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Gastautor

Datenschutz: Der Schadensersatzanspruch nach Art. 82 DSGVO

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Wir freuen uns sehr, einen Gastbeitrag von Zsofia Vig veröffentlichen zu können. Zsofia Vig hat ihr Studium und Referendariat in Berlin absolviert. Sie arbeitet als wissenschaftliche Mitarbeiterin in einer Anwaltskanzlei und ist überwiegend im Bereich Datenschutzrecht tätig.
 
I. Einleitung
Die ab dem 25.05.2018 anwendbare DSGVO normiert in Art. 82 einen eigenständigen materiellen Schadensersatzanspruch des Betroffenen gegenüber dem Datenverarbeitenden (Verantwortlichen sowie Auftragsverarbeiter) bei Verletzung datenschutzrechtlicher Pflichten. Im Folgenden soll ein kurzer Überblick über die Anspruchsvoraussetzungen sowie über den Anspruchsumfang gegeben werden.
II. Charakter und Rechtsnatur
Art. 82 DSGVO stellt eine eigenständige, unmittelbar geltende, deliktsrechtliche Anspruchsgrundlage dar, die autonom nach den Regeln des Gemeinschaftsrechts auszulegen ist (Becker in: Plath, BDSG/DSGVO, 2. Aufl. 2016, Artikel 82 DSGVO Rn.1). Sie gilt im Anwendungsbereich der DSGVO (vgl. Art.2,3 DSGVO) sowohl für den öffentlichen, als auch für den nichtöffentlichen Bereich (Neun/Lubitzsch, BB 2017, 2563, 2567; Becker in: Plath, BDSG/DSGVO, 2. Aufl. 2016, Artikel 82 DSGVO Rn. 2). Zweck der Norm ist zum einen der Ausgleich für durch Datenschutzrechtsverletzungen erlittene materielle und immaterielle Schäden, zum anderen die mittelbare Sanktionierung der begangenen Verstöße sowie die Vermeidung weiterer Verstöße (Neun/Lubitzsch, BB 2017, 2563, 2567).
Art. 82 DSGVO steht mit anderen vertraglichen, quasi-vertraglichen und deliktischen Ansprüchen nach Unionsrecht oder nach dem Recht der Mitgliedstaaten in Anspruchskonkurrenz (Erwägungsgrund 146; Becker in: Plath, BDSG/DSGVO, 2. Aufl. 2016, Artikel 82 DSGVO Rn. 2).
III. Aktiv-und Passivlegitimation
Trotz des weiten Wortlauts („jede Person“) wird überwiegend davon ausgegangen, dass Anspruchsinhaber nur der Betroffene ist, d.h. derjenige, dessen personenbezogene Daten rechtswidrig verarbeitet werden (Becker in: Plath, BDSG/DSGVO, 2. Aufl. 2016, Artikel 82 DSGVO Rn. 3; Neun/Lubitzsch, BB 2017, 2563, 2568).
Anspruchsgegner ist grundsätzlich sowohl der Verantwortliche (vgl. Art. 4 Ziff. 7 DSGVO), als auch der Auftragsverarbeiter (vgl. Art. 4 Ziff. 8 DSGVO). Hierbei ist im Hinblick auf die Pflichtverletzung die Differenzierung des Abs. 2 zu berücksichtigen (Erwägungsgrund 146; Neun/Lubitzsch, BB 2017, 2563, 2568).
IV. Haftungsbegründender Tatbestand
1. Pflichtverletzung
Während der Verantwortliche für jeden Verstoß gegen die Bestimmungen der DSGVO, d.h. sowohl für formelle als auch für materielle Verstöße haftet, wobei grds. auch Verstöße gegen die allgemeinen Grundsätze des Art. 5 DSGVO erfasst werden, (Bergt in: Kühling/Buchner, DS-GVO, 2017, Art. 82 Rn.15) ist die Haftung des Auftragsverarbeiters auf Verstöße gegen speziell ihm auferlegte Pflichten sowie auf die Nichtausführung bzw. nicht ordnungsgemäße Ausführung rechtmäßiger Anweisungen des Verantwortlichen begrenzt. Die jeweilige Verletzungshandlung kann sich nicht nur unmittelbar auf die Bestimmungen der DSGVO, sondern auch auf delegierte Rechtsakte, Durchführungsakte sowie Rechtsvorschriften der Mitgliedstaaten zur Präzisierung der Verordnung beziehen (Bergt in: Kühling/Buchner, DS-GVO, 2017, Art. 82 Rn. 22; Neun/Lubitzsch, BB 2017, 2563, 2568; Becker in: Plath, BDSG/DSGVO, 2. Aufl. 2016, Artikel 82 DSGVO Rn. 3). Der Schaden muss darüber hinaus kausal auf der Verletzungshandlung beruhen, vgl. auch das Wort „wegen“ in Art. 82 DSGVO (Neun/Lubitzsch, BB 2017, 2563, 2568).
2. Verschulden
Der Verantwortliche bzw. der Auftragsverarbeiter wird gem. Abs. 3 von seiner Haftung befreit, wenn er nachweist, dass er für den Umstand, aufgrund dessen der Schaden eingetreten ist, in keiner Weise verantwortlich ist (Bergt in: Kühling/Buchner, DS-GVO, 2017, Art. 82 Rn. 47). Der Entlastungsbeweis kann sich hierbei sowohl auf die objektive Pflichtverletzung als auch auf das Verschulden beziehen. Im Hinblick auf die objektive Pflichtverletzung kann der Verantwortliche bzw. der Auftragsverarbeiter darlegen und beweisen, dass er sich im Rahmen der Datenverarbeitung an den für ihn jeweils geltenden Pflichtenkatalog gehalten hat, wobei in Fällen rechtswidriger Eingriffe Dritter insbesondere die Einhaltung des Stands der Technik (vgl. Art. 5 Abs. 1e DSGVO) von Relevanz ist (Bergt in: Kühling/Buchner, DS-GVO, 2017, Art. 82 Rn. 47, 48).
3. Weitere Tatbestandsvoraussetzungen
Für die übrigen Tatbestandsvoraussetzungen trägt zwar grds. der Betroffene nach den allgemeinen Regeln die Beweislast, jedoch werden auch hierbei diverse Beweiserleichterungen angenommen. Diese rechtfertigen sich unter anderem daraus, dass der Betroffene mangels Einblicks in die Datenverarbeitungsvorgänge in der Regel nicht in der Lage ist, den entsprechenden Beweis zu führen (Becker in: Plath, BDSG/DSGVO, 2. Aufl. 2016, Artikel 82 DSGVO Rn. 8). Hieran ändert auch das Auskunftsrecht gem. Art. 15 DSGVO nichts, da aufgrund dessen lediglich punktuelle Informationen zur Verfügung gestellt werden müssen, d.h. ein umfassender, für die Beweisführung ausreichender Informationsstand nicht gewährleistet wird. In Anbetracht des Umstandes, dass der Verantwortliche gem. Art. 5 Abs. 2 DSGVO die Einhaltung der Datenschutzpflichten dokumentieren muss, wird im Hinblick auf die Verletzungshandlung eine Beweislastumkehr angenommen (Bergt in: Kühling/Buchner, DS-GVO, 2017, Art. 82 Rn. 46). Im Rahmen des Kausalitätsnachweises genügt indes die bloße Möglichkeit eines kausalen Verlaufs (Bergt in: Kühling/Buchner, DS-GVO, 2017, Art. 82 Rn. 47). Dies hat zur Folge, dass der Betroffene lediglich darlegen und beweisen muss, dass der Verantwortliche an der Verarbeitung beteiligt war, dass ein Schaden entstanden ist und dass die konkrete Datenverarbeitung geeignet war, den Schaden herbeizuführen (Bergt in: Kühling/Buchner, DS-GVO, 2017, Art. 82 Rn. 48; Neun/Lubitzsch, BB 2017, 2563, 2569).
Die weiteren Aspekte der Geltendmachung von Schadensersatzansprüchen wie bspw. Mitverschulden und Verjährung richten sich nach dem Recht der Mitgliedstaaten (Neun/Lubitzsch, BB 2017, 2563, 2569; Becker in: Plath, BDSG/DSGVO, 2. Aufl. 2016, Artikel 82 DSGVO Rn. 8).
V. Haftungsausfüllender Tatbestand
Der Anspruch gem. Art. 82 DSGVO setzt im Rahmen des haftungsausfüllenden Tatbestandes einen kausalen Schaden voraus. Die Verordnung enthält zwar keine nähere Definition des Schadensbegriffs, jedoch lässt sich dem Wortlaut sowie dem Erwägungsgrund 146 entnehmen, dass dieser im Lichte der Rspr. des EuGH weit auszulegen ist und dementsprechend sowohl materielle als auch immaterielle Schäden umfasst (Neun/Lubitzsch, BB 2017, 2563, 2567; Becker in: Plath, BDSG/DSGVO, 2. Aufl. 2016, Artikel 82 DSGVO Rn. 7). Als materieller Schaden sind sämtliche vermögensbezogene Nachteile des Betroffenen einschließlich Folgeschäden wie Kosten der Rechtsverfolgung ersatzfähig. Bei einer unbefugten Datennutzung ist darauf abzustellen, ob im Hinblick auf die konkret betreffenden Daten eine Kommerzialisierungsmöglichkeit besteht (Neun/Lubitzsch, BB 2017, 2563, 2567).
Ersatzfähig sind darüber hinaus auch immaterielle Schäden, die i.d.R. aus einer Verletzung des allgemeinen Persönlichkeitsrechts resultieren (Neun/Lubitzsch, BB 2017, 2563, 2567). Anders als bei § 8 Abs. 2 BDSG ist der Anspruch nicht auf schwere Verletzungen beschränkt (Becker in: Plath, BDSG/DSGVO, 2. Aufl. 2016, Artikel 82 DSGVO Rn. 7). Eine solche, auch dem verfassungsrechtlichen Entschädigungsanspruch gem. § 823 Abs. 1 BGB i. V. m. Art. 2 Abs. 1, Art. 1 Abs. 1 GG immanente Beschränkung auf schwerwiegende Verstöße, die auf andere Weise nicht wirksam abgeholfen werden können, dürfte nicht mit dem Effektivitätsgebot der EuGH-Rechtsprechung vereinbar sein (Bergt in: Kühling/Buchner, DS-GVO, 2017, Art. 82 Rn. 18; Becker in: Plath, BDSG/DSGVO, 2. Aufl. 2016, Artikel 82 DSGVO Rn. 4; Neun/Lubitzsch, BB 2017, 2563, 2568).
VI. Prozessuale Durchsetzung
Mehrere Schädiger haften gem. Art. 82 Abs. 4 DSGVO als Gesamtschuldner, unabhängig davon, ob sie im konkreten Fall als Auftragsverarbeiter oder als Verantwortlicher anzusehen sind. Zwar führt dies dazu, dass die Einschränkung der Haftung des Auftragsverabeiters gem. Art. 82 Abs. 2 S. 2 DSGVO zumindest im Verhältnis zum Verletzten leer läuft, jedoch wurde dies vom europäischen Gesetzgeber im Interesse eines wirksamen Schadensersatzes bewusst in Kauf genommen. Auch steht es dem Auftragsverarbeiter frei, den Verantwortlichen gem. Abs. 4 in Regress zu nehmen (Erwägungsgrund 146).
Die internationale Zuständigkeit richtet sich nach Art. 79 Abs. 2 DSGVO. Demnach kann der Anspruch sowohl vor den Gerichten des Mitgliedstaates, in dem der Anspruchsgegner seine Niederlassung hat, als auch vor den Gerichten des Mitgliedstaates des (gewöhnlichen) Aufenthaltsortes des Verletzten geltend gemacht werden (Becker in: Plath, BDSG/DSGVO, 2. Aufl. 2016, Artikel 82 DSGVO Rn. 8; Erwägungsgrund 145). Die sachliche und örtliche Zuständigkeit bestimmt sich nach dem nationalem Recht des jeweiligen Mitgliedstaates, im deutschen Recht nach §§ 23,71 GVG bzw. nach §§ 12 ZPO ff.
Da es sich bei Art. 82 DSGVO um einen deliktischen Anspruch handelt, ist für das anwendbare materielle Recht die Rom II-Verordnung maßgebend. Hierbei kommt insbesondere der Ort des Schadenseintritts gem. Abs.1, d.h. i.d.R. der Mitgliedstaat, in dem sich der Verletzte gewöhnlich aufhält, in Betracht (Neun/Lubitzsch, BB 2017, 2563, 2569).
VII. Fazit und Ausblick
Wie oben aufgezeigt, normiert Art. 82 DSGVO einen weiten, über die im deutschen Recht bislang vorhandenen deliktischen Ansprüchen hinausgehenden Anspruch. Dies gilt insbesondere im Hinblick auf die grundsätzliche Ersatzfähigkeit immaterieller Schäden ohne die aus dem deutschen Recht bekannten Einschränkungen. Welche praktischen Auswirkungen dies zur Folge haben wird, bleibt abzuwarten. Bei der Bewertung ist jedoch stets zu berücksichtigen, dass mit Umsetzung der Richtlinie über Verbandsklagen zum Schutz der Kollektivinteressen der Verbraucher künftig auch die kollektive Geltendmachung des Anspruchs gem. Art. 82 DSGVO möglich sein wird.

28.06.2018/0 Kommentare/von Gastautor
https://www.juraexamen.info/wp-content/uploads/2022/05/je_logo.svg 0 0 Gastautor https://www.juraexamen.info/wp-content/uploads/2022/05/je_logo.svg Gastautor2018-06-28 10:00:142018-06-28 10:00:14Datenschutz: Der Schadensersatzanspruch nach Art. 82 DSGVO
Redaktion

Gastbeitrag: Die Prüfung behördlicher Betretungs- und Besichtigungsrechte bei Betriebs- und Geschäftsräumen am Maßstab des Art. 13 GG

Öffentliches Recht, Polizei- und Ordnungsrecht, Startseite, Verfassungsrecht, Verschiedenes

Wir freuen uns nachfolgend einen Gastbeitrag von Judith Blohm zu veröffentlichen. Die Autorin hat Ende 2016 das erste Staatsexamen in Hamburg erfolgreich abgelegt und ist ab Januar 2017 wissenschaftliche Mitarbeiterin bei LUTHER Rechtsanwaltsgesellschaft mbH. In ihrem Beitrag befasst sie sich mit der Problematik, die Betriebs- und Geschäftsräumen im Rahmen der Prüfung des Art. 13 GG aufwerfen.
 
I. Schutzbereich des Art. 13 I GG 
In sachlicher Hinsicht schützt Art. 13 I GG die Privat- und Intimsphäre im räumlichen Bereich der Wohnung und ist daher besonderer Ausdruck des Persönlichkeitsrechts und der Menschenwürde.
Wohnung ist dabei grundsätzlich jeder Raum, den der Einzelne der allgemeinen Zugänglichkeit entzieht und zum Ort seines Lebens und Wirkens bestimmt. Umfasst sind also zB auch Keller, Hotelzimmer und Wohnmobil, nicht dagegen das Auto oder die Gefängniszelle (weil der Insasse nicht selbst die Zugänglichkeit bestimmt).
Auch juristische Personen können eine Wohnung iSd. Art. 13 GG haben, sind also gem. Art. 19 III GG vom persönlichen Schutzbereich erfasst.
 
Problematisch ist jedoch, ob auch Betriebs- und Geschäftsräume vom Schutzbereich erfasst sind:
1. Ansicht:
Historisch wolle Art. 13 GG den Einzelnen im Familienkreis schützen, für Betriebs- und Geschäftsräume sei der Schutzbereich also nicht eröffnet; das Grundrecht sei vielmehr nur auf private Wohnräume sowie Geschäftsräume, die tatsächlich auch zu Wohnzwecken genutzt werden, anwendbar.
 
2.Ansicht: (Pieroth/Schlink, Kingreen/Poscher: Grundrechte Staatsrecht II, 30. Aufl. 2014, Rn 950; 3. Kammer des Zweiten Senats des BVerfG: BVerfG, NJW 2003, 2669, https://www.jurion.de/Urteile/BVerfG/2003-04-28/2-BvR-358_03):
Betriebs- und Geschäftsräume seien grundsätzlich vom Schutzbereich erfasst, dies aber nur soweit, wie sie für die Öffentlichkeit nicht zugänglich sind. Für auf unkontrollierten Zugang angelegte Geschäftsräume (z.B. Einkaufspassage, Kaufhaus) soll während der Öffnungszeiten also kein Schutz durch Art. 13 I GG bestehen, da der Wohnungsinhaber während der Öffnungszeiten auf diesen verzichtet habe. Zu schützen seien nur dem unkontrollierten öffentlichen Zutritt generell entzogene Räume oder Geschäftsräume außerhalb der regulären Öffnungszeiten.
 
3. Ansicht (BVerfGE 32, 54, http://www.servat.unibe.ch/dfr/bv032054.html):
Betriebs- und Geschäftsräume seien immer erfasst, da auch das Wirken und die berufliche Entfaltung geschützt würden; eine Differenzierung der Schutzintensität nach Art der Räume solle erst auf der Eingriffs- sowie ggf. der Rechtfertigungsebene erfolgen.
 
Streitentscheid:
Für die erstgenannte Ansicht spricht zunächst, dass der Wortlaut des Begriffes „Wohnung“ nach allgemeinem Sprachgebrauch eine Beschränkung auf private Wohnräume nahe legt. Daneben wird von den Vertretern dieser Ansicht darauf verwiesen, dass die Ausdehnung des Schutzbereiches auf Betriebsstätten und der damit verbundene Schutz juristischer Personen nicht mit dem personalen Gehalt des Art. 13 I GG zu vereinbaren sei.
Bedenkt man allerdings, dass Art. 13 I GG die Wohnung vor allem im Hinblick auf die dort stattfindende Persönlichkeitsentfaltung schützt und persönliche Entfaltung in starkem Maße auch in den dem Beruf gewidmeten Räumen stattfindet, ist zumindest die zuerst genannte Ansicht als zu strikt abzulehnen.
Aus klausurtaktischer Sicht ist es empfehlenswert, der Auffassung des BVerfG, derzufolge Betriebs- und Geschäftsräume immer erfasst sind, zu folgen, um im Rahmen des Eingriffs die folgende Problematik erörtern zu können.
 
II. Eingriff:
Ein Eingriff in Art. 13 GG liegt vor bei körperlichem und nichtkörperlichem Eindringen in die Wohnung.
Es wird differenziert zwischen „Durchsuchen“ (Art. 13 II GG), dies liegt vor bei zielgerichtetem Suchen und Erforschen und sonstigen Maßnahmen, insbesondere Betreten (Art. 13 VII GG), welches durch Hineingehen und Verweilen und damit verbundene unvermeidliche Kenntnisnahme von Personen und Sachen erfüllt wird.
Auch bei der Prüfung des Eingriffs stellt sich, vorausgesetzt die Eröffnung des Schutzbereichs wurde wie oben bejaht, wieder das Problem der Betriebs- und Geschäftsräume:
Der weite Schutzbereich hat Auswirkungen auf die Qualifikation staatlicher Maßnahmen als Grundrechtseingriff. Geschäfts- und Betriebsräume genießen während der Geschäftsöffnungszeiten nicht dieselbe Schutzbedürftigkeit wie Privaträume. Da bei öffentlich zugänglichen Betriebs- und Geschäftsräumen der Inhaber seine Räume „nach außen“ geöffnet habe, empfinde er ein Betreten und Prüfen iRe behördlichen Nachschau nicht als Eingriff in sein Hausrecht iSv. 13 VII GG.
 
 
Voraussetzungen behördlicher Betretungs- und Besichtigungsrechte bei Betriebs- und Geschäftsräumen sind also:
 

  1. Es muss eine besondere Rechtsgrundlage für das Betreten vorhanden sein. Dabei muss es sich um ein Gesetz handeln, Satzungen sind keine ausreichende Rechtsgrundlage.
  2. Dieses Gesetz muss Zweck, Umfang und Gegenstand der behördlichen Besichtigung regeln.
  3. Das Betreten muss einem erlaubten Zweck dienen und für diesen erforderlich sein.
  4. Die Maßnahme muss auch insgesamt verhältnismäßig sein.

 
Nach dem BVerfG (BVerfGE 32, 54, http://www.servat.unibe.ch/dfr/bv032054.html) stellt ein Betreten während der Öffnungszeiten wenn obengenannte Voraussetzungen erfüllt sind schon gar keinen Eingriff in Art. 13 GG dar.
Es ist jedoch nach den einzelnen Maßnahmen zu differenzieren – ein Durchsuchen stellt immer einen Eingriff dar und kann nur nach Maßgabe von Art. 13 II GG geschehen. Das Betreten außerhalb der normalen Geschäftszeiten stellt ebenfalls einen Eingriff dar und muss die Voraussetzungen des Art. 13 VII GG erfüllen.
Im Folgenden ist dann unter Umständen noch ein Verstoß gegen Art. 2 I GG zu prüfen.
 
III. Fazit:
In praktisch jeder öffentlich-rechtlichen Klausur spielen die Grundrechte eine wichtige Rolle. Eine intensive Aufbereitung der jeweiligen grundrechtlichen Prüfung ist daher zwingend notwendig.
Speziell Art. 13 GG ist auch aufgrund der Überschneidungen zu anderen Rechtsgebieten sowie der sich immer noch entwickelnden Rechtsprechung ein für Prüfer interessantes Thema. Gerade in eine polizeirechtlich gelagerte Prüfung lassen sich Geschäfts- und Betriebsräume gut integrieren:
Die Voraussetzungen für die präventive Durchsuchung sowie das Betreten von Wohnungen sind (für Hamburg) in den §§ 16, 16a HmbSOG geregelt. Die oben aufgeführte Lösung ist dort insofern kodifiziert, dass der Begriff der „Wohnung“ ausdrücklich auch Arbeits-, Betriebs- und Geschäftsräume erfasst.
§ 16 V HmbSOG gestattet das Betreten zum Zwecke der Gefahrenabwehr während der Arbeits-, Betriebs-, Geschäfts- oder Öffnungszeit, sowie in der Zeit, zu der sich Kunden, Arbeitnehmer oder andere Personen dort aufhalten (§ 16 V 1 HmbSOG), solange die Räume nicht für einen sachlich und personell eng abgegrenzten Personenkreis bestimmt und Vorkehrungen getroffen sind, die andere am Betreten hindern (§ 16 V 2 HmbSOG).
Die Voraussetzungen für eine repressiven Zwecken dienende Durchsuchung sind in den §§ 102 ff. StPO geregelt. In §§ 102, 103 StPO ist zwar nur die Wohnung explizit genannt, „andere Räume“ sollen jedoch auch erfasst sein. § 105 II StPO bezieht ausdrücklich auch die Geschäftsräume ein.
 

28.12.2016/1 Kommentar/von Redaktion
https://www.juraexamen.info/wp-content/uploads/2022/05/je_logo.svg 0 0 Redaktion https://www.juraexamen.info/wp-content/uploads/2022/05/je_logo.svg Redaktion2016-12-28 13:26:202016-12-28 13:26:20Gastbeitrag: Die Prüfung behördlicher Betretungs- und Besichtigungsrechte bei Betriebs- und Geschäftsräumen am Maßstab des Art. 13 GG
Dr. Patrick Christian Otto

Das Betreuungsgeld: Mangels Kompetenz des Bundesgesetzgebers verfassungswidrig und nichtig

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Wir freuen uns, heute einen Gastbeitrag veröffentlichen zu können. Er stammt erneut von Patrick Otto, Studium in Hannover, studentische Hilfskraft am Lehrstuhl für Öffentliches Recht, Völker- und Europarecht (Prof. Dr. Volker Epping) sowie am Lehrstuhl für Öffentliches Recht und Verwaltungswissenschaft (Prof. Dr. Veith Mehde).
Das Betreuungsgeld: Mangels Kompetenz des Bundesgesetzgebers verfassungswidrig und nichtig

Das Urteil des Bundesverfassungsgerichts bzgl. des Betreuungsgeldes vom 21. Juli 2015 sorgte sowohl in der Presse- und Medienlandschaft wie auch in der Politik für viel Aufsehen. Das BVerfG stellte in diesem fest, dass das Betreuungsgeld verfassungswidrig und nichtig ist, da dem Bundegesetzgeber die Kompetenz zu dessen Erlass fehle. Patrick Otto fasst die Hintergründe, rechtlichen Probleme und Kernaussagen des Urteils zusammen und gibt eine Bewertung des Urteils ab.
Leitsätze des Autors

1. Der Begriff der öffentlichen Fürsorge in Art. 74 I Nr. 7 GG ist nach inzwischen gefestigter Rechtsprechung des BVerfG sehr extensiv auszulegen, sodass hierunter jede Regelung fällt, die darauf abzielt, eine Bedarfslage im Sinne einer mit besonderen Belastungen einhergehenden Lebenssituation zu beseitigen oder zu mindern.
2. Die Anforderungen an die Herstellung gleichwertiger Lebensverhältnisse im gesamten Bundesgebiet i.S.d. Art. 72 II GG ist besonders restriktiv auszulegen und nur dann gegeben, wenn sich die Lebensverhältnisse in erheblicher, das bundesstaatliche Sozialgefüge beeinträchtigender Weise auseinanderentwickelt haben oder sich eine derartige Entwicklung konkret abzeichnet.
3. Aus den Grundrechten folgt in jedem Fall keine Pflicht zur Einführung eines Betreuungsgeldes, da dies nicht mehr vom staatlichen Schutzauftrag gedeckt ist.
Vereinfachte Sachverhaltsdarstellung

Der Bundestag hat die Einführung des äußerst umstrittenen Betreuungsgeldes zum 1.8.2013 beschlossen (BGBl. I, 254). Dieses gewährt den Eltern in der Zeit vom 15. bis zum 36. Lebensmonat ihres Kindes einkommensunabhängig eine Zusatzleistung des Staates i.H.v. zunächst 100 EUR und inzwischen 150 EUR, sofern das Kind weder eine öffentlich geförderte Tageseinrichtung noch Kindertagespflege in Anspruch nimmt. Die Freie und Hansestadt Hamburg sah sich durch die bundesgesetzliche Einführung des Betreuungsgeldes in ihrer Landeskompetenz beeinträchtigt und leitete daher gegen die §§ 4a bis 4d des Bundeselterngeld- und Elternzeitgesetzes (BEEG) ein abstraktes Normenkontrollverfahren gem. Art. 93 I Nr. 2 und Nr. 2a GG und § 76 I Nr. 1, II BVerfGG vor dem BVerfG ein.
Rechtliche Probleme

Im Kern ergeben sich beim Betreuungsgeld drei rechtliche Probleme. Einerseits geht es in zwei voneinander getrennten Fragestellungen darum, ob der Bund überhaupt die Kompetenz dazu hat, das Betreuungsgeld selbst zu regeln oder ob dies nicht allein Sache der Länder ist. Anderseits ist fraglich, inwieweit das Betreuungsgeld möglicherweise gegen Grundrechte verstößt. Hinsichtlich der Kompetenz hatte sich das BVerfG mit der Frage zu befassen, ob das Betreuungsgeld unter die „öffentliche Fürsorge“ gem. Art. 74 I Nr. 7 GG fällt. In seiner bisherigen Judikatur wurde dieser Begriff stets extensiv ausgelegt. Das Korrektiv wurde dann wiederum in der Herstellung gleichwertiger Lebensverhältnisse respektive der Wahrung der Rechts- und Wirtschaftseinheit gem. Art. 72 II GG gesehen, über welches viele bundesgesetzliche Regelungen dann doch wieder in den Kompetenzbereich der Länder fallen, da sie nicht im Bundesgebiet einheitlich geregelt werden müssen. Bezogen auf die Grundrechte hat sich das BVerfG vor allem dazu zu verhalten, ob das Betreuungsgeld entweder als staatliches Leistungsrecht aus den Grundrechten unmittelbar folgt oder sogar selbst gegen die Gleichheitsrechte aus Art. 3 I, II GG sowie gegen Art. 6 I, II GG verstößt.
Lösung des BVerfG

1. Das BVerfG trifft zunächst Ausführungen zum Begriff der „öffentlichen Fürsorge“, wobei es seiner bisher großzügigen Linie treu bleibt und insoweit ausführt: „Der Begriff der öffentlichen Fürsorge in Art. 74 Abs. 1 Nr. 7 GG ist nicht eng auszulegen (vgl. BVerfGE 88, 203 <329 f.>; 97, 332 <341>; BVerfG, Urteil des Zweiten Senats vom 7. Oktober 2014 – 2 BvR 1641/11 -, juris, Rn. 135). Er setzt voraus, dass eine besondere Situation zumindest potenzieller Bedürftigkeit besteht, auf die der Gesetzgeber reagiert. Dabei genügt es, wenn eine – sei es auch nur typisierend bezeichnete und nicht notwendig akute (ähnlich BVerfGE 88, 203 <329 f.>; 97, 332 <342>; 106, 62 <134>) – Bedarfslage im Sinne einer mit besonderen Belastungen (vgl. BVerfGE 88, 203 <329 f.>) einhergehenden Lebenssituation besteht, auf deren Beseitigung oder Minderung das Gesetz zielt.“ Im konkreten Fall lässt das BVerfG hierfür genügen, dass der Gesetzgeber mit Einführung des Betreuungsgeldes auf die Belastung von Familien mit Kleinkindern und eine damit verbundene besondere Hilfs- und Unterstützungsbedürftigkeit reagieren wollte.
2. Sodann geht es auf die Anforderungen zur Herstellung einheitlicher Lebensverhältnisse bzw. der Wahrung der Rechts- und Wirtschaftseinheit gem. Art. 72 II GG ein, die letztlich den Schwerpunkt der Urteilsbegründung darstellt. Betrachtet wird jedoch hauptsächlich die Herstellung einheitlicher Lebensverhältnisse, da die Wahrung der Rechts- und Wirtschaftseinheit auch nicht der Intention des Gesetzgebers entspricht, wenngleich das BVerfG nochmals die allgemeinen Voraussetzungen der Wahrung der Rechts- und Wirtschaftseinheit darlegt und für die hier zu entscheidende Sache verneint. Grundsätzlich sei eine Annahme der Herstellung einheitlicher Lebensverhältnisse indes nur unter sehr engen Voraussetzungen gegeben: „Eine Bestimmung ist zur „Herstellung gleichwertiger Lebensverhältnisse“ nicht schon dann erforderlich, wenn es nur um das Inkraftsetzen bundeseinheitlicher Regelungen oder um eine allgemeine Verbesserung der Lebensverhältnisse geht. Die Gleichwertigkeit der Lebensverhältnisse ist aber dann bedroht und der Bund zum Eingreifen ermächtigt, wenn sich die Lebensverhältnisse in den Ländern der Bundesrepublik Deutschland in erheblicher, das bundesstaatliche Sozialgefüge beeinträchtigender Weise auseinanderentwickelt haben oder sich eine derartige Entwicklung konkret abzeichnet (vgl. BVerfGE 106, 62 <144>; 111, 226 <253>; 112, 226 <244>). Ein rechtfertigendes besonderes Interesse an einer bundesgesetzlichen Regelung kann auch dann bestehen, wenn sich abzeichnet, dass Regelungen in einzelnen Ländern aufgrund ihrer Mängel zu einer mit der Gleichwertigkeit der Lebensverhältnisse unvereinbaren Benachteiligung der Einwohner dieser Länder führen und diese deutlich schlechter stellen als die Einwohner anderer Länder (vgl. BVerfGE 106, 62 <153 f.>; 112, 226 <244 f.>).“
Vor diesem Hintergrund wird gleichsam zurückgewiesen, dass es sich bei dem Betreuungsgeld um ein Instrument zur Herstellung einheitlicher Lebensverhältnisse handele. Die Gründe, die sich aus den Gesetzgebungsmaterialien ergeben, seien insoweit nicht tauglich und werden vom Gericht in bisweilen rigoroser Manier nahezu allesamt zurückgewiesen. Zunächst geht es darauf ein, dass der Gesetzgeber die Einführung des Betreuungsgeldes als Kopplung zum Anspruch auf eine Betreuung in Kindertagestätten ansieht. Dieser Verknüpfungswille habe wiederum keinerlei Auswirkungen auf das kompetenzrechtliche Schicksal. Isoliert betrachtetet trage das Betreuungsgeld daher nicht zur Herstellung einheitlicher Lebensverhältnisse bei. Zwar erkennt das BVerfG durchaus an, dass in den Ländern unterschiedliche Regelungswerke vorhanden sind, jedoch habe der Gesetzgeber nicht hinreichend dargelegt, dass das Betreuungsgeld diese beseitige, da keinerlei Anrechnungsvorschriften bestehen und entsprechende Landesregelungen auch lediglich in Bayern, Thüringen und Sachsen existieren. Fernerhin müsse dabei stets der Ausgleich spezifisch föderaler Nachteile der Einwohner einzelnen Länder bezweckt werden. Einzig hören ließe sich, dass durch das Betreuungsgeld gewissermaßen präventiv einer Überlastung der Kindertagesstätten und damit der Gefahr der Nichterfüllung des gesetzlichen Kita- Anspruchs entgegengewirkt wird. Dieses Lenkungsziel folge wiederum nicht der gesetzgeberischen Entscheidung und bleibe daher außer Acht. Das BVerfG führt aus, dass sich eine andere Lesart der §§ 4a bis 4d BEEG auch nicht aus dem verfassungsgerichtliche Verfahren ergeben hätte. Zudem müsse jede Fürsorgeleistung für sich genommen hinsichtlich Art. 72 II GG untersucht werden und ein pauschaler Verweis auf bereits bestehende anderweitige Regelungen genüge nicht. Eine Ausnahme hiervon sei nur dann möglich, wenn die jeweiligen Förderinstrumente objektiv in einem sachlichen Unteilbarkeitsverhältnis stehen. Das Betreuungsgeld trage insoweit diesen Anforderungen in keiner Weise hinreichend Rechnung. Generell gibt das BVerfG auch zu erkennen, dass Materien, die sachlich unteilbar sind, nur in ganz seltenen Ausnahmefällen vorlägen, denn dazu müsse die betreffende Regelung ein integraler Bestandteil der anderen sein, dessen Herausbrechen die Tragfähigkeit der Gesamtkonstruktion gefährde.
Zuletzt befasst sich das BVerfG unter Würdigung der historischen Entwicklung mit der Einschätzungsprärogative des Gesetzgebers in Bezug auf Art. 72 II GG. Diese stehe dem Gesetzgeber zwar grundsätzlich zu, jedoch sei dieser keinesfalls als von verfassungsrechtlicher Kontrolle freier gesetzgeberischer Entscheidungsspielraum zu interpretieren, sondern erstrecke sich nur auf die Einschätzung und Bewertungen tatsächlicher Entwicklungen.
3. Inhaltlich äußerte sich das Gericht indes nicht mehr zum Betreuungsgeld, wenngleich der Antragsteller noch hervorgehoben hatte, dass es sich hierbei auch um einen nicht gerechtfertigten Eingriff in Grundrechte handele. Das BVerfG äußerte sich lediglich sehr kurz dahingehend, dass aus der schutzrechtlichen Dimension der Grundrechte in jedem Fall keine Pflicht zur Zahlung eines Betreuungsgeldes oder eines Äquivalents bestehe, da Art. 6 I, II GG keine konkreten Ansprüche auf bestimmte staatliche Leistungen gewähren.
4. Folglich erklärte das BVerfG das Betreuungsgeld für verfassungswidrig und damit nichtig (§ 78 S. 1 BVerfGG). Auch sah das BVerfG davon ab, eine Übergangsregelung gem. § 35 BVerfGG zu schaffen, da sie diese nicht als erforderlich ansah, sondern der herkömmliche Vertrauensschutz aus § 79 II S. 1 BVerfGG i.V.m. § 45 II SGB X genüge.
Bewertung
Die Entscheidung des BVerfG vermag sowohl in der Begründung wie auch im Ergebnis zu überzeugen, wenngleich die Entscheidung gegen das Bereuungsgeld nicht sonderlich verwundert, sondern absehbar war. Das BVerfG zeigt wiederum sehr schön auf, welche Voraussetzungen an eine Bundeskompetenz im Rahmen der konkurrierenden Gesetzgebung geknüpft sind, insbesondere mit Blick auf die Herstellung einheitlicher Lebensverhältnisse im Bundesgebiet. Daneben wird sie hoffentlich den Trend des Bundesgesetzgebers eindämmen, originäre Ländermaterien selbst in die Hand zu nehmen und damit das Kompetenzgefüge des Grundgesetzes ins Wanken zu bringen.
Patrick Otto
Studium in Hannover. Studentische Hilfskraft am Lehrstuhl für Öffentliches Recht, Völker- und Europarecht (Prof. Dr. Volker Epping) sowie am Lehrstuhl für Öffentliches Recht und Verwaltungswissenschaft (Prof. Dr. Veith Mehde, Mag.rer.publ.)

17.08.2015/1 Kommentar/von Dr. Patrick Christian Otto
https://www.juraexamen.info/wp-content/uploads/2022/05/je_logo.svg 0 0 Dr. Patrick Christian Otto https://www.juraexamen.info/wp-content/uploads/2022/05/je_logo.svg Dr. Patrick Christian Otto2015-08-17 12:00:572015-08-17 12:00:57Das Betreuungsgeld: Mangels Kompetenz des Bundesgesetzgebers verfassungswidrig und nichtig
Gastautor

1×1 des Internationalen Privatrechts – Teil 3

IPR, Schwerpunktbereich, Verschiedenes

Im ersten und zweiten Teil unseres kleinen Einmaleins des IPR  haben wir in die Grundlagen des IPR sowie das internationale Familien- und Erbrecht, das Vertrags- und Deliktsrecht eingeführt. In diesem letzten Teil stellen wir Euch das Problem der „Morgengabe“ vor und setzen uns vertieft mit der „Qualifikation“ im IPR auseinander.
 
9. Klausur-Klassiker: die „Morgengabe“ – oder: Wie funktioniert eigentlich die „Qualifikation“?
a. Definition Qualifikation
Die Zuordnung eines Sachverhalts zu einer bestimmten Kollisionsregel, wie der erbrechtlichen, der familienrechtlichen, der vertragsrechtlichen und der deliktsrechtlichen Kollisionsregel (vgl. Beispiele in Teil 1 und 2) nennt man im IPR „Qualifikation“. Es handelt sich dabei – neben der Anknüpfung – wohl um den wichtigsten IPR-rechtlichen Grundbegriff.
b. Fallbeispiel- die sog. „Morgengabe“
Schwieriger sind die Sachverhalte zu behandeln, die sich nicht ohne weiteres in die eher grobmaschigen Kollisionsnormen des EGBGB einordnen lassen.
Ein klassisches Klausurproblem ist die sog. „Morgengabe“:

In einigen islamisch geprägten Ländern zahlt der Ehemann anlässlich der Heirat einen bestimmten Geldbetrag an die Ehefrau (sog. Morgengabe). Wie wird die Morgengabe im deutschen IPR qualifiziert? (Sehr str.; vgl. MüKo/Siehr, 5. Aufl., 2010 Band 10, Art. 14 EGBGB, Rn. 109; Art. 15,Rn. 97m.w.N.)

Da es die Morgengabe im deutschen Recht so nicht gibt, ist zu überlegen, welcher Kollisionsnorm sie am Ehesten zuzuordnen ist (= als was man sie am Besten „qualifizieren“ kann):
Dabei kommt es nicht auf den Namen des betreffenden Rechtsinstituts, sondern auf seine Funktion an. Teilweise wird auf den Zeitpunkt der Auszahlung abgestellt (im Regelfall unterhaltsrechtliche Qualifikation nach Art. 18 EGBGB; bei Scheidunggüterrechtliche Qualifikation nach  Art. 15 EGBGB, bei Auszahlung im Todesfall erbrechtliche Qualifikation nach Art. 25 EGBGB). Dabei ist zu beachten, dass aucheinige eherechtliche Institute des deutschen BGB mehrere Funktionen haben und auch nicht von der Aufgabe einer eindeutigen Qualifikation befreien.Teilweise wird deshalb einheitlich güterrechtlich nach Art. 15 EGBGB qualifiziert. Der BGH hingegen nimmt eine einheitliche Qualifikation als allgemeine Ehewirkung nach Art. 14 EGBGB vor(BGH v. 9.12.2009 = BGH FamRZ 2010, 533 = JA 2010, 462 m. Anm. Looschelders; vgl. auch Krebs, IPR, 2011, Rn. 105). Begründen lässt sich das damit, dass Art. 14 EGBGB so etwas wie den „kleinsten gemeinsamen Nenner“ der anderen Normen darstellt, die oftmals – statisch oder dynamisch – auf Art. 14 EGBGB verweisen.
 
Auch hier ist der Prozess der europäischen Rechtsvereinheitlichung im Blick zu behalten: Seit 2009 ist die Verordnung (EG) 4/2009 über die Zuständigkeit, das anwendbare Recht, die Anerkennung und Vollstreckung von Entscheidungen und die Zusammenarbeit in Unterhaltssachen (sog. Rom VI-VO) in Kraft. Deren Anwendbarkeit ist jedoch gem. ihrem Art. 76 Abs. 3 davon abhängig, dass innerhalb der EU das Haager Protokoll über das auf Unterhaltspflichten anzuwendende Recht von 2007 anwendbar ist. Dieses Protokoll ist jedoch noch nicht in Kraft getreten. Daher ist die Rom VI-VO noch nicht anwendbar.
 
10. Nacht welchem Rechtsverständnis wird qualifiziert?
Unter 9. wurde mit dem BGH die Morgengabe den allgemeinen Ehewirkungen des Art. 14 EGBGB unterstellt. Doch war es eigentlich richtig, bei der Zuordnung der Morgengabe zu den allgemeinen Ehewirkungen unser BGB-geprägtes Rechtsverständnis zugrundezulegen? Oder wäre es nicht methodenreiner und sinnvoller, auf das Verständnis der Rechtsordnung abzustellen, der dieses Rechtsinstitut entspringt?
Es kommen drei unterschiedliche Rechtsordnungen – „lex rei sitae“, „lex causae“, „lex fori“ – in Betracht, nach deren Vorstellungen man die Qualifikation vornehmen könnte:
(1) Die lex rei sitae ist die Rechtsordnung des Belegenheitsortes. Sie ist maßgeblich insbesondere im Internationalen Sachenrecht (z.B. Art. 43 Abs. 1 EGBGB). Sie spielt bei der Qualifikation jedoch keine Rolle.
(2) Die lex causae ist die Rechtsordnung, die durch die Kollisionsnorm (gegebenenfalls) zur Anwendung berufen ist. Die Qualifikation nach der lex causae ist zwar verlockend, weil man auf diese Weise einen Sachverhalt nicht nur sachrechtlich, sondern auch kollisionsrechtlich dem Rechtsverständnis unterwerfen würde, das dem Sachverhalt eben angemessen ist. Ein Qualifikation nach der lex causae sieht sich jedoch, in Anbetracht der Tatsache, dass das anwendbare Sachrecht ja gerade erst bestimmt werden soll, insbesondere bei mehreren möglicherweise zur Anwendung berufenen Rechtsnormen erheblichen Abgrenzungsproblemen ausgesetzt. Auch lässt sich so ein sicheres Qualifikationsergebnis oft nicht erreichen.
(3) Die lex fori schließlich ist die Rechtsordnung des Gerichtsorts, also des Landes, in dem das betreffende Verfahren anhängig ist. Nach ganz h.M. wird die Qualifikation nach der lex fori vorgenommen, d.h. dass der zuständige Richter das Rechtsverständnis des Gerichtsortes (in der deutschen Fallbearbeitung idR Deutschland) zugrunde legt, wenn er einen Sachverhalt qualifiziert (vertiefend Kropholler, IPR, 5.Aufl. 2004, 120 ff.).
 
Eine wichtige Präzisierung ist aber notwendig: Innerhalb des Anwendungsbereichs der kollisionsrechtlichen Verordnungen der EU (Rom I, Rom II, Rom III) wird nicht nach der lex fori qualifiziert, sondern auf Grundlage einer autonomen europarechtlichen Auslegung. Man muss also in einer Klausur bei der Zuordnung eines Rechtsinstituts zu den grobmaschigen Kollisionsnormen der EU-Verordnungen Argumente entwickeln, die für eine einheitliche Qualifikation nach dem gemeinsamen Rechtsverständnis sprechen. So war z.B. unter 6. der Schiedsvertrag als „Dienstvertrag“ i.S.d. Rom I-VO zu qualifizieren.
 
Fazit
Wir hoffen, dass wir Euch den gegebenenfalls ersten Zugang zum Internationalen Privatrecht ein wenig erleichtern konnten. Weitere Bereiche des IPR, wie z.B. das Internationale Sachenrecht, das Internationale Gesellschaftsrecht und die anderen außervertraglichen Schuldverhältnisse sowie einige Spezialprobleme des IPR bleiben der Ausbildungsliteratur vorbehalten. In den Examensklausuren wird jedoch nur sehr Grundsätzliches von Euch erwartet werden: Ihr müsst die in Betracht kommenden Kollisionsnormen finden (Rom I-VO, Rom II-VO, Rom III-VO, EGBGB…), ggf. deren Anwendungsbereich bestimmen (zeitlich, sachlich, örtlich), sorgfältig qualifizieren – und schon ist der Einstieg in die Klausur und die schwerpunktmäßige Prüfung der sachrechtlichen Voraussetzungen eröffnet. Damit wünschen wir Euch viel Erfolg bei Klausuren, die kleinere oder größere IPR-Fragen aufwerfen. Bei Rückfragen oder Anregungen stehen wir natürlich zu Eurer Verfügung.
Über die Autoren
Carl-Wendelin Neubert
Gastautor Neubert
Jurastudium in Freiburg und Genf, Schwerpunktbereich „Europäische und internationale Rechts- und Wirtschaftsbeziehungen“, derzeit Doktorand am Max Planck Institut für ausländisches und internationales Strafrecht.
Mitgründer der eLearning-Community econtrario.de
 
Christian Leupold
Gastautor Leupold
Jurastudium in Freiburg und Aix-en-Provence, Schwerpunktbereich „Europäische und internationale Rechts- und Wirtschaftsbeziehungen“, derzeit Rechtsreferendar am OLG Brandenburg.
Mitgründer der eLearning-Community econtrario.de

10.03.2013/2 Kommentare/von Gastautor
https://www.juraexamen.info/wp-content/uploads/2022/05/je_logo.svg 0 0 Gastautor https://www.juraexamen.info/wp-content/uploads/2022/05/je_logo.svg Gastautor2013-03-10 12:00:242013-03-10 12:00:241×1 des Internationalen Privatrechts – Teil 3
Gastautor

1×1 des Internationalen Privatrechts – Teil 2

IPR, Rechtsgebiete, Startseite, Verschiedenes

Im ersten Teil des Einmaleins des IPR zu den Grundlagen des Internationalen Privatrechts hatten wir bereits die Aufgabe und die grundsätzliche Funktionsweise des IPR erläutert. Im Folgenden wollen wir in die beiden äußerst klausurrelevanten Bereiche des internationalen Vertragsrechts sowie des internationalen Deliktsrechts einführen.
 
6. Internationales Vertragsrecht: Welchem Recht unterfällt ein wahrhaft internationaler Schiedsvertrag?
Das internationale Vertragsrecht ist – wegen der großen Anzahl von Verträgen und vertragsrechtlichen Streitigkeiten – eine der am häufigsten anzutreffenden Materien des IPR. Das Vertragskollisionsrecht ist innerhalb der EU vereinheitlicht durch die Verordnung (EG) 593/2009 über das auf vertragliche Schuldverhältnisse anzuwendende Recht, kurz „Rom I-VO“, die seit Dezember 2009 gilt.
Hier ist wichtig: Zunächst die Verordnung finden (Rom I-III, Schönfelder Nr. 21a–21c). Dann sauber (!) den Anwendungsbereich prüfen (sachlich, räumlich, zeitlich) und die Normen sorgfältig lesen. Die Art. 5-9 Rom I VO enthalten spezielle Anknüpfungsregeln.

Fall: (nach MPI für ausländisches und internationales Privatrecht, RabelsZ 71 (2007), 225, 261; vgl. Neubert, Die objektiven Anknüpfungen von Schuldverträgen gem. Art. 4 Rom I-Verordnung, EWS 2011, 369 ff.):
Der italienische Staatsbürger A und der österreichische Staatsbürger B streiten sich vor einem Kollegialschiedsgericht in Paris. Das Verfahren führen die Schiedsrichter C (deutscher Staatsbürger), D (bulgarischer Staatsbürger) und E (spanischer Staatsbürger), die alle ihren gewöhnlichen Aufenthalt in ihrem jeweiligen Land haben. Im Laufe des Verfahrens verstoßen alle drei Schiedsrichter gegen die Schiedsgerichtsordnung, missachten Parteivorträge und Beweise und handeln ermessensmissbräuchlich. A und B wollen die drei Schiedsrichter wegen Verletzung des Schiedsrichtervertrags haftbar machen. Welches Recht ist anwendbar?

Zunächst könnte man daran denken, das Recht anzuwenden, das die Parteien vereinbart haben – vom Ansatz her richtig: Grundsätzlich findet zunächst immer das Recht Anwendung, das die Parteien gewählt haben (im Internationalen Vertragsrecht gem. Art. 3 Rom I-Verordnung), bevor auf die sog. objektiven Anknüpfungen (im Internationalen Vertragsrecht gem. Art. 4 Rom I-Verordnung) zurückgegriffen wird. Allerdings lässt sich dem Sachverhalt nicht entnehmen, dass die Streitparteien eine Rechtswahl vorgenommen hätten.
Also kommt man mangels Rechtswahl zu den objektiven Anknüpfungen von Schuldverträgen,
Art. 4 Rom I-VO:
a. Schiedsrichtervertrag als Dienstleistungsvertrag, Art. 4 Abs. 1 lit. b Rom I VO
Ordnet man den Schiedsrichtervertrag zutreffend als „Dienstleistungsvertrag“ i.S.d. Art. 4 Abs. 1 lit. b Rom I-VO ein, so wäre der Schiedsrichtervertrag an das Recht des gewöhnlichen Aufenthaltes des Dienstleisters anzuknüpfen; folglich wären Streitigkeiten aus dem Schiedsrichtervertrag den Rechtsordnungen der jeweiligen Schiedsrichter C, D und E zu unterwerfen, also deutschem, bulgarischen und spanischen Recht.
b. engere Verbindung zu anderem Staat, Art. 4 Abs. 3 Rom I-VO?
Allerdings stellt sich die Frage, ob nicht aus der Gesamtheit der Umstände eine offensichtlich engere Verbindung zu einem anderen Staat besteht, Art. 4 Abs. 3 Rom I-VO. Diese sog. „Ausweichklausel“ ist nach Wortlaut („offensichtlich“), Systematik und Telos restriktiv auszulegen; sie ist für Fälle vorgesehen, in denen eine Anknüpfung an den Typenkatalog des Art. 4 Abs. 1 Rom I-Verordnung zu schlichtweg unangemessenen Ergebnissen führt. Dies ist hier der Fall: Alle Parteien (also sowohl A und B als auch C, D und E) haben Bezüge zu ihrem eigenen Land, die für den jeweils anderen jedoch nur zufällig sind. Alle aber haben sich absichtlich an das Pariser Schiedsgericht gewandt, A und B als Dienstleistungsnehmer, C, D und E als Dienstleister. Damit hat der Schiedsrichtervertrag eine offensichtlich engere Beziehung zu Frankreich als dem Ort des Schiedsverfahrens. Art. 4 Abs. 3 Rom I-Verordnung ist erfüllt (a.A. ggf. vertretbar). Damit ist französisches Recht anwendbar. (VertiefendPalandt/Thorn, 70.Aufl. 2011, Art. 4 Rom I, Rn. 4, 29.)
 
7. Internationales Deliktsrecht: Welche Folgen hat eine Schussverletzung an der deutsch-französischen Grenze?
Auch das internationale Deliktsrecht ist selbstredend eine häufig auftauchende Materie. Es ist – zusammen mit GoA, c.i.c. und Bereicherungsrecht – ebenfalls innerhalb der EU vereinheitlicht und zwar durch die seit Januar 2009 geltende Verordnung (EG) 864/2007 über das auf außervertragliche Schuldverhältnisse anzuwendende Recht, kurz „Rom II-VO“. Sie verdrängt in ihrem Anwendungsbereich die Art. 38-42 des EGBGB. Die Kollisionsnorm des Art. 4 Rom II-VO ist – wie viele derartige Kollisionsnormen, z.B. auch Art. 40 EGBGB – im Grundsatz Ausprägung des Tatortprinzips: Es wird das Recht des Staates zur Anwendung berufen, in dem sich das Delikt zugetragen hat (lex loci delicti comissi). Dieser Ort ist grundsätzlich leicht zu ermitteln, denn zumeist tritt die Verletzung der geschützten Rechtsposition in demselben Land ein, in dem der Schädiger auch gehandelt hat (Identität von Handlungs- und Erfolgsort = sog. Platzdelikt).Aber was gilt, wenn Handlungs- und Erfolgsort in verschiedenen Staaten liegen (sog. Distanzdelikt)?

Fall: A wohnt bei Breisach (Baden) direkt am Rhein. Als begeisterter Sportschütze geht er von seinem Haus durch den Garten am Rheinufer zu seinem Auto, um zum Schießstand zu fahren, als sich aus der in seiner Hand befindlichen Sportpistole ein Schuss löst. B, der in Colmar (Elsaß) wohnt und gerade auf der französischen Rheinseite spazieren geht, wird von der Kugel getroffen. B verlangt von A Schadensersatz. Welches Recht ist anwendbar?

In Betracht kämen deutsches und französisches Recht. Die einschlägige Kollisionsnorm ist Art. 4 Abs. 1 Rom II-VO. Diese knüpft an das Recht des Staates an, in dem der Schaden eintritt (lex locus damni); die Norm ist unmissverständlich auch auf Distanzdelikte anwendbar. A und B haben auch nicht beide ihren gewöhnlichen Aufenthalt in Deutschland, sodass Art. 4 Abs. 2 Rom II-VO keine Anwendung findet. Eine offensichtlich engere Beziehung nach Deutschland, die die Aktivierung der Ausweichklausel des Art. 4 Abs. 3 Rom II-VO rechtfertigen würde, ist nicht erkennbar. Folglich ist französisches Recht anwendbar. (Vertiefend Palandt/Thorn, 70. Aufl. 2011, Rom II-VO, Art. 4, Rn. 1 ff.; Koch/Magnus/Winkler von Mohrenfels, IPR und Rechtsvergleichung, 4. Aufl. 2010, 149 ff.)
 
8. Internationales Deliktsrecht: Verbleibt den Art. 38-42 EGBGB neben der Rom II-VO überhaupt noch ein Anwendungsbereich?
Grundsätzlich werden die Art. 38-42 im Anwendungsbereich der Rom II-VO vollständig verdrängt. Allerdings ist die Rom II-VO erst eine relativ junge Norm, sodass der Klausurbearbeiter immer an „Altfälle“ denken muss – denn die Rom II-VO ist nicht anwendbar auf außervertragliche Schuldverhältnisse, die vor dem 11.1.2009 begründet wurden. Ausdrücklich aus dem Anwendungsbereich der Rom II-VO ausgenommen sind zudem Persönlichkeitsrechtsverletzungen (dies ergibt sich aus Art. 1 II lit. g Rom II-VO). In diesen beiden Konstellationen sind die Art. 38-42 EGBGB weiterhin anwendbar. Eine sorgfältige Prüfung des sachlichen und zeitlichen Anwendungsbereichs der Rom II-VO wird aber diese Fälle leicht ausscheiden, so dass aktives Wissen hier nicht erforderlich ist.
 
Der Beitrag wird fortgesetzt. Im dritten und letzten Teil wollen wir Euch einen wahren „IPR-Klassiker“ vorstellen, bei dem es u.a. um die Behandlung des unserer Rechtsordnung fremden Rechtsinstituts der „Morgengabe“ geht. Bei Rückfragen oder Anregungen stehen wir natürlich zu Eurer Verfügung.
 
Über die Autoren
Carl-Wendelin Neubert
Gastautor Neubert
Jurastudium in Freiburg und Genf, Schwerpunktbereich „Europäische und internationale Rechts- und Wirtschaftsbeziehungen“, derzeit Doktorand am Max Planck Institut für ausländisches und internationales Strafrecht.
Mitgründer der eLearning-Community econtrario.de
 
Christian Leupold
Gastautor Leupold
Jurastudium in Freiburg und Aix-en-Provence, Schwerpunktbereich „Europäische und internationale Rechts- und Wirtschaftsbeziehungen“, derzeit Rechtsreferendar am OLG Brandenburg.
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09.03.2013/5 Kommentare/von Gastautor
https://www.juraexamen.info/wp-content/uploads/2022/05/je_logo.svg 0 0 Gastautor https://www.juraexamen.info/wp-content/uploads/2022/05/je_logo.svg Gastautor2013-03-09 10:00:432013-03-09 10:00:431×1 des Internationalen Privatrechts – Teil 2
Gastautor

1×1 des Internationalen Privatrechts – Teil 1

IPR, Schwerpunktbereich, Startseite, Verschiedenes

 Wir freuen uns, einen Gastbeitrag zum sehr examensrelevanten Rechtsgebiet „Internationales Privatrecht“ veröffentlichen zu können. Der Beitrag umfasst insgesamt drei Teile, von denen wir heute den ersten vorstellen. Mehr über die Autoren erfahrt ihr am Ende des Textes.
Einleitung
Das internationale Privatrecht (IPR) gehört in den meisten Bundesländern zum Prüfungsstoff, ist jedoch ein recht komplexes Rechtsgebiet mit ganz eigener Sprache („Qualifikation“, „Anknüpfung“, „Statut“ usw.), das sich nur sehr schwer in kurzer Zeit erschließen lässt. Der eine oder andere Examenskandidat dürfte auf dem Gebiet noch ziemlich unwissend sein. Wir wollen in diesem Beitrag und zwei weiteren Beiträgen anhand von insgesamt zehn Fragen und Antworten einen ersten Einstieg geben.
 
1. Wie ist das IPR einzuordnen?
Die Bezeichnung dieses Rechtsgebietes ist zumindest zweideutig: Bei dem Begriff „Internationales Privatrecht“ könnte man an internationales Recht denken, also z.B. Völkerrecht. Das Internationale Privatrecht ist jedoch nationales Recht. Zwar erhält das IPR dadurch seinen internationalen Charakter, dass es nur bei Sachverhalten mit Auslandsbezug Anwendung findet – daher auch der Name. Grundsätzlich aber gibt sich jeder Staat ein eigenes Internationales Privatrecht. In Deutschland war es bislang hauptsächlich im EGBGB geregelt. Mittlerweile sind allerdings einige Bereiche von EU-Verordnungen geregelt, die in Deutschland genau wie deutsches Recht Anwendung finden.
 
2. Was ist die Aufgabe des IPR?
Das erschließt sich nicht unbedingt auf den ersten Blick, ist aber für das Verständnis des Rechtsgebiets unverzichtbar.

Fall : Der Deutsche V vermietet dem Franzosen M seine Ferienwohnung in der Toskana. M zahlt die Miete jedoch nicht, weil er meint, die Wohnung sei in einem desolaten Zustand. Auf welche Frage soll das Internationale Privatrecht nun eine Antwort geben?

Es geht hier nicht um die Frage, ob V einen Anspruch auf die volle Miete hat – das ist eine Frage, die das Sachrecht zu entscheiden hat. Es geht auch nicht um die Frage, vor welchem Gericht V den M verklagen kann – das ist eine Frage des sog. Internationalen Zivilverfahrensrechts. Das IPR soll vielmehr Antwort auf die Frage geben, welches Sachrecht anwendbar ist, d.h. ob im genannten Fall deutsches BGB, französischer Code civil oder italienischer Codice civile anwendbar ist. Daher nennt man das IPR auch Kollisionsrecht.
 
3. Wer bestimmt, welches IPR anwendbar ist – ein Teufelskreis?
Klar ist nun, dass das IPR dabei helfen soll, das anwendbare Sachrecht zu bestimmen. Aber wer bestimmt dann wiederum, welches IPR anwendbar ist?
Diese Frage ist oftmals von entscheidender Bedeutung, denn nicht alle IPR führen zum gleichen Ergebnis. Für den gleichen Sachverhalt könnte z.B. französisches IPR den französischen Code civil zur Anwendung berufen, während das EGBGB das deutsche BGB für anwendbar erklären würde. Auch gibt es hierfür kein eigenes Kollisions-Kollisionsrecht. Vielmehr hängt die Antwort davon ab, welches Gericht zuständig ist: Deutsche Gerichte wenden das deutsche IPR an (z.B. das EGBGB bzw. die im deutschen Recht unmittelbar geltenden EU-Verordnungen). Französische Gerichte wenden das französische IPR an usw. Man nennt diesen Grundsatz „lex fori“-Prinzip: Jedes Gericht wendet das an seinem Ort geltende IPR an (vertiefend Krebs, IPR, 2011, Rn. 88).
Daraus ergibt sich für die Lösung eines Sachverhalts mit Auslandsbezug folgender Dreischritt:
(1) Gerichtszuständigkeit bestimmen nach IZVR (=Internationalem Zivilverfahrensrecht), z.B. deutsche Gerichte sind zuständig; (2) Sachrecht bestimmen nach IPR, z.B. deutsches materielles Recht ist anwendbar; (3) Rechtsfrage beantworten nach dem Sachrecht, z.B. der Kaufpreisanspruch besteht.
 
4. Internationales Erbrecht: Nach welchem Recht wird der in Berlin befindliche CLK eines Schweizers vererbt?
Nun ein Beispiel, wie man das anwendbare Sachrecht bestimmt. Eine der klassischen Anwendungen des IPR findet im Bereich des Erbrechts statt. Solche Fälle sind weiterhin nach EGBGB, also – noch – ganz ohne Europäische Verordnungen zu lösen.

Fall (vgl. von Hoffmann/Thorn, IPR, 9. Aufl., 2007, § 9,Rn. 1ff.): Der in Zürich lebende Schweizer E ist Eigentümer eines CLK, den seine Tochter in Berlin fährt. Nach welchem Erbrecht richtet sich die Erbfolge an dem PKW nach seinem Tod, wenn deutsche Gerichte zuständig sind? (Art. 90 I des Schweizer IPRG lautet: „Hat der Erblasser im Zeitpunkt des Todes den Wohnsitz in der Schweiz, so ist schweizerisches Erbrecht anzuwenden.“)

In Betracht kämen das Schweizer Zivilgesetzbuch oder das deutsche BGB.
Da deutsche Gerichte zuständig sind, ist deutsches IPR anwendbar („lex fori-Prinzip“). Aus Art. 25 I EGBGB ergibt sich, dass das Recht des Staates Anwendung findet, dem der Erblasser im Zeitpunkt seines Todes angehörte. E war Schweizer, es gilt also Schweizer „Recht“. Art. 4 I 1 EGBGB stellt klar, dass damit nicht direkt auf Schweizer Erbrecht verwiesen ist, sondern auch auf dessen IPR (sog. Gesamtnormverweisung). Nach Art. 90 I Schweizer IPRG ist das Recht des Staates anzuwenden, in dem der Erblasser zuletzt seinen Wohnsitz hatte. E lebte in der Schweiz, es gilt also Schweizer Erbrecht.
 
Achtung: Ab dem 17. August 2015 gilt die Verordnung (EU) 650/2012 des Europäischen Parlaments und des Rates vom 4. Juli 2012 über die Zuständigkeit, das anzuwendende Recht, die Anerkennung und Vollstreckung von Entscheidungen und die Annahme und Vollstreckung öffentlicher Urkunden in Erbsachen sowie zur Einführung eines Europäischen Nachlasszeugnisses (sog. EU-Erbrechtsverordnung, auch „Rom V-Verordnung“ genannt). Deren Art. 21 enthält eine allgemeine Kollisionsnorm für die Rechtsnachfolge von Todes wegen.
 
Wie eingangs erwähnt, arbeitet das IPR bisweilen mit einer sehr eigenen Rechtssprache. Ein ganz zentraler der Begriff ist der der „Anknüpfung“. Anknüpfung bedeutet die Herstellung einer Verbindung zwischen einem Sachverhalt und einem anwendbaren Recht. Im vorliegenden Beispiel richtete sich die Erbfolge des E hinsichtlich des CLK nach Schweizer Recht (Rechtsfolge der Kollisionsnorm). Es wurde also „angeknüpft“ nach Schweizer Recht.
 
5. Internationales Familienrecht: Mitverpflichtung unter spanischen Ehegatten in Deutschland?
Auch hier hat es Brüssel mangels einer Gesetzgebungskompetenz noch nicht geschafft, eine Rechtsvereinheitlichung herbeizuführen.

Fall (vgl. von Hoffmann/Thorn, IPR, 9.Aufl., 2007, § 8,Rn. 19; vgl. auch BGH IPRax 1993, 97): Ein nicht krankenversicherter Spanier wird in einem deutschen Krankenhaus behandelt. Das Krankenhaus nimmt seine spanische Frau in Anspruch. Welches Sachrecht bestimmt über die Mitverpflichtung der Frau, wenn deutsche Gerichte zuständig sind? (Spanisches IPR würde spanisches Sachrecht zur Anwendung berufen.)

In Betracht kommen grundsätzlich deutsches und spanisches Recht. Das zuständige deutsche Gericht wendet deutsches IPR an. Art. 14 I EGBGB knüpft die „allgemeinen Ehewirkungen“, d.h. auch die Frage der Mithaftung der Ehegatten vorrangig an das gemeinsame Heimatrecht der Ehegatten an. Art. 4 EGBGB erklärt diese Verweisung zur Gesamtnormverweisung, die auch das spanische IPR umfasst. Das spanische IPR nimmt die Verweisung an und beruft spanisches Sachrecht zur Anwendung.
 
Das Internationale Privatrecht ist in seiner Abstraktion – zumal noch im Zusammenspiel mit dem Internationalen Zivilverfahrensrecht – ein komplexes Rechtsgebiet. Wir haben uns hier zur besseren Verständlichkeit zunächst auf die absoluten „Basics“ beschränkt. Der Beitrag wird jedoch fortgesetzt mit Einführungen in das internationale Vertragsrecht und das internationale Deliktsrecht – zwei der wohl klausurrelevantesten Materien. Bei Rückfragen oder Anregungen stehen wir natürlich zu Eurer Verfügung.
 
Über die Autoren
Carl-Wendelin Neubert
Gastautor Neubert
Jurastudium in Freiburg und Genf, Schwerpunktbereich „Europäische und internationale Rechts- und Wirtschaftsbeziehungen“, derzeit Doktorand am Max Planck Institut für ausländisches und internationales Strafrecht.
Mitgründer der eLearning-Community econtrario.de
 
Christian Leupold
Gastautor Leupold
Jurastudium in Freiburg und Aix-en-Provence, Schwerpunktbereich „Europäische und internationale Rechts- und Wirtschaftsbeziehungen“, derzeit Rechtsreferendar am OLG Brandenburg.
Mitgründer der eLearning-Community econtrario.de

 

08.03.2013/7 Kommentare/von Gastautor
https://www.juraexamen.info/wp-content/uploads/2022/05/je_logo.svg 0 0 Gastautor https://www.juraexamen.info/wp-content/uploads/2022/05/je_logo.svg Gastautor2013-03-08 12:00:482013-03-08 12:00:481×1 des Internationalen Privatrechts – Teil 1
Gastautor

Gastbeitrag: Vorstellung der neuen Ausgabe 2/2010 der Jura Zeitschrift Lawzone

Gesellschaftsrecht, Schwerpunktbereich

Wir freuen uns, Euch heute einen Gastbeitrag von Alexander Junkov posten zu können. Alexander studiert Jura an der Johann Wolfgang Goethe-Universität Frankfurt am Main und ist Chefredakteur der Jura Zeitschrift „LawZone“ / www.lawzone-online.de.
Im Folgenden gibt er einen kurzen Überblick über die neue Ausgabe 2/2010 – gegliedert nach Relevanz für den staatlichen Teil und für den Schwerpunkt:
Die Zeitschrift LawZone ist nun bereits in der zweiten Auflage dieses Jahres erschienen und beschäftigt sich schwerpunktmäßig mit dem Gesellschaftsrecht. Die Beiträge reichen von grobem examensrelevanten Überblick über die Rechtsformen im Gesellschaftsrecht bis zu weiterführenden Themenkomplexen, die hauptsächlich zum Gegenstand des universitären Schwerpunktstudiums im Wirtschaftsrecht gehören.
Weitere Beiträge behandeln zum einen vertieftes Grundlagenwissen im Erbrecht, zum anderen Haftungsfragen bezüglich der Rating-Agenturen.
Die Ausgabe 2/2010 kann hier als PDF eingesehen werden.
A. Examensrelevantes Wissen
1. Wahl der richtigen Rechtsform bei der Unternehmensgründung (Peter C. Fischer/Elisabeth Comes)
Der Beitrag soll zwar eine „Übersicht für angehende Berater“ schaffen, der „Berater“ kann hier aber getrost der Student in Examensvorbereitung sein. Die Verfasser geben zunächst einen groben Überblick über die wichtigsten Rechtsformen im Gesellschaftsrecht: GmbH, AG, KGaA, SE, GmbH & Co. KG sowie die ausländischen Kapitalgesellschaften wie auch die Vorratsgesellschaften. Die Leitfrage nach der Wahl der richtigen Rechtsform, sollte vor allem der Examenskandidat beantworten können. Dabei geht es darum, die wesentlichen Eigenschaften und Voraussetzungen der Rechtsformen zu erkennen und vergleichend auszuwerten. Wer die HGB-Examensklausur erfolgreich meistern will, kann hier seinen Wissensstand überprüfen oder aber die -lücken feststellen.
Ergänzend gehen die Verfasser auch auf den steuerrechtlichen Aspekt jeder Rechtsform ein. Hat man die richtige Rechtsform gefunden, so sollte auch diese Seite der Medaille untersucht werden. Dies hat natürlich zunächst nur Relevanz für die Praxis.
2. Wechselbezügliche Verfügungen im gemeinschaftlichen Testament (Verena Lerch)
Wer sich mit examensrelevanter Thematik aus dem Erbrecht beschäftigen möchte, sollte den Beitrag von Verena Lerch heranziehen. Der Beitrag beschäftigt sich mit grundlegenden erbrechtlichen Problemen, die sich bei wechselbezüglichen Verfügungen im gemeinschaftlichen Testament ergeben können. Das meist unterschätzte oder vernachlässigte Rechtsgebiet zeigt auch hier deutliche Schwerpunkte.
3. Zivilrechtliche Haftung der Rating-Agenturen gegenüber gerateten Unternehmen (Alexander Junkov)
Der Beitrag setzt sich weniger mit den Ursachen der aktuellen Finanzmarktkrise auseinander, auch nicht ausschließlich mit der Funktionalität und der Rolle der Rating-Agenturen, sondern versucht die Frage nach den Haftungsrisiken der Rating-Agenturen mit wesentlichen (examensrelevanten) zivilrechtlichen Grundlagen zu bewerten. Zwar wird sich eine vergleichbare Problematik nicht im Examen wiederfinden. Was die Staatliche Pflichtfachprüfung aber in jedem Fall zu bieten hat, sind zahlreiche Transferprobleme, die ebenfalls nur mit Grundlagenwissen gelöst werden können.
Der Beitrag setzt sich unter anderem mit dem sog. Rating-Vertrag zwischen Agentur und Unternehmen auseinander: Führt die Qualifikation zu einem Auftragsverhältnis, einem Dienst-, Werk- oder Geschäftsbesorgungsvertrag? Ferner werden Haftungstatbestände nach dem Schuld- und Deliktsrecht behandelt. Ein Beitrag der sich auch für diejenigen lohnt, die kein Interesse am Wirtschaftsrecht haben oder es aufgrund Finanzkrise verloren haben.
B. Schwerpunktstudium
1. Ist Unternehmern für die Erschließung ausländischer Märkte die SPE oder eine nationale Rechtsform zu empfehlen? (Rainer Freudenberg)
Der Titel ist Programm: Der Verfasser beschäftigt sich in seinem Beitrag ausgiebig mit der Rechtsform der Europäischen Privatgesellschaft (SPE). Das Pendant zur nationalen AG wurde dagegen bereits in Ausgabe LawZone 2/2009 behandelt: Die Europäische Aktiengesellschaft/societas europaea (SE). Der Beitrag taucht in die Tiefen des Europäischen Gesellschaftsrechts ein und bietet daher eine ideale Grundlage für das entsprechende Schwerpunktstudium – Vorbereitend oder für das wissenschaftliche Arbeiten zur SPE. Nichtsdestotrotz kann das Durcharbeiten dieses Beitrags nur empfohlen werden – das Wissen zum Gesellschaftsrecht wird erweitert, das Gefühl für die Materie wird feinfühliger.
2. Ein Jahr Gesetz zur Angemessenheit der Vorstandsvergütung (Jan Hermes)
Der Beitrag zur Vorstandsvergütung widmet sich einer Analyse des mittlerweile einjährigen Gesetzes zur Angemessenheit der Vorstandsvergütung (VorstAG). Rückblick, Probleme und Ausblick – damit versucht der Verfasser die Frage zu klären, ob dem Gesetzgeber eine praxistaugliche Regelung gelungen ist und welche Auswirkungen das VorstAG auf die Unternehmen, deren Vorstände und Aufsichtsräte hat: Ein Beitrag für das Schwerpunktstudium.

16.09.2010/0 Kommentare/von Gastautor
https://www.juraexamen.info/wp-content/uploads/2022/05/je_logo.svg 0 0 Gastautor https://www.juraexamen.info/wp-content/uploads/2022/05/je_logo.svg Gastautor2010-09-16 14:56:512010-09-16 14:56:51Gastbeitrag: Vorstellung der neuen Ausgabe 2/2010 der Jura Zeitschrift Lawzone
Gastautor

Gastbeitrag: “Examensbericht” – Erfahrungsbericht zur Examensvorbereitung und zum 1. Staatsexamen

Examensvorbereitung, Lerntipps, Schon gelesen?

Wir freuen uns, heute einen Gastbeitrag von Fabian Rösner zu seiner Examensvorbereitung und zum 1. Staatsexamen posten zu können.
Hallo liebe Leser auf juraexamen.info,
ich heiße Fabian Rösner und habe von 2003 bis 2008 in Münster studiert. Seit 2009 promoviere ich hier im Gesellschafts- und Stiftungsrecht und steige zu November ins Referendariat ein. Mit der Distanz von fast zwei Jahren habe ich mich an das Abfassen eines „Examensberichts“ gemacht. Die „richtigen“ Empfehlungen für die eigene Vorbereitung gibt es selbstverständlich nicht, aber vielleicht kann der ein oder andere Leser aus meinen Erfahrungen zumindest ein paar Anregungen für die eigene Examensvorbereitung mitnehmen.
I. Vorfrage: Examen mit / ohne /Uni- Rep?
Die erste Frage, die jeder kurz-, mittel- oder langfristige Examensanwärter (in diversen social und career networks mit Beginn der Examensvorbereitung leider viel zu oft schon einmal staatstragend als „cand. iur.“ bezeichnet) für sich beantworten muss, ist die nach dem Besuch eines Repetitoriums. Wie so oft gibt es eine generelle Handlungsempfehlung nicht und Berichte über erfolgreiches „Exorep“ sind auf juraexamen.info bereits nachzulesen.
Deshalb bleibt, statt der Beantwortung der Frage, nur eine Aufstellung der pro- und contra-Kriterien. Erstes Kriterium sollte der – selbst hinreichend kritisch hinterfragte – eigene Leistungsstand sein. Wer schon im Grundstudium Gas gegeben hat und die Examensvorbereitung tatsächlich nur noch zum „repetieren“ des Stoffes benötigt, kann vermutlich eher das Examen ohne Rep wagen als andere Kandidaten. Für mich selbst war die Wahl klar: Ich hatte im Grundstudium gerade die nötigsten credit-points zusammengesammelt , alles darüber hinausgehende verschoben und stattdessen viel anderes gemacht. Deshalb war für mich klar, dass ich einen „Grundkurs“ von den Basics an brauchte. Wer sich in dieser Situation gegen das Rep entscheidet, läuft vermutlich eher Gefahr, sich mangels Überblick über die Masse insgesamt und die einzelnen Materien im speziellen schnell zu verzetteln.
Zweites Kriterium ist die eigene Motivationsfähigkeit. Da würde ich mir tendenziell keine Probleme unterstellen, wer jedoch gelegentlich den berühmten Tritt in den Allerwertesten benötigt, sollte ebenfalls verstärkt über den Besuch eines Reps nachdenken. Andererseits: Ich kenne auch genügend Leute, die meinten sämtlichen Lernverpflichtungen mit dem Besuch von 3 x 3 Rep-Stunden pro Woche nachgekommen zu sein. Auch das ist natürlich nicht Sinn der Sache.
Drittes Kriterium sind sicherlich die Finanzen. Natürlich ist das Rep teuer. Dennoch: Wer sich nach den übrigen Kriterien für ein Rep entscheiden würde, sollte es daran nicht scheitern lassen. Nachvollziehbar ist es, wenn das Geld einfach fehlt. Hier könnte man dennoch über gelegentliche Aushilfsjobs o.ä. nachdenken, mit denen die ca. 150 Euro im Monat durchaus zusammenzubekommen sein sollten (ich habe das ganze Vergnügen über eine Stelle als studentische Hilfskraft finanziert). Wer sich aus weltanschaulichen Überzeugungen („diesen Ausbeutern stecke ich mein Geld nicht in den Hals“) gegen das Rep entscheidet, sollte bedenken, dass sich das leistungsorientierte System des Arbeitsmarktes dafür recht schnell rächen kann und beim Jurastudium Preise für überzeugungsgeleitetes Handeln nicht und insbesondere dann nicht verliehen werden, wenn am Ende das (Examens-)Ergebnis nicht stimmt. Zuzugeben ist selbstverständlich, dass man – egal welches – Repetitorien stets mit einer gewissen kritischen Distanz betrachten und sich bewusst sein sollte, dass bei den Anbietern nicht Altruismus sondern Profit im Vordergrund steht.
Hat man sich generell für den Besuch eines Repetitoriums entschieden, bleibt die Frage „wohin?“. Da ich selbst bei Hemmer war, ist alles Folgende natürlich in besonderem Maße subjektiv. Uni-Rep habe ich für mich deshalb ausgeschlossen, weil man wieder vor dem gleichen Problem wie während des Studiums steht: Mit fähigen und unfähigen, motivierten und unmotivierten Professoren steht und fällt die eigene Examensvorbereitung. Die Professionalisierung schreitet – hier in Münster in besonderem Maße und sei hier auch besonders lobend hervorgehoben – selbstverständlich immer weiter voran, aber das Grundproblem bleibt. Auch die Qualität der kommerziellen Reps mag unterschiedlich sein, ich zähle dort aber auf die Marktgesetze und bin der Meinung, dass sich kein Rep über längere Zeit minder qualifizierte und unmotivierte Dozenten leisten kann. Diese Auslese findet an der Uni nicht in diesem Maße statt.
Bei Alpmann Schmidt hier in Münster war ich nur einmal zum Probehören. Die Unterlagen haben mir anfangs gut gefallen, weil sie meiner Vorstellung von einer Vorbereitung „von Null an“ näher kamen. Es war alles recht leicht verständlich, Meinungen übersichtlich gegliedert, Übersichten mit gefühlten 27 pro- und contra-Argumenten, alles dabei (dazu später mehr). Die Dozenten gefielen mir allerdings nicht. Das ist Geschmacksache und kommt auf den eigenen Typ an. Ich persönlich kann es nicht gut vertragen, wenn abgrundtief unpassende Antworten mit einem „ja, schon nicht schlecht, aber hat jemand vielleicht noch einen Vorschlag, der ein klein wenig treffender ist?“ bedacht werden. Den Samthandschuh mit Vaseline gibt es auch später im Berufsleben nicht und für die Examensvorbereitung ist es – so denke ich – für alle Beteiligten zielführender, wenn zwischen „richtig und falsch“ (ja, ich weiß, es gibt nur vertretbar und nicht so gut vertretbar – aber will man schnell und effizient lernen, muss man manches auch gelegentlich in Schubladen einteilen) klar getrennt wird und nicht 30 Minuten lang bei einer einfachen Frage gemeinsam und wohlmöglich noch mit Gesprächskerze nach der richtigen Antwort gefahndet wird.
Aus diesem Grund habe ich mich hier in Münster für Hemmer entschieden, wobei die Entscheidung nach ca. 5 Minuten Probehören bei Michael „Michi“ Sperl gefallen war. Dieser unterrichtet hier in Münster (und diversen anderen Städten) im Zivilrecht, das zumindest hier in NRW das mit Abstand examenswichtigste Rechtsgebiet ist. Ihn zeichnen insbesondere zwei Qualitäten aus: Er macht klare Ansagen und vermittelt sowohl für den Kurs als auch für den juristischen Inhalt eine Struktur, die ihresgleichen sucht. Ist hier eine Antwort „falsch“, so wird dies auch deutlich gesagt. Natürlich kann man sich persönlich dann Gedanken darüber machen, ob die Antwort nicht vielleicht doch zumindest „vertretbar“ war, aber das ist eine Frage, die man oft zunächst für sich selbst klären sollte, bevor man mit dieser Meinung eine Diskussion des ganzen Kurses einleitet. Damit einher geht natürlich ein gewisser Stil, der von manchen Teilnehmern sicher als „ruppig“ empfunden wird. Darüber sollte man sich vorher klar sein und sich fragen, ob einen das „runterzieht“ , motiviert oder einem bestenfalls egal ist und man das produktive Ergebnis dieser Art von Wissensvermittlung in den Vordergrund stellt. Ich persönlich mache Fehler dann nicht noch einmal, wenn man mir diese besonders deutlich vor Augen führt. Zudem bietet der Zivilrechts-Kurs bei Michael Sperl hier in Münster den Vorteil, dass er unglaublich gut komplizierte Zusammenhänge bis zum gerade noch zulässigen Maß vereinfachen kann. Dadurch treten Zusammenhänge und die dahinter stehenden Wertungen derart deutlich hervor, dass man sich manchmal schon fragt, warum man den entsprechenden Zusammenhang vorher noch nicht begriffen hatte. Auch die Kurse im öffentlichen und Strafrecht bei Hemmer hier in Münster kann ich empfehlen, wenn auch gewisse Schwächen in den Nebengebieten auftreten.
Vielfach hört man, das Niveau bei Hemmer sei hoch, bei Alpmann niedriger. Ich kenne genug Leute, die mit Hemmer ein schwaches und bei Alpmann ein unglaublich starkes Examen gemacht haben. Hier bleibt die Frage: Trotz oder wegen? Ich bewerte Niveau und Herangehensweise beider Repetitorien wie folgt, wobei die Frage hilft, was man im Examen wirklich braucht. Man stelle sich das ganze wie ein Thermometer mit einer Skala von 0 Grad bis 100 Grad vor. Im Examen verlangt wird eine „Zubereitungstemperatur“ zwischen 50 Grad und 70 Grad. Alpmann beginnt den Wohlfühl-Erwärmungsprozess bei etwa 10 Grad. Es geht langsam auf 20 Grad, und schließlich vielleicht bis auf 60 Grad. Es bleibt Luft nach oben, aber bis 50 Grad kann man dann wunderbar auf Examensniveau arbeiten. Hemmer fängt bei 40 Grad an und kocht schnell mal bis auf 70 Grad auf, um im weiteren Verlauf schließlich die gesamte Temperaturskala bis 100 Grad auszunutzen. Was fällt auf? Alpmann legt mehr Wert auf Basics, Hemmer kocht auch in Bereichen, bei denen der Nutzen im Examen marginal ist (es sei denn, man legt von Anfang an Wert darauf, statt 15 gerne 17 Punkte schreiben zu wollen). Was heißt das für die eigene Bewertung? Bei Alpmann muss mir klar sein, dass ich allein mit dieser Vorbereitung noch nicht heiß genug kochen kann. Ich muss also selbst drauflegen. Bei Hemmer muss mir hingegen klar sein, dass selbst im Examen meist nicht so heiß gegessen wie hier gekocht wird. Ich kann die dortige Vorbereitung also als Maßstab nehmen, sollte mich damit aber nicht unter Druck setzen (auch bei mir löste der Flugreisefall als allererster Fall in BGB-AT ein gewisses Unwohlsein aus). Den Hemmer-Spruch „wer auf 4 Punkte lernt, landet leicht bei 3“ fand ich immer ziemlichen Quatsch. Wer sich jedoch vom Niveau her auf 10 oder 11 Punkte vorbereitet, hat gute Chancen auch an einem mäßigen Tag bei 4 oder 5 Punkten zu landen. Dabei muss man allerdings natürlich die erwähnte kritische Distanz in besonderem Maße aufbringen: Bekannte schoben bereits nach 3 Wochen Hemmer Nachtschichten ein, weil sie meinten mit dem Stoff nicht mehr klarzukommen. Das ist natürlich Quatsch. Wer die Messlatte beim Lernen höher anlegt, darf sich natürlich von Misserfolgen nicht so schnell entmutigen lassen. Für die Unterlagen gilt: Die Alpmann-Unterlagen halte ich für die Klausuren teilweise zu untypisch aufbereitet. Nach Durchsicht der Unterlagen im Bau- und Kommunalrecht hätte ich danach keine Klausur schreiben können. Man sieht jedenfalls: Die Wahl des konkreten Reps ist sicher ortsbedingt und typabhängig.
II. Vorbereitungszeit: 1 oder 1,5 Jahre? Abschichten oder nicht?
Vielfach stellt sich die Frage gar nicht, hier in Münster ist sie – wie es in vielen „FFA-Städten“ der Fall sein dürfte – fast die Regel. Soll man sich 1 Jahr oder – wenn mit dem FFA-Freisemester möglich – 1,5 Jahre vorbereiten? Die Regel „was lange währt, wird endlich gut“ gilt hier nicht. Ich persönlich habe mich 1,5 Jahre vorbereitet, was allerdings daran lag, dass anfangs noch diverse andere Dinge parallel liefen. Die „Netto-Vorbereitungszeit“ würde ich auf etwa 12-13 Monate veranschlagen. Der Vorteil von 1,5 Jahren ist allerdings, dass das Rep in der Regel nach einem Jahr vorbei ist und man danach nochmal davon „unbelastet“ alleine an die Sache herangehen kann. Man muss sich aber jedenfalls – ich glaube es ist in einem Beitrag zur Schnelligkeit des Studiums schon angeklungen – klarmachen, dass einem das Vergessen irgendwann einen Strich durch die Rechnung macht. Man sollte meiner Erfahrung nach in mehreren Phasen planen. Eine Phase zum Verständnis des Stoffes mit Anfertigung von Zusammenfassungen (Karteikarten, Skripten, dazu gleich) und dann mehrere (!) Wiederholungsphasen. Diese sollte man im zur Verfügung stehenden Rahmen von Anfang an begrenzen. Beschränkungen auf gewisse Lernmaterialien sind von Vorteil. Jedenfalls sollte man wenn möglich versuchen, den Freischuss mitzunehmen.
Vom Abschichten halte ich persönlich nicht viel. Nach allem was ich mitbekommen habe, sind die Nachteile in anderen Bereichen zu gravierend. So motiviert man auch sein mag – hat man bspw. mit der abgeschichteten Strafrechtsklausur die erste „Hürde“ genommen, tritt erstmal ein gewisser Motivationsabfall ein und die Vorbereitung auf die nächsten Klausuren wird beeinträchtigt. Bis auf Leute mit wirklich eiserner Disziplin kommt hinzu, dass dann oftmals Probeklausuren mit der Ausrede „Ö-Recht schreibe ich nicht mit, ich schreibe ja nächsten Monat erstmal Strafrecht“ umschifft werden und dann in der Gesamtabrechnung das Quorum für die einzelnen Rechtsgebiete deutlich unterboten wird. Kurios finde ich es zudem immer, wenn bekannte „ich-mache-mich-gerne-mal-verrückt-Kandidaten“ vehement für das Abschichten eintreten. Gerade mit solch verfasster Psyche sollte man sich einmal den Genuss von drei kompletten Rechtsgebieten und einer verbleibenden Woche Vorbereitungszeit gönnen. Das Gefühl von „jetzt kann ich auch nicht mehr viel ändern“ kann dann auch etwas sehr Befreiendes haben. Stattdessen widmet sich dieser Typ von Examenskandidat noch am Wochenende vor der (einen einzigen) Strafrechtsklausur den gefühlten 17 Untermeinungen zur actio libera in causa, um schließlich am Montag in der Klausur mit der Prüfung fahrlässiger Sachbeschädigung (allerdings mit exzellenten Ausführungen zu den dogmatischen Grundlagen der Fahrlässigkeitstat) den Prüfer in nur sehr begrenzte Begeisterung zu versetzen.
Ich persönlich war außerdem froh, alles in „einem Abwasch“ erledigt zu haben. Man entwickelt eine unvorstellbar wertvolle Routine und auch eine gewisse Gleichgültigkeit, wenn man in 8 Tagen zu 6 Klausuren antreten darf. Die meisten mir bekannten Examenskandidaten, die in drei Schritten abgeschichtet haben, kamen stattdessen auch drei Mal in das Gefühl eines unglaublich flauen Magens vor der nun wieder „ersten“ Klausur.
III. Vorher klarmachen: Lerntechniken
Unterschätzt habe ich das Thema der Lerntechniken. Auch hier empfiehlt sich: Wer im Training den Elfmeter immer in die Mitte schießt, sollte bei der Examensvorbereitung nicht versuchen in den Winkel zu treffen. Nachdem im Rep wärmstens Karteikarten empfohlen wurden („Mehrstufen-System“), habe ich zunächst auch angefangen, Karteikarten zu schreiben. Für mich persönlich war das aber nichts. Strukturen kann ich mir auf DIN-A-4-Seiten besser skizzieren und mit dem Computer tippe ich um ein vielfaches schneller als ich mit der Hand schreiben kann. Wie schon im Grund- und Schwerpunktstudium habe ich deshalb recht schnell wieder angefangen, Skripte zu schreiben. Dies sollte jeder so halten, wie er es am besten kann. Viel bringt es aber, sich einmal über den eigenen Lerntyp Gedanken zu machen. Wer wie ich zu denjenigen gehört, die irgendwann einfach vor dem geistigen Auge „sehen“, wo dieses oder jenes auf der Seite oder der Karteikarte stand, sollten bei diesen Methoden bleiben. Nicht wenige Leute hören aber offenbar besser als sie sehen. Für diese sind sicher selbst besprochene MP3s (oder altmodisch Kassetten) durchaus eine Option. Ich habe das schließlich mit den (wenigen) Definitionen gemacht, die man trotz allem leider halbwegs auswendig wissen muss.
In den Wiederholungsphasen habe ich meine Skripten immer und immer wieder gelesen (ich konnte es am Ende nicht mehr sehen) und habe teilweise noch Kurzfassungen in Organigramm-Form handschriftlich angefertigt (z.B.: Norm -> verschiedene Tatbestandsmerkmale -> Zuordnung der verschiedenen Streitigkeiten unter den jeweiligen Begriff). Das hilft vor allem dabei, die Streitigkeiten nachher nicht im luftleeren Raum, sondern bei den jeweiligen Tatbestandsmerkmalen anzusetzen.
Bei meinen Skripten habe ich mich auf wenige „Basisprodukte“ beschränkt. Ich habe dabei die wesentlichen Probleme aus den Hemmer-Fallbüchern (ja, die kleinen, angeblich „für Anfangssemester“) und wo das zu knapp war aus den Hemmer-Skripten zusammengestellt. Nur wenn danach wirklich Lücken blieben, habe ich prägnante Lehrbücher (z.B. Plate, Florian Faust oder Loosschelders fürs Zivilrecht) hinzugezogen. Empfehlen kann ich fürs Ö-Recht zudem Gersdorf (Verwaltungsprozessrecht) und fürs Strafrecht die Klausurenkurse von Wessels/Beulke. Es klingt komisch und vielleicht wenig, aber ich denke das was man vorbereiten kann, hat man mit einem solchen recht übersichtlichen Programm abgedeckt. Ich habe mich immer köstlich amüsiert, wenn Leute mit dem MüKo-BGB oder dem Tröndle/Fischer gelernt haben. Das ist was zum Nachschlagen, aber garantiert nicht zum Lernen.
IV. Lernort und Work-Life-Balance: „Ich war heute wieder 12 Stunden in der Uni“
Typsache ist sicher auch, wo man lernen möchte. Vielen ist das „Wohlfühl-Feeling“ wichtig, wenn sie sich morgens im Jogger und mit dem Pott Kaffee und zwei Marmeladen-Brötchen an den Schreibtisch setzen. Für mich war eine strikte Trennung von Arbeit und Freizeit, auch in räumlicher Hinsicht, wichtig. Wenn ich zu Hause lerne, sind Ablenkungsmöglichkeiten groß und letztlich führt das dazu, dass der Lerntag nach hinten „ausfranst“ („na gut, ich gucke jetzt ein wenig fern und mache dafür nachher etwas länger“). Abends ist man dann meist unzufrieden, weil um 9 immer noch die Sachen auf dem Schreibtisch liegen und man nicht richtig abschalten kann. Außerdem verbindet man so die Atmosphäre zu Hause nicht mit einem „Lerngefühl“ sondern hat hier einen wirklichen Freizeitbereich. Ich bin deshalb in der Regel zwischen 8 und 9 in die Uni-Bib gefahren. Der Vorteil war, dass es der größte Teil des Freundeskreises auch so gemacht hat. Um halb 11 war dann die erste halbe Stunde Kaffeepause, danach wieder Lernzeit bis 1, Mittag bis 2 und dann nochmal bis etwa 5 Uhr mit nachmittäglicher Kaffeepause gelernt. Eine solche recht strikte und vielleicht „bürokratische“ Zeiteinteilung hat mir sehr geholfen, mich in den „Lernzeiten“ wirklich zu konzentrieren und voranzukommen. Ich habe mich dazu auch in einen wenig frequentierten Teil der Bib zurückgezogen. Vielfach wird das Lernen in der Uni als „meet and greet“-Veranstaltung missverstanden. Wer von 8 bis 20 Uhr in der Uni ist, davon aber von halb 9 bis halb 12 frühstücken, von halb 1 bis 3 Mittagessen und von 4 bis halb 7 Kaffeetrinken ist, belügt sich selbst.
Hinsichtlich der Freizeitgestaltung sollte auch klar sein: Die Examensvorbereitung ist ein Marathon. Als ich im Oktober 2006 mit dem Rep anfing und irgendwann Karten für Mario Barth geschenkt bekam (ein Mittwochabend unter der Woche), fragten mich Bekannte ernsthaft, ob ich denn da hingehen wolle – man sei ja nun schließlich im Rep. Es sollte klar sein, dass man die 1 oder 1,5 Jahre ohne entsprechendes Freizeitprogramm nicht durchhält. Wichtig ist es, weiter Abende mit Freunden zu verbringen, durchaus auch mal ein längeres Wochenende „abzuschalten“ und vor allem auch sportlichen Ausgleich zu suchen. Beim sportlichen Ausgleich gilt allerdings: Er gehört zur Freizeit. Bei McFit oder in anderen Studios beeindruckt es niemanden, wenn auf dem Crosstrainer oder auf der Ruderzugmaschine noch schnell ein paar Karteikarten durchgeschaut werden. Ich bin sonst ein hilfsbereiter Mensch, aber als dem Mädel neben mir einmal der Satz Alpmann-VwGO-Karten vom Ergometer fiel, durfte sie die auch schön alleine aufsammeln. Auch ist Rep keine urlaubsfreie Zeit. Ich war zwischendurch immer mal wieder für lange Wochenende Freunde (auch im Ausland) besuchen und war nach dem Rep nochmal richtig schön im Sommerurlaub, bevor ich in die letzte Vorbereitungsphase eingestiegen bin. Mit leerem Akku nützt auch der vollste Kopf nichts.
V. Probeklausuren: Mehr ist mehr
Gilt beim sonstigen Lernen generell eher „weniger ist mehr“, ist dies bei den Probeklausuren nicht so. Man kann hier keine konkreten Zahlen (20, 40, 70 oder vielleicht doch 90?) empfehlen, aber nichts übt den Umgang mit unbekannten Problemen so, wie das Klausurenschreiben. Es ist am Anfang sicherlich frustrierend und macht bis zu einem gewissen Punkt auch nicht sonderlich viel Sinn, insbesondere wenn man bestimmte Rechtsgebiete noch gar nicht (auch nicht im Studium) bearbeitet hat und sie im Rep noch nicht behandelt wurden. Wenn man sich 1,5 Jahre vorbereitet, sollte man aber so ab ca. einem halben Jahr ernsthaft mit dem Klausurenschreiben anfangen. Hier in Münster bietet sich dafür der Uniklausurenkurs an, der inzwischen wieder kostenfrei ist (bzw. über die Studiengebühren finanziert wird). Dort laufen in der Regel alte Examensklausuren, mit denen man einen Eindruck bekommt, was im Examen wirklich verlangt wird. Die Klausuren kommerzieller Anbieter sind dagegen oft darauf ausgelegt, bestimmte Probleme aus dem Kursprogramm abzuprüfen. Das sind oftmals Details, die niemals den Schwerpunkt einer richtigen Examensklausur bilden würden. Nachdem ich mich anfangs recht schwer mit dem Gefühl getan hatte, mit Halbwissen angefertigte Klausuren abzugeben, bin ich in der Endphase dann doch noch recht intensiv in das Klausurenschreiben eingestiegen und bin am Ende auf etwa 70-80 Klausuren gekommen. Soviel müssen es nicht sein, aber ich denke schaden kann es nicht. Ich habe in fast allen (richtigen) Examensklausuren mir völlig unbekannte Konstellationen bekommen und teilweise Normen geprüft, die ich zuvor noch nie gelesen hatte. Ich denke, das ist mir mit der Erfahrung, schon ein paar Mal zunächst ohne jede Ahnung vor Sachverhalten gesessen zu haben, deutlich leichter gefallen.
VI. Die „Endphase“ und die Klausuren selbst
In der letzten Phase vor den Klausuren (3-4 Wochen) sollte man sich notfalls auch selbst belügen. Sicherlich, wenn man ein Rechtsgebiet noch überhaupt nicht bearbeitet hat, sollte man dies schleunigst nachholen. Mehr Sicherheit gibt es aber, in dieser Zeit – neben der Aufarbeitung von aktueller Rechtsprechung – die zuvor angefertigten Lernmaterialien immer und immer wieder zu wiederholen. Das hat zwei Vorteile: Zum einen verschafft man sich selbst eine gewisse Sicherheit und das gute Gefühl, den Stoff „drauf zu haben“, statt sich vor Augen zu führen, was man alles (vermeintlich) nicht kann oder weiß. Zum anderen ist gerade der routinierte Umgang mit den „Basics“ Gold wert. Man sollte sich immer vor Augen führen, dass für eine ordentliche Examensklausur in der Regel kein „Jura am Hochreck“ sondern eine solide Fallbearbeitung verlangt wird. Gerade bei den Nebengebieten kann man so mit solidem Grundlagenwissen sehr ordentliche Punktzahlen erzielen.
Bei den Klausuren selbst sollte man dann die Entspannung in den Vordergrund stellen. In der Regel bringt es recht wenig, am Abend vorher nochmal irgendetwas anzusehen. Wenn man das macht, sollte man sich hier ggf. sogar gezielt Bereiche vornehmen, die zu den eigenen „Lieblingsgebieten“ gehören. Das gibt eine gewisse Sicherheit und ein Gefühl des „gut vorbereitet“-Seins. Die Wahrscheinlichkeit – anders als früher in der Schule – sich zufällig am Abend vorher nochmal den einen oder anderen „Problembereich“ anzugucken, der dann am nächsten Tag „abgefragt“ wird, ist so gering, dass es die Verunsicherung nicht wert ist.
Meine Klausuren haben an einem Montag angefangen. Ich habe das Wochenende vorher komplett frei gemacht und bin Sonntagabend schön mit Freunden etwas Essen und Trinken gegangen. Man sollte sich sicher nicht die „Kante geben“, aber ein Bierchen kann den geruhsamen Schlaf schon fördern. Auch zwischen den Klausuren sollte man nicht mehr allzu viel machen. Zwischen Zivilrecht und Strafrecht war ein Tag Pause, da habe ich mir dann schon nochmal ein paar Sachen angeguckt, aber das dient auch eher der Gewissensberuhigung als dass man noch irgendwelche Dinge „endlich verstehen“ würde.
VII. Vorbereitung auf die mündliche Prüfung und mündliche Prüfung selbst
Zur Vorbereitung auf die mündliche Prüfung empfiehlt sich wirklich eine Arbeitsgemeinschaft, sofern man sie bisher nicht hatte. Wir haben das mit 4-5 Personen durchgezogen. Als Material hatten wir zwei „Vortragsbücher“. Das erste (von Pagenkopf/Rosenthal/Rosenthal) kann ich nicht wirklich empfehlen. Ich habe damals eine 15-seitige Fehlerliste an den Autor geschickt und als Dank zwei Exemplare der gleichen Autoren für den Aktenvortrag im zweiten Examen erhalten… Eine Neuauflage des Buches aus dem Boorberg-Verlag ist allerdings bis heute nicht erschienen. Die Mängel waren recht gravierend („der untaugliche Versuch ist nicht strafbar“) und auch vom Stil her sollte man sich so manches dort erwähnte besser verkneifen („ich freue mich, ihnen heute einen besonders spannenden Fall aus dem Bereich des Gesellschaftsrechts vorstellen zu können“; „ich bedaure, dass meine Redezeit nun schon um ist“). Recht gut waren die kleinen Bücher aus der Beck-Reihe. Dort gibt es für jedes Rechtsgebiet ein Buch mit ca. 10-15 Vorträgen, die vom Niveau und der Falllösungstechnik zu empfehlen sind. Wir haben dann immer zu Beginn der Privat-AG einen Fall für jeden Teilnehmer ausgelost, der dann in der üblichen Vorbereitungszeit vorbereitet wurde. Danach haben wir die Vorträge nacheinander gehalten und bewertet. Auch hier bringt – auch das wurde in anderen Beiträgen schon angesprochen – Schönfärberei wenig. In mühevoller Kleinarbeit haben wir durch ständige Kritik z.B. einer Kommilitonin das „ähm“ abgewöhnt und auch (pingelig!) kleinere fachliche Ungenauigkeiten immer ganz genau angesprochen. Mit „das war schon ganz gut“ ist auch hier keinem geholfen. Beachtet auch hier: Systematik ist alles! In meinem Vortrag (Deliktsrecht) wurde lobend erwähnt, dass ich als einziger Kandidat der Reihe nach richtig und sauber getrennt zwischen den verschiedenen Haftungstypen (Haftung ohne Verschulden / Haftung aus vermutetem Verschulden / Haftung aus nachgewiesenem Verschulden) geprüft hatte. Sowas zeigt, dass man hier Grundlagen begriffen hat und macht mehr Eindruck, als wenn man 7 weitgehend überflüssige Kausalitätstheorien vorstellt, die nachher eh alle zum gleichen Ergebnis führen.
Fachlich sollte man sich an den normalen Prüfungsstoff halten, allerdings etwas mehr in „Frage-Antwort-Form“ übergehen. Dazu kann man entweder wieder eine „Abfrage-AG“ bilden oder – wenn man das wie ich bisher nicht gemacht hat – zum „Karteikarten-Lernen“ übergehen. Ich fand die Hemmer-Shorties sehr gut. Damit wurde man anfangs zwar belächelt, aber auch damit kann man noch Neues Lernen und es ist motivierend, wenn man in kürzerer Zeit mal 100 Karteikarten am Stück „durchhauen“ kann. Muss man sich wie ich im Sommer vorbereiten, sind die Shorties auch eine gute Alternative, nun doch mal die Grenzen zwischen Frei – und Lernzeit zu verwischen und z.B. am Kanal oder im Freibad wenigstens ein bisschen was fürs Gewissen zu tun.
Empfehlen würde ich zudem, bei einer mündlichen Prüfung zuzuöhren. Die Atmosphäre ist dann bekannt und nicht mehr ungewohnt. Man wird zudem feststellen, dass nichts Übermenschliches verlangt wird und die Prüfer (Ausnahmen bestätigen die Regel) meist wohlwollend sind. Ihr werdet dabei auch folgendes feststellen: Natürlich gilt das viel propagierte „ranquatschen“ – man muss antworten, auch wenn man zunächst vielleicht nicht genau weiß, worauf der Prüfer hinauswill. Allerdings bedeutet „ran“-quatschen auch: Irgendwann muss man beim Thema sein und die Frage beantworten. Nichts nervt Prüfer mehr, als wenn auf eine konkrete Frage dann ewige allgemeine Ausführungen folgen.
Richtig effektiv gestaltet sich die Vorbereitung wohl meist erst dann, wenn man die Protokolle in der Hand hält (hier in NRW 3 Wochen vorher). Diese sollte man auch durchaus ernst nehmen. Ich hatte bspw. Prüfung bei einem Notar, von dem es bisher erst zwei Protokolle gab. Das ist nicht viel, aber man kann auch hieraus Tendenzen erkennen. Er hatte bisher Erbrecht und Grundstücksrecht geprüft, also typische „Notargebiete“. Man sollte sich dann generell mal überlegen, was einem im Zusammenhang mit einem Notar so einfällt und was sich daraus für Fragen ergeben, die allgemein zivilrechtlicher Natur sind (Zweck der Formerfordernisse? Unterschied Beglaubigung / Beurkundung? etc.) und welche Rechtsgebiete so generell wohl in Frage kommen. Auf diesen sollte man dann auch aktuelle Entwicklungen drauf haben. Wie in meiner Prüfung zwei Leute wenig bis keine Ahnung vom Grundschuldrecht haben konnten und auch vom Risikobegrenzungsgesetz (damals aktuell) und den damit einhergehenden Änderungen noch nichts gehört hatten, ist mir unerklärlich. Es gilt hier einfach: Man muss nicht „viel“ machen, aber einfach mal drüber nachdenken was das „richtige“ ist, was man machen kann. Genauso verhielt es sich mit unserem Vorsitzenden: Er war (nebenbei) Vorsteher einer jüdischen Gemeinde und prüfte gerne Religions- und Meinungsfreiheit. Selbstverständlich ist man dann darauf verstärkt vorbereitet und steht nicht (wie wiederum die gleichen zwei Kandidaten)mehr oder weniger völlig auf dem Schlauch, wenn die Frage nach Herrn Lüth und dem Film „Jud Süß“ kommt.
Guckt euch außerdem – auch darauf wurde schon hingewiesen – aktuelle Forschungsprojekte von Profs an, wenn ihr diese als Prüfer habt. Das hat z.B. mein ehemaliger Chef hier in Münster als Standard erwartet und konnte es nicht begreifen, wenn dann auf diesem Gebiet völlige Ahnungslosigkeit herrschte. Er erwartete dann keine vertieften Kenntnisse, sondern einfach nur dass man z.B. mal seinen letzten Aufsatz gelesen hatte.
Ich hoffe, mit meinen Eindrücken aus der Examensvorbereitung an dem ein oder anderen Punkt eine Hilfestellung gegeben zu haben. Es ist ein Erfahrungsbericht, so dass ich hier natürlich auch Geschmacksfragen und persönliche Einschätzungen wiedergebe.
Fragen, Lob und Kritik sind jederzeit willkommen an fabianroesner [at] gmx punkt de.

20.07.2010/10 Kommentare/von Gastautor
https://www.juraexamen.info/wp-content/uploads/2022/05/je_logo.svg 0 0 Gastautor https://www.juraexamen.info/wp-content/uploads/2022/05/je_logo.svg Gastautor2010-07-20 08:57:522010-07-20 08:57:52Gastbeitrag: “Examensbericht” – Erfahrungsbericht zur Examensvorbereitung und zum 1. Staatsexamen
Gastautor

Gastbeitrag: Examensreport

Examensreport

Alexa aus Bonn schrieb mir per email:

Für NRW kann man auf http://al-online.de sowohl die Klausuren für’s 1. als auch für’s 2.StEx runterladen – ab 2006 (2.StEx nur 2008)!
Nicht immer sind alle Klausuren dabei und manchmal auch verkürzt. Denn es sind die Kursteilnehmer, die Herrn Langels zusammenfassen, was lief.
(Das Repetitorium selbst kann ich nicht empfehlen, aber der Klausurenservice ist gut!)

Der Service von AL-Online ist fürwahr nicht schlecht. Da zudem im Rahmen der mündlichen Prüfung häufig Originalsachverhalte aus Examensklausuren abgeprüft werden, lohnt es sich auch deshalb, sich die Sachverhalte ab und an anzuschauen.

07.05.2010/0 Kommentare/von Gastautor
https://www.juraexamen.info/wp-content/uploads/2022/05/je_logo.svg 0 0 Gastautor https://www.juraexamen.info/wp-content/uploads/2022/05/je_logo.svg Gastautor2010-05-07 10:21:552010-05-07 10:21:55Gastbeitrag: Examensreport
Gastautor

Gastbeitrag: Das Referendariat – ein persönliches Fazit

Referendariat, Schon gelesen?

Wir freuen uns, Euch heute einen Erfahrungsbericht von Dr. Arne Kießling über sein Referendariat posten zu können. Wir hoffen, dass Ihr einige wertvolle Tipps für Euer Referendariat mitnehmen könnt.
Hallo liebe Kollegen,
mein Name ist Arne Kießling, ich habe in Münster studiert und in Düsseldorf nach dem ersten Staatsexamen promoviert. Danach bin ich zum Oberlandesgericht Düsseldorf gewechselt und dem Landgericht Düsseldorf zugewiesen worden. Dieser Beitrag ist in der vorletzten Woche meiner Wahlstation fertiggestellt worden, als ich schon meine Vornoten hatte und „nur“ noch die mündliche Prüfung mich vom Berufseinstieg trennte.
Ich habe diesen Bericht aus zwei Gründen gerne geschrieben: Zum ersten soll dieser Beitrag ein bißchen helfen vielleicht ungeklärte Fragen und Unsicherheiten im Hinblick auf das Referendariat zu klären. Zum anderen würde ich gerne ein Bewusstsein dafür wecken, dass das Referendariat trotz aller Hürden eine tolle Zeit werden kann, wenn man sorgfältig plant und sich um gute Stationen kümmert. Der Beitrag ist chronologisch aufgebaut und orientiert sich direkt am Ablauf des Referendariats in Nordrhein-Westfalen.
Vorab möchte ich sagen, dass meine Schilderung hier auf ganz persönlichen Erfahrungen beruht und meine persönliche Meinung wiedergibt. Auch mag es Unterschiede zu den Justizausbildungsordnungen (JAOen) anderer Bundesländer geben, ich selbst kann nur die Situation in Nordrhein-Westfalen beschreiben.
Vorbereitung
Die Arbeit für das Referendariat geht schon einige Monate vor dem offiziellen „Dienstantritt“ los. So bieten die verschiedenen Oberlandesgerichte in NRW Formblätter an um sich bei dem jeweiligen OLG zu bewerben. Das Ausfüllen ist manchmal etwas mühsam, aber im Großen und Ganzen selbsterklärend. Letzte Hilfe bieten auch immer die Referendariatsbüros bei den OLG, die, im Fall des OLG Düsseldorf – wie man hört offenbar eine positive Ausnahme – sehr hilfsbereit und freundlich sind. Hat man sich also einmal einen OLG-Bezirk ausgewählt (man kann sich aber „inoffiziell“ bei mehreren OLG bewerben), kann man auf den Formblättern außerdem noch angeben, welchem Landgericht man zugeteilt werden möchte. Regelmäßig gibt es Favoriten (so z.B. das OLG-Bezirk Düsseldorf, das LG Düsseldorf) oder weniger bevorzugte Orte (z.B. das LG Kleve, was aber wohl allein an der räumlichen Distanz zu größeren Städten liegt). In welcher Weise die OLG die Referendare den Landgerichten zuteilen, ist wohl immer noch ein Geheimnis. Es gibt zwar verschiedene Gerüchte dazu, aber bestätigt ist nichts. Gute Chancen hat man jedenfalls, wenn man bereits einen Wohnsitz in dem gewünschten Landgerichtsbezirk hat und bestenfalls noch eine gute Note im Ersten Staatsexamen.
Unbedingt sollte man sich aber – und das gilt für den gesamten Rest des Referendariats – frühzeitig bewerben und sich ausreichend informieren. So gibt es beispielsweise bestimmte Monate, in denen die OLG keine Referendare an bestimmte Landgerichte zuweisen. Die entsprechende Liste gibt es auf der Internetseite des OLG Düsseldorf. Ich selber habe mich knapp acht Monate vor dem geplanten Beginn meines Referendariats beworben. Ich bin mir bewusst, dass so eine frühzeitige Planung nur dann möglich ist, wenn man nach dem Ersten Staatsexamen einen zeitlichen Spielraum hat, sei es durch eine Promotion oder einen LL.M.-Studiengang. Dennoch gilt: je früher, desto besser, insbesondere um nicht auf die Nachrückerliste und dann gegebenenfalls an den unbeliebtesten Ort des Bezirks (erwähnte ich Kleve?) zu kommen.
Auch wenn man viel darüber hört, empfehle ich, sich nicht fachlich auf das Referendariat vorzubereiten. Die Zeit wird noch stressig genug, eine Wiederholung von forderungsentkleideter Hypothek oder dem Erlaubnistatbestandsirrtum bringt nichts. Auch das Durcharbeiten verschiedener Bücher zum Referendariat ist meines Erachtens überflüssig.
Wenn man dann einmal die Zusage „seines“ Oberlandesgerichts mit der Zuteilung zu einem bestimmten LG hat, kann es weitergehen. Nun stellt sich nämlich meines Erachtens die von vielen Referendaren zu selten gestellte Frage, wo man mit dem Referendariat (außer natürlich zum Zweiten Staatsexamen) eigentlich hin will: Hat man schon einen festen Berufswunsch (Richter, Staatsanwalt, öffentlicher Dienst, Einzelanwalt oder Anwalt in einer Großkanzlei), kann man sein Referendariat bereits frühzeitig danach ausrichten. Gleiches gilt, wenn man noch nicht genau weiß, was man machen möchte, aber ein bestimmtes Rechtsgebiet verfolgen will. Ich halte es für äußerst wichtig, frühzeitig Ziele für sich zu formulieren und diese zu verfolgen um beispielsweise Spezialisierungen erkennen zu lassen. Wenn man noch gar keine Vorstellung von dem hat, was man eigentlich machen will, kann man umgekehrt das Referendariat sehr breit streuen um möglichst viele Erfahrungen zu sammeln.
Hat man aber etwa schon eine Vorstellung, kann man bereits vor Beginn des Referendariats aktiv werden: Die erste Station ist die sog. Gerichtsstation. Will man später also z.B. ein bestimmtes Rechtsgebiet beackern, kann man dies schon bei Gericht tun: Viele Landgerichte haben Kammern mit Spezialzuständigkeiten, so z.B. die Kammer für Handelssachen für Handels- und Gesellschaftsrecht, Patentkammern für das Recht des geistigen Eigentums usw. Will man z.B. aber später als Einzelanwalt tätig sein, bietet sich immer eine Station bei einem Amtsgericht an, da dort regelmäßig Miet-, Verkehrsunfall und Kaufrecht verhandelt werden. Eine gezielte Bewerbung beim OLG wird immer gerne gesehen und – soweit ich weiß – eigentlich immer berücksichtigt. Ich habe mich nach Erhalt meiner Zuteilung zum LG Düsseldorf bei der Kammer für Handelssachen beworben und diese Entscheidung nie bereut. Insgesamt lässt sich sagen, dass man bei den Amtsgerichten eher examensrelevante Aufgaben hat, weil man deutlich mehr Urteile und Relationsgutachten schreibt als bei den LG. Insgesamt spricht aber auch nichts dagegen, einfach den Zufall entscheiden zu lassen und gar keine Bewerbung vorzunehmen. Viele Leute haben dadurch Gefallen an Rechtsgebieten gefunden, bei denen sie es vor der Station kaum für möglich gehalten hätten.
Erste Station – Zivilstation
Die Zivilstation beginnt allerdings nicht mit richterlichen Aufgaben. Vielmehr gibt es zunächst einen Einführungsmonat. In diesen ersten vier Wochen des Referendariats finden wochentags Unterrichtseinheiten im Rahmen der Arbeitsgemeinschaft (AG) statt, die bis zum Ende des Referendariats zusammenbleiben wird. Diese werden überwiegend von demjenigen AG-Leiter gehalten, der für die AG während der Zivilstation verantwortlich ist. An einigen Tagen übernehmen aber auch andere Dozenten und führen in bestimmte Mandate ein, so z.B. ins Erb- und Familienrecht, das Arbeitsrecht oder das Handels- und Gesellschaftsrecht. Der erste Monat ist in fachlicher Hinsicht nicht unwichtig, weil man zumindest von dem verantwortlichen AG-Leiter die ersten Schritte im Hinblick auf das Abfassen von Urteilen, die Relationstechnik und die ersten Tiefen des Zivilprozessrechts erklärt bekommt. Ich persönlich hatte sehr viel Glück mit meinem AG-Leiter, der ein erfahrener Vorsitzender Richter am Landgericht war und nicht nur in fachlicher, sondern auch in persönlicher Hinsicht unglaublich kompetent war.
Was die AG selbst angeht, scheint die Meinung unter den Referendaren gespalten zu sein. Richtig ist sicherlich, dass man grundsätzlich bei jeder Gruppe ein oder zwei wohl unvermeidbare Idioten und sonst die ganze Bandbreite an Charakteren dabei hat. Ich hatte allerdings auch hier großes Glück, so dass jedenfalls die ersten Monate des Referendariats von viel Spaß und Feiereien geprägt waren. Wichtig ist meines Erachtens zu versuchen, die AG am Anfang so gut wie möglich als Gruppe zusammenzuhalten, damit sich die unvermeidbare Grüppchenbildung so lange wie möglich hinauszieht. Außerdem kann ich nur empfehlen, so früh wie möglich mit ein paar aktiveren Kollegen aus der AG die Planung der Kursfahrt anzustoßen. Wir selbst waren in Budapest und haben dort fünf Tage praktisch durchgefeiert. Daneben hat man zwar auf der Kursfahrt jeden Tag eine offiziellen und möglichst juristischen Programmpunkt nachzuweisen, um die Reise als Dienstfahrt qualifizieren zu können und damit Sonderurlaub zu bekommen; wie auch sonst beim Referendariat gilt auch hier: Wenn man sich etwas bemüht, kann man auch aus dieser Pflicht noch interessante und erinnerungswerte Erlebnisse machen (das ist uns, zugegebenermaßen, auch nur teilweise gelungen). Zusammenfassend gilt für die AG meines Erachtens, dass jeder Teilnehmer sich eigentlich anstrengen müsste, etwas für die Organisation der Gruppe zu tun; das wird aber – auch das zeigt die Erfahrung – nicht passieren. Insofern sollten sich frühzeitig ein paar aktive Teilnehmer zusammentun um diesen Part zu übernehmen. Je mehr man selbst die AG-Zeit aktiv gestaltet, desto besser.
Nach vier Wochen Einführungslehrgang beginnt dann der echte Teil der Zivilstation. Ich habe nach den vier Wochen das erste Mal meinen Richter getroffen. Wir haben uns dann dahingehend abgesprochen, dass ich einmal in der Woche bei ihm vorbeikomme und mir eine neue Akte abhole, zu der er mir dann jeweils eine Aufgabe stellt. Ich hatte im Vergleich zu meinen AG-Kollegen wahrscheinlich durchschnittlich viel zu tun, kann aber sagen, dass bei einem AG-Tag pro Woche und in meinem Fall einem Arbeitstag in einer Großkanzlei nicht ganz viel Freizeit übrig blieb, insbesondere, weil ich anfangs versucht habe, mindestens einen vollen Tag in der Woche zu lernen. Mein Tipp dazu: Auch wenn jeder ein unterschiedlicher Lerntyp ist, macht es meines Erachtens keinen großen Sinn, das materielle Recht vertieft zu wiederholen. Zwar wird sich man kurz vor den Examensklausuren ärgern, nicht früher mit dem Lernen angefangen zu haben (das geht jedem so), übermäßiger Stress ist aber dem Ziel eher abträglich. Wichtig ist vielmehr den neuen (prozessrechtlichen) Stoff zu durchdenken und vielleicht dazu schon in ein paar Lehrbüchern den neu erlernten Stoff nachzulesen. Bei dieser Nachbereitung bieten sich meines Erachtens auch besser die einschlägigen Skripte an als sich durch dicke Bücher zu wühlen.
Schon in der Zivilstation schreibt man die ersten Übungsklausuren, die das bis dorthin unterrichtete abprüfen sollen. Viel wichtiger als die Klausuren sind aber die Aktenvorträge. Mancher AG-Leiter stellt das Halten von Aktenvorträgen zur Disposition der AG, andere verpflichten die Referendare dazu. Ich kann – obwohl ich es selbst nicht gemacht habe – nur dazu raten, unbedingt so viele Aktenvorträge wie möglich und das schon so früh wie möglich zu machen um ein Gefühl davor zu kriegen. Natürlich ist man immer aufgeregt, wenn man zehn Minuten vor den AG-Kollegen einen Fall referieren und lösen soll. Aber alles, was man in den ersten Arbeitsgemeinschaften macht, stärkt für den „Ernstfall“ Examen.
Die Arbeit beim Richter selber war für mich eher unspektakulär. So hat man praktisch jede Woche ein Urteil, ein Gutachten oder einen Beweisbeschluss geschrieben. Ansonsten ist auch nicht viel mehr passiert. An der Kammer für Handelssachen konnte ich Aufgaben aus Bereichen bearbeiten, die mich auch in der Sache interessierten. Ein paar meiner Kollegen hatten etwas Pech und durften sich vier Monate lang mit Transport- oder Versicherungsrecht herumschlagen, was wohl nicht nur eine gewisse Phase der Einarbeitung erforderte, sondern auch stinklangweilig war. Überraschend stark ausgelastet waren regelmäßig diejenigen Kollegen, die den Amtsgerichten zugewiesen waren, weil dort einfach ein Vielfaches an Verfahren durchgeboxt wird. Dies ist, wie ich oben bereits andeutete, auch im Hinblick auf das Examen nicht zu unterschätzen. So hat eine Kollegin beim Amtsgericht viel gewerbliches Mietrecht gemacht, was ihr dann in einer unserer Examensklausuren einen erheblichen Vorteil gebracht hat.
Wenn man einen halbwegs beweglichen Richter hat, hat man oft als Referendar die Möglichkeit am Ende der Station selbst eine mündliche Verhandlung oder zumindest eine Beweisaufnahme zu leiten. Auch hier gilt: Am Anfang ist man wahrscheinlich aufgrund der ungewohnten Situation aufgeregt. Derartige Möglichkeiten, ins kalte Wasser zu springen, sollte man aber unbedingt wahrnehmen. Wann bekommt man in seinem Leben noch mal die Möglichkeit so etwas zu tun (außer natürlich man wird Richter)?
Daneben empfehle ich auch ausdrücklich, so früh wie möglich eine Privat-AG zu etablieren um vielleicht schon mal Aktenvorträge zu üben und – so haben wir es gemacht – materielles Recht zu wiederholen. Wenn man es schafft, diese Treffen nicht vollständig zur gemütlichen Kaffeerunde verkommen zu lassen, sind sie sicher eine mehr als sinnvolle Ergänzung und angenehme Art zu lernen. Wir haben damit allerdings in der Anwaltstation wieder aufgehört, weil insbesondere mit dem Rep kein Tag frei war, an dem wir alle ausreichend Zeit gehabt hätten. Es hat aber grundsätzlich Sinn, die Privat-AG solange wie möglich aufrecht zu erhalten.
Zweite Station – Strafstation
Um kaum eine Station ranken sich dermaßen viele Gerüchte wie um die Station bei der Staatsanwaltschaft (StA). Zwei Dinge vorab: Erstens ist es nicht gesichert, dass bei der StA genügend Platz ist. So mussten vier unserer AG-Teilnehmer zum Strafrichter, hatten aber allesamt dort eine sehr gute Zeit und haben viel gelernt. Auch hier ist die Station beim Richter im Hinblick auf das Examen nicht ganz schlecht, weil man im Examen kalt von einem Strafurteil erwischt werden kann und dieses in der Strafrechts-AG mit keinem Wort und später in der Fortgeschrittenen-AG auch eher stiefmütterlich behandelt wird. Zweitens gilt hier wie bei kaum einer anderen Station: Initiative zahlt sich immer aus. So hatten sich einige meiner Kollegen schon im Voraus bei einem Staatsanwalt beworben, der ein bestimmtes Gebiet (z.B. Kapitalstraftaten) behandelt hat. Nimmt man eine solche Bewerbung vor, fordert der betreffende Staatsanwalt den Referendar üblicherweise an, so dass man gute Chancen hat, dass die Bewerbung erfolgreich ist. Außerdem trägt die Initiative schon deswegen oft Früchte, weil man in der Strafstation die Gelegenheit hat, an Obduktionen teilzunehmen und eine Streifenwagenfahrt während einer Einsatznacht zu machen (s. dazu noch unten).
Die Strafstation beginnt mit einer Woche Einführungslehrgang, der sich, abgesehen von dem unterrichteten Stoff, kaum von der Zivil-AG unterscheidet. Für den Rest der Station hat man üblicherweise einmal in der Woche eine AG-Stunde und schreibt auch hier relativ regelmäßig Übungsklausuren.
Ist man nicht einem Richter zugeteilt worden, beginnt der Dienst bei der StA damit, dass man sich bei seinem Staatsanwalt vorstellt. Dann geht es aber auch schon los. Üblicherweise beginnt mit der dritten Woche die sog. Sitzungsvertretung, was bedeutet, dass der Referendar bei einem Amtsgericht als Vertreter der Staatsanwaltschaft auftritt. Bei kaum einer anderen Station wird man derart schnell und unvorbereitet ins kalte Wasser geworfen. Ich selbst war beim ersten Mal doch etwas nervös, weil neben der Verlesung des Anklagesatzes von dem Referendar erwartet wird, sachdienliche Fragen an Zeugen und den Angeklagten zu stellen und – davor graust es den meisten Referendaren – am Schluss der mündlichen Verhandlung ein Plädoyer in freier Rede zu halten, inklusive Stellen eines Antrages; letzteres schließt ein, vorher die Höhe der geforderten Tagessätze zu berechnen und – bei Tatmehrheit – eine (nachträgliche) Gesamtstrafe bilden zu können. Das klingt im ersten Moment erschreckend. Ich habe die Erfahrung gemacht, dass es zu einer tollen Station werden kann, wenn man diese Herausforderung annimmt. Nach dem dritten oder vierten Mal hat es mir richtig Spaß gemacht und ich habe mich um weiteren Sitzungsdienst bemüht, auch, weil man dann nicht so viele Gutachten oder Strafbefehle für den Staatsanwalt schreiben muss. Wahrscheinlich ist es eine Typfrage, ob man sich bei den Plädoyers wohlfühlt oder lieber schriftliche Arbeiten anfertigt. Ich kann aber nur dazu raten, die Station als Chance zu sehen und alles mitzunehmen, was man kann. Meines Erachtens sind die Richter im Regelfall auch freundlich und hilfsbereit, soweit man ihnen einerseits mit dem nötigen Selbstbewusstsein, andererseits zurückhaltend und verbindlich gegenübertritt. Und auch, wenn man Sitzungsdienst bei Richtern hat, die im Referendarskreis als unfreundlich gelten oder die angeblich keine Referendare leiden können, kann man dies als Chance sehen sich behaupten zu können. In der Zusammenarbeit mit der Jugendgerichtshilfe, Sachverständigen und Verteidigern kann man viel lernen; wichtig ist, die Angeklagten zu jedem Zeitpunkt mit dem nötigen Respekt zu behandeln, da die meisten Angeklagten oft in einer für sie extrem unerfreulichen Lage und daher vor Gericht auch oftmals äußerst nervös sind, was sich – abhängig von den verschiedenen Charakteren – in Gefühlsausbrüchen der einen oder der anderen Art äußern kann.
Zu den Highlights meiner Station gehörte neben dem Sitzungsdienst die Obduktion. Wir haben uns in der AG um einen solchen Termin bei dem rechtsmedizinischen Institut der Universität Düsseldorf bemüht, dessen Mitarbeiter sehr hilfsbereit und freundlich waren. In Düsseldorf werden regelmäßig vor oder nach der eigentlichen Obduktion Vorträge gehalten, in unserem Fall zu der Wirkungsweise und den Auswirkungen von legalen und illegalen Drogen und zur Exhumierung von Behandlung von Leichen in Kriegs- oder Katastrophengebieten. Um es vorweg zu nehmen: Die Obduktion ist sicher nicht etwas für jeden. Unsere AG war mit knapp zwanzig Leuten vertreten, wovon ein Großteil bei der Obduktion vollständig anwesend war. Ich persönlich fand es zwar schockierend, aber sehr interessant, kann allerdings nur sehr empfehlen, sich ein Duftwasser oder Wick Vaporub mitzunehmen und gegen den Geruch unter die Nase zu schmieren. Bei der Obduktion hat man jederzeit die Möglichkeit den Raum zu verlassen und direkt an der frischen Luft zu sein, was für alle Teilnehmer beruhigend war. Ich kann nur empfehlen eine Obduktion mitzumachen, wann hat man sonst mal wieder die Chance dazu?
Außerdem hatten wir noch die Gelegenheit, Polizisten eine Nachtschicht lang zu begleiten. Die Staatsanwaltschaft Düsseldorf teilt die Referendare zu, wenn sie Interesse an einer Streifenfahrt bekunden. Üblicherweise findet sie in der Nacht von Freitag auf Samstag zwischen 22.00 Uhr und 6.00 Uhr statt. In meinem Fall hatten wir viel Spaß während der Fahrt, weil ich zwei junge und lustige Kollegen erwischt hatte, die Fahrt war aber überwiegend ruhig. Wir hatten einen Einbruch, drei Ruhestörungen und zwei Schlägereien, aber nichts Besonderes dabei. Bei ein paar meiner Kollegen ist mehr passiert, grundsätzlich ist es aber wohl empfehlenswert, die Polizeibezirke in den Innenstädten zu bekommen, wobei man auf die Wahl nur sehr begrenzten Einfluss hat.
Schließlich bieten einige Staatsanwaltschaften noch den sog. Trinkversuch an, bei dem an einem frühen Abend bis spät in die Nacht unter Aufsicht Alkohol getrunken wird und sich die Referendare vorher bereit erklären, in regelmäßigen Abständen ihren Blutalkoholwert messen zu lassen. Die Schlussfolgerung, dass dieser Abend zu einer Flatrate-Party wird, liegt nahe und tritt wohl auch regelmäßig ein. Trotz – natürlich – großen Interesses unsererseits haben wir es nicht geschafft einen solchen Abend zu organisieren. Ich wünsche allen Nachfolgern mehr Glück, es werden extrem lustige Geschichten von solchen Abenden berichtet.
Zusammenfassend gilt auch für die Strafstation: Lasst Euch nicht treiben, sondern nehmt die Sachen selbst in die Hand. Gerade die Strafstation lebt von der eigenen Initiative, die sich deshalb lohnt, weil man hier Gelegenheiten bekommt, die sich im Zweifel nicht wiederholen lassen – außer natürlich, man wird Staatsanwalt, aber naja.
Dritte Station – Verwaltungsstation
Meine Erfahrungen aus der Verwaltungsstation sind denkbar ungeeignet um sie verallgemeinern zu können. Grundsätzlich läuft die Station ab wie die Strafstation: Sie geht über einen Zeitraum von drei Monaten, man hat einmal die Woche AG und schreibt zwischendurch ein paar Klausuren. Erstmalig soll man sich seinen Ausbilder und damit die Institution, in der man arbeiten will, praktisch völlig frei aussuchen. Wenn man eine Bewerbung aus irgendeinem Grund verpasst, wird man vom OLG zu einer Stelle zugewiesen. Dass dies nicht immer die spektuakulärsten Aufgabenbereiche sein werden, erklärt sich von selbst. In NRW muss es aber eine Behörde oder vergleichbare Institution innerhalb Nordrhein-Westfalens, eine Bundesbehörde im Bundesgebiet oder eine vergleichbare Behörde im Ausland sein. Es empfiehlt sich dringend, spätestens in der Mitte der Zivilstation die Bewerbungen für die Verwaltungsstation abzuschicken, weil gerade innerhalb von Behörden die Mühlen bekanntlich langsam mahlen. Die Verwaltungsstation gilt gemeinhin als die am wenigsten interessanteste Station, schon deswegen, weil viele Kollegen – und ich auch – sich eine Behördentätigkeit nicht vorstellen können. Entsprechend hört man Verschiedenes über die Stationen bei den Stadt-, Kreis-, Bezirks- oder Landesbehörden. Viele Kollegen hatten Glück und waren positiv überrascht, bei anderen muss es einfach furchtbar gewesen sein. Viel hängt natürlich auch vom Ausbilder ab, den man oftmals vorher nicht kennt. Diejenigen Kollegen, die bei Bundesbehörden waren, waren eigentlich durchweg zufrieden, weil viele Juristen dort auf einem sehr hohen Niveau arbeiten und offenbar auch teilweise hoch motiviert sind.
Ich selbst hatte das Glück, vom Auswärtigen Amt angenommen worden zu sein, so dass ich aus erster Hand nur über diese Erfahrungen berichten kann: Das Auswärtige Amt teilt interessierten Referendaren Ausbildungsplätze an den Deutschen Vertretungen im Ausland, also Botschaften und Konsulaten, zu. Die Bewerbung beim Auswärtigen Amt ist vergleichsweise aufwändig. Jedenfalls sollte man sich mindestens ein halbes Jahr vor Beginn der Verwaltungsstation bewerben, idealerweise noch vor Beginn des Referendariats. Das Auswärtige Amt schickt dann einen Fragebogen, bei dem man unter anderem mehrere Städte aufführen kann, an denen man seine Station ableisten möchte. Vor allem gefragt sind natürlich London, Paris, New York, Los Angeles, Sydney usw. Die Zuteilung zu den Städten erfolgt nach einem Verfahren, um das sich viele Gerüchte ranken, das aber nicht transparent ist. Es scheint so zu sein, dass das Auswärtige Amt einen Punktekatalog vergibt, der sich aus Examensnote und Abiturnote zusammensetzt und in den noch Punkte aus dem Lebenslauf, beispielsweise Auslandserfahrung etc. einfließen. Wenn man zu den Glücklichen gehört, denen ein Platz zugeteilt wird, ist der erste spannende Moment die E-Mail, in der man seine Stadt zugeteilt bekommt. Bei mir war es Kapstadt. Anfangs war ich etwas enttäuscht, weil es nur Nummer 10 auf meiner Wunschliste war. Um es vorweg zu nehmen: Diese Einschätzung sollte sich bald ändern. Später habe ich dann erfahren, dass ich deswegen nach Kapstadt zugeteilt wurde, weil ich zwischen Abitur und Bundeswehr eine zeitlang dort gelebt hatte und nach Südafrika regelmäßig nur Referendare zugeteilt werden, die Afrika- oder zumindest Auslandserfahrung haben. Die Station selbst war der Hammer, was zu einem großen Teil, aber nicht ausschließlich an dem Flair Kapstadts im südafrikanischen Sommer war. Wer die Stadt kennt, kann das sicher nachvollziehen. Die Arbeit beim Generalkonsulat in Kapstadt war vollkommen anders, als ich sie mir vorgestellt hatte. So ist man regelmäßig damit beschäftigt, Beglaubigungen und Erbscheinssachen vorzubereiten, die dann in Anwesenheit des Generalkonsuls unterzeichnet werden. Außerdem bearbeitet man Fragen zum Internationalen Privatrecht und zu anderen Konsularsachen. Das sind alles keine Themen, für die ich mich besonders interessiere; da man ständig direkt mit Deutschen im Ausland oder Südafrikanern arbeitet, die Angelegenheiten vortragen, die das deutsche Recht berühren, hat die Arbeit aber unglaublich viel Spaß gemacht. Außerdem wurden meine Kollegin und ich regelmäßig auf Abendveranstaltungen geschickt, bei denen wir das Deutsche Generalkonsulat repräsentieren sollten – man trifft unglaublich viele interessante Menschen und knüpft Kontakte in die ganze Welt. Insgesamt war die Verwaltungsstation für mich überraschenderweise sicherlich eine der besten Stationen des Referendariats. Ähnliches habe ich von Kollegen gehört, die bei anderen Auslandsvertretungen waren. Ein AG-Kollege von mir war beispielsweise an der Botschaft in Peking, was kurz vor den olympischen Sommerspielen dort eine tolle Erfahrung gewesen sein muss. Ich rate jedenfalls unbedingt zu einer Bewerbung beim Auswärtigen Amt.
Daneben gibt es noch die Möglichkeit, das sog. Speyer-Semester zu absolvieren. Die Hochschule für Verwaltungswissenschaften in Speyer bietet interessierten Referendaren die Möglichkeit über den Zeitraum von drei Monaten verwaltungsrechtliche, aber auch betriebs-, volks- und verwaltungswissenschaftliche Fächer zu belegen, was fachlich – wie man hört – überraschend interessant sein soll. Speyer ist aber vorwiegend berühmt-berüchtigt für seine legendären Partys und vor allem die Party-, Trink- und Feierfreudigkeit der Teilnehmer. Die Kollegen, die in Speyer waren, haben es ganz sicher nicht bereut, wobei zwei Tatsachen exemplarisch für die Zeit dort stehen sollen: Erstens sind im Speyer-Semester einige Beziehungen zu Ende gegangen, zweitens gibt es einen eisernen Grundsatz bei den ehemaligen dortigen Studenten: Was in Speyer passiert, bleibt in Speyer. Das sollte alles sagen…
Vierte Station – Anwaltsstation
Mit Beginn der Anwaltsstation ändern sich einige Dinge. Erstens ist zumindest mir hier das erste Mal wirklich klar geworden, wie nah das Examen liegt, eine Tatsache, die ich bis dahin erfolgreich ignoriert hatte. Zweitens beginnt die sog. Fortgeschrittenen-AG (oder F-AG) mit den Klausurwochen. Außerdem ist die Anwaltsstation, die faktisch über einen Zeitraum von neun Monaten läuft (im zehnten Monat stehen die Examensklausuren an), auch in anderer Hinsicht einzigartig: man kann die Station aufteilen, also z.B. drei Monate bei dem einen, den Rest der Zeit bei einem anderen Anwalt verbringen. Außerdem ist es sehr üblich, zumindest die letzten drei Monate vor dem Examen in die sog. Tauchphase zu gehen, um sich hoffentlich ungestört auf das Examen vorbereiten zu können. Wegen der verschiedenen Themen teile ich diesen Abschnitt weiter auf:
1. Fortgeschrittenen-AG
Was die AG angeht, bleibt es bei dem Grundsatz, dass man einmal die Woche einen AG-Tag hat, der sich von morgens bis nachmittags erstreckt. In den ersten Wochen wurden wir von verschiedenen Dozenten unterrichtet, die Spezialgebiete wie z.B. die Tätigkeit des Notars abdeckten. So interessant wie diese Themen waren, sind sie für das Examen doch eher irrelevant. Die richtige AG startete ungefähr im zweiten Monat der Station, wenn diejenigen Dozenten den Unterricht beginnen, mit die einen durch den Rest der AG begleiten. Zu den bisher unterrichteten Gebieten kommen nunmehr Urteile und Beschlüsse im Öffentlichen Recht, einstweiliger Rechtsschutz im Zivilrecht, das Urteil im Strafverfahren und – von besonderer Wichtigkeit – das Zwangsvollstreckungsrecht der ZPO hinzu. Das ist eine ganze Menge Stoff und ich kann daher nur nachdrücklich empfehlen, das Lernen so früh wie möglich anzufangen. Ich habe es nicht gemacht und musste nachher eine große Menge aufholen. Außerdem fangen nunmehr die vier Klausurwochen an: In regelmäßigen Abständen, also ca. alle sieben bis acht Wochen schreibt man beim Landgericht vier Klausuren, üblicherweise in den Fächern Zivil-, Straf-, Öffentliches Recht und Zwangsvollstreckung. Diese Klausurwochen sind insofern ganz angenehm, als man schon nachmittags wieder frei hat, andererseits auch sehr anstrengend. Es macht Sinn, die Klausurwochen ernst zu nehmen, die aufgrund der Originalexamensfälle ein realistisches Bild über den Leistungsstand des Referendars zu diesem Zeitpunkt geben können. Meiner persönlichen Einschätzung nach ist die F-AG diejenige, in der man am meisten lernt und daher günstigstenfalls immer präsent ist. Richtig ist aber auch, dass gerade in der F-AG die Qualität des Unterrichts maßgeblich von den Fähigkeiten der AG-Leiter und der Motivation der AG abhängt. Zumindest den letzteren Faktor kann man ja beeinflussen.
2. Station(en)
Auch in der Anwaltsstation ist man bei der Wahl seiner Stage relativ frei. Einziges Kriterium ist, dass man von einem deutschen Rechtsanwalt ausgebildet wird. Es gibt auch die Möglichkeit, diese Station im Ausland wahrzunehmen – da ich aber niemanden kenne, der das getan hätte, kann ich dazu nichts berichten. Meines Erachtens bietet sich das aufgrund der Wichtigkeit der F-AG (s.o.) auch nicht gerade an.
Wie schon zuvor angedeutet, kann man die Station teilen, wenn man mehrere Stationen absolvieren möchte. Ich war die ersten drei Monate der Stage in der Rechtsabteilung eines DAX30-Konzerns in Düsseldorf. Jedem, der Interesse an der Karriere als Wirtschaftsanwalt hat, kann ich die Arbeit in einer Rechtsabteilung nur empfehlen, weil man einen wertvollen Einblick in die Arbeits- und Denkweise von Unternehmensjuristen bekommt, die ja spätere potentielle Mandanten sind. Im Gegensatz zum Rechtsanwalt vertreten Unternehmensjuristen ja nur einen Mandanten, nämlich das Unternehmen, für das sie arbeiten. Die Arbeit ist dennoch nicht weniger vielfältig und gerade in den Rechtsabteilungen von großen Konzernen gibt es Juristen in allen Bereichen des Wirtschaftsrechts, sei es Corporate, Kartellrecht, IP oder Commercial.
Den zweiten Teil meiner Station habe ich in einer sog. Boutique verbracht, also einer Kanzlei, die auf sehr hohem Niveau praktisch ausschließlich ein rechtliches Spezialgebiet bearbeitet. Das hat mir besonderen Spaß gemacht, weil ich mich im Gesellschaftsrecht austoben konnte, was mir persönlich am meisten liegt.
Verallgemeinernd lässt sich sagen, dass man tendenziell in dem Gebiet arbeiten sollte, das man auch später beackern möchte. Wer sich z.B. selbständig machen möchte, ist sicher gut in einer kleineren Kanzlei oder bei einem Einzelanwalt aufgehoben. Wer sich z.B. mit dem Gedanken trägt, die Staatsanwaltschaft zu verstärken, kann sicherlich wertvolle Erfahrungen bei einem Fachanwalt für Strafrecht sammeln.
Ich bereue nicht, die Station in zwei unterschiedliche Abschnitte aufgeteilt zu haben, weil es einfach viel Spaß gemacht hat. Man sollte sich aber der Tatsache bewusst sein, dass man wegen der Mindestlänge der Stationen von jeweils drei Monaten und der Gesamtlänge dieses Ausbildungsabschnitts von faktisch neun Monaten nur noch drei Monate zum Lernen hat. Gerade weil ich während der Stationen nicht viel getan hatte, musste ich jetzt einen großen Berg aufholen.
Passend daher direkt zum nächsten Thema.
3. Examensvorbereitung
Ganze Bibliotheken sind offenbar zu der Vorbereitung auf das zweite Examen geschrieben worden, dazu will ich nicht noch einen Beitrag leisten. Daher hier kurz und knapp meine ganz persönliche Einschätzung zur Vorbereitung auf das Examen:
Um das oben Angedeutete noch mal zu wiederholen: Es ist meines Erachtens nicht erforderlich, schon vor der Verwaltungsstation mit intensiverem Lernen zu beginnen. Wenn man in dieser Zeit mitdenkt und ein paar Skripte liest, fährt man damit sicherlich gute. Mit der Anwaltsstation sollte sich aber der Blickwinkel ändern: Keine noch so coole oder profilierte Station im Lebenslauf hilft einem später, wenn man das Examen vergeigt. Daher ist eine konsequente Vorbereitung wirklich wichtig.
Wieder einmal scheiden sich die Geister z.B. an der Frage der Notwendigkeit eines kommerziellen Repetitoriums. Ich bin immer noch der Auffassung, dass ich vor dem ersten Examen erst durch das Rep Jura gelernt habe, daher war es für die Vorbereitung auf das Erste Examen für mich von größter Bedeutung. Ich war auch mit Beginn der Anwaltsstation zur Vorbereitung auf das zweite Examen wieder beim Rep und habe auch z.B. ein paar Crashkurse zu bestimmten Rechtsgebieten besucht, daher bin ich dahingehend vorbelastet. Es hat ganz sicher nicht soviel gebracht wie zum ersten Examen, war aber, denke ich, eine gute Hilfestellung. In meinem Fall hat es auch unglaublich zur Beruhigung des Gewissens beigetragen, was aus psychologischer Sicht in der Examensvorbereitung zumindest für mich persönlich nicht zu unterschätzen ist. Ob man ein Rep belegt oder nicht, ich würde jedem raten, sich zumindest ein, zwei Stunden zum Probehören anzutun. Außerdem macht es meiner Meinung nach sicher Sinn, Wochenend-Crashkurse zur Wiederholung vom materiellen Recht zu besuchen. Richtig ist aber auch, dass das Rep relativ viel Geld kostet und abends im Regelfall nicht vor 21.00 Uhr endet, so dass man in vielerlei Hinsicht größere Investitionen tätigt. Wie immer ist auch die Entscheidung zum oder gegen das Rep eine Typfrage.
Typfrage ist auch, ob man eher mit Skripten oder mit Büchern, einzeln oder in Gruppen lernt.
Wenn man seinen eigenen Stil vor dem ersten Staatsexamen gefunden hat, sollte man diesen grundsätzlich beibehalten. Ich persönlich habe mit einer Kombination aus Rep und dem Schreiben bzw. Durchlösen vieler Klausuren gute Erfahrungen gemacht. Was ich aus der eigenen Erfahrung jedenfalls sagen kann, ist dass man sich bis zum Examenstermin nicht zuviel aufhalsen sollte. Ich war in den letzten drei Monaten vor dem Examen unter der Woche immer um 7.30 Uhr in der Bibliothek des OLG, in der man entspannt und vor allem ungestört lernen konnte. Mein Lerntag war dann aber auch schon um 16.00 Uhr vorbei, so dass noch ausreichend Zeit für Sport blieb. Es macht, wie ich finde, überhaupt keinen Sinn, ausgebrannt ins Examen zu gehen, die Zeit wird nämlich anstrengend genug und man braucht alle verfügbaren Kräfte.
Ein nicht ganz unwichtiges Thema ist auch das Versorgen mit der richtigen Literatur für die Klausuren: Es wird von jedem Kandidaten erwartet, dass er alle Gesetze auf dem neuesten Stand und zusätzlich in NRW die Kommentare für BGB, ZPO, HGB, StGB, StPO, VwGO und VwVfG dabei hat, und das in jeder Klausur. Es versteht sich von selbst, dass das eine gewisse Investition und eine große Schlepperei ist. Daher haben sich kommerzielle Kommentarverleihe etabliert. Wir haben mit fast der ganzen AG ein solches Angebot abgeschlossen und konnten damit die genannten Werke inklusive eines Rollkoffers für EUR 80,00 pro Person für die zweiwöchige Klausurphase mieten. Das sei jedem ans Herz gelegt, zumal man die meisten dieser Bücher nach einem erfolgreichen Examen sowieso nicht mehr braucht.
4. Examen
Schon zu Beginn des Referendariats steht fest, wann man die Klausuren schreiben würde: Zu Beginn des 21. Ausbildungsmonats steht einem diese Aufgabe bevor. Die genauen Termine finden sich auf der Seite des LJPA, teilweise bis zu einem Jahr im Voraus. Ca. drei Wochen vor den eigentlichen Terminen bekommt man Post mit der Ladung und der Kennziffer, die für alle Klausuren gilt. Ab diesem Zeitpunkt bietet es sich an, den Adrenalinlevel langsam hochzufahren und noch mal in den Endspurt zu gehen. Meine erste Klausur lag – wie in NRW üblich – an einem Montag, so dass ich am davorliegenden Samstag die Bücher zugemacht habe und versucht habe, mich noch ein bisschen zu entspannen.
Am großen Tag waren wir alle zwar aufgeregt, aber insgesamt, denke ich. nicht zu nervös. Man schreibt die Klausuren in einem großen Raum mit vielen anderen Prüflingen zusammen, so dass man sich vorher noch ein bisschen ablenken kann. Vor jeder Klausur muss man ein Deckblatt ausfüllen, das neben der Kennziffer noch ein paar weitere Angaben enthalten muss.
Das Gute an den Klausuren ist, dass man schon gegen 14.00 Uhr fertig ist und den Rest des Tages entspannen kann, so gut es geht. Ich habe mir meistens noch mal für eine Stunde (aber auch nicht mehr!) etwas für den nächsten Tag angesehen – grundsätzlich würde ich aber Entspannung empfehlen. Wir haben die Klausuren in der Reihenfolge Zivilurteil, Anwaltliches Gutachten im Zivilrecht, Zwangsvollstreckung, Übriges Zivilrecht, Anklage, Revision im Strafrecht, Urteil im Ö-Recht und Anwaltliches Vorgehen im Ö-Recht geschrieben, so dass zwischen Zivilrecht und Strafrecht / Ö-Recht noch ein ganzes Wochenende lag, was ich im Hinblick auf Strafrecht sehr gut fand, weil man sich die vielen Formalia im Strafrecht noch einmal ins Kurzzeitgedächtnis prügeln kann.
Was die Notengebung für die Klausuren angeht, so werden die Einzelnoten aus den acht Klausuren addiert und mit 0,75 multipliziert. Das Ergebnis ergibt die Vornote für die mündliche Prüfung.
Grundsätzlich gilt für das Examen aber wie auch sonst, dass alles halb so schlimm ist. Es haben schon andere geschafft – ihr schafft das auch.
Fünfte und letzte Station – Wahlstation
Die Wahlstation ist in vielerlei Hinsicht dankbar. Erstens kann man nach den stressigen zwei Examenswochen mal ein wenig durchatmen, denn die mündliche Prüfung ist zumindest gefühlt noch sehr weit weg. Zweitens ist man in der Wahl seiner Station praktisch keinen Beschränkungen unterlegen, allein die juristische Ausbildung muss gewährleistet sein.
Man könnte sich jetzt auf die faule Haut legen und sich einfach einen Ausbilder suchen, bei dem man gar nichts tun muss. Umgekehrt sollte man aber auch nicht vergessen, dass man mit der Wahl der Wahlstation seinen Lebenslauf sehr gut aufpolieren kann. Entweder, indem man bei dem Anwalt oder Gericht arbeitet, zu dem man auch nach dem Examen gehen möchte, oder aber man nutzt die Wahlstation für einen (zweiten) Auslandsaufenthalt während des Referendariats. So kann man auch noch mal offiziell die ausreichenden Fremdsprachenkenntnisse, auch im Hinblick auf die Fachsprache, dokumentieren, die zumindest jeder haben sollte, der später als Wirtschaftsanwalt oder -anwältin tätig sein will.
Ich selbst habe das Angenehme mit dem Nützlichen verbunden und habe mich während des deutschen Winters für drei Monate nach Australien aufgemacht. Und dort, neben sehr interessanter Arbeit und tollen Menschen, noch sehr viel entspannen können. Um es noch mal zu wiederholen: Auch in dieser Station zahlt es sich aus, ein bisschen Initiative an den Tag zu legen. Egal, wo ihr hingeht, sei es ins Inland oder ins Ausland, sind sehr gute Stellen rar. Eine Bewerbung während der Verwaltungsstation macht auf jeden Fall Sinn.
Es stehen alle Möglichkeiten offen, wichtig ist nur, sie dann auch entsprechend zu nutzen!
Am Ende der Wahlstation (regelmäßig in der dritten Woche des Monats) bekommt man per Post seine Vorpunkte, also die Ergebnisse der Examensklausuren, zugestellt. Vorher wird im Internet auf den Seiten des LJPA eine Liste veröffentlicht, auf denen sich die Kennziffern derjenigen Kollegen finden, die es leider nicht zu mündlichen Prüfung geschafft haben. Das Warten auf die Examensnoten ist natürlich extrem aufregénd, aber man kann sich ja durch viel Arbeit in der Station oder einen schönen Urlaub ablenken.
Ende – Mündliche Prüfung
Wenn man aus der Wahlstation wieder da ist, hat man mindestens noch einen Monat zum Lernen. Den Termin der mündlichen Prüfung erfährt man erst drei Wochen vor der tatsächlichen Prüfung, er kann damit irgendwann im 26. Monat liegen – man weiß es erst kurz vorher. Die mündliche Prüfung selbst findet immer in den Gebäuden des LJPA statt und erstreckt sich praktisch über einen ganzen Tag. Sie setzt sich zusammen aus dem Aktenvortrag (eine Note mit einfacher Wertung) und dem sog. Prüfungsgespräch (bestehend aus Zivilrecht, Strafrecht und Ö-Recht), dessen Wert mit drei multipliziert wird. Wie schon im ersten Examen kann man mit dem Stoff des Prüfungsgespräches Glück oder Pech haben, viel hängt wie immer auch an der Prüfungskommission. Zur Vorbereitung auf die mündliche Prüfung kann man wie schon zum ersten Examen Prüfungsprotokolle der Prüfer bekommen.
Wofür man im Hinblick auf die Mündliche richtig üben kann, ist der Aktenvortrag. Es macht sicherlich Sinn, sich mit einem oder mehreren Kollegen mit Originalaktenvorträgen auf diesen Teil der Prüfung vorzubereiten. Wie bei sonst keinem Teil des Examens gilt hier nämlich, dass insbesondere die Zeiteinteilung und Formulierung mit jedem geübten Vortrag deutlich besser werden. Die Prüfung selbst unterscheidet sich kaum vom derjenigen des erstens Examens.
Fazit
Ich hoffe, dass die Beschreibung meiner persönlichen Erfahrungen Euch ein wenig helfen konnte. Als Fazit ist mir wichtig, dass Ihr Euch bewusst werdet, dass ihr mehr als früher Euer eigenes Schicksal in der Hand habt und das Referendariat im Regelfall die direkte Station vor dem Berufseinstieg ist. Initiative und Einsatz sind hier besonders gefragt – ihr habt es in der Hand, aus einem verschulten und zähen System für Euch persönlich zwei tolle und aufregende Jahre zu machen – viel Erfolg dabei und alles Gute.
Solltet ihr noch Fragen haben, schickt diese gerne an arnekiessling ( at ) gmx (punkt) de.
Dr. Arne Kießling

20.02.2010/20 Kommentare/von Gastautor
https://www.juraexamen.info/wp-content/uploads/2022/05/je_logo.svg 0 0 Gastautor https://www.juraexamen.info/wp-content/uploads/2022/05/je_logo.svg Gastautor2010-02-20 15:00:052010-02-20 15:00:05Gastbeitrag: Das Referendariat – ein persönliches Fazit
Dr. Stephan Pötters

Gastbeitrag: Vierter Senat des BAG beabsichtigt Änderung der Rechtsprechung zur Tarifeinheit

Arbeitsrecht, Schwerpunktbereich, Zivilrecht

Wir freuen uns, einen Gastbeitrag von Johannes veröffentlichen zu können. Er ist Mitarbeiter am Institut für Arbeitsrecht der Uni Bonn.
Der Vierte Senat des Bundesarbeitsgerichts beabsichtigt, seine Rechtsprechung zum Grundsatz der Tarifeinheit zu ändern, und hat deshalb nach § 45 Abs. 3 S. 1 ArbGG eine Divergenzanfrage an den Zehnten Senat des Bundesarbeitsgerichts gerichtet.
A. Prozessuales
Die Divergenzanfrage ist eine Vorstufe der Vorlage an den großen Senat des BAG. Dieser entscheidet nach § 45 Abs. 1 ArbGG, wenn ein Senat in einer Rechtsfrage von der Entscheidung eines anderen Senats oder des Großen Senats abweichen will. Nach § 45 Abs. 3 S. 1 ArbGG ist dies Vorlage an den großen Senat jedoch nur zulässig, wenn der Senat, von dessen Rechtssprechung abgewichen werden soll, erklärt, er halte an seiner Rechtsauffassung fest. Vorliegend hatten der vierte und der zehnte Senat den Grundsatz der Tarifeinheit ihrer Rechtsprechung zu Grunde gelegt. Der Vierte Senat möchte nunmehr davon abweichen. Entsprechend muss sich der zehnte Senat erklären, ob er an der Rechtsprechung festhalten möchte.
B. Vorgeschlagene Lösung
Der vierte Senat würde den Fall wie folgt lösen:
I. Sachverhalt
Der Kläger war im Krankenhaus der Beklagten als Arzt beschäftigt und verlangt für den Monat Oktober 2005 einen Urlaubsaufschlag nach den Bestimmungen des Bundesangestellten-Tarifvertrages (BAT). Er ist Mitglied des Marburger Bundes (=“Gewerkschaft der Ärzte“). Die Beklagte ist Mitglied im Kommunalen Arbeitgeberverband, der Mitglied in der Vereinigung der Kommunalen Arbeitgeberverbände (VKA) ist.
Ursprünglich hatten die Arbeitgeberseite (VKA) und sowohl ver.di als auch der Marburger Bund die Geltung des BAT vereinbart. Zum 01.10.2005 ersetzen ver.di und VKA den BAT in durch den Tarifvertrag für den öffentlichen Dienst (TVöD). Der Marburger Bund war an den Verhandlungen dazu nicht beteiligt. Das beklagte Krankenhaus war daher ab dem 01.10.2005 sowohl an den zwischen dem Marburger Bund und der VKA noch weiterhin geltenden BAT als auch an den TVöD unmittelbar tarifgebunden.
Die Beklagte verweigerte die Zahlung des Urlaubsaufschlags nach dem BAT, weil der für die Mitglieder des Marburger Bundes auch noch nach dem 01.10.2005 geltende BAT nach dem Grundsatz der so genannten Tarifeinheit ab diesem Zeitpunkt vom TVöD als speziellerem Tarifvertrag verdrängt worden sei.
II. Lösung
Der Kläger hat einen Anspruch auf Zahlung des Urlaubsaufschlages nach den Vorschriften des BAT, wenn diese gem. § 4 Abs. 1 S. 1 TVG zwischen ihm und dem Arbeitgeber gelten.
Nach § 4 Abs. 1 S. 1 TVG gelten die Rechtsnormen des Tarifvertrags, die den Inhalt, den Abschluß oder die Beendigung von Arbeitsverhältnissen ordnen, unmittelbar und zwingend zwischen den beiderseits Tarifgebundenen, die unter den Geltungsbereich des Tarifvertrags fallen. Wer tarifgebunden ist, ist in § 3 Abs. 1 TVG geregelt: Danach sind tarifgebunden Mitglieder der Tarifvertragsparteien und der Arbeitgeber, der selbst Partei des Tarifvertrags ist. Vorliegend ist der Kläger Mitglied des Marburger Bundes und die Beklagte Mitglied im Arbeitgeberverband VKA. Da zwischen diesen Tarifvertragsparteien ein Tarifvertrag, nämlich der BAT, vereinbart wurde, finden dessen Normen grundsätzlich Anwendung auf das Arbeitsverhältnis des Klägers.
1. Bisherige Rechtsprechung: Grundsatz der Tarifeinheit
Allerdings könnte der Anwendung des Tarifvertrages der – ungeschriebene – Grundsatz der Tarifeinheit entgegenstehen. Er besagt – nach bisherigem Verständnis des BAG – zweierlei: Für das einzelne Arbeitsverhältnis dürfen immer nur die Bestimmungen eines Tarifwerkes derselben Tarifvertragsparteien gelten (Auflösung sog. Tarifkonkurrenz). Er kommt jedoch nach der bisherigen Rechtsprechung auch dann zum Tragen, wenn ein Betrieb vom Geltungsbereich mehrerer Tarifverträge erfasst wurde, an die der Arbeitgeber deshalb gebunden war, weil er Mitglied im tarifschließenden Arbeitgeberverband oder selbst Tarifvertragspartei war, während demgegenüber für den jeweiligen Arbeitnehmer je nach Gewerkschaftsmitgliedschaft nur einer der beiden Tarifverträge Anwendung fand (Tarifpluralität). In einem solchen Fall sollte der speziellere Tarifvertrag alle weiteren verdrängen.
Vorliegend ist der Arbeitgeber durch die Mitgliedschaft im VKA gegenüber den Mitgliedern des Marburger Bundes an den BAT, gegenüber den Mitgliedern von Ver.di jedoch an den TVöD gebunden. Damit liegt ein Fall der Tarifpluralität vor. Speziellerer Tarifvertrag wäre in diesem Fall der TVöD, da der BAT auf Grund der begrenzten Mitgliederschaft des Marburger Bundes nur die Ärzte im Betrieb des Beklagten erfassen würde. Entsprechend würde der BAT verdrängt, so dass der Kläger keinen Anspruch aus diesem geltend machen kann.
Für den Grundsatz der Tarifeinheit führte die Rechtsprechung im Wesentlichen Praktikabilitätserwägungen an. Nur die Geltung eines Tarifwerkes gewährleiste eine praktisch handhabbare und durchschaubare Regelung der Arbeitsbedingungen im einzelnen Arbeitsverhältnis. Die Rechtssicherheit erfordere auch, dass alle Arbeitsverhältnisse eines Betriebes demselben Tarifwerk unterstünden. Die Tarifbindung des Arbeitgebers als Anknüpfungspunkt gewährleiste eine vom Wechsel der Arbeitnehmer und vom Zufall unabhängige betriebseinheitliche Anwendung desjenigen Tarifvertrags, der den Erfordernissen des Betriebes und der beschäftigten Arbeitnehmer entspreche. Rechtliche und tatsächliche Unzuträglichkeiten, die sich aus einem Nebeneinander oder aus der Nichtanwendung von Tarifverträgen in einem Betrieb ergeben, würden dadurch vermieden Außerdem unterscheidet das Tarifvertragsrecht unterscheidet Individual- (§ 4 Abs. 1 S. 1 TVG) und Betriebsnormen (§§ 4 Abs. 1 S. 2, 3 Abs. 2 TVG). Da immer nur die Betriebsnormen eines Tarifvertrages auf in jedem Betrieb angewandt werden, muss in diesem Bereich Tarifeinheit gewahrt bleiben. Die Anwendung des Grundsatzes der Tarifeinheit auch auf Individualnormen erspart die schwierige Abgrenzung von Betriebs- und Individualnormen.
2. Beabsichtigte Änderung: Tarifpluralität
Nunmehr beabsichtigt das BAG, seine Rechtsprechung zu ändern und den Grundsatz der Tarifeinheit auf Fälle der Tarifkonkurrenz zu beschränken. Tarifpluralität (ein Tarifvertrag pro Arbeitsverhältnis, aber mehrere Tarifverträge in einem Betrieb) wäre demnach möglich.
Vorliegend wäre die Klage begründet, da der Kläger seinen Anspruch aus dem BAT, der im Betrieb neben dem TVöD Anwendung fände, herleiten kann.
Die Rechtsnormen des BAT gelten im Arbeitsverhältnis der Parteien aufgrund der beiderseitigen Mitgliedschaft in den tarifschließenden Koalitionen unmittelbar und zwingend nach § 3 Abs. 1, § 4 Abs. 1 TVG. Deshalb kann der Kläger einen Urlaubsaufschlag nach den Bestimmungen des BAT verlangen. Eine gesetzlich angeordnete Regelung für die Verdrängung dieser durch das Tarifvertragsgesetz vorgesehenen Geltung besteht ebenso wenig wie eine zur Rechtsfortbildung berechtigende Lücke im Tarifvertragsgesetz angenommen werden kann. Die Verdrängung eines geltenden Tarifvertrages nach dem Grundsatz der Tarifeinheit in den Fällen einer durch Mitgliedschaft oder durch die Stellung als Tarifvertragspartei begründeten Tarifpluralität ist zudem mit dem Grundrecht der Koalitionsfreiheit nach Art. 9 Abs. 3 GG nicht zu verein- baren. Schließlich lässt sich die zwangsweise Auflösung der verfassungsrechtlich vorgesehenen Tarifpluralität auch nicht mit möglichen Auswirkungen auf andere Rechtsbereiche rechtfertigen. Die aus einer Tarifpluralität möglicherweise erwachsenden Folgen z.B. für Arbeitskämpfe sind im Bereich des Arbeitskampfrechts zu lösen; entsprechendes gilt für das Betriebsverfassungsrecht.
III. Hinweis: Folgen der Entscheidung
Wie das BAG am Ende der Begründung andeutet, würde die Zulassung von Tarifpluralität weite Kreise ziehen, vor allem im Arbeitskampfrecht. Zunächst hätte die Zulassung von Tarifpluralität schwerwiegende Folgen für die das Verhältnis von Einheits- zu Spartengewerkschaften. Spartengewerkschaften, die nur eine Berufsgruppe vertreten (etwa Cockpit die Piloten) können auch nur für diese Gruppe einen Tarifvertrag schließen. Diese Tarifverträge werden – bei Geltung von Tarifeinheit – häufig durch Tarifverträge der großen Einheitsgewerkschaften (etwa ver.di), die alle Berufsgruppen eines Betriebes erfassen, verdrängt. Erlaubt man das Nebeneinander verschiedener Tarifverträge, stärkt man die Spartengewerkschaften, da ihre Tarifverträge anwendbar bleiben. Gleichzeitig sind Spartengewerkschaften, die häufig Funktionseliten vertreten, also Arbeitnehmer, die für den Arbeitgeber unverzichtbar sind, besonders kampfstark und können dementsprechend gute Abschlüsse erreichen. Dies kann zu Ungleichheiten und Unzufriedenheit in der Belegschaft führen. Es drohen Verteilungskämpfe innerhalb der Gruppe der Arbeitnehmer, wenn ein kleiner Teil der Belegschaft für sich hohe Löhne erstreitet, die letztlich auch auf Kosten der anderen Arbeitnehmer gehen.
Auch für den Arbeitgeber ist Tarifpluralität nicht ohne Folgen. Gibt es mehrere Tarifverträge, so drohen auch mehrere Arbeitskämpfe, also insgesamt häufigere Streiks. Diese müssen nicht abgestimmt sein. Hat ver.di gerade einen Vertrag unterschrieben, kann der Arbeitskampf mit dem Marburger Bund beginnen. Es besteht außerdem die Gefahr, dass sich die Gewerkschaften im Kampf um Mitglieder radikalisieren und sich mit ihren Forderungen gegenseitig hochschaukeln.
IV. Examensrelevanz
Die Praxisrelevanz der Entscheidung ist immens hoch, ihre Examensrelevanz im Verhältnis dazu relativ gering. Fragen des kollektiven Arbeitsrechts sind nicht Pflichtfachstoff. Wer Arbeitsrecht im Schwerpunkt hat, muss diese Entscheidung aber kennen!
BAG, Beschluss vom 27. Januar 2010 – 4 AZR 549/08 (A)

02.02.2010/0 Kommentare/von Dr. Stephan Pötters
https://www.juraexamen.info/wp-content/uploads/2022/05/je_logo.svg 0 0 Dr. Stephan Pötters https://www.juraexamen.info/wp-content/uploads/2022/05/je_logo.svg Dr. Stephan Pötters2010-02-02 20:33:392010-02-02 20:33:39Gastbeitrag: Vierter Senat des BAG beabsichtigt Änderung der Rechtsprechung zur Tarifeinheit
Gastautor

Gastbeitrag: Höfling, Fälle zu den Grundrechten und ders. Fälle zum Staatsorganisationsrecht

Rezensionen

Wir freuen uns, heute einen Gastbeitrag von Marcus veröffentlichen zu können. Marcus ist Student an der Uni Freiburg und betreibt zudem auch einen juristischen Blog.
Höfling, Fälle zu den Grundrechten, 2009, München, 170 Seiten, 19,80 € / ders., Fälle zum Staatsorganisationsrecht, 4. Aufl. 2009, München, 207 Seiten, 19,50 €
Ein erster Herausforderer für den kürzlich vorgestellten Klausurenkurs im Staatsrecht II von Degenhart ist Wolfram Höfling mit dem von ihm frisch vorgelegten Band 187 zu den Grundrechten sowie Band 92 zum Staatsorganisationsrecht aus der JuS-Schriftenreihe des Beck-Verlages.
Der Verlag hat mir dankenswerterweise jeweils ein Exemplar zur Verfügung gestellt, was aber natürlich keinerlei Auswirkungen auf das Urteil dieser Rezension hat.
Inhalt
1) Fälle zu den Grundrechten
Das Werk umfasst 16 Grundrechtsfälle mit unterschiedlichem Schwierigkeitsgrad. Es richtet sich sowohl an Anfangssemester wie auch an Examenskandidaten und Referendare. In den meisten Fällen werden typische Probleme des Verfassungsprozessrechts verwoben. Wie nicht anders zu erwarten, ist der weit überwiegende Teil der Fälle in Form der Verfassungsbeschwerde eingekleidet. Es findet sich aber auch ein Fall, der die konkrete Normenkontrolle (Art. 100 GG) behandelt. Thematisch werden ansonsten sowohl die typischen Freiheitsrechte abgedeckt, es findet sich aber auch ein Fall zu den Gleichheitsrechten und zu den Justizgewährrechten (hier: Art. 2 II GG, Art 104 I S. 2 GG).
2) Fälle zum Staatsorganisationsrecht
In diesem Werk sind 20 Fälle mustergültig bearbeitet, die ebenfalls unterschiedlichen Schwierigkeitsgrades sind und sich auch an Anfangssemester wie an Examenskandidaten und Referendare richten. In der Vorauflage, so heißt es, seien primär Fälle mit Anspruch an Examenskandidaten gewesen. Höfling geht damit nun einen anderen Weg als Degenhart, der in der älteren 4. Auflage von 2007 zunächst auch einige Fälle für Anfangssemester aufgenommen hatte, nunmehr mit der 5. Auflage jedoch ein Werk speziell für Anfangssemester und eins für Examenskandidaten konzipiert hat.
Inhaltlich finden sich Fälle zum Gesetzgebungsverfahren, der Bedeutung des Bundesrates und des Bundespräsidenten, der Verwaltungsorganisationsordnung des Grundgesetzes (inkl. Privatisierungsfragen), zum parteienstaatlich geprägten parlamentarischen Prozess sowie zum Berufsbeamtentum, dem Lehrverfassungsrecht und zur Finanzverfassung.
Kritik
Zu beiden Werken sei vorab bemerkt, dass die Fälle in ordentlicher Qualität gelöst wurden und dies maßgeblich zu einem positiven Gesamteindruck beigetragen hat. Jedoch gehen beide Werke recht drakonisch sparsam mit Hervorhebungen um. Neben den (Zwischen-)Überschriften findet sich nur spärlich eine Hervorhebung im Fließtext in Form von eher dezenter Kursivschrift. Auch finden sich keine Übersichten, keine kommentierten Prüfungsschemata, keine Schaukästen, keine Hinweise auf aktuelle Rechtsprechung oder weitere „Gimmicks“, die die Bücher zusätzlich aufwerten würden.
Mir fiel auch auf (bspw. Fall 1 bei den Grundrechten), dass Höfling gerne einmal die Meinung des Verfassungsgerichts ablehnt und seine eigene (durchaus gut vertretbare) Auffassung in der Falllösung durchzieht. Er möchte die Lösung auch gezielt als „Lösungsvorschlag“ verstehen und aufzeigen, dass man mit gut vertretbaren (Minder-)Meinungen ebenso gut einen Fall lösen kann.
Im Ergebnis wiegt dies aber nicht allzu sehr negativ, weil er die anderen Meinungen im Gutachten explizit in jeweils gebotener Länge bzw. Kürze anspricht und über die Fußnoten ersichtlich wird, welche Ansicht wohl die herrschende ist.
1) Fälle zu den Grundrechten
Die Grundrechte werden ja maßgeblich durch die Judikatur des Bundesverfassungsgerichts geprägt. Im Examen finden sich daher gerne einmal brandaktuelle Entscheidungen des Verfassungsgerichts als Sachverhalt wieder. Allenfalls hier ließe sich kritisch anmerken, dass sich zwar Fälle mit neuerem thematischen Einschlag finden, allerdings keine brandneuen, obwohl bis zur Drucklegung im September 2009 einige durchaus relevante Entscheidungen, gerade im Bereich der inneren Sicherheit, ergingen. Dagegen ließe sich aber einwenden, dass der Fokus auf ein breites stoffliches Spektrum zugeschnitten sei und hier nicht – wenn auch interessante und wichtige – aktuelle Urteile im Vordergrund stünden, sondern der Blick auf möglichst viele Grundrechte. Examenskandidaten werden also nicht umhin kommen sich anderweitig mit der aktuellen Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts auseinander zu setzen.
2) Fälle zum Staatsorganisationsrecht
Bei der lobenswert breiten thematischen Auswahl, die Höfling ebenso im Staatsorganisationsrecht vorgenommen hat, ist es aber umso bedauerlicher, dass landesverfassungsrechtliche Streitigkeiten nicht berücksichtigt wurden. Zwar gibt es mit Fall 11 einen landesrechtlichen Aufhänger; mangels Landesverfassungsgericht wird der Fall aber vor dem Bundesverfassungsgericht gelöst. Auch wenn Streitigkeiten vor dem Landesverfassungsgericht nicht in so großer Zahl in Prüfungsarbeiten vorzufinden sind, sollte aber das Landesverfassungsrecht nicht vollkommen unbescholten bleiben. Es bleibt daher zu wünschen, dass sich der Verfasser diesem Umstand in einer Neuauflage annimmt.
Im Vergleich
Die direkte Vergleichbarkeit zum Degenhart ist schwierig, weil sich beide Bücher vom Konzept her doch sehr unterscheiden. Degenhart hat sich mit der Neuauflage ganz auf die Bedürfnisse der jeweiligen Zielgruppe eingestellt und liefert Staatsorganisationsrecht und Grundrechte in jeweils einem Band. Zudem erhält man nicht nur eine Sammlung von mustergültig gelösten Fällen, sondern er bietet zahlreiche Extras, die man bei Höfling dann doch vermisst.
Höfling dagegen setzt mehr auf die Breite des Stoffes in Bezug auf das deutsche Staatsrecht, mit einem variierenden Anspruch und trennt seine Bücher nach Rechtsgebieten auf.
Degenhart punktet hier, dank seiner speziellen Ausrichtung an Examenskandidaten, da er auch europa- und verwaltungsrechtliche Fallgestaltungen abdeckt. Höfling hat dafür einige Aspekte im dt. Staatsrecht mehr zu bieten (bspw. zwei Fälle zu Art. 9 GG).
Fazit
Mit den beiden Bänden von Höfling bekommt man zwei ordentliche Fallsammlungen zum deutschen Staatsrecht ohne Extras. Nicht mehr, aber auch nicht weniger.

19.12.2009/0 Kommentare/von Gastautor
https://www.juraexamen.info/wp-content/uploads/2022/05/je_logo.svg 0 0 Gastautor https://www.juraexamen.info/wp-content/uploads/2022/05/je_logo.svg Gastautor2009-12-19 18:48:012009-12-19 18:48:01Gastbeitrag: Höfling, Fälle zu den Grundrechten und ders. Fälle zum Staatsorganisationsrecht
Gastautor

Gastbeitrag: Kurz vorgestellt: Epping, Grundrechte

Rezensionen

Wir freuen uns, heute einen Gastbeitrag von Marcus veröffentlichen zu können. Marcus ist Student an der Uni Freiburg und betreibt zudem auch einen juristischen Blog.
Kurz vorgestellt:Epping, Grundrechte, 4. Aufl. 2010, 471 Seiten, 22,95 €
Der Pieroth/Schlink wird oft von Dozenten empfohlen. Es ist auch wahrlich kein schlechtes Werk. Es hat jedoch seine Eigenheiten. Als echte Alternative dazu möchte ich an dieser Stelle den Epping empfehlen. Er bezaubert durch seinen eingängigen didaktischen Aufbau, der klaren Sprache und fährt auch keine größeren Extratouren in der Dogmatik (Stichwort: Verhältnismäßigkeit im engeren Sinne), sondern stellt die relevanten Inhalte dar, die man wissen muss.
Im Aufbau unterscheidet sich Epping aber von anderen vergleichbaren Werken: Denn er fängt mit dem leichtesten Grundrecht an und geht somit nicht streng chronologisch vor, wie die meisten seiner Kollegen. Hierin liegt ein Gewinn für den Studenten, der sich zum ersten Mal mit dem Grundrechtesystem des Grundgesetzes auseinandersetzen muss.
Auch stellt Epping auf seiner Homepage 31 Fälle samt Lösungen zu dem Buch kostenlos zur Verfügung, so dass das abstrakte Wissen gleich angewendet werden kann.
Fazit: Ein echter Geheimtipp! Sehr studentenfreundlich, mit Tiefgang!

17.12.2009/0 Kommentare/von Gastautor
https://www.juraexamen.info/wp-content/uploads/2022/05/je_logo.svg 0 0 Gastautor https://www.juraexamen.info/wp-content/uploads/2022/05/je_logo.svg Gastautor2009-12-17 00:32:482009-12-17 00:32:48Gastbeitrag: Kurz vorgestellt: Epping, Grundrechte
Gastautor

Gastbeitrag: Rezension – Degenhart, Klausurenkurs im Staatsrecht II für Examenskandidaten

Rezensionen

Wir freuen uns, heute einen Gastbeitrag von Marcus veröffentlichen zu können. Marcus ist Student an der Uni Freiburg und betreibt zudem auch einen juristischen Blog.
Degenhart, Klausurenkurs im Staatsrecht II für Examenskandidaten, 5. Aufl. 2010, 437 Seiten, 20 €
Der Klausurenkurs im Staatsrecht von Degenhart wurde nunmehr in zwei eigenständige Bücher gespalten: Den neuen Klausurenkurs im Staatsrecht I, der sich vorwiegend an Anfänger wendet und den Klausurenkurs im Staatsrecht II, der sich an Examenskandidaten richtet.
Von der römischen Zahl im Titel sollte man sich nicht verwirren lassen. Auch wenn manche Universitäten und Lehrbücher nach Staatsrecht I, II, und III trennen und dabei die sachliche Auftrennung in Staatsorganisationsrecht, Grundrechte und Europarecht meinen, ist dies bei diesem Werk nicht der Fall. Bei Degenhart bedeutet die „II“ lediglich, dass es sich um den zweiten Band einer Serie handelt. Ebensolches Namensschema liegt dem bekannten Klausurenkurs im Strafrecht von Werner Beulke zu Grunde (Anmerkung: Dieser wird demnächst ebenfalls rezensiert werden).
Ebenfalls erwähnt sei, dass der Niveauunterschied zur Anfängerübung nicht allzu hoch ist. Scharfe Trennlinien entfallen. Im Umfang gibt es zwar deutliche Unterschiede, der längeren Bearbeitungszeit von 5 Stunden wegen. Inhaltlich könnten manche Klausuren aber durchaus auch in der Anfängerübung gestellt werden.
Inhalt
Thematisch deckt das Buch in 18 Fällen die wesentlichen prüfungsrelevanten Fragen sowohl des Staatsorganisationsrechts wie auch der Grundrechte ab. Fälle mit europa- und verwaltungsrechtlichen Bezügen finden sich ebenso, wie ein allgemeiner Teil, der zu typischen Fallkonstellationen Stellung nimmt sowie nützliche Aufbau- und Inhaltshinweise enthält.
Kritik
Generell gibt Degenhart an markanten Stellen Hinweise auf typische Bearbeitungsfehler der Studenten oder zeigt vertretbare Alternativlösungen auf, die sehr hilfreich sind. Man merkt dem Klausurenkurs an, dass er konsequent dem Examenskandidaten als Arbeitsbuch dienen will, um den Kernbestand staatsrechtlichen Wissens zu vermitteln. Hierzu hat der Verfasser auch eine Auflistung sämtlicher examensrelevanter Fragestellungen vorgenommen, die sich zügig über die in der Übersicht genannten Fundstellen finden lassen.
Sollte einmal ein Problem nicht im Klausurenbuch behandelt sein, findet sich eine Fundstelle aus den Lehrbüchern des gleichen Verlages von Pieroth/Schlink und Degenhart. Allenfalls der ständige Hinweis auf jene Bücher wirkt stark nach Verlagswerbung. Dieser Makel fällt aber nicht schwer ins Gewicht. Man findet zu den Stichwörtern in guten Lehrbüchern anderer Verlage ebenso gut vertiefende Hinweise.
Lob gibt es zudem für die gute Auswahl an Fällen, den gelungenen Repetitoriums-Teilen (um abstraktes Wissen zu wiederholen) und der Präsentation in einem übersichtlichen Layout und einer eingängigen Sprache. Kommentierte Prüfungsschemata, Vorüberlegungen zum Fall und Kurzlösungen zur Kontrolle vor der Musterlösung runden den positiven Eindruck ab.
Fazit
Zu Recht gilt der Klausurenkurs von Degenhart als Referenz. Andere Fallbücher müssen sich in der Qualität an ihm messen lassen. Und die Messlatte liegt wahrlich sehr hoch. Für 20 € ist es zudem ein recht günstiges Buch. Die nunmehr vorgenommene Trennung in Anfänger- und Examenswerk ist zu begrüßen. Damit wird den unterschiedlichen Bedürfnissen von Anfängerübung und Examen verstärkt Rechnung getragen, auch wenn sich der Stoff nicht immer unbedingt klar in dieses Korsett zwängen lässt. Eine klare Kaufempfehlung.

17.12.2009/0 Kommentare/von Gastautor
https://www.juraexamen.info/wp-content/uploads/2022/05/je_logo.svg 0 0 Gastautor https://www.juraexamen.info/wp-content/uploads/2022/05/je_logo.svg Gastautor2009-12-17 00:29:512009-12-17 00:29:51Gastbeitrag: Rezension – Degenhart, Klausurenkurs im Staatsrecht II für Examenskandidaten
Gastautor

Gastbeitrag: Rezension – Olzen/Wank, Zivilrechtliche Klausurenlehre

Rezensionen

Wir freuen uns, heute einen Gastbeitrag von Marcus veröffentlichen zu können. Marcus ist Student an der Uni Freiburg und betreibt zudem auch einen juristischen Blog.
Olzen/Wank, Zivilrechtliche Klausurenlehre mit Fallrepetitorium, 5. Aufl., Köln 2007, 34,80 €

Die „Zivilrechtliche Klausurenlehre“ bietet alles aus einer Hand. Anhand von 40 Klausurfällen aus allen Gebieten des BGB soll examensrelevanter Stoff vermittelt werden. Das Buch leistet dabei aber weit mehr, als nur mustergültig gelöste Examensklausuren darzustellen.
Das Werk bietet am Anfang eine nicht nur für Anfänger besonders hilfreiche Einführung in die zivilrechtliche Falllösung, in der die Methodik der Falllösung immer in Bezug zu zivilrechtlichen Fragestellungen erörtert wird. Das fängt bei recht banal erscheinenden Hinweisen zur Erstellung einer Personenskizze und der Erarbeitung der Fallfrage an. Die Autoren widmen sich aber auch methodischen Fragen der Auslegung bis hin zu ganz praktischen Problemen der Ausarbeitung.
Der fortgeschrittene Jurastudent wird sich zwar zunächst fragen, ob die Autoren hier nicht eher die juristischen Anfänger bedienen wollten und er deshalb diesen Abschnitt überspringen sollte. Doch das ein oder andere Detail wurde mir erst im geschilderten konkreten Bezug zum Zivilrecht klar und auch sonst sind die eingestreuten Erfahrungen der Autoren hilfreich. Insbesondere weil in den universitären Übungen oder Tutorien der methodische Aspekt meist zugunsten der konkreten Falllösung ausgespart wird und auf die eigenständige Vorlesung „Methodenlehre“ verwiesen wird. Die Lektüre jenes Kapitels sei deshalb auch Examenskandidaten zur Wiederholung empfohlen.
Die Fälle sind nach den großen Bereichen des BGB (bspw. Allgemeiner Teil, Schuldrecht AT & BT) untergliedert und entsprechen vom Niveau gehobenen Ansprüchen. Der Schwierigkeitsgrad variiert von Fall zu Fall.
Ein knapp gehaltenes Kapitel mit theoretischen Abhandlungen ist jedem Einzelbereich vorangestellt, die die Grundprobleme des jeweiligen Bereiches behandeln. Auch gibt es Prüfungsschemata und vereinzelt veranschaulichende Grafiken.
Der Schreibstil ist erfreulich flüssig und gut lesbar.
Kritik:
Olzen/Wank konzentrieren sich auf die allerwichtigsten Problemkreise, die absolut beherrscht werden müssen. Hierin liegt eine Stärke wie eine Schwäche des Werkes zugleich. Denn andererseits bleiben weitere wichtige Detailfragen aufgrund der Kürze unbehandelt und auch die Fälle decken weit nicht alles ab, was kommen kann.
Dies ist aber dem Konzept, alle Gebiete des BGB anzubieten, inhärent. Auf 722 Seiten lassen sich eben nicht alle examensrelevanten Punkte ansprechen. Insofern kann das Werk als Anfang zu vertieften Studien dienen. Zu den einzelnen Bereichen des BGB gibt es jeweilige Fallsammlungen und -repetitorien o.ä. mit denen sich Lücken ergänzen lassen, die wiederum vom Umfang her auch gelegentlich über das notwendige Maß hinaus schießen.
Weiterer Kritikpunkt ist der im Vergleich zu üblichen Fallsammlungen bzw. Klausurenkursen überdurchschnittliche Kaufpreis von 34,80 EUR. Dafür bekommt man eine Auswahl an Fällen aus allen Kernbereichen des BGB. Dank der Qualitäten des Buches und der Tatsache, dass es ständig in der Universitätsbibliothek verliehen ist, ist es trotzdem eine gut angelegte Investition.

17.12.2009/0 Kommentare/von Gastautor
https://www.juraexamen.info/wp-content/uploads/2022/05/je_logo.svg 0 0 Gastautor https://www.juraexamen.info/wp-content/uploads/2022/05/je_logo.svg Gastautor2009-12-17 00:25:582009-12-17 00:25:58Gastbeitrag: Rezension – Olzen/Wank, Zivilrechtliche Klausurenlehre

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Wir freuen uns, nachfolgenden Gastbeitrag von Simon Mantsch veröffentlichen zu können. Er studiert Rechtswissenschaften an der Universität Bonn und ist als Wissenschaftlicher Mitarbeiter bei Flick Gocke Schaumburg tätig. Ein nach §§ 823 […]

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16.01.2023/von Gastautor
https://www.juraexamen.info/wp-content/uploads/2022/05/je_logo.svg 0 0 Gastautor https://www.juraexamen.info/wp-content/uploads/2022/05/je_logo.svg Gastautor2023-01-16 15:42:082023-01-25 11:42:19Neue Rechtsprechung des BGH zur Ersatzfähigkeit von „Schockschäden“
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Praktikum in einer Großkanzlei – Einblicke in das FGS „Intern-Programm“

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Wir freuen uns, nachfolgend einen Gastbeitrag von Maximilian Drews veröffentlichen zu können. Der Autor studiert Rechtswissenschaften an der Universität Bonn und berichtet über sein absolviertes Pflichtpraktikum in einer Bonner Großkanzlei. […]

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03.01.2023/von Gastautor
https://www.juraexamen.info/wp-content/uploads/2022/05/je_logo.svg 0 0 Gastautor https://www.juraexamen.info/wp-content/uploads/2022/05/je_logo.svg Gastautor2023-01-03 07:26:222023-01-04 10:57:01Praktikum in einer Großkanzlei – Einblicke in das FGS „Intern-Programm“
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Human Rights and Labour – Modern Slavery – Effektive Durchsetzung von Menschenrechten in globalen Lieferketten

Öffentliches Recht, Rechtsgebiete, Startseite, Tagesgeschehen, Uncategorized

Wir freuen uns, nachfolgend einen Gastbeitrag von Theo Peter Rust veröffentlichen zu können. Der Autor studiert Rechtswissenschaften im siebten Semester an der Goethe-Universität in Frankfurt am Main. Mit dem vorliegenden […]

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23.12.2022/von Gastautor
https://www.juraexamen.info/wp-content/uploads/2022/05/je_logo.svg 0 0 Gastautor https://www.juraexamen.info/wp-content/uploads/2022/05/je_logo.svg Gastautor2022-12-23 07:42:522022-12-23 08:49:11Human Rights and Labour – Modern Slavery – Effektive Durchsetzung von Menschenrechten in globalen Lieferketten

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