Wir freuen uns, heute einen Gastbeitrag von Jonas Hensinger veröffentlichen zu können. Der Autor des Beitrags hat in Heidelberg Jura studiert und absolviert aktuell sein Referendariat am LG Stuttgart.
Das Landgericht Stuttgart (Urt.v. 24.02.2015, Az. 9 O 108/14) hat entschieden, dass dem ehemaligen Ministerpräsidenten des Landes Baden-Württemberg Stefan Mappus keine Schadensersatzansprüche gegen die Anwaltskanzlei Gleiss Lutz wegen Falschberatung beim Kauf von EnBW-Anteilen vom französischen Energiekonzern EDF zustehen. Das Urteil hat nicht nur medial ein hohes Interesse hervorgerufen. Seine Bezüge zum „beliebten“ Examensthema des „Vertrags mit Schutzwirkungen zugunsten Dritter“ machen den Fall auch für künftige Examenskandidaten interessant.
I. Sachverhalt
In der EnBW-Affäre geht es um den Rückkauf eines EnBW-Aktienpaketes von der französischen Électricité de France (EDF), den die baden-württembergische Landesregierung Ende 2010 auf Betreiben des damaligen Ministerpräsidenten Stefan Mappus unter Verweis auf ein angebliches Notbewilligungsrecht ohne Einbeziehung des Landtags abwickelte. Dabei agierte die Investmentbank Morgan Stanley als Berater der Landesregierung. Für die rechtlichen Aspekte des Geschäftes beauftragte Morgan Stanley die Kanzlei Gleiss Lutz.
Juristisch ist der Fall auf mehreren Themengebieten spannend. In öffentlich-rechtlicher Hinsicht wirft die Umgehung des Landtags beim Rückkauf der EnBW-Anteile zunächst die Frage der Verfassungswidrigkeit des Vorgehens auf, welche vom Staatsgerichtshof Baden-Württemberg (Urt. 06.10.2011, Az. GR 2/11) wegen Verstoß gegen Art. 81 LV BW bejaht wurde. Auch zog der Fall strafrechtliche Ermittlungen der Staatsanwaltschaft Stuttgart wegen des Verdachts der Untreue nach sich, weil Mappus mit 4,7 Milliarden Euro möglicherweise zu viel für die EnBW-Anteile bezahlt und damit dem Vermögen des Landes Baden-Württemberg Schaden zugefügt hatte. Die Ermittlungen wurden jedoch am 28.10.2014 eingestellt.
Schließlich hatte sich das Landgericht Stuttgart mit zivilrechtlichen Schadensersatzansprüchen des Stefan Mappus gegen die Kanzlei Gleiss Lutz und deren Anwalt Martin Schockenhoff wegen einer anwaltlichen Fehlberatung zu befassen. Mit dieser Frage soll sich dieser Beitrag befassen.
II. Rechtslage
Das LG Stuttgart hat das Bestehen eines Schadensersatzanspruchs verneint.
1. Schuldverhältnis unmittelbar?
Da das BGB für Beratungsverträge keine speziellen Vorschriften eines Gewährleistungsrechts kennt, kommt allein ein Anspruch direkt aus § 280 I BGB in Betracht. Dieser setzt zunächst ein Schuldverhältnis voraus. Der Anwaltsvertrag wird von der ständigen Rechtsprechung als Geschäftsbesorgungsvertrag gem. §§ 611, 675 BGB aufgefasst. Einen solchen Vertrag hat aber nicht Stefan Mappus selbst, sondern das Land Baden-Württemberg mit der Kanzlei abgeschlossen.
2. Schuldverhältnis von Dritten?
Eigene Schadensersatzansprüche des Stefan Mappus kommen daher allenfalls aus § 280 I BGB in Verbindung mit den Grundsätzen des Vertrags mit Schutzwirkung zugunsten Dritter (VSzD)in Betracht. Dabei setzt die Einbeziehung des Dritten in die Schutzwirkung eines Vertrags die Leistungsnähe des Dritten, ein Einbeziehungsinteresse des Gläubigers, die Erkennbarkeit für den Schuldner sowie die Schutzbedürftigkeit des Dritten voraus. Für nähere Details ist der Beitrag auf https://www.juraexamen.info/ubersicht-vertrag-mit-schutzwirkung-zugunsten-dritter/ zu empfehlen.
Das LG Stuttgart hat im vorliegenden Fall bereits das Merkmal der Leistungsnähe verneint. Dieses setzt voraus, dass der Dritte bestimmungsgemäß mit der vertraglichen Hauptleistung in Berührung kommt und nach der Anlage des Vertrags den Leistungsgefahren in ähnlicher Weise ausgesetzt ist wie der Gläubiger selbst. Es muss sich daher um ein Leistungsverhältnis handeln, das inhaltlich drittbezogen ist. Ein bloß zufälliger Leistungskontakt genügt nicht.
Anwaltsverträge tauchen recht häufig in Verbindung mit Fällen des VSzD auf. Dabei besteht die Leistungsnähe grundsätzlich aber nur gegenüber solchen Dritten, deren Vermögensinteressen durch die Rechtsberatung oder Geschäftsbesorgung gewahrt werden sollen. So hat der BGH beispielsweise den Anwaltsvertrag eines Mieterschutzvereins zugunsten des eigentlich zu beratenden Mitglieds als drittschützend angesehen. Auch eine Schutzwirkung zugunsten der vorgesehen Erben bei der Erarbeitung eines Testamentsentwurfs hat der BGH bereits bejaht.
Im Gegensatz hierzu sind in der vorliegenden Konstellation die Vermögensinteressen des Stefan Mappus nicht unmittelbar betroffen. Eine persönliche Haftung des Ministerpräsidenten für Verfassungsverstöße ist ausgeschlossen. Auch der zweifellos erlittene Imageschaden des Stefan Mappus weist keinen unmittelbar vermögensrelevanten Bezug auf. Allenfalls könnte man darauf abstellen, Mappus habe aufgrund der Falschberatung hohe Anwaltskosten bei der politischen und strafrechtlichen Aufarbeitung des EnBW-Deals begleichen müssen bzw. Einkommensnachteile bei künftigen Tätigkeiten erlitten. Diese entspringen aber keiner bestimmungsgemäßen Berührung mit Beratungspflichten mehr. Bei der Beratung ging es vielmehr um Fragen eines verfassungsmäßigen Vorgehens der Landesregierung, welche privates Vermögen nicht einmal am Rande tangieren. Das Merkmal der Leistungsnähe bezweckt gerade die Vermeidung uferloser Haftungsrisiken des Schuldners. Auf eine rein kausale Verknüpfung entstandener Nachteile mit der Verletzung von Hauptleistungspflichten kann sich daher allenfalls der unmittelbare Vertragspartner, nicht jedoch ein beliebiger Dritter berufen.
Insbesondere für den Fall, dass eine Anwaltskanzlei eine öffentlich-rechtliche Körperschaft berät, erscheint eine klare Trennung der Vermögenssphären von Körperschaft und vertretungsberechtigter Privatperson sachgerecht. Anders als zwischen einem Verein und dessen Mitglied oder einem Erblasser und dessen Erben bestehen hier gerade keine wirtschaftlichen Verflechtungen.
Selbst wenn man aber das Merkmal der Leistungsnähe auf Seiten des Stefan Mappus noch bejahen würde, wäre spätestens beim Einbeziehungsinteresse des Landes Baden-Württemberg Schluss. Denn dieses würde zumindest voraussetzen, dass das Land an der Einbeziehung seines Ministerpräsidenten in den Schutzbereich des Anwaltsvertrages ein besonderes Interesse hat und der Vertrag dahin ausgelegt werden kann, dass der Vertragsschutz in Anerkennung dieses Interesses auf den Dritten ausgedehnt werden soll. Woraus ein solches besonderes Interesse des Landes Baden-Württemberg resultieren soll, leuchtet aber beim besten Willen nicht ein.
III. Fazit
Das Urteil des LG Stuttgart setzt der Einbeziehung eines Dritten in die Schutzwirkung eines Anwaltsvertrages eine klare Grenze. Dies ist zur Vermeidung unvorhersehbarer Haftungsrisiken des Anwalts zu begrüßen und wird auf Seiten von Anwälten, Kanzleien und deren Haftpflichtversicherern dankbar zur Kenntnis genommen werden.
Schlagwortarchiv für: Gleiss Lutz
In unserer regelmäßigen Interviewserie “Meine 18 Punkte” stellen wir bekannten Juristen und ehemaligen Jurastudenten 18 Fragen zu ihrem Studium und wie es danach weiterging.
Unser Gesprächspartner ist diesmal Prof. Dr. Jobst-Hubertus Bauer. Der Arbeitsrechtler ist Partner der Kanzlei Gleiss Lutz, einer der führenden international tätigen deutschen Anwaltskanzleien. Vor wenigen Wochen ist sein Buch „Recht kurios: Amüsantes und Trauriges“ erschienen. Wie der Titel schon besagt, befasst er sich darin mit lustigen, aber auch erstaunlichen Aspekten des Rechtslebens – von Gesetzgebung über Wissenschaft bis hin zur Rechtsprechung kommt dabei kein Aspekt zu kurz.
1. Name:
Prof. Dr. Jobst-Hubertus Bauer
2. Alter:
67 Jahre
3. Studiert von bis:
Sommersemester 1968 bis Wintersemester 1971
4. Studienort:
Freiburg i.Br.
5. Beruf:
Rechtsanwalt seit August 1975 bei Gleiss Lutz, Stuttgart, dort Partner seit 1980
6. Herr Bauer, bitte ergänzen Sie folgenden Satz: Jura ist für mich…
… bei Leibe nicht so trocken, wie es allgemein erscheinen mag.
7. Was hat Sie dazu bewogen, Jura zu studieren?
Meine schulischen Leistungen hielten sich vor allem im naturwissenschaftlichen Bereich in Grenzen. Auch musische Fähigkeiten waren und sind nicht gerade ausgeprägt. Gereizt hätte mich eine Sportler-Karriere; da ich aber erkannte, nicht die Fähigkeiten eines Armin Hary oder eines – mir damals noch unbekannten – Boris Becker zu haben, schied auch das aus. Als „normaler“ Tennistrainer zu verkümmern, erschien mir dann doch kaum attraktiv. Schließlich hatte ich meinen Vater als Vorbild vor Augen, der als Volljurist eine interessante Tätigkeit in der Industrie gefunden hatte.
8. Würden Sie ihren Studienort wieder wählen?
Wegen schlechter schulischer Leistungen und zweijähriger Bundeswehrzeit fing ich erst mit 23 Jahren an, zu studieren und das in Freiburg i.Br. Nach vergammelten Anfangssemestern kam mir die Erleuchtung, dass ich mich endlich doch in die Riemen legen müsste. Deshalb verzichtete ich auf einen Wechsel des Studienorts. So kann ich dezidiert nur meine Meinung zu Freiburg äußern, und die ist überschwänglich! Einen schöneren Studienort kann ich mir kaum vorstellen.
9. Was hat Ihnen am Studium am meisten gefallen und was vielleicht nicht?
Es ging sehr locker zu. Das Studium war also alles andere als ein Schulbetrieb. Die Scheine für die Zulassung zum Examen konnte man auf einfache Art und Weise erwerben, auch durch Trickserei. Kontrolle gab es kaum. So konnte man befreundete, fortgeschrittenere Semester in die „Bütt“ schicken. Parallel dazu fing ich allerdings verstärkt an, Jura zu „büffeln“. Und so konnte ich dann später quasi zur Selbstkontrolle jüngeren Semestern „helfen“ mit dem Ergebnis, dass ich vor Absolvierung der ersten Staatsprüfung – immerhin nach sieben Semestern – wusste, wo ich stand.
10. Welche Vorurteile hatten Sie vor dem Studium über Jura und Juristen?
Ich hatte kaum Vorurteile gegenüber Jura und Juristen, weil es in dem Bekanntenkreis meiner Eltern etliche Anwälte, Notare, Richter und Unternehmensjuristen gab. Es handelte sich durchweg um lebenslustige, gebildete Persönlichkeiten, die mit sich und ihrem Beruf im Reinen waren. Auch das Geldverdienen schien bei ihnen nicht zu kurz zu kommen.
11. Was war Ihr größter Fehler während Ihres Studiums bzw. Ihrer Karriere und was können Sie einem Jurastudenten, der gerade mit dem 1. Semester begonnen hat, raten anders zu machen?
Mein Englisch ist leider nach wie vor nicht dazu geeignet, an internationalen Verhandlungen teilzunehmen. Eine Rede auf Englisch traue ich mir zwar durchaus zu, nicht aber, an einer Diskussion mit schwierigen Fragen teilzunehmen. Warum ist mein Englisch nach wie vor so schlecht? Weil meine Eltern in der Nachkriegszeit nach Südbaden verschlagen wurden. Das war französische Besatzungszone und so war es zu meiner Zeit auf dem Gymnasium Pflicht, Französisch zu lernen. Englisch war Wahlfach. Meine Faulheit in schulischen Dingen führte dazu, dass ich dieses Fach konsequent „schwänzte“. Jungen Jurastudenten und –studentinnen kann ich heute nur empfehlen, diesen Fehler nicht zu machen. Wer sich die Chance erhalten will, in einer angesehenen wirtschaftsrechtlich ausgerichteten Anwaltskanzlei oder in einem Unternehmen tätig zu sein, sollte sich nicht mit ordentlichem Schulenglisch begnügen, sondern vielmehr ein halbes bis ein Jahr am besten als Student, Referendar oder Praktikant in Großbritannien oder den USA verbringen.
12. Es gibt ja auch ein „Leben neben dem Jurastudium“: Was war Ihre wichtigste Erfahrung außerhalb des eigentlichen Studiums?
Die richtige Partnerin fürs Leben zu finden und Freundschaften zu pflegen.
13. Und nun natürlich die Gretchenfrage: Wie halten Sie es mit dem Rep?
Während des Studiums war ich nicht beim Rep, aber anschließend zur Vorbereitung auf das Staatsexamen. Dabei habe ich sehr gute Erfahrungen gemacht. Das lag aber auch daran, dass es sich vor allen Dingen im Zivilrecht um einen hervorragenden jungen Volljuristen handelte, der es exzellent verstand, seinen Eleven juristische Fälle darzulegen und Lösungen zu erarbeiten.
14. Was haben Sie als Erstes nach den Staatsexamina getan?
Nach jedem bestandenen Staatsexamen habe ich es erst einmal „krachen“ lassen, also mit vielen Freunden bis tief in die Nacht gefeiert. Insbesondere nach dem zweiten Staatsexamen folgte eine längere Reise durch Südeuropa mit meiner späteren Frau im kleinen VW und aufs Geratewohl.
15. Sie sind jetzt Rechtsanwalt. War das schon immer ihr Traumberuf?
Eigentlich ja. Während des Studiums hatte ich mich noch nicht festgelegt. Allerdings spürte ich keine ausgeprägte Neigung dazu, Richter oder Staatsanwalt zu werden. Vor Augen hatte ich auch noch eine Karriere in der Industrie. Letztlich erschien es mir doch interessanter zu sein, in eine gute Anwaltskanzlei zu gehen, um dort Partner zu werden. Und bei Gleiss Lutz habe ich in der Tat meinen Traumberuf gefunden. Eine höchst anspruchsvolle und abwechslungsreiche Tätigkeit, nicht zuletzt aufgrund der Tätigkeit des Gesetzgebers und der Rechtsprechung. Und was ich besonders genieße, ist meine Unabhängigkeit. Das gilt einerseits im Verhältnis zu meinen Mitpartnern, andererseits – und noch viel mehr – im Verhältnis zu den Mandanten. Ich bin nicht das „Mietmaul“ der Mandanten, sondern fühle mich eher als juristischer Coach.
16. Wo würden Sie sich heute sehen, wenn Sie nicht Jura studiert hätten?
Als von Hartz IV lebender abgehalfterter Tennistrainer.
17. Sie sind für einen Tag Justizminister. Was würden Sie an der Juristenausbildung ändern?
Ich halte die deutsche Juristenausbildung, gerade auch die Zweiteilung in Studium und Referendariat, für sehr gut und sehe keinen grundlegenden Änderungsbedarf. Nicht umsonst genießen deutsche Juristen im Ausland einen sehr guten Ruf. Den Lernstoff würde ich allerdings etwas reduzieren, damit die Studierenden nicht mehr von der Masse des Stoffes erschlagen werden, sondern sich auf die Grundlagen konzentrieren können. Nicht jeder Student muss beispielsweise fast das gesamte Strafgesetzbuch drauf haben. Wer die Grundlagen gut beherrscht, der wird sich später auch in Spezialgebiete schnell einarbeiten können. Allerdings sollten auch steuerrechtliche Grundkenntnisse vermittelt werden.
18. Bitte ergänzen Sie zum Schluss diesen Satz: Jura macht sexy, weil…
…man es oft besser weiß als die anderen und die Robe meist schwarz ist – und das macht bekanntlich schlank.
Herr Professor Bauer, wir danken Ihnen für das Gespräch!
Das Interview führte Tom Stiebert.
Anregungen für weitere Gesprächspartner nehmen wir gerne entgegen.