Das OLG Oldenburg als Berufungsinstanz hat mit Urteil vom 05.12.2013 (Az.: 14 U 80/13) entschieden, dass der Veranstalter einer Treibjagd für Schäden haften muss, die infolge des Jagdgeschehens durch ausbrechende Nutztiere innerhalb des Jagdreviers entstehen, wenn vorher keine Mitteilung an Landwirte erfolgt ist, die ihre Nutztiere innerhalb des Jagdreviers halten.
Sachverhalt:
Im Dezember 2009 veranstalteten die Beklagten in dem von ihnen gepachteten Jagdrevier eine Treibjagd. Daran nahmen mehrere Jäger mit ihren Jagdhunden teil. Innerhalb des Jagdreviers befand sich das landwirtschaftliche Anwesen des Klägers. Er hielt innerhalb einer umzäunten Weide im Jagdrevier seine Rinder. Im Verlauf des Jagdgeschehens lief ein von einem Jagdgast geführter Hund auf die Rinderweide des Klägers. Die dort grasenden drei Rinder wurden dadurch in Panik versetzt und ergriffen die Flucht, wobei sie auch die Umzäunung durchbrachen. Die Weide lag in unmittelbarer Nähe zu mehreren vielbefahrenen öffentlichen Straßen. Nachdem der Kläger die Flucht der Tiere bemerkt hatte, die bis dahin mehrere Kilometer Wegstrecke gelaufen waren, versuchte er, sie wieder einzufangen. Dabei lief er neben einem der Rinder her und versuchte es durch Klopfen auf den Hals zum Laufen in Richtung der Weide zu bewegen. Wegen der bereits eingetretenen Dunkelheit stürzte der Kläger bei dem Versuch und zog sich dabei einen komplizierten Splitterbruch der rechten Hand zu.
Der Kläger verlangt von den Beklagten Schadensersatz wegen der bei ihm eingetretenen Schäden.
Entscheidung:
Das OLG Oldenburg hat der Klage stattgegeben und die Sache zur Entscheidung über die Höhe des Schadensersatzanspruchs an das Landgericht Osnabrück zurück verwiesen.
Dem Kläger steht nach Ansicht des OLG ein Schadensersatzanspruch aus § 823 I BGB zu.
A. Haftungsbegründender Tatbestand
Im Rahmen des haftungsbegründenden Tatbestands war vor allem die Bestimmung eines pflichtwidrigen Handelns der Beklagten problematisch.
1. Rechtsgutsverletzung
Eine Verletzung des Eigentums des Klägers lag vor. Die in seinem Eigentum stehenden Rinder entliefen infolge des Jagdgeschehens. Das müsste jedoch auch kausal auf einem rechtswidrigen Verhalten der Beklagten beruht haben.
2. Handeln oder Unterlassen der Beklagten
Als relevantes Handeln kommt zunächst das Abhalten der Jagd selbst in Betracht. Ohne die Treibjagd im betreffenden Gebiet wären die Schäden beim Kläger nicht eingetreten. Allerdings waren die Veranstalter Pächter des betreffenden Jagdgebiets und somit Jagdausübungsberechtigte. Das Abhalten der Treibjagd an sich ist danach nicht als anknüpfungsfähiges Verhalten tauglich.
Nach Ansicht des Gerichts haben die Beklagten jedoch eine Verkehrssicherungspflicht verletzt. Verkehrssicherungspflichten dienen dazu, die Haftung bei Unterlassungen zu begründen und bei mittelbaren Rechtsverletzungen zu beschränken. Sie setzen voraus, dass der Pflichtige verantwortlich ist für eine bestimmte Gefahrenquelle. Verkehrspflichten resultieren entweder aus einem erlaubten, aber gefahrträchtigen Verhalten des Pflichtigen oder aus dem Betrieb einer gefahrträchtigen Anlage sowie der Eröffnung einer Einrichtung für den öffentlichen Verkehr.
Es versteht sich von selbst, dass Verkehrssicherungspflichten nicht beliebig überall dort konstruiert werden können, wo eine Haftung auf anderer Grundlage mangels tauglichen Verhaltens, an das angeknüpft werden könnte, ausscheidet. Obgleich mit der Pflichtigkeit stets auch ein Vorteil des Pflichtigen korreliert – er zieht den wie auch immer ausgestalteten Nutzen aus der gefahrträchtigen Handlung oder Anlage – darf der Bogen gleichwohl nicht überspannt werden. Insofern darf die Auferlegung von Sicherungspflichten nicht willkürlich und unverhältnismäßig werden.
Der Inhalt der jeweiligen Pflicht hat sich dabei am konkreten Einzelfall zu orientieren. Abzustellen ist auf die Erwartung der beteiligten Verkehrskreise, wobei als Maßstab die schutzbedürftigste Personengruppe, die mit der Gefahrenquelle bestimmungsgemäß in Kontakt kommt, dienen soll. Für den speziellen Bereich der Jagd sind besondere Verhaltensanforderungen zum einen im BjagdG, zum anderen in den Unfallverhütungsvorschriften Jagd (UVV) normiert. Vorrangig aus diesen Regelungen können Verkehrssicherungspflichten des Jägers resultieren.
Bei Durchsicht der betreffenden Gesetze findet sich keine Vorschrift, die den Veranstalter einer Jagd zur vorherigen Unterrichtung der im Jagdgebiet ansässigen Landwirte verpflichtet. Das Gericht ist gleichwohl der Meinung, dass eine dahingehende Pflicht besteht. Dies ergebe sich aus der allgemeinen Pflicht des Organisators einer Jagd, für die Schadloshaltung Dritter durch jagdtypische Gefahren zu sorgen.
Dazu gehöre auch, dass er sich vor Beginn der Treibjagd darüber informiert, ob sich in dem zu durchjagenden Gebiet Nutztiere befinden und ggf. den Eigentümer derselben über die geplante Jagd zu informieren, sodass er entsprechende Vorkehrungen zum Schutz seines Eigentums treffen kann. Geschieht dies nicht, so habe der Veranstalter zumindest dafür Sorge zu tragen, dass mitgeführte Hunde an der Leine geführt werden und ein angemessener Abstand zu Weiden mit Nutztieren eingehalten wird. Dass eine dahin lautende Pflicht weder im BJagdG, noch in der UVV Jagd geregelt sei, sei unschädlich für deren Annahme im konkreten Fall. Die UVV Jagd sei hinsichtlich bestehender Verhaltenspflichten der angesprochenen Jäger keine abschließende Regelung. Darüber hinaus könnten vielmehr im Einzelfall weitere Verhaltensanforderungen zwingend aufzugeben sein.
3. Kausalität, Rechtswidrigkeit, Verschulden
Die verletzte Verkehrspflicht führte kausal zu den beim Kläger eingetretenen Rechtsverletzungen.
Die Verletzung der Verkehrssicherungspflicht indiziert die Rechtswidrigkeit. Die Beklagten haben die Verkehrssicherungspflicht auch schuldhaft, nämlich jedenfalls fahrlässig, verletzt.
Der haftungsbegründende Tatbestand ist daher vorliegend erfüllt.
B. Haftungsausfüllender Tatbestand
Auch der haftungsausfüllende Tatbestand war nach Ansicht des Gerichts erfüllt.
Dazu ist erforderlich, dass die eingetretenen Schäden kausal auf der verursachten Rechtsverletzung beruhen und zudem ersatzfähig sind.
1. Kausaler, ersatzfähiger Schadens
a) Ein Schaden ist hier zunächst am Zaun des Klägers eingetreten, den die Rinder bei der Flucht beschädigt haben. Dieser Schaden steht in kausalem Zusammenhang mit der obigen Rechtsgutsverletzung.
b) Weiterhin ist ein Schaden am Körper des Klägers eingetreten. Dieser entstand bei dessen Versuch eines Einfangens der Rinder nach deren kausal verursachter Flucht. Dabei lief der Kläger neben einem der Rinder her und wollte das Tier durch Klopfen auf den Hals in Richtung Koppel treiben. Er stürzte und zog sich einen komplizierten Splitterbruch der rechten Hand zu.
Bei diesem Schaden kann fraglich sein, ob er kausal auf dem pflichtwidrigen Verhalten der Treibjagdveranstalter basiert, das darin bestand, die Verkehrssicherungspflicht zur vorherigen Information ansässiger Landwirte über die bevorstehende Treibjagd zu missachten. Dies erscheint zunächst fraglich, denn der Kläger selbst traf ja vorliegend die Entscheidung, die Tiere bei Dunkelheit wieder einfangen zu wollen und das auf die beschriebene Weise zu tun. Er könnte daher den Kausalverlauf durch ein eigenverantwortliches Dazwischentreten unterbrochen haben.
Nach Ansicht des OLG Oldenburg ist Kausalität jedoch gegeben. Der Kläger habe sich in Anbetracht der Situation angemessen verhalten. Aufgrund der Nähe zu mehreren vielbefahrenen Straßen sei trotz herannahender Abenddämmerung ein sofortiges Einfangen geboten gewesen.
Relevant ist in dem vorliegenden Fall die Herausforderungsproblematik im Schadensersatzrecht. Danach kann der Geschädigte vom Schädiger nach gefestigter Rechtsprechung Ersatz auch für solche Schäden verlangen, die dadurch entstanden sind, dass sich der Geschädigte durch das vorwerfbare Verhalten des Schädigers dazu herausgefordert fühlte, sich in eine Gefahrensituation zu begeben. Zumindest wenn die selbstgefährdende Reaktion auf einer mindestens im Ansatz billigenswerten Motivation beruhte, haftet der Schädiger für die daraus beim Geschädigten entstandenen Schäden.
So liegt der Fall hier: Das Gericht hielt die Reaktion des Klägers auf die Flucht der Tiere für angemessen und erforderlich. Er durfte sich dazu herausgefordert fühlen. Sein Verhalten in der konkreten Situation sei zwar gefährlich gewesen, aufgrund der gesamten Umstände sei es jedoch als letztes Mittel gerechtfertigt gewesen. Daher komme auch ein Mitverschulden des Klägers nach § 254 BGB nicht in Betracht. Der eingetretene Schaden sei ihm von den Beklagten vollumfänglich zu ersetzen.
2. Ergebnis
Der haftungsausfüllende Tatbestand ist vollumfänglich erfüllt. Der Kläger kann Schadensersatz für alle eingetretenen Schäden von den Beklagten verlangen.
Stellungnahme:
Die Entscheidung des OLG enthält einige Standardprobleme aus dem Schadensersatzrecht und besitzt daher Examensrelevanz.
Im Ergebnis ist sie insbesondere hinsichtlich der Konstruktion einer Verkehrssicherungspflicht der Jagdveranstalter problematisch. Wie dargestellt existieren spezielle Regelungen im Bereich der Jagd, welche Pflichten des Jägers begründen. Der Schluss des Gerichts, dass die hier geregelten Verhaltensanforderungen nicht abschließend gemeint seien, ist keineswegs zwingend. Insofern könnte hier durchaus von einer Überdehnung der grundsätzlich zulässigen Konstruktion von Verkehrssicherungspflichten gesprochen werden.
Diese Einschätzung wäre jedoch etwas vorschnell. Zu beachten ist nämlich, dass sich die festgestellte Verkehrssicherungspflicht nicht unbedingt aus einer ergebnisorientierten Perspektive des Gerichts ergeben muss, sondern dogmatisch sauberer ebenso gut aus einer Gesamtschau der relevanten Normen aus BjagdG und der UVV Jagd konstruiert werden können: Der Schutzzweck beider Regelwerke ist deutlich darauf gerichtet, den Eintritt jagdtypischer Schäden auch bei unbeteiligten Dritten zu verhindern. Aus diesem erkennbaren Gesetzeszweck ergibt sich bereits zwanglos auch das Streben nach möglicher Verhinderung von Gefahrensituationen im Vorhinein anstelle einer Kompensation im Nachhinein. Informationspflichten sind dabei ein geradezu typisches Instrument präventiver Gegensteuerung im Zivilrecht. Aus dieser Überlegung heraus ist auch der Schritt zu der hier konkret geforderten Information der Landwirte nicht mehr weit, gerade weil für die Annahme von Verkehrssicherungspflichten ja anerkannt ist, dass sie sich am konkret zur Beurteilung stehenden Fall zu orientieren habe.
Diesen Erwägungen entsprechend ist der Bejahung einer solchen Verkehrssicherungspflicht im vorliegenden Fall mE zuzustimmen.
Schlagwortarchiv für: Herausforderungsfälle
Eine kürzlich ergangene Entscheidung des BGH (Urteil vom 31.01.2012 – VI ZR 43/11) hat sich u.a. mit der Frage beschäftigt, ob der Halter eines Fahrzeugs, das von der Polizei verfolgt wird und durch Rammen durch ein Polizeifahrzeug zum Stehen gebracht wird, für den entstandenen Sachschaden an den Polizeifahrzeugen aufkommen muss. Rechtlich bewegt man sich hier im Bereich des Deliktsrechts bzw. der in diesem Zusammenhang diskutierten sog. Herausforderungsfälle.
Sachverhalt (vereinfacht)
A fährt in seinem Pkw, dessen Halter er ist, und wird von der Polizei angehalten. Da er aus verschiedenen Gründen keine Interesse an einer Kontrolle hat, gibt er unvermittelt Gas, um sich der Maßnahme zu entziehen. Dabei wird eine Beamtin leicht verletzt. Die Polizei nimmt sogleich die Verfolgung auf und es entwickelt sich eine regelrechte Verfolgungsjagd über die Autobahn mit Geschwindigkeiten zwischen 150 bis 200 km/h. Dabei versucht A durch schnelles Wechseln der Fahrstreifen und durch Befahren des Standstreifens seine Verfolger abzuhängen.
Da die Polizei keine andere Möglichkeit sieht, A zum Anhalten zu bewegen, beschließt sie, den Verkehr auf der Autobahn durch eigene Fahrzeuge einige Kilometer vor A zu verlangsamen und dann ein Straßensperre bestehend aus mehreren Polizeifahrzeugen einzurichten. Zusätzlich soll ein großer Lkw den Standstreifen befahren. A nähert sich der Straßensperre, bremst ab und entschließt sich, zwischen den beiden mittleren Polizeifahrzeugen hindurchzufahren. Im gleichen Moment rammt ihn ein Polizeiwagen von hinten und schiebt ihn zwischen den beiden Fahrzeugen hindurch, die leicht beschädigt werden. Dann kommt ein weiteres Polizeifahrzeug von der Seite und drückt A an die Leitplanke, sodass dieser letztendlich zum Stehen kommt.
Es ist ein erheblicher Sachschaden an insgesamt vier Polizeiwagen in Höhe von 17.271,84 Euro entstanden. Das Land L verlangt von A Schadensersatz. A beruft sich darauf, dass er nicht damit habe rechnen können, dass die Polizei „so hart durchgreift“ und ihre Fahrzeuge als „Rammböcke“ einsetzt. Den Ausgang der Verfolgungsjagd habe er jedenfalls nicht gewollt.
Kann das Land L von A Schadensersatz verlangen?
Die Rechtsprechung des BGH zu den Herausforderungsfällen im Rahmen von § 823 Abs. 1 BGB
Das Gericht umreißt zunächst lehrbuchhaft die Grundsätze für eine deliktische Haftung, wenn der Schädiger die Situation provoziert hat, die letztendlich in den Schaden mündet.
Nach der Rechtsprechung des erkennenden Senats kann jemand, der durch vorwerfbares Tun einen anderen zu selbstgefährdendem Verhalten herausfordert, diesem anderen dann, wenn dessen Willensentschluss auf einer mindestens im Ansatz billigenswerten Motivation beruht, aus unerlaubter Handlung zum Ersatz des Schadens verpflichtet sein, der infolge des durch die Herausforderung gesteigerten Risikos entstanden ist. Eine auf solcher Grundlage beruhende deliktische Haftung ist insbesondere in Fällen bejaht worden, in denen sich jemand pflichtwidrig der (vorläufigen) Festnahme oder der Feststellung seiner Personalien durch Polizeibeamte oder andere dazu befugte Personen durch die Flucht zu entziehen versucht und diesen Personen dadurch Anlass gegeben hat, ihn zu verfolgen, wobei sie dann infolge der durch die Verfolgung gesteigerten Gefahrenlage einen Schaden erlitten haben. […]
Voraussetzung für eine deliktische Haftung ist in solchen Fällen stets, dass der in Anspruch genommene Fliehende seinen Verfolger in vorwerfbarer Weise zu der selbstgefährdenden Reaktion herausgefordert hat. Dabei muss sich das Verschulden insbesondere auch auf die Verletzung eines der in § 823 Abs. 1 BGB genannten Rechtsgüter erstrecken, d.h. der Fliehende muss sich bewusst gewesen sein oder zumindest fahrlässig nicht erkannt und bei der Einrichtung seines Verhaltens pflichtwidrig nicht berücksichtigt haben, dass sein Verfolger oder durch diesen ein unbeteiligter Dritter infolge der durch die Verfolgung gesteigerten Gefahr einen Schaden erleiden könnte.
Verwirklichung dergesteigerten Gefahrenlage durch rammende Polizeifahrzeuge
Nicht nur in einer Klausur drängt sich hinsichtlich des Verhaltens der Polizeibeamten die Frage auf, ob die rigorose Vorgehensweise der Polizeibeamten noch zugerechnet werden kann. Hier könnte man argumentieren, dass es allein in der Entscheidungsgewalt der Polizeibeamten lag, ihre Fahrzeuge zur Ergreifung des A zu beschädigen, und sie auch auf andere Weise den A hätten stoppen können. Der BGH sieht jedoch die Gefahrenlage, die der A unstreitig nach ständiger Rechtsprechung herbeigeführt hat – die Verfolgung durch Polizeibeamten ist ein klassischer Fall – auch dann als verwirklicht, wenn die Polizisten ihre Fahrzeuge auf die geschilderte Weise einsetzten. Ausgangspunkt hierfür ist eine Abwägungsentscheidung anhand der konkreten Situation.
Wesentlicher Gradmesser für eine Herausforderung zur Verfolgung mit der Überbürdung des gesteigerten Verletzungsrisikos auf den Fliehenden ist insbesondere die angemessene Mittel-Zweck-Relation, nach der die Risiken der Verfolgung und der Beendigung der Flucht nicht außer Verhältnis zu dem Ziel der Ergreifung des Fliehenden stehen dürfen, weil ansonsten die Schädigung nicht mehr in den Schutzbereich der Haftungsnorm fällt. Der Versicherungsnehmer […] hat sich nach den Feststellungen des Berufungsgerichts einer Verkehrskontrolle entzogen, dabei eine Polizeibeamtin verletzt und sich danach über viele Kilometer hinweg mit den ihn verfolgenden Polizeifahrzeugen mit hoher Geschwindigkeit eine Verfolgungsjagd mit mehrfachem Fahrstreifenwechsel unter Mitbenutzung des Standstreifens geliefert. Da von diesem rücksichtslosen Verhalten eine erhebliche Gefahr für andere Verkehrsteilnehmer ausging, stand die Entscheidung, die Flucht durch eine Kollision mit dem Fluchtfahrzeug auf die erfolgte Art zu beenden, nicht außer Verhältnis zu dem Ziel der Beendigung der Flucht und der Ergreifung des Fliehenden.
[…]Die subjektive Seite der Haftung, d.h. der Vorwurf, eine Rechtsgutsverletzung seines Verfolgers schuldhaft herbeigeführt zu haben, setzt voraus, dass der Fliehende damit rechnen musste, verfolgt zu werden, und dass er auch voraussehen konnte, seine Verfolger könnten dabei möglicherweise zu Schaden kommen. Nach den Feststellungen des Berufungsgerichts wusste der Versicherungsnehmer […], dass er verfolgt wird, und musste auch damit rechnen, dass für seine Verfolger und ihre Fahrzeuge bei seiner Fahrweise nicht nur ein gesteigertes Risiko bestand, während der Verfolgungsfahrt einen Schaden zu erleiden, sondern auch bei einer Beendigung der Flucht durch eine bewusst herbeigeführte Kollision mit dem Fluchtfahrzeug. Bei einer Verfolgungsjagd, wie sie im Streitfall stattgefunden hat, ist es nicht fernliegend, dass die Polizeibeamten erforderlichenfalls auch Schäden an den Polizeifahrzeugen in Kauf nehmen, um den Flüchtenden zu stoppen und Schlimmeres zu verhindern.
Schaden „bei dem Betrieb“ nach § 7 Abs. 1 StVG verwirklicht
Neben § 823 Abs. 1 BGB sollte der Bearbeiter stets auch an die verschuldensunabhängige Haftungsnorm des § 7 Abs. 1 StVG (Haftung des F-Halters) denken, die parallel zur Anwendung kommt. Fraglich war hier, ob der gesamt Vorgang noch unter dem Merkmal „bei dem Betrieb [eines Kfz]“ zu subsumieren ist. Immerhin ließe sich einwenden, die Verfolgungsjagd und alle weiteren Umstände seien dermaßen fernab von dem „üblichen“ Geschehen im Straßenverkehr, dass es sich nicht mehr um die Realisierung der einem Kfz innewohnenden Betriebsgefahr handelte. Der BGH ist anderer Ansicht und bejaht einen weiten Anwendungsbereich dieses Merkmal, denn
[…] die Haftung nach § 7 Abs. 1 StVG ist der Preis dafür, dass durch die Verwendung eines Kraftfahrzeuges erlaubterweise eine Gefahrenquelle eröffnet wird; die Vorschrift will d-her alle durch den Kraftfahrzeugverkehr beeinflussten Schadensabläufe erfassen. Ein Schaden ist demgemäß bereits dann „bei dem Betrieb“ eines Kraft-fahrzeugs entstanden, wenn sich in ihm die von dem Kraftfahrzeug ausgehenden Gefahren ausgewirkt haben, d.h. wenn bei der insoweit gebotenen werten-den Betrachtung das Schadensgeschehen durch das Kraftfahrzeug (mit)geprägt worden ist. Erforderlich ist aber stets, dass es sich bei dem Schaden, für den Ersatz verlangt wird, um eine Auswirkung derjenigen Gefahren handelt, hinsichtlich derer der Verkehr nach dem Sinn der Haftungsvorschrift schadlos gehalten werden soll, d.h. die Schadensfolge muss in den Bereich der Gefahren fallen, um derentwillen die Rechtsnorm erlassen worden ist.
So geschehen im vorligenden Fall. Überlegenswert ist dann auch, ob es sich bei der Entscheidung der Polizeibeamten, den A zu rammen, um ein „unabwendbares Ereignis“ im Sinne von § 17 Abs. 3 StVG handelte.
Im Streitfall ist ein Polizeifahrzeug auf einer Bundesautobahn auf das Fluchtfahrzeug aufgefahren und hat es zwischen den davor fahrenden Polizei-fahrzeugen hindurchgeschoben, wonach ein anderes Polizeifahrzeug das Fluchtfahrzeug gegen die Leitplanke gedrängt und damit die Flucht beendet hat. Dass dies „bei dem Betrieb“ der beteiligten Kraftfahrzeuge im fließenden Verkehr auf einer Bundesautobahn erfolgte, begegnet nach den vorstehenden Grundsätzen ebenso wenig Bedenken wie bei einem „normalen“ Auffahrunfall. Die Tatsache, dass das Auffahren im Streitfall vorsätzlich erfolgte, um das Fluchtfahrzeug zu stoppen, hat lediglich Bedeutung für die Frage, ob der Unfall für einen der Unfallbeteiligten ein unabwendbares Ereignis im Sinne des § 17 Abs. 3 StVG war.
[…]Die Frage der rechtlichen Unabwendbarkeit in Verfolgungsfällen ist unter dem Gesichtspunkt des Herausforderns vergleichbar zu beantworten wie die Frage einer Haftung nach § 823 BGB. Wer sich der polizeilichen Festnahme durch Flucht unter Verwendung eines Kraftfahrzeuges entzieht, haftet für einen bei der Verfolgung eintretenden Sachschaden an den ihn verfolgenden Polizeifahrzeugen, wenn dieser Schaden auf der gesteigerten Gefahrenlage beruht und die Risiken der Verfolgung nicht außer Verhältnis zu deren Zweck standen.
Fazit
Verfolgungsjagden, Straßensperren, rammende Polizeifahrzeuge in der höchstrichterlichen Rechtsprechung – das ist Stoff für Klausuren, vor allem, wenn es um aktuelle Probleme aus dem Deliktsrecht geht. Gerade Ersatzansprüche im Straßenverkehr sind ein Dauerbrenner und laufen regelmäßig in den Examensterminen. Es lohnt sich daher, die sog. Herausforderungsfälle noch einmal durchzugehen.