Erbrechtliche Fragestellungen sind (für viele glücklicherweise) eher selten Gegenstand von Examensklausuren. Wenn dies doch einmal der Fall ist, geht es meist um Fragen der dinglichen Rechtslage. Der Sachverhalt, der einer aktuellen Entscheidung des OLG Hamm (I-15 W 88/13, 15 W 88/13) zu Grunde liegt könnte auf diesem Weg ebenfalls zukünftig Eingang in Examensklausuren finden.
A. Sachverhalt (aus der Pressemitteilung):
Die im Jahre 1991 im Alter von 74 Jahren verstorbene Erblasserin hinterließ vier Kinder. Sie hatte im Jahre 1985 eigenhändig testamentarisch verfügt, dass der 1952 geborene Sohn ihr alleiniger Erbe werden solle, und für den Fall seines kinderlosen Versterbens ihren 1958 geborenen Sohn zum „Ersatzerben“ bestimmt. Nachdem der ältere Sohn 2012 kinderlos verstarb, hat der überlebende jüngere Sohn einen Erbschein beantragt, der ihn als Alleinerben seiner Mutter ausweist. Hiergegen hat der gesetzliche Erbe des verstorbenen älteren Sohnes Beschwerde (nach dem FamFG) eingelegt.
B. Nacherbe oder doch nur Ersatzerbe?
Die zulässige Beschwerde hat Erfolg, wenn dem jüngeren Sohn der Erblasserin kein Erbrecht zusteht.
Für die Erbenstellung des jüngeren Sohnes ist von entscheidender Bedeutung, ob dieser als Ersatzerbe oder als Nacherbe eingesetzt worden ist. Ist er nämlich lediglich Ersatzerbe geworden, so hat er durch den Tod des älteren Sohnes kein Erbrecht erlangt. Dies hätte vielmehr vorausgesetzt, dass dieser noch vor dem Erbfall kinderlos verstorben wäre (mit der Folge, dass der Ersatzerbe zum Vollerben geworden wäre).
I. Grundsätzliches zur Unterscheidung
Nacherbschaft (§ 2100 ff. BGB) ist das zeitliche Aufeinanderfolgen von mindestens zwei Personen als Erben des Erblassers, verknüpft durch den Nacherbfall, wobei der Vorerbe (zum Zwecke der Sicherung des Nacherben) bestimmten Verfügungs- und Verwaltungsbeschränkungen unterliegt (insb. §§ 2113 ff. BGB).
Der Ersatzerbe wird (nur) für den Fall eingesetzt, dass der zunächst Berufene nie Erbe geworden ist, weil er entweder vor oder (mit ex tunc Wirkung) nach dem Erbfall wegfällt (etwa wegen Nichtigkeit der Erbeinsetzung oder Widerrufs durch den Erblasser). Der Ersatzerbe wird deshalb mit dem Erbfall aufschiebend bedingt Erbe des Erblassers. Tritt die Bedinung nicht ein, erlangt er keine Erbenstellung.
II. Im Zweifel Ersatzerbe
Da Verfügungen von Todes wegen (insbesondere Testamente) häufig ohne fachkundigen Rat errichtet werden, die Rechtsfolgen der Erbeinsetzung oft nicht hinreichend bekannt sind und die mit einer Nacherbeneinsetzung verbundenen Beschränkungen des Vorerben in seiner Verwaltungs- und Verfügungsfreiheit nur in Ausnahmefällen gewollt sein dürften, enthält § 2102 Abs. 2 BGB eine gesetzliche Vermutung, die beim Sreit über die Erbenstellung im Zweifel Klarheit schafft:
Ist zweifelhaft, ob jemand als Ersatzerbe oder als Nacherbe eingesetzt ist, so gilt er als Ersatzerbe.
C. Auslegung nach dem wahren Erblasserwillen
Gesetzliche Vermutungen greifen jedoch nur dort ein, wo sich der Parteiwille nicht schon im Wege der Auslegung ermitteln lässt.
Im Vertragsrecht erfolgt diese Auslegung nach dem objektiven Empfängerhorizont unter Berücksichtigung von Verkehrssitte und Treu und Glauben (§§ 133 und 157 BGB). Anders bei der Auslegung letzwilliger Verfügungen. Hier soll allein dem (im Testament angedeuteten) wahren Willen des Erblassers zur Geltung verholfen werden. § 157 BGB findet insoweit keine Anwendung.
Das OLG Hamm fasst die dargelegten Grundsätze wie folgt zusammen:
Die Testamentsauslegung hat zum Ziel, den wirklichen Willen des Erblassers zu erforschen. Dabei ist zwar vom Wortlaut auszugehen. Dieser ist jedoch nicht bindend. Vielmehr sind der Wortsinn und die vom Erblasser benutzten Ausdrücke zu hinterfragen, um festzustellen, was er mit seinen Worten hat sagen wollen und ob er mit ihnen genau das wiedergegeben hat, was er zum Ausdruck bringen wollte (BGH NJW 1993, 256 m.w.N.). Maßgeblich ist insoweit allein sein subjektives Verständnis der von ihm verwendeten Begriffe (BGH FamRZ 1987, 475, 476; Palandt/Weidlich, BGB, 72. Aufl., § 2084 Rn. 1). Zur Ermittlung des Inhalts der testamentarischen Verfügungen ist der gesamte Inhalt der Testamentsurkunde einschließlich aller Nebenumstände, auch solcher außerhalb des Testaments, heranzuziehen und zu würdigen (BGH NJW 1993, 256 m.w.N.). Solche Umstände können vor oder auch nach der Errichtung des Testamentes liegen. Dazu gehört das gesamte Verhalten des Erblassers, seine Äußerungen und Handlungen (Palandt/Weidlich, a.a.O., § 2084 BGB Rdnr. 2 m.w.N.). Kann sich der Richter auch unter Auswertung aller Umstände von dem tatsächlich vorhandenen wirklichen Willen des Erblassers nicht überzeugen, muss er sich grundsätzlich mit dem Sinn begnügen, der dem Erblasserwillen mutmaßlich am ehesten entspricht (BGH NJW 1993, 256). Eine Ausnahme gilt dabei dort, wo das Gesetz selbst Auslegungsregeln oder Vermutungen enthält. In diesen Fällen ist, wenn sich das Gericht nicht von dem tatsächlichen Willen des Erblassers überzeugen kann, allerdings auch erst dann, auf die gesetzlichen Regeln zurückzugreifen.
Gemessen an diesem Prüfungsmaßstab kann im vorliegenden Fall nicht von einer Nacherbenstellung des jüngeren Sohnes der Erblassering ausgegangen werden. Maßgeblich stellt das Gericht dabei darauf ab, dass die Rechtswirkungen einer Vorerbenstellung des älteren Sohne nicht dem Erblasserwillen enstprochen hätten.
Wenn der Erblasserin das juristische Instrument der Vor- und Nacherbschaft und die entsprechenden Begrifflichkeiten nicht bekannt waren, wovon der Antragsteller und das Amtsgericht ausgehen, dann wäre zu erwarten, dass sie in ihrer Verfügung in irgendeiner Form angedeutet hätte, worum es ihr in der Sache ging, nämlich um eine Beschränkung der Verfügungsfreiheit des zunächst eingesetzten Erben im Bezug auf den Nachlass. Denn aus dem Begriff des Ersatzerben allein lässt sich im allgemeinen Sprachverständnis zwar noch ein Austausch der zur Erbfolge berufenen Person, aber keine lebzeitige Verfügungsbeschränkung des ersten Erben ableiten (vgl. oben). Gerade eine solche weitergehende Andeutung fehlt jedoch. Der Wortlaut ließe sich mit der Annahme einer Vor- und Nacherbschaft also nur dann vereinbaren, wenn man unterstellen würde, die Erblasserin habe das Instrument der Vor- und Nacherbschaft in seinen gesetzlichen Rechtsfolgen gekannt, nicht aber die entsprechenden Begriffe. Diese Annahme erscheint dem Senat eher fernliegend.
Im Übrigen müssen (wie bereits erwähnt) Zweifel zu Lasten desjenigen gehen, der seine Nacherbenstellung behauptet.
Lässt sich nach alledem nicht sicher feststellen, welchen Sinn die Erblasserin dem Begriff des Ersatzerben beigemessen hat, so muss es nach den o.g. Grundsätzen bei der Auslegungsregel des § 2102 Abs. 2 BGB verbleiben. Danach ist hier davon auszugehen, dass der Antragsteller lediglich zum Ersatzerben im Rechtssinne eingesetzt worden ist.
Da der Ersatzerbfall nicht eingetreten ist, ist sein Erbscheinsantrag unbegründet und daher zurückzuweisen.
D. Fazit
Die prozessuale Situation im vorliegenden Fall betraf die Beschwerde des gesetzlichen Erben des älteren Bruders gegen einen die Nacherbschaft des jüngeren Bruders feststellenden Beschluss des Amtsgerichts. Die Beschwerdebefugnis des gesetzlichen Erben des älteren Bruders folgte aus dem Umstand, dass der jüngere Bruder nach Erteilung eines dem amtsgerichtlichen Beschluss folgenden Erbscheins gemäß § 35 GBO die Grundbuchberichtigung des landwirtschaftlichen Besitzes auf sich hätte herbeiführen können. Es ist nicht davon auszugehen, dass die Problematik so in einer Klausur kommen würde.
Denkbar wäre aber etwa, dass der ältere Sohn ein zum Nachlass gehörendes Grundstück vor seinem Tod an einen Dritten veräußert und dieser als Eigentümer ins Grundbuch eingetragen wird. Der jüngere Sohn würde den Dritten dann auf Zustimmung (genauer Bewilligung nach § 19 GBO) zur Grundbuchberichtigung aus § 894 BGB in Anspruch nehmen. Nach Auflassung, Eintragung und Einigsein gemäß §§ 873, 925 BGB kommt man zur Frage der Berechtigung des älteren Sohnes. Diese fehlte nach § 2113 Abs. 1 BGB, wenn er zum Zeitpunkt der Übertragung Vorerbe war. Ob das der Fall war, ist dann mit Hilfe der oben dargestellten Erwägungen zu bewerten. Denkbar wären dann etwa Folgefragen zum gutgläubigen Erwerb nach § 2113 Abs. 3 BGB.
Mitnehmen sollte man aus dem Themenkreis für die Klausur vor allem, dass es bei der Abgrenzung zwischen Ersatzerbe und Nacherbe auf den wahren Willen des Erblassers ankommt (§ 133 BGB) und sich eine Nacherbenstellung diesem Willen wohl nur dann entnehmen lassen wird, wenn es Anhaltspunkte dafür gibt, dass der Erblasser dem vermeintlichen Vorerben die Vefügungsbeschränkungen der §§ 2113 ff. BGB auferlegen wollte.