Der VI. Zivilsenat des Bundesgerichtshofs hat kürzlich den Umfang und die Grenzen der Verkehrssicherungspflicht eines Waldbesitzers konkretisiert und dabei die Haftung eines Waldbesitzers für die durch einen herabstürzenden Ast verursachte Verletzung eines Fußgängers verneint (Urteil vom 2. Oktober 2012 – VI ZR 311/11).
I. Was ist passiert?
Die Klägerin spazierte im Juli 2006 bei gutem Wetter und leichtem Wind auf einem Forstwirtschaftsweg durch ein Waldgrundstück des Beklagten. Während des Spaziergangs brach von einer circa 5 m neben dem Weg stehenden Eiche ein langer Ast ab und traf sie am Hinterkopf. Sie erlitt eine schwere Hirnschädigung und nahm den Waldbesitzer daraufhin wegen Schadensersatzes in Anspruch.
Nachdem das Landgericht Saarbrücken (Urteil vom 3. März 2010 – 12 O 271/06) in erster Instanz die Klage abgewiesen hat, legte die Klägerin Berufung ein. Daraufhin gab das Saarländische OLG dem Feststellungsantrag statt und bejahte einen Schmerzensgeldanspruch der Klägerin dem Grunde nach (Urteil vom 9. November 2011 – 1 U 177/10-46). Der Beklagte legte sodann Revision beim BGH ein.
II. Rechtliche Würdigung
Bei der Prüfung eines vorliegend in Betracht kommenden deliktsrechtlichen Anspruchs aus § 823 Abs. 1 BGB kam es entscheidend darauf an, ob der Waldbesitzer (legaldefiniert in § 4 BWaldG) eine ihn treffende Verkehrssicherungspflicht verletzt hat (s. dazu auch hier).
Das Saarländische OLG vertrat zunächst die Auffassung, dass ein privater Waldbesitzer jedenfalls eingeschränkt verkehrssicherungspflichtig sei, wenn er Kenntnis davon hat, dass sein Wald regelmäßig von Spaziergängern aufgesucht wird. Er müsse daher im Rahmen gelegentlicher Begehungen seines Waldes die am Rand der Erholungswege stehenden Bäume kontrollieren und gegebenenfalls geeignete Maßnahmen ergreifen, wenn ihm konkrete Anhaltspunkte für eine etwaige besondere Gefährdung auffallen. Das Saarländische OLG bejahte diese Haftungsvoraussetzungen, da von dem Baum schon seit längerer Zeit eine akute Gefahr ausgegangen sei, die ein geschulter Baumkontrolleur bei einer Sichtkontrolle vom Boden aus hätte erkennen müssen.
Der BGH vertrat mit Blick auf § 14 BWaldG und den entsprechenden landesrechtlichen Vorschriften (vorliegend § 25 LWaldG Saarl) hingegen eine andere Sichtweise.
§ 14 BWaldG
(1) Das Betreten des Waldes zum Zwecke der Erholung ist gestattet. Das Radfahren, das Fahren mit Krankenfahrstühlen und das Reiten im Walde ist nur auf Straßen und Wegen gestattet. Die Benutzung geschieht auf eigene Gefahr. Dies gilt insbesondere für waldtypische Gefahren.
(2) Die Länder regeln die Einzelheiten. Sie können das Betreten des Waldes aus wichtigem Grund, insbesondere des Forstschutzes, der Wald- oder Wildbewirtschaftung, zum Schutz der Waldbesucher oder zur Vermeidung erheblicher Schäden oder zur Wahrung anderer schutzwürdiger Interessen des Waldbesitzers, einschränken und andere Benutzungsarten ganz oder teilweise dem Betreten gleichstellen.
§ 25 LWaldG Saar
(1) Das Betreten des Waldes zum Zweck der naturverträglichen Erholung ist jedermann gestattet. […]
[…]
(5) Die Benutzung des Waldes erfolgt auf eigene Gefahr. Besondere Sorgfalts- und Verkehrssicherungspflichten werden nicht begründet.
Dazu heißt es in der Pressemitteilung des BGH:
Nach den im Einklang mit § 14 BWaldG erlassenen landesrechtlichen Vorschriften (hier: § 25 des Waldgesetzes für das Saarland) ist das Betreten des Waldes zu Erholungszwecken jedermann gestattet. Die Benutzung des Waldes geschieht jedoch auf eigene Gefahr. Dem Waldbesitzer, der das Betreten des Waldes dulden muss, sollen dadurch keine besonderen Sorgfalts- und Verkehrssicherungspflichten erwachsen. Er haftet deshalb nicht für waldtypische Gefahren, sondern nur für solche Gefahren, die im Wald atypisch sind. Dazu zählen insbesondere die Gefahren, die nicht durch die Natur bedingt sind. Die Gefahr eines Astabbruchs ist dagegen grundsätzlich eine waldtypische Gefahr. Sie wird nicht deshalb, weil ein geschulter Baumkontrolleur sie erkennen kann, zu einer im Wald atypischen Gefahr, für die der Waldbesitzer einzustehen hätte.
Danach lässt sich konstatieren, dass keine Verkehrssicherungspflicht für waldtypische Gefahren im Waldbestand allgemein und auch nicht auf allgemeinen Waldwegen besteht. Zu den natur- und waldtypischen Gefahren zählen vornehmlich solche, die von lebenden und toten Bäumen, sonstigem Aufwuchs oder natürlichem Bodenzustand ausgehen oder aus der ordnungsgemäßen Bewirtschaftung des Waldes entstehen (vgl. § 2 Abs. 1 LForstG NRW). Eine Haftung kommt demnach nur für atypische Gefahren, d.h. nicht durch die Natur oder durch die Art der Bewirtschaftung vorgegebene, sondern vom Waldbesitzer selbst geschaffene gefahrbegründende Umstände in Betracht.
III. Fazit
Den vom BGH zur Konkretisierung etwaiger Verkehrssicherungspflichten des Waldbesitzers herangezogenen einfachgesetzlichen Regelungen, wonach den Waldbesitzer keine Sorgfalts- und Verkehrssicherungspflichten treffen, liegen im Kern verfassungsrechtliche Erwägungen zugrunde. Eigentum und Besitz an privaten Waldgrundstücken unterfallen mithin dem Schutzbereich des Eigentumsgrundrechts aus Art. 14 GG. Etwaige Einschränkungen dieser verfassungsrechtlich geschützten Eigentumsposition, wie etwa das Waldbetretungsrecht für Jedermann, hat der Waldeigentümer bzw. Waldbesitzer als zulässige Inhalts- und Schrankenbestimmung aus Gründen der Sozialpflichtigkeit des Eigentums hinzunehmen. Eine zusätzliche Aufbürdung umfassender Verkehrssicherungspflichten würde Waldgrundstückseigentümer und Nutzungsberechtigte hingegen in unzumutbarer Weise belasten. Die Entscheidung wird mit sehr hoher Wahrscheinlichkeit künftig Gegenstand von Examens,-Übungs- und/oder Semesterabschlussklausuren sein.