Das OVG Lüneburg hat am 27.06.2012 einen äußerst examensträchtigen Sachverhalt entschieden (Az. 10 LC 37/10). In der Sache ging es darum, inwiefern ein Gemeinderat durch Beschluss das Verhalten eines bestimmten Ratsmitglieds förmlich missbilligen darf.
Sachverhalt (stark vereinfacht)
Ein Ratsmitglied hat gegen seine Verschwiegenheitspflicht verstoßen, indem es gemeindeinterne Daten an Dritte weitergegeben hat. Im Rahmen der nächsten Ratssitzung beschließt der Rat, dieses rechtswidrige Verhalten durch Beschluss zu missbilligen. Abgesehen von der Prangerwirkung gegenüber dem betroffenen Ratsmitglied zieht dieser Beschluss keine rechtlichen Wirkungen nach sich. Die einschlägige Gemeindeordnung sieht keine gesetzliche Grundlage zum Erlass derartiger Beschlüsse vor.
Entscheidungsgründe
Das OVG Lüneburg führte zunächst aus, dass ein solcher Missbilligungsbeschluss keiner gesetzlichen Grundlage bedarf. Der Beschluss und die damit verbundene Feststellung von rechtswidrigem Verhalten des Ratsmitglieds und der Ausspruch einer Missbilligung des Verstoßes würden zwar in den Status des Ratsmitglieds eingreifen; gleichwohl sei eine derartige Missbilligung als Maßnahme unterhalb einer Sanktion einzuordnen, da die Maßnahme ja auch keine nachteiligen Rechtswirkungen nach sich zog.
Es lag nach Auffassung des OVG insofern kein erheblicher Eingriff in die Rechte des Ratsmitglieds vor. Neben der geringfügigen Eingriffsqualität der Maßnahme ließe sich in diesem Kontext zudem anführen, dass sich das Ratsmitglied in seiner Funktion als solches nicht auf Grundrechte, sondern lediglich auf seine organschaftlichen Rechte nach der Gemeindeordnung berufen kann. Der Vorbehalt des Gesetzes, wonach eine Ermächtigungsgrundlage für den Eingriff in Grundrechte notwendig ist, kann hier also nicht als Argumentationsstrang herangezogen werden. Das OVG führte weiter aus, dass die Missbilligung vielmehr gedeckt sei von der Befugnis eines Kollektivorgans (abgeleitet aus dem gemeindlichen Selbstverwaltungsrecht, Art. 28 Abs. 2 S. 1 GG), die zum Erhalt und zur Wiederherstellung seiner Funktionsfähigkeit und inneren Ordnung gebotenen Maßnahmen zu ergreifen. Die Selbstverwaltung der Gemeinde gebietet insofern, dass der Rat über verschiedenste Themen, die einen Bezug zur Gemeinde aufweisen, auch Beschluss fassen kann.
Obschon der Tatsache, dass der Beschluss ohne Ermächtigungsgrundlage erlassen werden konnte, müsste im Rahmen einer Klausur freilich noch geprüft werden, ob das Verhalten des Ratsmitglieds tatsächlich auch rechtswidrig war. Die Feststellung und Missbilligung würden ansonsten die Rechte des Ratsmitglieds über Gebühr einschränken, wenn der Beschluss auf falscher Grundlage erlassen wurde. Gleichermaßen können auch die allgemeinen gemeinderechtlichen Probleme in eine derartige Fallgestaltung einfließen (etwa die Beschlussfähigkeit des Rates, ordnungsgemäße Ladung, Ausschluss von befangenen Ratsmitgliedern etc.). Zudem können in prozessualer Hinsicht die Besonderheiten von sog. Kommunalverfassungsstreitigkeiten abgeprüft werden (s. dazu hier).
An dieser Stelle sei zudem angemerkt, dass die hier diskutierte Problematik ohne Weiteres auch in einer verfassungsrechtlichen Fallgestaltung abgeprüft werden könnte; in der Sache ginge es dann um einen Beschluss des Bundestages und die Missbilligung des Verhaltens eines Bundestagsabgeordneten, der sich auf seine organschaftlichen Rechte aus Art. 38 Abs. 1 S. 2 GG beruft. Argumentation und Ergebnis wären weitestgehend mit der gemeinderechtlichen Gestaltung vergleichbar.
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