Wir freuen uns Euch einen Gastbeitrag von Sebastian Nellesen veröffentlichen zu können. Der Autor ist Wissenschaftlicher Mitarbeiter am Lehrstuhl für Staats- und Verwaltungsrecht sowie Wissenschaftsrecht und Medienrecht bei Professor Dr. Christian von Coelln, Universität zu Köln.
I. Einführung
Nennt Ihnen ein Prüfer in der mündlichen Examensprüfung das Stichwort „Oberbürgermeisterwahl in Köln“, sollte jeder Examenskandidat in der Lage sein in einigen Sätzen dieses öffentlich – auch überregional – diskutierte Thema darzustellen. Das Kommunalwahlrecht ist in Nordrhein-Westfalen zwar nach dem JAG NRW nicht Prüfungsstoff, doch muss aufgrund der Aktualität der Thematik mit einem solchen Einstieg gerechnet werden. Daher sollten zumindest der Sachverhalt und die zentralen rechtlichen Fragestellungen bekannt sein.
II. Sachverhalt
Die (Ober-) Bürgermeister der nordrhein-westfälischen Kommunen werden auf Grundlage von § 65 Abs. 1 S. 1 GO NRW von den Bürgern gewählt. Nach der aktuellen Fassung des § 65 Abs. 1 S. 1 GO NRW beträgt die Wahlperiode fünf Jahre, zwischen 2007 und 2013 waren es sechs Jahre. Diese, zwischenzeitlich von der Wahlperiode des Rates (diese ist in § 42 Abs. 1 S. 1 GO NRW auf fünf Jahre festgelegt) abweichende Amtszeit hatte zur Folge, dass die (Ober-) Bürgermeister- und Ratswahlen nicht mehr gemeinsam durchgeführt werden konnten. Die am 25. Mai 2014 in vielen nordrhein-westfälischen Kommunen gemeinsam durchgeführten Wahlen waren nur auf Grundlage freiwilliger, freilich vom Landesgesetzgeber mit Art. 5 § 5 des Gesetzes zur Stärkung der kommunalen Demokratie unterstützten Rücktritte der amtierenden (Ober-) Bürgermeister möglich. Mit dem Gesetz zur Stärkung der kommunalen Demokratie sollten die Wahlen wieder zusammengeführt werden.
Nach Art. 5 § 1 Abs. 3 des Gesetzes zur Stärkung der kommunalen Demokratie wurde der 13. September 2015 als Termin für die (Ober-)Bürgermeisterwahlen in Nordrhein-Westfahlen durch den Landesgesetzgeber festgelegt (ausgenommen sind selbstverständlich die Kommunen, in denen 2014 bereits mit dem Rat die (Ober-) Bürgermeister gewählt wurden). Ausnahmsweise erfolgte die Festlegung des Wahltermins damit durch den Landesgesetzgeber selbst und nicht – wie sonst – durch das Ministerium für Inneres bzw. die Aufsichtsbehörde gemäß § 14 Abs. 1 KWahlG NRW. Da es keine spezifische Wahlaufsichtsbehörde gibt, richtet sich die Zuständigkeit nämlich nach § 120 GO NRW.
Ende August 2015, nachdem die Briefwahlen bereits angelaufen und tausende Wahlscheine versendet worden waren, wurde die Gestaltung des Wahlzettels öffentlich kritisiert (vgl. z.B. hier). Anlass dieser Kritik war die von Anlage 17c zur KWahlO NRW (der Musterstimmzettel ist dieser Anlage zu § 75c KWahlO NRW enthalten, die selbst ihre Grundlage in § 51 KWahlG NRW findet) abweichende Gestaltung des Wahlzettels; speziell die deutlich größere Darstellung des Parteinamens gegenüber den Kandidatennamen. Insbesondere die Kölner CDU als Unterstützerin der sog. „Einzelbewerberin“ (vgl. § 15 Abs. 1 KWahlG NRW) Reker, die als unabhängige Kandidaten antritt, aber durch mehrere Parteien unterstützt wird, sah darin eine Benachteiligung der Einzelbewerber.
Die Wahlleiterin ließ daraufhin den Stimmzettel von der Bezirksregierung als Kommunalaufsicht (§ 120 GO NRW) prüfen. Diese äußerte ebenfalls Zweifel an der Rechtmäßigkeit. Die Stadt teilte daraufhin zunächst mit, dass neue Stimmzettel gedruckt würden, die bereits – per Briefwahl – abgegebenen ca. 53.000 Stimmen aber gültig blieben. Die Bezirksregierung folgte dem nicht und informierte die Stadt, dass sie diese Vorgehensweise als nicht rechtskonform bewerte. Nach Absprachen zwischen Stadt und Bezirksregierung wurde schließlich mitgeteilt, dass der 13. September 2015 als Wahltermin nicht zu halten sei. Als neuer Wahltermin wurde der 18. Oktober 2015 bzw. für eine ggf. erforderliche Stichwahl der 8. November 2015 festgelegt (vgl. die Pressemitteilung der Stadt Köln).
III. Rechtliche Bewertung
Nach der Zusammenfassung des Sachverhalts wird von Ihnen in der Regel eine rechtliche Einschätzung verlangt werden. Anhand des vorliegenden Falls können vielfältige juristische Probleme erörtert werden.
Würde man den Sachverhalt anhand des „Kölschen Grundgesetzes“, insbesondere an Art. 2 „Et kütt wie et kütt“ und Art. 3 „Et hät noch immer jod jejange“, beurteilen, wären Zweifel an der Rechtmäßigkeit der Stimmzettel sicher nicht angebracht. Vermutlich wird diese Einschätzung den Prüfern aber nicht genügen, sodass der Sachverhalt anhand der allgemein gültigen Gesetze beurteilt werden muss.
Es muss zwingend erkannt werden, dass hier das Recht auf Chancengleichheit (Art. 3 Abs. 1 GG i.V.m. dem Demokratieprinzip) und die Gleichheit der Wahl betroffen sind (nicht auf Art. 38 Abs. 1 S. 1 GG abstellen, da sich dieser nur auf Bundestagswahlen bezieht; Art. 28 Abs. 1 S. 2 GG ist ebenso nicht einschlägig, weil sich dieser nur auf die Vertretung, also den Gemeinderat bezieht; in der LVerf NRW sind die Wahlrechtsgrundsätze ausdrücklich nur für die Landtagswahlen in Art. 31 Abs. 1 LVerf NRW normiert; Art. 78 Abs. 1 a.E. LVerf NRW spricht nur von den „gewählten Organen“; hier ist daher § 65 Abs. 1 S. 1 GO NRW einschlägig). Diese beiden Grundsätze stehen in einem engen Zusammenhang und garantieren im Wahlverfahren eine strikte Gleichbehandlung aller Wahlbewerber, unabhängig davon, ob es sich um Partei- oder Einzelbewerber handelt. Wenn in der abweichenden Gestaltung des Stimmzettels eine staatliche Beeinflussung des Wählerwillens gesehen wird, ist zusätzlich der Grundsatz der freien Wahl einschlägig.
An diesen Grundlagen muss sich auch die Gestaltung des Stimmzettels orientieren. Zwar bestimmt § 75c S. 1 KWahlO NRW das das Muster in Anlage 17c zur KWahlO NRW „maßgebend“ ist, doch führt eine Abweichung vom Muster an sich noch nicht zu einer Beeinträchtigung der o.g. Grundsätze. Wären die Kandidatennamen auf dem ursprünglichen Stimmzettel in Köln in der gleichen Schriftgröße wie die Parteinamen abgedruckt gewesen, wäre zwar ebenfalls eine Abweichung vom Muster gegeben, die aber keinen Wahlrechtsgrundsatz beeinträchtigt hätte. Dies ist erst dann der Fall, wenn der Stimmzettel zu Lasten bzw. zu Gunsten bestimmter Kandidaten umgestaltet wird. Vergleicht man das Muster aus Anlage 17c zur KWahlO NRW mit dem in Köln zunächst verwendeten Stimmzettel, sind wesentliche Unterschiede zu Lasten der Einzelbewerber erkennbar. Kandidaten- und Parteiname sind in Anlage 17c zur KWahlO NRW in gleicher Schriftgröße abgebildet.
Zwar führt nicht jede Beeinträchtigung zu einer Verletzung (sonst wären z.B. Sperrklauseln nie zulässig), doch sind an eine Rechtfertigung hohe Anforderungen zu stellen. Hier ist kein Grund ersichtlich zu Lasten der Einzelbewerber von dem maßgebenden Musterstimmzettel in Anlage 17c zur KWahlO NRW abzuweichen, sodass ein Verstoß gegeben ist. Damit durften die Stimmzettel nicht verwendet werden. Die Entscheidung, neue Stimmzettel zu drucken, war daher grundsätzlich richtig, auch wenn Medienberichten zufolge 20.000 neu gedruckte Stimmzettel auf Grund falschen Datums vernichtet werden mussten, vgl. hier hier.
Fraglich war, wie mit den ca. 53.000 bereits abgegebenen Stimmen zu verfahren war. Zumindest andenken könnte man die Möglichkeit, diese mitzuzählen. Jedoch würde eine Wahl mit zwei verschiedenen Stimmzetteln nicht den gesetzlichen Voraussetzungen entsprechen und das Recht auf Chancengleichheit und die Gleichheit der Wahl erheblich verletzen. Daher war die Entscheidung richtig, auch die bereits abgegebenen Stimmen nicht mitzuzählen. Dies hätte im Übrigen auch für alle später abgegebenen Stimmen auf dem alten Wahlzettel gegolten. Selbst wenn der Wählerwille eindeutig zu erkennen ist, dürfen diese nicht berücksichtigt werden, da es sich formal nicht mehr um den richtigen Stimmzettel handelt.
Stadt und Bezirksregierung haben den Weg über eine Nachwahl gemäß § 21 Abs. 1 Nr. 1 KWahlG NRW gewählt. Dieser Weg kommt in Betracht, da im gesamten Wahlgebiet der Stadt Köln die Wahl nicht durchgeführt werden konnte bzw. nur einige Briefwahlstimmen auf rechtwidrigen Stimmzetteln abgegeben wurden. Nach § 21 Abs. 2 S. 1 KWahlG NRW muss diese spätestens fünf Wochen nach dem Tag der ausgefallenen Wahl stattfinden. Diese Frist ist mit dem Termin 18. Oktober 2015 gewahrt. § 21 Abs. 3 KWahlG NRW bestimmt zudem, dass die Nachwahl auf denselben Grundlagen und nach denselben Vorschriften wie die ausgefallene Wahl stattfindet, sofern keine Ergänzung der Wahlvorschläge erforderlich ist. Daraus folgt, dass auch nur diejenigen wahlberechtigt sind, die auch am 13. September 2015 wahlberechtigt waren. Wer am Nachwahltermin das 16. Lebensjahr vollendet hat, ist entgegen § 7 KWahlG NRW nicht wahlberechtigt.
Sollte es in Köln zu einer Stichwahl (§ 46c Abs. 2 KWahlG NRW) kommen, käme es zu der besonderen Situation, dass die Amtszeit des amtierenden Oberbürgermeisters der Stadt Köln am 20. Oktober 2015 endet, bevor ein Nachfolger bestimmt wäre. Dies würde zu einer Vakanz des Oberbürgermeisterpostens führen. Die Aufgaben des Oberbürgermeisters werden in diesem Fall durch die Vertreter wahrgenommen. Vertreter im Amt für interne Angelegenheiten ist der allgemeine Vertreter gemäß § 68 GO NRW, Vertreter nach außen (Leitung der Ratssitzungen und Repräsentation, vgl. § 67 GO NRW) die erste stellvertretende Oberbürgermeisterin. Es kommt damit zur Trennung der Aufgaben, so wie dies bis 1999 üblich war (die GO NRW sah bis dahin einen hauptamtlichen Oberstadtdirektor bzw. Stadt- oder Gemeindedirektor und einen ehrenamtlichen (Ober-) Bürgermeister vor). Hieraus können sich Zuständigkeitsstreitigkeiten z.B. über die Frage ergeben, welchem von beiden Vertretern das Widerspruchs- und Beanstandungsrecht gemäß § 54 GO NRW zusteht.
IV. Fazit
Die Thematik beinhaltet viele juristische Fragestellungen, die als Einstieg ins mündliche Prüfungsgespräch genutzt werden können. Sie bietet die Möglichkeit Grundlagenwissen (Wahlrechtsgrundsätze und das Recht auf Chancengleichheit) in einem eher unbekannten Rechtsgebiet abzuprüfen. Zudem können Besonderheiten der aktuellen Fallkonstellation angesprochen werden, wobei zu berücksichtigen ist, dass die Ausführungen im Rahmen der rechtlichen Bewertung über den Prüfungsstoff nach dem JAG NRW hinausgehen.
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