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Schlagwortarchiv für: Geschäftsgrundlage

Tobias Vogt

Erstes BGH-Urteil zur Gewerberaummiete während Coronalockdown

BGB AT, Examensvorbereitung, Mietrecht, Rechtsgebiete, Rechtsprechung, Startseite, Zivilrecht

Muss ein gewerblicher Mieter die Ladenmiete weiterzahlen während er sein Ladengeschäft aufgrund einer staatlichen Maßnahme zur Bekämpfung der Coronapandemie nicht für den Kundenverkehr öffnen darf? Diese Frage stellten sich nicht nur die betroffenen Mieter und Vermieter sondern auch Öffentlichkeit und Juristen seit dem Beginn der Coronakrise im Frühjahr 2020. Mit Spannung erwartet wurde daher die brandaktuelle Entscheidung des BGH – zumal sich die Oberlandesgerichte in dieser Rechtsfrage nicht einig waren. Die Examensrelevanz dürfte damit auf der Hand liegen.
Sachverhalt und bisheriger Verfahrensgang:
Dem Urteil liegt ein Rechtstreit zwischen Kik (Einzelhandel für Textilien aller Art sowie Waren des täglichen Ge- und Verbrauchs) und dessen Vermieterin zugrunde. Aufgrund einer Allgemeinverfügung anlässlich der Coronapandemie musste das Ladengeschäft im Zeitraum vom 19. März bis zum 19. April 2020 geschlossen bleiben. Die Vermieterin verlangte auch für diesen Zeitraum die Zahlung der vollen Miete, wozu Kik nicht bereit war.
Das erstinstanzlich zuständige Landgericht verurteilte Kik zur Zahlung der Miete in voller Höhe (LG Chemnitz Urteil vom 26.8.2020 – 4 O 639/20).
Mit der Berufung hatte Kik jedoch teilweise Erfolg: Das OLG Dresden (OLG Dresden Urteil vom 24.2.2021 – 5 U 1782/20) sah nur die Hälfte der Miete als geschuldet an. Das OLG Dresden stütze sich hierbei auf eine Vertragsanpassung wegen des Wegfalls der Geschäftsgrundlage gemäß § 313 Abs. 1 BGB. In der Regel sei bei einer coronabedingten Schließung eine Reduzierung der Kaltmiete um 50 % gerechtfertigt, weil keine der Vertragsparteien eine Ursache für die Störung der Geschäftsgrundlage gesetzt oder sie vorhergesehen hat. Es sei demzufolge angemessen, die damit verbundene Belastung gleichmäßig auf beide Parteien zu verteilen.
Divergierende OLG-Rechtsprechung:
Andere Ansicht als das OLG Dresden und das mit diesem auf einer Linie liegende Kammergericht Berlin (KG Urteil vom 1.4.2021 – 8 U 1099/20) ist das OLG Karlsruhe (OLG Karlsruhe Urteil vom 24.2.2021 – 7 U 109/20, Revision anhängig beim BGH unter dem Az. XII ZR 15/21): Die Karlsruher Oberlandesrichter kamen zum Ergebnis, dass die volle Miete zu zahlen sei. Eine Anpassung des Vertrags gemäß § 313 Abs. 1 BGB lehnten sie ab. Dem Mieter sei das unveränderte Festhalten am Gewerberaummietvertrag in der Regel erst dann unzumutbar, wenn dessen Inanspruchnahme zur Vernichtung seiner Existenz führen würde; unter Umständen genüge auch bereits eine schwere Beeinträchtigung des wirtschaftlichen Fortkommens. Hierbei zu berücksichtigen sei auch, ob der Mieter öffentliche oder sonstige Zuschüsse erhalten hat, mit denen er die Umsatzausfälle infolge staatlicher Beschränkung jedenfalls teilweise kompensieren kann, und ob er Aufwendungen erspart hat (zB wegen Kurzarbeitergeld oder weggefallenen Wareneinkaufs).
Urteil des BAG vom 12.01.2022, Az. XII ZR 8/21:
Auf die Revisionen der Vermieterin, die nach wie vor die volle Miete verlangt, und der Beklagten Kik, die ihren Klageabweisungsantrag weiterverfolgt, hat der Bundesgerichtshof das Urteil des OLG Dresden aufgehoben und die Sache an dieses zurückverwiesen.
Zunächst stellt der für gewerbliches Mietrecht zuständige XII. Zivilsenat klar, dass die Anwendbarkeit der mietrechtlichen Gewährleistungsvorschriften und der Regelungen des allgemeinen schuldrechtlichen Leistungsstörungsrechts, insbesondere des § 313 BGB zum Wegfall der Geschäftsgrundlage, nicht durch die für die Zeit vom 1. April 2020 bis zum 30. September 2022 geltende Vorschrift des Art. 240 § 2 EGBGB ausgeschlossen ist. Diese Regelung habe nach seinem eindeutigen Wortlaut und seinem Gesetzeszweck allein eine Beschränkung des Kündigungsrechts des Vermieters zum Ziel und sage nichts zur Höhe der geschuldeten Miete aus.
Bevor der BGH auf eine mögliche Anpassung nach § 313 BGB zu sprechen kommt, äußert er sich zum Vorliegen eines Mangels nach § 536 Abs. 1 S. 1 BGB, der zum Wegfall oder zur Minderung der Miete qua Gesetz führen würde:
Ein Mangel liege nicht vor, so der BGH. Ergeben sich aufgrund von gesetzgeberischen Maßnahmen während eines laufenden Mietverhältnisses Beeinträchtigungen des vertragsmäßigen Gebrauchs eines gewerblichen Mietobjekts, kann dies zwar einen Mangel i.S.v. § 536 Abs. 1 Satz 1 BGB begründen. Voraussetzung hierfür ist jedoch, dass die durch die gesetzgeberische Maßnahme bewirkte Gebrauchsbeschränkung unmittelbar mit der konkreten Beschaffenheit, dem Zustand oder der Lage des Mietobjekts in Zusammenhang steht (so bereits BGH Urteil vom 13.7.2011 – XII ZR 189/09). Die mit der Schließungsanordnung verbundene Gebrauchsbeschränkung der Beklagten erfülle diese Voraussetzung nicht. Denn die behördlich angeordnete Geschäftsschließung knüpfe allein an die Nutzungsart und den sich daraus ergebenden Publikumsverkehr an, der die Gefahr einer verstärkten Verbreitung des SARS-CoV-2-Virus begünstigt und der aus Gründen des Infektionsschutzes untersagt werden sollte.
Der BGH weist in diesem Zusammenhang darauf hin, dass durch die Allgemeinverfügung weder der Vermieterin die Nutzung der angemieteten Geschäftsräume im Übrigen noch der Mieterin tatsächlich oder rechtlich die Überlassung der Mieträumlichkeiten verboten wird. Das Mietobjekt stand daher trotz der Schließungsanordnung weiterhin für den vereinbarten Mietzweck zur Verfügung.
Das Vorliegen eines Mangels i.S.v. § 536 Abs. 1 Satz 1 BGB ergibt sich nach der Entscheidung des BGH auch nicht aus dem im vorliegenden Fall vereinbarten Mietzweck der Räumlichkeiten zur „Nutzung als Verkaufs- und Lagerräume eines Einzelhandelsgeschäfts für Textilien aller Art, sowie Waren des täglichen Ge- und Verbrauchs“. Der Mieter könne nicht davon ausgehen, dass die Vermieterin mit der Vereinbarung des konkreten Mietzwecks eine unbedingte Einstandspflicht auch für den Fall einer hoheitlich angeordneten Öffnungsuntersagung im Falle einer Pandemie übernehmen wollte.
Da demnach grundsätzlich nach dem Mietvertrag die volle Miete geschuldet ist, bliebe nur noch die Möglichkeit der Vertragsanpassung gemäß § 313 Abs. 1 BGB. Dies komme in Fällen der coronabedingten Geschäftsschließung grundsätzlich in Betracht, betont der XII. Zivilsenat.
Auch bejaht der BGH das Vorliegen der tatsächlichen Voraussetzung des § 313 Abs. 1 BGB – der schwerwiegenden Störung der Geschäftsgrundlage des Mietvertrags durch die behördliche Schließung des Ladengeschäfts aufgrund der Coronapandemie. Hierfür spreche auch die als Reaktion auf die Coronapandemie vom Gesetzgeber neu eingefügte Regelung des Art. 240 § 7 EGBGB, wonach vermutete wird, dass sich ein Umstand im Sinne des § 313 Abs. 1 BGB, der zur Grundlage des Mietvertrags geworden ist, nach Vertragsschluss schwerwiegend verändert hat, wenn vermietete Grundstücke oder vermietete Räume, die keine Wohnräume sind, infolge staatlicher Maßnahmen zur Bekämpfung der COVID-19-Pandemie für den Betrieb des Mieters nicht oder nur mit erheblicher Einschränkung verwendbar sind.
Eine Vertragsanpassung gemäß § 313 Abs. 1 BGB erfolgt jedoch nur, wenn auch die weitere – normative – Voraussetzung der Vorschrift erfüllt ist. Dies setzt voraus, dass dem betroffenen Vertragspartner unter Berücksichtigung aller Umstände des Einzelfalls, insbesondere der vertraglichen oder gesetzlichen Risikoverteilung, das Festhalten am unveränderten Vertrag nicht zugemutet werden kann.
Hierbei konnte der BGH nicht auf die Vermutungsregel des Art. 240 § 7 EGBGB zurückgreifen. Denn diese führt aber nicht etwa dazu, dass stets von dem Vorliegen sämtlicher Voraussetzungen des § 313 BGB auszugehen wäre: Die Regelung schafft eine tatsächliche Vermutung, dass sich ein Umstand iSd § 313 Abs. 1 BGB, der Grundlage des Mietvertrags geworden ist, nach Vertragsabschluss schwerwiegend verändert hat. Die Vermutung ist widerleglich und gilt nur für dieses reale Merkmal des § 313 Abs. 1 BGB. Das normative Merkmal des § 313 Abs. 1 BGB, dass dem einen Teil unter Berücksichtigung aller Umstände des Einzelfalls, insbesondere der vertraglichen und gesetzlichen Risikoverteilung, das Festhalten am unveränderten Vertrag nicht zugemutet werden kann, wird von der Vermutungsregelung nicht erfasst (OLG Karlsruhe Urteil vom 24.2.2021 – 7 U 109/20; so auch Brinkmann/Thüsing, NZM 2021, 5).
Der BGH stellt ausdrücklich klar, dass – wie in § 313 Abs. 1 vorgesehen – auch in Fällen der coronabedingten Ladenschließung stets eine umfassende Einzelfallabwägung erforderlich ist. Einer pauschalen Halbierung der Miete, wie sie das OLG Dresden vorgenommen hatte, schiebt der BGH damit einen Riegel vor.
Zwar ist auch nach der Ansicht des BGH regelmäßig eine Anpassung vorzunehmen, da sich durch die Covid-19-Pandemie letztlich ein allgemeines Lebensrisiko verwirklicht hat und die Betriebsschließung gerade nicht auf einer unternehmerischen Entscheidung oder enttäuschten Gewinnerwartung des Mieters beruhe. Daher könne das hiermit verbundene Risiko regelmäßig keiner Vertragspartei allein zugewiesen werden. Die Entscheidung darüber, ob und in welcher Höhe eine Reduzierung der Miete erfolge, bedarf jedoch stets einer Berücksichtigung aller Umstände des jeweiligen Einzelfalls.
Der BGH nennt in seiner Pressemitteilung sogleich die maßgeblichen Faktoren für die Einzelfallabwägung:
Zunächst ist zu untersuchen, welche konkreten Nachteile dem Mieter durch die Geschäftsschließung und deren Dauer entstanden sind. Hierbei ist auf den konkreten Umsatzrückgang in dem konkreten Mietobjekt abzustellen – ein möglicher Konzernumsatz ist nicht von Belang.
Zu berücksichtigen sei auch, welche Maßnahmen der Mieter ergriffen hat oder ergreifen konnte, um die drohenden Verluste während der Geschäftsschließung zu vermindern. In der Pressemitteilung sind noch keine konkreten Maßnahmen benannt. Man könnte hier etwa an Kurzarbeit oder verstärkten Onlinehandel denken.
Da eine Vertragsanpassung nach den Grundsätzen der Störung der Geschäftsgrundlage aber nicht zu einer Überkompensierung der entstandenen Verluste führen darf, sind bei der Prüfung der Unzumutbarkeit grundsätzlich auch die finanziellen Vorteile zu berücksichtigen, die der Mieter aus staatlichen Leistungen zum Ausgleich der pandemiebedingten Nachteile erlangt hat. Dabei können auch Leistungen einer ggf. einstandspflichtigen Betriebsversicherung des Mieters zu berücksichtigen sein. Staatliche Unterstützungsmaßnahmen, die nur auf Basis eines Darlehens gewährt wurden, bleiben hingegen bei der gebotenen Abwägung außer Betracht, weil der Mieter durch sie keine endgültige Kompensation der erlittenen Umsatzeinbußen erreicht.
Zudem seien auch die Interessen des Vermieters in den Blick zu nehmen.
Nicht erforderlich sei eine tatsächliche Gefährdung der Existenz des Mieters. Somit erteilt der BGH bereits in diesem Verfahren auch der Rechtsprechung des OLG Karlsruhe eine Absage, über die er noch gesondert zu entscheiden hat.
Fazit:
Die Grundsätze dieser Entscheidung sollte aufgrund der enormen medialen Aufmerksamkeit sowie der Bezugspunkte zu den beliebten Prüfungsfeldern des Mietrechts sowie des allgemeinen Teils des BGB jeder Examenskandidat beherrschen.
Im Gutachten sollten der Reihe nach sämtliche Probleme geprüft werden. Stürzen sich Examenskandidaten bei der Falllösung sofort auf das Hauptproblem des § 313 BGB, so begehen sie einen großen Fehler. Ansonsten werden kostbare Punkte für die übrigen Probleme des Falls liegengelassen.
Was man aus dem Urteil auf jeden Fall mitnehmen sollte:

  • Sofern keine ausdrückliche vertragliche Regelung zur Einstandspflicht des Vermieters für den Fall einer coronabedingten Ladenschließung besteht, liegt kein Mangel gemäß § 536 Abs. 1 BGB vor.

 

  • Für eine Vertragsanpassung gemäß § 313 Abs. 1 BGB bedarf es neben dem tatsächlichen Element der erheblichen Störung der Geschäftsgrundlage zudem eines Vorliegens des normativen Elements der Unzumutbarkeit des Festhaltens am unveränderten Vertrag.

 

  • Das tatsächliche Element dürfte unproblematisch Vorliegen, diesbezüglich greift auch die Vermutung des Art. 240 § 7 EGBGB.

 

  • In der Regel ist das allgemeine Lebensrisiko der coronabedingten Ladenschließung von keiner Vertragspartei voll zu tragen. Einer Bedrohung der wirtschaftlichen Existenz des Mieters bedarf es für eine Vertragsanpassung gemäß § 313 Abs. 1 BGB nicht.

 

  • Für die Feststellung der Unzumutbarkeit und die Bemessung der Höhe der etwaigen Reduzierung der Miete bedarf es stets einer Interessenabwägung unter Berücksichtigung aller Umstände des Einzelfalls. Eine pauschale Halbierung der Miete kommt nicht in Betracht.

 

  • Maßgeblich sind insbesondere der konkrete Umsatzrückgang des gewerblichen Mieters bezogen auf das konkrete Mietobjekt, die getroffenen oder möglichen Maßnahmen des Mieters zur Verringerung des Verlustes, das Eingreifen von staatlichen Leistungen oder einer Betriebsversicherung des Mieters (nicht jedoch eines Darlehens) sowie die Interessen des Vermieters.

12.01.2022/1 Kommentar/von Tobias Vogt
https://www.juraexamen.info/wp-content/uploads/2022/05/je_logo.svg 0 0 Tobias Vogt https://www.juraexamen.info/wp-content/uploads/2022/05/je_logo.svg Tobias Vogt2022-01-12 11:41:392022-01-12 11:41:39Erstes BGH-Urteil zur Gewerberaummiete während Coronalockdown
Redaktion

Simulation mündliche Prüfung: Privatier P hält die Ohren steif – Zur analogen Anwendung des Wegfalls der Geschäftsgrundlage

BGH-Klassiker, Examensvorbereitung, Mündliche Prüfung, Rechtsgebiete, Rechtsprechung, Schon gelesen?, Schuldrecht, Startseite, Zivilrecht

Die Simulation ist einer brandaktuellen Entscheidung des BGH nachgebildet. Das Gericht äußert sich zu grundlegenden Fragen des allgemeinen Schuldrechts und nimmt darüber hinaus erstmalig zu einem neuen, bislang wenig Beachtung gefundenen Vertragstypus Stellung. Die Entscheidung ist bereits deshalb besonders examensrelevant und kann nicht nur Gegenstand einer mündlichen Prüfung, sondern auch universitärer Klausuren sein. Ein vertiefter Blick in das Urteil ist deshalb dringend geboten.  
 
Prüfer:  Willkommen zur Prüfung im Zivilrecht. Lassen Sie mich einen Fall referieren, der mir neulich zu Ohren kam. Die Entscheidung ist einem Fall des XIII. Senats des BGH v. 01.04.2019 (Az. 70 PSG 200) nachgebildet. Der Fall ist recht umfangreich, also spitzen Sie die Ohren:
Der dauerhaft in Berlin lebende, vom Hals abwärts gelähmte französische Staatsbürger P sowie sein senegalesisch-stämmiger Pfleger D beschließen, sich nach einem anstrengenden Arbeitstag eine kleine Belohnung zu genehmigen. Pfleger D beschafft dazu – neben mehreren Marihuana-Zigaretten (sog. „Johnys“) – zwei mit den thailändischen Massagekünsten bestens vertraute Prosituierte (B und J), die dem D aus älteren „Geschäftsbeziehungen“ bereits hinlänglich bekannt sind. Gegen 21:30h treffen B und J am prunkvollen Anwesen des P ein.
P und D konsumieren über den Abend verteilt mehrere „Blunts“, wobei zunächst D den Löwenanteil der Rauchwaren verputzt. Während P wie gewohnt in seinem Rollstuhl sitzt, lässt sich D auf einem barocken Ohrensessel neben D nieder. Sodann positionieren sich B und J hinter D und P. Während D sich unverzüglich seines Oberteils entledigt, beschließt P, sich das Oberhemd nur ein wenig aufknöpfen zu lassen. B und J beginnen, P und D zu massieren. D nutzt dabei die Gelegenheit, und zündet eine weitere „Kräuterrakete“ an. Entsprechend seinen Wünschen massiert B den D von Kopf bis zu seiner stählernen Brust. P bevorzugt es hingegen, die Massageeinheit auf seine besonders empfindlichen Ohrläppchen zu beschränken. Als J beginnt, ihre Hände von den Ohrläppchen des P an dessen Körper herabgleiten zulassen, interveniert D energisch: „Nein, nein, nein, bleib schön am Ohr. Das mag er.“ – während er P eine frische „Tüte“ anreicht. J kommt diesem Wunsch nach.
Aufgrund des durch die hohe Anzahl an „Doobys“ ausgelösten Rausches, schläft der Gelegenheitsstoner P nach achtminütiger Massageeinheit unvermittelt ein. J stellt daraufhin die Arbeit ein, steckt das auf dem Couchtisch des P platzierte Entgelt in Höhe von 150 € ein und verlässt das Anwesen des P. D – der mittlerweile zusammen mit B den Raum gewechselt hat – bekommt von alldem nichts mehr mit.
P verlangt von J nun anteilige Rückzahlung des bereits gezahlten Entgelts in Höhe von 50 €: Die Leistung sei nicht vollständig erbracht worden. Seine Ohren seien nicht bis zur endgültigen Befriedigung gekrault worden – nicht mal ein leichtes, frohlockendes Zucken seiner Ohrläppchen habe er verspüren können. Auch sei die Dauer von lediglich acht Minuten nicht angemessen, ein derart hohes Entgelt zu rechtfertigen.
J entgegnet, sie habe ausreichend lange „an den Löffeln herumgefummelt“. Dass ihre Leistung durchaus zufriedenstellend war, könne man daran erkennen, dass P bereits nach kurzer Zeit in das Land der Träume versunken sei. Gewährleistungsansprüche bestünden bereits gar nicht. Hilfsweise rechnet sie mit einem Schadensersatzanspruch auf: Durch die für sie ungewohnte Tätigkeit habe sie sich eine Sehnenscheitentzündung zugezogen, sie habe dadurch einen mehrnächtigen Arbeitsausfall erlitten.
Herr Wenneck, haben Sie den Fall verstanden? Dann lassen Sie uns mal an Ihren Gedanken teilhaben: Was für ein Vertrag kommt hier in Betracht?
Herr Wenneck: Also, es kommt ein Geschäftsbesorgungsvertrag in Betracht…
Prüfer: Sie wollen mich wohl übers Ohr hauen! Sie haben da etwas grundlegend falsch verstanden. Frau Garner, was sagen Sie dazu?
Frau Garner: Der Vertragstypus ist anhand des Parteiwillens zu bestimmen. Zu fragen ist also, was die Parteien hier vereinbart haben. Ich würde zwischen einem Dienstvertrag nach §§ 611 ff. BGB und einem Werkvertrag nach den §§ 631 ff. BGB differenzieren. Beim Dienstvertrag ist lediglich ein Tätigwerden geschuldet, während beim Werkvertrag ein bestimmter Erfolg herbeigeführt werden muss.
Prüfer: Da werde ich hellhörig. Überlegen Sie doch einmal, in welchem Gewerbe die Damen normalerweise tätig sind. Wäre das auch hier zu berücksichtigen, Herr Carlos?
Herr Carlos:  Es ließe sich natürlich auch über einen Prostitutionsvertrag nachdenken. Der Prostitutionsvertrag ist in Deutschland ein lediglich einseitig verpflichtender Vertrag, d.h. nur der Freier wird verpflichtet die Gegenleistung, also die Bezahlung, zu leisten, während die Erbringung der sexuellen Leistung vom freien Willen der Prostituierten abhängt.
Prüfer: Sehr richtig. Und wie wäre es in unserem Fall?
Herr Carlos: Hier stellt sich natürlich die Frage, ob es sich überhaupt um eine sexuelle Leistung handelt. Denn selbstverständlich kann eine Prosituierte auch andere Verträge schließen: Wenn ich zu einer Prosituierten gehe und von ihr verlange, dass sie mir nur für ein paar Minuten ein Ohr leiht, dann ist das mit Nichten ein Prostitutionsvertrag.
In unserem Fall ist meiner Meinung nach ein Prostitutionsvertrag abzulehnen. Das reine Kraulen an den Ohren stellt keine sexuelle Leistung dar. Es ist eine Leistung, die von der überwiegenden Mehrzahl der Bürger nicht in einem sexuellen Kontext gesehen wird. Denn auch die handelsübliche Thai-Massage fällt nicht in den Rahmen des Prostitutionsschutzgesetzes – und diese ist meines Erachtens doch intimer als ein bloßes Streicheln der Ohrläppchen.
Prüfer: In der Tat! Man merkt, Sie wissen wovon Sie reden. Kommen wir nochmal auf unsere Ausgangsfrage zurück: Werk- oder Dienstvertrag? Mr. Chow, Sie haben sich bislang noch sehr bedeckt gehalten. Lassen Sie mal die Katze aus dem Sack!
Mr. Chow: Ich will sofort mein Handtäschchen wieder!
Prüfer: Wie bitte?
Mr. Chow: Gebt mir sofort mein Handtäschchen wieder!
Prüfer: Ich ziehe ihnen gleich das Fell über die Ohren. Herr Wenneck, können Sie uns hier weiterhelfen?
Herr Wenneck: Entscheidend ist, was Frau J schuldet. Mit Blick auf einen Werkvertrag ist bereits fraglich, welcher Erfolg von J überhaupt zu erbringen wäre. Das Ohrkraulen „an sich“ ist jedenfalls kein Erfolg. Es müsste vielmehr ein hierüber hinausgehender Erfolg geschuldet sein. Zu denken wäre etwa an ein – und hier spreche ich untechnisch – „Happy End“. Ein dahingehender Parteiwille ist jedoch nicht ersichtlich. In Betracht kommt also allenfalls ein Dienstvertrag.
Prüfer: Frau Garner, stimmen Sie Ihrem Kollegen zu?
Frau Garner: Da ist der Kollege wohl noch ein bisschen grün hinter den Ohren. In einer aktuellen Entscheidung hat der BGH einen sog. „Ohrläppchenvertrag“ sui generis angenommen. Dieser Vertragstypus bildet die Schnittstelle zwischen Werk- und Dienstvertrag. Es ist in der Tat richtig,  dass eine Tätigkeit geschuldet ist. Die Hauptleistungspflicht beim „Ohrläppchenvertrag“ geht jedoch über das bloße Massieren der Lauscher hinaus. Notwendig ist nämlich, dass zumindest zeitweilig ein wohliges – vielleicht gar genüssliches – Stöhnen das Bekraulten zu vernehmen ist. Tritt dies ein, ist der Vertrag zwar nicht automatisch erfüllt. Wäre dies so, hätten wir es mit einem Werkvertrag zu tun. Auch bei Eintritt derartiger Geräusche kann es nach den Umständen des Einzelfalls sein, dass weitere Kraultätigkeiten noch zu erbringen sind. Deutlich wird: Keiner der ausdrücklich normierten Vertragstypen passt, mit der Folge, dass der Pflichtenkanon des „Ohrläppchenvertrags“ losgelöst von den Vertragstypen des BGB zu bestimmen ist.
Prüfer: A la bonne heure, Sie sind ein richtiges Schlitzohr! Jetzt, da wir den Vertragstyp bestimmt haben, stellt sich die Frage, ob Frau J den Vertrag ordnungsgemäß erfüllt hat oder ob der P hier das vereinbarte Entgelt mindern durfte. Herr Carlos, was sagen Sie dazu?
Herr Carlos: Zunächst muss erörtert werden, ob ordnungsgemäß erfüllt worden ist. Anschließend lässt sich gegebenenfalls darüber nachdenken, ob der „Ohrläppchenvertrag“ ein Mängelgewährleistungsrecht kennt.
Die Frage, ob hier ordnungsgemäß erfüllt wurde, würde ich verneinen: Wie Frau Garner dargelegt hat, muss das Kraulen der Ohrläppchen zu einem „wohligen Stöhnen“ des Bekraulten führen. Der P führt aber aus, dass es nicht mal zu einem „leichten, frohlockenden Zucken der Ohrläppchen“ gekommen sei. Ein Einschlafen des Leistungsempfängers genügt den Anforderungen nicht, die an den Erfolg angelegt werden. 
Prüfer: Das ist Musik in meinen Ohren! Sehr schön Herr Carlos. Also hat Frau J den Vertrag somit nicht ordnungsgemäß erfüllt. Frau Garner, gehen Sie einmal davon aus, dass wir es bei der J mit einer geübten Ohrmasseurin zu tun haben, die dem P sicherlich noch ein kleines Stöhnen hätte entlocken können. Woran könnte man in diesem Fall denken?
Frau Garner: Das entscheidende Momentum ist in dem Einschlafen des P zu sehen. Wäre P nicht eingenickt, hätte J den geschuldeten Erfolg noch herbeiführen können. An eine Mängelgewährleistung ist deshalb nur zu denken, wenn das Einschlafen des Leistungsberechtigten beim „Ohrläppchenvertrag“ der Risikosphäre der Kraulerin zugerechnet werden müsste. Beim „Ohrläppchenvertrag“ hat die Kraulerin zwar die Ohren, nicht hingegen das Einschlafen des Bekraulten in der Hand. Zudem würde eine sehr beruhigende Kraulweise, die regelmäßig notwendig ist, um ein frohlockendes Zucken herbeizuzaubern, ihre Wirkung rechtlich betrachtet ins Gegenteil verkehren. Andernfalls würde man von der Kraulerin einen Satz heiße Ohren verlangen – das wird auch vom Berkraulten nur in einzelnen Sonderfällen gewünscht sein.
Prüfer: Ihr Wort in Gottes Ohr, Frau Garner! Und in welchen Teil des allgemeinen Schuldrechts würden Sie in der Konsequenz schauen, Herr Wenneck?
Herr Wenneck: § 313 BGB scheint mir hier sehr passend. Wenn ich mich recht entsinne, hat auch der BGH hier eine analoge Anwendung des Wegfalls der Geschäftsgrundlage angenommen. Die Geschäftsgrundlage – hier das Wachbleiben des Bekraulten – ist entfallen. Treffend lässt sich hier vom „Wegschlafen der Geschäftsgrundlage“ sprechen. Daher auch die analoge Anwendung.
Prüfer: Herr Wenneck, Sie haben es faustdick hinter den Ohren! Ich möchte ein Zitat des BGH anmerken. Dieser führte aus: „Wer im Geiste ruht, dessen Ohrläppchen können nicht wachen.“ Ist das nicht schön formuliert? Nun gut, ich merke, ich schweife ab. Reicht uns ein Wegschlafen der Geschäftsgrundlage bereits für eine entsprechende Anwendung des § 313 BGB, Herr Carlos?
Herr Carlos: Tut mir Leid, ich hatte gerade auf Durchzug geschaltet. 
Prüfer: Herr Carlos, Sie sollten aufmerksam bleiben, wenn ihr Kollege subsumiert. Schreiben Sie sich das hinter die Löffel! Neben dem Wegfallen – oder hier dem Wegschlafen – erfordert die Anwendung des § 313 BGB als weitere Voraussetzung…
Herr Carlos: Das Wegschlafen darf nicht in den Risikobereich einer der Parteien fallen. Dass das Wegschlafen nicht in den Risikobereich der Kraulerin fällt, haben wir bereits festgestellt – da war ich noch am Ball. Wir müssen nun noch klären, ob ein Wegnicken in den Risikobereich des Bekraulten fällt. Die Umstände des Falles können hier dafür sprechen: P und D hatten einige „Sandwiches“ gemampft – eine Tatsache, die, wie jedem bekannt sein dürfte, schnell zu großer Müdigkeit führen kann.
Prüfer: Das ist doch an den Ohren herbeigezogen. Frau Garner, klären Sie uns auf!
Frau Garner: Abzustellen ist auf den jeweiligen Verkehrsteilnehmerkreis: Es ist gerade nicht atypisch, dass vor und während des „Ohrläppchenkraulens“ auch „gedübelt“ wird. Für die Annahme, dass die hiermit verbundene Gefahr des Wegnickens in den Risikobereich einer der Vertragsparteien fallen soll, bedarf es deshalb besonderer Anhaltspunkte. Zu denken ist etwa an die Einnahme von Schlaftabletten, ein besonders langweiliges Kraulprogramm oder eine äußerst einschläfernde Hintergrundmusik, wie man sie von zweitklassigen Thaimassagestudios kennt. All das haben wir hier jedoch nicht. Vor diesem Hintergrund kommen wir zu dem Ergebnis, dass das Wegschlafen des P nicht in dessen vertragliche Risikosphäre fällt. Die Voraussetzungen des § 313 BGB analog liegen vor.
Prüfer:  Sehr schön, Frau Garner. Herr Carlos, machen Sie den Sack zu.
Herr Carlos: Ein Wegschlafen der Geschäftsgrundlage führt in analoger Anwendung des § 313 BGB zu einer Anpassung des Vertrags oder – soweit dies nicht möglich ist – zu einem Rücktrittsrecht des Bekraulten. Hier vergingen acht Minuten bis zum Wegschlafen, die Vergütung ist dementsprechend zu mindern. Der Bekraulte hat somit einen Rückzahlungsanspruch gegen die Kraulerin.
Prüfer: In der Tat! Kommt denn eine Aufrechnung mit dem Schadensersatzanspruch der Kraulerin J in Betracht? Herr Wenneck, lassen Sie uns an Ihren Gedanken teilhaben.
Herr Wenneck: Also um einen Schadensersatzanspruch zu begründen, bedarf es einer Pflichtverletzung des Bekraulten. Es ist doch gerade Gegenstand des Vertrages, sich die Ohren massieren zu lassen, mehr hat der P nicht getan – wie denn auch? „Keine Arme, keine Schokolade.“ Eine Pflichtverletzung haben wir somit nicht. Im Ergebnis kann somit auch keine Aufrechnung erfolgen.
Prüfer:  Sehr ohrdentlich, Herr Wenneck. Das soll uns für die Zivilrechtsprüfung genügen. Wenn Sie mehr zu diesem Ohrbiter Dictum des XIII. Senats lesen möchten, sollten Sie die Entscheidung unbedingt bei Gelegenheit nachlesen.

01.04.2019/8 Kommentare/von Redaktion
https://www.juraexamen.info/wp-content/uploads/2022/05/je_logo.svg 0 0 Redaktion https://www.juraexamen.info/wp-content/uploads/2022/05/je_logo.svg Redaktion2019-04-01 09:30:252019-04-01 09:30:25Simulation mündliche Prüfung: Privatier P hält die Ohren steif – Zur analogen Anwendung des Wegfalls der Geschäftsgrundlage
Dr. Maximilian Schmidt

Prüfungsgespräch Zivilrecht – Tuchel und die Arbeitsverweigerung

AGB-Recht, Arbeitsrecht, Bereicherungsrecht, Lerntipps, Mündliche Prüfung, Schon gelesen?, Verschiedenes

Mündliche Prüfung im Zivilrecht (Arbeitsrecht)
Weiter geht es mit einem Prüfungsgespräch angelehnt an einen aktuellen Fall aus der Bundesliga im Zivilrecht (Arbeitsrecht). Die Daten stimmen nicht vollständig mit der Realität überein, inbes. ist wohl keine Vertragsstrafe vereinbart worden. Daher könnte ein Prüfer in der mündlichen Prüfung diesen aktuellen Fall zum Anlass zur Prüfung des Arbeitsrechts nehmen.
Sehr geehrter Herr X, ich begrüße Sie zur Prüfung im Zivilrecht. Folgenden kleinen Fall möchte ich der Prüfung zugrunde legen. Falls Sie Fragen zum Sachverhalt haben oder mich nicht richtig verstanden haben, unterbrechen Sie mich bitte lautstark.
Thomas T ist Trainer des kleinen, aber in letzter Zeit maßgeblich durch seine Tätigkeit erfolgreichen Bundesligavereins M. Daher hat er im Jahr 2012 einen Vertrag als Trainer bis zum 30.06.2015 ohne Ausstiegsklausel unterschrieben. Für die Unterschrift zahlte der Verein 900.000 € an T als sog. „signing fee“. Der Vertrag zwischen T und dem Verein M enthält in § 4 des Vertragswerks folgende Klausel:
„Es wird eine Vertragsstrafe von bis zu 3 Monatsgehältern bei vorsätzlichen Verstößen gegen die Arbeitspflicht, insbes. durch Nichterscheinen oder Arbeitsverweigerung, vereinbart. Die genaue Höhe wird nach Berücksichtigung aller Umstände des Einzelfalls durch den AG festgelegt.“
T fühlt sich nun schon im Frühjahr 2014 den Anforderungen des nervenzehrenden Trainerjobs nicht mehr gewachsen und teilt der Vereinsführung mit, ab dem 30.06.2014 nicht mehr als Trainer des M arbeiten zu wollen.
Herr X, der Fall kommt Ihnen evtl. in abgewandelter Form aus den Medien bekannt vor. Zunächst – als Einstieg – wo finden wir denn etwas zur Vertragsstrafe? Und kann diese der Höhe nach ggfls. noch nach Verwirkung abgeändert werden?*
Die Vertragsstrafe ist in §§ 336 ff. BGB geregelt. Grundsätzlich kann die Höhe der Vertragsstrafe auch später noch angepasst werden, was § 343 BGB regelt. Erforderlich ist hierfür eine unverhältnismäßige Höhe, die im Einzelfall festzustellen ist.
Gibt es von diesem Grundsatz auch Ausnahmen?*
Ja, eine Ausnahme findet sich im Handelsrecht, § 348 HGB. Hiernach kann gerade nicht nach § 343 BGB angepasst werden. In Betracht kommt nur eine Herabsetzung nach den Grundsätzen von Treu und Glauben, § 242 BGB.
Kommen wir nun zu unserem Fall. Kann die M nun die Zahlung der Vertragsstrafe verlangen?
Dafür müsste diese wirksam vereinbart und durch den T im Folgenden auch verwirkt worden sein. Hinsichtlich der Wirksamkeit könnte es sich um eine AGB handeln, für die die speziellen Vorschriften der §§ 305 ff. BGB gelten.
Ist denn der Anwendungsbereich der AGB-Kontrolle überhaupt eröffnet?**
Der Anwendungsbereich der AGB-Kontrolle ergibt sich aus § 310 BGB. Aufgrund der wohl nur einmaligen Verwendung des Vertragswerkes – ein Bundesligaverein hat nur einen Cheftrainer und wird jedes Mal einen neuen Vertrag ausarbeiten – scheidet die AGB-Kontrolle grundsätzlich mangels Absicht zur mehrmaligen, d.h. mindestens dreimaligen Verwendung aus. Etwas anderes kann sich aber aus § 310 Abs. 2 Nr. 3 BGB ergeben, wonach bei einem Vertrag zwischen einem Verbraucher und einem Unternehmer auch bei bloß einmaliger Verwendung eine AGB-Kontrolle stattfindet. Problematisch ist insoweit, ob T Verbraucher ist und ob er nicht aufgrund seiner herausgehobenen Stellung auf den Inhalt des Vertrages Einfluss nehmen konnte.
Gut erkannt. Unterstellt T konnte keinen maßgeblichen Einfluss nehmen, müsste man nun auch § 310 Abs. 4 S. 2 BGB in die Prüfung einbeziehen und fragen, ob die Besonderheiten des Arbeitsrechts zu berücksichtigen sind. Dafür müsste T Arbeitnehmer sein – ist er das?*
Arbeitnehmer ist, wer aufgrund eines privatrechtlichen Vertrages unselbständige Dienste in persönlicher Abhängigkeit, d.h. weisungsgebunden, für einen anderen idR gegen Entgelt erbringt. Bei einem Profitrainer in der Bundesliga stellt sich die Frage, ob dieser aufgrund seiner eigenen Marktmacht persönlich abhängig ist.
Was sagen Sie zu dem Ansatz der wirtschaftlichen Freiheit? Schließt das den Arbeitnehmerstatus aus?**
Nein, es kommt gerade nicht auf die wirtschaftliche, sondern auf die persönliche Abhängigkeit an. Auch der Einkommensmillionär kann somit Arbeitnehmer sein. Problematisch ist vielmehr, ob T nicht als Trainer selbst Weisungen an seine Spieler gibt und daher selbst nicht Arbeitnehmer ist. Schließlich sagt der Verein dem Trainer nicht, wie und wann er zu trainieren hat. Dennoch tendiere ich auch bei einem Bundesligatrainer zur Bejahung der Arbeitnehmereigenschaft: Der Verein kann dem Trainer Weisungen hinsichtlich Zeit und Ort seiner Tätigkeit machen (§ 106 GewO). Dieser ist in seinen Entscheidungen wann und wie er arbeitet, nicht völlig frei. Daher ist der T Arbeitnehmer.
Gut, kommen wir nun also zur Inhaltskontrolle. Kann ich eine Vertragsstrafe im Arbeitsrecht wirksam vereinbaren?*
Eine Vertragsstrafenregelung könnte gegen § 309 Nr. 6 BGB verstoßen und damit unwirksam sein. Dieser regelt, dass Vertragsstrafen gegenüber dem Verwendungsgegner grundsätzlich unzulässig sind.
Soweit so gut. Aber warum könnte im Arbeitsrecht etwas anderes gelten?**
Nach § 310 Abs. 4 S. 2 BGB sind die Besonderheiten des Arbeitsrechts zu berücksichtigen. Der Arbeitgeber hat das Problem, dass er seine Primär- und Sekundäransprüche auf die Arbeitsleistung aus § 611 BGB nur sehr schwer oder gar nicht durchsetzen kann. Zwar kann er auf Arbeitsleistung klagen, doch ist ein solches Urteil mangels Vollstreckbarkeit für ihn wertlos (§ 888 Abs. 3 ZPO). Sekundäransprüche werden zwar tatbestandsmäßig vorliegen (§ 280 BGB), doch wird es dem Arbeitgeber in aller Regel unmöglich sein einen konkreten Schaden in bestimmter Höhe anzugeben. Dies führt zu der besonderen Situation im Arbeitsrecht, dass dem AG die einzige Möglichkeit zur Sicherstellung der Arbeitsleistung eine Vertragsstrafe ist. Daher überlagern die Besonderheiten des Arbeitsrechts, § 310 Abs. 4 S. 2 BGB, die Regelung des § 309 Nr. 6 BGB.
Schön. Nun müssen wir also nach § 307 BGB prüfen. Ist die konkrete Vertragsstrafe demnach unwirksam?*
Die Unwirksamkeit einer Vertragsstrafe kann sich insbesondere aus ihrer Höhe und der Unbestimmtheit ihrer Verwirkung ergeben. Der Arbeitnehmer muss demnach wissen, was auf ihn zukommt. Hier ist der Grund der Verwirkung, die Arbeitsverweigerung, bestimmt genug. Zugleich ist auch die Höhe gerade noch im Rahmen des Zulässigen (1-3 Monatsgehälter). Daher sehe ich die Klausel als wirksam vereinbart an.
Das kann man so vertreten. Kann der Verein denn nun auch (teilweise) Rückzahlung der „signing-fee“ verlangen?***
Als Anspruchsgrundlagen kommt ein Schadensersatzanspruch aus § 280 BGB, ein bereicherungsrechtlicher Rückzahlungsanspruch aus § 812 Abs. 1 S. 2 (condictio ob causam finitam) und ein Rückzahlungsanspruch wegen Wegfalls der Geschäftsgrundlage nach §§ 313, 346 BGB in Betracht.
Auf jeden Fall wäre eine außerordentliche Kündigung seitens des Vereins M notwendig, da andernfalls schon gar keine Differenz zwischen den Erwartungen bei Vertragsschluss (3 Jahre) und tatsächlicher Erfüllung (2 Jahre) liegen kann. Eine einfache Beurlaubung kann nicht genügen.
Der Anspruch aus § 280 BGB liegt tatbestandlich durch die vorsätzliche Arbeitsverweigerung vor. Fraglich ist hingegen die Rechtsfolge der Naturalrestitution. Hier stellt sich die Frage, welcher Zustand ohne die Pflichtverletzung bestehen würde. Insoweit ist die „signing-fee“ auszulegen, wobei wegen der Anwendbarkeit des § 305c Abs 2 BGB die für den T günstigste Auslegung zu wählen ist. Die „signing-fee“ soll allein die Unterschrift unter den Vertrag vergüten, nicht aber als allgemeine Wohlverhaltensklausel vereinbart werden. Ziel war nicht sicherzustellen, dass T die drei Jahre beim Verein arbeitet, sondern, dass er einen solchen Vertrag überhaupt unterschreibt. Andernfalls läge eine konkludent vereinbarte Vertragsstrafenregelung vor, die zu der ausdrücklich vereinbarten in § 4 hinzuträte. Konkludent wird man eine Vertragsstrafe aber nicht in AGB mit einem Arbeitnehmer vereinbaren können. Zudem läge eine Kumulation von Vertragsstrafen vor, die ebenfalls zur Unwirksamkeit führte. Daher ist der Zustand mit und ohne Pflichtverletzung gleich, es besteht keine negative Differenz für den Verein M. Daher scheidet ein Schadensersatzanspruch aus § 280 BGB aus.
Und was ist mit einem Anspruch aus § 812 BGB oder § 313 BGB?**
Auch bei diesen greift die gleiche Wertung ein: Der Rechtsgrund bei § 812 Abs. 1 S. 2 BGB bzw. die Geschäftsgrundlage bei § 313 BGB bleibt bestehen, da sich an der Unterschrift unter den Vertrag nichts geändert hat. Rechtsgrund für die Zahlung der signing-fee war gerade nicht die Erfüllung des Vertrages, sondern allein der Abschluss.
Das kann man gut vertreten. Können Sie sich denn auch Konstellationen vorstellen, in denen dennoch eine Rückzahlung in Betracht kommt?***
Eine Rückzahlung kommt auf jeden Fall bei Anfechtung des Arbeitsvertrages in Betracht, da diese ex-nunc wirkt, §§ 142, 119ff. BGB. Grenze muss zudem § 242 BGB, also rechtsmissbräuchliches Verhalten sein. Unterschreibt der Trainer in dem Wissen den Vertrag nur für eine kurze Dauer erfüllen zu wollen und in der Absicht die „signing-fee“ zu kassieren, liegt rechtsmissbräuchliches Verhalten vor (bspw. von Anfang nur Erfüllungsabsicht für 3 Monate statt 3 Jahren). In diesen Fällen hätte der Verein den Vertrag so nie abgeschlossen, so dass eine Rückzahlung in Betracht kommt.
Was hätte der Verein denn vorsorglich vereinbaren sollen?**
Der Verein hätte die signing-fee unter die auflösende Bedingung, § 158 Abs. 1 BGB, der Vertragserfüllung stellen können. In unserem Fall ist eine konkludent vereinbarte auflösende Bedingung wegen der Zweifelsregelung des § 305c Abs. 2 BGB aber nicht denkbar.
Gut, nun zum Abschluss: Welches Vorgehen empfehlen Sie dem Verein, um finanziell das Beste aus der Situation zu machen?***
Ich empfehle zweierlei. Zum einen sollte man abwarten, ob im nächsten Jahr ein Verein T verpflichten will. Dieser müsste dann den T aus dem Vertrag mit M „herauskaufen“, also eine Ablöse für die Vertragsauflösung zahlen. Zum anderen könnte M einen Schadensersatzanspruch bei der Neuverpflichtung eines Trainers haben. Hier stellt sich zwar das Problem der Kausalität, da der Verein ohnehin einen neuen Trainer verpflichten müsste  – jedoch nicht zu den jetzigen Konditionen. Das heisst, sollte M eine besonders hohe Ablöse oder „signing-fee“ für den neuen Trainer zahlen müssen, könnte dies ein kausaler Schaden der Arbeitsverweigerung des M sein. Gleiches gilt für ein höheres Gehalt für den neuen Trainer, da dieses bei Arbeitserfüllung durch T ebenfalls nicht angefallen wäre.
Vielen Dank. Wir ziehen uns nun zur Beratung zurück.

16.05.2014/1 Kommentar/von Dr. Maximilian Schmidt
https://www.juraexamen.info/wp-content/uploads/2022/05/je_logo.svg 0 0 Dr. Maximilian Schmidt https://www.juraexamen.info/wp-content/uploads/2022/05/je_logo.svg Dr. Maximilian Schmidt2014-05-16 09:00:522014-05-16 09:00:52Prüfungsgespräch Zivilrecht – Tuchel und die Arbeitsverweigerung

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