Das OLG Celle (1 Ws 355/11 – Beschl. v. 13.09.2011) hat vor kurzem eine examensrelevante Entscheidung veröffentlicht. Insbesondere für den Vortrag im Strafrecht könnte der Fall auf Grund seiner Schwerpunktsetzung eine gute Grundlage bilden.
Sachverhalt
K und A beschließen, gemeinsam die Pizzeria des J um die etwas Bargeld zu erleichtern. Die M, Freundin des K, will ihnen dabei helfen, da sie als Kellnerin dort angestellt und als einzige für die Kasse verantwortlich ist. Wie verabredet, lässt sie entgegen der Anweisungen des J am Tattag die Tür zum Ladenlokal ab 23:25 Uhr unverschlossen. Kurz darauf stürmen K und A herein. Der Angestellte G ist in diesem Moment mit dem Zählen der Tageseinnahmen beschäftigt. G hatte sich diesmal bereit erklärt, der M dabei zu helfen, damit beide „früh Schluss machen“ können. M hatte kurz zuvor angekündigt, sie müsse „dringend telefonieren“, und war dann in die Küche entschwunden.
A gelingt es den völlig überraschten G zu überwältigen. Sodann fixiert er G auf dem Boden und hält ihm ein Messer an den Hals. M hält sich während der ganzen Zeit im Küchenbereich auf. Nachdem K die Tageseinnahmen an sich genommen hat, ergreifen A und K die Flucht. M gibt sich später bei der Polizei als Opfer aus.
Einverständnis des Inhabers des übergeordneten Mitgewahrsams ausreichend
Zur BGH-Rechtsprechung im Allgemeinen führt das OLG aus:
Richtig ist zwar, dass nach der Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs ein Angestellter, der allein eine Kasse zu verwalten und über ihren Inhalt abzurechnen hat, in aller Regel Alleingewahrsam am Kasseninhalt hat. Allerdings hat der Bundesgerichtshof in diesen Entscheidungen jeweils den Gewahrsam des Angestellten im Verhältnis zu dem- während der Taten nicht anwesenden – Dienstherren gewürdigt und hierzu ausgeführt, dass allein das „generelle Kontroll- und Weisungsrecht des Dienstherrn nicht ohne weiteres dessen Mitgewahrsam“ begründet. Darum geht es hier indes nicht. Fragen des Gewahrsams sind immer nach den Umständen des einzelnen Falles und den Anschauungen des Verkehrs oder des täglichen Lebens zu beantworten (BGHSt 16, 271; 22, 182; 23, 255; Fischer aaO m.w.N.). Dementsprechend hat der Bundesgerichtshof auch in den oben genannten Entscheidungen zum Alleingewahrsam des Kassierers zugleich ausgeführt, dass dieser nur „vorbehaltlich besonderer Fallgestaltungen“ bzw. „in aller Regel“ anzunehmen ist. So hat der Bundesgerichtshof etwa in einem Fall den Alleingewahrsam einer Kassiererin verneint, weil ein anderer Angestellter mit ihr ständig in einem kleinen Büro zusammen war und er tagsüber eine starke Einwirkungsmöglichkeit auf die Kasse hatte (BGHSt 8, 273).
Die Vorinstanz hatte hier noch Alleingewahrsam der M an dem Kasseninhalt angenommen und damit eine Wegnahme bei G verneint. Das OLG Celle kommt zum gleichen Ergebnis, aber mit einer anderen Begründung: Im Verhältnis zum Dritten J, bei dem die Vermögensschädigung eintritt, ist sie alleinige Gewahrsamsinhaberin, da sie als einzige für die Kasse zuständig ist. G habe insofern nur untergeordneten, M übergeordneten Mitgewahrsam. Das Einverständnis der M zur Entnahme des Geldes durch A wirke aber auch hinsichtlich des untergeordneten Mitgewahrsams des G, der die superiore Position der M kenne und akzeptiere. Daran ändere auch nichts, wenn zum Zeitpunkt der Tat der G ausnahmsweise die alleinige Kontrolle über die Kasse hat.
Eine besondere Fallgestaltung liegt auch hier vor. Denn der Zeuge G. hat glaubhaft bekundet, dass er zum Tatzeitpunkt gerade dabei war, der Angeklagten M. beim Zählen der Tageseinnahmen zu helfen, indem er das Münzgeld in den Zählkasten einsortierte, während diese telefonierte. Damit übte er zumindest über einen Teil der Tageseinnahmen willentlich die tatsächliche Sachherrschaft aus. Er hielt die Münzen in den Händen und veränderte zielgerichtet ihren Ablageort. Anders als in den vom Bundesgerichtshof entschiedenen Fällen lag hier also im Tatzeitpunkt gerade keine ausschließliche Einwirkungsmöglichkeit des Kassierers auf den Kasseninhalt vor. Dem steht auch nicht entgegen, dass die Kassenverwaltung nach dem Willen des Dienstherrn allein der Angeklagten M. oblag. Denn für den Gewahrsam kommt es auf eine normative Zuordnung der Sache oder gar die Rechtmäßigkeit der Ausübung der Sachherrschaft nicht an (vgl. Fischer aaO; Sch/Sch-Eser/Bosch aaO).
Allerdings ist trotz des Gewahrsams des Zeugen G. hier dennoch nicht das Tat-bestandsmerkmal der Wegnahme erfüllt. Denn der Zeuge hatte gegenüber der Angeklagten M. nur untergeordneten Mitgewahrsam (vgl. BGHSt 10, 400; BGH NStZ-RR 1996, 131). Die Angeklagte M. war gegenüber dem Geschäftsinhaber allein für die Verwaltung der Kasse verantwortlich. Dies war auch dem Zeugen G. bekannt, der bekundet hat, dass „eigentlich“ nur die Angeklagte M. Zugriff auf die Kasse habe und dass er nur deshalb das Münzgeld schon einsortiert habe, weil die Angeklagte M. telefoniert und er gewollt habe, dass es schneller gehe. Damit war der Zeuge G. sich des Über- und Unterordnungsverhältnis zwischen ihm und der Angeklagten M. bei der Ausübung der Sachherrschaft über die Tageseinnahmen bewusst. Ist aber – wie hier – die Inhaberin des übergeordneten Mitgewahrsams mit der Gewahrsamsbegründung durch Dritte einverstanden, so fehlt es an einer Wegnahme, auch wenn dadurch zugleich untergeordneter Mitgewahrsam faktisch gebrochen wird .
„Lagertheorie“ des BGH bestätigt
Die Lagertheorie des BGH dürfte wohl bekannt sein. Das OLG Celle schließt sich vorliegend dieser an. Ein besonderes Näheverhältnis, wie es die Vorinstanz noch gefordert hat, sei nicht erforderlich, denn
[d]er Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs ist nicht zu entnehmen, dass das erforderliche Näheverhältnis nur beim Bestehen enger persönlicher Beziehun-gen in Form von Ehe, Lebenspartnerschaft oder Verwandtschaft oder bei einer besonderen Verantwortung für das Vermögen des Geschädigten anzunehmen ist. Der Bundesgerichtshof hat ausgeführt, dass eine Dreieckserpressung „weder eine rechtliche Verfügungsmacht noch eine tatsächliche Herrschaftsgewalt des Genötigten über die fremden Vermögensgegenstände im Sinne einer Gewahrsamsdienerschaft“ voraussetze; es genüge vielmehr, dass das Nötigungsopfer spätestens im Zeitpunkt der Tatbegehung auf der Seite des Vermögensinhabers stehe (BGH aaO). Hieraus ergibt sich im Umkehrschluss, dass das geforderte Näheverhältnis jedenfalls dann vorliegt, wenn eine faktische Sonderbeziehung des Genötigten zu den fremden Vermögensgegenständen im Sinne einer Gewahrsamsinhaber oder -dienerschaft oder einer sonstigen Obhutsfunktion besteht. Eine Gewahrsamsinhaberschaft ist hier durch den – bereits oben näher begründeten – untergeordneten Mitgewahrsam des Zeugen G. an den Tageseinnahmen gegeben. Abgesehen davon besteht das erforderliche Näheverhältnis hier auch unter einem anderen Gesichtspunkt. Es ist nämlich regelmäßig auch dann anzunehmen, wenn im Geschäftsbereich ein Angestellter zu einer Handlung, Duldung oder Unterlassung zum Nachteil des Vermögens seines Arbeitgebers genötigt wird. Auch diese Sachlage bestand hier. Der Zeuge G. war Angestellter des in seinem Vermögen geschädigten Geschäftsinhabers. Der Auffassung des Landgerichts, dass die Schutzbereitschaft des Zeugen G. nicht anders zu bewerten wäre als die eines zufällig vorbeikommenden Passanten, kann nicht gefolgt werden. Der Zeuge G. hat hier gerade auf Grund seiner Funktion als Angestellter tatsächlichen Zugriff auf die Tageseinnahmen genommen. Die Angeklagte M. hätte hingegen einem zufällig vorbeikommenden Passanten nicht gestattet, das Münzgeld in den Zählkasten einzusortieren.
Fazit
A, K und M haben sich wegen besonders schwerer räuberischer Erpressung in Mittäterschaft nach §§ 253 Abs. 1 und Abs. 2, 255, 250 Abs. 2 Nr. 1, 25 Abs. 2 StGB strafbar gemacht. Wegen des Messereinsatzes ist die Qualifikation des § 250 Abs.2 Nr.1 („gefährliches Werkzeug“) erfüllt. Abgrenzung Raub – räuberische Erpressung, Gewahrsamsbegriff im Strafrecht, Beziehung zwischen Genötigtem und geschädigtem Dritten bei einer Erpressung – in dem Fall ist so einiges drin, was zum gängigen Prüfungsstoff gehört.