In einem Urteil vom 15.09.2009 hatte der BGH zu entscheiden, ob das Verbot der Aufrechnung gegen eine Forderung aus einer vorsätzlich begangenen unerlaubten Handlung auch dann gilt, wenn sich zwei Forderungen aus vorsätzlicher unerlaubter Handlung gegenüber stehen, die aus einem einheitlichen Lebensverhältnis resultieren.
Sachverhalt
Zwischen den Parteien kam es am 27. Juni 2003 zu einer Schlägerei, wobei der Kläger einen Kieferbruch und der Beklagte unter anderem eine Gehirnerschütterung erlitt. Der Kläger hat ein Schmerzensgeld und die Feststellung der Ersatzpflicht des Beklagten hinsichtlich zukünftiger materieller und immaterieller Schäden begehrt. Der Beklagte hat Klageabweisung beantragt und hilfsweise die Aufrechnung mit Ansprüchen auf Ersatz materiellen und immateriellen Schadens in Höhe von insgesamt 5.849,60 € erklärt.
Das Oberlandesgericht ließ die Revision des Beklagten zu, soweit sich der Beklagte durch die Aufrechnung mit einer Gegenforderung verteidigte, da in Literatur und Rechtsprechung umstritten sei, ob diese Vorschrift entgegen ihrem Wortlaut jedenfalls dann nicht anzuwenden sei, wenn sich zwei Forderungen aus vorsätzlicher unerlaubter Handlung gegenüber stehen, die aus einem einheitlichen Lebensverhältnis resultierten.
Lösung
Beide Parteien haben einen Anspruch auf Schmerzensgeld gem. §§ 823 ff. BGB i.V.m. § 253 II BGB. Zu prüfen ist, ob der Anspruch des Klägers infolge Aufrechnung gem. § 387 BGB erloschen ist.
Grundsätzlich liegen hier die Voraussetzungen für eine Aufrechnung vor, die in § 387 BGB zu finden sind: „Schulden zwei Personen einander (Gegenseitigkeit) Leistungen, die ihrem Gegenstand nach gleichartig (Gleichartigkeit) sind, so kann jeder Teil seine Forderungen gegen die Forderung des anderen Teils aufrechnen, sobald er die ihm gebührende Leistung fordern (Durchsetzbarkeit) und die ihm obliegende Leistung bewirken kann (Erfüllbarkeit).“
Möglicherweise steht jedoch der Aufrechnung des Beklagten das Aufrechnungsverbot des § 393 BGB entgegen.
Was regelt das Aufrechnungsverbot des § 393 BGB?
Grundsätzlich schützt das in § 393 BGB geregelte Aufrechnungsverbot den Geschädigten davor, dass der Schädiger gegen eine Forderung aus einer vorsätzlich begangenen unerlaubten Handlung aufrechnet. Dass der Geschädigte mit einer Forderung aus einer vorsätzlich begangenen unerlaubten Handlung aufrechnet, bleibt also von § 393 BGB unberührt.
Problem: Aufrechnungsverbot gem. § 393 BGB bei Gegenüberstehen von zwei Forderungen aus vorsätzlicher unerlaubter Handlung?
Hier in diesem Fall lag die Konstellation vor, dass der Schädiger gegen eine Forderung aus einer vorsätzlich begangenen unerlaubten Handlung mit einer Forderung aus einer vorsätzlich begangenen unerlaubten Handlung aufrechnen wollte. Ob auch in solch einer Konstellation § 393 BGB Anwendung findet, war Gegenstand dieser Entscheidung.
e.A.: § 393 BGB gilt nicht (uneingeschränkt) bei beiderseitiger vorsätzlicher unerlaubter Handlung
Die in der Literatur zum Teil vertretene Auffassung, wonach ein Aufrechnungsverbot zu verneinen sei, wenn auf beiden Seiten Forderungen aus vorsätzlichen unerlaubten Handlungen gegeben sind, ist mit dem klaren Wortlaut der Bestimmung nicht vereinbar.
Im Hinblick darauf wird teilweise eine eingeschränkte Nichtanwendbarkeit des Aufrechnungsverbots nur für solche Fälle, in denen die gegenseitigen Ansprüche auf einem einheitlichen Lebensverhältnis – wie etwa einer Prügelei – beruhen, befürwortet. Zur Begründung wird darauf verwiesen, dass die Vorschrift einem kalkulierten Missbrauch des Aufrechnungsrechts zum Zwecke der Privatrache gegenüber einem zahlungsunfähigen Erstschädiger vorbeugen wolle. Diese Gefahr bestehe aber dann nicht, wenn das Zweitdelikt innerhalb desselben Raufhandels begangen sei oder jedenfalls einen spontanen Racheakt in unmittelbarem Anschluss an das erste Delikt darstelle.
Eine andere Auffassung hält eine Korrektur des § 393 BGB nach dem Grundsatz von Treu und Glauben gemäß § 242 BGB je nach den Umständen des konkreten Falles für geboten.
Wiederum andere sprechen sich schließlich dafür aus, § 393 BGB nur dann anzuwenden, wenn der Schuldner zum Zwecke der Selbsthilfe gehandelt hat.
BGH: Aufrechnungverbot des § 393 BGB gilt uneingeschränkt
Eine eingeschränkte Nichtanwendbarkeit des Aufrechnungsverbots nur für solche Fälle, in denen die gegenseitigen Ansprüche auf einem einheitlichen Lebensverhältnis beruhen, ist jedoch abzulehnen. Sie würde zu einer nicht hinnehmbaren Rechtsunsicherheit führen, weil dann in jedem Einzelfall geprüft werden müsste, ob die Voraussetzung eines einheitlichen Lebensvorgangs gegeben ist. Nach wohl herrschender Meinung gilt das Aufrechnungsverbot deshalb uneingeschränkt.
Ergebnis
Da hier somit das Aufrechnungsverbot des § 393 BGB uneingeschränkt gilt, kann der Beklagte gegen die vom Kläger geltend gemachte Forderung nicht aufrechnen und ist somit zur Zahlung des Schmerzensgeldes und ggf. weiterer entstehender Kosten verpflichtet.
Examensrelevanz
Über die grundsätzlichen Voraussetzungen der Aufrechnung hinaus sollte man sich bei der Examensvorbereitung auch einen Überblick über die gesetzlichen Aufrechnungsverbote der §§ 392-395 BGB wie auch über mögliche vertragliche Aufrechnungsverbote verschaffen. Die Problematik dieser BGH Entscheidung eignet sich sowohl die schriftlichen Klausuren als auch für die mündliche Prüfung.
BGH, Beschluss vom 15.09.2009, VI ZA 13/09
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