Advent, Advent!
Mit dem ersten Advent ist für viele Weihnachtsmuffel und Uninspirierte beim Geschenkekauf ab heute eines klar: Es wird Zeit, bald wieder Weihnachtsgeschenke zu kaufen. Neben der Socke für den Herrn und dem Staubsaugerbeutel für die Dame greifen viele Menschen zu etwas noch deutlich Kreativerem: dem Geschenkgutschein. Aber nicht nur bei mangelhaften Socken, sondern auch beim Geschenkgutschein können juristische Fallstricke lauern.
Gültigkeitsbefristung und Restguthabenverfall bei Geschenkgutscheinen von Amazon
Viele Gutscheine sind in ihrer Gültigkeit zeitlich befristet. So waren etwa früher die Gutscheine von Amazon auf ein Jahr begrenzt. Diese Regelung wurde von einem Verbraucherschutzverband (nach § 3 UKlaG) angegriffen. Konkret ging es um folgende Klauseln:
1. Gutscheine sind generell ein Jahr ab Ausstellungsdatum gültig.
2. Restguthaben werden bis zum Verfallsdatum des Gutscheins Ihrem Geschenkgutschein-Konto gutgeschrieben. Danach können sie nicht mehr verwendet werden.
Das OLG München hat in seiner Berufungsentscheidung diese Klauseln als unzulässig eingestuft (Urteil vom 17. 1.2008 – Az. 29 U 3193/07, NJW-RR 2008, 1233).
Kontrollfähigkeit nach § 307 Abs. 3 S. 1 BGB
Das Vorliegen von AGB i.S.d. §§ 305 ff. BGB war hier unproblematisch. Weniger eindeutig war die Kontrollfähigkeit nach § 307 Abs. 3 BGB gegeben. Das beklagte Versandhaus hatte im Rahmen der Berufung eingewendet, dass die angegriffenen Klauseln den Inhalt ihrer Verpflichtung bestimmten und daher gem. § 307 Abs. 3 S. 1 BGB nicht der Inhaltskontrolle unterworfen seien. Dies lehnte das OLG München zu Recht ab:
„Nach dieser Vorschrift [§ 307 Abs. 3 Satz 1 BGB] unterliegen bloße Abreden über den unmittelbaren Gegenstand der Hauptleistung (so genannte Leistungsbeschreibungen) nicht der Inhaltskontrolle nach §§ 307 ff. BGB. Unter den Begriff der Leistungsbeschreibung fallen solche Bestimmungen, die Art, Umfang und Güte der geschuldeten Leistung festlegen. Klauseln, die das Hauptleistungsversprechen einschränken, ausgestalten oder modifizieren, sind hingegen inhaltlich zu kontrollieren. Damit bleibt für die der Überprüfung entzogene Leistungsbeschreibung nur der enge Bereich von Regelungen, ohne deren Vorliegen mangels Bestimmtheit oder Bestimmbarkeit des wesentlichen Vertragsinhalts ein wirksamer Vertrag nicht mehr angenommen werden kann (vgl. BGH, Urt. v. 15. November 2007 – III ZR 247/06, Tz. 18 m. w. N.).
In diesen engen Bereich fallen die streitigen Klauseln nicht, da der wesentliche Vertragsinhalt mit den Hauptleistungspflichten der Parteien auch ohne die Klauseln zum Verfall des Guthabens bestimmt werden könnte (vgl. Senat NJW 2006, 2416 [2417]; Kieninger in: Münchener Kommentar zum BGB, 5. Aufl. 2007, § 307 Rz. 14).“
Systematik der § 307 Abs. 1 S. 1, Abs. 2 BGB
Somit waren die Klauseln kontrollfähig nach §§ 307-309 BGB. Anhaltspunkte für einen Verstoß gegen spezielle Klauselverbote nach §§ 308, 309 BGB gab es nicht, sodass es entscheidend auf die Prüfung der Generalklausel des § 307 I 1 BGB ankam. Danach sind Klauseln unwirksam, „wenn sie den Vertragspartner des Verwenders entgegen den Geboten von Treu und Glauben unangemessen benachteiligen.“ Eine formularmäßige Vertragsbestimmung ist unangemessen, wenn der Verwender durch einseitige Vertragsgestaltung missbräuchlich eigene Interessen auf Kosten seines Vertragspartners durchzusetzen versucht, ohne von vornherein auch dessen Belange hinreichend zu berücksichtigen und ihm einen angemessenen Ausgleich zuzugestehen; die Unangemessenheit ist zu verneinen, wenn die Benachteiligung des Vertragspartners durch höherrangige oder zumindest gleichwertige Interessen des Verwenders gerechtfertigt ist.
Die recht abstrakte Formel des § 307 Abs. 1 S. 1 BGB wird durch § 307 Abs. 2 BGB konkretisiert. Danach liegt eine unangemessene Benachteiligung insbesondere vor beim Abweichen von Grundgedanken der gesetzlichen Regelung (Nr. 1) und bei der Einschränkung von wesentlichen Rechten und Pflichten, die sich aus der Natur des Vertrages ergeben (sog. Kardinalpflichten; Nr. 2).
Unangemessenheit der Gültigkeitsbefristung nach § 307 Abs. 2 Nr. 1 BGB
Im vorliegenden Fall konnte mit § 307 Abs. 2 Nr. 1 BGB (i.V.m. § 307 Abs. 1 S. 1 BGB) argumentiert werden, denn durch die kurze Gültigkeit des Gutscheins wird vom gesetzlichen Leitbild der Verjährungsregeln abgewichen.
„Das bürgerliche Recht kennt für Verpflichtungen aus schuldrechtlichen Verträgen im Allgemeinen nur das in den §§ 194 ff. BGB im Einzelnen geregelte Rechtsinstitut der Verjährung, nicht dagegen besondere, von der Frage der Verjährung unabhängige Ausschlussfristen. Auch für den mit einem Geschenkgutschein verknüpften Anspruch gegen die Beklagte ist – ohne dass es auf die Einzelheiten der rechtlichen Einordnung des zu Grunde liegenden Vertragsverhältnisses ankäme – keine gesetzlich vorgesehene Ausschlussfrist ersichtlich. Die Gültigkeitsbefristung der Geschenkgutscheine der Beklagten enthält daher eine Abweichung von den gesetzlichen Vorschriften des bürgerlichen Rechts.
Zu den wesentlichen Grundgedanken der für schuldrechtliche gegenseitige Verträge geltenden Regeln des bürgerlichen Rechts gehört das Prinzip der Äquivalenz von Leistung und Gegenleistung (vgl. BGH NJW-RR 2007, 1124 Tz. 28 m. w. N.), das durch die Verjährungsvorschriften in zeitlicher Hinsicht näher ausgestaltet wird. In dieses Äquivalenzverhältnis wird auch durch eine vertragliche Regelung eingegriffen, die die Werthaltigkeit einer Gegenleistung, die ein Vertragspartner auf Grund eigener Vorleistung verlangen kann, zeitlich über die Verjährungsregelungen hinaus beschränkt (vgl. BGH NJW 2001, 2635 [2637]).“
Einbeziehung von Interessen des Beschenkten bei Bewertung der Angemessenheit
Unerheblich war, dass durch die Verkürzung der Laufzeit nicht der Erwerber des Gutscheins, sondern im Ergebnis der Beschenkte benachteiligt wird. Auch die Interessen Dritter können bei der Beurteilung der Angemessenheit nach § 307 Abs. 1 BGB maßgebend sein. In den Schutz des § 307 Abs. 1 BGB sind namentlich auch die Interessen solcher Personen einbezogen, die Rechte aus dem Vertrag herleiten können oder durch diesen unmittelbar berechtigt sind. Dies ist hier hinsichtlich der Empfänger der Geschenkgutscheine eindeutig der Fall, denn der Beschenkte kann aus eigenem Recht den Gutschein zum Kauf von Waren des Ausstellers verwenden (zur Rechtsnatur von Gutscheinen s. instruktiv Zwickel, NJW 2011, 2753: idR dürfte ein sog. kleines Inhaberpapier nach § 807 BGB vorliegen). Durch den Gutschein wird dann die Gegenleistung (Kaufpreiszahlung) erfüllt (§ 362 I BGB oder § 364 I BGB).
Unangemessenheit von Befristungen unter drei Jahren
Vor diesem Hintergrund war die angegriffene Regelung in zweifacher Hinsicht mit einer Benachteiligung verbunden:
„Die angegriffenen Klauseln zielen auf eine doppelte Benachteiligung des Gutscheininhabers im Vergleich zu der gesetzlichen Regelung der §§ 195, 199 BGB ab, nach der entsprechende Ansprüche mit dem Ablauf einer Frist von drei Jahren – beginnend mit dem Schluss des Jahres, in dem der Anspruch entsteht – verjähren.So wird der Zeitraum, in dem die unmittelbare Geltendmachung des Anspruchs möglich ist, auf höchstens ein Drittel des vom gesetzlichen Leitbild Vorgesehenen herabgesetzt; der dadurch bewirkte ersatzlose Verlust der Möglichkeit, einen nicht verjährten Anspruch geltend zu machen, stellt eine erhebliche Beeinträchtigung der Interessen des Gutscheininhabers dar. Daneben wird die auch nach Eintritt der Verjährung mögliche Entgegenhaltung des Anspruchs im Wege der Aufrechnung oder der Geltendmachung eines Zurückbehaltungsrechts (vgl. § 215 BGB) dadurch ausgeschlossen, dass der Anspruch erlöschen („verfallen“) und damit gänzlich untergehen soll.“
Aus dieser Benachteiligung folgt die Unangemessenheit der Regelung, zumal keine gegenläufigen Interessen des Versandhauses anzuerkennen sind, durch die eine solche Benachteiligung gerechtfertigt wäre. Nach dem OLG München stellen weder ein erhöhter Buchführungs- und Bilanzierungsaufwand noch Probleme bei der parallelen Anwendbarkeit alter und neuer AGB hinreichende Interessen dar.
„Die Berufung der Beklagten auf einen erhöhten Buchführungs- und Bilanzierungsaufwand ist nicht geeignet, die durch die angegriffenen Klauseln bewirkte Beschneidung der Rechte der Gutscheininhaber zu rechtfertigen. Dieser Aufwand ist dem Grunde nach schon in dem von der Beklagten selbst gewählten Geschäftsmodell, zur Steigerung ihres Umsatzes Geschenkgutscheine anzubieten, angelegt. Auch bei nur einjähriger Gültigkeit der Gutscheine müssen die jeweils noch offenen Gutscheinwerte in Konten geführt und am Ende des Geschäftsjahrs bilanziert werden. […]
In gleicher Weise fällt der von der Beklagten ebenfalls zur Rechtfertigung ihrer Verfallsregelung angeführte Aufwand, bei Änderungen der Gutscheinbedingungen parallel alte und neue Bedingungen beachten zu müssen, dem Grunde nach auch bei einer Gültigkeitsdauer der Gutscheine von nur einem Jahr an. Zudem ist weder von der Beklagten vorgetragen noch sonst ersichtlich, dass derartige Änderungen in beachtenswertem Umfang anfallen und welcher konkrete Aufwand damit verbunden ist; insoweit handelt es sich bei diesem Vorbringen der Beklagten lediglich um hypothetische Behauptungen ohne praktische Bedeutung. Schließlich können Änderungen der Bedingungen, die ihren Anlass in der Sphäre der Beklagten haben, nicht dazu herangezogen werden, eine Benachteiligung der Gegenseite zu rechtfertigen.“
Neue Regelung für Geschenkgutscheine von Amazon
Amazon hat ersichtlich auf die Entscheidung reagiert. Auf der Homepage heißt es nun:
Alle Gutscheine sind bis zum Ende des dritten Jahres nach Kauf einlösbar. Das genaue Ablaufdatum wird immer direkt auf dem Gutschein angegeben.
Damit sind die Vorgaben des OLG München hinsichtlich einer längeren Verfallsdauer umgesetzt, denn die neue Regelung orientiert sich genau an der Untergrenze der gesetzlichen Verjährung. Es fehlt allerdings weiterhin an einer Regelung zur Aufrechenbarkeit trotz Verjährung entsprechend § 215 BGB. Dass diese leichte Abweichung von der gesetzlichen Regelung allein die Unangemessenheit und mithin Unwirksamkeit der Klausel begründet, ist aber wohl im Ergebnis nicht anzunehmen (aA vertretbar).
Schema: Prüfung von AGB
Der Fall kann zum Anlass genommen werden, sich die Systematik der §§ 305 ff. BGB noch einmal zu vergegenwärtigen und sich ein Schema für die Prüfung in der Klausur zu erarbeiten. Folgende Punkte sind bei der Inhaltskontrolle von AGB – zumindest gedanklich – zu prüfen:
I. Anwendungsbereich
1. persönlicher Anwendungsbereich: § 310 I
2. sachlicher Anwendungsbereich: § 310 II, IV
II. Vorliegen von AGB
Legaldefinition in § 305 I BGB: “…für eine Vielzahl von Verträgen vorformulierte Vertragsbedingungen, die eine Vertragspartei (Verwender) der anderen Vertragspartei bei Abschluss eines Vertrages stellt.”
III. Wirksame Einbeziehung
1. Einbeziehungsvereinbarung, § 305 II BGB
2. Einbeziehung in besonderen Fällen, § 305 a BGB
3. keine vorrangige Individualabrede, § 305 b BGB
4. keine überraschende Klausel, § 305 c I BGB
5. Unklarheiten gehen zu Lasten der Verwender, § 305 c II BGB
IV. Inhaltskontrolle
1. Auslegung der Klausel: §§ 133, 157 BGB, beachte § 305 c BGB
2. Anwendungsbereich der Inhaltskontrolle: § 307 III BGB
3. Inhaltskontrolle:
a. Klauselverbote ohne Wertungsmöglichkeit,§ 309 BGB
b. Klauselverbote mit Wertungsmöglichkeit, § 308 BGB
c. Generalklausel, § 307 BGB
i. § 307 II BGB
ii. § 307 I BGB
V. Rechtsfolge
Bei zulässigem Inhalt werden die AGB wirksamer Bestandteil des Vertrags. Bei unzulässigem Inhalt:
1. Klausel unwirksam (keine geltungserhaltende Reduktion), § 306 I BGB, im Übrigen bleibt die AGB grundsätzlich wirksam
2. Statt der unwirksamen Klausel gelten insoweit nach § 306 II BGB die gesetzlichen Bestimmungen (Anwendung dispositiver Gesetzesvorschriften)
3. Nur ausnahmsweise ganzer Vertrag unwirksam, § 306 III BGB
4. ggf. ergänzende Vertragsauslegung