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Schlagwortarchiv für: gute Sitten

Lena Bleckmann

Tindern nur in Grenzen erlaubt – Soldatin darf sich nicht zu freizügig verhalten

Öffentliches Recht, Rechtsgebiete, Rechtsprechung, Startseite, Verfassungsrecht, Verwaltungsrecht

Soldaten und Soldatinnen dürfen bei Tinder nicht zu offensiv nach Sexualkontakten suchen. In diesem Sinne hat das Bundesverwaltungsgericht mit Beschluss vom 25.5.2022 über die Rechtsbeschwerde einer Bataillonskommandeurin der Bundeswehr entschieden. Bislang liegt allein die Pressemitteilung des Gerichts vor (PM. Nr. 34/2022 v. 25.5.2022). In der öffentlichen Debatte ist die Entscheidung aber bereits präsent – daher hier die wichtigsten Eckpunkte und Fragestellungen.

I. Worum geht es?

Die Bataillonskommandeurin (ein Bataillon ist nach der Definition des Dudens eine Truppenabteilung bzw. ein Verband mehrerer Kompanien oder Batterien, der Kommandeur bzw. die Kommandeurin führt diesen Verband) Anastasia B. ist innerhalb der Bundeswehr und darüber hinaus bekannt. Sie ist offen trans*. In ihrem privaten Tinder-Profil verwendete sie den Text „Spontan, lustvoll, trans*, offene Beziehung auf der Suche nach Sex. All genders welcome.“ Das Profil enthielt dabei ihren Vornamen und ein Bild, auf dem sie selbst deutlich zu erkennen war.  Hieran anknüpfend erhielt sie einen disziplinarrechtlichen Verweis. Der Verweis ist der förmliche Tadel eines bestimmten pflichtwidrigen Verhaltens eines Soldaten, siehe § 23 Abs. 1 Wehrdisziplinarordnung. Die Tinder-Nutzung in ihrer konkreten Ausgestaltung wurde mithin als Verletzung der Dienstpflichten gewertet. Diese Bewertung wurde durch das Truppendienstgericht und nunmehr auch – wenn auch mit leicht abweichender Begründung – durch das Bundesverwaltungsgericht gebilligt.

II. Die Erwägungen des Bundesverwaltungsgerichts

Während das Truppendienstgericht noch  mit dem guten Ruf der Bundeswehr argumentierte, der durch ein entsprechendes Auftreten der Bataillonskommandeurin beeinträchtigt werden soll, geht das BVerwG davon aus, dass aus den privaten Aktivitäten der Soldatin auf dem Datingportal in der Öffentlichkeit keine Rückschlüsse auf die Bundeswehr als Ganzes gezogen werden können.

Auch betont das BVerwG das Recht auf sexuelle Selbstbestimmung als Bestandteil des Allgemeinen Persönlichkeitsrechts nach Art. 2 Abs. 1 GG i.V.m. Art. 1 Abs. 1 GG. Hierzu gehöre auch, dass der Einzelne über seine geschlechtlichen Beziehungen frei bestimmen und sich für ein promiskuitives Sexualverhalten entscheiden könne. Ein solches Verhalten muss auch nicht allein in der engsten persönlichen Lebenssphäre stattfinden: Das Recht auf sexuelle Selbstbestimmung besteht nach den Ausführungen des BVerwG über die Intimsphäre hinaus auch in der Privat- und ebenso in der Sozialsphäre des Einzelnen. Der Schutz erstrecke sich auch darauf, im Internet Kontakte mit Gleichgesinnten zu suchen. Dieser grundrechtliche Schutz war vom Truppendienstgericht nicht ausdrücklich berücksichtigt worden.

Das BVerwG gelangt am Ende aber trotzdem nicht zu einem anderen Ergebnis als die Vorinstanz. Zur Begründung der Berechtigung des Verweises als disziplinarische Maßnahme verweist das Gericht auf die auch außerhalb des Dienstes bestehende Wohlverhaltenspflicht eines Soldaten. Nach § 17 Abs. 2 S. 1 Soldatengesetz muss das Verhalten des Soldaten „dem Ansehen der Bundeswehr sowie der Achtung und dem Vertrauen gerecht werden, die sein Dienst als Soldat erfordert“. Das Auftreten der Bataillonskommandantin im Internet wird der Achtung und dem Vertrauen, die der Dienst erfordert, nach Ansicht des BVerwG nun wohl nicht gerecht. Aufgrund der „besonders hervorgehebenen dienstlichen Stellung einer Bataillonskommandeurin mit Personalverantwortung für ca. 1.000 Personen“ scheint das Gericht erhöhte Anforderungen an das Auftreten in der Öffentlichkeit auch im privaten Kontext zu stellen. Die außerdienstliche Wohlverhaltenspflicht verlange, dass die Betroffene bei der Wahl der verwendeten Worte und Bilder im Internet Rücksicht auf ihre berufliche Stellung nehme. Sie müsse daher Formulierungen vermeiden, die den falschen Eindruck eines wahllosen Sexuallebens und eines erheblichen Mangels an charakterlicher Integrität erwecken. Die von der Soldatin verwendete Profilbeschreibung erwecken nun aber nach Ansicht des Gerichts gerade Zweifel an der erforderlichen charakterlichen Integrität. Der Onlineauftritt stellt nach dieser Bewertung mithin einen Verstoß gegen die Wohlverhaltenspflicht und damit einen tauglichen Gegenstand einer Disziplinarmaßnahme, namentlich des Verweises als mildester Maßnahme dar.

 III. Ausblick

Die Pressemitteilung ist ausgesprochen kurz gehalten. Die wesentlichen Erwägungen des BVerwG lassen sich ihr zwar entnehmen, dennoch ist die ausführliche Entscheidungsbegründung mit Spannung zu erwarten. Der Verweis auf die dienstliche und außerdienstliche Wohlverhaltenspflicht von Soldaten findet sich in der jüngeren Rechtsprechung der Verwaltungsgerichte insbesondere im Hinblick auf politische Äußerungen, die Zweifel an der Verfassungstreue aufkommen lassen (siehe etwa BVerwG, Urt. v. 13.1.2022 – 2 WD 4/21, NVwZ-RR 2022, 385; Beschl. v. 10.10.2019 – 2 WDB 2/19, NVwZ-RR 2020, 694; OVG Münster, Beschl. v. 27.1.2022 – 1 B 1756/21, BeckRS 2022, 1160; VG Stuttgart, Beschl. v. 9.3.2022 – 14 K 5778/21, BeckRS 2022, 5547) oder auf von Soldaten verübte Straftaten (BVerwG, Urt. v. 10.2.2022 – 2 WD 1.21, BeckRS 2022, 11476; Urt. v. 14.10.2021 – 2 WD 26.20, BeckRS 2021, 41961).

Ob die sexuelle Promiskuität sich hier ohne weiteres einreiht, etwa mit antisemitischen oder beleidigenden Äußerungen, Körperverletzungen oder anderen Straftaten gleichgesetzt werden kann, darf durchaus bezweifelt werden. Zwar erfordert ein Verstoß gegen die Wohlverhaltenspflicht nicht, dass der Tatbestand eines Strafgesetzes verwirklicht wird (BVerwG, Urt. v. 13.1.2022 – 2 WD 4/21, NVwZ-RR 2022, 385 (Rn. 40)). Ein Soldat müsse sich insbesondere dann in seinem privaten Verhalten mäßigen, wenn dabei ein besonderer Bezug zur Dienstausübung, d.h. zu seinem militärischen Auftrag, zu seinen Kameraden oder zur Bundeswehr besteht (siehe ebenda). Die Verwendung des Wortes „insbesondere“ durch das BVerwG legt weiterhin nahe, dass ein besonderer Bezug zur Dienstausübung – der im hiesigen Fall gerade fehlt – keine zwingende Voraussetzung für die Annahme eines Verstoßes gegen die Wohlverhaltenspflicht ist. In der Gesamtabwägung scheint es dennoch geboten, zu berücksichtigen, ob und inwiefern ein Bezug des privaten Verhaltens zum Dienst des Soldaten steht. Je weniger verwerflich das private Verhalten, desto höhere Anforderungen wird man an den Dienstbezug stellen müssen.

Ob das Verhalten der Bataillonskommandantin im vom BVerwG zu entscheidenden Fall nun überhaupt als verwerflich einzustufen ist und (bejahendenfalls) in welchem Maße dem so ist, ist eine Frage, deren Beantwortung sich ganz maßgeblich an den moralischen Wertvorstellungen des Betrachters orientiert. Anders als etwa im Hinblick auf rechtsradikale Äußerungen dürfte die Bewertung auch in der politischen Mitte hier je nach Kreis der Befragten ausgesprochen unterschiedlich ausfallen. Konservativere Beobachter mögen argumentieren, das mit der festen Partnerschaft zweier Personen einhergehende Wertekonzept sei ebenso in der Verfassung verankert, wie die freiheitlich demokratische Grundordnung. Offen ausgelebtes, sexuell promiskuitives Verhalten könnte dann als mit den geltenden gesellschaftlichen Wertvorstellungen unvereinbar eingeordnet werden. Dann ist wohlgemerkt eine Abwägung dieser Verfassungswerte mit dem Allgemeinen Persönlichkeitsrecht des Betroffenen vorzunehmen. Angehörige des progressiveren Lagers und insbesondere jüngere Personen, die mit der Nutzung von Dating-Apps womöglich eher vertraut und an einen promiskuitiven Lebensstil einiger Nutzer gewissermaßen gewöhnt sind – mag es auch nicht ihrem eigenen Lebensentwurf entsprechen –, werden hier wohl toleranter, jedenfalls gleichgültiger sein. Der Schluss vom Sexualleben auf die fehlende charakterliche Integrität wird gerade in diesen Kreisen eher verwundern und vielfach Anstoß finden. In den Ausführungen des BVerwG in der aktuellen Pressemitteilung wirkt dieser Schluss tatsächlich etwas eilig. Gerade in diesem Punkt sind jedoch die ausführlichen Entscheidungsgründe abzuwarten – sie werden zeigen, inwiefern die Erwägungen des Gerichts in verschiedenen Gesellschaftsgruppen anschlussfähig sind.

Entscheidungen wie die vorliegende, die von moralisch-sittlichen Wertvorstellungen geprägt sind, sind immer nur eine Momentaufnahme dahingehend, welche Vorstellungen zur Zeit der Entscheidung vorherrschend sind. Diese Problematik ist aus dem Zivilrecht im Hinblick auf die Beurteilung der Sittenwidrigkeit bekannt. Sittliche Vorstellungen unterliegen einem steten Wandel – ein Wandel in verschiedene Richtungen und in unterschiedlicher Geschwindigkeit je nach gesellschaftlicher Schicht. Es ist gut denkbar, dass die Einschätzung zutrifft, ein allzu öffentlich ausgelebter, sexuell promiskuitiver Lebensstil sei mit dem in weiten Teilen der Gesellschaft vorherrschenden Wertefundament nicht vereinbar, und dass die Anhänger dieser Wertvorstellung auch von einem solchen Lebensstil auf die Integrität und die Eignung des Betroffenen für bestimmte Tätigkeiten schließen. Es ist jedoch ebenso denkbar, dass die Bewertung in fünf oder auch zehn Jahren ganz anders ausfallen würde – dann müsste auch die Entscheidung in einem Fall wie dem hier besprochenen eine andere sein.

02.06.2022/0 Kommentare/von Lena Bleckmann
https://www.juraexamen.info/wp-content/uploads/2022/05/je_logo.svg 0 0 Lena Bleckmann https://www.juraexamen.info/wp-content/uploads/2022/05/je_logo.svg Lena Bleckmann2022-06-02 08:39:002022-08-03 08:31:47Tindern nur in Grenzen erlaubt – Soldatin darf sich nicht zu freizügig verhalten
Dr. Yannik Beden, M.A.

Examensrelevante Rechtsprechung im Überblick: Strafrecht (Quartal 3/2018)

Rechtsgebiete, Rechtsprechungsübersicht, Schon gelesen?, Startseite, StPO, Strafrecht, Strafrecht, Strafrecht AT, Strafrecht BT, Verschiedenes

Sowohl während des Studiums, als auch in der Vorbereitung auf Examensklausuren oder die mündliche Prüfung: Nur wer die aktuelle Rechtsprechung im Blick hat, ist auf neue Sachverhaltskonstellationen gut vorbereitet. Für das dritte Quartal 2018 haben wir euch im Zivilrecht und Öffentlichen Recht bereits die prüfungsrelevantesten Gerichtsentscheidungen präsentiert. Zur Vervollständigung unseres Quartalsberichts werden im nachstehenden Beitrag die wichtigsten Urteile und Beschlüsse zum materiellen Strafrecht und Strafprozessrecht besprochen:
I. Materielles Strafrecht
1. BGH Beschl. v. 5.7.2018 – 1 StR 201/18 zu den Rücktrittsanforderungen bei beendetem Versuch gem. § 24 Abs. 1 S. 1 Var. 2 StGB
Die Entscheidung des Ersten Senats betraf den Rücktritt vom versuchten Mord, §§ 211, 22, 23 StGB sowie der versuchten Brandstiftung mit Todesfolge, §§ 306c, 22, 23 StGB. Im zu entscheidenden Fall setzte der Angeklagte – ein Mitglied der Freiwilligen Feuerwehr – ein mehrstöckiges Wohnhaus in Brand, um dadurch einen Feuerwehreinsatz auszulösen und im Anschluss an der Bekämpfung des Feuers mitzuwirken. Damit wollte der Täter die auszulobende Einsatzvergütung erlangen, um seine schlechte finanzielle Situation aufzubessern. Der Täter wirkte dabei nicht vor Ort, sondern verrichtete seine Dienste in der Funkzentrale. Der BGH sah hierdurch die Voraussetzungen des Rücktritts vom beendeten Versuch nach § 24 Abs. 1 S. 1 Var. 2 StGB nicht erfüllt. Eine – für einen wirksamen Rücktritt notwendige – eigene Kausalkette, die für die Nichtvollendung der Tat zumindest mitursächlich ist, habe der Täter durch sein Verhalten nicht in Gang gesetzt:

„Nach der Rechtsprechung des BGH kommt ein Rücktritt vom Versuch gem. § 24 Absatz I 1 Var. 2 StGB schon dann in Betracht, wenn der Täter unter mehreren Möglichkeiten der Erfolgsverhinderung nicht die sicherste oder „optimale“ gewählt hat, sofern sich das auf Erfolgsabwendung gerichtete Verhalten des Versuchstäters als erfolgreich und für die Verhinderung der Tatvollendung als ursächlich erweist. Es kommt nicht darauf an, ob dem Täter schnellere oder sicherere Möglichkeiten der Erfolgsabwendung zur Verfügung gestanden hätten; das Erfordernis eines „ernsthaften Bemühens“ gem. § 24 Absatz I 2 StGB gilt für diesen Fall nicht. Erforderlich ist aber stets, dass der Täter eine neue Kausalkette in Gang gesetzt hat, die für die Nichtvollendung der Tat ursächlich oder jedenfalls mitursächlich geworden ist. Ohne Belang ist dabei, ob der Täter noch mehr hätte tun können, sofern er nur die ihm bekannten und zur Verfügung stehenden Mittel benutzt hat, die aus seiner Sicht den Erfolg verhindern konnten.“

2. BGH Beschl. v. 7.8.2018 – 3 StR 47/18 zum Totschlag in besonders schwerem Fall
Die bisherige Rechtsprechung zur Frage, wann von einem besonders schweren Fall eines Totschlags i.S.v. § 212 Abs. 2 StGB ausgegangen werden kann, wurde vom BGH nochmals bestätigt. Es handelt sich um ein Problem der Strafzumessung, welches grundsätzlich eine Würdigung und Abwägung aller Einzelfallumstände bedarf. Im Ausgangspunkt nimmt die Rechtsprechung erst dann einen besonders schweren Fall an, wenn das Verschulden des Täters ebenso schwer wiegt wie das eines Mörders nach § 211 StGB. Dieses Verständnis liegt bereits aufgrund des gleichen Strafmaßes (lebenslange Freiheitsstrafe!) nahe. Im Einzelnen führte das Gericht aus:

„Ein besonders schwerer Fall des Totschlags setzt voraus, dass das in der Tat zum Ausdruck kommende Verschulden des Täters außergewöhnlich groß ist. Es muss ebenso schwer wiegen wie das eines Mörders. Dafür genügt nicht schon die bloße Nähe der die Tat oder den Täter kennzeichnenden Umstände zu gesetzlichen Mordmerkmalen. Es müssen vielmehr schulderhöhende Gesichtspunkte hinzukommen, die besonders gewichtig sind“

Sowohl in subjektiver als auch objektiver Hinsicht bedarf es jedoch mehr als einer bloßen Möglichkeit, dass der Täter gleichermaßen wie ein Mörder hätte handeln können. Für den vom Dritten Senat zu entscheidenden Fall bedeutete das:

„Daraus, dass „zahlreiche, nicht fernliegende Handlungsalternativen und Motivationslagen in Betracht“ kommen, die Mordmerkmale ausfüllen könnten, ergibt sich indes noch keine Nähe zu diesen. Das gilt insbesondere in Bezug auf die subjektive Tatseite. So vermochte die Strafkammer keine Feststellungen zu den „Vorstellungen und Motiven“ des Angeklagten zu treffen. Damit fehlt es an einer tragfähigen Grundlage für die Annahme, dass eine Nähe zu den Mordmerkmalen der niedrigen Beweggründe oder der Verdeckungsabsicht bestehe. Entsprechendes gilt im Hinblick auf das Mordmerkmal der Heimtücke. Da die Strafkammer nicht ausschließen konnte, dass das Kind zum Zeitpunkt des ersten mit Tötungsvorsatz geführten Angriffs nicht mehr arglos war, kann nicht ohne Weiteres von einer Nähe zu heimtückischem Handeln ausgegangen werden.“

Deutlich wird, dass der BGH für das Merkmal der „Nähe zum Mord“ äußerst hohe Anforderungen stellt. In der Klausur bedeutet das, dass in Ermangelung eines Mordmerkmals tendenziell von einem „normalen“ Totschlag gem. § 212 Abs. 1 StGB und nicht von einem besonders schweren Fall ausgegangen werden sollte.
3. BGH Beschl. v. 8.8.2018 – 2 ARs 121/18 zur Strafvereitelung durch einen Strafverteidiger – § 258 StGB
Im streitgegenständlichen Verfahren teilte der Strafverteidiger der Ermittlungsbehörde wahrheitswidrig mit, dass die gesuchten Unterlagen sich in der Garage seines Mandanten befänden, obwohl sich tatsächlich noch wesentliche Teile der Dokumente in den Räumlichkeiten des Strafverteidigers befanden. Zudem erklärte der Strafverteidiger nach einer Sichtung seiner Büroräume, im Rahmen derer beweiserhebliche Materialien gefunden wurden, dass er über keine weiteren Beweismittel dieser Art verfüge, obwohl er jedenfalls über einen weiteren Ordner mit wichtigen Beweisurkunden verfügte. Der BGH entschied hier:

„Eine Strafvereitelung in diesem Sinn kann auch durch Vereitelung des staatlichen Beschlagnahmezugriffs auf Beweisgegenstände durch einen Strafverteidiger begangen werden. So gehen etwa wahrheitswidriges Bestreiten des Besitzes gesuchter Beweisurkunden und ein falscher Hinweis auf einen anderweitigen Belegenheitsort zur Vereitelung eines bevorstehenden Beschlagnahmezugriffs über die Grenzen zulässiger Strafverteidigung hinaus. Ein solches Verhalten erfüllt den Tatbestand der Strafvereitelung, wenn dadurch der Abschluss des staatlichen Strafverfahrens für geraume Zeit verzögert wird und der Strafverteidiger absichtlich oder wissentlich handelt.
[…]
Anders liegt es, wenn durch die Ermittlungsbehörde oder das Strafgericht die Herausgabe solcher Beweismittel, die nicht originär durch die Verteidigung hervorgebracht wurden, verlangt (§ 95 Abs. 1 StPO) oder deren Beschlagnahme (§ 94 Abs. 2 StPO) angestrebt wird. In diesem Fall darf der Verteidiger solche Beweismittel, die nicht spezifisches Verteidigungsmaterial darstellen, nicht dem staatlichen Zugriff entziehen, indem er sie verborgen hält oder falsche Angaben zum Belegenheitsort macht. In Bezug auf solche Beweismittel, namentlich „verfängliche Geschäftsunterlagen“, besteht kein Beschlagnahmeverbot gemäß § 97 Abs. 1 Nr. 3 StPO.
[…]
Der Verteidiger darf „Überführungsstücke“, auf die ein staatlicher Beschlagnahmezugriff zielt, nicht in seinen Räumen verstecken. Sein Mandat soll nicht dazu genutzt werden können, gesuchten Beweisgegenständen „Asyl“ zu gewähren. Erst recht gestattet keine der Regelungen zum Schutz des Vertrauensverhältnisses gemäß §§ 53, 97, 160a, 148 StPO es dem Strafverteidiger, falsche Angaben über seinen Besitz an Beweisgegenständen zu machen.“

4. BGH Urt. v. 15.5.2018 – 2 StR 152/18 zur Sittenwidrigkeit einer Körperverletzung nach § 228 StGB
Wird in eine Körperverletzung eingewilligt, ist die Tat nur rechtswidrig, wenn sie trotz Einwilligung gegen die „guten Sitten“ verstößt. Dieses äußert weit gefasste Merkmal konkretisierte der BGH erneut. Für die ex-ante zu bestimmende Sittenwidrigkeit sei vordergründig auf die Art und Schwere des Rechtsgutsangriffs abzustellen. Die Tat müsse in Anbetracht des Umfangs der Verletzung sowie des damit verbundenen Gefahrengrads für Leib und Leben trotz Einwilligung des Rechtsgutsträgers „nicht mehr als von der Rechtsordnung hinnehmbar erscheinen“. Viel ist damit freilich noch nicht gesagt, da auch der Begriff der Hinnehmbarkeit vieles bedeuten kann. Der BGH grenzt allerdings ein: Ebenso wie die Zwecksetzung der Tat sei unbeachtlich, welche gesellschaftliche Vorstellung über die Tat vorliegen mögen.

„Die Weite und Konturenlosigkeit des Merkmals der guten Sitten in § 228 StGB erfordert, dieses strikt auf das Rechtsgut der Körperverletzungsdelikte zu beziehen und auf seinen Kerngehalt zu reduzieren. Gesellschaftliche Vorstellungen oder der durch die Tat verfolgte Zweck können lediglich dazu führen, dass ihretwegen eine Einwilligung trotz massiver Rechtsgutsverletzungen Wirksamkeit entfalten kann. Zur Feststellung eines Sittenverstoßes und damit – über die Unbeachtlichkeit der Einwilligung – zur Begründung der Strafbarkeit von einvernehmlich vorgenommenen Körperverletzungen können sie nicht herangezogen werden.“ 

5. BGH Beschl. v. 12.6.2018 – 3 StR 171/17 zum subjektiven Schadenseinschlag beim Betrug (Nachtrag zu Quartal 2/2018)
Besondere Prüfungsrelevanz dürfte die Entscheidung des BGH zu den Grundsätzen des subjektiven Schadenseinschlags bei § 263 StGB haben. Das Gericht konkretisierte die Anforderungen an den persönlichen Schadenseinschlag: Ausgehend vom Grundsatz, dass ein Vermögensschaden trotz objektiver Gleichwertigkeit der Gegenleistung auch vorliegen kann, wenn diese für das Opfer unter Berücksichtigung der individuellen und wirtschaftlichen Bedürfnisse und Verhältnisse subjektiv wertlos ist, stellte der Dritte Senat nun fest:

„Insofern kann als Schaden die gesamte Leistung des Gesch. anzusehen sein, wenn die Gegenleistung nicht oder nicht in vollem Umfange zu dem vertraglich vorausgesetzten Zweck brauchbar ist und er sie auch nicht in anderer zumutbarer Weise verwenden, namentlich ohne besondere Schwierigkeiten wieder veräußern kann“  

Da im streitgegenständlichen Verfahren die verkauften Geräte nur mit „erheblichen Verlusten“ hätten weiterveräußert werden können, nahm der BGH einen persönlichen Schadenseinschlag und mithin einen Vermögensschaden an. Eine ausführliche Besprechung dieses besonders prüfungsrelevanten Urteils findet sich im hierzu erstellen Beitrag von Sebastian Rombey.
II. Strafprozessrecht
1. BGH Urt. v. 4.7.2018 – 5 StR 46/18 zur Verhandlungsunfähigkeit eines Angeklagten
Die Entscheidung behandelt die Grenze zur Verhandlungsunfähigkeit bei einem Angeklagten, dessen geistige, psychische oder körperliche Fähigkeit zur Wahrnehmung seiner Verteidigungsrechte eingeschränkt ist. Der 5. Strafsenat geht von einer Verhandlungsunfähigkeit erst aus, wenn dem Angeklagten auch bei Inanspruchnahme verfahrensrechtlicher Hilfe – also insbesondere einem Verteidiger – eine eigenständige, selbstverantwortliche Entscheidungen über die wesentlichen Belange seiner Verteidigung sowie eine sachgerechte Wahrnehmung der ihm zustehenden Verfahrensrechte nicht mehr möglich ist. Dabei geht es vor allem um solche Verfahrensrechte, die der Angeklagte selbst, d.h. persönlich wahrnehmen muss. Danach soll es speziell für das Revisionsverfahren ausreichen, wenn der Beschwerdeführer zumindest zeitweilig zur Konsensfindung mit seinem Verteidiger darüber, ob das Rechtsmittel aufrechterhalten oder zurückgenommen werden soll, in der Lage ist.

„Verhandlungsfähigkeit im strafprozessualen Sinne bedeutet, dass der Angekl. in der Lage sein muss, seine Interessen in und außerhalb der Verhandlung vernünftig wahrzunehmen, die Verteidigung in verständiger und verständlicher Weise zu führen sowie Prozesserklärungen abzugeben und entgegenzunehmen. Dies bedeutet aber nicht, dass der Angekl. auch tatsächlich fähig sein muss, die ihm gesetzlich eingeräumten Verfahrensrechte in jeder Hinsicht selbständig und ohne fremden Beistand wahrzunehmen. Auch bei solchen Angekl., deren geistige, psychische oder körperliche Fähigkeit zur Wahrnehmung der Verteidigungsrechte eingeschränkt ist, muss die Schuld- und Straffrage in einem rechtsstaatlichen Strafverfahren geklärt und entschieden werden können. Danach liegt Verhandlungsunfähigkeit bei solchen Einschränkungen der geistigen, psychischen oder körperlichen Fähigkeiten nicht vor, wenn die Auswirkungen dieser Einschränkungen auf die tatsächliche Wahrnehmung der Verfahrensrechte durch Hilfen für den Besch. hinreichend ausgeglichen werden können. Die Grenze zur Verhandlungsunfähigkeit ist erst dann überschritten, wenn dem Angekl. Auch bei Inanspruchnahme solcher verfahrensrechtlichen Hilfen eine selbstverantwortliche Entscheidung über grundlegende Fragen seiner Verteidigung und eine sachgerechte Wahrnehmung der von ihm persönlich auszuübenden Verfahrensrechte nicht mehr möglich ist“

2. BGH Beschl. v. 5.7.2018 – 1 StR 42/18 zur Selbstbelastungsfreiheit, § 136 Abs. 1 S. 2 StPO
Äußert sich der Angeklagte nicht zu den Gründen seines Aufenthalts am Ort seiner polizeilichen Festnahme und stellt das erkennende Gericht sowohl in seiner Beweiswürdigung, als auch seiner rechtlichen Würdigung ausdrücklich hierauf ab, wird das Schweigen zum Nachteil des Angeklagten gewertet, sein Schweigerecht mithin konterkariert. Dies verstößt gegen die Grundsätze eines fairen Verfahrens und gegen den Grundsatz der Selbstbelastungsfreiheit gem. §§ 136 Abs. 1 S. 2, 243 Abs. 5 S. 1 StPO:

„Der Grundsatz, dass niemand im Strafverfahren gegen sich selbst auszusagen braucht, insoweit also ein Schweigerecht besteht, ist notwendiger Bestandteil eines fairen Verfahrens. Es steht dem Angeklagten frei, sich zu äußern oder nicht zur Sache auszusagen (§ 136 Abs. 1 Satz 2, § 243 Absatz 5 Satz 1 StPO). Macht ein Angeklagter von seinem Schweigerecht Gebrauch, so darf dies nicht zu seinem Nachteil gewertet werden. So liegt der Fall aber hier.
Es ist zwar rechtlich zutreffend, dass der Zweifelssatz es nicht gebietet, zugunsten eines Angeklagten Geschehensabläufe zu unterstellen, für deren Vorliegen keine Anhaltspunkte bestehen. Das Landgericht stellt jedoch in seiner Beweiswürdigung, aber auch in der rechtlichen Würdigung, an mehreren Passagen ausdrücklich darauf ab, dass sich die Angeklagten nicht zu den Gründen ihres Aufenthalts im Bereich des Festnahmeortes geäußert oder erklärt haben. Damit wird im Ergebnis zum Nachteil gewertet, dass die Angeklagten von ihrem Schweigerecht Gebrauch gemacht haben.“


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23.10.2018/1 Kommentar/von Dr. Yannik Beden, M.A.
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