Eine juristisch und praktisch äußerst spannende Fragestellung mit hoher juristischer Relevanz für das Erste und Zweite Staatsexamen hat der Bundesgerichtshof am heutigen Tag (BGH v. 11.3.2016 – V ZR 208/15) entschieden. Es geht um die Frage, ob ein dingliches Wohnrecht für den Fall, dass der Berechtigte den bisherigen Eigentümer getötet hat gekündigt werden kann.
Der Fall, der in den häufig vernachlässigten Gefilden der §§ 1018 ff. BGB stattfindet, ermöglicht eine sehr gute Wiederholung der allgemeinen Grundsätze der (Grund)dienstbarkeiten und eignet sich ob der unbekannten Materie, die aber mit allgemeinen juristischen Fähigkeiten gelöst werden kann perfekt für eine Klausur im ersten und erst recht im zweiten Staatsexamen.
I. Folgender Sachverhalt lag zugrunde:
Der Beklagte war zusammen mit seinem Bruder Eigentümer eines Hausgrundstücks in Leipzig. Anfang 1997 übertrug er seinen hälftigen Miteigentumsanteil auf den Bruder, behielt sich aber ein dingliches Wohnungsrecht an der Wohnung im Obergeschoss des Anwesens vor. Beides wurde in das Grundbuch eingetragen. Im Mai 2012 erstach der Beklagte seinen Bruder während eines Streits und wurde wegen Totschlags zu einer Freiheitsstrafe von 9 Jahren und 9 Monaten verurteilt. Erbin des Getöteten und damit Eigentümerin des Grundstücks wurde dessen Mutter. Der Beklagte wurde in einem Zivilrechtsstreit rechtskräftig für erbunwürdig erklärt.
Die frühere Ehefrau des Getöteten wohnt weiterhin auf dem Grundstück. Die Klägerin, die nicht auf dem Grundstück lebt, verlangt von dem Beklagten die – bedingungslose – Zustimmung zur Löschung des Wohnungsrechts.
II. Fraglich ist, ob eine solche Kündigung hier möglich ist.
Dabei sollte in der Klausur zunächst festgestellt werden, dass eine Dienstbarkeit, also ein Recht auf Duldung der Benutzung eines Grundstücks (§ 1018 BGB) bestellt wurde. Hier dürfte wohl der besonders geregelte Fall eines dinglichen Wohnungsrechts als beschränkte persönliche Dienstbarkeit iSd. §§ 1090, 1093 BGB vorliegen. Die Abgrenzung zu § 1018 BGB ist oftmals problematisch (vgl. hierzu MittBayNot 2010, 388). Als dingliches Recht bedarf es jedenfalls gemäß § 873 BGB der Einigung und Eintragung. Auch hier können bereits Probleme auftreten (bspw. Gutgläubigkeit etc.). Im konkreten Fall war dies aber unproblematisch.
Fraglich ist aber, ob ein Erlöschen dieses Rechts hier möglich ist. Das Gesetz sieht keinen speziellen Kündigungstatbestand vor, sodass ein Erlöschen des dinglichen Rechts nur durch Aufhebung (§ 875 BGB – übereinstimmende Vereinbarung der Parteien), kraft Gesetzes oder durch Hoheitsakt möglich ist. Auch hier können bspw. Probleme im Rahmen der Aufhebung konstruiert werden. Im konkreten Fall liegt weder eine rechtsgeschäftliche Aufhebung noch ein gesetzlicher Erlöschensgrund vor.
Fraglich ist aber, ob sich aus den Grundsätzen von Treu und Glauben (§ 242 BGB) ein ungeschriebenes Kündigungsrecht ergeben kann, da der Berechtigte der Grunddienstbarkeit gemäß § 2339 Abs. 1 Nr. 1 BGB erbunwürdig ist. Ob sich hieraus überhaupt – gegen die mglw. abschließenden gesetzlichen Regelungen – ein Kündigungsrecht ergeben kann, lässt der BGH hier offen, da jedenfalls die Voraussetzungen eines solchen Anspruchs nicht vorliegen. Der BGH legt dazu dar:
Zwar ist es Personen, die dem Getöteten nahe standen und die weiterhin auf dem mit dem Wohnungsrecht belasteten Grundstück wohnen, im Allgemeinen nicht zumutbar, mit dem Täter unter einem Dach zu leben. Auch in einer solchen Situation kommt ein Anspruch auf Aufgabe des Wohnungsrechts aber nur als letztes Mittel – oder, wie es der österreichische Oberste Gerichtshof formuliert, als „äußerstes Notventil“ – in Betracht, wenn andere zumutbare Wege der Konfliktlösung ausscheiden. Nach deutschem Dienstbarkeitenrecht besteht eine solche Möglichkeit regelmäßig. Der Berechtigte muss nämlich sein dingliches Wohnungsrecht nach § 1020 Satz 1 BGB so ausüben, dass die Interessen des Grundstückseigentümers tunlichst geschont werden. Zu diesen Interessen gehören bei einem dinglichen Wohnungsrecht auch die persönlichen Beziehungen zwischen dem Berechtigten und den Personen, die dem getöteten Grundstückseigentümer nahe standen und weiterhin auf dem Grundstück leben. Wenn diese mit dem Berechtigten wegen der Tat nicht mehr auf dem Grundstück unter einem Dach zusammenleben wollen, muss der Berechtigte dem Rechnung tragen. Dieses Ziel ist aber schon dadurch zu erreichen, dass er die Wohnung nicht mehr selbst nutzt, sondern sie Dritten überlässt, also etwa vermietet. Dazu ist er auf Verlangen des Grundstückseigentümers auch verpflichtet. Diese alternative Möglichkeit der Konfliktlösung schließt einen auf § 242 BGB gestützten Anspruch auf Aufgabe des Wohnungsrechts aus.
Der BGH behilft sich folglich mit einer recht eleganten und vermittelnden Lösung. § 1020 BGB ist gemäß § 1090 Abs. 2 BGB auch bei einer beschränkten persönlichen Dienstbarkeit anwendbar, sodass der Status für die Lösung nicht relevant ist. Der BGH erkennt hier das Interesse des Eigentümers an, nicht mit dem Mörder des Erblassers unter einem Dach leben zu können, bleibt aber weiterhin an den strengen gesetzlichen Regelungen gebunden. Eine Anwendung des Grundsatzes von Treu und Glauben darf nur ultima ratio sein. Hier zeigen sich aber gerade mildere Mittel, nämlich bspw. die Vermietung an Dritte. Hierdurch wird den Interessen aller Beteiligter umfassen Rechnung getragen.
III. Fazit
Ein Fall mit sehr hoher Examensrelevanz: Eine Sachverhaltskonstellation aus einem Bereich, der vielen Prüflingen zunächst den Angstschweiß auf die Stirn treiben wird. Zu Unrecht – mit allgemeinem juristischen Handwerkszeug ist der Fall sehr gut lösbar. dabei kann natürlich nicht erwartet werden, dass die Lösung des BGH gekannt oder antizipiert wird. Häufig sehen Sachverhalte im Ersten und erst Recht im zweiten juristischen Staatsexamen aber bereits eine Vorkonturierung der Argumentation vor, die lediglich juristisch zutreffend und nachvollziehbar verwertet werden soll. Gerade für eine solche Konstellation in der juristischen Argumentationsgabe notwendig ist, ist der hier behandelte Fall prädestiniert.
Hinweis: In einer vorherigen Version fehlte der Hinweis auf § 1093 BGB. Wir bitten dies zu entschuldigen. Eine genaue Beantwortung dieser Frage zur Abgrenzung § 1093 BGB zu § 1018 BGB ist – ohne Vorliegen der Entscheidungsgründe aktuell nicht möglich. Für die entscheidendenden Fragen – Kündigungsmöglichkeit; § 242 BGB iVm. 1020 BGB ist dies aber nicht relevant.