Spätestens seit dem juristischen Proseminar Jan Böhmermanns (wir haben ausführlich darüber berichtet) ist nicht nur Juristen das Schlagwort „Schmähkritik“ ein Begriff. Eine solche kann sich bekanntlich nicht auf den grundrechtlichen Schutz der Presse- und Meinungsfreiheit berufen. Dies hat entscheidende Auswirkungen für die Strafbarkeit einer Äußerung.
Aus diesem Grund hatte sich das BVerfG in einem aktuellen Beschluss vom 8. Februar 2017 (veröffentlicht am 5. April 2017 – 1 BvR 2973/14) mit der Reichweite der Schmähkritik zu befassen.
1. Sachverhalt
Zugrunde lag folgender Sachverhalt:
Der Beschwerdeführer war Versammlungsleiter einer ordnungsgemäß angemeldeten Demonstration aus dem rechten Spektrum in Köln. Die Demonstration stieß auf zahlreiche Gegendemonstranten. Unter diesen war auch ein Bundestagsabgeordneter der Partei BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN vor Ort, um die Durchführung des Aufzuges aktiv zu verhindern. Er bezeichnete die Teilnehmer der Demonstration mehrfach wörtlich und sinngemäß als „braune Truppe“ und „rechtsextreme Idioten“. Der Beschwerdeführer äußerte sich über den Bundestagsabgeordneten wörtlich wie folgt:
„Ich sehe hier einen aufgeregten grünen Bundestagsabgeordneten, der Kommandos gibt, der sich hier als Obergauleiter der SA-Horden, die er hier auffordert. Das sind die Kinder von Adolf Hitler. Das ist dieselbe Ideologie, die haben genauso angefangen.“
Das Amtsgericht verurteilte den Beschwerdeführer wegen Beleidigung in Form einer Schmähkritik zu einer Geldstrafe. Auf die Berufung des Beschwerdeführers verwarnte das Landgericht den Beschwerdeführer und behielt sich die Verurteilung zu einer Geldstrafe vor. Die Revision zum Oberlandesgericht blieb erfolglos. Mit seiner Verfassungsbeschwerde wendet sich der Beschwerdeführer gegen die gerichtlichen Entscheidungen und rügt im Wesentlichen die Verletzung seiner Meinungsfreiheit. Er berief sich insbesondere darauf, die Eingruppierung als Schmähkritik sei hier zu Unrecht erfolgt. Es handle sich um eine grundrechtlich geschützte Äußerung.
2. Wann beginnt Schmähkritik
Zunächst muss aber erst geklärt werden, wann grundsätzlich Schmähkritik vorliegt: Das BVerfG legt dazu dar (Beschluss v. 26.6.1990):
Eine herabsetzende Äußerung nimmt vielmehr erst dann den Charakter der Schmähung an, wenn in ihr nicht mehr die Auseinandersetzung in der Sache, sondern die Diffamierung der Person im Vordergrund steht. Sie muß jenseits auch polemischer und überspitzter Kritik in der Herabsetzung der Person bestehen.
Die Äußerung ist damit auszulegen und zu werten. Es ist zu prüfen, ob sie allein der Schmähung dient oder auch einen sachlichen Kern beinhaltet.
3. Wie ist das im konkreten Fall?
Hier ist man zunächst geneigt eine Strafbarkeit anzunehmen, scheint der Beschwerdeführer doch ob seiner wenig sachlichen Äußerung wenig schutzwürdig. Betrachtet man dies aber einmal juristisch genauer, stellt sich dies, wie auch das BVerfG bestätigt, abweichend dar: Das BVerfG prüft hier zurecht eine Verletzung der Meinungsfreiheit und zurecht nicht unmittelbar die Klassifizierung der Äußerung.
Das Bundesverfassungsgericht ist auf eine Nachprüfung begrenzt, ob die Fachgerichte die Grundrechte ausreichend beachtet haben (vgl. BVerfGE 93, 266 <296 f.>; 101, 361 <388>). Bedeutung und Tragweite der Meinungsfreiheit sind auch dann verkannt, wenn eine Äußerung unzutreffend als Tatsachenbehauptung, Formalbeleidigung oder Schmähkritik eingestuft wird.
Inhaltlich legt es dar:
Unter den Schutz der Meinungsfreiheit fallen nach ständiger Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts Werturteile und Tatsachenbehauptungen, wenn und soweit sie zur Bildung von Meinungen beitragen (vgl. BVerfGE 85, 1 <15>). Das Grundrecht auf Meinungsfreiheit ist allerdings nicht vorbehaltlos gewährt. Es findet seine Schranken in den allgemeinen Gesetzen.
Es weist dabei explizit darauf hin, dass der Schutz recht weit reicht und erst bei der Schmähung endet:
Zu beachten ist hierbei indes, dass Art. 5 Abs. 1 Satz 1 GG nicht nur sachlich-differenzierte Äußerungen schützt, sondern gerade Kritik auch pointiert, polemisch und überspitzt erfolgen darf; insoweit liegt die Grenze zulässiger Meinungsäußerungen nicht schon da, wo eine polemische Zuspitzung für die Äußerung sachlicher Kritik nicht erforderlich ist (vgl. BVerfGE 82, 272 <283 f.>; 85, 1 <16>). Einen Sonderfall bilden hingegen herabsetzende Äußerungen, die sich als Formalbeleidigung oder Schmähung darstellen. Dann ist ausnahmsweise keine Abwägung zwischen der Meinungsfreiheit und dem Persönlichkeitsrecht notwendig, weil die Meinungsfreiheit regelmäßig hinter dem Ehrenschutz zurücktreten wird (vgl. BVerfGE 82, 43 <51>; 90, 241 <248>; 93, 266 <294>).
Da somit der grundrechtliche Schutz entfällt, muss hier restriktiv vorgegangen werden:
Diese für die Meinungsfreiheit einschneidende Folge gebietet es aber, hinsichtlich des Vorliegens von Formalbeleidigungen und Schmähkritik strenge Maßstäbe anzuwenden (vgl. BVerfGE 93, 266 <294>; BVerfG, Beschluss der 3. Kammer des Ersten Senats vom 29. Juni 2016 – 1 BvR 2646/15 -, juris). Wegen seines die Meinungsfreiheit verdrängenden Effekts ist der Begriff der Schmähkritik von Verfassungs wegen eng zu verstehen. Auch eine überzogene oder gar ausfällige Kritik macht eine Äußerung für sich genommen noch nicht zur Schmähung. Eine Äußerung nimmt diesen Charakter erst dann an, wenn nicht mehr die Auseinandersetzung in der Sache, sondern – jenseits auch polemischer und überspitzter Kritik – die Diffamierung der Person im Vordergrund steht (vgl. BVerfGE 82, 272 <283 f.>; 85, 1 <16>; 93, 266 <294>).
Diese Maßstäbe hatten die Strafgerichte hier verkannt, indem sie die Äußerung als Schmähkritik ansahen, nicht aber ihren Kontext würdigten:
Die angegriffenen Entscheidungen verkennen, dass der Beschwerdeführer mit seiner Äußerung auch das Handeln des Geschädigten kommentierte, der sich maßgeblich an der Blockade der vom Beschwerdeführer als Versammlungsleiter angemeldeten Versammlung beteiligte und die Teilnehmenden auch seinerseits – wie die Gerichte als wahr unterstellt haben – als „braune Truppe“ und „rechtsextreme Idioten“ beschimpft hatte. Es ging dem Beschwerdeführer nicht ausschließlich um die persönliche Herabsetzung des Geschädigten. Bereits die unzutreffende Einordnung verkennt Bedeutung und Tragweite der durch Art. 5 Abs. 1 Satz 1 GG geschützten Meinungsfreiheit.
Darauf hingewiesen wird dabei auch, dass die Äußerung als Reaktion auf eine vergleichbare Provokation erfolgte. Auch dies ist zu beachten (vgl. hierzu unseren Beitrag zu einer ähnlichen Thematik).
4. Was lernen wir daraus?
Lernen kann man aus diesem Fall zweierlei: Zum einen erkennen wir juristisch die Reichweite der Meinungsfreiheit, die immer wieder Bestandteil von Entscheidungen des BVerfG und damit fast notwendig auch von Examensklausuren ist.
Zum anderen macht der Beschluss aber auch deutlich, dass auch unangenehme Äußerungen im Sinne des toleranten Rechtsstaats hinzunehmen sind, sofern eine hohe Schwelle nicht überschritten ist. Man denke sich den Fall anders herum – hier hätte vielleicht intuitiv das Ergebnis anders ausgesehen. Bei Justitia, die nicht zu Unrecht blind ist, kann dies aber keine Rolle spielen. Die Meinungsfreiheit ist ein hohes Gut, sodass Meinungen von allen Seiten – schön oder unschön, appetitlich oder unappetitlich – hinzunehmen sind.