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Schlagwortarchiv für: Geschäftsordnung

Dr. Lena Bleckmann

AfD scheitert vor dem Bundesverfassungsgericht – Kein Anspruch auf Wahl eines Vizepräsidenten oder einer Vizepräsidentin des Bundestages

Examensvorbereitung, Für die ersten Semester, Lerntipps, Öffentliches Recht, Rechtsgebiete, Rechtsprechung, Schon gelesen?, Startseite, Verfassungsrecht

Mit einer gestern veröffentlichten Entscheidung (Az. 2 BvE 9/20) hat das Bundesverfassungsgericht der Bundestagsfraktion der Alternative für Deutschland (AfD) einen Dämpfer verpasst. Nach Einschätzung des BVerfG hat die Fraktion keinen Anspruch darauf, dass ein von ihr vorgeschlagener Abgeordneter oder eine von ihr vorgeschlagene Abgeordnete zum Stellvertreter oder zur Stellvertreterin des Präsidenten bzw. der Präsidentin des Deutschen Bundestages gewählt wird. Im Folgenden ein Überblick über die wichtigsten Aspekte der Entscheidung.

I. Sachverhalt

Der Sachverhalt ist schnell erzählt. Nach § 2 Abs. 1 S. 1 GO-BT wählt der Bundestag einen Bundestagspräsidenten und seine Stellvertreter und Stellvertreterinnen (VizepräsidentInnen), wobei jede Fraktion nach § 2 Abs. 1 S. 1 GO-BT durch mindestens einen Vizepräsidenten oder eine Vizepräsidentin im Präsidium vertreten ist.

Nachdem der Bundestag die Zahl der Stellvertreter und Stellvertreterinnen für die 19. Legislaturperiode entsprechend der Zahl der im Bundestag vertretenen Fraktionen auf sechs festgelegt hatte, wurde die Wahl der Vizepräsidenten und Vizepräsidentinnen gemäß § 2 Abs. 2 GO-BT durchgeführt. Einzig der AfD-Kandidat konnte auch in drei Wahlgängen keine Mehrheit auf sich vereinen. Das Schauspiel wiederholte sich im Laufe der Legislaturperiode: Insgesamt fünf weitere vorgeschlagene Abgeordnete der AfD-Fraktion fielen in jeweils drei Wahlgängen durch. Bis zum Ende der 19. Legislaturperiode gab es keinen Stellvertreter des Bundestagspräsidenten aus der AfD-Fraktion.

Hierdurch sieht die Fraktion ihre Rechte aus Art. 38 Abs. 1 S. 2 GG und ihr Recht auf faire und loyale Anwendung der Geschäftsordnung sowie den Grundsatz der Organtreue verletzt. Sie macht geltend, wenn eine Bestellung eines Gremiums von einer Mehrheitswahl abhängig gemacht werde, müsse dafür Sorge getragen werden, dass Kandidaten nicht aus sachwidrigen Gründen abgelehnt würden. Dies habe der Antragsgegner (der Deutsche Bundestag) durch geeignete Vorkehrungen sicherzustellen. Er müsse verfassungswidrigen Blockaden durch eine oder mehrere Fraktionen oder eine Mehrheit der Abgeordneten durch ein formelles oder informelles Verfahren entgegenwirken.

II. Die Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts

Diese Einschätzung hat das Bundesverfassungsgericht in typischer Art abgelehnt, man möchte fast sagen abgebügelt – der Antrag sei offensichtlich unbegründet. In seiner Untermauerung dieser These geht das BVerfG in drei Schritten vor. Zunächst setzt es sich mit der möglichen Verletzung des Art. 38 Abs. 1 S. 2 GG auseinander, sodann mit einer solchen des Rechts auf effektive Opposition und schließlich dem Grundsatz der Organtreue.

  1. Prozessuales

Die Zulässigkeit des Antrags lässt das BVerfG demgegenüber offen. Prozessual hatte die Bundestagsfraktion der AfD ein Organstreitverfahren gegen den Deutschen Bundestag als Antragsgegner angestoßen. Die einzelnen Prüfungspunkte sollen an dieser Stelle nicht wiederholt werden. Sollte sich der Sachverhalt jedoch einmal in einer Klausur wiederfinden, sollten Prüflinge sich jedenfalls kurz mit der Antragsbefugnis der Fraktion auseinandersetzen. Nach § 64 Abs. 1 BVerfGG muss der Antragsteller geltend machen, dass er oder das Organ, dem er angehört, in seinen ihm durch das Grundgesetz übertragenen Rechten und Pflichten verletzt oder unmittelbar gefährdet ist. „Durch das Grundgesetz“ ist hier der entscheidende Satzteil – das verletzte oder gefährdete organschaftliche Recht muss ein solches sein, das durch die Verfassung gewährleistet wird. An Rechtspositionen, die allein aus der Geschäftsordnung des Bundestags folgen, kann ein Organstreitverfahren nicht geknüpft werden.

Achtung: Zwar nennt Art. 93 Abs. 1 Nr. 1 GG auch andere Beteiligte, die durch das Grundgesetz oder die Geschäftsordnung eines obersten Bundesorgans mit eigenen Rechten ausgestattet sind. Die Nennung der Geschäftsordnungsrechte bezieht sich hier aber allein auf die Beteiligtenfähigkeit im Organstreit, nicht aber auf die Antragsbefugnis (vgl. Schmidt-Bleibtreu/Klein/Bethge/Bethge, § 64 BVerfGG, Rn. 61).

Das schließt nicht aus, dass die GO-BT im Rahmen der Antragsbefugnis relevant werden kann. Die von ihr gewährten Rechte müssen sich aber an ein bereits aus der Verfassung folgendes Statusrecht des antragstellenden Organs ergeben und dieses ausgestalten (vgl. etwa BVerfGE 87, 207, 208 f.). 

Hinweis: Das BVerfG hat die Frage der Zulässigkeit zwar offen gelassen, es erscheint in der Klausur angezeigt, die Antragsbefugnis mit Blick auf die Möglichkeitstheorie zunächst zu bejahen und die relevanten Probleme in der Begründetheit zu erörtern.

  1. Zu Art. 38 Abs. 1 S. 2 GG

Erster Anknüpfungspunkt ist Art. 38 Abs. 1 S. 2 GG, der zunächst einmal das freie Mandat der Abgeordneten des Bundestages regelt. Aus dieser Norm leitet das Bundesverfassungsgericht auch die Rechtsstellung der Fraktionen und insbesondere ein Recht auf formale Gleichheit der Abgeordneten und Fraktionen ab:

„Die Antragstellerin ist als Fraktion im Deutschen Bundestag ein Zusammenschluss von Abgeordneten, dessen Rechtsstellung – ebenso wie der Status der Abgeordneten – aus Art. 38 Abs. 1 Satz 2 GG abzuleiten ist. Dementsprechend haben die Fraktionen gemäß Art. 38 Abs. 1 Satz 2 GG ein Recht auf formal gleiche Mitwirkung an der parlamentarischen Willensbildung.“ (BVerfG, Beschl. v. 22.3.2022, 2 BvE 9/20, Rn. 28, Nachweise im Zitat ausgelassen).

Das Recht auf Gleichbehandlung erstreckt sich dabei nach den Ausführungen des BVerfG auch auf Fragen der Organisation des Bundestages, auch für die Besetzung von Ämtern und damit auf für den Zugang zum Bundestagspräsidium (BVerfG, Beschl. v. 22.3.2022, 2 BvE 9/20, Rn. 28).

Mag so auch ein Recht auf gleichberechtigte Mitwirkung der Abgeordneten am und im Präsidium bestehen, so wird dieses doch wiederum begrenzt durch Art. 40 Abs. 1 S. 1 GG, der die Wahl (!) des Bundestagspräsidenten und der Stellvertreter und Schriftführer vorsieht. Das BVerfG nimmt dies zum Anlass, die Grundsätze und Bedeutung von Wahlen zu erläutern:

„Dabei ist die Wahl nach Art. 40 Abs. 1 Satz 1 GG frei. Wahlen zeichnen sich gerade durch die Wahlfreiheit aus, wenngleich die Wählbarkeit von der Erfüllung bestimmter Voraussetzungen abhängen kann. Der mit einer Wahl einhergehende legitimatorische Mehrwert könnte nicht erreicht werden, wenn es eine Pflicht zur Wahl eines bestimmten Kandidaten oder einer bestimmten Kandidatin gäbe. Der Wahlakt unterliegt grundsätzlich keiner über Verfahrensfehler hinausgehenden gerichtlichen Kontrolle, weswegen sein Ergebnis auch keiner Begründung oder Rechtfertigung bedarf.“ (BVerfG, Beschl. v. 22.3.2022, 2 BvE 9/20, Rn. 31, Nachweis im Zitat ausgelassen).

Dies knüpft das Gericht ergänzend an das freie Mandat der Abgeordneten nach Art. 38 Abs. 1 S. 2 GG und das Demokratieprinzip nach Art. 20 Abs. 1, Abs. 2 GG. An einer späteren Stelle im Urteil heißt es darüber hinaus, „mit einer freien Wahl im Sinne des Art. 40 Abs. 1 Satz 1 GG wäre es unvereinbar, wenn eine Fraktion das Recht auf ein bestimmtes Wahlergebnis hätte. Könnte eine Fraktion – mittels der von der Antragstellerin begehrten „prozeduralen Vorkehrungen“ oder gar durch ein Besetzungsrecht – einen Vizepräsidenten oder eine Vizepräsidentin durchsetzen, wäre die Wahl ihres Sinns entleert.“ (BVerfG, Beschl. v. 22.3.2022, 2 BvE 9/20, Rn. 35).

Weder könnten daher die Abgeordneten oder Fraktionen verpflichtet werden, die Stimmabgabe offenzulegen oder zu begründen, noch soll das Recht der Fraktionen aus Art. 38 Abs. 1 S. 2 GG durch prozedurale Vorkehrungen, welche die Wahl letztlich steuern und einengen, beschränkt werden (BVerfG, Beschl. v. 22.3.2022, 2 BvE 9/20, Rn. 33, 36). Diese Grundsätze führen das BVerfG zu dem folgenden, eindeutigen Ergebnis:

„Der Anspruch einer Fraktion auf Mitwirkung und Gleichbehandlung mit den anderen Fraktionen bei der Besetzung des Präsidiums aus Art. 38 Abs. 1 Satz 2 GG steht mit Blick auf Art. 40 Abs. 1 Satz 1 GG unter dem Vorbehalt der Wahl. Er ist darauf beschränkt, dass eine Fraktion einen Kandidaten für die Wahl vorschlagen kann und dass die freie Wahl ordnungsgemäß durchgeführt wird. Gelingt die Wahl nicht, bleibt die Stellvertreterposition unbesetzt, solange nicht ein von der zu vertretenden Fraktion einzubringender neuer Personalvorschlag die erforderliche Mehrheit erreicht. Das in § 2 Abs. 1 und Abs. 2 GO-BT vorgesehene Vorschlags- und Wahlrecht sichert hinreichend das Mitwirkungsrecht aus Art. 38 Abs. 1 Satz 2 GG und bringt dieses in einen angemessenen Ausgleich zu der verfassungsrechtlichen Vorgabe in Art. 40 Abs. 1 Satz 1 GG.“ (BVerfG, Beschl. v. 22.3.2022, 2 BvE 9/20, Rn. 37).

  1. Zum Recht auf effektive Opposition

Deutlich kürzer fasst sich das Gericht im Hinblick auf das Recht auf effektive Opposition. Ein solches ist zwar in der Rechtsprechung des BVerfG anerkannt (BVerfGE 142, 22, Rn. 85 ff.).  Es begründet aber keine spezifischen Oppositionsrechte, was auch mit der Freiheit des Mandats nach Art. 38 Abs. 1 S. 2 GG nicht vereinbar wäre (BVerfG, Beschl. v. 22.3.2022, 2 BvE 9/20, Rn. 42).

Hinweis: Das BVerfG spricht hier einen Klausurklassiker an. Wem das Recht auf effektive Opposition nichts sagt, der sollte hier noch einmal im Lehrbuch oder Kommentar nachlesen!

Dass dieses Recht hier nicht betroffen ist, begründet das BVerfG weiterhin damit, dass es  nicht dazu dienen kann, die Minderheit vor Entscheidungen der Mehrheit im Rahmen freier Wahlen zu bewahren, sowie damit, dass das Bundestagspräsidium zu parteipolitischer Zurückhaltung angehalten ist und Oppositionsarbeit im Amt gerade nicht angezeigt ist (vgl. BVerfG, Beschl. v. 22.3.2022, 2 BvE 9/20, Rn. 43).

  1. Zum Grundsatz der Organtreue

Auch mit dem Grundsatz der Organtreue ließ sich das von der AfD-Fraktion gewünschte Ergebnis nicht begründen. Da die Wahlvorgänge für alle vorgeschlagenen Abgeordneten gleichermaßen durchgeführt wurden und die AfD-Fraktion ihr Vorschlagsrecht (mehrfach) ausüben konnte, sah das BVerfG keine Anhaltspunkte für eine gleichheitswidrige Behandlung oder unfaire oder illoyale Durchführung der Wahlvorgänge (BVerfG, Beschl. v. 22.3.2022, 2 BvE 9/20, Rn. 45).

III. Was bleibt?

Die Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts liest sich wie ein Grundkurs in Sachen Demokratie. Das ist insbesondere den Ausführungen zu den Grundsätzen der freien Wahl und auch dem freien Mandat der Abgeordneten geschuldet. Das Thema bleibt politisch brisant, zeichnet sich doch für die jetzige Legislaturperiode bereits ein ähnliches Spiel ab. Der Fall bietet viel Argumentationsspielraum und Möglichkeiten, Bezüge verschiedener Normen innerhalb des Grundgesetzes zueinander aufzuzeigen. Es wäre daher nicht überraschend, ihn früher oder später als Gegenstand von Klausuren oder mündlichen Prüfungen wiederzufinden.

23.03.2022/0 Kommentare/von Dr. Lena Bleckmann
https://www.juraexamen.info/wp-content/uploads/2022/05/je_logo.svg 0 0 Dr. Lena Bleckmann https://www.juraexamen.info/wp-content/uploads/2022/05/je_logo.svg Dr. Lena Bleckmann2022-03-23 11:38:002022-07-21 09:00:22AfD scheitert vor dem Bundesverfassungsgericht – Kein Anspruch auf Wahl eines Vizepräsidenten oder einer Vizepräsidentin des Bundestages
Nicolas Hohn-Hein

Sitzung aufgehoben: Zur Zulässigkeit des Fernbleibens von einer Parlamentssitzung

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In der letzten Woche gab es mehrfach Berichte über den gescheiterten Versuch der Regierungskoalition, über das umstrittene Betreuungsgeldgesetz im Bundestag („BT“) zu beraten (nachzulesen z.B. hier oder hier). Ein guter Zeitpunkt, sich mit den rechtlichen Implikationen dieses Ereignisses zu befassen, da derlei Fragen gerne einmal in mündlichen Examensprüfungen „spontan“ gestellt werden können.
Sachverhalt
Die Regierungskoalition bestehend aus CDU/CSU und FDP hatte für vergangenen Freitag (15.06.2012) eine Sitzung zur ersten Beratung (sog. „1. Lesung“) über das umstrittene Gesetz zum Betreuungsgeld für Familien angesetzt. Gegenstand der Sitzung waren zuvor auch andere Gesetzesvorhaben. Vor der Beratung über das Betreuungsgeldgesetz stellte die SPD einen Antrag zur Abstimmung über ein anderes Gesetzesvorhaben. Bei der anschließenden Abstimmung kam es zu Unklarheiten über die Mehrheitsverhältnisse, sodass ein sogenannter Hammelsprung beschlossen wurde. Dabei verlassen alle Abgeordneten den Plenarsaal. Die Abstimmung geschieht im weiteren Verlauf dadurch, dass die Abgeordneten den Saal durch eine von drei Türen („Ja“, „Nein“, „Enthaltung“) wieder betreten.
Im vorliegenden Fall waren jedoch zahlreiche Vertreter von Grüne, Linkspartei und SPD nicht zum Hammelsprung erschienen, sondern hatten sich entfernt oder schlichtweg vor den Türen gewartet, sodass nur 211 Abgeordnete im Plenarsaal letztendlich gezählt werden konnten. Für die Beschlussfähigkeit des Plenums sind aber regelmäßig mindestens 311 Abgeordnete erforderlich. Sitzungsleiterin Petra Pau stellte daraufhin die fehlende Beschlussfähigkeit des Parlaments formal fest und brach die Sitzung ab.
1. Beschlussfähigkeit des Bundestags
Von der reinen Abstimmungsmehrheit zu unterscheiden ist die sog. Beschlussfähigkeit des BT. Diese ist in § 45 Abs. 1 GO BT geregelt und jedenfalls dann gegeben, wenn die Hälfte der Mitglieder des BT anwesend ist (derzeit 311 von insgesamt 622 Abgeordneten). Da die Anwesenheit der Hälfte der Mitglieder häufig nicht der Fall ist, wird diese grundsätzlich unterstellt. Nur wenn Zweifel an der Beschlussfähigkeit des BT bestehen, kann sie nach § 45 Abs. 2, 3 GO BT formal festgestellt werden (Maunz/Dürig, GG, Art. 42, Rn. 87). Die Vermutung der Beschlussfähigkeit des Parlaments gründet sich auf der Überlegung, dass die Abgeordneten zahlreiche Verpflichtungen bei der Ausübung ihrer Mandats haben und ihre Anwesenheit nicht immer bewerkstelligen können. Nur auf diese Weise kann die Arbeitsfähigkeit des Parlaments gewährleistet werden, sodass die Vermutung allgemein als verfassungsrechtlich unbedenklich angesehen wird (BVerfGE 44, 308). Hiervon zu unterscheiden ist bspw. die Beschlussfähigkeit im Verteidigungsfall (Art. 115 a Abs. 1 S. 2 GG). Da dort auf die Mehrheit der gesetzlichen Mitglieder i.S.v. Art. 121 GG und damit auf verfassungsrechtlich vorgegebene Mehrheitsverhältnisse abgestellt wird, ist für die Vermutung der Beschlussfähigkeit nach § 45 Abs. 1 GO BT – aus nachvollziehbaren Gründen – kein Raum (Maunz/Dürig, GG, Art. 115 a, Rn. 81).
2. Der sog. Hammelsprung
Der Hammelsprung (Anm. d. Verf.: nicht zu verwechseln mit Schäfchen zählen…) ist eine Modalität der Beschlussfassung und in § 51 Abs. 2 GO BT formal geregelt. Die Abstimmung erfolgt durch Hammelsprungtüren in der oben bereits geschilderten Art und Weise. Das Abstimmungsverfahren wurde erstmals 1874 in die Geschäftsordnung des deutschen Reichstages aufgenommen und kam wenig später auch schon im preußischen Abgeordnetenhaus zur Anwendung. Über die Herkunft des Begriffs besteht Unklarheit, wobei vermutet wird, dass er sich wohl aus der parlamentarischen Alltagssprache herausgebildet hat (z.B. Leithammel, Arbeitsvieh, u.a.).
3. Verweigerung der Abstimmung
Durch das Fernbleiben von der Abstimmunng haben die Abgeordneten der Opposition die Beschlussunfähigkeit und damit den Abbruch der Sitzung faktisch erzwungen.
a) § 13 Abs. 2 GO BT iVm § 14 AbgG
Grundsätzlich besteht eine Verpflichtung des Mandatsträgers, an den Arbeiten des Bundestags teilzunehmen, gem. § 13 Abs. 2 GO BT. Die Folgen der Nichtbeteiligung finden sich zunächst im Abgeordnetengesetz (AbgG), auf das in § 13 Abs. 2 GO BT ausdrücklich verwiesen wird. Nach § 14 AbgG kann unter bestimmten Voraussetzungen eine Kürzung der Kostenpauschale für den Abgeordneten festgelegt werden.
b) § 44 b AbgG; § 18 GO BT iVm Anlage 1 zur GO BT
Daneben hat der BT sich einen Katalog an Verhaltensregeln vorgegeben, an die sich ein Mandatsträger zu halten hat (§ 44 b AbgG; § 18 GO BT iVm Anlage 1 zur GO BT). Diese Verhaltensregeln betreffen aber in erster Linie das Rechtsverhältnis des einzelnen Abgeordneten zum Bundestag, insbesondere bestimmte Anzeigepflichten, z.B. Erhalt von Spenden, entgeltliche Tätigkeiten neben der Ausübung des Mandats oder die Offenlegung von Interessenkonflikten bei der Teilnahme an Ausschüssen. Der vorliegende Fall ist nicht Gegenstand dieses Regelungswerks.
c) Art. 38 GG (freie Mandatsausübung)
Zu denken wäre ferner an die Verletzung des Rechts der übrigen Abgeordneten auf die freie Ausübung ihres Mandates, Art. 38 GG, durch das Nichterscheinen des politische Gegners. Hiernach verpflichtet und befähigt das freie Mandat den Abgeordneten zu selbständiger politischer Meinungsbildung, hindert ihn, sich hinter Kollektiven zu verstecken und stellt ihn in eine persönliche Verantwortung gegenüber dem Volk (Maunz/Dürig, GG, Art. 38, Rn. 204). Die anwesenden Abgeordneten wurden hier aber nicht in ihrem Teilnahmerecht beschränkt. Ihnen war es unbenommen, den Hammelsprung zu vollziehen. Dass ihre Stimme letztlich keine Wirkung entfaltete, war allein dem Umstand geschuldet, dass der BT nicht beschlussfähig war. Die Beschlussfähigkeit soll aber gerade demokratische Entscheidungen legitimieren und dient folglich in erster Linie der Sicherung der Rechte aus Art. 38 GG.
Selbst wenn man eine uneingeschränkte Mitwirkungspflicht aller Abgeordneten annehmen würde, so hätte die Regierungsfraktion die nötige Anzahl an Abgeordneten aufgrund ihrer Mehrheitsverhältnisse stellen können, sodass es auf das Verhalten der Opposition allein nicht ankäme. Eine solche angreifbare Mitwirkungspflicht ist aber schon deswegen abzulehnen, da der Gesetzgeber u.a. im AbgG bereits ausdrücklich parlamentarisches Fehlverhalten der Mandatsträger geregelt hat. Außerdem genießt der Abgeordnetenstatus besonderen Schutz und kann nur unter besonderen gesetzlichen Voraussetzungen beschränkt oder gar entzogen werden (vgl. Maunz/Dürig, GG, Art. 38, Rn. 204).
Umgekehrt ließe sich zudem argumentieren, dass die abwesenden Abgeordneten ihrerseits von ihrem Recht aus Art. 38 GG Gebrauch gemacht haben, indem sie sich im Sinne eines „stillen Protests“ dem Fortgang der Sitzung entzogen haben, ohne jedoch die Funktionsweise des Parlaments in der Weise zu beeinträchtigen, als dass ein krasser Rechtsmissbrauch angenommen werden könnte, der unter Umständen weitere Konsequenzen für die jeweiligen Abgeordneten nach sich ziehen könnte.
Fazit
Eine rechtliche Handhabe gegen das Verhalten der Oppositionsmitglieder erscheint wohl nicht vertretbar, zumal die Regierungsfraktion die – durchaus mögliche – Einberufung einer Sondersitzung noch vor der Sommerpause ausdrücklich abgelehnt hat. Auch wenn das Fernbleiben von einer Parlamentssitzung wohl nicht „zum guten Ton“ gehört und stellenweise als „Trickserei“ aufgefasst wird – letztlich lag es in den Händen der Regierungsparteien, die notwendige Anzahl von Abgeordneten zu stellen, insbesondere in Ansehung der deutlichen Widerstände bereits im Vorfeld des Gesetzesvorhabens. Übrigens kennt das Gesetz den Begriff der „Sondersitzung“ nicht. Gemeint ist das Recht des Bundestags gem. Art. 39 Abs. 3 GG auch außerhalb der üblichen, festgelegten Zeiten zu beraten.

22.06.2012/2 Kommentare/von Nicolas Hohn-Hein
https://www.juraexamen.info/wp-content/uploads/2022/05/je_logo.svg 0 0 Nicolas Hohn-Hein https://www.juraexamen.info/wp-content/uploads/2022/05/je_logo.svg Nicolas Hohn-Hein2012-06-22 12:12:042012-06-22 12:12:04Sitzung aufgehoben: Zur Zulässigkeit des Fernbleibens von einer Parlamentssitzung

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