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Schlagwortarchiv für: Gefährliche Körperverletzung

Gastautor

Die examensrelevanten Probleme des § 224 I Nr. 4 StGB

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Wir freuen uns im Folgenden einen Gastbeitrag von Christina Ott veröffentlichen zu können. Die Autorin hat Rechtswissenschaften an der Ludwig-Maximilians-Universität München studiert und im vergangenen September ihr erstes Staatsexamen abgeschlossen.

Im vergangenen Jahr haben sich gleich zwei der Strafsenate des BGH mit der Frage beschäftigt, ob die gemeinschaftliche Körperverletzung i.S.v. § 224 I Nr. 4 StGB auch durch Unterlassen verwirklicht werden kann (BGH, Urt. v. 17.5.2023 – 6 StR 275/22 und BGH, Beschl. v. 17.1.2023 – 2 StR 459/21) – und sind dabei zu unterschiedlichen Ergebnissen gekommen.

Diese aktuellen Entscheidungen sollen zum Anlass genommen werden, neben dieser Problematik auch die weiteren examensrelevanten Fragestellungen im Rahmen von § 224 Abs. 1 Nr. 4 StGB zu thematisieren.

A. Strafgrund des § 224 I Nr. 4 StGB

Vor der Behandlung der einzelnen Problemkonstellationen ist es hilfreich, sich vor Augen zu führen, worin der Strafgrund des § 224 I Nr. 4 StGB liegt. Letztlich ermöglicht diese Orientierung am Sinn und Zweck des § 224 I Nr. 4 StGB die argumentative Bewältigung der verschiedenen Fragestellungen in der Klausur mithilfe einer teleologischen Auslegung.

§ 224 I Nr. 4 StGB bestraft die gemeinschaftlich begangene Körperverletzung, also eine Körperverletzung bei der mindestens zwei Personen einverständlich als Angreifer am Tatort gefahrerhöhend zusammenwirken (vgl. Wessels/Hettinger/Engländer, Strafrecht BT I, 46. Aufl. 2022, Rn. 237).

Grund für die erhöhte Strafandrohung im Vergleich zu § 223 StGB ist, dass bei einem Zusammenwirken mehrerer Personen der Angriff für das Opfer typischerweise gefährlicher wird und die Möglichkeit des Opfers, sich zur Wehr zu setzen, eingeschränkt wird (vgl. MüKoStGB/Hardtung, 4. Aufl. 2021, § 224 Rn. 36). Daher ist stets zu ermitteln, ob im konkreten Fall durch das einverständliche Zusammenwirken der Personen eine gesteigerte Durchsetzungsmacht besteht, die das Opfer in seiner Verteidigung hemmt oder eine erhöhte Eskalation- und damit Verletzungsgefahr für das Opfer zur Folge hat.

B. Aktuelle Rechtsprechung: Möglichkeit der Verwirklichung des § 224 I Nr. 4 StGB durch Unterlassen?

Aktuell und daher besonders klausurrelevant ist die Frage, ob § 224 I Nr. 4 StGB auch durch Unterlassen verwirklicht werden kann.

I. Allgemeines zu unechten Unterlassungsdelikten

Dabei ist zunächst festzuhalten, dass grundsätzlich als Tathandlung des § 224 StGB auch an ein Unterlassen angeknüpft werden kann. Dies ermöglicht § 13 StGB, der prinzipiell jeden Tatbestand des Besonderen Teils in ein sog. unechtes Unterlassungsdelikt umwandeln kann.

Die relevante Tathandlung des Täters liegt dann nicht in einem aktiven Handeln, sondern in der Nichtvornahme der objektiv erforderlichen und rechtlich gebotenen Handlung trotz physisch realer Handlungsmöglichkeit (vgl. Wessels/Beulke/Satzger, Strafrecht Allgemeiner Teil, 53. Aufl. 2023, Rn. 1172). Zudem ist gem. § 13 StGB erforderlich, dass der Täter rechtlich dafür einzustehen hat, dass der Erfolg nicht eintritt – mithin muss eine Garantenstellung vorliegen. Darüber hinaus verlangt § 13 StGB, dass das Unterlassen der Verwirklichung des gesetzlichen Tatbestands durch ein Tun entspricht. Letzteres meint die sog. Modalitätenäquivalenz, die gegeben ist, wenn der Unwertgehalt, der bei einem aktiven Handeln gegeben ist, auch im Unterlassensbereich vorliegt (vgl. BeckOK-StGB/Heuchemer, 59. Ed., § 13 Rn. 116).

Zu klären ist jedoch, ob diese Grundsätze auch für § 224 I Nr. 4 StGB gelten.

II. Der Sachverhalt der Entscheidung des Sechsten Strafsenats (leicht gekürzt und vereinfacht)

Der Zuhälter A „übernahm“ die Prostituierte O, die an einer paranoiden Schizophrenie erkrankt war, um durch Os Prostitutionsausübung nicht unerhebliche Einkünfte zu erwirtschaften. Dieses Vorhaben sowie den Gesundheitszustand der O teilte A seiner Lebensgefährtin B mit. A und B war zudem bekannt, dass O infolge ihrer Krankheit fachärztliche Hilfe benötigt hätte.

Os Gesundheitszustand führte dazu, dass sie nicht in der Lage war, sich im zwischenmenschlichen Kontakt situationsadäquat zu verhalten und daher auch bei Treffen mit Freiern unkontrollierte Gefühlsausbrüche wie Lachen oder Weinen zeigte.

Nachdem sie deswegen von einem Freier ohne Inanspruchnahme sexueller Dienste zurückgefahren wurde, befand sich O in dem Haus des A und seiner Lebensgefährtin B.

Dort sollte B auf die O, deren psychischer Zustand sich weiter verschlechtert hatte, „aufpassen“ und überließ ihr zur Beruhigung einen Joint.

Nachdem es anschließend zu einer tätlichen Auseinandersetzung zwischen B und O kam, rief B ihren Lebensgefährten A zur Hilfe. Gemeinsam verbrachten sie die schreiende O in die Garage des Hauses. Zum Zwecke der Überwachung blieben A und B in der Nähe der O und befanden sich oft auch gemeinsam bei ihr in der Garage. Beide erkannten, dass O fachärztliche Hilfe benötigte, entschieden sich jedoch in der Hoffnung, die „Einnahmequelle“ erhalten zu können, in einer gemeinsamen Absprache dafür, die O selbst zu versorgen. Os Zustand verschlechterte sich jedoch rapide, was dazu führte, dass sie wiederholt laut aufschrie, sich einnässte, übergab und krampfte. Dennoch wurde keine Hilfe gerufen, obwohl die ärztliche Verabreichung von Medikamenten Os Zustand nach kurzer Zeit hätte lindern können. Stattdessen verabreichte A der O auf Vorschlag der B eine unbekannte Menge an Salz, die in Wasser aufgelöst wurde. Zudem wurde O mindestens einmal gewürgt und ihr wurde der Mund zugehalten. Schließlich verstarb O in der Garage, wobei nicht geklärt werden kann, ob das Würgen oder das verabreichte Salz todesursächlich waren.

III. Die Entscheidung (BGH, Urt. v. 17.5.2023 – 6 StR 275/22)

Der Sechste Strafsenat des BGH hatte zu entscheiden, ob § 224 I Nr. 4 StGB auch durch Unterlassen verwirklicht werden kann.  Wäre dies der Fall, hätten A und B, denen aufgrund ihres vorherigen pflichtwidrigen und gefährdenden Handelns eine Garantenstellung aus Ingerenz zukam, durch das unterlassene Rufen eines Arztes §§ 224 I Nr. 4, 13 I StGB verwirklicht.

1. Auffassung des 2. Strafsenats

Nach Auffassung des 2. Strafsenats in einem ähnlich gelagerten Fall (BGH, Beschl. v. 17.1.2023 – 2 StR 459/21) und weiten Teilen der Literatur (vgl. BeckOK-StGB/Eschelbach, 59. Ed., § 224 Rn. 39; MüKoStGB/Hardtung, 4. Aufl. 2021, § 224 Rn. 38; NK-StGB/Paeffgen/Böse/Eidam, 6. Aufl. 2023, § 224 Rn. 26; Schönke/Schröder/Stree/Sternberg-Lieben, StGB, 30. Aufl. 2019, § 224 Rn. 11b) kann § 224 I Nr. 4 StGB nicht durch Unterlassen verwirklicht werden. Bei der bloßen Anwesenheit mehrerer Garanten, die gemeinsam passiv bleiben, entspreche das Unterlassen entgegen dem Wortlaut des § 13 I Hs. 2 StGB gerade nicht der Verwirklichung durch ein Tun, da der Strafgrund des § 224 I Nr. 4 StGB nicht in gleicher Weise betroffen sei.

Strafzweck des § 224 I Nr. 4 StGB ist die besondere Gefahr für das Opfer, die aus einer Übermachtsituation resultiert, welche das Opfer psychisch und physisch in seiner Abwehr- und Fluchtmöglichkeit beeinträchtigt. Zudem soll die erhöhte Gefahr der Verursachung erheblicherer Verletzungen aufgrund der Mitwirkung mehrerer Personen an der Körperverletzung bestraft werden.

Eine solche erhöhte Gefahr bestünde allerdings nur, wenn die Beteiligten aktiv zusammenwirken, die bloße Anwesenheit mehrere Personen, die gemeinsam passiv bleiben, sei demgegenüber nicht ausreichend. Im Übrigen sei in der Rechtsprechung anerkannt, dass es schon nicht ausreicht, wenn dem Opfer neben einem aktiv handelnden Täter eine weitere Person gegenübersteht, die rein passiv bleibt, sodass es erst recht nicht ausreichen könne, wenn bei einer allein durch Unterlassen begangenen Körperverletzung ein weiterer Garant untätig bleibt.

2. Auffassung des 6. Strafsenats

In dem zuvor geschilderten Fall des Sechsten Senats war dieser jedoch anderer Auffassung und entschied, dass § 224 I Nr. 4 StGB unter engen Voraussetzungen auch durch Unterlassen verwirklicht werden kann. Dies sei der Fall, wenn sich die zur Hilfeleistung verpflichteten Garanten ausdrücklich oder konkludent zum Untätigbleiben verabreden und mindestens zwei von ihnen zumindest zeitweise am Tatort anwesend sind. Dabei argumentierte der BGH wie folgt (BGH, Urt. v. 17.5.2023 – 6 StR 275/22, Rn. 42):

a) Wortlaut

Hierfür spreche, dass der Wortlaut des § 224 I Nr. 4 StGB keine Einschränkung dahingehend enthalte, dass § 13 StGB als Vorschrift des Allgemeinen Teils keine Anwendung finde.

b) Sinn und Zweck

Vielmehr resultiere aus dem Sinn und Zweck des § 224 I Nr. 4 StGB, dass auch eine Verwirklichung durch Unterlassen über § 13 StGB als tatbestandsmäßig erachtet werden könne.

Die Neufassung des § 224 StGB hatte als Ziel, dem Schutz der körperlichen Unversehrtheit größeres Gewicht zu verleihen (vgl. Neufassung durch das Sechste Gesetz zur Reform des Strafrechts vom 26. Januar 1998, BGBl. I S. 164). Unter Berücksichtigung dieses erstrebten effektiven Rechtsgüterschutzes sei daher zu bedenken, dass auch bei einer Begehung durch Unterlassen im Einzelfall eine erhöhte Gefahr erheblicher Verletzungen oder die Gefahr der Einschränkung des Opfers in seiner Verteidigungsmöglichkeit gegeben sein kann.

Nicht ausreichend sei jedoch die bloß gleichzeitige Passivität mehrerer Garanten im Sinne einer reinen Nebentäterschaft. Vielmehr sei erforderlich, dass sich die zur Hilfeleistung verpflichteten Garanten ausdrücklich oder konkludent zum Nichtstun verabreden und mindestens zwei der Täter zumindest zeitweilig am Tatort sind.

In diesem Fall bestärke die gemeinsame Verabredung den Tatentschluss der einzelnen Garanten und führe dazu, dass als gefahrsteigernder, gruppendynamischer Effekt die Wahrscheinlichkeit verringert wird, dass einer der Garanten die an ihn gestellten Handlungspflichten erfüllt.

Demnach nahm der BGH in Einklang mit der Vorinstanz an, dass A und B sich gem. §§ 224 I Nr. 4, 13 I StGB strafbar gemacht haben als sie gemeinsam verabredeten, die erforderliche ärztliche Hilfe nicht zu rufen.

3. Streitentscheid

Demnach liegen hinsichtlich dieser Problematik zwei divergierende Auffassungen zwischen den BGH-Senaten vor. Dies wirft zunächst die Frage auf, wie es überhaupt möglich ist, dass hinsichtlich derselben Thematik konträre Auffassungen durch den BGH vertreten werden. Gem. § 132 III 1 GVG muss nämlich an sich ein Senat, der von der Rechtsauffassung eines anderen Senats abweichen will, diesem die Frage vorlegen und ermitteln, ob der Senat an seiner Rechtsauffassung festhalten will. Bejaht der angefragte Senat dies, ist die Rechtsfrage gem. § 132 II GVG dem Großen Senat für Strafsachen vorzulegen, um eine einheitliche Rechtsprechung sicherzustellen.

Eine solche Vorlage ist hier jedoch unterblieben. Aufgrund des geringen zeitlichen Abstands der Entscheidungen ist allerdings davon auszugehen, dass der Sechste Senat seine Vorlagepflicht nicht bewusst missachtet hat, sondern schlichtweg noch keine Kenntnis von der gegenteiligen Entscheidung des 2. Senats und der daraus resultierenden Vorlagepflicht hatte (Wagner ZJS, 6/2023, 1414, 1419).

Mangels einheitlicher Rechtsprechung ist diese Frage aber umso klausur- und examensrelevanter, sodass der Streitentscheid im Folgenden ausgeführt wird:

a) Linie des 2. Strafsenats

Auf der einen Seite zeigt die Gesamtschau des § 224 StGB, dass über diese Qualifikation nicht die Gefahr im Sinne einer größeren Begehungswahrscheinlichkeit, sondern die Gefahr einer intensiveren Körperverletzung sanktioniert werden soll (vgl. Kudlich, JA 2023, 694, 696). Exemplarisch kann hier auf § 224 I Nr. 2 Alt. 2 StGB verwiesen werden: Der Schlag mit einem Baseballschläger birgt die Gefahr einer intensiveren Körperverletzung als der Schlag mit der bloßen Faust. Bei mehreren untätig bleibenden Garanten droht dem Opfer aber gerade nicht die Gefahr einer schwerwiegenderen oder intensiveren Körperverletzung: „zweimal Null [bleibt] eben Null“ (BeckOK-StGB/Eschelbach, 59. Ed., § 224 Rn. 39; Krehl, Anm. zu BGH Urt. v. 17.5.2023 − 6 StR 275/22, NStZ 2023, 607, 610).

b) Linie des Sechsten Strafsenats

Auf der anderen Seite ist zu berücksichtigen, dass es sich bei § 224 I Nr. 4 StGB um ein abstraktes Gefährdungsdelikt handelt (MüKoStGB/Hardtung, 4. Aufl. 2021, § 224 Rn. 36). Entscheidend ist daher, ob es auch bei einer gemeinsamen Verabredung zu einem Untätigbleiben zu einer erhöhten Gefahr für das Opfer kommt.

Hierfür spricht, dass die gemeinsame Verabredung es für den einzelnen Täter schwerer macht, über seinen eigenen Schatten zu springen und dem Opfer doch zu helfen. Dies verschlechtert die Rettungschancen des Opfers in einer Weise, die der Situation entspricht, in der sich das Opfer mehreren aktiv handelnden Tätern gegenübersieht, da es darauf angewiesen ist, dass einer der Garanten die Verabredung mit den anderen missachtet oder alle Garanten tätig werden (Lichtenthäler, FD Strafrecht 2023, 458302).

Zudem liegt der erhöhte Unwertgehalt des § 224 I Nr. 4 StGB neben der Steigerung der drohenden Verletzungsintensität auch in der Einschränkung oder Beseitigung der Verteidigungsmöglichkeit des Opfers (BeckOK-StGB/Eschelbach, 59. Ed., § 224 Rn. 37). Daher ist zu ermitteln, ob sich das Opfer einer Übermachtsituation ausgesetzt fühlt und deshalb in seinen Abwehrmöglichkeiten eingeschränkt ist (Schönke/Schröder/Stree/Sternberg-Lieben, StGB, 30. Aufl. 2019, § 224 Rn. 11b). Eine solche Übermacht erfordert jedoch nicht zwingend das aktive Zusammenwirken mehrerer Beteiligter, sondern kann auch bei mehreren verabredetermaßen untätigen Garanten bestehen: bei dem Garanten handelt es sich nämlich gerade um einen Verteidigungsmechanismus, den die Rechtsordnung dem Opfer zur Hilfe stellt. Verabreden sich nun aber mehrere Garanten zum Nichtstun, wird für die einzelnen Garanten durch die Abrede eine psychologische Hemmschwelle geschaffen, die das Potenzial hat, den Garanten als Verteidigungsmittel auszuschalten (Wagner ZJS, 6/2023, 1414, 1423).

Darüber hinaus überzeugt das Argument des Zweiten Senats, dass, wenn schon die nur passiv tätige Person neben einem aktiv handelnden Täter § 224 I Nr. 4 StGB nicht erfüllen kann, dies erst recht nicht bei mehreren untätig bleibenden Personen der Fall sein kann, nicht. Der Erst-recht-Schluss scheitert daran, dass die beiden Konstellationen schlichtweg nicht miteinander vergleichbar sind, da es sich um eine andere Form von Unrecht handelt (Lichtenthäler, FD Strafrecht 2023, 458302).

Im Übrigen erscheint es nicht sachgerecht, die Frage nach der erhöhten Gefährlichkeit pauschal anhand der Beteiligungsform zu bestimmen. Entscheidend müssen vielmehr die Umstände des Einzelfalls sein.

c) Zwischenergebnis

Daher überzeugt es, mit dem Sechsten Strafsenat grundsätzlich die Möglichkeit der Verwirklichung von § 224 I Nr. 4 StGB durch Unterlassen anzuerkennen.

d) Nähere Konkretisierung

Dies führt jedoch zu der Folgefrage, unter welchen Voraussetzungen eine solche Verwirklichung durch Unterlassen angenommen werden kann.

Der Sechste Strafsenat verlangt, dass sich die zur Hilfeleistung verpflichteten Garanten ausdrücklich oder konkludent zum Untätigbleiben verabreden und mindestens zwei von ihnen zumindest zeitweise am Tatort anwesend sind.

Insoweit ist es überzeugend, dass der Sechste Senat sowohl eine ausdrückliche als auch eine konkludente Verabredung ausreichen lässt, da dies den Anforderungen entspricht, die an den Tatentschluss von Mittätern gestellt werden (dazu Schönke/Schröder/Heine/Weißer, StGB, 30. Aufl. 2019, § 25 Rn. 72). Es wäre nicht einleuchtend, an die Vereinbarung mehrere Garanten, den Erfolg gemeinsam nicht abzuwenden, strengere Voraussetzungen zu stellen (vgl. Wagner ZJS, 6/2023, 1414, 1424).

Fraglich ist jedoch, ob mit dem Sechsten Senat zwingend zu verlangen ist, dass mindestens zwei der Garanten zeitweilig am Tatort sein müssen. Dieses Erfordernis entspricht grundsätzlich der herrschenden Meinung bei mehreren aktiv handelnden Beteiligten, da nur dann die von § 224 I Nr. 4 StGB zu sanktionierende Übermachtsituation gegeben ist (s. nur Matt/Renzikowski/Engländer, StGB, 2. Aufl. 2020, § 224 Rn. 12 f.; Lackner/Kühl/Heger/Heger, StGB, 30. Aufl. 2023, § 224 Rn. 7; BGH, Urt. v. 22.12.2005 – 4 StR 347/05).

Allerdings überzeugt dies nicht in der Konstellation mehrerer untätig bleibender Garanten: Zwar kann nicht geleugnet werden, dass der gegenseitige psychische Druck aus der Verabredung noch größer ist, wenn auch die anderen Garanten anwesend sind und so eine gegenseitige „Kontrollmöglichkeit“ besteht. Jedoch soll auch sanktioniert werden, dass die gemeinsame Verabredung den einzelnen Garanten als potenzielle Verteidigungsmöglichkeit des Opfers „ausschaltet“. Diese Gefahr ist aber umso größer, wenn der andere Garant infolge der Verabredung gar nicht erst am Tatort anwesend ist und daher bereits rein theoretisch nicht seine Garantenpflicht erfüllen kann (Wagner ZJS, 6/2023, 1414, 1425).

4. Ergebnis

Daher kann festgehalten werden, dass für den Fall, dass sich mehrere Garanten ausdrücklich oder konkludent zum Nichtstun verabreden, § 224 I Nr. 4 StGB über § 13 I StGB durch Unterlassen verwirklicht werden kann.

IV. Behandlung in der Klausur

In der Klausur kann dieses Problem an verschiedenen Stellen thematisiert werden: Vertretbar erscheint zum einen eine Verortung unter dem Tatbestandsmerkmal „gemeinschaftlich“ bei der Frage, ob die Garanten tatsächlich „gemeinschaftlich“ unterlassen (Wagner ZJS, 6/2023, 1414, 1422). Ebenso kann das Problem im Rahmen der Entsprechungsklausel des § 13 I HS. 2 StGB thematisiert werden (so auch der Zweite Strafsenat).

Dadurch, dass sich hinsichtlich dieser Fragestellung nicht einmal die Richter am BGH einig sind, kann zudem inhaltlich jede der beiden Auffassungen in der Klausur argumentativ vertreten werden.

C. Anforderungen an die Art der Beteiligten

Neben dieser aktuellen Thematik existieren einige weitere Problemfelder im Rahmen von § 224 I Nr. 4 StGB, die im Folgenden thematisiert werden sollen.

Ein „Klausurklassiker“ ist dabei die Frage, welche Anforderungen an die Art der Beteiligung zu stellen sind.

I. Erfordernis einer Mittäterschaft

Einerseits könnte man verlangen, dass die Beteiligten Mittäter iSv § 25 II StGB sein müssen. Hierfür spricht zum einen Wortlaut des § 25 II StGB, der die Mittäterschaft als eine Situation definiert, in der mehrere die Straftat gemeinschaftlich begehen. Dies entspricht der Terminologie des § 224 I Nr. 4 StGB, der ebenfalls von der gemeinschaftlichen Begehung der Körperverletzung spricht.

Zum anderen kann als Argument für eine solche enge Auslegung das Erfordernis einer restriktiven Auslegung des § 224 StGB, der als Qualifikation einen Strafrahmen von bis zu zehn Jahren Freiheitsstrafe vorsieht, herangezogen werden.

II. Sowohl Mittäterschaft als auch Teilnahme

Andererseits könnte man neben der Mittäterschaft auch eine bloße Teilnahme (§§ 26, 27 StGB) für ausreichend erachten. Als Argument kann insoweit der Wortlaut des § 28 II StGB herangezogen werden, der den in § 224 I Nr. 4 StGB verwendeten Begriff der Beteiligten als Täter und Teilnehmer legaldefiniert.

III. Streitentscheid

Fraglich ist daher, welche der Ansichten vorzugswürdig ist.

In der Literatur lässt die Mehrheit sowohl Mittäterschaft als auch Teilnahme ausreichen, wobei sie sich überwiegend auf den zuvor erwähnten Wortlaut des § 28 II StGB stützt (Matt/Renzikowski/Engländer, StGB, 2. Aufl. 2020, § 224 Rn. 13, Schönke/Schröder/Stree/Sternberg-Lieben, StGB, 30. Aufl. 2019, § 224 Rn. 11a, jeweils m.w.N.).

Dadurch, dass der Wortlaut aber mit Blick auf § 25 II StGB letztlich widersprüchlich ist, kann dies nicht als entscheidendes Argument überzeugen.

Vielmehr müssen Sinn und Zweck des § 224 I Nr. 4 StGB herangezogen werden: Für die Auffassung, die sowohl Mittäterschaft als auch Teilnahme ausreichen lässt, spricht, dass die Steigerung der Gefahr erheblicher Verletzungen sowie die Gefahr der Einschränkung der Verteidigungsmöglichkeit und -bereitschaft des Opfers unabhängig von der Form der Beteiligung bestehen.

Allerdings ist zu fordern, dass neben dem handelnden Täter ein weiterer Beteiligter aktiv am Tatort mitwirkt, da nur dann eine solche Übermachtsituation vorliegt wie sie § 224 I Nr. 4 StGB sanktioniert soll (vgl. BeckOK-StGB/Eschelbach, 59. Ed., § 224 Rn. 37). Nicht ausreichen kann daher die Anstiftung, welche die Tat erst bewirkt, da diese im Vorfeld der Tatausführung liegt und gerade keine Übermachtsituation gegenüber dem Opfer herbeiführt (so i.Erg. Schönke/Schröder/Stree/Sternberg-Lieben, StGB, 30. Aufl. 2019, § 224 Rn. 11b).

IV. Ergebnis

Demnach ist keine Beschränkung des § 224 I Nr. 4 StGB auf eine mittäterschaftliche Begehung vorzunehmen. Diese Auslegung steht im Einklang mit der Rechtsprechung des BGH (z.B. BGH, Urt. v. 3.9.2002 – 5 StR 210/02) und erscheint daher auch in der Klausur vorzugswürdig.

D. Rein psychischer Beitrag ausreichend?

Eine weitere klausurrelevante Fragestellung im Rahmen des § 224 I Nr. 4 StGB ist, ob auch ein rein psychischer Beitrag ausreicht, um eine gemeinschaftliche Begehung der Körperverletzung anzunehmen.

Unstreitig erfasst ist die physische Unterstützung des Täters durch einen Gehilfen beispielsweise durch Festhalten des Opfers oder Verhinderung der Flucht (Schönke/Schröder/Stree/Sternberg-Lieben, StGB, 30. Aufl. 2019, § 224 Rn. 11b), da durch diese das Opfer in seiner Gegenwehr gehemmt wird. Ob und unter welchen Voraussetzungen auch eine psychische Beihilfe ausreichen kann, ist demgegenüber umstritten.

I. Psychische Beihilfe nicht ausreichend

Einerseits könnte man darauf abstellen, dass für eine gemeinschaftliche Begehung iSv § 224 I Nr. 4 StGB ein gemeinsamer Willensentschluss hinsichtlich der Vornahme des Beteiligtenbeitrags und ein Opfer-gerichtetes Zusammenwirken zu fordern sei. Demnach würde die psychische Beihilfe durch Anfeuern nicht ausreichen, da in der bloßen Entgegennahme von Applaus kein gemeinsamer Willensentschluss liege (Jäger, JuS 2000, 31, 36).

II. Psychische Beihilfe kann ausreichen

Demgegenüber nimmt die Rechtsprechung an, dass auch eine psychische Beihilfe für die Bejahung einer gemeinschaftlichen Körperverletzung iSv § 224 I Nr. 4 StGB genügen kann (vgl. BGH, Urt. v. 22.12.2005 – 4 StR 347/05, NStZ 2006, 572; Urt. v. 3.9.2002 – 5 StR 210/02). Entscheidend sei allein, dass durch den am Tatort anwesenden Gehilfen die Wirkungen der Körperverletzung des Täters in einer Weise verstärkt werden, die geeignet ist, die Lage des Opfers zu verschlechtern (vgl. BGH, Beschl. v. 17.7.2012 – 3 StR 158/12).

III. Streitentscheid

Der ersten Ansicht ist insoweit zuzustimmen, als eine psychische Beihilfe, die den Täter durch Bestärken des Tatentschlusses oder Anfeuern lediglich motivierend unterstützt, nicht ausreichen kann, da in diesem Fall das Opfer nicht in seiner Gegenwehr gehemmt wird und es an der spezifischen Gefährlichkeit des § 224 I Nr. 4 StGB fehlt (Schönke/Schröder/Stree/Sternberg-Lieben, StGB, 30. Aufl. 2019, § 224 Rn. 11b).

Allerdings überzeugt es nicht, die psychische Beihilfe per se auszuschließen, da auch bei dieser im Einzelfall der Schutzzweck des § 224 I Nr. 4 StGB tangiert sein kann.

Dies ist der Fall, wenn das Opfer mit einem Einschreiten des Gehilfen rechnet und aus diesem Grund in seiner Gegenwehr gehemmt werden kann. Dies kann zum einen angenommen werden, wenn der anfeuernde Gehilfe tatsächlich dazu bereit ist einzuschreiten und das Opfer dies erkennt, zum anderen aber auch dann, wenn der Gehilfe zwar objektiv nicht einschreiten will, dem Opfer allerdings seine Unterstützungsbereitschaft gegenüber dem Haupttäter suggeriert (BGH Urt. v. 3.9.2002 – 5 StR 210/02; MüKoStGB/Hardtung, 4. Aufl. 2021, § 224 Rn. 37).

IV. Ergebnis

Demnach erscheint es vorzugswürdig, auch eine psychische Beihilfe für die Bejahung von § 224 I Nr. 4 StGB ausreichen zu lassen, wenn diese im Einzelfall dazu führt, dass das Opfer in seiner Verteidigungsbereitschaft gehemmt werden kann.

E. Wahrnehmung der Beteiligten durch das Opfer

Ebenfalls relevant ist die Frage, ob für das Vorliegen einer gemeinschaftlich begangenen Körperverletzung i.S.v. § 224 I Nr. 4 StGB zu fordern ist, dass das Opfer die mehreren Beteiligten wahrnehmen muss.

I. Erfordernis der Wahrnehmung

Hierfür könnte sprechen, dass das Opfer ansonsten nicht in seiner Gegenwehr und Verteidigungsbereitschaft gehemmt ist (vgl. Lackner/Kühl/Heger/Heger, StGB, 30. Aufl. 2023, § 224 Rn. 7). Stellt man entscheidend auf diesen Strafzweck des § 224 I Nr. 4 StGB ab, wäre bei einer fehlenden Wahrnehmung der mehreren Beteiligten durch das Opfer § 224 I Nr. 4 StGB abzulehnen.

II. Wahrnehmung durch das Opfer unerheblich

Allerdings ist zu berücksichtigen, dass § 224 I Nr. 4 StGB auch die erhöhte abstrakte Gefahr erheblicherer Verletzungen für das Opfer bestrafen will. Diese Gefahr besteht jedoch unabhängig davon, ob das Opfer die Mitwirkung der anderen Person wahrnimmt. Entscheidend ist allein die Schaffung einer Übermachtsituation, welche objektiv zu beurteilen ist (MüKoStGB/Hardtung, 4. Aufl. 2021, § 224 Rn. 36: Es kommt auf die abstrakte Gefährdung an.). Dieser Auffassung schließt sich auch der BGH an, indem er darauf verweist, dass für die Beurteilung der erhöhten Gefährlichkeit der Körperverletzung nur die konkrete Tatsituation, nicht die Kenntnis durch das Opfer entscheidend sei (BGH, Urt. v. 22.12.2005 – 4 StR 347/05, NStZ 2006, 572 Rn. 7).

Demnach erscheint es auch in einer Klausur vorzugswürdig, § 224 I Nr. 4 StGB zu bejahen, auch wenn das Opfer die mehreren Beteiligten nicht wahrnimmt.

F. Fazit

Die thematisierten Problemkonstellationen zeigen, dass letztlich alle Fragestellungen im Rahmen von § 224 I Nr. 4 StGB anhand des Schutzzwecks der Norm mithilfe einer teleologischen Auslegung beantwortet werden können. Auch in unbekannten Konstellationen ist daher stets danach zu fragen, ob das einverständliche Zusammenwirken der Personen zu einer gesteigerten Gefährlichkeit für das Opfer führt, da ihm eine intensivere Körperverletzung droht oder es in seiner Verteidigungsbereitschaft gehemmt oder eingeschränkt werden kann.

20.02.2024/6 Kommentare/von Gastautor
https://www.juraexamen.info/wp-content/uploads/2022/05/je_logo.svg 0 0 Gastautor https://www.juraexamen.info/wp-content/uploads/2022/05/je_logo.svg Gastautor2024-02-20 09:00:002024-03-06 16:01:16Die examensrelevanten Probleme des § 224 I Nr. 4 StGB
Tobias Vogt

Strafbarkeit durch Ansteckung mit dem Coronavirus

Aktuelles, Examensvorbereitung, Strafrecht, Strafrecht AT, Strafrecht BT

Es gibt wohl kein Thema, dass in den letzten Jahren derart die Schlagzeilen bestimmt hat wie das neuartige Coronavirus. Daher dürfte es auch nicht verwunderlich sein, falls rechtliche Probleme rund um das Coronavirus künftig Gegenstand juristischer Prüfungen sein werden.
In München kam es vergangene Woche bereits zum Eklat: Ein Münchener Rechtsanwalt zeigte einen Strafrichter wegen versuchter Körperverletzung an, nachdem dieser auf die Durchführung einer Gerichtsverhandlung bestand. Anwesend waren über 50 Personen. Nach Ansicht des beteiligten Anwalts sei die Verhandlung daher eine Hochrisikoveranstaltung, bei der ein erhöhtes Ansteckungsrisiko bewusst in Kauf genommen werde.
Dies bietet Anlass, die prüfungsrelevanten Probleme der Strafbarkeit durch Infizierung Anderer mit dem Coronavirus zu erläutern:
I. Strafbarkeit wegen gefährlicher Körperverletzung §§ 223, 224 StGB
Wer eine andere Person mit dem Coronavirus infiziert, der erfüllt den objektiven Tatbestand der Körperverletzung – und dies selbst dann, wenn der Infizierte über keinerlei Symptome klagt. Zwar erfordert eine körperliche Misshandlung spürbare Folgen der Infektion. Eine Gesundheitsschädigung liegt aber bereits in der Infektion mit einer nicht ganz unerheblichen Krankheit selbst, in deren Folge der betroffene auch selbst infektiös sein kann (vgl. BGH, Urteil vom 04-11-1988 – 1 StR 262/88).
Ggf. kann auch eine Strafbarkeit nach § 224 StGB wegen gefährlicher Körperverletzung vorliegen. In Betracht kommt die Beibringung eines anderen gesundheitsschädlichen Stoffes (Nr. 1, 2. Alt.) sowie eine lebensgefährliche Behandlung (Nr. 5).
Nach hM. sind Erreger von Krankheiten als gesundheitsschädliche Stoffe iSd. § 224 Abs. 1 Nr. 5 StGB anzusehen (statt vieler Schönke/Schröder/Sternberg-Lieben, 30. Aufl. 2019, StGB § 224 Rn. 2c). Um in Bagatellfälle unangemessen hohen Strafe und einen Wertungswiderspruch mit den Nr. 2-5 zu vermeiden, ist über den Wortlaut hinaus erforderlich, dass die Substanz nach ihrer Art und dem konkreten Einsatz zur Verursachung einer erheblichen Gesundheitsschädigung geeignet ist. Nur so kann die gegenüber dem Grundtatbestand des § 223 StGB massive Strafrahmenerhöhung gerechtfertigt werden. Auch wenn einige die Erkrankung mit dem neuartigen Coronavirus in einigen Fällen milde verläuft, so ist der Virus dennoch jedenfalls geeignet, eine erhebliche Gesundheitsschädigung hervorzurufen.
Zudem kann eine lebensgefährdende Behandlung gemäß Nr. 5 vorliegen. Nach hM. ist keine konkrete Lebensgefahr erforderlich, sondern eine abstrakte Lebensgefahr ausreichend. Schließlich setzten auch die Nr. 1-4 abstrakte Gefahren unter die erhöhte Strafe. Zudem steht im Fokus des Wortlauts gerade die lebensgefährliche Behandlung, also nicht der konkrete Erfolg. An der abstrakten Lebensgefährlichkeit der Ansteckung mit dem Coronavirus kann gezweifelt werden, weil die Krankheit nur in Ausnahmefällen tödlich verläuft. Dies ist bislang in der Regel nur bei älteren Menschen, sowie Personen mit Vorerkrankungen der Fall – sog. Risikogruppe. Ob eine Strafbarkeit nach § 224 Abs. 1 Nr. 5 StBG vorliegt, kann daher nur anhand des konkreten Einzelfalls beurteilt werden. Maßgeblich ist die individuelle Schädlichkeit der Einwirkung gegen den Körper des Verletzten (BGH, Beschluss vom 16. 1. 2013 – 2 StR 520/12) unter Berücksichtigung von Alter und Vorerkrankung des Opfers (Schönke/Schröder/Sternberg-Lieben, 30. Aufl. 2019, StGB § 224 Rn. 12). Die Infizierung einer Person, die zur Risikogruppe zählt, stellt somit eine lebensgefährliche Behandlung dar, die Infizierung einer sonstigen Person dagegen nicht.
Eine Strafbarkeit wegen vorsätzlicher Körperverletzung wird in der Praxis oftmals am fehlenden Vorsatz scheitern. Ausreichend ist jedoch – wie sonst auch – dolus eventualis. Es kommt also in einer Klausur auf den Klassiker, die Abgrenzung des bedingten Vorsatzes zur bewussten Fahrlässigkeit, an (siehe dazu ausführlich unser Beitrag hier). Erkennt der Täter das Risiko einer Ansteckung anderer Personen und nimmt er dieses Risiko billigend in Kauf, so ist der Vorsatz zu bejahen. Vertraut er aber darauf, niemanden zu infizieren, ist ihm mangels Vorsatz nur ein Fahrlässigkeitsvorwurf zu machen.
II. Fahrlässige Körperverletzung § 229 StGB
Eine fahrlässige Körperverletzung dürfte jedenfalls dann zu bejahen sein, wenn der Täter von seiner eigenen Infektion wusste, oder zumindest aufgrund von engen Kontakt zu einer infizierten Person oder eigener Symptome mit der ernsthaften Möglichkeit einer Erkrankung rechnen musste, und dennoch in Kontakt mit anderen Personen trat, die er infolge dessen ansteckte. Ohne konkreten Anhaltspunkt bezüglich einer eigenen Erkrankung dürfte eine Strafbarkeit wohl ausscheiden.
III. Strafbarkeit bei tödlichem Krankheitsverlauf
Führt die Infektion zum Tod des Opfers, so hat sich der Täter bei Vorsatz sogar wegen Totschlag nach § 212 StGB oder sogar wegen Mord  nach § 211 StGB strafbar gemacht. Als Mordmerkmale kommen insbesondere Heimtücke und gemeingefährliche Mittel in Betracht. Letzteres könnte anzunehmen sein, wenn sich der Täter trotz eigener Infektion in eine Menschenmenge begibt, bspw. an einer Party teilnimmt, wo er zugleich mit einer Vielzahl an Personen engen Kontakt hat. Ob eine Heimtücke trotz der aktuellen, allgemein bekannten Gefährdungslage angenommen werden kann, ist fraglich. Es könnte an der Arglosigkeit fehlen, wenn bei einer derart weit verbreiteten Pandemie grundsätzlich jederzeit mit dem Risiko einer Infektion gerechnet werden muss.
Fehlt es wiederum am Vorsatz, so kann er sich nach § 222 StGB wegen fahrlässiger Tötung strafbar gemacht haben. Handelt der Täter vorsätzlich bezüglich einer Körperverletzung, nicht hingegen hinsichtlich des tödlichen Verlaufs, so ist er strafbar wegen Körperverletzung mit Todesfolge gemäß § 227 StGB.
IV. Strafbarkeit wegen Versuch
Selbst wenn der Täter tatsächlich keine andere Person infiziert, so scheidet dadurch seine Strafbarkeit nicht von vorneherein aus. Rechnete er damit, andere anzustecken oder nahm er dies billigend in Kauf, so ist er mindestens wegen versuchter gefährlicher Körperverletzung strafbar. Nahm er zudem auch den möglichen Tod einer anderen Person in Kauf, liegt eine Strafbarkeit wegen versuchtem Totschlag (oder sogar Mord) vor.
V. Strafbarkeit eines Richters wegen Durchführung der Verhandlung während Corona-Pandemie
In dem prominenten Fall der Anzeige gegen den Münchener Richter wird die denkbare Strafbarkeit wegen versuchter gefährlicher Körperverletzung wohl mangels nachweisbaren Vorsatzes ausscheiden. In einer Klausur wäre in einem solchen Fall zudem die objektive Zurechnung einer Infektion zu thematisieren, wenn diese nicht von dem Täter (hier dem Richter) selbst ausgeht. Diese könnte aufgrund des Dazwischentretens Dritter – dem bereits infizierten Teilnehmer der Verhandlung – ausscheiden. Dies dürfte ebenso zu diskutieren sein, wenn es um die Strafbarkeit der Veranstalter sonstiger Massenzusammenkünfte (bspw. Corona-Partys) geht, bei der es zur Infizierung zwischen den Teilnehmern kommt. Zudem könnte im Fall des Richters die objektive Zurechnung aufgrund sozialadäquaten Verhaltens scheitern. Darüber, inwiefern eine Verhandlung während der aktuellen Pandemie noch sozialadäquat ist, kann aber durchaus gestritten werden. Zwei Münchener Anwälte scheiterten mit einem Eilantrag vor dem BVerfG, mit dem sie weitere Verhandlungen verhindern wollten.
VI. Summa
Die Ansteckung anderer Personen mit dem Coronavirus erfüllt den Tatbestand der gefährlichen Körperverletzung §§ 223, 224 Nr. 1, 2. Alt. (bei Personen der Risikogruppe zusätzlich Nr. 5), bei tödlichem Verlauf kommt sogar eine Strafbarkeit wegen Todschlag § 212 StGB oder Mord § 211 StGB in Betracht.
Auch wer sich dieser Folge – etwa mangels Kenntnis der eigenen Infektion – nicht bewusst ist, kann sich wegen fahrlässiger Körperverletzung oder Tötung § 229 StGB bzw. § 222 StGB strafbar machen.
Nahm der Täter billigend in Kauf, andere Personen anzustecken, so ist er dann, wenn er tatsächlich niemanden infiziert, aus Versuch zu bestrafen.
In diesem Sinne #stayhome und alles Gute.
 
 

25.03.2020/von Tobias Vogt
https://www.juraexamen.info/wp-content/uploads/2022/05/je_logo.svg 0 0 Tobias Vogt https://www.juraexamen.info/wp-content/uploads/2022/05/je_logo.svg Tobias Vogt2020-03-25 09:40:542020-03-25 09:40:54Strafbarkeit durch Ansteckung mit dem Coronavirus
Samuel Ju

Gefährliche Körperverletzung mittels eines gefährlichen Werkzeugs i.S.d. § 224 Abs. 1 Nr. 2 StGB, wenn Reißzwecken unter die Fersen geklebt werden und das Opfer stundenlang auf vorderen Fußballen stehen muss?

Strafrecht, Strafrecht, Strafrecht BT

Der BGH hat in einer Entscheidung vom 19. Oktober 2010 (4 StR 264/10) eine Strafbarkeit wegen gefährlicher Körperverletzung mittels eines gefährlichen Werkzeugs gem. § 224 Abs. 1 Nr. 2 StGB für den Fall verneint, dass dem Opfer Reißzwecken unter die Fersen geklebt wurden und es stundenlang gezwungen war, auf den vorderen Fußballen zu stehen.
Reißzwecke = Gefährliches Werkzeug?
Nach der Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs ist ein gefährliches Werkzeug jeder bewegliche Gegenstand, der nach seiner objektiven Beschaffenheit und nach der Art seiner Benutzung im konkreten Einzelfall geeignet ist, erhebliche Körperverletzungen herbeizuführen.
Nach h.M. liegt auch dann ein gefährliches Werkzeug i.S.d. § 224 I Nr.2 StGB vor, wenn sich die Gefährlichkeit der Sache unabhängig von der objektiven Beschaffenheit nur aus der konkreten Art der Verwendung im Einzelfall ergibt.
Mithin stellen die Reißzwecken ein gefährliches Werkzeug dar.
Festkleben der Reiszwecken unter den Fersen = mittels eines gefährlichen Werkzeugs?
Eine Körperverletzung i S d. § 224 Abs. 1 Nr. 2 StGB ist mittels eines gefährlichen Werkzeugs begangen, wenn durch dessen Einwirkung ein Kausalverlauf ausgelöst wird, der unmittelbar zur Körperverletzung führt.
Der BGH hat hier eine Unmittelbarkeit verneint:

Das körperliche Wohlbefinden der Geschädigten wurde nicht unmittelbar durch die unter ihre Fersen geklebten Reißzwecken erheblich beeinträchtigt, sondern dadurch, dass sie stundenlang gezwungen war, auf den vorderen Fußballen zu stehen.

Ergebnis: Der Täter hat sich mithin nur einer einfachen Körperverletzung gem. § 223 Abs. 1 StGB strafbar gemacht.
Interessant in diesem Zusammenhang ist auch eine Entscheidung des BGH vom 12. Januar 2010, in dem es um die Frage ging, ob der Einsatz eines Kabels als Schlinge im Rahmen einer vorgetäuschten Strangulation eine gefährliche Körperverletzung i.S.d. § 224 Abs. 1 Nr. 2 StGB darstellt.
Zum Artikel

15.02.2011/1 Kommentar/von Samuel Ju
https://www.juraexamen.info/wp-content/uploads/2022/05/je_logo.svg 0 0 Samuel Ju https://www.juraexamen.info/wp-content/uploads/2022/05/je_logo.svg Samuel Ju2011-02-15 16:59:272011-02-15 16:59:27Gefährliche Körperverletzung mittels eines gefährlichen Werkzeugs i.S.d. § 224 Abs. 1 Nr. 2 StGB, wenn Reißzwecken unter die Fersen geklebt werden und das Opfer stundenlang auf vorderen Fußballen stehen muss?

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