Über einen Amtshaftungsfall, wie er in jedem Lehrbuch stehen könnte, hatte der dritte Zivilsenat in einem aktuellen Urteil vom 04.07.2013 (III ZR 250/12) zu entscheiden.
A. Sachverhalt
Die Klägerin ist Halterin eines durch Steinschlag beschädigten PKW. Ihr Ehemann befuhr mit diesem PKW eine Bundesstraße in Brandenburg. Auf dem zu der Bundesstraße gehörenden seitlichen Grünstreifen führten zwei Mitarbeiter der Straßenmeisterei Mäharbeiten durch. Da die Bundesstraße in dem maßgeblichen Bereich mit einer Schutzplanke versehen ist, konnten die Arbeiten an dieser Stelle nur mit sog. Freischneidern ausgeführt werden. Dabei handelt es sich um Handmotorsensen, die das Mähgut auf der vom Bediener aus gesehen linken Seite auswerfen. Ausweislich der Bedienungsanleitung dürfen sich sowohl während des Startvorgangs als auch während der Arbeit mit den Geräten im Umkreis von 15 m keine weiteren Personen aufhalten. Dieser Abstand ist wegen der Gefahr der Sachbeschädigung durch wegschleudernde Gegenstände auch zu Sachen einzuhalten.
Als der Ehemann der Klägerin die Stelle, an der gerade die Mäharbeien durchgeführt wurden, mit dem PKW passierte, kam es durch aufgewirbelte Steine zu einer Beschädigung des PKW. Die Klägerin macht daraufhin Schadensersatz in Höhe von 978,32 € nebst Zinsen und vorgerichtlichen Rechtsanwaltskosten geltend.
B. Rechtliche Würdigung
Der Klägerin könnte gegen das beklagte Land Brandenburg ein Amtshaftungsanspruch aus § 839 Abs. 1 Satz 1 BGB i. V. m. Art. 34 GG wegen der Beschädigung ihres Fahrzeuges durch die bei den Mäharbeiten hochgeschleuderten Steine zustehen.
Die vier wesentlichen Anspruchsvoraussetzungen lauten:
- Handeln in Ausübung eines öffentlichen Amtes
- Amtspfichtverletzung
- Drittbezogenheit
- Verschulden
I. Handeln in Ausübung eines öffentlichen Amtes
Die Mitarbeiter der Straßenmeisterei müssten bei Durchführung der Mäharbeiten in Ausübung eines öffentlichen Amtes gehandelt haben. Dies ist jedenfalls dann zu bejahen, wenn es sich bei den Mäharbeiten um eine öffentlich rechtliche Tätigkeit im Sinne des § 40 Abs. 1 Satz 1 VWGO handelt.
[Anmerkung: Will man in der Prüfung streng schematisch vorgehen, kann man auch zunächst die Frage aufwerfen, ob es sich bei den Mitarbeitern der Straßenmeisterei überhaupt um Beamte im Sinne des § 839 Abs. 1 Satz 1 BGB handelt. Da es aber für die Beamteneigenschaft von Personen, die nicht bereits Beamte im staatsrechtlichen Sinne (= nach den Beamtengesetzen) sind, entscheidend darauf ankommt, ob diese in Ausübung eines öffentliches Amtes gehandelt haben (funktionaler Beamtenbegriff), empfiehlt es sich von vornherein dieser Frage nachzugehen.]
Die Mäharbeiten könnten Bestandteil einer gegenüber den Straßenbenutzern bestehenden Verkehrssicherungspflicht des Landes sein.
1.) Bestehen einer Verkehrssicherungspflicht des Landes
Zum grundsätzlichen Bestehen einer Verkehrssicherungspflicht des Landes führt die Vorinstanz aus:
Dem beklagten Land obliegt die Verkehrssicherungspflicht hinsichtlich des betreffenden Streckenabschnitts. Die Verwaltungszuständigkeit für die gem. § 5 Abs. 1 FStrG in der Straßenbaulast der Bundesrepublik Deutschland stehenden Bundesfernstraßen (außerhalb geschlossener Ortschaften) liegt gem. Art. 90 Abs. 2 GG, § 20 Abs. 1 FStrG bei den Straßenbaubehörden der Länder, die allein über die nötigen rechtlichen und tatsächlichen Möglichkeiten verfügen, die von der Straße ausgehenden Gefahren zu beseitigen. Dieses im Rahmen der Auftragsverwaltung selbständige und eigenverantwortliche Handeln der Landesbehörden rechtfertigt es, die Verkehrssicherungspflicht auch für die Bundesstraßen den Ländern zuzuordnen. Dabei gehören zum Straßenkörper nicht nur die Fahrbahnen, sondern auch Geh- und Radwege sowie Trenn-, Seiten-, Rand- und Sicherheitsstreifen (§ 2 Abs. 2 Nr. 1 b BbgStrG).
2.) Einordnung der Verkehrssicherungspflicht
Die danach bestehende Verkehrssicherungspflicht müsste öffentlich rechtlich sein. Zwar ist die Einordnung straßenrechtlicher Verkehrssicherungspflicht und ihrer einzelnen Bestandteile (als öffentlich rechtlich) dogmatisch alles andere als selbstverständlich (siehe zu den Einzelheiten etwa Papier, in: Münchener Kommentar, 6. Auflage 2913, § 839 BGB Rn. 177 ff.). Grundsätzlich wird insoweit ein privatrechtliches Haftungsregime angewendet. Dies ist aber anders, wenn – wie regelmäßig – der Landesgesetzgeber den hoheitlichen Charakter der Verkehrssicherung ausdrücklich bestimmt hat.
§ 10 Abs. 1 Satz 1 des brandenburgischen Straßengesetzes (BbgStrG) lautet:
Die mit dem Bau und der Unterhaltung sowie der Erhaltung der Verkehrssicherheit der Straßen einschließlich der Bundesfernstraßen zusammenhängenden Aufgaben obliegen den Bediensteten der damit befassten Körperschaften als Amtspflichten in Ausübung hoheitlicher Tätigkeit.
3) Mäharbeiten Bestandteil der Verkehrssicherungspflicht
Die öffentlich-rechtlich gestaltete Amtspflicht zur Sorge für die Verkehrssicherheit entspricht inhaltlich der allgemeinen Verkehrssicherungspflicht (vgl. BGHZ 60, 54) und erfasst auch Gefahren, die von der unmittelbaren Umgebung der Straße für den Straßenverkehr ausgehen können (Rotermund/Krafft, Haftungsrecht in der kommunalen Praxis, 4. Aufl., Rdnr. 293). Der Inhalt der rechtlich selbständig neben der Straßenbaulast stehenden Verkehrssicherungspflicht geht deshalb dahin, die öffentlichen Verkehrsflächen möglichst gefahrlos zu gestalten und zu erhalten, sowie im Rahmen des Zumutbaren alles zu tun, um den Gefahren zu begegnen, die den Verkehrsteilnehmern aus einem nicht ordnungsgemäßen Zustand der Straßen, Wege und Plätze unabhängig von deren baulicher Beschaffenheit drohen, wozu z. B. das Streuen, die Reinigung und die Beleuchtung zählen. Damit umfasst der Umfang der Verkehrssicherungspflicht auch das Mähen von zum Straßenkörper gehörenden Grünstreifen.
II. Amtspflichtverletzung
Weitere Voraussetzung des Anspruchs aus § 839 Abs. 1 Satz 1 BGB i. V. m. Art. 34 GG ist die Verletzung einer Amtspflicht. Der Beamte muss die Aufgaben und Befugnisse der juristischen Person des öffentlichen Rechts, in deren Namen und Rechtskreis er tätig wird, im Einklang mit dem objektiven Recht wahrnehmen (= Amtspflicht zu gesetzmäßigem Verhalten, vgl. dazu Papier, in: Münchener Kommentar, 6. Auflage 2913, § 839 BGB Rn. 193). Gegenstand der Amtspflicht zu gesetzmäßigem Verhalten ist insbesondere die (zumutbare) Verhinderung deliktischer Schädigungen:
Zu den Amtspflichten, die Amtsträger zu beachten haben, gehört die Pflicht zu rechtmäßigem Verhalten. Eine besonders wichtige Konsequenz dieser Pflicht ist es, deliktische Schädigungen zu unterlassen, insbesondere sich bei der Amtsausübung aller rechtswidrigen Eingriffe in fremde Rechte zu enthalten, vor allem in die durch § 823 Abs. 1 BGB geschützten absoluten Rechtsgüter, hier das Eigentum (vgl. Senatsurteil vom 28. November 2002 – III ZR 122/02, NVwZ-RR 2003, 166). Bei Mäharbeiten der vorliegenden Art sind dabei (insbesondere) die notwendigen Sicherungsvorkehrungen und -maßnahmen zu treffen, um Schäden durch hochgeschleuderte Steine zu vermeiden (Senat aaO), wobei freilich nur solche Schutzvorkehrungen getroffen werden müssen, die unter Berücksichtigung des Gefahrenpotentials mit vertretbarem Aufwand durchgeführt werden können (vgl. BGH, Urteil vom 18. Januar 2005 – VI ZR 115/04, NVwZ-RR 2005, 381, 382 zu § 7 StVG).
Ausgehend von diesem Prüfungsmaßstab ist eine Amtspflichtverletzung zu bejahen, da das beklagte Land es unterlassen hat Schutzplanen zur Verhinderung von Beschädigungen vorbeifahrender Autos zu ergreifen:
Die Annahme einer Amtspflichtverletzung wird hier schon allein dadurch getragen, dass nach den Feststellungen des Berufungsgerichts eine mobile, auf Rollen montierte, wiederverwendbare Schutzwand aus Kunststoffplanen bei den Mäharbeiten hätte verwendet werden können, die entsprechend dem jeweiligen Mähabschnitt hätte mitgeführt werden können, was die vorbeifahrenden Fahrzeuge vor aufgewirbelten Steinen geschützt hätte.
Der Einsatz von Schutzplanen zur Verhinderung deliktischer Schädigungen war nach Ansicht des BGH im vorliegenden Fall auch nicht unzumutbar:
Der Beklagte kann sich auch nicht darauf berufen, dass der Einsatz von Planen an längeren zu mähenden Abschnitten einer Straße unzumutbar sei. Das Berufungsgericht ist nicht davon ausgegangen, dass der gesamte Streckenabschnitt einheitlich hätte abgeplant werden müssen. Die Entscheidung steht deshalb auch nicht im Widerspruch zur Entscheidung des Bundesgerichtshofs vom 18. Januar 2005 (VI ZR 115/04, NVwZ-RR 2005, 381, 382 zu § 7 StVG), wonach ein vollständiges Abplanen des zukünftigen Arbeitsbereichs bei Mäharbeiten an Autobahnen unzumutbar sei. (…) Umstände, die den Einsatz einer mobilen Plane auf Rollen angesichts der Gefahren für den an den Mäharbeiten vorbeifließenden Verkehr als wirtschaftlich unzumutbar erscheinen lassen, zeigt der Beklagte nicht auf. Insbesondere ist ein die Grenzen der Zumutbarkeit überscheitender zusätzlicher Personalaufwand nicht ersichtlich.
III. Drittbezogenheit
Der Anspruch aus § 839 Abs. 1 Satz 1 BGB i. V. m. Art. 34 GG setzt weiter die Drittbezogenheit der Amtspflicht voraus. Die konkrete Pflicht muss also zumindest auch dem Schutz von Individualinteressen dienen. Im Zusammenhang mit straßenrechtlichen Pflichten ist insoweit kurz klarzustellen, dass die Straßenbaulast als solche lediglich im öffentlichen Interesse besteht. Die daraus abgeleitete Verkehrssicherungspflicht hingegen dient dem Schutz Dritter, die mit der betreffenden Straße bestimmungsgemäß in Berührung kommen:
Die dargelegte Amtspflichtverletzung der Beklagten ist auch drittbezogen, weil durch die Schutzvorrichtungen gerade das Eigentum des vorbeifahrenden Kraftfahrers geschützt werden soll.
IV. Verschulden
Die Mitarbeiter der Straßenmeisterei müssten ihre Amtspflicht schuldhaft verletzt haben:
Nach dem das Amtshaftungsrecht beherrschenden objektiven Sorgfaltsmaßstab trifft die Mitarbeiter des Beklagten hier auch ein Fahrlässigkeitsvorwurf: Sie hätten die Notwendigkeit weitergehender Schutzvorkehrungen zumindest erkennen und in Rechnung stellen können. Insbesondere der Einsatz von mobilen Absperrvorrichtungen hätte in Erwägung gezogen werden müssen.
Das Instanzgericht hatte hierzu (noch deutlicher) ausgeführt:
Der Mitarbeiter der Beklagten handelte auch mindestens fahrlässig, wenn nicht sogar bedingt vorsätzlich und damit schuldhaft. Ihm waren die Abstandsregelungen aus der Betriebsanleitung des verwendeten Gerätes und damit die Gefahr der Sachbeschädigung vorbeifahrender Kraftfahrzeuge bekannt. Dies folgt bereits daraus, dass er angab, er und sein Mitarbeiter würden immer mindestens 15 Meter versetzt arbeiten und bei vorbeifahrenden Kraftfahrzeugen, wenn möglich, die Arbeit unterbrechen.
Bemerkenswert ist im Übrigen noch der Vortrag des beklagten Landes, ein Verschulden könne nach den Grundsätzen der Kollegialgerichtsrichtlinie nicht angenommen werden, weil das Landgericht (in erster Insanz) eine Verkehrssicherungspflichtverletzung verneint habe. Tatsächlich wird zwar im Bereich der Amtshaftung ein Verschulden regelmäßig verneint, wenn ein mit mehreren Rechtskundigen besetztes Kollegialgericht die Amtshandlung für rechtmäßig gehalten hat. Im vorliegenden Fall konnte dieser Einwand indessen schon deshalb nicht durchgreifen, weil das Landgericht durch den Einzelrichter entschieden hatte und nicht durch die Kammer (als ein mit mehreren Rechtskundigen besetztes Kollegialgericht).
V. Kausalität und Schaden
Insoweit bestehen keine Bedenken.
VI. Kein Haftungsausschluss nach § 839 Abs. 1 Satz 2 BGB
§ 839 Abs. 1 Satz 2 BGB sollte man bei einer Klausur aus dem Bereich der Amtshaftung immer (zumindest gedanklich) im Blick haben. Nach dieser Norm kann der Beamte und ihm folgend der Staat bei Fahrlässigkeit des Beamten nur in Anspruch genommen werden, wenn der Verletzte nicht auf andere Weise Ersatz zu erlangen vermag. In Klausuren wird indessen (wie hier) meist eine der Fallgruppen einschlägig sein, in denen der Haftungsausschluss nach Sinn und Zweck (angesichts der Haftungsübernahme gebotene Entlastung der öffentlichen Hand) nicht eingreift. Hierzu zählen insbesondere Fälle, in denen sich der Geschädigte eine Ersatzleistung selbst „erkauft“ hat (etwa durch Abschluss einer Volkasoversicherung). Eine weitere Fallgruppe ist die Verletzung öffentlich rechtlicher Verkehrssicherungspflichten.
Dieser Grundsatz der subsidiären Haftung gilt allerdings im Bereich der als hoheitlichen Aufgabe ausgestalteten Verkehrssicherungspflichten gerade nicht, vielmehr gilt hier der Grundsatz der haftungsrechtlichen Gleichbehandlung (vgl. Palandt/Sprau, 70. Aufl. 2011, Rdnr. 57 zu § 839 BGB). Deshalb kommt es auf die Frage, ob die Klägerin gegen den Eintritt von Steinschlagschäden privat versichert war (etwa durch Abschluss einer Vollkasko oder ggf. Teilkaskoversicherung) nicht an, solches ist aber auch nicht vorgetragen oder ersichtlich.
VII. Passivlegitimation
Passivlegitimiert ist beim Anspruch aus § 839 Abs. 1 Satz 1 BGB i. V. m. Art. 34 GG die Anstellungskörperschaft, hier also das Land Brandenburg.
C. Zinsen + vorgerichtliche Anwaltskosten
Der Zinsanspruch der Klägerin folgt aus den §§ 286 Abs. 1, 288 Abs. 1 BGB, allerdings erst ab Rechtshängigkeit (22. Dezember 2010) und nicht bereits, wie gefordert ab dem 8. Oktober 2010. Denn das anwaltliche Schreiben vom 5. Oktober 2010 stellt lediglich eine Zahlungsaufforderung dar, durch die die Zahlung erst fällig wird.
Schließlich sind der Klägerin als Nebenkosten vorgerichtlich entstandene Anwaltskosten zu ersetzen. Diese sind, bezogen auf einen Gegenstandswert, der dem ersatzfähigen Schaden in Höhe von 978,32 € entspricht, erstattungsfähig. Der 1,3-fache Gebührensatz nach KV 2300 ist angemessen. Bei einem Gegenstandswert von bis 1.200,00 € beläuft sich die 1,3-fache Gebühr folglich auf 110,50 € netto. Hinzu kommt die geforderte Pauschale für Post- und Telekommunikationsdienstleistungen, Nr. 7002 VV RVG.
D. Fazit
Zwar dürften Examensklausuren aus dem Bereich der Amtshaftung eher selten sein. Die vorliegende Entscheidung ließe sich aber eins zu eins als Klausur stellen. Im zweiten Examen wäre dabei allerdings wohl nur an eine anwaltliche Aufgabenstellung zu denken, da über Ansprüche aus Amtshaftung die ordentlichen Gerichte entscheiden (§ 40 Abs. 2 Satz 1 VwGO). Eine Urteilsklausur wäre damit wohl ausgeschlossen.