende Nutzungswille vorliegen,
  • die Verfügbarkeit des betreffenden Gegenstands für die eigenwirtschaftliche Lebenshaltung typischerweise von zentraler Bedeutung
  • und der Wert der Nutzungsmöglichkeit objektiv messbar ist.

Kurzum: Der Schaden muss wirtschaftlich „fühlbar“ sein. Dahinter steht der Gedanke, dass derjenige, der auf die Anmietung eines Ersatzfahrzeugs verzichtet, im Ergebnis nicht schlechter gestellt werden soll als derjenige, der ein Ersatzfahrzeug anmietet (Palandt/Grüneberg, 77. Aufl. 2018, § 249 Rn. 40).
Zu den Wirtschaftsgütern, die diese Voraussetzungen erfüllen, gehören regelmäßig Pkw und Häuser – nicht aber klassische Luxusgüter. Zuletzt hat der BGH klargestellt, dass auch der abstrakte Nutzungsausfall des Internets für den Inhaber des DSL-Anschlusses einen ersatzfähigen Schaden darstellt (BGH, Urt. v. 24.01.2013 – III ZR 98/12, BGHZ 196, 101 = NJW 2013, 1072).
Rn. 9: „Der Ersatz für den Verlust der Möglichkeit zum Gebrauch einer Sache muss grundsätzlich Fällen vorbehalten bleiben, in denen die Funktionsstörung sich typischerweise als solche auf die materiale Grundlage der Lebenshaltung signifikant auswirkt. Andernfalls bestünde die Gefahr, unter Verletzung des § 253 BGB die Ersatzpflicht auf Nichtvermögensschäden auszudehnen. Auch würde dies mit den Erfordernissen von Rechtssicherheit und Berechenbarkeit des Schadens in Konflikt geraten […]. „Deshalb beschränkt sich der Nutzungsausfallersatz auf Sachen, deren ständige Verfügbarkeit für die eigenwirtschaftliche Lebenshaltung typischerweise von zentraler Bedeutung ist […] und bei denen die Nutzungseinbußen an objektiven Maßstäben gemessen werden können.“
Rn. 17: „Die Nutzbarkeit des Internets ist ein Wirtschaftsgut, dessen ständige Verfügbarkeit seit längerer […] Zeit auch im privaten Bereich für die eigenwirtschaftliche Lebenshaltung typischerweise von zentraler Bedeutung ist und bei dem sich eine Funktionsstörung als solche auf die materiale Grundlage der Lebenshaltung signifikant auswirkt. […] Damit hat sich das Internet zu einem die Lebensgestaltung eines Großteils der Bevölkerung entscheidend mitprägenden Medium entwickelt, dessen Ausfall sich signifikant im Alltag bemerkbar macht. Die Unterbrechung des Internetzugangs hat typischerweise Auswirkungen, die in ihrer Intensität mit dem Fortfall der Möglichkeit, ein Kraftfahrzeug zu nutzen, ohne weiteres vergleichbar sind.“
Nur nach diesen Maßstäben ist der Nutzungsausfallschaden also ersatzfähig.
II. Entscheidung des OLG Hamm (Urt. v. 23.01.2018 – 7 U 46/17, juris)
In einer aktuellen Entscheidung des OLG Hamm stand erneut der Nutzungsausfallschaden im Mittelpunkt, auch wenn es zunächst eigentlich um den Ersatz von Mietwagenkosten ging.
1. Sachverhalt
Der Kläger verlangte von der Versicherung des Geschädigten, dessen alleinige Haftung nach einem Verkehrsunfall unstreitig war, unter anderem die Kosten für die Reparatur des beschädigten PKW (4.306,85 EUR) und die Anmietung eines Ersatzfahrzeugs (1.229,41 EUR), wobei der Wiederbeschaffungswert des Pkw 3.900 EUR betrug.
2. Entscheidung
Die Anspruchsvoraussetzungen der §§ 7 I, 17 I StVG sowie § 823 I BGB lagen zunächst problemlos vor (alle i.V.m. § 115 VVG). Streitig war allein die Höhe der geltend gemachten Ansprüche.
Nach dem Haftpflichtsenat des OLG Hamm (in Rn. 16) „kann der Geschädigte vom Schädiger und dessen Haftpflichtversicherer nach § 249 Abs. 2 S. 1 BGB als erforderlichen Herstellungsaufwand nur den Ersatz derjenigen Mietwagenkosten verlangen, die ein verständiger, wirtschaftlich denkender Mensch in der Lage des Geschädigten für zweckmäßig und notwendig halten darf.“
Dabei erinnert das OLG Hamm (in Rn. 16) an die Schadensgeringhaltungspflicht des Geschädigten:
„Der Geschädigte ist hierbei nach dem […] Wirtschaftlichkeitsgebot gehalten, im Rahmen des ihm Zumutbaren von mehreren möglichen den wirtschaftlicheren Weg der Schadensbehebung zu wählen.“
Nach diesen Maßstäben sieht das OLG Hamm die erfolgte Anmietung des Ersatzfahrzeugs als nicht erforderlich an. Grund dessen waren Besonderheiten des Falles. Denn der Geschädigte hatte nicht substantiiert dargelegt, dass er auf die ständige Verfügbarkeit des Pkw angewiesen war, zumal er in den elf Miettagen lediglich eine Strecke von 16 km pro Tag zurücklegte.
„Der Senat geht davon aus, dass ein tägliches Fahrbedürfnis von weniger als 20 km am Tag einen Anhaltspunkt für einen Verstoß gegen die Schadensminderungspflicht darstellt […] Allein die tatsächliche Fahrtstrecke ist zwar nicht entscheidend. Es ist anerkannt, dass kein Verstoß gegen die Schadensminderungspflicht vorliegt, wenn der Geschädigte – vorliegend der Kläger – auf die ständige Verfügbarkeit eines KFZ angewiesen gewesen wäre […] Der insoweit sekundär darlegungsverpflichtete Kläger hat zu diesen Gesichtspunkten aber nichts vorgetragen. Er hat nur vorgetragen, dass ein Taxi für jede Fahrt telefonisch bestellt werden müsse. Dies reicht aber nicht für die Annahme aus, dass der Kläger auf die ständige Verfügbarkeit eines KFZ angewiesen war.“
Der Senat erinnert also an die auch ansonsten oft herangezogene „20-km-pro-Tag-Grenze“. Zudem wären Taxifahrten nach den gerichtlichen Feststellungen möglicherweise sogar günstiger gewesen, was der Kläger hätte reflektieren müssen.
„Allein das relativ hohe Alter des Klägers und seiner Frau begründen nicht, dass sie auf eine ständige Verfügbarkeit eines KFZ angewiesen waren. Eine ständige Verfügbarkeit des PKW für den nicht mehr im Berufsleben stehenden Kläger war bei der vom Schadensgutachter für erforderlich gehaltenen Reparaturdauer von 4 bis 5 Arbeitstagen nicht unbedingt erforderlich.“
Mangels Erforderlichkeit der Anmietung des Ersatzfahrzeugs wurde dem Kläger allein Nutzungsausfallschaden gewährt. Insoweit wurde ein entsprechender Hilfsantrag in die Klage hineingelesen. Da der beschädigte Pkw nach dem Unfall unstreitig fahrbereit war, hätte die Reparatur geplant werden können. Deshalb wurden fünf anstelle von elf Tagen als Dauer des Nutzungsausfalls angesetzt.
Überdies legt der Senat bei der Berechnung die durch den BGH in Anbetracht des Integritätsinteresses entwickelte 130%-Grenze an, indem Mangelbeseitigungsaufwand und Nutzungsausfallschaden addiert werden.
„Die 130 %-Grenze beträgt vorliegend 5.070 EUR (130 % des Wiederbeschaffungswertes von 3.900 EUR). Durch die geltend gemachten Reparaturkosten von 4.306,85 EUR und die Mietwagenkosten von 1.229,41 EUR wird diese Grenze überschritten.“
Dies mag man durchaus kritisch sehen und bietet Platz für Argumentation in Klausuren – für die Praxis aber setzt dies Fakten.
III. Fazit

Sowohl die Umwandlung der in der gegebenen Höhe nicht erforderlichen Mietwagenkosten in Nutzungsausfallschaden als auch das Hineinlesen der 130 %-Grenze in den Nutzungsausfallschaden, der mit dem Reparaturaufwand zu addieren ist, sind von hoher Praxisrelevanz – beides ist examensverdächtig. Wer sich mit der Thematik vertiefter befassen möchte, dem sei der Aufsatz von Förster, Schadensrecht – Systematik und neueste Rechtsprechung, JA 2015, 801 ans Herz gelegt.

12.03.2018/3 Kommentare/von Dr. Sebastian Rombey
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