Wir freuen uns einen Gastbeitrag von Konstantin Filbinger, Akad. Rat a.Z. an der Universität Bayreuth, veröffentlichen zu können. Der Autor hat sein Studium und sein Referendariat in Freiburg absolviert und ist (Co-)Gründer und (Co-)Autor diverser Bücher, Ebooks und Apps aus der Reihe „Jura Digital“. Die Ebooks aus dieser Reihe gibt es ab heute kostenlos bei Amazon zum Download.
Über das zugrundeliegende Urteil des Bundesgerichtshofs v. 23.7.2015 – III ZR 346/14 hatten wir bereits hier berichtet. Der nachfolgende Beitrag bereitet den klausurrelevanten Sachverhalt aufgrund der hohen Relevanz gutachterlich auf.
Sachverhalt:
Frau K fährt ihre Enkelin E mit dem Auto zum Fußballturnier. Auf dem Weg dorthin ereignet sich ein Verkehrsunfall, bei dem K sich verletzt. K möchte nun Ersatz der ihr entstandenen Kosten. Wer soll zahlen? Der Verein V, für den E Fußball spielt!
Aber muss er das auch?
Entscheidung:
Der Bundesgerichtshof (Urt.v. 23. Juli 2015 – III ZR 346/14) meint in der Pressemitteilung: Es kommt darauf an; in der Regel – und so auch hier – aber nicht.
Infrage kommen Ansprüche aus §§ 280 I, 241 II BGB sowie §§ 662, 670 BGB und schließlich §§ 677, 683 S.1, 677 BGB.
A. §§ 280 I, 241 II BGB
I. Ein Schadensersatzanspruch nach §§ 280 I, 241 II BGB wird auf den ersten Blick spätestens an der Pflichtverletzung scheitern, die hierfür erforderlich wäre, vgl. § 280 I 1 BGB. Eine eigene Pflichtverletzung des Sportvereins kommt hier jedenfalls nicht in Betracht.
II. Zunächst ist aber zu prüfen, ob überhaupt ein Schuldverhältnis zwischen V und K vorliegt, vgl. § 280 I 1 BGB.
1. Schuldverhältnis kraft Rechtsgeschäfts
Hier kommt ein Schuldverhältnis kraft Rechtsgeschäfts infrage. Ein solches erfordert zwei übereinstimmende, aufeinander bezogene Willenserklärungen (Ausnahmen z.B. §§ 657, 661 BGB; ferner nicht unstrittig für Massenverkehrsgeschäfte). Diese wiederum setzen einen „Rechtsbindungswillen“ voraus, der durch analoge Anwendung der §§ 133, 157 BGB ermittelt wird.
a) Problem: Rechtsbindungswille
Fraglich ist, ob ein solcher Wille hier vorliegt.
Der BGH prüft dies primär anhand eines „bunten Indizienstraußes“: Entscheidend seien Art, Grund sowie Zweck der Vereinbarung, deren wirtschaftliche und rechtliche Bedeutung, erkennbare Gefahren für die Parteien, wie z.B. Haftungsrisiken, und schließlich die Interessenlage.
Gegen einen Rechtsbindungswillen spreche hier unter anderem, dass die Fahrten nicht vergütet und stets von privater Seite erbracht worden seien.
Ferner ändere an dem Charakter der Fahrt auch der Umstand nichts, dass der Transport nicht ausschließlich im alleinigen Interesse der Enkelin und ihrer Eltern, sondern auch des beklagten Sportvereins gelegen habe. Der „Bringdienst“ der minderjährigen Spielerinnen zu auswärtigen Spielen sei jedenfalls hier Sache der Eltern beziehungsweise anderer Angehöriger oder Freunde gewesen.
In der Pressemitteilung unerwähnt bleibt die Tatsache, dass es wohl letztlich lebensfremd erscheine, dem Sportverein einen gerichtlich durchsetzbaren Leistungsanspruch auf Transport der Kinder gegen die Eltern oder deren Angehörige zu gestatten. Das aber wäre die Konsequenz eines entsprechenden Vertrages.
b) Zwischenergebnis
Folglich liegt kein rechtsgeschäftliches Schuldverhältnis vor.
2. Ein gesetzliches Schuldverhältnis rechtsgeschäftlichen Charakters wie die GoA muss aus den gleichen Gründen ausscheiden, um Wertungswidersprüche zu vermeiden.
III. Folglich besteht kein Anspruch aus §§ 280 I, 241 II BGB.
§§ 662, 670 BGB
K könnte einen Aufwendungsersatzanspruch gegen V aus §§ 662, 670 BGB ableiten. Danach kann der Beauftragte vom Auftraggeber Ersatz für zum Zwecke der Ausführung des Auftrags gemachte Aufwendungen verlangen, die er den Umständen nach für erforderlich halten darf.
Dies setzt zunächst eine entsprechende rechtsgeschäftliche Bindung in Form eines Auftragsverhältnisses zwischen K und V voraus.
Eine solche durch übereinstimmende Willenserklärungen entstandene Bindung scheitert mangels Rechtsbindungswillens aus den oben genannten Gründen.
Demnach besteht kein Anspruch der K gegen V gemäß §§ 662, 670 BGB.
§§ 677, 683 S.1, 670 BGB
Allerdings hat K möglicherweise einen Anspruch auf Ersatz ihrer Aufwendungen nach §§ 677, 683 S.1, 670 BGB.
I. Anwendbarkeit
Bereits die Anwendbarkeit der GoA für diesen Fall erscheint fragwürdig. Man könnte diese verneinen, weil sich K und V hier rein tatsächlich über die Tätigkeit der K verständigt haben. Strukturell liegt hier nämlich schon keine „unlegitimierte Übernahme der Besorgung eines fremden Geschäfts“ vor (vgl. MüKo-Seiler, 6. Aufl. 2012, vor § 677, Rn. 2). Demnach wäre der Anwendungsbereich der §§ 677-684 BGB nicht eröffnet, ein entsprechender Anspruch schiede aus.
II. Bejaht man dennoch die Anwendbarkeit, müsste der Tatbestand einer berechtigten GoA vorliegen:
1. Geschäftsbesorgung
2. für einen Anderen
3. mit Fremdgeschäftsführungswillen
4. ohne Auftrag oder sonstige Berechtigung.
Um Wertungswidersprüche zu vermeiden, verneint der BGH hier offenbar das Tatbestandsmerkmal „ohne Auftrag oder sonstige Berechtigung“. Denn es wäre paradox, wenn man einen vertraglichen Anspruch am mangelnden Rechtsbindungswillen scheitern ließe, um einen ähnlichen Anspruch durch die Hintertür des GoA-Regimes trotz entgegenstehenden Willens der Parteien anzunehmen. Das Gericht grenzt hier zwischen dem im Gesetzestext nicht auffindbaren Begriffspaar „Geschäftsführung ohne Auftrag“ und „Gefälligkeit ohne Auftrag“ ab. Im vorliegenden Fall handele es sich um Letztere. Deshalb scheide ein Anspruch aus GoA aus.
Also hat K keinen Anspruch gegen V aus §§ 677, 683 S.1, 670 BGB.
Für die Klausur:
Das Ergebnis überzeugt, die Begründung nur bedingt: Der offene Wortlaut der Normen zur GoA verführt den BGH zur Einführung eines widersprüchlichen Begriffs. Eine „Gefälligkeit ohne Auftrag“ gibt es nicht, weil es auch keine „Gefälligkeit mit Auftrag“ gibt. Wirklich überzeugend ist aber die Verneinung der GoA-Anwendbarkeit, die eines solchen terminologischen Schöpfungsaktes nicht bedarf.
In der Klausur muss der Rechtsbindungswille durch Auslegung (§§ 133, 157 BGB) unter Heranziehung der bekannten Indizien ermittelt werden. Wichtig: Der Rechtsbindungswille ist Teil des objektiven Tatbestandes einer Willenserklärung. Der Bearbeiter muss die Thematik also dogmatisch korrekt verorten und in diesem Tatbestandsmerkmal erörtern.
Hilfsgutachtlich wäre hier noch zu diskutieren, ob es sich im Fall überhaupt um Aufwendungen, also freiwillige Vermögensopfer, handelt (ja, Rechtsgedanke des § 110 HGB!).
Spielt bei „Gefälligkeiten“ der Verschuldensmaßstab eine Rolle, so ist immer an eine analoge Anwendung der §§ 521, 599, 690 BGB zu denken.
Für eine detaillierte Auseinandersetzung mit dem Urteil bleiben die noch nicht veröffentlichten Entscheidungsgründe abzuwarten.
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