In zwei Entscheidung vom 17.12.2013 (Volltext steht noch aus) (Az. 1 WRB 2.12, 1 WRB 2.12) hat sich das BVerwG mit dem Haar- und Barterlass der Bundeswehr beschäftigt. Wie auch die Schule ist die Bundeswehr ein Tummelplatz für Probleme des allgemeinen und besonderen Verwaltungsrechts und des Prozessrechts. Grund hierfür ist insbesondere die Stellung des Soldaten, einerseits als weisungsgebundener Beamter, andererseits als Bürger mit subjektiven Rechten. Grund genug, sich mit diesem aktuellen Fall zu beschäftigen – vorliegend einmal in Gestalt eines Prüfungsgesprächs im Rahmen der mündlichen Prüfung.
Stellen Sie sich bitte folgenden Sachverhalt vor: Soldat S ist noch vor der Abschaffung der Wehrpflicht freiwillig Wehrdienstleistender. Zu seinem Dienstantritt trug er 40cm lange Haare, die offen auf den Rücken fielen. Seine Haare sicherte er in der Folge mit Haargummis, also zu einem Pferdeschwanz gebunden, der bis zu den Schulterblättern reichte, später trug er die Haare hochgebunden. Dem S wurde mehrfach von seinen Dienstvorgesetzten vorgegeben, seinen Haarschnitt dem sog. Haar- und Barterlass der Bundeswehr anzupassen. Dieser besagt für die Haare männlicher Soldaten:
Haare müssen am Kopf anliegen oder so geschnitten sein, dass Ohren und Augen nicht bedeckt werden; das Haar muss so getragen werden, dass bei aufrechter Kopfhaltung Uniform- und Hemdkragen nicht berührt werden.
Der S sah nicht ein, diese an ihn gerichteten Befehle zu befolgen und legte hiergegen Beschwerde nach der Wehrbeschwerdeordnung ein. Er sieht sich insbesondere in seinem Recht auf Gleichbehandlung verletzt. Nachdem dies erfolglos blieb, erhob er einen Antrag auf gerichtliche Entscheidung beim zuständigen Truppendienstgericht.
Warum wendet sich der S nicht an das nächstgelegene Verwaltungsgericht? Liegt denn keine öffentlich rechtliche Streitigkeit vor?
Der S könnte nur dann vor das Verwaltungsgericht ziehen, wenn der Verwaltungsrechtsweg gem. § 40 VwGO eröffnet wäre.
Unabhängig davon, ob hier eine öffentlich rechtliche Streitigkeit vorliegt, könnten hier aber eine auf- oder abdrängende Sonderzuweisung vorliegen. Zunächst einmal bestimmt § 82 Abs. 1 Soldatengesetz (SG), dass für Klagen der Soldaten aus dem Wehrdienstverhältnis der Verwaltungsrechtsweg gegeben ist. Dies dürfte hier grundsätzlich gegeben sein. Allerdings ist im Falle einer Beschwerde § 17 Abs. 1 Wehrbeschwerdeordnung (WBO) einschlägig. Hiernach kann der Soldat eine gerichtliche Entscheidung beantragen, wenn seine Beschwerde eine Verletzung seiner Rechte oder eine Verletzung von Pflichten eines Vorgesetzten ihm gegenüber zum Gegenstand hat. Das Konkurrenzverhältnis zu den Vorschriften des Soldatengesetzes regelt § 17 Abs. 2 WBO, der festhält, dass das Verfahren vor dem Truppendienstgericht insoweit an die Stelle des Verwaltungsrechtsweges tritt. Es liegt damit eine abdrängende Sonderzuweisung vor.
Die vorliegende Sache wurde in letzter Konsequenz durch das BVerwG entschieden. Unabhängig davon, wie die Sache dorthin gekommen ist – das ist hier zu speziell – fragt sich, wer denn beim BVerwG für diese Rechtsfragen zuständig ist. Eine kleine Hilfestellung: das Aktenzeichen lautet 1 WRB 2.12.
Wenn nach der Zuständigkeit innerhalb des Gerichts gefragt wird, dann ist die funktionale Zuständigkeit gemeint, also die Zuständigkeit der unterschiedlichen Spruchkörper. Die Spruchkörper beim Bundesverwaltungsgericht heißen Senate.
Genau so ist es. Wie finden Sie aber heraus, welcher Senat für welche Sachen zuständig ist?
Das steht im Geschäftsverteilungsplan des Gerichts. Gem. § 21e Abs. 1 Satz 1 GVG verteilt das Präsidium unter anderem die anfallenden Geschäfte. Hierzu wird ein Plan beschlossen, der sog. „Geschäftsverteilungsplan“ gem. § 21e Abs. 9 GVG.
Bevor Sie weitermachen: Warum gibt es denn überhaupt das Erfordernis der Geschäftsverteilung?
Hierdurch wird Art. 101 Abs. 1 Satz 2 GG relevant, wonach niemand seinem gesetzlichen Richter entzogen werden darf. Das bedeutet, dass vor Erhebung einer Klage oder eines sonstigen Rechtsbehelfs feststehen muss, welche Spruchkörper eines Gerichts – hier welcher Senat des BVerwG – für die Sache zuständig sein wird. So wird Missbrauch und Willkür vorgebeugt.
Eine kleine Bonusfrage: Wissen Sie denn auch zufällig, wie viele Senate das BVerwG hat und welcher hier zuständig sein könnte?
Das BVerwG hat derzeit 13 Senate (10 Revisionssenate, 1 Disziplinarsenat sowie 2 Wehrdienstsenate). Funktional zuständig ist einer der Wehrdienstsenate, was man aus dem Aktenzeichen ableiten kann.
Genau, sie sagen richtigerweise, dass das BVerwG 2 Wehrdienstsenate hat. Aber woher weiß ich jetzt, welcher der beiden für unseren S zuständig ist?
Diese Information findet sich ebenso im Geschäftsverteilungsplan des Gerichts. Hier werden Kriterien aufgeführt, nach denen die Zuständigkeit der einzelnen Senate genau feststeht.
Welche Kriterien fallen Ihnen denn hierzu ein?
Denkbar ist eine Differenzierung nach Eingangszeit, Sachgebiet oder Anfangsbuchstaben der Beteiligten.
Richtig, das reicht aus. Wenn die Sache denn nun an unseren intern zuständigen Senat gelangt, was passiert nun? Bekommt jeder Richter eine Kopie der Akte und muss sich einarbeiten?
Nein, es gibt in jedem Verfahren einen sog. Berichterstatter, der primär spruchkörperintern „zuständig“ ist. Dieser arbeitet sich in den Fall ein und berichtet dann den Kollegen über den Sach- und Streitstand.
Richtig. Aber wie genau bestimmt sich, wer denn innerhalb des Spruchkörpers zuständig ist? Immer der Jüngste oder der Kleinste?
Das wird ebenso festgelegt, im Rahmen der sog. Geschäftsverteilung innerhalb der Spruchkörper, § 21 g GVG. Erforderlich ist hierzu ein Beschluss aller, dem Spruchkörper zugehörigen Berufsrichter.
Vielen Dank. Aber nun zurück zur Sache. Ich rufe Ihnen den Sachverhalt nochmal ins Gedächtnis. Ich habe von einem sog. Haar- und Barterlass gesprochen, in dem die genauen Details geregelt sind. Welche Rechtsqualität kommt diesem „Erlass“ denn zu?
Der Erlass ist kein Gesetz. Er ist kein formelles Gesetz, da er nicht vom Parlament beschossen wurde. Ebenso ist er kein materielles Gesetz, also keine Satzung oder Rechtsverordnung. Vielmehr handelt es sich bei dem genannten Erlass um eine bloße Anweisung der Exekutive an nachgeordnete Dienststellen, hier eine Anweisung des Bundesministers der Verteidigung.
Darf denn der Bundesminister derartige Erlässe nach „Gutdünken“ an die untergeordneten Dienststellen richten oder ist er hier an gewissen Einschränkungen gebunden?
Auch der Bundesminister der Verteidigung ist als Teil der Exekutive an die Gesetzmäßigkeit der Verwaltung gebunden, Art. 20 Abs. 3 GG. Er muss also bei dem Runderlass aufgrund eines und nicht gegen ein Gesetz gehandelt haben, Vorbehalt und Vorrang des Gesetzes.
So ist es. Warum gilt denn der Vorbehalt des Gesetzes und in welchem Bereich der Verwaltung ist er zwingend?
Die Verwaltung muss ihrerseits an die Entscheidungen des demokratisch legitimierten Gesetzgebers gebunden sein, dieser muss alle wesentlichen Aspekte selbst regeln, ohne der Verwaltung hier zu freie Hand zu lassen. Dies gilt insbesondere im Rahmen der Eingriffsverwaltung, da hier in Rechte des Bürgers eingegriffen wird.
Lassen Sie mich kurz unterbrechen. Sie sagten, Rechte des Bürgers. Hat der S denn überhaupt derartige Rechte, wenn es um seinen Dienst als Soldat geht oder gibt der diese nicht am Kasernentor ab, wie es so schön heißt?
Nein, auch der Soldat befindet sich im Dienst nicht im grundrechtsfreien Raum. Das verdeutlicht auch Art. 17a GG, der einige Grundrechte als ausdrücklich einschränkbar nennt. Das Allgemeine Persönlichkeitsrecht und der Gleichheitssatz kommen dem S weiterhin zu.
Richtig. Und wie steht es mit dem Vorrang des Gesetzes. Verstößt der Erlass denn nun gegen das Allgemeine Persönlichkeitsrecht?
Jedenfalls der Schutzbereich ist eröffnet. Auch die eigene, persönliche Entscheidung, das eigene Äußere so zu bestimmen, wie man will, fällt in den Schutzbereich des APR. Hierin wurde auch eingegriffen, wobei die Sozialsphäre betroffen ist. Der Eingriff könnte aber gerechtfertigt sein. Hier gilt die Schrankentrias des Art. 2 Abs. 1 GG. Denkbar wäre es, auf die kollidierende verfassungsrechtlich verbriefte Funktionsfähigkeit der Bundeswehr abzustellen. Denn diese wird auch durch ein einheitliches Äußeres sichergestellt. Dazu das BVerwG in seiner Pressemitteilung:
Der spezifische Auftrag und die Funktionsfähigkeit der Streitkräfte sind unverändert in einem hohen Maß durch ein nach außen einheitliches Auftreten und einen nach innen engen Zusammenhalt ihrer Angehörigen geprägt. Einschränkungen der Soldaten in der freien Gestaltung ihrer Haartracht sind deshalb durch das Regelungsziel eines – für das Selbstverständnis und die öffentliche Wahrnehmung bestimmenden – einheitlichen äußeren Erscheinungsbilds der Bundeswehr bei der Erfüllung ihres Verteidigungsauftrags im In- und Ausland gerechtfertigt. Im Hinblick auf die auch den Soldaten in weitem Umfang gewährleisteten Freiheiten zur individuellen Lebensgestaltung stellt die im Äußerlichen bleibende Regelung der Haartracht ein verhältnismäßiges Mittel dar, zumal keine „Einheitsfrisur“ verordnet, sondern lediglich äußere Grenzen gesetzt werden.
Auch ein Verstoß gegen den Gleichheitssatz gem. Art. 3 GG wäre abzulehnen. Dabei dient die Möglichkeit für Frauen, längere Haare zu tragen, der Frauenförderung und ist dem Umstand geschuldet, dass an ein Erscheinungsbild der Frauen noch keine öffentliche Erwartungshaltung geknüpft ist. Dazu das BVerwG in seiner Pressemitteilung:
Die Regelung über die Haartracht von Soldatinnen, die diesen auch das Tragen längerer Haare gestattet, stellt eine zulässige Maßnahme zur Förderung von Frauen in der Bundeswehr dar, die die striktere Regelung der Haartracht für männliche Soldaten nicht in Frage stellt. Im Anschluss an die allgemeine Öffnung der Bundeswehr für Frauen im Januar 2001 und bei einem Anteil der Frauen in den Streitkräften von derzeit rund 10 % hat sich für das äußere Erscheinungsbild von Soldatinnen noch keine Tradition oder Erwartungshaltung innerhalb der Bundeswehr und in der Öffentlichkeit verfestigt.
Vielen Dank, die Prüfung ist beendet.
Fazit: Das Wissen zu den einzelnen Rechtswegen ist nicht Pflicht. Aber zumindest eine Idee sollte man haben. Die Vorschrift des § 82 SG kann bekannt sein. Die Fragen zum Geschäftsverteilungsplan und Art. 102 GG sind Pflichtstoff. Bei der Grundrechtsprüfung kommt es natürlich weniger auf das Ergebnis, sondern mehr auf die Qualität der Argumente an.
Weitere haarige Entscheidungen:
- BVerwG, Urteil vom 02.03.2006, Az. 2 C 3.05. Hier hat das BVerwG für die betroffenen Polizeibeamten entschieden.
- Truppendienstgericht Süd, Beschluß vom 4. 1. 2005, Az. S4 – BLc 18/04 auch zum Haar- und Barterlass.
- OVG Koblenz, Beschluss vom 22.09. 2003, Az. 2 B 11357/03.OVG.