Wir freuen uns, nachfolgenden Gastbeitrag von Moritz Augel veröffentlichen zu können. Der Autor studiert Rechtswissenschaften an der Universität Bonn.
Treibender Beat, bunt blinkende Animationen und der Satz: „Dieses Angebot gilt nur für Personen mit Wohnsitz oder gewöhnlichem Aufenthaltsort in Schleswig-Holstein“ – so sah Online-Glücksspielwerbung bis zum Inkrafttreten des neuen Glücksspielstaatsvertrags am 1. Juli 2021 aus. Dieser Satz entspringt einem Sonderweg, den Schleswig-Holstein im Jahr 2011 in Bezug auf das Online-Glücksspiel eingeschlagen hatte. Infolge geschickter Lobby-Arbeit und in der Hoffnung auf Einnahmen für den Landeshaushalt entschied sich die dortige Landesregierung dafür privaten Anbietern von Sportwetten und Glücksspiel Lizenzen anzubieten, die es ihnen erlaubten ihre Geschäfte nun auch online zu verfolgen. Im Rest Deutschlands sah man diesen Schritt skeptisch und so blieb Schleswig-Holstein bis ins Jahr 2021 das einzige Bundesland, in dem es den Anbietern erlaubt war Glücksspiel auch online zu betreiben. Doch nicht nur die Einwohner Schleswig-Holsteins konnten online zocken und so spielten bald munter Bürger aus ganz Deutschland und verloren so zum Teil große Summen. Dabei nahmen es die Anbieter häufig nicht all zu genau und verschlossen wohlwollend ihre Augen, wenn sich Spieler aus dem gesamten Bundesgebiet anmeldeten. Man hatte ja schließlich ausdrücklich darauf hingewiesen – die Werbung schaltete man dennoch bundesweit.
Ein Urteil des OLG Braunschweig (Urt. v. 23.2.2023 – 9 U 3/22) gewährt nun einem Spieler aus Niedersachsen Anspruch auf Rückzahlung der von ihm in den Jahren 2018 und 2019 verzockten Summe von über 45.000 € aus § 812 Abs. 1 S. 1 1. Alt BGB.
Nachfolgend soll die Entscheidung in Form einer gutachterlichen Prüfung dargestellt werden:
I. Der Spieler (S) könnte gegen das Glücksspiel-Unternehmen (G) einen Anspruch auf Rückzahlung der 45.000 € aus § 812 Abs. 1 S. 1 1. Alt. BGB haben.
1. Etwas erlangt
Erlangtes etwas ist jedwede Verbesserung der Vermögenslage des Bereicherungsschuldners (Wiese, Schulze BGB, 11. Aufl. 2021, § 812, Rn. 3). G hat Gutschriften (§ 675t BGB) in Höhe von insgesamt 45.000 € und damit einen vermögenswerten Vorteil erlangt.
2. Durch Leistung
Das Vermögen müsste ferner durch Leistung des Bereicherungsgläubigers gemehrt worden sein. Leistung ist jede bewusste und zweckgerichtete Mehrung fremden Vermögens (Wiese, Schulze BGB, 11. Aufl. 2021, § 812, Rn. 5). S überwies in Etappen insgesamt 45.000 € um am Online-Glücksspiel teilnehmen zu können. Das Vermögen des G wurde damit durch Leistung gemehrt.
3. Ohne Rechtsgrund
Voraussetzung für die Leistungskondiktion ist ferner das Fehlen eines rechtlichen Grundes für die Bereicherung (Wiese, Schulze BGB, 11. Aufl. 2021, § 812, Rn. 7). Vorliegend könnte sich ein Rechtsgrund für das Behaltendürfen aus dem zwischen S und G geschlossenen Vertrags über die Teilnahme am Online-Casino ergeben. Fraglich ist jedoch, ob dieser Vertrag wirksam zustande gekommen ist. Der Vertrag könnte jedoch wegen Verstoßes gegen den damals geltenden § 4 Abs. 4 Glücksspielstaatsvertrag gemäß § 134 BGB nichtig sein. Problematisch ist jedoch, dass sich das Verbot Online-Glücksspiele anzubieten allein an G richtet. Fraglich ist daher, ob auch ein einseitiger Gesetzesverstoß die Nichtigkeit nach § 134 BGB zur Folge hat.
„Gemäß § 4 Abs. 4 GlüStV 2012 ist das Veranstalten und Vermitteln öffentlicher Glücksspiele im Internet verboten. Die Beklagte hat dagegen verstoßen, indem sie ihr Angebot auch Spielern in Niedersachsen zugänglich gemacht hat. Maßgeblicher Zeitpunkt für die Beurteilung der Frage des Gesetzesverstoßes ist derjenige der Vornahme des Rechtsgeschäfts (BGH, Urt. v. 23.2.2012 – I ZR 136/10, juris, Rn. 22; Ellenberger, in: Grüneberg, BGB, 82. Aufl., § 134 Rn. 12 a m.w.N).“ (OLG Braunschweig, Urt. v. 23.2.2023 – 9 U 3/22, Rn. 65).
„In besonderen Fällen – wie hier – kann sich die Nichtigkeit allerdings auch aus einem einseitigen Verstoß ergeben, falls der Zweck des Verbotsgesetzes anders nicht zu erreichen ist und die rechtsgeschäftlich getroffene Regelung nicht hingenommen werden darf (BGH, Beschl. v. 13.9.2022 – XI ZR 515/21, juris, Rn. 11 m.w.N.). Eine solche Ausnahme liegt etwa vor, wenn der angestrebte Schutz des Vertragspartners die Nichtigkeit des Rechtsgeschäfts erfordert (BGH, Urt. vo. 17.5.1979 – III ZR 118/77, WM 1979, 1035) oder wenn der Erfüllungsanspruch auf eine unerlaubte Tätigkeit gerichtet ist (BGH, Urt. v. 25.6.1962 – VII ZR 120/61, BGHZ 37, 258, 262).“ (OLG Braunschweig, Urt. v. 23.2.2023 – 9 U 3/22, Rn. 89)
„Vorliegend will § 4 Abs. 4 GlüStV 2012 nicht nur den Abschluss eines Spielervertrags im Internet unterbinden, sondern die Folgen des dann durchgeführten Glücksspiels. Er dient der Suchtprävention und -bekämpfung, dem Spieler- und Jugendschutz, der Kriminalitätsprävention und der Vermeidung von Gefahren für die Integrität des Sports.“ (OLG Braunschweig, Urt. v. 23.2.2023 – 9 U 3/22, Rn. 93.)
Der Schutzcharakter des § 4 Abs. 4 des Glücksspielstaatsvertrags gebietet es daher den zwischen G und S geschlossenen Spielvertrag trotz des einseitigen Gesetzesverstoßes als insgesamt nach § 134 BGB nichtig anzusehen. Damit gibt es keinen Rechtsgrund für das Behaltendürfen der 45.000 €.
Damit besteht grundsätzlich ein Anspruch des S gegen G auf Rückzahlung der 45.000 € aus § 812 Abs. 1 S. 1 1. Alt. BGB.
II. Kondiktionssperre
Der Anspruch könnte jedoch gemäß § 817 S. 2 BGB ausgeschlossen sein. Gemäß § 817 S. 2 BGB ist der Kondiktionsanspruch ausgeschlossen, wenn dem Leistenden gleichfalls ein Verstoß gegen ein gesetzliches Verbot oder die guten Sitten zur Last fällt (Wiese, Schulze BGB, 11. Aufl. 2021, § 817, Rn. 5). § 817 S. 2 BGB setzt voraus, dass der Leistende vorsätzlich, also bewusst verbotswidrig oder sittenwidrig gehandelt hat; dem steht es gleich, wenn er sich der Einsicht in das Verbotswidrige oder Sittenwidrige seines Handelns leichtfertig verschlossen hat (OLG Frankfurt, Beschl. v. 8.4.2022 – 23 U 55/21, Rn. 50). Dass es für den S, als Bürger Niedersachsens nicht erlaubt war an dem Glücksspiel teilzunehmen könnte sich ihm vorliegend aufgrund des Werbeslogans „Dieses Angebot gilt nur für Personen mit Wohnsitz oder gewöhnlichem Aufenthaltsort in Schleswig-Holstein“ aufgedrängt haben.
Auch wenn die Werbung für Online-Glücksspiele einen textlich dargestellten und/oder schnell gesprochenen Hinweis darauf zu enthalten pflegt(e), dass sich das Angebot nur an Spieler in Schleswig-Holstein richte, lässt sich daraus keine allgemeine Bekanntheit des generellen Verbots von Online-Glücksspielen außerhalb dieses Bundeslandes in Deutschland herleiten (OLG Braunschweig, Urt. v. 23.2.2023 – 9 U 3/22, Rn. 132).
Hinzu kommt, dass der Umstand, dass die Beklagte dem Kläger in der Folge nach ordnungsgemäßer Registrierung offenbar tatsächlich den begehrten Zugang zu dem Online-Spiel gewährte, geeignet war, etwaige Bedenken des Klägers gegen die Rechtmäßigkeit seines Spiels zu zerstreuen (OLG Braunschweig, Urt. v. 23.2.2023 – 9 U 3/22, Rn. 133.).
Der Anspruch des S ist daher nicht nach § 817 S. 2 BGB ausgeschlossen.
S hat daher gegen G einen Anspruch auf Rückzahlung der 45.000 € aus § 812 Abs. 1 S. 1 1. Alt. BGB.
Ebenfalls diskutiert wird ein Zahlungsanspruch aus § 823 Abs. 2 BGB. Dafür müsste es sich bei § 4 Abs. 4 des Glücksspielstaatsvertrags um ein Schutzgesetz handeln. Dies verneint das OLG Frankfurt m. Beschl. v. 8.4.2022 – 23 U 55/21, Rn. 18), während das OLG Köln, sowie das LG Konstanz die Frage bejahen und damit auch einen deliktischen Anspruch zuerkennen (LG Konstanz, Urt. v. 02.02.2022 – D 2 O 287/21, Rn. 46 f.).
Das Urteil des OLG Braunschweigs fügt sich in eine Reihe von Entscheidungen ein, in denen es den Spielern gelingt ihre Verluste zurückzufordern. (vgl. bspw. OLG München, Beschl. v. 20.9.2022 – 18 U 538/22; OLG Köln, Urt. v. 31.10.2022 – I-19 U 51/22; OLG Frankfurt, Beschl. v. 8.4.2022 – 23 U 55/21; OLG Dresden, Urt. v. 27.10.2022 – 10 U 736/22; LG Hamburg, Urt. v. 12.1.2022 – 319 O 85/21) Nun hat auch der BGH Gelegenheit zur Stellungnahme. Aktuell ist ein Revisionsverfahren unter dem Aktenzeichen VI ZR 99/23 anhängig. Ohne das Verfahren vorwegzunehmen, wäre es angesichts der klaren Tendenz der bisherigen Rechtsprechung eine Überraschung, wenn der BGH den Rückzahlungsanspruch verneinen würde.