Gerade im öffentlichen Recht zeigen die Examensdurchgänge der letzten Monate und Jahre (siehe die Original-Examenssachverhalte hier), dass die Klausurersteller äußerst regelmäßig auf die unveränderten Sachverhalte von aktuelleren Gerichtsentscheidungen zurückgreifen. Aus diesem Grund kann den angehenden Examenskandidaten nur angeraten werden, sich regelmäßig über die letzten Entwicklungen auf dem Laufenden zu halten (eine Auflistung besonders examensträchtiger Entscheidungen findet sich zudem hier).
In den letzten Tagen sind insofern auch wieder eine ganze Reihe von öffentlich-rechtlichen Problemkreisen durch die verwaltungsgerichtliche Judikatur gegangen. Da die Pressemitteilungen der genannten Fälle die jeweils einschlägige Problematik bereits ausreichend erläutern, werden im Folgenden lediglich Auszüge aus den respektiven Mitteilungen zitiert, was ausreichen sollte, um das Problembewusstsein entsprechend zu sensibilisieren.
BVerwG: Heilpraktikererlaubnis kann auch bei Erblindung zu erteilen sein (Urteil vom 13.12.2012 – 3 C 26.11)
Nach den Vorschriften des Heilpraktikergesetzes bestehe ein Rechtsanspruch auf die Erlaubniserteilung, wenn kein Versagungsgrund nach der Durchführungsverordnung zum Heilpraktikergesetz eingreift. Die Blindheit der Klägerin begründe keinen Versagungsgrund im Sinne der gesetzlichen Bestimmungen. Zwar könne sie solche Heilpraktikertätigkeiten nicht ausüben, die eine eigene visuelle Wahrnehmung voraussetzen. Es verblieben daneben aber, wie die Vorinstanz für das Revisionsgericht bindend festgestellt hat, Bereiche, in denen sie selbstverantwortlich heilpraktisch tätig sein kann. Dazu gehöre insbesondere die Behandlung all jener Erkrankungen, die sich allein mit manuellen Methoden diagnostizieren und therapieren lassen.
Es sei zudem unverhältnismäßig, die Heilpraktikererlaubnis unter Hinweis auf eine mangelnde gesundheitliche Eignung zu versagen, meint das BVerwG. Das folge sowohl aus dem Grundrecht auf freie Berufswahl (Art. 12 Abs. 1 GG) als auch aus Art. 3 Abs. 3 S. 2 GG, wonach niemand wegen seiner Behinderung benachteiligt werden darf.
OLG Köln: Religiöse Gründe rechtfertigen keine vollständige Schulverweigerung (Beschluss vom 27.11.2012 – 1 RBs 308/12)
Eltern dürfen den Schulbesuch ihrer schulpflichtigen Kinder nicht aus religiösen Gründen vollständig verweigern.
Nach Auffassung der Eltern habe das Kreisschulamt mit dem Durchsetzen der Schulpflicht derweil gegen Menschenrechte und gegen die Grundrechte aus Art. 6 und Art. 7 GG verstoßen. Die im Landesschulgesetz normierte Schulpflicht verstoße gegen die Neutralitätspflicht des Staates. Der Schulunterricht sei neomarxistisch angelegt und ziele darauf ab, die Eltern-Kind-Beziehung zu zerstören und christliche Werte aus der Gesellschaft zu entfernen. Die Schule betreibe die Erziehung der Kinder zur Schamlosigkeit, trainiere sie in der Gossensprache und wolle durch «Gender Mainstreaming» die gottgegebenen unterschiedlichen Wesensmerkmale von Mann und Frau verwischen.
Die Ausübung des elterlichen Erziehungsrechts unterliegt nach Auffassung des Gerichts nach Art. 6 Abs. 2 Satz 2 GG der Überwachung durch die staatliche Gemeinschaft. Nach Art. 7 Abs. 1 GG unterstehe das Schulwesen der staatlichen Aufsicht. Damit dürfe der Staat unabhängig von den erzieherischen Vorstellungen der Eltern auch eigene Erziehungsziele verfolgen. Es bleibe den Eltern unbenommen, im außerschulischen Bereich durch eigene erzieherische Maßnahmen ihrer Meinung nach bestehende Mängel der schulischen Erziehung auszugleichen. Ob der Schulunterricht nach staatlichen Lehrplänen als neomarxistisch einzuordnen sei, erörterte das Gericht indes nicht (siehe zum examensrelevanten Schulrecht zudem auch diesen Beitrag).
VG Köln: Keine Befreiung vom Schwimmunterricht für 12-jährigen muslimischen Jungen (Beschluss v. 20.11.2012 – 10 L 1400/12)
Das VG Köln hat einen Eilantrag abgelehnt, mit dem die Eltern eines 12-jährigen muslimischen Jungen dessen Befreiung vom Schwimmunterricht in der Klasse 7 erreichen wollten. Die Eltern hatten geltend gemacht, während des gemeinsamen (koedukativen) Schwimmunterrichts von Jungen und Mädchen sei ihr Sohn gezwungen, seine nur mit Badekleidung bekleideten Mitschülerinnen anzusehen. Dies sei mit den islamischen Glaubensgrundsätzen der Familie nicht vereinbar.
Nach Auffassung des Verwaltungsgerichts hätten die Eltern schon nicht nachvollziehbar dargelegt, dass der Teilnahme ihres Sohnes am koedukativen Schwimmunterricht von der Familie als verbindlich erachtete religiöse Vorschriften entgegen stünden. So nehme er etwa am allgemeinen koedukativen Sportunterricht teil, bei dem er ebenfalls leicht bekleidete Schülerinnen und Schüler zu sehen bekomme, ohne insoweit einen Gewissenskonflikt geltend zu machen. Jedenfalls sei angesichts der Bedeutung des staatlichen Erziehungs- und Bildungsauftrags eine Teilnahme am Schwimmunterricht hier zumutbar. Der Schüler sei dadurch keinen größeren Konflikten ausgesetzt als im Alltag innerhalb und außerhalb der Schule, wo er ebenfalls Mädchen und Frauen begegne, die gelegentlich nur leicht bekleidet seien. Im Übrigen sei die Schule verpflichtet durch getrennte Umkleidemöglichkeiten, die konkrete Ausgestaltung des Schwimmunterrichts und die pädagogische Einflussnahme auf die Mitschülerinnen und Mitschüler Beeinträchtigungen der Glaubensfreiheit zu vermeiden.
OLG Koblenz: Kommunen dürfen Fütterung von Tauben und Wasservögeln verbieten (Beschluss vom 02.05.2012 – 2 SsBs 114/11)
Kommunen sind grundsätzlich berechtigt, die Fütterung freilebender Tieren wie Tauben oder Wasservögel in ihrem Gebiet zu verbieten, um Gefahren für die öffentliche Sicherheit und Ordnung abzuwehren. Die Gefahrenabwehrverordnung der Verbandsgemeinde sei wirksam, so das OLG. Sie beruhe auf einer hinreichenden gesetzlichen Ermächtigung und sei auch verhältnismäßig. Die Verbandsgemeinde sei berechtigt, durch eine solche Verordnung bestimmte Gefahren für die öffentliche Sicherheit und Ordnung abzuwenden. Hier sei insbesondere der Umstand in den Blick genommen worden, dass Wasservögel an den Menschen gewöhnt würden und vermehrt öffentliche Wege und Plätze beträten, um Futter zu verlangen. Dies könne zu nicht unerheblichen Verschmutzungen von Gehwegen, Straßen und Gebäuden durch Exkremente sowie letztlich zu Substanzschäden an öffentlichem und privatem Eigentum führen (siehe instruktiv zur Rechtmäßigkeit von sog. Gefahrenverordnungen hier sowie zu ordnungsrechtlichen Verboten, die im Wege der Allgemeinverfügung auferlegt werden, hier).