Die folgenden Musterlösung basiert auf der Presseerklärung des BGH, NICHT auf den URTEILSGRÜNDEN, die noch nicht veröffentlicht sind. Sie stellt den Inhalt der Presseerklärung in Form einer Klausurlösung dar. Es ist also möglich, dass die Urteilsgründe hiervon abweichen!!!
Die Klägerin ist Inhaberin der Rechte an dem Musiktitel „Sommer unseres Lebens“. Mit Hilfe der Staatsanwaltschaft wurde ermittelt, dass dieser Titel vom Internetanschluss des Beklagten aus auf einer Tauschbörse zum Herunterladen im Internet angeboten worden war. Der Beklagte war in der fraglichen Zeit jedoch in Urlaub. Die Klägerin begehrt vom Beklagten Unterlassung, Schadensersatz und Erstattung von Abmahnkosten.
Der BGH hat der Revision nur teilweise stattgegeben. Anders als die Vorinstanz sah er die Voraussetzungen der Ansprüche auf Unterlassung und Ersatz der Abmahnkosten als gegeben an, nicht aber den Anspruch auf Schadensersatz.
Anspruch auf Unterlassung
Ein Anspruch auf Unterlassung der Urheberrechtsverletzung folgt aus § 97 Abs. 1 UrhG:
Wer das Urheberrecht oder ein anderes nach diesem Gesetz geschütztes Recht widerrechtlich verletzt, kann von dem Verletzten auf Beseitigung der Beeinträchtigung, bei Wiederholungsgefahr auf Unterlassung in Anspruch genommen werden. 2Der Anspruch auf Unterlassung besteht auch dann, wenn eine Zuwiderhandlung erstmalig droht.
Die Rechtsprechung legt den Begriff der „Verletzung“ in § 97 Abs. 1 UrhG in Anlehnung an § 1004 Abs. 1 BGB weit aus. Unabhängig von der Haftung für Täterschaft und Teilnahme kann auch derjenige als Störer zur Unterlassung und Beseitigung verpflichtet sein, der ohne eigenes Verschulden adäquat kausal an der Herbeiführung oder Aufrechterhaltung einer Urheberrechtsverletzung mitgewirkt hat, z.B. indem er die Verletzung durch Dritte ermöglicht hat. Um einer uferlosen Ausdehnung der Störerhaftung vorzubeugen, ist die Störerhaftung Dritter nach § 97 Abs. 1 UrhG durch das Kriterium der Zumutbarkeit eingegrenzt; Art und Umfang der gebotenen Kontrollmaßnahmen bestimmen sich nach Treu und Glauben.
Vorliegend hat die Beklagte die Verletzung des Urherberrechts adäquat kausal verursacht. Ihr wäre es ferner zumutbar gewesen, die Verletzung zu verhindern: Auch privaten Anschlussinhabern obliegt eine Pflicht zu prüfen, ob ihr WLAN-Anschluss durch angemessene Sicherungsmaßnahmen vor der Gefahr geschützt ist, von unberechtigten Dritten zur Begehung von Urheberrechtsverletzungen missbraucht zu werden. Dem privaten Betreiber eines WLAN-Netzes kann zwar nicht zugemutet werden, ihre Netzwerksicherheit fortlaufend dem neuesten Stand der Technik anzupassen und dafür entsprechende finanzielle Mittel aufzuwenden. Ihre Prüfpflicht bezieht sich daher auf die Einhaltung der im Zeitpunkt der Installation des Routers für den privaten Bereich marktüblichen Sicherungen.
Diese Pflicht hatte der Beklagte nach Auffassung des Bundesgerichtshofs verletzt. Er hatte es bei den werkseitigen Standardsicherheitseinstellungen des WLAN-Routers belassen und das Passwort nicht durch ein persönliches, ausreichend langes und sicheres Passwort ersetzt. Ein solcher Passwortschutz war auch für private WLAN-Nutzer bereits im Jahre 2006 üblich und zumutbar. Er lag im vitalen Eigeninteresse aller berechtigten Nutzer und war mit keinen Mehrkosten verbunden.
Deshalb besteht ein Unterlassungsanspruch aus § 97 Abs. 1 S. 1 UrhG. Dieser stellt eine Kodifikation des allgemeinen negatorischen Anspruchs aus § 1004 Abs. 1 s. 1 BGB, der analog auf alle absoluten Rechte Anwendung findet und verdrängt diesen.
Abmahnkosten
Nach § 97 a Abs. 1 S. 2 hat die Klägerin daher Anspruch auf Ersatz der Abmahnkosten. Dieser ist nunmehr (allerdings noch nicht zum für die Entscheidung relevanten Zeitpunkt) im Regelfall einer Verbraucherabmahnung auf 100 € gedeckelt.
§ 97a Abmahnung
(1) 1Der Verletzte soll den Verletzer vor Einleitung eines gerichtlichen Verfahrens auf Unterlassung abmahnen und ihm Gelegenheit geben, den Streit durch Abgabe einer mit einer angemessenen Vertragsstrafe bewehrten Unterlassungsverpflichtung beizulegen. 2Soweit die Abmahnung berechtigt ist, kann der Ersatz der erforderlichen Aufwendungen verlangt werden.
(2) Der Ersatz der erforderlichen Aufwendungen für die Inanspruchnahme anwaltlicher Dienstleistungen für die erstmalige Abmahnung beschränkt sich in einfach gelagerten Fällen mit einer nur unerheblichen Rechtsverletzung außerhalb des geschäftlichen Verkehrs auf 100 Euro.
Daneben besteht ein Aufwendungsersatzanspruch aus §§ 670, 683 S. 1, 677 BGB (vgl. auch § 102a UrhG).
Schadensersatz
Ein Anspruch auf Schadensersatz ließe sich auf § 97 Abs. 2 UrhG stützen:
(2) 1Wer die Handlung vorsätzlich oder fahrlässig vornimmt, ist dem Verletzten zum Ersatz des daraus entstehenden Schadens verpflichtet. 2Bei der Bemessung des Schadensersatzes kann auch der Gewinn, den der Verletzer durch die Verletzung des Rechts erzielt hat, berücksichtigt werden. 3Der Schadensersatzanspruch kann auch auf der Grundlage des Betrages berechnet werden, den der Verletzer als angemessene Vergütung hätte entrichten müssen, wenn er die Erlaubnis zur Nutzung des verletzten Rechts eingeholt hätte. 4Urheber, Verfasser wissenschaftlicher Ausgaben (§ 70), Lichtbildner (§ 72) und ausübende Künstler (§ 73) können auch wegen des Schadens, der nicht Vermögensschaden ist, eine Entschädigung in Geld verlangen, wenn und soweit dies der Billigkeit entspricht.
Auf Schadensersatz haftet nach § 97 Abs. 2 S. 1 UrhG nur, wer ein fremdes Urheberrecht oder verwandtes Schutzrecht „verletzt“. Das ist jeder, der die Rechtsverletzung als Täter entweder selbst adäquat kausal begeht oder daran als Teilnehmer (Anstifter, Gehilfe) beteiligt ist. Hier sind – trotz des identischen Wortlauts – strengere Maßstäbe anzulegen als bei der Störerhaftung nach § 97 Abs. 1 UrhG, die sich an § 1004 BGB orientiert. Eine Haftung als Täter einer Urheberrechtsverletzung hat der Bundesgerichtshof verneint, weil nicht der Beklagte den fraglichen Musiktitel im Internet zugänglich gemacht hat. Eine Haftung als Gehilfe bei der fremden Urheberrechtsverletzung hätte Vorsatz vorausgesetzt, an dem es im Streitfall fehlte.
Daneben (vgl. § 102a UrhG) in Betrach zu ziehende Ansprüche aus GoA (§§ 687 Abs. 2, 678 BGB) oder § 823 Abs. 1 BGB scheitern am der fehlenden Kenntnis (GoA) bzw. an der Sperrwirkung des spezielleren § 97 Abs. 2 S. 1 UrhG. Ferner sind für das Verschulden nach § 823 Abs. 1 BGB höhere Anforderungen anzusetzen als für die Störerhaftung nach § 1004 BGB, so dass auch aus diesem Grund ein Anspruch ausscheiden kann.
Fazit
Mit der Entscheidung stellt der BGH erstmals klar, welche Sorgfaltsanforderungen für die Bereitstellung eines W-Lan-Zugangs gelten. Damit trägt er zur rechtlichen Erfassung dieses bisher relativ unregulierten Bereichs bei. Das ist richtig: Das Recht muss mit den Möglichkeiten neuer Technologie Schritt halten – auch für sie gelten die allgemeinen Vorgaben der Rechtsordnung. Der BGH sorgt dafür, dass das Internet und der Zugang zu ihm kein „rechtsfreier Raum“ bleiben und trägt damit deren gestiegenen Bedeutung Rechnung.
Inhaltlich fordert er nur „marktübliche“ Vorkehungen. Dies sollte keine allzu großen Schwierigkeiten bedeuten. Dieser Sorgfaltsmaßstab wird sich auch auf die allgemeine zivilrechtliche Störerhaftung aus § 1004 Abs. 1 BGB analog übertragen lassen. Die Deckelung der Abmahnkosten auf 100 € sorgt ferner dafür, dass keine unbilligen Härten entstehen.
Unmittelbar examensrelevant ist die Entscheidung wohl nur in einem Kurzvortrag mit Angabe der relevanten Normen. Ersetzt man die Verletzung des Urheberrechts durch die Verletzung eines anderen absoluten Rechtsguts (z.B. Nutzung des W-Lans für Hackerangriffe), so gelten die allgemeinen zivilrechtlichen Normen (§§ 1004, 823, 677ff. BGB). Dies wäre ein schöner Fall für die mündliche Prüfung, da er die Prüfung bekannter Normen im unbekannten Kontext ermöglicht. So kann die Fähigkeit zu eigenständiger Argumentation geprüft werden.
BGH, Urteil v. 12.5.2010 – I ZR 121/08 – Sommer unseres Lebens
Verfahrensgang: OLG Frankfurt, Urteil vom 1. Juli 2008 – 11 U 52/07 (GRUR-RR 2008, 279), LG Frankfurt, Urteil vom 5. Oktober 2007 – 2/3 O 19/07