Aus aktuellem Anlass wirft dieser Artikel einen kurzen Blick auf die Frage, inwieweit es nach dem niedersächsischen Ministergesetz sowie nach dem GG für Ministerpräsident bzw. Bundespräsident zulässig ist, geldwerte Vorteile anzunehmen. Dabei liefert dieser Artikel keine definitve Antwort (schon angesichts im Detail immer noch unklaren Sachverhaltes), sondern Denkanstöße.
I. Ministergesetz: § 5 Abs. 4 S. 1 Nds-MinG
Die Annahme von Vorteilen durch Mitglieder der Landesregierung wird durch § 5 Abs. 4 des Niedersächsischen Ministergesetzes geregelt. Dieses findet auf alle Mitglieder der Landesregierung und damit auch auf den Ministerpräsidenten Anwendung, §§ 1f. Nds-MinG. Der Wortlaut ist:
(4) 1Die Mitglieder der Landesregierung dürfen, auch nach Beendigung ihres Amtsverhältnisses, keine Belohnungen und Geschenke in Bezug auf ihr Amt annehmen. 2Die Landesregierung kann Ausnahmen zulassen. 3Sie kann diese Befugnis auf die Staatskanzlei übertragen.
Der Wortlaut orientiert sich damit an den entsprechenden beamtenrechtlichen Regelungen (s. §§ 42 Abs. 1 BeamtStG, 71 Abs. 1 BBG), unterscheidet sich aber insofern als dort neben Belohnungen und Geschenken auch von „sonstigen Vorteilen“ gesprochen wird. Ein sachlicher Unterschied ist damit aber nicht verbunden, der Zusatz „und sonstige Vorteile“ ist neuerer Provenienz und in dem älteren § 5 Nds-MinG nicht enthalten. Man ist sich aber weitgehend einig , dass die Maßstäbe sich auch in den §§ 42 BeamtStG, 71 BBG nicht verschoben haben, sondern die Aufnahme des Zusatzes nur klarstellender Natur war (vgl. etwa Battis, BBG, 4. Aufl. 2009, § 71 Rn. 4). Daher kann man sich für die Auslegung des § 5 Abs. 4 Nds-MinG auch an der Rechtsprechung zu den §§ 42 Abs. 1 BeamtStG, 71 Abs. 1 BBG orientieren – dazu sogleich.
Demnach ist klar, dass der Ministerpräsidenten in Bezug auf sein Amt keine Leistungen annehmen darf, für die er keine volle Gegenleistung erbringt. Auch soweit das schenkende Elemente „nur“ in einem vergünstigten Zinssatz liegt, ist § 5 Abs. 4 S. 1 Nds-MinG verletzt.
Da der ursprüngliche Kredit diesen Anforderungen wohl nicht genügte, stellt sich dann die Frage, ob diese Kreditvergabe auch „in Bezug auf das Amt“ erfolgte. Die Verteidigung des Bundespräsidenten stellt auf dieses Tatbestandsmerkmal ab: Nicht wegen des Amtes, sondern nur aus persönlicher Verbundenheit sei der Vorteil gewährt worden. Sollte dies den Tatsachen entsprechen, läge tatsächlich kein Verstoß gegen § 5 Abs. 4 S. 1 Nds-MinG vor.
Freilich ist fragwürdig, ob der Bundespräsident ein Gericht hiervon überzeugen könnte. Zunächst folgt aus der Formulierung: „Geschenke in Bezug auf ihr Amt“, dass das Geschenk in Bezug auf das Amt gewährt worden sein muss. Es kommt also nicht auf das subjektive Empfinden des Empfängers, sondern auf die Absichten des Gewährenden an.
Das führt zu dem Schluss, dass, wie auch der weite Anwendungsbereich des § 5 Abs. 4 S. 1 Nds-MinG, der auch Geschenke nach Beendigung des Amtsverhältnisses erfasst, nahelegt, durch die Norm auch jeder Anschein der Bestechlichkeit vermieden werden soll. Dies muss auch bei der Auslegung des „Amtsbezuges“ berücksichtigt werden. Daher ist darauf abzustellen, ob der Geber sich nach den objektiv erkennbaren Umständen bei der Gewährung der Zuwendung davon leiten lässt, dass der Empfänger – wenn auch nicht in Bezug auf ihn – dienstlich tätig wird oder werden wird.
Dies entspricht der Rechtssprechung des BVerwG zu § 71 Abs. 1 BBG. Das, was für die einfachen Beamten gilt, muss für die Minister, welche die Spitze der Verwaltungsorganisation bilden, erst Recht gelten. Das BVerwG (NJW 1996, 2319) führt aus:
Eine Zuwendung wird in bezug auf die dienstliche Tätigkeit gewährt, wenn nach den Umständen des Einzelfalles sich der Geber davon leiten läßt, daß der Bedienstete dienstlich tätig wird oder geworden ist. Dabei ist es ausreichend, wenn nach den erkennbaren Vorstellungen und Motiven des Gebers der Gesichtspunkt der Anstellung oder dienstlichen Tätigkeit des Empfängers zumindest mitkausal ist, um jeden Anschein durch Gefälligkeiten beeinflußbarer dienstlicher Tätigkeit zu vermeiden.
Es genügt ein mittelbarer Amtsbezug. Auch nachgewiesene freundschaftliche Beziehungen genügen nicht, um einen Amtsbezug auszuschließen, wenn dieser an Hand der objektiven Kriterien vorliegt (vgl. BVerwG v. 25.3.1982 – 1 D 80/80, juris Rn. 69).
Fazit: Nach dem, was man in der Presse über das Verhältnis von Herrn Wulff und Herrn Geerkens erfahren hat, liegt es nach diesen Kriterien sehr nahe, eine amtsbezogene Zuwendung anzunehmen. Denn zwischen den beiden bestanden nicht nur freundschaftliche , sondern auch in vielerlei Hinsicht amtliche Beziehungen. Eine klare Trennung erscheint kaum plausibel. Es genügt ja bereits, wenn die Amtseigenschaft auch kausal war. Das ist etwa bei der Erwägung, es wäre auch gut für die „Landschaftspflege“ bei dem Ministerpräsidenten (und aus damaliger Sicht vielleicht zukünfigten Kanzler oder Bundesminister), wenn man „sich die Freundschaft“ erhält, der Fall.
Abwegig dürfte es sein, sich die Frage zu stellen, ob sich der Ministerpräsident selbst die Annahme des Vorteils genehmigen darf, selbst wenn ihm diese Befugnis durch die Landesregierung übertragen sein sollte (§ 5 Abs. 4 S. 3 i.V.m. S 2 Nds-MinG). Diese Genehmigung müsste zumindest in irgendeiner Form nach außen gedrungen sein.
II. Annahme von Vorteilen durch den Bundespräsidenten
Klar dürfte sein, dass der Bundespräsident nicht durch Vorteile bei der Führung seiner Amtsgeschäfts beeinflussen lassen darf. Das folgt aus seinen Amtspflichten und wird einfachgesetzlich durch §§ 331f. StGB bestätigt (dazu noch sogleich). Hiervon zu trennen ist jedoch die Frage, ob er derartige Vorteile mitnehmen darf, soweit sie seine Amtsführung in keiner Weise beeinflussen.
Für den Bundespräsidenten fehlt eine dem § 5 Abs. 4 Nds-MinG entsprechende Regelung, in der die Annahme von Vorteilen ausdrücklich geregelt wird. Am sachnächsten ist insofern Art. 55 GG, nach dessen Absatz 2 gilt:
(2) Der Bundespräsident darf kein anderes besoldetes Amt, kein Gewerbe und keinen Beruf ausüben und weder der Leitung noch dem Aufsichtsrate eines auf Erwerb gerichteten Unternehmens angehören.
1. Folgt aus Art. 55 Abs. 2 GG ein Verbot, Vorteile anzunehmen?
Möglicherweise ist aus dieser Norm unmittelbar ein Verbot, Vorteile anzunehmen, abzuleiten. Der Frage kann man sich mit den klassichen Auslegungsmethoden nähren:
– Wortlaut: Dem Wortlaut nach enthält Art. 55 Abs. 2 GG ein solches Verbot nicht. Der Wortlaut legt es nahe, dass Interessenkonflikte durch weitere rechtliche Bindungen des Bundespräsidenten vermieden werden sollen. Direkt sagt er nichts darüber aus, ob er einen Vorteil annehmen darf.
– Systematik: Das Grundgestz kennt mit Art. 66 GG eine vergleichbare Norm für die Mitglieder der Bundesregierung. Zur Konkretisierung dieser wurde das Bundesministergesetz geschaffen. Dessen § 5 Abs. 3 verbietet aber die Annahme von Geschenken nicht per se, sondern überlässt die Entscheidung, wie mit ihnen zu verfahren ist, der Bundesregierung. Sollte man diese Regelung als einfachrechtliche Ausformung des Gehalts von Art. 66 GG begreifen, legt auch dies den Schluss nahe, dass die Annahme von Geschenken nicht per se unzulässig ist.
In eine andere Richtung deutet freilich, dass der Bundespräsident die Bundesbeamten ernennt und entläßt (Art. 60 Abs. 1 GG). Es ist daher naheliegend, dass auch er – im Erst-Recht-Schluß – die Anforderungen erfüllen muss, die für die Beamten gelten. Zu den Grundsätzen des Berufsbeamtentums gehört es, auch einen Anschein der Bestechlichkeit zu vermeiden:
BVerwG v. 19.2.2003 – 1 D 14/02, juris Rn. 57: „Die selbstlose, uneigennützige, auf keinen Vorteil bedachte Führung der Dienstgeschäfte ist eine der wesentlichen Grundlagen des Berufsbeamtentums. Das Vertrauen der Öffentlichkeit in seine Integrität trägt entscheidend zur Funktionsfähigkeit des Gemeinwesens bei. Ein Beamter, der in Bezug auf sein Amt Belohnungen oder Geschenke annimmt, setzt das Ansehen der Beamtenschaft herab und gefährdet das Vertrauen seiner Behörde und der Allgemeinheit in seine Zuverlässigkeit. Er erweckt hierdurch zugleich den Verdacht, für Amtshandlungen allgemein käuflich zu sein und sich bei seinen Dienstgeschäften nicht allein an sachlichen Erwägungen zu orientieren, sondern sich auch von dem Blick auf den ihm zugesagten, gewährten oder gar geforderten Vorteil leiten zu lassen. Dies kann im Interesse einer geordneten und sachlich orientierten Verwaltung und im Interesse eines allgemeinen Vertrauens in den Rechtsstaat, die beide für das demokratische Gemeinwesen grundlegend sind, nicht hingenommen werden.“
Gegen die Orientierung an den Maßstäben für Beamten spricht andererseits, dass der Bundespräsident nicht ihr Dienstherr ist, sondern die Erennungen lediglich zu vollziehen hat.
– Zweck: Sehr deutlich dafür, Art. 55 Abs. 2 GG aber auch dahingehend auszulegen, dass die Annahme jeden Vorteils ausgeschlossen ist, spricht jedoch der Zweck der Norm. Sie soll erkennbar die Neutralität des Bundespräsidenten wahren und sein Amt, das in besonderem Maße von der Redlichkeit des Amtsinhabers zehrt (Maunz/Dürig-Herzog, Art. 55 Rn. 4: „Flair der Redlichkeit“), schützen. Letztlich folgt aus der Stellung des Bundespräsidenten als neutralem Staatsoberhaupt, das seine gesamte Kraft in den Dienst des Gemeinwohls stellen soll und muss, dass jeder Aschein der Käuflichkeit vermieden werden muss – bei dem Bundespräsidenten in noch stärkerem Maß als bei den Beamten. Denn der Bundespräsident ist in noch viel höherem Maße Repräsentant des Staates.
2. Verbot der Annahme von Vorteilen als ungeschriebener Grundsatz?
Fraglich ist jedoch, ob dieses Ergebnis mit dem Wortlaut des Art. 55 Abs. 2 GG noch zu vereinbaren ist, es um eine analoge Anwendung oder einen ungeschriebenen Grundsatz geht. Letzteren könnte der Grundsatz des Vorbehalts des Gesetzes (Art. 20 Abs. 2 GG) entgegenstehen, denn auch der Bundespräsident hat Grundrechte (Stichwort: Kein besonderes Gewaltverhältnis); zumindest in Art. 2 Abs. 1 GG wird durch ein Verbot der Annahme von Vorteilen eingegriffen.
Wegen des klaren Wortlauts halte ich es für nur weniger vertretbar, das Verbot unmittelbar aus Art. 55 Abs. 2 GG herzuleiten. Im Ergebnis ist wohl überzeugend, mit dem Rechtsgedanken des Art. 55 Abs. 2 GG einen ungeschriebenen Grundsatz zu entwicklen. Dies dürfte auch mit dem Vorbehalt des Gesetzes zu vereinbaren sein, da ja immerhin das Amtsverhältnis des Bundespräsidenten insgesamt im GG geregelt ist. Für Grundrechtseingriff gelten nicht die strengen Anforderungen des nulla poena sine lege Grundsatzes wie im Strafrecht. Eine bloße Analogie des Art. 55 Abs. 2 GG ist dagegen eher prolbematisch im Hinblick auf den Vorbehalt des Gesetzes. Es ist etwas anderes ob eine Frage „ungeschrieben geregelt“ ist oder ob durch Analogie erst eine Regelung geschaffen wird, die in Grundrechte eingreift.
3. Jedenfalls: Grenze der §§ 331f. StGB
Auf den Bundespräsidenten als sonstigen in einem öffentlich-rechtlichen Amtsverhältnis stehenden Amtsträger (§ 11 Abs. 1 Nr. 2 lit b) StGB) sind zumindest die §§ 331f. StGB anwendbar (hM, vgl. MüKoStGB-Ratke, 1. Aufl. 2003, § 11 Rn. 28). Eine Verletzung dieser erfordert freilich, dass sich der Bundespräsident den Vorteil „für die Dienstausübung“ gewähren lässt. Das erfordert einen Unrechtsvereinbarung, es muss die zumindest stillschweigende Übereinkunft zwischen Amtsträger und Zuwendendem bestehen, dass der Vorteil ein Äquivalent für die Dienstausübung bzw Diensthandlung darstellt. Das ist sehr viel enger als § 5 Abs. 4 Nds-MinG, wonach nur ein Bezug zur Amtseigenschaft der Person hergestellt werden muss.
M.E. sind für die notwendige Unrechtsvereinbarung in der bisherigen Presseberichterstattung noch nicht einmal Ansatzpunkte aufgetaucht.
Nach Art. 60 Abs. 4, 46 Abs. 2 GG genießt er während seiner Amtszeit Immunität, danach kann der Strafanspruch aber durchgesetzt werden.