Seit einigen Jahren sind Stellenausschreibungen geschlechtsneutral formuliert oder werden mit dem Hinweis „m/w/d“ versehen. Dadurch wird deutlich gemacht, dass sich Menschen allen Geschlechts auf eine Stelle bewerben können. Andernfalls liegt ein Verstoß gegen das Allgemeine Gleichbehandlungsgesetz (AGG) vor und es drohen Konsequenzen. Für sogenannte „AGG-Hopper“ ist dies Anlass genug, um derartige Stellenausschreibungen gezielt aufzuspüren und lukrative Entschädigungsansprüche nach dem AGG geltend zu machen. Ersthafte Ambitionen, die ausgeschriebene Stelle auch tatsächlich zu besetzen, haben derartige „AGG-Hopper“ dabei nie. Warum es aber im vorliegenden Fall nicht gelang, einen Entschädigungsanspruch durchzusetzen, erklärt Gastautor Micha Mackenbrock. Er hat das Erste Staatsexamen an der Universität Bonn absolviert und widmet sich nun seinem Promotionsvorhaben im Bereich Arbeitsrecht.
I. Der Sachverhalt
Im Fall, den das LAG Hamm zu entscheiden hatte (LAG Hamm, Urteil vom 05.12.2023 – 6 Sa 896/23) bewarb sich der männliche Kläger auf eine Stelle, welche für eine „Sekretärin“ ausgeschrieben worden ist. Der von Sozialleistungen lebende Kläger bewarb sich in der Vergangenheit schon mehrfach auf derartige Stellenausschreibungen bei verschiedenen Unternehmen und führte danach Entschädigungsprozesse aufgrund einer etwaigen Benachteiligung wegen des Geschlechts.
Anfang 2021 fand der Kläger eine Stellenausschreibung als „Sekretärin“ auf einem Internetportal und nutzte daraufhin die dortige Chat-Funktion, um mit dem Unternehmen in Kontakt zu kommen. In wenigen und recht formlosen Sätzen beschrieb sich der Kläger darin und bewarb sich so auf die Stelle. Zudem fragte er explizit nach, ob das Unternehmen ausschließlich eine weibliche Sekretärin suche. Motivationsschreiben, Lebenslauf, Zeugnisse oder andere sonst übliche Bewerbungsunterlagen reichte er neben der Chatnachricht nicht mit ein.
Das Unternehmen sagte dem Kläger mit dem Verweis darauf, dass ausschließlich eine weibliche Sekretärin gesucht werde, ab. Vor Gericht forderte der Kläger vom Unternehmen Entschädigung nach § 15 AGG.
II. Gesetzlicher Hintergrund
Tatsächlich können aus Stellenausschreibungen Entschädigungsansprüche resultieren, wenn diese nicht geschlechtsneutral formuliert sind. Nach §§ 1, 7 AGG ist eine Benachteiligung von Beschäftigten wegen des Geschlechts unzulässig. Eine Benachteiligung wegen des Geschlechts liegt nach § 3 I AGG dabei immer dann vor, wenn eine Person wegen ihres Geschlechts eine weniger günstige Behandlung erfährt, als eine andere Person in einer vergleichbaren Situation erfährt, erfahren hat oder erfahren würde. §§ 6 I 2, 11 AGG weiten den Anwendungsbereich auf Bewerber und Stellenausschreibungen aus. Bei einem Verstoß gegen das Benachteiligungsverbot, etwa wegen einer diskriminierenden Nichteinstellung, hat der Arbeitgeber eine Entschädigung nach § 15 AGG zu zahlen.
III. Die Entscheidung
Das LAG führt aus, dass dem Grunde nach die Anspruchsvoraussetzungen nach § 15 II AGG vorliegen könnten. Es läge jedoch ein rechtsmissbräuchliches Verhalten seitens des Klägers nach § 242 BGB vor, welches den Anspruch im Ergebnis ausschließe.
Das LAG verweist auf die ständige Rechtsprechung des BAG, wonach im Zusammenhang mit Entschädigungsansprüchen nach § 15 II AGG Rechtsmissbrauch anzunehmen sei, „sofern eine Person sich nicht beworben hat, um die ausgeschriebene Stelle zu erhalten, sondern es ihr darum ging, nur den formalen Status als Bewerber/in iSv. § 6 Abs. 1 Satz 2 AGG zu erlangen mit dem ausschließlichen Ziel, Ansprüche auf Entschädigung und/oder Schadensersatz geltend zu machen“ (BAG, Urteil vom 14.06.2023 – 8 AZR 136/22, Rn. 54).
1. Voraussetzungen für Rechtsmissbrauch im Sinne von § 242 BGB
Das Vorliegen eines Rechtsmissbrauchs setzt ein objektives und ein subjektives Element voraus.
a. Objektives Element
Die Rechtsprechung verlangt für das Vorliegen eines objektiven Elements, dass aus einer umfassenden Bewertung aller objektiven Faktoren hervorgeht, dass das Ziel der Regelung trotz Einhaltung aller formalen Vorgaben nicht erreicht wurde. Ein Rechtsmissbrauch liege vor allem dann vor, wenn der Bewerber zielgerichtet so vorgeht, dass er einen Gewinn einstreichen kann (LAG Hamm, Urteil vom 05.12.2023 – 6 Sa 896/23, Rn. 90, 92).
aa. Große Entfernung
Als Indiz für das Vorliegen eines Rechtsmissbrauchs verwies das LAG zunächst auf die große Entfernung von 170 Kilometer zwischen dem Wohnort des Klägers und der ausgeschriebenen Stelle. Dies spreche dafür, dass eine Arbeitsaufnahme nicht beabsichtigt war. Zwar schrieb der Bewerber in der Chatnachricht, dass er derzeit eine Wohnung in der Nähe der ausgeschriebenen Stelle suche. Jedoch bewarb sich der Kläger auch auf andere Stellen, die wiederum weit entfernt waren. Daraus ließe sich schließen, dass der Bewerber nie vorhatte, tatsächlich in die Nähe des beklagten Unternehmens zu zuziehen. Auch sei die Entfernung zu hoch, als dass ein tägliches Pendeln möglich und wirtschaftlich rentabel sei.
bb. Art und Weise der Bewerbung
Auch die Art und Weise wie sich der Kläger auf die Stelle beworben hat, spreche für ein rechtsmissbräuchliches Verhalten. Schließlich haben das Verhalten des Klägers eine Absage geradezu provoziert. Die Bewerbung wies weder einen konkreten Bezug auf die Stellenausschreibung aus, noch hatte der Kläger die erforderlichen Qualifikationen. Zudem übersandte der Kläger nicht die üblichen Bewerbungsunterlagen wie Lebenslauf, Zeugnisse oder Motivationsschreiben. Die Bewerbung sei somit von Anfang an zum Scheitern verurteilt und der Bewerber nie ernsthaft an der Stelle interessiert gewesen, so das LAG.
cc. Vielzahl an Bewerbungen und Entschädigungsprozessen
Vor allem die hohe Anzahl an Bewerbungen und Entschädigungsprozessen, die der Kläger in der Vergangenheit geführt hatte, sprächen nach Auffassung des LAG für einen Rechtsmissbrauch. Zwar passte der Kläger sein „Geschäftsmodell“ nach verlorenen und gewonnenen Entschädigungsprozessen stets entsprechend an. Er beließ seine Bewerbungen aber bewusst auf aussichtslosem Niveau. Sein Prozesskostenrisiko minimierte er in der Vielzahl von Prozessen dadurch, dass er erstinstanzlich auf einen Rechtsanwalt verzichtete. Zudem nutzte der Bürgergeld beziehende Kläger Prozesskostenhilfe, so dass das Geschäftsmodell des AGG-Hoppings für den Kläger durchaus lukrativ sein könnte.
Aus alledem ergibt sich nach Auffassung des LAG, dass das objektive Element des Rechtsmissbrauchs vorliegt (LAG Hamm, Urteil vom 05.12.2023 – 6 Sa 896/23, Rn. 98-140).
b. Subjektives Element
Hinsichtlich des subjektiven Elements muss nach der Rechtsprechung anhand einer Reihe objektiver Indizien erkennbar sein, dass die Absicht darin besteht, durch das willkürliche Herbeiführen der entsprechenden Voraussetzungen einen ungerechtfertigten Vorteil aus der Regelung zu erlangen. Dabei muss die Erlangung des Vorteils das einzige ersichtliche Ziel sein (LAG Hamm, Urteil vom 05.12.2023 – 6 Sa 896/23, Rn. 90).
Schon aus den objektiven Umständen ergebe sich im zu entscheidenden Fall, dass es dem Kläger nur um eine Entschädigungszahlung ging. Ein echtes Interesse an der Stelle bestand nicht.
Außerdem zitiert der Kläger in der Klageschrift umfassend die Rechtsprechung des BAG zum Rechtsmissbrauch und trägt vor, warum sein Verhalten gerade nicht rechtsmissbräuchlich sei. Dies wertet das LAG als „Eigentor“ des Klägers: Der Kläger scheine genau zu wissen, was er tut und tun muss, um sich die gegen § 11 AGG verstoßenden Stellenausschreibungen finanziell zu Nutze zu machen. Das spreche schon dafür, dass es dem Kläger nie um eine erfolgreiche Bewerbung ging, sondern einzig und allein um die Erlangung von Entschädigungszahlungen (LAG Hamm, Urteil vom 05.12.2023 – 6 Sa 896/23, Rn. 143).
Demnach läge auch das subjektive Element und ein rechtsmissbräuchliches Verhalten nach § 242 BGB insgesamt vor.
Gegen das Urteil des LAG Hamm ging der Kläger in Revision. Erfolglos, denn das BAG schloss sich dem LAG jüngst an (BAG, Urteil vom 19.09.2024, Az. 8 AZR 21/24).
IV. Einordnung der Entscheidung
Unstreitig ist, dass die Stellenausschreibung des Beklagten gegen das AGG verstieß und Männer diskriminiert. Wirklich diskriminierten Personen erweisen „AGG-Hopper“ mit ihrem Verhalten einen Bärendienst. Mit ihrem Betreiben und ihrem Geschäftsmodelle diskreditieren sie alle tatsächlich Diskriminierten, welche eine Absage auf ihre Bewerbungen wegen ihres Geschlechts erhalten oder schon wegen geschlechtsspezifischen Stellenausschreibungen von einer Bewerbung absehen, obgleich sie ernsthaftes Interesse an der Stelle gehabt hätten. Sinn und Zweck des AGG ist es aber nicht, dass Unbeteiligte einen finanziellen Nutzen aus Diskriminierungen ziehen können. Richtig also, dass die Rechtsprechung „AGG-Hoppern“ klare Grenzen aufzeigt – auch wenn Diskriminierungen dadurch nicht bekämpft werden können.