Der BGH (Urt. v. 16.12.2009 – VIII ZR 38/09) hat entschieden, dass der Verkäufer eines Gebrauchtwagens den Erwerber darüber aufklären muss, dass er das Fahrzeug kurze Zeit vor dem Weiterverkauf von einem nicht im Kfz-Brief eingetragenen „fliegenden Zwischenhändler“ erworben hat.
Sachverhalt
Der Kläger macht Schadensersatzansprüche aus dem Kauf eines erstmals im Jahr 1994 zugelassenen Pkw Audi A 6 geltend, den er im März 2004 vom Beklagten-1 über einen Gebrauchtwagenhändler – den Beklagten-2 – als Vermittler erworben hatte. In den Kaufvertrags-AGB war unter „Gesamtfahrleistung nach Angaben des Vorbesitzers“ als Fahrleistung „201.000 km“ eingetragen worden, was dem tachostand entsprach. Als Vorbesitzer waren aus dem Kfz-Brief nur der ursprüngliche Halter sowie der seit dem 16. Februar 2004 als Halter eingetragene Beklagte-1 ersichtlich. Dieser hatte das Fahrzeug jedoch über den Beklagten-2 von einem Zwischenhändler erworben, der beiden Beklagten nur als „Ali“ bekannt war und der das Fahrzeug seinerseits von einem weiteren, ebenfalls nicht als Halter im Kfz-Brief eingetragenen Vorbesitzer erworben hatte. Über diese Umstände wurde der Kläger bei Abschluss des Kaufvertrages nicht informiert. Die tatsächliche Laufleistung des PKW betrug 340.000 km. Der Kläger macht geltend, dass er nicht auf die Angabe in den AGB und den tachostand vertraut hätte, wenn ihm bekannt gewesen wäre, dass der Wagen zuvor durch zahlreiche Hände gegangen war.
Entscheidung
Der BGH hält beide Beklagten wegen Verletzung einer vorvertraglichen Aufklärungspflicht für schadensersatzpflichtig. Bei Vertragsverhandlungen bestehe für jeden Vertragspartner die Pflicht, den anderen Teil über solche Umstände aufzuklären, die den Vertragszweck (des anderen) vereiteln können und daher für seinen Entschluss von wesentlicher Bedeutung sind, sofern er die Mitteilung nach der Verkehrsauffassung erwarten kann. Ein solcher Umstand liege vor, wenn der Verkäufer kurz zuvor den Pkw von einem „fliegenden Zwischenhändler“ erworben habe. Denn ohne einen entsprechenden Hinweis gehe der Käufer davon aus, dass der Vertragspartner das Fahrzeug von demjenigen übernommen habe, der als letzter Halter im Kraftfahrzeugbrief eingetragen ist. Habe der Verkäufer das Fahrzeug kurze Zeit vor dem Weiterverkauf selbst von einer Person mit unbekannter Identität erworben, liege der Verdacht nahe, dass es während der Besitzzeit des unbekannten Voreigentümers zu Manipulationen am Kilometerzähler oder einer sonstigen unsachgemäßen Behandlung des Fahrzeugs gekommen sei. Die Verlässlichkeit der Angaben zum Fahrzeug werde dadurch grundlegend entwertet. Insbesondere komme der Kilometerstandsanzeige und der Aussage zur „Gesamtfahrleistung nach Angabe des Vorbesitzers“ hinsichtlich der tatsächlichen Fahrleistung keine nennenswerte Bedeutung zu.
Bewertung
Der Anspruch gegen den Beklagten-2 folgt aus §§ 280 Abs. 1, 311 Abs. 2 BGB i.V.m. § 241 Abs. 2 BGB, wobei sich der Beklagte-2 sowohl die Pflichtverletzung (analog § 278 BGB) als auch das Verschulden des Beklagten-1 (§ 278 BGB) zurechnen lassen muss. Die Ausführungen des BGH zur vorvertraglichen Pflichtverletzung überzeugen: Beim Gebrauchtwagenkauf muss der Käufer sich notgedrungen auf die Angaben des Veräußerers verlassen, weil er in der Regel keine Möglichkeit hat, den Wagen „auf Herz und Nieren“ zu prüfen, bevor er ihn erwirbt. Wird ihm nicht mitgeteilt, dass der Veräußerer selber keinen Überblick über die Vorgeschichte des Fahrzeugs hat, weil der Wagen durch zahlreiche Hände gewandert ist, ist ihm eine adäquate Einschätzung des Risikos einer Fehlinvestition nicht mehr möglich (s. zu Informationsasymmetrien im Vertragsrecht und die Funktion der c.i.c. ausführlich die gleichnamige Habilitation von Fleischer).
Interessanter ist die Haftung des Beklagten-1. Dieser haftet nach Auffassung des BGH persönlich als Sachwalter nach §§ 280 Abs. 1, 311 Abs. 3 BGB i.V.m. § 241 Abs. 2 BGB. Der Klausurbearbeiter muss erkennen, dass der Beklagte-1 nicht Vertragspartner wird und deshalb auch grundsätzlich nicht aus c.i.c. haftet. § 311 Abs. 3 BGB durchbricht diesen Grundsatz für den Fall, dass der Handelnde besonderes persönliches Vertrauen für sich in Anspruch nimmt, was auch und gerade bei einer besseren Erkenntnismöglichkeit der Fall ist.
Das Urteil ist außerordentlich wichtig für Ausbildung und Praxis, es reiht sich ein in einen stetig wachsenden Fundus von Entscheidungen den Gebrauchtwagenkauf betreffend. Kennen muss man auch die Rechtsprechung zu Behauptungen „ins Blaue hinein“ (dazu BGHZ 168, 64).
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