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Schlagwortarchiv für: Generalklausel

Dr. Maximilian Schmidt

BGH: Wenn der Vermieter zweimal klingelt – Kündigung wegen Zutrittsverweigerung zu Mietwohnung

Mietrecht, Rechtsprechung, Schon gelesen?, Startseite, Zivilrecht

Kann ein Vermieter eigentlich kündigen, wenn ein Mieter den Zutritt zu seiner Wohnung verweigert, obwohl der Vermieter notwendige Instandsetzungsarbeiten durchführen möchte? Mit dieser Frage hat sich der BGH in seiner Entscheidung von 15.4.2015 – VIII ZR 281/13 auseinandergesetzt – ein Problem, das nicht nur examensrelevant ist, sondern darüberhinaus viele von uns als Wohnungsmieter betreffen kann.
I. Sachverhalt (der Pressemitteilung genommen)

Die Klägerin stellte im Jahr 2010 am Dachstuhl des Gebäudes, in dem sich die an die Beklagten vermietete Wohnung befindet, einen Befall mit Hausschwamm fest. Die Beklagten zogen deshalb im November 2010 in ein Hotel, um der Klägerin Notmaßnahmen zu ermöglichen. Nach Beendigung der Notmaßnahmen erhielten die Beklagten die Wohnung von der Klägerin zurück. Erneuten Zutritt zwecks Durchführung weiterer Maßnahmen zur Schwammbeseitigung gewährten sie der Klägerin zunächst nicht. Unter dem 30.06.2011 kündigte die Klägerin deshalb das Mietverhältnis fristlos. Nachdem das Amtsgericht am 01.08.2011 eine einstweilige Verfügung auf Zutritt zu der Wohnung erlassen und diese durch Urteil vom 29.09.2011 aufrechterhalten hatte, wurde der Klägerin am 04.10.2011 der Wohnungszutritt gewährt. Mit Schriftsatz vom 21.11.2011 wiederholte die Klägerin die fristlose Kündigung und stützte sie auch darauf, dass die Beklagten im November 2011 den Zugang zu einem zu ihrer Wohnung gehörenden Kellerraum zwecks Durchführung von Installationsarbeiten verweigert hätten.

Typische Klausurfrage könnte beispielsweise sein: Ist die fristlose Kündigung rechtswirksam?
II. Rechtliche Würdigung
Anknüpfungspunkt für unsere Prüfung der Wirksamkeit der fristlosen Kündigung ist § 543 BGB. Der Generalklausel des § 543 Abs. 1 S. 2 BGB zufolge liegt ein wichtiger Grund zur fristlosen Kündigung vor, wenn dem Kündigenden unter Berücksichtigung aller Umstände des Einzelfalls, insbesondere eines Verschuldens der Vertragsparteien, und unter Abwägung der beiderseitigen Interessen die Fortsetzung des Mietverhältnisses bis zum Ablauf der Kündigungsfrist oder bis zur sonstigen Beendigung des Mietverhältnisses nicht zugemutet werden kann. Erforderlich zur Feststellung, ob ein wichtiger Grund vorliegt, ist daher eine umfassende Interessenabwägung.
Verhindert der Mieter den Zutritt zur Wohnung, um notwendige Arbeiten an der Mietsache durchführen zu können und ist diese dadurch in ihrem wirtschaftlichen Wert betroffen, spricht dies zunächst für das Vorliegen eines wichtigen Grundes. Der Gesetzgeber hat im Mietrecht Vorsorge für Fälle dieser Art getroffen, indem § 555a BGB dem Mieter eine Duldungspflicht bei Erhaltungsmaßnahmen auferlegt: (im entschiedenen Fall war noch § 554 BGB a.F. anwendbar)

(1) Der Mieter hat Maßnahmen zu dulden, die zur Instandhaltung oder Instandsetzung der Mietsache erforderlich sind (Erhaltungsmaßnahmen).

Da die Instandhaltungsmaßnahme hier erforderlich war, scheint das Pendel klar zugunsten des Vermieters auszuschlagen. An dieser Stelle schlummert in einer Klausur jedoch ein wahrer Punktelieferant. Fraglich ist nämlich, ob der Vermieter nicht zuvor eine Duldungsklage durchführen muss oder umgekehrt formuliert, ob der Mieter nicht das Recht hat, die Frage nach dem Bestehen der Duldungspflicht nach § 555a BGB gerichtlich klären zu lassen. Andernfalls könnte ein Rechtsschutzdefizit entstehen, da dem Mieter in tatsächlicher Hinsicht das Wahrnehmen des Rechtsweges verunmöglicht wird, wenn er befürchten muss, gerade wegen des Beschreitens des Rechtsweges fristlos gekündigt zu werden. Grenze wäre dann allein rechtsmissbräuchliches, d.h. querulatorisches Verhalten. Eine Argumentation, die sich hören lässt. Doch wer an dieser Stelle noch einen Schritt weitergeht und die Argumentation des BGH nachvollzieht, wird vom Punktegott reichlich beschenkt werden.
Der BGH nimmt nämlich an, dass bei einer offenen Interessenabwägung ein derart schematisches Vorgehen ausgeschlossen ist. Dies lässt sich zum einen mit der Eigenart des § 543 Abs. 1 S. 2 als im Einzelfall auszugestaltende und auszulegende Generalklausel begründen; zum anderen ließe ein grundsätzlicher Ausschluss der fristlosen Kündigung bei fehlender vorausgehender Duldungsklage außer Acht, dass Modernisierungs- und Instandsetzungsmaßnahmen für die Erhaltung des Mietobjekts und seines wirtschaftlichen Werts von wesentlicher Bedeutung sein können, so dass ein erhebliches wirtschaftliches Interesse des Vermieters an der alsbaldigen Durchführung derartiger Maßnahmen bestehen kann. Man denke nur daran, dass ein u.U. schwer erkennbarer, dafür umso schwerwiegenderer Mangel besteht, der alsbald zum Vernichtung der Mietsache führen kann (poröse Gasleitung, instabiler Dachstuhl). In diesen Fällen kann der Vermieter nicht darauf verwiesen werden, zunächst eine Duldungsklage durchzuführen, sondern muss die Möglichkeit haben, den sich weigernden Mieter aus der Wohnung rauszubekommen. Dies entspricht gerade der Natur der gegenseitigen Interessenabwägung: der Mieter hat regelmäßig nur ein geringes oder mittleres Interesse an Verweigerung des u.U. nur kurzzeitigen Zutrittes, auf der anderen Seite der Vermieter je nach Ausmaß des drohenden Schadens, dessen Eintrittswahrscheinlichkeit und möglichen Folgen ein besonders großes Interesse und evtl. sogar eine gesetzliche Pflicht schnellstmöglich den Gefahrenherd zu beseitigen zu können. Eine auf die Verletzung der Duldungspflicht gestützte fristlose Kündigung des Vermieters kann daher auch ohne gerichtlichen Titel wirksam sein.
Im vorliegenden Fall verwies der BGH die Rechtssache zur Klärung der gegenseitigen Interessen zurück an das Landgericht, doch stellte eindeutig fest, dass ein schematisches Vorgehen á la  „Erst Duldungsklage, dann Kündigung“ unzulässig ist.
III. Fazit: Lasst den Vermieter nicht zweimal klingeln!
Was lehrt uns der Fall? Aus studentischer Sicht, dass eine juristische Argumentation sich auch an den Folgen einer Entscheidung orientieren muss, hier also der Frage, ob Mieter in ihren Rechtsschutzmöglichkeiten übermäßig eingeschränkt würden. Zudem zeigt sich, dass Generalklauseln die Möglichkeit zur Entfaltung einer ausgewogenen Argumentation geben. Für alle Mieter wird deutlich, dass die Kooperation mit dem Vermieter häufig die bessere Wahl ist – zumindest, wenn dieser gewichtige Gründe wie die dauerhafte, schwerwiegende Schädigung der Mietsache geltend machen kann.

16.04.2015/0 Kommentare/von Dr. Maximilian Schmidt
https://www.juraexamen.info/wp-content/uploads/2022/05/je_logo.svg 0 0 Dr. Maximilian Schmidt https://www.juraexamen.info/wp-content/uploads/2022/05/je_logo.svg Dr. Maximilian Schmidt2015-04-16 09:44:512015-04-16 09:44:51BGH: Wenn der Vermieter zweimal klingelt – Kündigung wegen Zutrittsverweigerung zu Mietwohnung
Redaktion

Der Schutz privater Rechte im Polizei- und Ordnungsrecht

Öffentliches Recht, Rechtsgebiete, Startseite, Verschiedenes, Verwaltungsrecht


Der Verlag De Gruyter stellt jeden Monat einen Beitrag aus der Ausbildungszeitschrift JURA – Juristische Ausbildung zwecks freier Veröffentlichung auf Juraexamen.info zur Verfügung.
Der heutige Beitrag

“Der Schutz privater Rechte im Polizei- und Ordnungsrecht” von Prof. Dr. Friedrich Schoch

befasst sich mit der Wahrnehmung von Aufgaben durch die Polizei bzw. Ordnungsbehörden, die an sich dem Zivilrecht und der Zivilgerichtsbarkeit zuzuordnen sind. Im Gefahrenabwehrrecht ist Anknüpfungspunkt insoweit regelmäßig die Beeinträchtigung individueller Rechte und Rechtsgüter als Schutzgüter der öffentlichen Sicherheit. Der vorliegende Beitrag gibt an Hand von Fallbeispielen einen detaillierten Überblick zu typischen Rechtsfragen aus diesem examensrelevanten Bereich des Verwaltungsrechts.
Ihr findet den Beitrag wie immer hier.

21.06.2014/0 Kommentare/von Redaktion
https://www.juraexamen.info/wp-content/uploads/2022/05/je_logo.svg 0 0 Redaktion https://www.juraexamen.info/wp-content/uploads/2022/05/je_logo.svg Redaktion2014-06-21 09:00:342014-06-21 09:00:34Der Schutz privater Rechte im Polizei- und Ordnungsrecht
Dr. Jan Winzen

VGH Kassel: Entscheidung zur Frankfurter Wohnungsprostitution

Öffentliches Recht, Rechtsgebiete, Rechtsprechung, Startseite, Verwaltungsrecht

Kürzlich ist das viel beachtete Urteil des hessischen VGH (Kassel)  vom 31.01.2013 (8 A 1245/12) zur Wohnungsprostitution in Frankfurt am Main veröffentlicht worden.
I. Sachverhalt
Der in erster Instanz vor dem VG Frankfurt am Main unterlegene Kläger begehrt die Aufhebung einer Untersagungsverfügung der Oberbürgermeisterin der Stadt Frankfurt am Main, mit der ihm verboten wurde, die Räumlichkeiten im Hinterhaus seines Grundstücks als bordellartigen Betrieb zur Verfügung zu stellen.
Untersuchungen des Ordnungsamts der Stadt Frankfurt am Main hatten ergeben,

dass in vom Kläger vermieteten, insgesamt 44,52 m² großen Räumen im Hinterhaus auf seinem Hausgrundstück A-Straße ein „XX-Massagestudio“ betrieben wurde, in dem gegen Entgelt sexuelle Handlungen mehrerer spärlich oder gar nicht bekleideter Frauen angeboten werden (sog. Handentspannung, auch den Genitalbereich erfassende Ganzkörpermassagen). Für diese Zwecke standen in dem freistehenden Hinterhaus drei – jeweils mit Bett, Nachttisch und Schrank ausgestattete – Zimmer zur Verfügung, außerdem befanden sich im Haus sanitäre Einrichtungen und eine Kochnische.

Das räumliche Umfeld des Hausgrundstücks ist bauplanungsrechtlich als Mischgebiet ausgewiesen. In der Nähe befinden sich u.a. zwei Kindertagesstätten (etwa 200 Meter Entfernung von dem betreffenden Grundstück), eine Realschule in etwa 100 Meter Entfernung, ein größeres Betriebsgelände der Frankfurter Entsorgungs- und Service GmbH, ein Müllheizkraftwerk der Stadt. Äußerlich war die Nutzungsart des Hauses nicht erkennbar. Die Untersuchungen des Ordnungsamtes hatten außerdem ergeben, dass für das Massagestudio in der Frankfurter Innenstadt (für Ortskundige: im Bereich Hauptwache) auf einer Werbetafel (unter Angabe von Lage und Kontaktdaten) und im Internet (unter Angabe intimer Details der dort tätigen Damen) geworben wurde.
Die Untersagungsverfügung stützte die Oberbürgermeisterin auf § 11 HSOG (Generalklausel) und einen Verstoß gegen die Verordnung des Regierungspräsidiums Darmstadt zum Schutze der Jugend und des öffentlichen Anstandes in Frankfurt am Main (Sperrgebietsverordnung) vom 23.12.1986, in der derzeit gültigen Fassung. Die Berufung des Klägers auf das klageabweisende erstinstanzliche Urteil des VG Frankfurt am Main wurde wegen besonderer Schwierigkeiten rechtlicher Art und grundsätzlicher Bedeutung der Rechtssache (§ 124 Abs. 2 Nr. 3 und Nr. 3 VwGO) zugelassen. Der VGH hat nunmehr das erstinstanzliche Urteil, die Untersagungsverfügung der damaligen Oberbürgermeisterin und ihren im Verwaltungsverfahren erlassenen Widerspruchsbescheid aufgehoben.
II. Die Entscheidung des VGH
Die (zulässige) Anfechtungsklage ist begründet, soweit der Verwaltungsakt (die Untersagungsverfügung) rechtswidrig und der Kläger dadurch in seinen Rechten verletzt ist (§ 113 Abs. 1 Satz 1 VwGO).
1. Hinreichende Ermächtigungsgrundlage: § 11 HSOG iVm der Sperrgebietsverordnung von 1986?
Als belastender Verwaltungsakt bedurfte der Erlass der Untersagungsverfügung einer Ermächtigungsgrundlage.
In Betracht kommt insoweit § 11 HSOG wegen eines Verstoßes gegen die öffentliche Sicherheit.
Schutzgüter der öffentlichen Sicherheit sind, neben den Individualrechtsgütern (insbesondere individuelle Grundrechtspositionen), der Schutz der Unversehrtheit der objektiven Rechtsordnung sowie der Schutz des Bestands und der Veranstaltungen des Staates und anderer Hoheitsträger (zu den wichtigsten Begriffen des Polizei- und Ordnungsrechts siehe hier).

  • Verstoß gegen die Sperrgebietsverordnung

Ein Verstoß gegen die objektive Rechtsordnung – und damit eine Beeinträchtigung der öffentlichen Sicherheit – könnte in einem Verstoß gegen die Sperrgebietsverordnung liegen. § 1 der Sperrgebietsverordnung enthält ein allgemeines Prostitutionsverbot für bestimmte Frankfurter Stadtgebiete. Die §§ 3 und 4 enthalten Ausnahmen von dem allgemeinen Prostitutionsverbot (sog. Toleranzzonen). Im Übrigen, also auch für das Grundstück des Klägers, gilt § 2:

In dem übrigen Stadtgebiet ist es mit Ausnahme der in den Abs. 3 und 4 bezeichneten Gebiete verboten, auf öffentlichen Straßen, Wegen, Plätzen, in öffentlichen Anlagen und an sonstigen Orten, die von dort aus eingesehen werden können, sowie in Prostituiertenwohnheimen, Prostituiertenunterkünften und ähnlichen Einrichtungen (unter anderem in sogenannten Massagesalons und sonstigen überwiegend von Prostituierten genutzten Häusern) der Prostitution nachzugehen.

Dass die als „Massagesalon“ genutzten Räumlichkeiten des Klägers mit dem Wortlaut dieser Frankfurter Sperrgebietsverordnung nicht vereinbar sind, dürfte jedem klar sein. Fraglich ist allerdings, ob eine Sperrgebietsverordnung aus dem Jahre 1986 (die zuletzt 1993 überarbeitet wurde) auch heute noch uneingeschränkt zur Unterbindung der Wohnungsprostitution herangezogen werden kann. Wie vom Kläger schon im Verwaltungsverfahren geltend gemacht, hat sich die gesellschaftliche Akzeptanz der Prostitution einem Wandel unterzogen. Dieser Wandel hat sich auf Bundesebene in dem Erlass des Prostitutionsgesetzes im Jahre 2002 auch rechtlich manifestiert. Dass Sperrgebietsverordnungen gleichwohl im Grundsatz weiterhin zulässig und zur Gefahrenabwehr auch notwendig sind, zeigt der bundesrechtliche Hintergrund:

  • Bundesgesetzliche Ermächtigungsgrundlage Art. 297 Abs. 1 EGStGB

Die bundesgesetzliche Ermächtigungsgrundlage für die Sperrgebietsverordnung enthält Art. 297 Abs. 1 EGStGB und lautet (auszugsweise):

Die Landesregierung kann zum Schutze der Jugend oder des öffentlichen Anstandes
(…)
durch Rechtsverordnung verbieten, der Prostitution nachzugehen.

  • Bundesrechtskonforme Auslegung

Der VGH ist der Ansicht, dass diese Verordnungsermächtigung vor dem beschriebenen Hintergrund einer Einschränkung bedarf:

Die weitgehende Legalisierung der Prostitution durch das am 1. Januar 2002 in Kraft getretene Prostitutionsgesetz hat allerdings eine Beschränkung der Ermächtigungsreichweite bei der Anwendung dieser Vorschrift zur Folge, die im vorliegenden Fall entscheidungsrelevant ist.

Was bedeutet dieser Befund nun für das rechtliche Schicksal der Sperrgebietsverordnung und den Bestand der Untersagungsverfügung? Der VGH rezitiert dazu eine Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts vom 28. April 2009 – 1 BvR 224/07, die sich mit den Auswirkungen des Prostitutionsgesetzes auf Art. 297 Abs. 1 EGStGB befasst. Danach ist die

weiterhin gültige Verordnungsermächtigung in Art. 297 Abs. 1 S.1 Nr. 2 EGStGB nicht obsolet; dieses Gesetz und der darin manifestierte Wandel der gesellschaftlichen Akzeptanz der Prostitution verbieten es jedoch, bei der Anwendung dieser Bestimmung allein ihre Ausübung außerhalb ausgewiesener Toleranzzonen ohne konkrete Bewertung daraus resultierender schädlicher Auswirkungen auf die Nachbarschaft, insbesondere auf dort lebende Jugendliche und Kinder, als Störung der öffentlichen Sicherheit oder Ordnung einzustufen.

Der Schutz des öffentlichen Anstandes, den Art. 297 Abs. 1 EGStGB bezweckt, meint eben nicht den Schutz herrschender sittlicher Moralvorstellungen. Vielmehr dient die Verordnungsermächtigung der Gefahrenabwehr. Sie verfolgt das Ziel, das Zusammenleben der Menschen zu ordnen, soweit ihr Verhalten sozialrelevant ist. Soziale Relevanz hat ein Verhalten, wenn es nach außen in Erscheinung tritt und (deshalb) das Allgemeinwohl beeinträchtigen kann. Bei Handlungen und Zuständen, die eine enge Beziehung zum Geschlechtsleben haben, sind Belange des Allgemeinwohls nach Ansicht des Bundesverfassungsgerichts insbesondere dann beeinträchtigt, wenn andere Personen, die von diesen Handlungen und Zuständen unbehelligt bleiben wollten, erheblich belästigt werden. Dies gilt insbesondere für die Begleitumstände der Prostitution.
Für den vorliegenden (wie für jeden vergleichbaren) Fall bedeutet dies,

dass eine öffentlich nicht wahrnehmbare Prostitutionsausübung, wie sie hier vorliegt, nicht mehr durch den Vollzug einer Sperrgebietsverordnung unterbunden werden kann, die keine konkrete Belästigung der Öffentlichkeit durch Begleiterscheinungen der Prostitution voraussetzt.

In eine auf Art. 297 Abs. 1 EGStGB gestützte Sperrgebietsverordnung ist also das Erfordernis einer konkreten Belästigung der Öffentlichkeit durch Begleiterscheinungen der Prostitution hineinzulesen. Mittel zu diesem Zweck ist eine bundesrechtskonforme Auslegung der Verordnung.
2. Formelle Rechtmäßigkeit der Untersagungsverfügung
Zur formellen Rechtmäßigkeit der Untersagungsverfügung musste der VGH keine Ausführungen machen. Natürlich ließen sich an dieser Stelle in einer Klausur die üblichen Probleme einbauen (zur unterlassenen Anhörung siehe etwa hier).
3. Materielle Rechtmäßigkeit der Untersagungsverfügung
Der VGH legt § 2 Sperrgebietsverordnung bundesrechtskonform unter Berücksichtigung der Kriterien des Bundesverfassungsgerichts aus und prüft, ob die außerhalb der Toleranzzonen liegende Prostitutionsausübung in den Räumlichkeiten des Klägers eine konkrete Belästigung der Öffentlichkeit darstellt.

  • Definition: weitere Konkretisierung durch das Bundesverfassungsgericht

Wann eine solche konkrete Belästigung der Öffentlichkeit anzunehmen ist, hat das Bundesverfassungsgericht in der genannten Entscheidung weiter veranschaulicht. Danach kann eine Beeinträchtigung öffentlicher Belange vorliegen, wenn die Eigenart des betroffenen Gebietes durch eine besondere Schutzbedürftigkeit und Sensibilität, z.B. als Gebiet mit hohem Wohnanteil sowie Schulen, Kindergärten, Kirchen und sozialen Einrichtungen gekennzeichnet ist und wenn eine nach außen in Erscheinung tretende Ausübung der Prostitution typischerweise damit verbundene Belästigungen Unbeteiligter und milieubedingte Unruhe, wie zum Beispiel das Werben von Freiern und anstößiges Verhalten gegenüber Passantinnen und Anwohnerinnen, befürchten lässt.

  • Subsumtion des VGH

Der VGH verneint im vorliegenden Fall eine konkrete Belästigung der Öffentlichkeit mit folgenden Argumenten:
Prostitution tritt nach außen nicht in Erscheinung
Die Wohnungsprostitution wird in Räumlichkeiten ausgeübt, die sich in einem der Straße abgewandten Hinterhaus befinden. Wegen der beschränkten Zahl der dort tätigen Prostituierten tritt zudem allenfalls geringer Publikumsverkehrs auf. Vor diesem Hintergrund tritt die Prostitution ohne jeden Hinweis auf die konkrete Nutzung des Gebäudes schon nicht – wie vom Bundesverfassungsgericht gefordert –nach außen in Erscheinung.
Jugendschutz nicht tangiert – nicht jede Möglichkeit der Kenntnisnahme ausgeschlossen
Kindertagesstätten und Realschule sind von dem betreffenden Grundstück so weit entfernt, dass die konkreten, äußerlich wahrnehmbaren Begleiterscheinungen der dortigen Prostitutionsausübung – wie etwa die An- und Abfahrt von Kunden – von den dort betreuten Kindern und Jugendlichen nicht als solche wahrgenommen werden können. Anders wäre es allenfalls dann, wenn sie anders – namentlich durch die Werbetafel in der Innenstadt – von der Prostitutionsausübung erfahren würden. Im Hinblick auf die Kinder der Kindertagesstätte besteht diese Möglichkeit aber schon faktisch nicht. Eine zufällige Kenntnisnahme von der Prostitutionsausübung im Massagestudio kommt für die Realschüler zwar grundsätzlich in Betracht. Die Ermächtigung in Art. 297 EGStGB verfolgt aber nach Ansicht des Gerichts auch nicht den Zweck, Jugendliche vor jeder Kenntnisnahme von dem Phänomen der Prostitution zu bewahren.
Kein seelischer Schaden zu befürchten
Der VGH geht offenbar davon aus, dass öffentliche Belange beeinträchtigt werden, wenn bei Kenntniserlangung von der betriebenen Prostitution die Gefahr eines seelischen Schadens Jugendlicher bestünde. Bezogen auf Jugendliche (jedenfalls solche aus einer Großstadt wie Frankfurt am Main (!)) verneint er dies aber im vorliegenden Fall:
Dass die in erster Linie „gefährdeten“ Schülerinnen und Schüler der nahe gelegenen L.-Realschule bei Kenntnisnahme von der Werbung für das „C.-Massagestudio“ seelischen Schaden nehmen könnten, ist auszuschließen, da Kinder und Jugendliche in dieser Altersgruppe – zumal in einer Großstadt wie Frankfurt – jederzeit durch allgemein zugängliche Quellen und geradezu zwangsläufig mit Prostitution konfrontiert werden und sich im Zuge ihres Reifeprozesses mit diesem mittlerweile gesellschaftlich als unvermeidlich akzeptierten Phänomen auch auseinandersetzen sollten.
III. Fazit
Entscheidungen zum behördlichen Einschreiten gegen Wohnungsprostitution im Lichte der gewandelten gesellschaftlichen Anschauung der Prostitution sind keine Seltenheit. Wir berichteten kürzlich etwa zu einem Fall, in dem es um die bauplanungsrechtliche Zulässigkeit eines „nichtmedizinischen“ Massagesalons in einem reinen Wohngebiet ging. Da sich die Räumlichkeiten im vorliegenden Fall in einem bauplanungsrechtlich als Mischgebiet (§ 6 BauNVO) ausgewiesenen Bereich befinden, wäre ein bauordnungsrechtliches Einschreiten gemessen an den insoweit entwickelten Kriterien wohl nicht in Betracht gekommen (siehe dazu ebenfalls die bereits zitierte Entscheidung). In einer Klausur ließe sich je nach Konstellation eine solche Prüfung aber gut einbauen. Die Oberbürgermeisterin der Stadt Frankfurt am Main musste auf die Generalklausel (in Hessen: § 11 HSOG) zurückgreifen und zur Konkretisierung die Gebote und Verbote der Sperrgebietsverordnung heranziehen. Diese ist allerdings bundesrechtskonform dahin auszulegen, dass die Wohnungsprostitution nur untersagt werden darf, wenn eine konkrete Belästigung der Öffentlichkeit durch Begleiterscheinungen der Prostitution vorliegt. Der VGH verneint zwar im vorliegenden Fall eine solche Beeinträchtigung, seine Argumente zeigen aber, dass ein anders gelagerter Sachverhalt durchaus eine abweichende Entscheidung zugelassen hätte. Es bedarf also in einer Klausur stets einer sorgfältigen Auswertung sämtlicher angebotener Fakten.
Interessant in diesem Zusammenhang ist vielleicht auch noch ein Blick auf die wesentlichen Inhalte des viel zitierten Prostitutionsgesetzes: Diese umfassen einen rechtswirksamen Anspruch der Prostituierten auf das vereinbarte Entgelt (§ 1 ProstG), dessen fehlende Abtretbarkeit und den weitgehenden Ausschluss von Einwendungen gegen den Anspruch (§ 2 ProstG) sowie den Zugang zur Sozialversicherung (§ 3 ProstG). Darüber hinaus wurde die Strafbarkeit der Förderung der Prostitution und der Zuhälterei durch Art. 2 ProstG eingeschränkt. Aus der Gesetzesbegründung ergibt sich zudem, dass der Gesetzgeber davon ausgeht, dass die Vereinbarung über ein Entgelt für sexuelle Leistungen und auch die Tätigkeit selbst nicht gegen die guten Sitten verstoßen, vgl. BT-Drucks. 14/5958, Seite 4, 6.
 

27.03.2013/2 Kommentare/von Dr. Jan Winzen
https://www.juraexamen.info/wp-content/uploads/2022/05/je_logo.svg 0 0 Dr. Jan Winzen https://www.juraexamen.info/wp-content/uploads/2022/05/je_logo.svg Dr. Jan Winzen2013-03-27 09:00:242013-03-27 09:00:24VGH Kassel: Entscheidung zur Frankfurter Wohnungsprostitution
Zaid Mansour

VGH Baden-Württemberg: Zur „Gehsteigberatung“ für Schwangere

Öffentliches Recht, Öffentliches Recht, Polizei- und Ordnungsrecht, Rechtsprechung, Rechtsprechungsübersicht, Startseite, Verfassungsrecht, Verwaltungsrecht

Der VGH Baden-Württemberg hat entschieden, dass das gezielte Ansprechen von Frauen auf Schwangerschaft oder Abtreibung in unmittelbarer räumlicher Nähe zu einer Schwangerschaftskonfliktberatungsstelle (sog. „Gehsteigberatung“) durch unbekannte Dritte weiterhin verboten bleibt  (Urteil vom 19.10.2012 – Az. 1 S 915/11). Die „Gehsteigberatung“ verletze aller Voraussicht nach das allgemeine Persönlichkeitsrecht der angesprochenen Frauen, so der VGH Baden-Württemberg.
Sachverhalt
Die Stadt Freiburg hat im zugrunde liegenden Fall dem Kläger (einem gemeinnützigen Verein) mittels einer sofort vollziehbaren Untersagungsverfügung und unter Androhung eines Zwangsgeldes i.H.v. 250 €, verboten, in unmittelbarer räumlicher Nähe zu einer Schwangerschaftskonfliktberatungsstelle Personen auf eine Schwangerschaftskonfliktsituation anzusprechen oder ihnen unaufgefordert Broschüren, Bilder oder Gegenstände zu diesem Thema zu zeigen oder zu überreichen. Der Verein (Kläger) hat zunächst – ohne Erfolg – einstweiligen Rechtsschutz gegen die Anordnung der sofortigen Vollziehung ersucht. Das Verwaltungsgericht Freiburg hat die Klage im Hauptsacheverfahren ebenfalls abgewiesen. Der VGH bestätigte nunmehr – nachdem in der Berufungsverhandlung zahlreiche Zeugen angehört wurden – dieses Urteil.
Rechtliche Würdigung
Man wird zunächst bei der gutachterlichen (Begründetheits)Prüfung der Klage untersuchen müssen, auf welche Ermächtigungsgrundlage die Behörde ihre Untersagungsverfügung stützen konnte. Dabei sollte vorliegend nicht voreilig auf die polizeiliche bzw. ordnungsbehördliche Generalklausel rekurriert werden. Vielmehr sollte zunächst geprüft werden, ob entsprechende Vorschriften des Landesstraßenrechts einschlägig sind (die Landesstraßengesetze finden Sie hier). Nach Maßgabe der straßenrechtlichen Vorschriften kann die zuständige Behörde die erforderlichen Maßnahmen zur Beendigung der Straßenbenutzung anordnen, wenn und soweit die Straße ohne die erforderliche Sondernutzungserlaubnis benutzt wird (vgl. etwa § 22 Satz 1 StrWG NRW). Die landesrechtlichen Vorschriften des Straßenrechts legen fest, dass eine über den Gemeingebrauch der Straße hinausgehende Sondernutzung einer behördlichen Erlaubnis bedarf. Der Gemeingebrauch wird regelmäßig dahingehend definiert, dass der Gebrauch der öffentlichen Straßen jedermann im Rahmen der Widmung und der Straßenverkehrsvorschriften innerhalb der verkehrsüblichen Grenzen gestattet ist. Öffentliche Straßen sind nur Straßen, Wege und Plätze, die dem öffentlichen „Verkehr“ gewidmet sind (vgl. § 2 Abs. 1 StrWG NRW). Der klassische Verkehrsbegriff erfasst dabei nach allgemeinem Verständnis die Benutzung zum Zwecke der Ortsveränderung bzw. Fortbewegung von Menschen und Sachen, einschließlich des ruhenden Verkehrs. In Fußgängerbereichen umfasst dies auch sonstige verkehrsbezogene Nutzungen, wie etwa das bloße Herumstehen oder Ausruhen auf einer Bank. Allerdings wird nunmehr auch dem kommunikativen Aspekt des Gemeingebrauchs Rechnung getragen. Danach sind insbesondere Fußgängerzonen nicht nur zur Fortbewegung bzw. zum kurzzeitigen Verweilen bestimmt, sondern dienen auch dazu, Fußgängern die Möglichkeit zum Austausch und Verbreiten von Informationen und Meinungen zu geben. Das bloße Verteilen von Flugblättern und Ansprechen von Passanten wird dabei im Lichte von Art. 5 Abs. 1 GG generell als Gemeingebrauch gewertet. Gleiches gilt mit Blick auf Art. 4 Abs. 1 GG für das Verbreiten religiöser bzw. weltanschaulicher Schriften und Missionierungstätigkeiten. Eine erlaubnispflichtige Sondernutzung wird hingegen regelmäßig bejaht, wenn die Leichtigkeit und Sicherheit des Fußgängerverkehrs etwa durch das Aufstellen von Schildern oder sonstigen Hindernissen beeinträchtigt wird oder wenn mit dem Verteilen von Flugblättern gewerbliche Zwecke verfolgt werden. Vorliegend dürfte das Verhalten des Klägers noch dem kommunikativen Verkehr und damit dem Gemeingebrauch zuzurechnen sein, sodass straßenrechtliche Eingriffsbefugnisse nicht einschlägig sind.
Bei der sodann anstehenden Prüfung der polizei- bzw. ordnungsbehördlichen Generalklausel kommt es zunächst primär darauf an, ob das dem Kläger zurechenbare Verhalten eine Gefahr für die öffentliche Sicherheit darstellt. Eine Gefahr liegt bei einem Lebenssachverhalt vor, der bei ungehindertem Ablauf in absehbarer Zeit mit hinreichender Wahrscheinlichkeit zu einem Schaden an polizeirechtlich geschützten Gütern führt.  Der Gefahrenbegriff setzt eine Prognose im Hinblick auf die Wahrscheinlichkeit und der zeitlichen Nähe des Schadenseintritts voraus, wobei das zu erwartende Schadensausmaß Berücksichtigung finden muss.  Dabei gilt: Je größer das Ausmaß des Schadens, umso geringere Anforderungen sind an die Wahrscheinlichkeit und die zeitliche Nähe des Schadenseintritts zu stellen. Maßgeblich ist dabei die ex-ante Perspektive eines fähigen, besonnenen und sachkundigen Beamten. Die öffentliche Sicherheit umfasst drei Schutzgüter: den Schutz von Individualrechten, den Schutz der Unversehrtheit der objektiven Rechtsordnung und den Schutz des Bestandes und der Veranstaltungen des Staates und anderer Hoheitsträger.

Zum Schutzgut der öffentlichen Sicherheit zähle auch das durch das Grundgesetz geschützte allgemeine Persönlichkeitsrecht (Art. 1 Abs. 1 GG i.V.m. Art. 2 Abs. 1 GG). Die gezielte Ansprache auf eine Schwangerschaftskonfliktsituation durch unbekannte Dritte auf der Straße verletze das Persönlichkeitsrecht der betroffenen Frauen. In der Frühphase der Schwangerschaft befänden sich die meisten Frauen in einer besonderen seelischen Lage, in der es in Einzelfällen zu schweren Konfliktsituationen komme. Diesen Schwangerschaftskonflikt erlebe die Frau als höchstpersönlichen Konflikt. Diese Situation begründe ein hohes Schutzniveau für das allgemeine Persönlichkeitsrecht. Frauen hätten daher gerade in dieser Lebensphase ein Recht darauf, von fremden Personen, die sie auf der Straße darauf ansprächen, in Ruhe gelassen zu werden. Die für den Kläger tätige Gehsteigberaterin missachte mit der gezielten Ansprache auf eine Schwangerschaft das Persönlichkeitsrecht der Frauen. Erschwerend komme hinzu, dass die Ansprache in der Öffentlichkeit auf einer belebten Straße und in einer für unbeteiligte Dritte wahrnehmbaren Weise erfolge. Dies hätten zahlreiche Zeuginnen bestätigt. Die Verletzung des Persönlichkeitsrechts werde noch weiter verstärkt durch die den angesprochenen Frauen angebotenen Faltblätter mit teilweise einschüchternden und verstörend wirkenden Bildern von Föten und Teilen von Föten.

Im Rahmen der Verhältnismäßigkeitsprüfung bedarf es sodann einer Abwägung zwischen den sich im konkreten Fall gegenüberstehenden Grundrechtspositionen. Dazu heißt es in der Pressemitteilung des Gerichts:

Der Kläger könne sich nicht auf den grundgesetzlichen Schutz der Versammlungsfreiheit (Art. 8 Abs. 1 GG) berufen. Denn die „Gehsteigberatung“ ziele allein auf eine individuelle Kommunikation mit Einzelpersonen. Im Rahmen der Abwägung müsse auch die Meinungsfreiheit (Art. 5 Abs. 1 GG) des Klägers im konkreten Fall gegenüber dem Persönlichkeitsrecht der Frauen zurücktreten. Denn auch bei einem Thema von besonderem öffentlichen Interesse wie dem eines Schwangerschaftsabbruchs schütze das Recht auf Meinungsfreiheit keine Tätigkeiten, mit denen anderen eine bestimmte Meinung aufgedrängt werden solle. Gerade hierauf ziele aber die Gehsteigberatung ab. Die Meinungsfreiheit des Klägers und seiner Mitglieder werde durch das Verbot der „Gehsteigberatung“ ferner nicht unverhältnismäßig beschränkt. Denn außerhalb der Humboldtstraße bleibe die Gehsteigberatung möglich. Eine allgemeine Kritik an der Möglichkeit der Abtreibung könnte darüber hinaus – ohne eine gezielte Ansprache von möglicherweise schwangeren Frauen – auch in der Humboldtstraße geäußert werden. Weiterhin komme dem allgemeinen Persönlichkeitsrecht der betroffenen Frauen Vorrang auch gegenüber dem durch Art. 4 Abs. 1 GG geschützten Glaubens- und Bekenntnisfreiheit des Klägers zu.
Das Einschreiten der Stadt sei auch im öffentlichen Interesse geboten, da eine unbestimmte Vielzahl schwangerer Frauen von der mit der „Gehsteigberatung“ einhergehenden Beeinträchtigung des allgemeinen Persönlichkeitsrechts betroffen sei. Eine zeitnahe wirkungsvollere Abwehr der Beeinträchtigungen sei nicht zu erreichen. Schließlich leide die Untersagungsverfügung an keinen Ermessensfehlern.

Examensrelevanz
Die vorliegende Entscheidung ist geradezu prädestiniert, um in naher Zukunft in schriftlichen und/oder mündlichen Examensprüfungen abgefragt zu werden. Ihr kann mithin eine äußerst hohe Examensrelevanz beigemessen werden. Der Fall lässt sich verwaltungsprozessual wunderbar einbetten (vor allem im Verfahren des einstweiligen Rechtsschutzes; s. dazu hier). Das erforderliche polizeirechtliche Standardwissen, die vorliegend bei der rechtlichen Würdigung ebenfalls heranzuziehenden grundrechtlichen Erwägungen sowie die Aktualität des Falles, dürfte einige Prüfer sicherlich dazu verleiten den Sachverhalt in naher Zukunft abzuprüfen.

23.10.2012/4 Kommentare/von Zaid Mansour
https://www.juraexamen.info/wp-content/uploads/2022/05/je_logo.svg 0 0 Zaid Mansour https://www.juraexamen.info/wp-content/uploads/2022/05/je_logo.svg Zaid Mansour2012-10-23 14:22:072012-10-23 14:22:07VGH Baden-Württemberg: Zur „Gehsteigberatung“ für Schwangere

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