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Gastautor

Neues zum Dieselskandal: Rücktritt vom Kaufvertrag ohne Fristsetzung?

Rechtsgebiete, Rechtsprechung, Schon gelesen?, Schuldrecht, Startseite, Zivilrecht

Wir freuen uns, nachfolgend einen Gastbeitrag von Alexandra Ritter veröffentlichen zu können. Die Autorin studiert Rechtswissenschaften an der Universität Bonn und ist am Institut für Arbeitsrecht und Recht der sozialen Sicherheit am Lehrstuhl von Prof. Dr. Gregor Thüsing, LL.M. (Harvard) tätig.
Mit Urteil vom 29.9.2021 (BGH, Urt. v. 29.9.2021 – VIII ZR 111/20, juris) hat der BGH entschieden, dass Käufer eines vom Dieselskandal betroffenen Pkw nicht ohne Fristsetzung vom Kaufvertrag zurücktreten können. Dem Verkäufer müsse grundsätzlich Gelegenheit zur Nachbesserung gegeben werden. Der vom BGH entschiedene Fall ist wie gemacht für eine Klausur in Studium und Examen. Er bietet damit Anlass, sich anhand der aktuellen Problematik mit dem prüfungsrelevanten Thema des Rücktritts auseinanderzusetzen.
I. Der Sachverhalt
Vereinfacht dargestellt ging es in dem dem Urteil zugrunde liegenden Fall um Folgendes: Der Kläger (K) kaufte vom beklagten Autohändler (V) im Februar 2015 einen Škoda, dessen Motor von der Volkswagen AG hergestellt war. Der Motor ist mit einer Software versehen, die erkennt, ob sich das Fahrzeug im Normalbetrieb oder auf einem Prüfstand zur Messung der maßgeblichen Werte für eine Typgenehmigung befindet. In dem Fahrmodus, der für den Fall des Durchlaufens des Prüfstands programmiert ist, kommt es im Vergleich zum regulären Fahrbetrieb zu einer erhöhten Abgasrückführung und damit zu einer Verringerung des Stickoxidausstoßes. Dieser Umstand wurde im Herbst 2015 öffentlich bekannt gemacht.
Für die fehlerhafte Software wurde ein Update entwickelt, das die Fehler beseitigt. Dieses Update wurde von der zuständigen britischen Vehicle Certification Agency freigeben mit der Bestätigung, dass es zur Fehlerbehebung geeignet sei.
Der Kläger ließ das Software-Update nicht aufspielen, weil er befürchtete, dass dieses mit negativen Folgen für das Fahrzeug verbunden sei. Mit Schreiben vom 4. Oktober 2017 erklärte K gegenüber V den Rücktritt vom Kaufvertrag. V verweigerte die Rücknahme des Fahrzeugs und verwies K auf das zur Verfügung stehende Software-Update.
Hat K einen Anspruch auf Rückzahlung des Kaufpreises?
II. Gutachterliche Lösung
K könnte gegen V einen Anspruch auf Rückzahlung des Kaufpreises aus §§ 437 Nr. 2 Alt. 1, 346 I BGB haben.
1. Kaufvertrag
K und V haben im Februar 2015 einen Kaufvertrag i.S.v. § 433 BGB über den Škoda geschlossen.
2. Mangel bei Gefahrübergang
Damit K die Mängelgewährleistungsrechte der §§ 437 ff. BGB geltend machen kann, müsste die Kaufsache bei Gefahrübergang mangelhaft gewesen sein.
a) Mangel
Mangels Beschaffenheitsvereinbarung gem. § 434 I 1 BGB und vorausgesetzter besonderer Verwendung gem. § 434 I 2 Nr. 1 BGB, kommt ein Sachmangel gem. § 434 I 2 Nr. 2 BGB in Betracht.
Danach hat die Sache einen Mangel, wenn sie sich nicht für die gewöhnliche Verwendung eignet und nicht eine Beschaffenheit aufweist, die bei Sachen der gleichen Art üblich ist und die der Käufer nach der Art der Sache erwarten kann. Die unzulässige Abschalteinrichtung birgt die Gefahr einer Betriebsuntersagung gem. § 5 I FZV und führt so zu einer herabgesetzten Eignung des Fahrzeugs zur gewöhnlichen Verwendung (BGH, Urt. v. 29.9.2021 – VIII ZR 111/20, juris Rn. 20). Zudem ist eine solche Abschalteinrichtung bei Sachen der gleichen Art nicht üblich und der Käufer kann erwarten, dass der Wagen keine Abschalteinrichtung einprogrammiert hat. Somit liegt ein Sachmangel i.S.v. § 434 I 2 Nr. 2 BGB vor.
b) Gefahrübergang
Der Mangel müsste schon bei Gefahrübergang vorgelegen haben. Gem. § 446 S. 1 BGB geht die Gefahr mit Übergabe der Kaufsache auf den Käufer über. Die Abschalteinrichtung wurde schon vom Motorhersteller eingerichtet, sodass der Mangel bereits im Zeitpunkt des Gefahrübergangs vorlag.
c) Zwischenergebnis
Der Anwendungsbereich für die Mängelgewährleistungsrechte gem. §§ 437 ff. BGB ist eröffnet
3. Weitere Rücktrittsvoraussetzungen
Gem. § 437 Nr. 2 Alt. 1 BGB kann K nach den §§ 440, 323, 326 V BGB vom Kaufvertrag zurückgetreten. Dazu müsste K den Rücktritt gem. § 349 BGB erklärt und gem. § 323 I BGB eine Frist zur Nacherfüllung gesetzt haben.
a) Erklärung
Die Rücktrittserklärung gem. § 349 BGB ist eine einseitige empfangsbedürftige Willenserklärung. Mit Schreiben vom 4.10.2017 hat K gegenüber V seinen Willen vom Vertrag zurückzutreten zum Ausdruck gebracht. Diese Erklärung ist V auch zugegangen (§ 130 I BGB). Eine Rücktrittserklärung des K liegt vor.
b) Frist
Gem. § 323 I BGB müsste K dem V zunächst eine Frist zur Nacherfüllung gesetzt haben. Hier hat K dem V jedoch den Rücktritt erklärt, ohne ihm zuvor die Gelegenheit zur Nacherfüllung zu gewähren. Eine Fristsetzung liegt damit nicht vor.
Die Fristsetzung könnte jedoch entbehrlich sein.
aa) § 323 II Nr. 3 BGB
(1) Zunächst kommt eine Entbehrlichkeit der Fristsetzung gem. § 323 II Nr. 3 BGB wegen etwaigen arglistigen Verhaltens in Betracht. Gem. § 323 II Nr. 3 BGB ist die Fristsetzung entbehrlich, wenn im Falle einer nicht vertragsgemäß erbrachten Leistung besondere Umstände vorliegen, die unter Abwägung der beiderseitigen Interessen den sofortigen Rücktritt rechtfertigen.
„Ein die sofortige Rückabwicklung des Kaufvertrags rechtfertigendes überwiegendes Käuferinteresse ist regelmäßig dann zu bejahen, wenn der Verkäufer dem Käufer einen ihm bekannten Mangel bei Abschluss des Kaufvertrags arglistig verschwiegen hat […]. In diesen Fällen ist in aller Regel ein den Verkäuferbelangen vorgehendes Interesse des Käufers anzuerkennen, von einer weiteren Zusammenarbeit mit dem Verkäufer Abstand zu nehmen, um sich vor möglichen weiteren Täuschungsversuchen zu schützen […]. Denn durch das arglistige Verschweigen eines Mangels entfällt auf Seiten des Käufers regelmäßig die zur Nacherfüllung erforderliche Vertrauensgrundlage, während der Verkäufer die Möglichkeit zur nachträglichen Mangelbeseitigung in der Regel nicht verdient, wenn er den ihm bekannten Mangel vor Vertragsschluss hätte beseitigen können und damit im Vorfeld der vertraglichen Beziehungen bereits die Chance hatte, eine Rückabwicklung des später geschlossenen Vertrags zu vermeiden […].“
(BGH, Urt. v. 29.9.2021– VIII ZR 111/20, juris Rn. 24)
V hatte als Händler im Zeitpunkt der Einigung zwischen V und K keine Kenntnis von der Mangelhaftigkeit des Wagens und diesen somit auch nicht arglistig verschwiegen.
Allerdings hatte der Hersteller des Wagens, die Volkswagen AG, Kenntnis von der Mangelhaftigkeit.
„Zwar kann die Vertrauensgrundlage zwischen einem Käufer und einem Verkäufer unter Umständen auch dann gestört sein, wenn der Verkäufer sich bei Vertragsabschluss ordnungsgemäß verhalten hat, jedoch der Hersteller des Fahrzeugs dieses mit einer ihm bekannten und verschwiegenen unzulässigen Abschalteinrichtung in den Verkehr gebracht hat und der Verkäufer nun allein eine Nachbesserung in Form eines von diesem Hersteller entwickelten Software-Updates anbietet. Dabei kommt es darauf an, ob spätestens bei Erklärung des Rücktritts […] die Vertrauensgrundlage zwischen den Parteien so gestört war, dass eine Nacherfüllung (vgl. § 323 Abs. 1 BGB), also eine Nachbesserung oder eine Ersatzlieferung, für den Käufer unter Einbeziehung des Herstellers nicht zumutbar war. Ob dies der Fall ist, hängt jedoch von den konkreten Umständen des Einzelfalls ab, die der Tatrichter nicht schematisch, sondern in sorgfältiger Abwägung zu würdigen hat.“
(BGH, Urt. v. 29.9.2021 – VIII ZR 111/20, juris Rn. 27)
Solche Anhaltspunkte dafür, dass K die Nacherfüllung unter Einbeziehung des V nicht zumutbar war, lassen sich dem Sachverhalt nicht entnehmen.
V könnte sich allenfalls die Kenntnis von der Mangelhaftigkeit und ein arglistiges Vorgehen des Herstellers nach § 278 BGB, 166 BGB analog zurechnen lassen müssen.
Dazu müsste die Volkswagen AG als Herstellerin Erfüllungsgehilfin des V i.S.v. § 278 BGB gewesen sein. Erfüllungsgehilfe ist, wer nach den tatsächlichen Gegebenheiten mit dem Willen des Schuldners bei der Erfüllung einer diesem obliegenden Verbindlichkeit als seine Hilfsperson tätig wird (BeckOK BGB/Lorenz, 59. Ed. Stand: 1.8.2021, § 278 Rn. 11). Die Volkswagen AG könnte bei der dem V gem. § 433 I BGB obliegenden Verbindlichkeit, dem K ein mangelfreies Fahrzeug zu übereignen, tätig geworden sein. Dagegen spricht aber, dass ein Hersteller bei der Herstellung künftiger Kaufsachen eigene Aufgaben erfüllt und nicht solche des späteren Händlerverkäufers. Eine Stellung der Volkswagen AG als Erfüllungsgehilfin des V ist somit abzulehnen.
Damit muss sich V etwaiges arglistiges Verhalten der Herstellerin nicht zurechnen lassen. Eine Entbehrlichkeit der Frist lässt sich aus der Kenntnis der Mangelhaftigkeit der Herstellerin somit nicht begründen.
(2) Eine Entbehrlichkeit der Fristsetzung gem. § 323 II Nr. 3 BGB könnte aus dem Umstand herrühren, dass die Installation des Software-Updates zu anderen Mängeln am Wagen führen könnte. Ob das Software-Update solche Konsequenzen hat, lässt sich dem Sachverhalt nicht entnehmen. Es genügt nach Auffassung des BGH hier auch nicht, dass solche sich anschließenden Mängel nach allgemeiner Lebenserfahrung nicht ausgeschlossen sind (BGH, Urteil v. 29.9.2021 – VIII ZR 111/20, juris Rn. 33 ff.).

– die Ausführungen des BGH beziehen sich hier auch auf Fehler der Beweiswürdigung durch das Berufungsgericht. Für die Ausführungen im Gutachten kann an dieser Stelle festgehalten werden, dass der Entbehrlichkeitsgrund nach § 323 II Nr. 2 BGB eine umfassende Interessenabwägung im Einzelfall fordert. Ein nicht hinreichend belegter Verdacht einer Vertragspartei, wie in diesem Fall, genügt nicht, um die Entbehrlichkeit zu begründen (BGH, Urt. v. 29.9.2021 – VIII ZR 111/20, juris Rn. 38).

Hilfsweise sei an dieser Stelle die Interessenabwägung bei angenommener Unzumutbarkeit der Nacherfüllung durch Nachbesserung für K aufgezeigt.
„Selbst wenn die Nacherfüllung für den Kläger unzumutbar wäre, träte damit das Interesse der Beklagten an einer vom Gesetzgeber durch das Instrument der Nacherfüllung grundsätzlich eingeräumten „zweiten Andienung“ nicht automatisch zurück. Denn der Beklagten war das Vorhandensein der unzulässigen Abschalteinrichtung vor oder bei Vertragsschluss nicht bekannt. Sie hatte daher nicht die Möglichkeit, diesen Mangel frühzeitig zu beseitigen. Gerade diesem Umstand kommt aber nach der höchstrichterlichen Rechtsprechung entscheidendes Gewicht für ein Zurücktreten der Belange des täuschenden Verkäufers im Rahmen der Interessenabwägung nach § 323 Abs. 2 Nr. 3 BGB zu […]-. Der Beklagten ist eine Berufung auf eine „zweite Andienung“ auch nicht per se deswegen zu versagen, weil ihr eine mögliche Arglist des Herstellers zuzurechnen wäre. Denn eine Zurechnung eines solchen Herstellerverhaltens gemäß § 278 BGB, § 166 BGB analog scheidet aus […].“
(BGH, Urt. v. 29.9.2021 – VIII ZR 111/20, juris Rn. 37)

Die Fristsetzung war auch unter Berücksichtigung der Behauptung des K entbehrlich gem. § 323 II Nr. 3 BGB.
bb) § 440 BGB
Die Fristsetzung könnte entbehrlich sein gem. § 440 BGB. Hiernach bedarf es einer Fristsetzung zur Nacherfüllung nicht, wenn dem Käufer die ihm zustehende Art der Nacherfüllung unzumutbar ist. Eine solche Unzumutbarkeit lässt sich aus den geschilderten Umständen – wie dargestellt – aber gerade nicht begründen. Die Frist ist somit auch nicht gem. § 440 BGB entbehrlich.
cc) § 326 V BGB
Zuletzt könnte die Fristsetzung entbehrlich sein gem. § 326 V BGB. Dazu müssten beide Arten der Nacherfüllung unmöglich i.S.v. § 275 I – III BGB sein.
„Vorliegend steht nicht fest, ob eine mangelfreie Nachlieferung des ursprünglichen Modells zum Zeitpunkt des Rücktritts noch möglich war oder nicht. Auch hat das Berufungsgericht nicht festgestellt, ob eine Nachbesserung durch das Software-Update oder gegebenenfalls durch andere Methoden (etwa „Hardware-Lösung“) unmöglich war […].“
(BGH, Urt. v. 29.9.2021 – VIII ZR 111/20, juris Rn. 42)

– Auch hier sind unzureichende Erhebungen des Berufungsgerichts Grundlage der Bewertung durch den BGH. In der Klausur kann es dieser Stelle zu einer Inzidentprüfung der Unmöglichkeit der Nacherfüllung kommen. Dann ist deutlich darzustellen, dass der Bezugspunkt für die Unmöglichkeit i.S.v. § 275 BGB nicht der ursprüngliche Erfüllungsanspruch, sondern der Nacherfüllungsanspruch gem. § 439 I BGB ist.

dd) Zwischenergebnis
Die Setzung einer Frist zur Nacherfüllung war nicht entbehrlich. K ist somit nicht wirksam vom Kaufvertrag zurückgetreten.
– Hilfsgutachten –
5. Kein Ausschluss
Bei der Annahme einer Entbehrlichkeit der Fristsetzung wäre schließlich noch zu prüfen, ob der Rücktritt durch K ausgeschlossen ist. In Betracht kommt ein Ausschluss des Rücktritts gem. § 323 V 2 BGB. Demnach kann der Gläubiger bei nicht vertragsgemäßer Leistungserbringung durch den Schuldner nicht vom Vertrag zurücktreten, wenn die Pflichtverletzung unerheblich ist. Dies
„erfordert eine umfassende Interessenabwägung auf der Grundlage der Umstände des Einzelfalls […]. Bei behebbaren Mängeln ist von einer Geringfügigkeit und damit von einer Unerheblichkeit in der Regel auszugehen, wenn die Kosten der Mangelbeseitigung im Verhältnis zum Kaufpreis geringfügig sind, was jedenfalls regelmäßig nicht mehr anzunehmen ist, wenn der Mangelbeseitigungsaufwand einen Betrag von fünf Prozent des Kaufpreises übersteigt […]. Bei unbehebbaren Mängeln ist regelmäßig auf das Ausmaß der Funktionsbeeinträchtigung abzustellen […].“ (BGH, Urt. v. 29.9.2021 – VIII ZR 111/20, juris Rn. 44).
Für die Annahme einer Geringfügigkeit könnte sprechen, dass das Software-Update ohne größere Schwierigkeiten und mit geringen Zeitaufwand durchführbar ist.
„Jedoch steht derzeit nicht fest, dass das Software-Update zu einer ordnungsgemäßen Nachbesserung führt, also nicht mit dem Auftreten von (nicht zu vernachlässigenden) Folgemängeln verbunden wäre. Eine Nachbesserung im Sinne von § 439 Abs. 1 BGB setzt eine vollständige, nachhaltige und fachgerechte Behebung des vorhandenen Mangels voraus […] und liegt nicht vor, wenn zwar der ursprüngliche Mangel beseitigt, hierdurch aber Folgemängel hervorgerufen werden. Ob dies der Fall ist, ist mangels rechtsfehlerfreier Feststellungen des Berufungsgerichts offen. Damit kann nach derzeitigem Erkenntnisstand nicht davon ausgegangen werden, dass sich die unzulässige Abschalteinrichtung mit geringem Kostenaufwand folgenlos in dem vorbeschriebenen Sinne beseitigen ließe.“
(BGH, Urt. v. 29.9.2021 – VIII ZR 111/20, juris Rn. 47)
Im Ergebnis kann die Unerheblichkeit der Pflichtverletzung nicht angenommen werden. Der Ausschluss gem. § 323 V 2 BGB ist somit nicht einschlägig.
– Ende des Hilfsgutachtens –
6. Ergebnis
K hat gegen V keinen Anspruch auf Rückzahlung des Kaufpreises aus §§ 437 Nr. 2 At. 1, 346 I BGB.
III. Fazit
Auch wenn viele Bewertungen des BGH bezüglich der Entbehrlichkeit der Frist auf den Umstand zurückzuführen sind, dass bestimmte Umstände auf Tatsachenebene von den Vorinstanzen nicht hinreichend erforscht wurden, lassen sich einige Ausführungen finden, die im Gutachten hilfreich sein können.
Zum einen macht der Fall deutlich, dass zwischen den am Sachverhalt beteiligten genau zu unterscheiden ist. Das Verhalten und die Kenntnis des Herstellers/Lieferanten von der Mangelhaftigkeit der Kaufsache, kann dem Händlerverkäufer nach Auffassung des BGH nicht zugerechnet werden.
Zum anderen ist festzuhalten, dass für die Entbehrlichkeit der Fristsetzung gem. § 323 II Nr. 3 BGB eine umfassende Abwägung der Umstände des Einzelfalls vorzunehmen ist. Für die Klausur bedeutet dies insbesondere die Informationen des Sachverhalts hierzu fruchtbar zu machen und einen eher strengen Maßstab anzulegen. Dabei darf die Bedeutung des Rechts des Schuldners zur zweiten Andienung nicht übersehen werden. Da es hier auf eine Wertung im Einzelfall ankommt, ist das Ergebnis bei sorgfältiger Verwertung der Informationen des Sachverhalts und Gewichtung der Argumente eher nebensächlich. Hier gilt es, das Ergebnis klausurtaktisch zu wählen und ggf. weitere Probleme des Sachverhalts im Hilfsgutachten zu besprechen.

04.11.2021/3 Kommentare/von Gastautor
https://www.juraexamen.info/wp-content/uploads/2022/05/je_logo.svg 0 0 Gastautor https://www.juraexamen.info/wp-content/uploads/2022/05/je_logo.svg Gastautor2021-11-04 08:22:272021-11-04 08:22:27Neues zum Dieselskandal: Rücktritt vom Kaufvertrag ohne Fristsetzung?
Dr. Melanie Jänsch

BGH: Neues zum Rücktritt wegen Sachmangels – Keine zweite Chance zur Nachbesserung erforderlich

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Mit Urteil vom 26.08.2020 hat sich der BGH (Az.: VIII ZR 351/19) abermals mit dem extrem klausur- und examensrelevanten Gebiet des kaufrechtlichen Gewährleistungsrechts auseinandergesetzt. Konkret wurden die Anforderungen an einen Rücktritt vom Kaufvertrag und Schadensersatzansprüche nach einem erfolglosen Nachbesserungsversuch präzisiert: Wurde eine angemessene Frist zur Nacherfüllung bestimmt, innerhalb derer der Verkäufer voraussichtlich nicht nur die Leistungshandlung vornehmen, sondern auch den Leistungserfolg herbeiführen kann, und ist diese Frist erfolglos verstrichen, so muss der Käufer dem Verkäufer grundsätzlich keine zweite Gelegenheit zur Nachbesserung einzuräumen, bevor er sekundäre Gewährleistungsrechte geltend machen kann. Der Fall eignet sich hervorragend, um systematische Feinheiten des Mängelrechts abzuprüfen, und kann problemlos Einzug in Klausuren ab dem Grundstudium finden – eine Auseinandersetzung mit den Grundzügen der Entscheidung ist angesichts dessen nicht nur für Examenskandidaten dringend zu empfehlen.
 
A) Sachverhalt (vereinfacht und leicht abgewandelt)
Der Sachverhalt ist schnell erzählt: K kaufte am 12.09.2017 bei V einen Neuwagen zum Preis von 18.750 Euro. Mit Schreiben vom 14.05.2018 rügte K Mängel an der Lackierung des Fahrzeugs im Bereich der Motorhaube, der A-Säule und am Heckdeckel. Hierbei setzte er V eine Frist zur Nachbesserung bis zum 30.05.2018. Mit Anwaltsschreiben vom 28.05.2018 bot V dem K an, einen Vertragshändler seiner Wahl zum Zwecke der Besichtigung des Fahrzeugs und der Nachbesserung aufzusuchen. Hiervon machte K Gebrauch und überstellte das Fahrzeug am 03.07.2018 einer Vertragswerkstatt zur Untersuchung. Im Anschluss hieran fand die Nachbesserung im Zeitraum vom 14. bis zum 21.08.2018 statt. Indes wurden die beanstandeten Mängel im Zuge dieser ersten Nachbesserung nicht vollständig beseitigt und die Neulackierung nicht fachgerecht ausgeführt, weshalb der K das Fahrzeug einige Tage später erneut bei der Werkstatt vorstellte und einen zweiten Nachbesserungstermin vereinbarte. Diesen Termin nahm er jedoch nicht wahr, sondern erklärte mit Anwaltsschreiben vom 24.09.2018 den Rücktritt vom Kaufvertrag gegenüber V. Er verlangt nun unter anderem – unter Anrechnung gezogener Nutzungen – Rückzahlung des Kaufpreises in Höhe von 17.437,50 Euro nebst Zinsen, Zug um Zug gegen Rückübereignung des Fahrzeugs.
 
B) Rechtsausführungen
Nach Abweisung der Klage vor dem Landgericht Hanau ist auch die hiergegen gerichtete Berufung des Klägers vor dem OLG Frankfurt erfolglos geblieben. In der Revision hat der BGH nunmehr festgestellt, dass ein Anspruch des Käufers auf Rückzahlung des Kaufpreises nach §§ 437 Nr. 2 Alt. 1, 434 Abs. 1, 323 Abs. 1 i.V.m. 346 ff. BGB sowie auf Schadensersatz statt der Leistung gemäß §§ 437 Nr. 3, 434 Abs. 1, 325, 280 Abs. 1, Abs. 3, 281 Abs. 1 S. 1 BGB nicht verneint werden kann, und die Sache an das OLG Frankfurt zur erneuten Verhandlung und Entscheidung zurückverwiesen.
 
I. Anwendungsbereich des kaufrechtlichen Gewährleistungsrechts
Der Anwendungsbereich des kaufrechtlichen Gewährleistungsrechts ist zweifellos eröffnet: Angesichts der genannten Mängel ist der Verkäufer seiner Pflicht aus dem Kaufvertrag zur mangelfreien Verschaffung der Sache gemäß § 433 Abs. 1 S. 2 BGB nicht nachgekommen. Es liegen also Sachmängel i.S.d. § 434 Abs. 1 BGB vor, die nach den gerichtlichen Feststellungen auch bereits im Zeitpunkt der Übergabe i.S.v. § 446 S. 1 BGB, also bei Gefahrübergang, bestanden.
 
II. Rücktrittsvoraussetzungen
Die Voraussetzungen des Rücktritts wegen – wie hier vorliegender – behebbarer Mängel richten sich nach §§ 437 Nr. 2 Alt. 1, 323 BGB.
Der zunächst erforderliche gegenseitige Vertrag besteht in dem von den Parteien abgeschlossenen Kaufvertrag; die zuvor festgestellten Sachmängel bei Gefahrübergang bedeuten eine nicht vertragsgemäße Leistung i.S.v. §§ 437 Nr. 2 Alt. 1, 323 Abs. 1 Alt. 2 BGB.
Damit liegt der Schwerpunkt der Prüfung – parallel zum Schadensersatz statt der Leistung gemäß § 280 Abs. 1, Abs. 3, 281 BGB – auf der Frage, ob eine angemessene Frist zur Nacherfüllung erfolglos abgelaufen ist. Denn § 323 Abs. 1 BGB zufolge kann der Gläubiger dem Grundsatz nach nur dann zurücktreten, wenn er dem Schuldner gegenüber zuvor ergebnislos eine angemessene Frist zur Erbringung der ausstehenden Leistung bzw. Nacherfüllung bestimmt hat. Mit anderen Worten: Sobald die angemessene Frist fruchtlos verstrichen ist, der Schuldner also vor ihrem Ablauf nicht, nicht vollständig oder nicht ordnungsgemäß geleistet hat, steht dem Gläubiger ein Rücktrittsrecht zu. Welche konkrete Zeitspanne objektiv angemessen ist, bestimmt sich nach den Umständen des Einzelfalls (MüKoBGB/Ernst, 8. Aufl. 2019, § 323 Rn. 72).
 
Anmerkung: Erweist sich die konkret gesetzte Frist als unangemessen kurz, ist die Rechtsfolge jedoch nicht ihre Unwirksamkeit, sondern es wird eine längere (angemessene) Frist in Gang gesetzt (s. hierzu exemplarisch BGH, Urt. v. 13.07.2016 – VIII ZR 49/15, NJW 2016, 3654, 3655 Rn. 31).
 
1. Berufen auf Verstreichen der ursprünglich gesetzten Frist als Verstoß gegen Treu und Glauben
Nach diesen Maßstäben hat der BGH zunächst – im Ergebnis in Übereinstimmung mit dem Berufungsgericht – festgestellt, dass ein Rücktrittsrecht nicht schon deswegen besteht, weil die Nachbesserungsarbeiten nicht innerhalb der ursprünglich gesetzten Frist (bis zum 30.05.2018), sondern erst im Zeitraum vom 14. bis zum 21.08.2018 durchgeführt worden sind. Anders als das Berufungsgericht ausgeführt hat, ergebe sich dies allerdings noch nicht daraus, dass ein vor Ablauf der Nachbesserungsfrist eingegangenes Angebot des Verkäufers auf Untersuchung des Fahrzeugs für eine fristwahrende Nachbesserung ausreiche. Unabhängig davon, dass das vor Fristablauf erfolgte Angebot auf Vorstellung des Fahrzeugs beim Vertragshändler als bloß vorgeschalteter Schritt zur Nacherfüllung, mithin nicht als Leistungshandlung selbst zu werten sei, komme es nämlich bei der Nacherfüllung auf das Ausbleiben des Leistungserfolgs innerhalb der Frist an. Allein die fristgerechte Erbringung der Leistungshandlung könne weitergehende Rechte des Käufers nicht ausschließen; dies folge bereits aus dem Sinn und Zweck der Nacherfüllung, die Durchsetzung und Ermöglichung der Erfüllung der Verkäuferpflichten sicherzustellen, und stehe auch nur nach diesem Verständnis im Einklang mit europarechtlichen Vorgaben:

„Das erfolglose Verstreichen der vom Käufer gesetzten (angemessenen) Frist führt dazu, dass der Käufer, der eine mangelhafte Sache erhalten hat, nun sekundäre Gewährleistungsrechte (Rücktritt, Minderung, Schadens- oder Aufwendungsersatz) geltend machen kann. Es ist weder ein Bedürfnis des Verkäufers erkennbar, dem Käufer bereits bei einer fristgerecht vorgenommenen Leistungshandlung den Übergang zu den sekundären Gewährleistungsrechten zu verwehren, noch würde dies den Interessen des Käufers gerecht. Denn die vom Käufer zu setzende Frist ist so zu bemessen, dass der Verkäufer bei ordnungsgemäßem Vorgehen vor Fristablauf voraussichtlich nicht nur die Leistungshandlung vornehmen, sondern auch den Leistungserfolg herbeiführen kann.“ (Rn. 28)

Ob die konkret gesetzte Frist bis zum 30.05.2018 als angemessen einzustufen sei, könne gleichwohl dahinstehen. Denn angesichts der Tatsache, dass sich der Käufer freiwillig auf eine Nachbesserung im August eingelassen habe, wurde damit entweder die gesetzte Frist verlängert oder jedenfalls kein Widerspruch dagegen erhoben, dass die Mängelbeseitigung erst später vorgenommen wurde – sodass ein Berufen auf die nicht erfolgte Nachbesserung bis zum 30.05.2018 nach dem Gebot von Treu und Glauben gemäß § 242 BGB als rechtsmissbräuchlich zu werten sei.
 
2. Keine zweite Chance zur Nachbesserung erforderlich
Dennoch: Die Geltendmachung sekundärer Gewährleistungsrechte sei nicht an die Einräumung einer zweiten Chance zur Nachbesserung gekoppelt. Das Berufungsgericht habe verkannt, dass eine Fristsetzung zur Nachbesserung nicht erst dann erfolglos im Sinne des § 323 Abs. 1 BGB verstrichen sei, wenn – wie in § 440 S. 2 BGB für den Fall einer ausnahmsweise entbehrlichen Fristsetzung infolge einer fehlgeschlagenen Nacherfüllung vorgesehen – zwei Nachbesserungsversuche des Verkäufers nicht zur Beseitigung des Mangels geführt hätten. Im Gegenteil sei § 440 S. 1 Alt. 2, S. 2 BGB, wonach die Nachbesserung nach dem erfolglosen zweiten Versuch als fehlgeschlagen gilt und die Fristsetzung in der Konsequenz für den Übergang zu sekundären Gewährleistungsrechten ausnahmsweise entbehrlich ist, angesichts seines Ausnahmecharakters gerade keine allgemeine Wertung zu entnehmen:

„Das Gesetz unterscheidet konsequent zwischen dem Fristsetzungserfordernis nach den Regeltatbeständen (§ 323 Abs. 1 BGB [Rücktritt und Minderung [iVm § 441 Abs. 1 Satz 1 BGB]], § 281 Abs. 1 BGB [Schadensersatz statt der Leistung]) und den Fallgestaltungen, in denen eine Fristsetzung ausnahmsweise entbehrlich ist (§ 323 Abs. 2, 3, § 281 Abs. 2 BGB, § 440 Satz 1 BGB). Der grundsätzlich gebotenen Fristsetzung ist nach der Vorstellung des Gesetzgebers bereits dann genügt, wenn der Käufer einmalig fruchtlos eine angemessene Frist zur Nacherfüllung gesetzt hat. Die gesetzlichen Vorschriften, die einen Rücktritt, eine Minderung oder ein Verlangen auf Schadensersatz statt der Leistung in Ausnahmefällen auch ohne Fristsetzung erlauben, zeichnen sich jeweils dadurch aus, dass sie den Verzicht auf dieses einmalige Erfordernis durch andere (gleichwertige) Anforderungen ersetzen. Weiter verkennt das Berufungsgericht den Sinn und Zweck des § 440 Satz 2 BGB, der dem Käufer die Geltendmachung eines Fehlschlagens der Nachbesserung in praktischer Hinsicht erleichtern (BT-Drucks. 14/6040, S. 234), nicht aber den Übergang zu den sekundären Gewährleistungsrechten erschweren soll.“ (Rn. 38 f.)

Anders gesagt: Einem Schuldner, der eine fällige Leistung nicht erbracht hat, wird durch das einmalige Setzen einer angemessenen Frist hinreichend deutlich gemacht, dass ein weiteres Ausbleiben der Leistung Rechtsfolgen nach sich zieht – so die Grundkonzeption der Mängelrechte. In bestimmten Fällen muss der Käufer aber ausnahmsweise keine Frist setzen, weil dies keinen Erfolg versprechen würde oder ihm aus anderen Gründen nicht zugemutet werden kann (§§ 323 Abs. 2, 440, 281 Abs. 2 BGB). Aus diesen Ausnahmetatbeständen und den ihnen zugrunde liegenden Wertungen lassen sich aber keine Rückschlüsse auf die Auslegung der Regeltatbestände ziehen:

„Denn dies würde das vom Gesetzgeber als Regelfall ausgestaltete Fristerfordernis obsolet machen. Wenn der Käufer dem Verkäufer trotz Fristsetzung regelmäßig zweimal eine Nachbesserungsmöglichkeit einräumen müsste, ist nicht zu erkennen, warum der Käufer überhaupt noch eine Frist setzen und nicht stattdessen ein Fehlschlagen der Nachbesserung im Sinne von § 440 BGB geltend machen sollte. Zugleich wären dem Käufer die Vorteile einer Fristsetzung abgeschnitten. Er könnte sich – entgegen dem Willen des Gesetzgebers – nicht mehr darauf verlassen, dass bei Ablauf einer von ihm gesetzten angemessenen Frist zur Nachbesserung ein Übergang zu den sekundären Gewährleistungsrechten möglich ist.“ (Rn. 50)

Der Käufer muss dem Verkäufer also grundsätzlich keine zweite Gelegenheit zur Nachbesserung einräumen, bevor er zurücktreten oder Schadensersatzansprüche geltend machen kann. Das Recht zur Nachbesserung ist mit dem erfolglosen Versuch, den Wagen zu lackieren, abgegolten gewesen; die Frist ist mithin erfolglos abgelaufen.
 
Ferner dürfte der Mangel nicht unerheblich gemäß §§ 437 Nr. 2 Alt. 1, 323 Abs. 5 S. 2 BGB bzw. § 281 Abs. 1 S. 3 BGB sein. Hierzu bedarf es gleichwohl weiterer Feststellungen seitens des Berufungsgerichts. Gleiches gilt hinsichtlich der Frage, ob dem Käufer eine Berufung auf den erklärten Rücktritt wegen widersprüchlichen Verhaltens gemäß § 242 BGB verwehrt ist. Daher hat der BGH die Sache zur erneuten Verhandlung und Entscheidung an das Berufungsgericht zurückverwiesen.
 
III. Letztlich kann ein Anspruch des Käufers auf Rückzahlung des Kaufpreises nach §§ 437 Nr. 2 Alt. 1, 434 Abs. 1, 323 Abs. 1 i.V.m. 346 ff. BGB sowie auf Schadensersatz statt der Leistung gemäß §§ 437 Nr. 3, 434 Abs. 1, 325, 280 Abs. 1, Abs. 3, 281 Abs. 1 S. 1 BGB daher nicht mit der Begründung verneint werden, dass ein zweiter Nachbesserungsversuch nicht stattgefunden hat.  
 
C) Zusammenfassung
Kurz zusammengefasst gilt:

  • Damit sekundäre Gewährleistungsrechte (Rücktritt, Minderung, Schadensersatz statt der Leistung) geltend gemacht werden können, bedarf es dem Grundsatz nach der Setzung einer angemessenen Frist durch den Käufer, die erfolglos ablaufen muss.
  • Innerhalb dieser Frist muss es dem Verkäufer voraussichtlich möglich sein, nicht nur die Leistungshandlung vorzunehmen, sondern auch den Leistungserfolg herbeizuführen.
  • Ist diese Frist verstrichen, ohne dass der Leistungserfolg herbeigeführt wurde, muss der Käufer dem Verkäufer grundsätzlich keine zweite Gelegenheit zur Nachbesserung einräumen. Dem Ausnahmetatbestand nach § 440 S. 1 Alt. 2, S. 2 BGB, dem zufolge die Nachbesserung erst nach dem erfolglosen zweiten Versuch als fehlgeschlagen gilt, ist keine allgemeine Wertung zu entnehmen, die Rückschlüsse auf die Auslegung der Regeltatbestände zulassen könnte.

 

22.10.2020/1 Kommentar/von Dr. Melanie Jänsch
https://www.juraexamen.info/wp-content/uploads/2022/05/je_logo.svg 0 0 Dr. Melanie Jänsch https://www.juraexamen.info/wp-content/uploads/2022/05/je_logo.svg Dr. Melanie Jänsch2020-10-22 08:50:242020-10-22 08:50:24BGH: Neues zum Rücktritt wegen Sachmangels – Keine zweite Chance zur Nachbesserung erforderlich
Gastautor

Die Fristberechnung im Öffentlichen Recht

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Wir freuen uns, heute einen Gastbeitrag von Jan Holthoff und Ref. iur. Dr. Sebastian Nellesen veröffentlichen zu können. Die Autoren sind Wissenschaftliche Mitarbeiter am Lehrstuhl für Staats- und Verwaltungsrecht sowie Wissenschaftsrecht und Medienrecht bei Professor Dr. Christian von Coelln an der Universität zu Köln.
 
Die Berechnung von Fristen ist regelmäßig Gegenstand der Prüfungen im 1. und 2. juristischen Staatsexamen. Gleiches gilt für die universitären Prüfungen. In nahezu jede Klausur lassen sich Fragen rund um die Fristberechnung ohne viel Aufwand einbauen, sodass immer mit diesem Thema zu rechnen ist. Damit die Fristberechnung im Ernstfall zutreffend und in angemessener Bearbeitungszeit gelingt, bedarf es einer gewissen Übung. Hierzu sollen die nachfolgenden Übungsfälle beitragen.
Die Übungsfälle sind in zwei Kategorien eingeteilt. Die Fälle 1-12 (Einstiegsfälle) richten sich in erster Linie an Studenten, die sich erstmalig mit der Berechnung von Fristen im Öffentlichen Recht beschäftigen. Daneben eignen sich diese auch zur Wiederholung für fortgeschrittene Studenten und Referendare.
Die Übungsfälle 13-25 (Fälle für Fortgeschrittene) behandeln häufig geprüfte und aktuell diskutierte Probleme bei der Fristberechnung. Insbesondere haben wir bei der Erstellung der Übungsfälle die aktuelle Rechtsprechung ausgewertet.
Für die Fristberechnung im Öffentlichen Recht sind in aller Regel die §§ 187 ff. BGB maßgeblich. Hierzu verweisen wir auf den Beitrag von Tom Stiebert, der insbesondere die für die Fristberechnung wichtigen Vorschriften § 187 BGB und § 188 BGB genauer in den Blick nimmt.
Für das Verwaltungsverfahren findet sich ein Verweis in § 31 Abs. 1 VwVfG, für das verwaltungsgerichtliche Verfahren in § 57 Abs. 2 VwGO i.V.m. § 222 Abs. 1 ZPO. Für Verfahren vor dem Bundesverfassungsgericht enthält das BVerfGG keine eigenen Vorschriften zur Fristberechnung und auch keinen Verweis auf die BGB-Vorschriften. Nach ganz h.M. sind dennoch die Vorschriften der ZPO (und damit insbesondere § 222 Abs. 1 ZPO i.V.m. §§ 187 ff. BGB) anzuwenden, sofern sie auf das öffentlich-rechtliche Prozessverfahren anwendbar sind.
Gehen Sie bei den nachfolgenden Fällen davon aus, dass ein Vorverfahren nach § 68 VwGO nicht erforderlich ist – sofern sich nichts anderes aus dem Bearbeitungshinweis ergibt. Bei der Bearbeitung sollte ein Kalender als Hilfsmittel verwendet werden. In Klausuren ist dieser typischerweise der Aufgabenstellung beigefügt.
 
Einstiegsfälle:
Fall 1: Bekanntgabe – „Drei-Tages-Fiktion“
A hat am 20. April 2020 eine mit ordnungsgemäßer Rechtsbehelfsbelehrung versehene Ordnungsverfügung der Stadt Köln erhalten, die diese am 17. April 2020 zur Post gegeben hat.
Bis wann kann A fristgerecht Anfechtungsklage erheben?
 
Lösung:
Die Klagefrist beträgt gemäß § 74 Abs. 1 S. 2 VwGO einen Monat ab Bekanntgabe des Verwaltungsakts (hier: Ordnungsverfügung).
Die Bekanntgabe richtet sich nach § 41 Abs. 1 S. 1, Abs. 2 S. 1 VwVfG NRW. Danach gilt ein schriftlicher Verwaltungsakt, der im Inland durch die Post übermittelt wird, am dritten Tag nach der Aufgabe zur Post als bekanntgegeben („Drei-Tages-Fiktion“). Die Aufgabe zur Post erfolgte hier am 17. April 2020, sodass die Ordnungsverfügung danach am 20. April 2020 als bekanntgegeben gilt.
Fristbeginn (teilweise wird zwischen Fristbeginn und Fristberechnung unterschieden, vgl. Kallerhoff/Stamm, in: Stelkens/Bonk/Sachs, VwVfG, 9. Aufl. 2018, § 31 Rn. 16) ist danach gemäß §§ 57 Abs. 2 VwGO, 222 Abs. 1 ZPO, 187 Abs. 1 BGB der 21. April 2020.
Die Klagefrist endet folglich nach §§ 57 Abs. 2 VwGO, 222 Abs. 1 ZPO, 188 Abs. 2 Alt. 1 BGB mit Ablauf des 20. Mai 2020.
 
Fall 2: Bekanntgabe – „Drei-Tages-Fiktion“
Wie Fall 1, nur das die Übermittlung der Ordnungsverfügung nicht mit der Deutschen Post, sondern mit einem anderen, nach dem PostG lizensierten Postzusteller, erfolgt ist.
 
Lösung:
Abweichend von Fall 1 stellt sich hier die Frage, ob die „Drei-Tages-Fiktion“ auch für den Transport durch andere Dienstleister als die Deutsche Post gilt. Seit der Privatisierung der Bundespost ist nicht mehr eindeutig, wer die „Post“ i.S.d. § 41 Abs. 2 S. 1 VwVfG NRW ist. Für die Geltung der „Drei-Tages-Fiktion“ kommt es entscheidend darauf an, ob die Übermittlung eine Postdienstleitung i.S.d. PostG durch einen Lizenznehmer darstellt. Die im PostG vorgesehene Zuverlässigkeitsprüfung ist der notwendige Anknüpfungspunkt für die gesetzliche Vermutung.
Folglich ergeben sich bei der Fristberechnung keine Unterschiede zu der Lösung von Fall 1.
 
Fall 3: Fristende
A wurde am 24. April 2020 eine mit ordnungsgemäßer Rechtsbehelfsbelehrung versehene Ordnungsverfügung der Stadt Köln bekanntgegeben.
Bis wann kann A fristgerecht Anfechtungsklage erheben?
 
Lösung:
Die Klagefrist beträgt gemäß § 74 Abs. 1 S. 2 VwGO einen Monat ab Bekanntgabe des Verwaltungsakts.
Die Bekanntgabe erfolgte am 24. April 2020. Fristbeginn ist danach gemäß §§ 57 Abs. 2 VwGO, 222 Abs. 1 ZPO, 187 Abs. 1 BGB der 25. April 2020.
Die Klagefrist endet grundsätzlich nach §§ 57 Abs. 2 VwGO, 222 Abs. 1 ZPO, 188 Abs. 2 Alt. 1 BGB mit Ablauf des 24. Mai 2020. Jedoch ist hier zu beachten, dass der 24. Mai 2020 ein Sonntag ist. Nach §§ 57 Abs. 2 VwGO, 222 Abs. 2 ZPO endet die Frist mit dem Ablauf des nächsten Werktags, sofern das Ende einer Frist auf einen Sonnabend (=Samstag), Sonntag oder Feiertag fällt. Folglich endet hier die Klagefrist mit Ablauf des 25. Mai 2020.
 
Fall 4: Bekanntgabe – „Drei-Tages-Fiktion“
A hat am 22. April 2020 eine mit ordnungsgemäßer Rechtsbehelfsbelehrung versehene Ordnungsverfügung der Stadt Köln erhalten, die diese am 17. April 2020 zur Post gegeben hat.
Bis wann kann A fristgerecht Anfechtungsklage erheben?
 
Lösung:
Die Klagefrist beträgt gemäß § 74 Abs. 1 S. 2 VwGO einen Monat ab Bekanntgabe des Verwaltungsakts.
Die Bekanntgabe richtet sich nach § 41 Abs. 1 S. 1, Abs. 2 VwVfG NRW. Gemäß § 41 Abs. 2 S. 1 VwVfG NRW gilt ein schriftlicher Verwaltungsakt, der im Inland durch die Post übermittelt wird, am dritten Tag nach der Aufgabe zur Post als bekanntgegeben („Drei-Tages-Fiktion“). Jedoch gilt dies nach § 41 Abs. 2 S. 3 VwVfG NRW nicht, wenn der Verwaltungsakt zu einem späteren Zeitpunkt zugegangen ist.
Die Aufgabe zur Post erfolgte hier am 17. April 2020, sodass die Ordnungsverfügung am 20. April 2020 als bekanntgegeben gilt. Der tatsächliche Zugang erfolgte hier aber erst später, am 22. April 2020, sodass dieses Datum nach § 41 Abs. 2 S. 3 VwVfG NRW maßgeblich ist.
Fristbeginn ist danach gemäß §§ 57 Abs. 2 VwGO, 222 Abs. 1 ZPO, 187 Abs. 1 BGB der 23. April 2020.
Die Klagefrist endet folglich nach §§ 57 Abs. 2 VwGO, 222 Abs. 1 ZPO, 188 Abs. 2 Alt. 1 BGB mit Ablauf des 22. Mai 2020.
 
Fall 5: Bekanntgabe – „Drei-Tages-Fiktion“
A hat am 18. April 2020 eine mit ordnungsgemäßer Rechtsbehelfsbelehrung versehene Ordnungsverfügung der Stadt Köln erhalten, die diese am 17. April 2020 zur Post gegeben hat.
Bis wann kann A fristgerecht Anfechtungsklage erheben?
 
Lösung:
Die Klagefrist beträgt gemäß § 74 Abs. 1 S. 2 VwGO einen Monat ab Bekanntgabe des Verwaltungsakts.
Die Bekanntgabe richtet sich nach § 41 Abs. 1 S. 1, Abs. 2 S. 1 VwVfG NRW. Danach gilt ein schriftlicher Verwaltungsakt, der im Inland durch die Post übermittelt wird, am dritten Tag nach der Aufgabe zur Post als bekanntgegeben („Drei-Tages-Fiktion“). Dabei ist zu beachten, dass die Drei-Tages-Fiktion auch dann gilt, wenn der Verwaltungsakt tatsächlich früher, also vor dem dritten Tag nach Aufgabe zur Post zugegangen ist. Hieran ändert auch § 41 Abs. 2 S. 3 VwVfG NRW nichts. Dieser betrifft nur den Fall, dass der Verwaltungsakt später oder gar nicht zugeht.
Die Aufgabe zur Post erfolgte hier am 17. April 2020, sodass die Ordnungsverfügung danach am 20. April 2020 als bekanntgegeben gilt.
Fristbeginn ist danach gemäß §§ 57 Abs. 2 VwGO, 222 Abs. 1 ZPO, 187 Abs. 1 BGB der 21. April 2020.
Die Klagefrist endet folglich nach §§ 57 Abs. 2 VwGO, 222 Abs. 1 ZPO, 188 Abs. 2 Alt. 1 BGB mit Ablauf des 20. Mai 2020.
 
Fall 6: Bekanntgabe – „Drei-Tages-Fiktion“
A hat am 18. April  eine mit ordnungsgemäßer Rechtsbehelfsbelehrung versehene Ordnungsverfügung der Stadt Köln erhalten, die diese am 16. April 2020 zur Post gegeben hat.
Bis wann kann A fristgerecht Anfechtungsklage erheben?
 
Lösung:
Die Klagefrist beträgt gemäß § 74 Abs. 1 S. 2 VwGO einen Monat ab Bekanntgabe des Verwaltungsakts.
Die Bekanntgabe richtet sich nach § 41 Abs. 1 S. 1, Abs. 2 S. 1 VwVfG NRW. Danach gilt ein schriftlicher Verwaltungsakt, der im Inland durch die Post übermittelt wird, am dritten Tag nach der Aufgabe zur Post als bekanntgegeben („Drei-Tages-Fiktion“). Die Aufgabe zur Post erfolgte hier am 16. April 2020, sodass der Verwaltungsakt am 19. April 2020 (Sonntag) als bekanntgegeben gilt (vgl. auch Fall 5).
Fraglich könnte aber sein, ob sich die „Drei-Tages-Fiktion“ dadurch bis zum nächsten Werktag verlängert, weil diese die Bekanntgabe an einem Sonntag fingiert.
Nach § 31 Abs. 3 S. 1 VwVfG NRW endet eine Frist erst mit Ablauf des nächsten Werktags, sofern das Ende auf einen Sonntag, gesetzlichen Feiertag oder Sonnabend (=Samstag) fällt.

  • Von einer Ansicht in der Literatur (vgl. Stelkens, in: Stelkens/Bonk/Sachs, VwVfG, 9. Aufl. 2018, § 41 Rn. 132 f. m.w.N.) wird vertreten, dass die Fiktion nur die Unkenntnis über die Tatsachen kompensieren und nicht eine Tatsache fingieren soll, die unmöglich ist (Stichwort: Zugang am Sonntag). Die Klagefrist würde zu Lasten des Empfängers unzulässig verkürzt.
  • Die überwiegende Rechtsprechung folgt diesem Ansatz nicht. Sie argumentiert mit dem Begriff der „Frist“ in § 31 Abs. 3 S. 1 VwVfG NRW. Diese ist der Ansicht, dass es sich bei der „Drei-Tages-Fiktion“ aus § 41 Abs. 2 S. 1 VwVfG NRW nicht um eine Frist, sondern einen aus Praktikabilitätsgründen pauschalierten Zeitpunkt für den Zugang handelt.
  • Auch lehnt sie eine analoge Anwendung von § 31 Abs. 3 S. 1 VwVfG NRW ab:

Abgesehen davon, dass die Vermutung des § 41 Abs. 2 VwVfG NRW auch dann zu Gunsten des Adressaten eines Bescheides eingreift, wenn die Bekanntgabe tatsächlich bereits vor dem vermuteten Tag der Bekanntgabe erfolgte, wird nach § 41 VwVfG NRW lediglich der Bekanntgabetag und damit der Tag des Beginns einer Frist vermutet, an dem keine Handlung vorzunehmen ist, während es in den Fällen der §§ 31 Abs. 2 VwVfG NRW, 193 BGB um die Frage geht, ob an einem Samstag, Sonntag oder Feiertag eine bestimmte Handlung vorzunehmen oder eine Willenserklärung abzugeben ist, was an diesen Tagen typischerweise Schwierigkeiten bereitet. Speziell für den Samstag […] kommt hinzu, dass die Post ebenso wie an anderen Werktagen Briefe austrägt. Die Vermutung des § 41 Abs. 2 VwVfG NRW belastet den Adressaten des Verwaltungsaktes auch deshalb nicht unverhältnismäßig, weil er die Vermutung nach § 41 Abs. 2 Hs. 2 VwVfG NRW widerlegen kann und in diesem Fall der Tag des tatsächlichen – späteren – Zugangs für den Beginn der Frist maßgeblich ist. Dadurch ist sichergestellt, dass dem Adressaten des Verwaltungsaktes keine Nachteile erwachsen, wenn eine Bekanntgabe innerhalb der Drei-Tages-Frist des § 41 Abs. 2 VwVfG NRW tatsächlich unmöglich war.
(OVG NRW NVwZ 2001, 1171 [1172] = OVG NRW, Beschluss v. 7.3.2001 – 19 A 4216/99)

Folgt man somit der überwiegenden Ansicht in der Rechtsprechung, gilt die Ordnungsverfügung danach am 19. April 2020 als bekanntgegeben.
Fristbeginn ist danach gemäß §§ 57 Abs. 2 VwGO, 222 Abs. 1 ZPO, 187 Abs. 1 BGB der 20. April 2020.
Die Klagefrist endet folglich nach §§ 57 Abs. 2 VwGO, 222 Abs. 1 ZPO, 188 Abs. 2 Alt. 1 BGB mit Ablauf des 19. Mai 2020.
 
Fall 7: Fristende im Februar
A wurde am 31. Januar 2020 eine mit ordnungsgemäßer Rechtsbehelfsbelehrung versehene Ordnungsverfügung der Stadt Köln bekanntgegeben.
Bis wann kann A fristgerecht Anfechtungsklage erheben?
 
Lösung:
Die Klagefrist beträgt gemäß § 74 Abs. 1 S. 2 VwGO einen Monat ab Bekanntgabe des Verwaltungsakts.
Die Bekanntgabe erfolgte hier am 31. Januar 2020.
Fristbeginn ist danach gemäß §§ 57 Abs. 2 VwGO, 222 Abs. 1 ZPO, 187 Abs. 1 BGB der 1. Februar 2020.
Die Klagefrist würde nach §§ 57 Abs. 2 VwGO, 222 Abs. 1 ZPO, 188 Abs. 2 Alt. 1 BGB eigentlich mit Ablauf des „31. Februar 2020“ enden. Der letzte Tag des Februars ist jedoch der 29. Februar 2020.
Dieses Problem hat der Gesetzgeber gesehen und in § 188 Abs. 3 BGB geregelt. Sofern im letzten Monat der für den Ablauf maßgebende Tag fehlt, endet die Frist mit Ablauf des letzten Tages des Monats. Danach endet die Klagefrist bereits am 29. Februar 2020.
Jedoch ist hier zu beachten, dass der 29. Februar 2020 ein Samstag (=Sonnabend) ist. Nach §§ 57 Abs. 2 VwGO, 222 Abs. 2 ZPO endet die Frist mit dem Ablauf des nächsten Werktages, sofern das Ende einer Frist auf einen Samstag fällt, hier also am 2. März 2020.
 
Fall 8: Fehlende Rechtsbehelfsbelehrung
A wird am 20. April 2020 eine ohne Rechtsbehelfsbelehrung versehene Ordnungsverfügung der Stadt Köln bekanntgegeben.
Bis wann kann A fristgerecht Anfechtungsklage erheben?
 
Lösung:
Die Klagefrist beträgt gemäß § 74 Abs. 1 S. 2 VwGO einen Monat ab Bekanntgabe des Verwaltungsakts.
Die Bekanntgabe ist am 20. April 2020 erfolgt.
Fristbeginn ist danach gemäß §§ 57 Abs. 2 VwGO, 222 Abs. 1 ZPO, 187 Abs. 1 BGB der 21. April 2020.
Läge eine ordnungsgemäße Rechtsbehelfsbelehrung vor, würde die Klagefrist nach §§ 57 Abs. 2 VwGO, 222 Abs. 1 ZPO, 188 Abs. 2 Alt. 1 BGB mit Ablauf des 20. Mai 2020 enden. Gemäß § 58 Abs. 2 S. 1 VwGO beträgt die Klagefrist jedoch ein Jahr ab Bekanntgabe, sofern die Rechtsbehelfsbelehrung unterblieben ist oder unrichtig erteilt wurde. (Hinweis: Die Klagefrist beginnt entgegen dem Wortlaut des § 58 Abs. 2 S. 1 VwGO mit Bekanntgabe des Verwaltungsakts und nicht mit Zustellung, Eröffnung oder Verkündung, da gem. § 57 Abs. 1 VwGO Zustellung, Eröffnung oder Verkündung nur dann für den Beginn einer Frist maßgeblich sind, soweit nichts anderes bestimmt ist. Im Fall der Anfechtungsklage trifft § 74 Abs. 1 S. 2 VwGO aber eine solche andere Bestimmung.)
Da die Rechtsbehelfsbelehrung hier fehlt, liegt ein Fall von § 58 Abs. 2 S. 1 VwGO vor, sodass die Klagefrist erst am 20. April 2021 endet.
 
Fall 9: Bekanntgabe durch Zustellung per Einschreiben mit Rückschein
A hat am 20. April 2020 eine mit ordnungsgemäßer Rechtsbehelfsbelehrung versehene Ordnungsverfügung der Stadt Köln per Einschreiben mit Rückschein erhalten, die diese am 18. April 2020 zur Post gegeben hat. Auf dem Rückschein ist der 20. April 2020 als Zustellungsdatum vermerkt.
Bis wann kann A fristgerecht Anfechtungsklage erheben?
 
Lösung:
Die Klagefrist beträgt gemäß § 74 Abs. 1 S. 2 VwGO einen Monat ab Bekanntgabe des Verwaltungsakts.
Die Bekanntgabe richtet sich hier nach §§ 41 Abs. 5 VwVfG NRW, 4 LZG NRW. Gemäß § 4 Abs. 2 S. 1 LZG NRW genügt zum Nachweis der Zustellung der Rückschein. Danach kommt es also auf das Datum der tatsächlichen Zustellung an, das auf dem Rückschein vermerkt ist. Die „Drei-Tages-Fiktion“ des § 4 Abs. 2 S. 2 LZG NRW greift nur dann ein, wenn sich das Zustelldatum nicht aus dem Rückschein ergibt.
Ausweislich des Rückscheins ist hier die Zustellung am 20. April 2020 erfolgt, sodass die Ordnungsverfügung an diesem Tag bekanntgegeben wurde.
Fristbeginn ist danach gemäß §§ 57 Abs. 2 VwGO, 222 Abs. 1 ZPO, 187 Abs. 1 BGB der 21. April 2020.
Die Klagefrist endet folglich nach §§ 57 Abs. 2 VwGO, 222 Abs. 1 ZPO, 188 Abs. 2 Alt. 1 BGB mit Ablauf des 20. Mai 2020.
 
Fall 10: Bekanntgabe durch Zustellung per Übergabeeinschreiben
A hat am 21. April 2020 eine mit ordnungsgemäßer Rechtsbehelfsbelehrung versehene Ordnungsverfügung der Stadt Köln per Übergabeeinschreiben erhalten, die diese am 20. April 2020 zur Post gegeben hat.
Bis wann kann A fristgerecht Anfechtungsklage erheben?
 
Lösung:
Die Klagefrist beträgt gemäß § 74 Abs. 1 S. 2 VwGO einen Monat ab Bekanntgabe des Verwaltungsakts.
Die Bekanntgabe richtet sich nach §§ 41 Abs. 5 VwVfG NRW, 4 LZG NRW. Gemäß § 4 Abs. 2 S. 2 LZG NRW gilt der Verwaltungsakt am dritten Tag nach der Aufgabe zur Post grundsätzlich als zugestellt. Die Aufgabe zur Post erfolgte hier am 20. April 2020, sodass die Ordnungsverfügung danach am 23. April 2020 als bekanntgegeben gilt. Es kommt gerade nicht darauf an, dass A die Ordnungsverfügung tatsächlich schon früher erhalten hat (vgl. Fall 5).
Fristbeginn ist danach gemäß §§ 57 Abs. 2 VwGO, 222 Abs. 1 ZPO, 187 Abs. 1 BGB der 24. April 2020.
Die Klagefrist endet folglich nach §§ 57 Abs. 2 VwGO, 222 Abs. 1 ZPO, 188 Abs. 2 Alt. 1 BGB grundsätzlich mit Ablauf des 23. Mai 2020.
Jedoch ist hier zu beachten, dass der 23. Mai 2020 ein Samstag (=Sonnabend) ist. Nach §§ 57 Abs. 2 VwGO, 222 Abs. 2 ZPO endet die Frist mit dem Ablauf des nächsten Werktages, sofern das Ende einer Frist auf einen Samstag fällt. Folglich endet hier die Klagefrist mit Ablauf des 25. Mai 2020.
 
Fall 11: Bekanntgabe durch Zustellung mit Postzustellungsurkunde (PZU) / Fristverlängerung
A hat am 21. April 2020 eine mit ordnungsgemäßer Rechtsbehelfsbelehrung versehene Ordnungsverfügung der Stadt Köln vom Briefträger an seiner Haustüre übergeben bekommen. Die Zustellung erfolgte mit Postzustellungsurkunde (PZU).
Bis wann kann A fristgerecht Anfechtungsklage erheben?
 
Lösung:
Die Klagefrist beträgt gemäß § 74 Abs. 1 S. 2 VwGO einen Monat ab Bekanntgabe des Verwaltungsakts.
Die Bekanntgabe richtet sich nach §§ 41 Abs. 5 VwVfG NRW, 3 Abs. 2 S. 1 LZG NRW, 177 ZPO. Danach erfolgt die Zustellung per PZU durch Übergabe. Diese ist am 21. April erfolgt.
Fristbeginn ist danach gemäß §§ 57 Abs. 2 VwGO, 222 Abs. 1 ZPO, 187 Abs. 1 BGB der 22. April 2020.
Die Klagefrist würde folglich nach §§ 57 Abs. 2 VwGO, 222 Abs. 1 ZPO, 188 Abs. 2 Alt. 1 BGB mit Ablauf des 21. Mai 2020 enden.
Jedoch ist hier zu beachten, dass der 21. Mai 2020 (Christi Himmelfahrt) in Nordrhein-Westfalen gemäß § 2 Abs. 1 Nr. 5 FeiertagsG NRW ein Feiertag ist, sodass die Klagefrist nach §§ 57 Abs. 2 VwGO, 222 Abs. 2 ZPO mit Ablauf des nächsten Werktags, also dem 22. Mai 2020 endet.
 
Fall 12: Bekanntgabe durch Zustellung mit Postzustellungsurkunde (PZU) / Fristverlängerung
A hat am 10. März 2020 eine mit ordnungsgemäßer Rechtsbehelfsbelehrung versehene Ordnungsverfügung der Stadt Köln vom Briefträger an seiner Haustüre übergeben bekommen. Die Zustellung erfolgte mit Postzustellungsurkunde (PZU).
Bis wann kann A fristgerecht Anfechtungsklage erheben?
 
Lösung:
Die Klagefrist beträgt gemäß § 74 Abs. 1 S. 2 VwGO einen Monat ab Bekanntgabe des Verwaltungsakts.
Die Bekanntgabe richtet sich nach §§ 41 Abs. 5 VwVfG NRW, 3 Abs. 2 S. 1 LZG NRW, 177 ZPO. Danach erfolgt die Zustellung per PZU durch Übergabe. Dies ist am 10. März erfolgt.
Fristbeginn ist danach gemäß §§ 57 Abs. 2 VwGO, 222 Abs. 1 ZPO, 187 Abs. 1 BGB der 11. März 2020.
Die Klagefrist endet nach §§ 57 Abs. 2 VwGO, 222 Abs. 1 ZPO, 188 Abs. 2 Alt. 1 BGB grundsätzlich mit Ablauf des 10. April 2020. Jedoch ist hier zu beachten, dass der 10. April 2020 (Karfreitag) gemäß § 2 Abs. 1 Nr. 2 FeiertagsG NRW ein Feiertag in Nordrhein-Westfalen ist, sodass die Klagefrist gemäß §§ 57 Abs. 2 VwGO, 222 Abs. 2 ZPO mit Ablauf des nächsten Werktags endet.
Hieraus folgt, dass sich die Klagefrist um vier Tage (Karfreitag, Samstag, Sonntag und Ostermontag) verlängert, also mit Ablauf des 14. April 2020 endet.
 
 
Fälle für Fortgeschrittene:
Fall 13: Anforderungen an die Rechtsbehelfsbelehrung
A wurde am 20. April 2020 eine Ordnungsverfügung der Stadt Köln bekanntgegeben. Die beigefügte Rechtsbehelfsbelehrung weist hinsichtlich der Form einer Klage lediglich darauf hin, dass diese schriftlich oder zu Protokoll der Geschäftsstelle erhoben werden kann. Im Übrigen ist die Rechtsbehelfsbelehrung ordnungsgemäß erfolgt.
Bis wann kann A fristgerecht Anfechtungsklage erheben?
 
Lösung:
Die Klagefrist beträgt gemäß § 74 Abs. 1 S. 2 VwGO einen Monat ab Bekanntgabe des Verwaltungsakts.
Die Bekanntgabe ist am 20. April 2020 erfolgt.
Fristbeginn ist danach gemäß §§ 57 Abs. 2 VwGO, 222 Abs. 1 ZPO, 187 Abs. 1 BGB der 21. April 2020.
Die Klagefrist würde folglich nach §§ 57 Abs. 2 VwGO, 222 Abs. 1 ZPO, 188 Abs. 2 Alt. 1 BGB bei ordnungsgemäßer Rechtsbehelfsbelehrung mit Ablauf des 20. Mai 2020 enden. Ist die Rechtsbehelfsbelehrung jedoch fehlerhaft, beträgt die Klagefrist ab Bekanntgabe ein Jahr nach § 58 Abs. 2 S. 1 VwGO.
Die Anforderungen an die Rechtsbehelfsbelehrung ergeben sich aus § 58 Abs. 1 VwGO. Danach sind der Rechtsbehelf, das Gericht, bei dem der Rechtsbehelf anzubringen ist, der Sitz und die einzuhaltende Frist anzugeben. Angaben zur Form sind nicht erforderlich.
Sofern die Rechtsbehelfsbelehrung darüber hinaus Angaben zur Form enthält, was grundsätzlich zulässig ist, müssen alle Möglichkeiten aufgenommen werden, um einen Irrtum des Adressaten über die Voraussetzungen der Erhebung eines Rechtsbehelfs zu vermeiden. Andernfalls bestünde die Gefahr, dass der Betroffene sich davon abhalten ließe, einen Rechtsbehelf überhaupt, rechtzeitig oder in der rechten Art und Weise zu erheben.
Fraglich ist hier, ob auf die Möglichkeit der elektronischen Übermittlung nach § 55a VwGO in der Rechtsbehelfsbelehrung gesondert hingewiesen werden muss.
Für die Annahme einer fehlerhaften Rechtsbehelfsbelehrung könnte sprechen, dass nach dem objektiven Empfängerhorizont der Eindruck entstehen könnte, dass die Klage trotz tatsächlich bestehender Möglichkeit nicht in elektronischer Form erhoben werden kann.
Dagegen spricht jedoch, dass eine wörtliche Wiedergabe des § 81 Abs. 1 VwGO weder unrichtig noch irritierend sein kann. Die elektronische Übermittlung tritt nicht als dritte Form neben die Schriftlichkeit bzw. die Erklärung zu Protokoll des Urkundsbeamten der Geschäftsstelle, da es sich lediglich um eine weitere Übermittlungsmöglichkeit eines schriftlichen Dokuments handelt. Über verschiedene Übermittlungsmöglichkeiten (z.B. Einwurf in den Gerichtsbriefkasten, Übersendung per Post oder Telefax) muss nicht belehrt werden. Systematisch spricht für dieses Verständnis auch die abweichende Formulierung des 2018 geänderten § 70 Abs. 1 S. 1 VwGO. Danach kann der Widerspruch schriftlich, elektronisch oder zur Niederschrift bei der Behörde erhoben werden, die den Verwaltungsakt erlassen hat. Sofern also der Gesetzgeber die elektronische Form als eigenständige Form der Klageerhebung angesehen hätte, wäre auch eine Ergänzung des § 81 Abs. 1 VwGO erforderlich gewesen, die jedoch nicht erfolgt ist.
Schließlich würde die Rechtebehelfsbelehrung durch Aufnahme des Hinweises auf die elektronische Form auch erheblich länger und verwirrender, sodass das Ziel, beim Adressaten für Klarheit zu sorgen, kaum erreicht werden könnte.
Daher ist vorliegend die Rechtsbehelfsbelehrung nicht unrichtig, sodass es beim Ende der Klagefrist mit Ablauf des 20. Mai 2020 bleibt.
 
Zusatzfrage: Ist die Rechtsbehelfsbelehrung unrichtig, wenn in dieser nicht der Fristbeginn genannt wird?
 
Lösung (angelehnt an BVerwG NVwZ-RR 2019, 885 f. =  BVerwG, Urteil v. 9.5.2019 – 4 C 2/18, 4 C 3/18):
Die Anforderungen an die Rechtsbehelfsbelehrung ergeben sich aus § 58 Abs. 1 VwGO. Danach sind der Rechtsbehelf, die Verwaltungsbehörde oder das Gericht, bei der der Rechtsbehelf anzubringen ist, der Sitz und die einzuhaltende Frist anzugeben.
Dem Wortlaut des § 58 Abs. 1 VwGO kann zunächst kein Anhaltspunkt dafür entnommen werden, dass ein Hinweis auf den Fristbeginn erforderlich ist. Auch der Begriff der „Frist“ führt zu keinem anderen Ergebnis, da nach dem aufgrund der Verweisung (§§ 57 Abs. 2 VwGO, 222 Abs. 1 ZPO) insoweit maßgeblichen Sprachgebrauch des BGB, eine Frist einen abgegrenzten, bestimmten oder jedenfalls bestimmbaren Zeitraum darstellt.
Sinn und Zweck der Regelung des § 58 Abs. 1 VwGO ist es, dass niemand aus bloßer Rechtsunkenntnis einen Rechtsbehelf aus Fristgründen verliert. Der Empfänger soll auf den drohenden Rechtsverlust bei Fristablauf aufmerksam gemacht und veranlasst werden, sich alsbald Rechtsrat einzuholen oder sich anders über die konkreten Fristanforderungen des Rechtsbehelfs zu informieren. Dabei muss die Rechtsbehelfsbelehrung gerade nicht so ausgestaltet sein, dass sich jede eigene Überlegung erspart.
Eine Belehrung über den konkreten Fristbeginn wäre aufgrund der unterschiedlichen fristauslösenden Ereignisse und Modalitäten fehleranfällig. Durch einen allgemeinen Hinweis auf die in Betracht kommenden fristauslösenden Ereignisse wäre für den rechtsunkundigen Adressaten hingegen nichts gewonnen.
Schließlich ist auch nicht ersichtlich, inwiefern eine Rechtsbehelfsbelehrung, die keinen Hinweis auf den konkreten Fristbeginn enthält, bei dem Betroffenen einen Irrtum über die Voraussetzungen des in Betracht kommenden Rechtsbehelfs hervorheben könnte.
Die Auslegung des § 58 Abs. 1 VwGO ergibt somit, dass keine Belehrung über den Zeitpunkt des Beginns der einzuhaltenden Frist erforderlich ist.
 
Fall 14: Ersatzzustellung an Minderjährige
B, der 17-jährige Sohn von A, hat am 10. März 2020 eine mit ordnungsgemäßer Rechtsbehelfsbelehrung versehene und an A adressierte Ordnungsverfügung der Stadt Köln nach Klingeln des Briefträgers an der Haustüre von diesem übergeben bekommen. Die Zustellung erfolgte mit Postzustellungsurkunde (PZU). A erhält erst am 16. März 2020 Kenntnis von der Ordnungsverfügung, weil B den Brief in eine Schublade gelegt und A nicht informiert hat.
Bis wann kann A fristgerecht Anfechtungsklage erheben? Eine Wiedereinsetzung in den vorherigen Stand bleibt außer Betracht.
 
Lösung:
Die Klagefrist beträgt gemäß § 74 Abs. 1 S. 2 VwGO einen Monat ab Bekanntgabe des Verwaltungsakts.
Die Bekanntgabe richtet sich nach § 41 Abs. 5 VwVfG NRW, § 3 Abs. 2 S. 1 LZG NRW, §§ 177 ff. ZPO. Da nicht A, sondern B das Schreiben übergeben wurde, kann es sich um eine Ersatzzustellung nach § 178 Abs. 1 Nr. 1 ZPO handeln.
B kam am 10. März 2020 nach Klingeln an die Türe und wurde somit an der Haustüre angetroffen. Zudem müsste B ein erwachsener Familienangehöriger i.S.d. Norm sein. Erwachsen i.S.d. § 178 ZPO können auch nicht Volljährige sein. Entscheidend kommt es darauf an, dass der durch das Lebensalter bedingte Entwicklungsstand eine ordnungsgemäße Weitergabe der Sendung erwarten lässt. Regelmäßig zieht die Rechtsprechung hierfür die Grenze bei 14 Jahren, sodass B als 17-Jähriger eindeutig als erwachsener Familienangehöriger i.S.d. § 178 ZPO einzuordnen ist. Die Zustellung erfolgte damit wirksam am 10. März 2020. Auf die tatsächliche Kenntnisnahme durch A kommt es nicht an.
Fristbeginn ist folglich gemäß §§ 57 Abs. 2 VwGO, 222 Abs. 1 ZPO, 187 Abs. 1 BGB der 11. März 2020.
Die Klagefrist endet nach §§ 57 Abs. 2 VwGO, 222 Abs. 1 ZPO, 188 Abs. 2 Alt. 1 BGB grundsätzlich mit Ablauf des 10. April 2020. Jedoch ist hier zu beachten, dass der 10. April 2020 (Karfreitag) gemäß § 2 Abs. 1 Nr. 2 FeiertagsG NRW ein Feiertag in Nordrhein-Westfalen ist, sodass die Klagefrist gemäß §§ 57 Abs. 2 VwGO, 222 Abs. 2 ZPO mit Ablauf des nächsten Werktags endet.
Hieraus folgt, dass sich die Klagefrist um vier Tage (Karfreitag, Samstag, Sonntag und Ostermontag) verlängert, also mit Ablauf des 14. April 2020 endet.
 
Zusatzfrage: Ändert sich etwas, wenn B nur zufällig bei A zu Besuch war und im Übrigen bei seiner Mutter C wohnt?
 
Lösung:
Nein, es kommt nicht darauf an, ob der Familienangehörige selbst in der Wohnung wohnt oder nur zufällig anwesend ist. Das in § 181 Abs. 1 ZPO a.F. enthaltene Tatbestandsmerkmal „Hausgenosse“ ist gerade in § 178 Abs. 1 Nr. 1 ZPO nicht übernommen worden.
 
Abwandlung: Genauso wie Fall 14, nur dass B nun erst 8 Jahre alt ist. Welche Änderungen ergeben sich?
 
Lösung:
Nach der o.g. Definition ist B mit 8 Jahren eindeutig nicht als Erwachsen i.S.d. § 178 ZPO einzuordnen. Somit erfolgte die Zustellung fehlerhaft. Jedoch kommt eine Heilung nach § 8 LZG NRW in Betracht. Dieser setzt voraus, dass die Behörde mit Zustellungswillen gehandelt hat, ein Zustellungsmangel vorliegt und der Zugang beim Empfangsberechtigten tatsächlich erfolgt ist. Der Zustellungswille der Stadt Köln ergibt sich daraus, dass diese die Ordnungsverfügung per PZU übersandt hat. Ein Zustellungsmangel liegt hier in der Übergabe an den 8-jährigen Sohn. Schließlich erhielt A am 16. März 2020 tatsächlich Kenntnis von der Ordnungsverfügung, sodass mit diesem Tag eine Heilung nach § 8 LZG NRW eingetreten ist.
Fristbeginn ist folglich gemäß §§ 57 Abs. 2 VwGO, 222 Abs. 1 ZPO, 187 Abs. 1 BGB der 17. März 2020.
Die Klagefrist endet nach §§ 57 Abs. 2 VwGO, 222 Abs. 1 ZPO, 188 Abs. 2 Alt. 2 BGB mit Ablauf des 16. April 2020.
 
Fall 15: Zustellung an Bevollmächtigen
A hat am 20. April 2020 eine mit ordnungsgemäßer Rechtsbehelfsbelehrung versehene Ordnungsverfügung der Stadt Köln erhalten. Die Übermittlung erfolgte durch die Post per Postzustellungsurkunde. Am 25. März 2020 hatte der von A in dieser Angelegenheit bevollmächtigte Rechtsanwalt B bereits eine schriftliche Originalvollmacht bei der Stadt Köln vorgelegt. Daher stellte die Stadt Köln dem B die Ordnungsverfügung ebenfalls per Empfangsbekenntnis mit Zugang am 22. April 2020 zu.
Bis wann kann eine fristgerechte Anfechtungsklage erhoben werden?
 
Lösung:
Die Klagefrist beträgt gemäß § 74 Abs. 1 S. 2 VwGO einen Monat ab Bekanntgabe des Verwaltungsakts.
Die Bekanntgabe richtet sich grundsätzlich nach § 41 Abs. 5 VwVfG NRW, § 3 Abs. 2 S. 1 LZG NRW, §§ 177 ff. ZPO. A erhielt die Ordnungsverfügung am 20. April 2020, sodass die Bekanntgabe ihm gegenüber an diesem Tag erfolgte. Ausgehend hiervon wäre Fristbeginn folglich gemäß §§ 57 Abs. 2 VwGO, 222 Abs. 1 ZPO, 187 Abs. 1 BGB der 21. April 2020. Fristende wäre der 20. Mai 2020.
Hier ist jedoch zu berücksichtigen, dass Rechtsanwalt B der Stadt Köln am 25. März 2020 eine schriftliche Originalvollmacht vorgelegt hat. Nach § 7 Abs. 1 S. 2 LZG NRW sind Zustellungen an den Bevollmächtigten zu richten, wenn er eine schriftliche Vollmacht vorgelegt hat. Folglich kommt es hier maßgeblich auf die Zustellung an B an. Diese erfolgte an B per Empfangsbekenntnis gemäß §§ 41 Abs. 5 VwVfG NRW, § 5 LZG NRW am 22. April 2020.
Fristbeginn ist folglich gemäß §§ 57 Abs. 2 VwGO, 222 Abs. 1 ZPO, 187 Abs. 1 BGB der 23. April 2020.
Fristende dann nach §§ 57 Abs. 2 VwGO, 222 Abs. 1 ZPO, 188 Abs. 2 Alt. 1 BGB der 22. Mai 2020.
Eine Anfechtungsklage kann fristgerecht noch bis zum Ablauf des 22. Mai 2020 erhoben werden.
 
Fall 16: Wiedereinsetzung in den vorigen Stand
A wurde am 20. April 2020 eine mit ordnungsgemäßer Rechtsbehelfsbelehrung versehene Ordnungsverfügung der Stadt Köln bekanntgegeben. Aufgrund eines schweren, von A zu 50% mitverursachten Autounfalls lag er ab dem 21. April 2020 im Krankenhaus und wurde erst am 25. Mai 2020 entlassen. Nun findet er zu Hause die Ordnungsverfügung und fragt sich, ob er gegen diese noch eine fristgerechte Anfechtungsklage erheben kann. Ist dies möglich?
 
Lösung:
Die Klagefrist beträgt gemäß § 74 Abs. 1 S. 2 VwGO einen Monat ab Bekanntgabe des Verwaltungsakts.
Die Bekanntgabe erfolgte am 20. April 2020. Fristbeginn ist danach gemäß §§ 57 Abs. 2 VwGO, 222 Abs. 1 ZPO, 187 Abs. 1 BGB der 21. April 2020.
Die Klagefrist endet folglich nach §§ 57 Abs. 2 VwGO, 222 Abs. 1 ZPO, 188 Abs. 2 Alt. 1 BGB mit Ablauf des 20. Mai 2020. Danach ist die Klagefrist abgelaufen.
Jedoch war A aufgrund des Autounfalls nicht in der Lage, die Klage fristgerecht zu erheben. Daher kommt hier ein Antrag auf Wiedereinsetzung in den vorherigen Stand gemäß § 60 VwGO in Betracht.
Dieser Antrag muss nach § 60 Abs. 2 S. 1 Hs. 1 VwGO innerhalb von 2 Wochen nach Wegfall des Hindernisses gestellt werden. Zudem sind gemäß § 60 Abs. 2 S. 2 VwGO die Tatsachen zur Begründung des Antrags, hier also, dass A längere Zeit im Krankenhaus lag, glaubhaft zu machen. Schließlich muss die Klageerhebung innerhalb von 2 Wochen nach Wegfall des Hindernisses gemäß § 60 Abs. 2 S. 3 VwGO nachgeholt werden. Zuständig für den Antrag auf Wiedereinsetzung in den vorherigen Stand ist nach § 60 Abs. 4 VwGO das Gericht, das auch über die Klage zu befinden hat.
A müsste unverschuldet verhindert gewesen sein, die Klage fristgerecht zu erheben. Ein Verschulden liegt nach ständiger Rechtsprechung vor, wenn der Beteiligte hinsichtlich der Fristwahrung diejenige Sorgfalt außer Acht lässt, die für einen gewissenhaften und seine Rechten und Pflichten sachgemäß wahrnehmenden Prozessführenden geboten und ihm nach den gesamten Umständen des konkreten Falles zuzumuten war.
A konnte hier aufgrund des Unfalls einen Tag nach Bekanntgabe der Ordnungsverfügung die Klagefrist nichteinhalten. Dabei kommt es nicht darauf an, dass A den Unfall zu 50% mitverursacht hat, da sich dieses Verhalten schon nicht auf die Fristwahrung bezieht.
Folglich kann eine zulässige Anfechtungsklage (mit einem Antrag auf Wiedereinsetzung in den vorherigen Stand) noch erhoben werden.
 
Fall 17: Wiedereinsetzung in den vorigen Stand
A wurde am 15. April 2020 eine mit ordnungsgemäßer Rechtsbehelfsbelehrung versehene Ordnungsverfügung der Stadt Köln bekanntgegeben. Der in dieser Angelegenheit von A bevollmächtigte Rechtsanwalt R hat für das Fristende den 15. Mai 2020 ermittelt. Da er infolge eines gleichzeitigen Telefonats mit einem anderen Mandanten abgelenkt ist, unterläuft ihm bei Eintragung des Fristendes in seinen Fristenkalender ein Fehler: Er vergisst, das Fristende – wie sonst bei Rechtsbehelfsfristen – in roter Farbe hervorzuheben. Aus diesem Grund geht er später davon aus, bei dem 15. Mai 2020 handele es sich nicht um den letzten Tag der Klagefrist, sondern lediglich um den Tag, an dem er sich die Angelegenheit wieder vorlegen lassen wollte. Da er am 15. Mai noch einiges zu erledigen hat, schaut er sich die Akte erst am 16. Mai wieder an und bemerkt seinen Fehler.
Kann eine im Übrigen zulässige Anfechtungsklage noch fristwahrend erhoben werden?
 
Lösung:
Die Klagefrist beträgt gemäß § 74 Abs. 1 S. 2 VwGO einen Monat ab Bekanntgabe des Verwaltungsakts. Die Bekanntgabe erfolgte am 15. April 2020.
Fristbeginn ist danach gemäß §§ 57 Abs. 2 VwGO, 222 Abs. 1 ZPO, 187 Abs. 1 BGB der 16. April 2020.
Die Klagefrist endet folglich nach §§ 57 Abs. 2 VwGO, 222 Abs. 1 ZPO, 188 Abs. 2 Alt. 1  BGB mit Ablauf des 15. Mai 2020. Mithin ist die Klagefrist am 16. Mai abgelaufen.
Möglicherweise wäre dem A allerdings auf Antrag Wiedereinsetzung in den vorigen Stand zu gewähren.
Dafür müsste A unverschuldet verhindert gewesen sein, die Klage fristgemäß zu erheben, § 60 Abs. 1 VwGO. A hat einen Rechtsanwalt, R, mit der Klageerhebung betraut. Ihn selbst trifft kein Verschulden. Gem. § 173 S. 1 VwGO i.V.m. § 85 Abs. 2 ZPO muss sich A jedoch ein Verschulden des von ihm Bevollmächtigten, R, zurechnen lassen. Ein Verschulden liegt nach ständiger Rechtsprechung vor, wenn der Beteiligte hinsichtlich der Fristwahrung diejenige Sorgfalt außer Acht lässt, die für einen gewissenhaften und seine Rechten und Pflichten sachgemäß wahrnehmenden Prozessführenden geboten und ihm nach den gesamten Umständen des konkreten Falles zuzumuten war. An R als Rechtsanwalt sind hierbei höhere Anforderungen zu stellen als an den juristischen Laien. Er hat grundsätzlich alle zumutbaren Vorkehrungen zur Vermeidung von Fristversäumnissen zu treffen. Insbesondere kann erwartet werden, dass er einen Fristenkalender führt, in den er Rechtsbehelfs-, Begründungsfristen usw. einträgt und dafür sorgt, dass sich zwingend einzuhaltende Fristen von anderen (etwa Fristen zur Wiedervorlage) abheben.
R führt einen solchen Fristenkalender und hat die Klagefrist auch in diesen eingetragen. Allerdings hat er sie wegen der Ablenkung durch das parallel geführte Telefonat farblich falsch markiert, weshalb er sie mit einer nicht zwingend einzuhaltenden Frist auf Wiedervorlage verwechselt hat und deshalb die Klagefrist versäumt hat. Ein gewissenhafter Rechtsanwalt hätte sich das Fristende nicht während eines laufenden Telefonats mit einem anderen Mandanten in seinen Fristenkalender notiert. Jedenfalls aber hätte er eine solche Eintragung im Nachhinein noch einmal auf ihre Richtigkeit hin überprüft. Dies wäre R im konkreten Fall ohne Weiteres zuzumuten gewesen. Beides hat R nicht getan. Mithin trifft ihn ein Verschulden an der Fristversäumung, welches A gem. § 173 S. 1 VwGO i.V.m. § 85 Abs. 2 ZPO zugerechnet wird.
A ist nicht Wiedereinsetzung in den vorigen Stand zu gewähren. Es besteht keine Möglichkeit mehr, die Anfechtungsklage fristwahrend zu erheben.
 
Abwandlung:
Der Rechtsanwaltsgehilfe G des R hat einen falschen Tag als Fristende berechnet und auch in den Fristenkalender eingetragen. Aus diesem Grund versäumt R die Klagefrist. G ist schon lange für R tätig und u. A. auch mit der Berechnung von Rechtsbehelfsfristen betraut. Seit Jahren ist G kein Fehler mehr bei der Fristberechnung unterlaufen. R kontrolliert die Arbeit des G stichprobenartig.
 
Lösung:
Die Klage ist grundsätzlich verfristet, sodass allenfalls ein Antrag auf Wiedereinsetzung in den vorigen Stand in Betracht kommt. Die Fristversäumung beruht hier nicht unmittelbar auf einem Fehler des R, sondern auf einem Fehler seines Rechtsanwaltsgehilfen. Ein eigenes Verschulden des R kommt damit nur in Betracht, sofern er gegen Organisations- oder Überwachungsobliegenheiten verstoßen hat. Hier konnte R jedoch aufgrund der langjährigen und seit Jahren tadellosen Tätigkeit des G, derer er sich darüber hinaus noch durch stichprobenartige Kontrollen vergewisserte, auf eine ordnungsgemäße Fristberechnung durch G vertrauen. Ein Organisations- oder Überwachungsverschulden trifft R nicht.
Ein etwaiges Verschulden des (unselbstständigen) Gehilfen des R muss sich A nicht gem. § 173 S. 1 VwGO i.V.m. § 85 Abs. 2 ZPO zurechnen lassen. Eine Anwendung von § 278 BGB scheidet ebenfalls aus. Zwar ist § 278 BGB im Innenverhältnis zwischen A und R anwendbar, nicht jedoch im Außenverhältnis gegenüber dem Gericht bzw. gegenüber der Klagegegnerin. Folglich kann A ein etwaiges Verschulden des G nicht zugerechnet werden.
A war daher ohne Verschulden verhindert, die Klagefrist einzuhalten, § 60 Abs. 1 VwGO.
Eine zulässige Anfechtungsklage kann noch erhoben werden – entweder nach Beantragung der Wiedereinsetzung in den vorigen Stand oder gem. § 60 Abs. 2 S. 4 VwGO auch ohne Antrag, sofern die versäumte Rechtshandlung (hier: Klageerhebung) nachgeholt wird und dem Gericht die für die Wiedereinsetzung erheblichen Tatsachen mitgeteilt und glaubhaft gemacht werden.
 
Fall 18: Berechnung der Widerspruchsfrist
Die Eltern des 15-jährigen Schülers S erhalten am 6. Mai 2020 einen schriftlichen und mit Begründung sowie ordnungsgemäßer Rechtsbehelfsbelehrung versehenen Bescheid der Schulleiterin der Schule des S, mit dem S ein schriftlicher Verweis (§ 53 Abs. 3 Nr. 1 SchulG NRW) erteilt wird. Der Bescheid ist am 4. Mai 2020 zur Post gegeben worden.
Bis wann kann Widerspruch gegen den Bescheid erhoben werden?
Hinweis: Vor Anfechtungs- und Verpflichtungsklagen gegen den Erlass oder die Ablehnung der Vornahme von Verwaltungsakten im Schulrecht, soweit sie von Schulen erlassen werden, ist gem. § 68 Abs. 1 S. 1 VwGO ein Vorverfahren durchzuführen, da die landesrechtliche Ausnahme des § 110 Abs. 1 JustG NRW i.V.m. § 68 Abs. 1 S. 2 Var. 1 VwGO gem. § 110 Abs. 2 Nr. 3 lit. a JustG NRW insoweit nicht einschlägig ist.
 
Lösung:
Die Widerspruchsfrist beträgt gem. § 70 Abs. 1 S. 1 VwGO einen Monat ab Bekanntgabe des Verwaltungsakts.
Die Bekanntgabe richtet sich nach § 41 Abs. 1 S. 1, Abs. 2 S. 1 VwVfG NRW. Danach gilt ein schriftlicher Verwaltungsakt, der im Inland durch die Post übermittelt wird, am dritten Tag nach der Aufgabe zur Post als bekanntgegeben („Drei-Tages-Fiktion“). Die Aufgabe zur Post erfolgte hier am 4. Mai 2020, sodass der Verweis danach am 7. Mai 2020 als bekanntgegeben gilt. Dass der Bescheid den Eltern des S in Wahrheit schon am 6. Mai zugegangen ist, ist insofern irrelevant (s. hierzu Fall 5).
Die §§ 68 ff. VwGO regeln die Berechnung der Widerspruchsfrist nicht selbst und enthalten auch keine Verweisnorm auf die §§ 187 ff. BGB. Fraglich ist daher, ob sich die Fristberechnung nach §§ 57 Abs. 2 VwGO, 222 ZPO, 187 ff. BGB („verwaltungsprozessuale Lösung“) oder nach den §§ 79 Hs. 2, 31 VwVfG NRW, 187 ff. BGB („verwaltungsverfahrensrechtliche Lösung“) richtet. Für die Anwendung von § 57 Abs. 2 VwGO lässt sich die Nähe des Widerspruchsverfahren zum Verwaltungsprozess anführen. Für die verwaltungsverfahrensrechtliche Lösung spricht, dass es sich bei dem Vorverfahren aber letztlich um ein Verwaltungsfahren handelt, das durch die §§ 68 ff. VwGO nicht abschließend geregelt wird und deshalb durch die Vorschriften des VwVfG NRW ergänzt wird, vgl. § 79 Hs. 2 VwVfG NRW § 70 Abs. 2 VwGO verweist für die Form und Frist des Widerspruchs ergänzend lediglich auf §§ 58 und 60 VwGO. Das spricht im Umkehrschluss dafür, dass § 57 Abs. 2 VwGO gerade nicht anwendbar ist und sich die Fristberechnung nach §§ 79 Hs. 2, 31 VwVfG NRW, 187 ff. BGB richtet. Da beide Wege aber im Ergebnis zur Anwendung derselben Normen führen (§§ 187 ff. BGB), bedarf es keines Streitentscheids.
Fristbeginn ist gem. §§ 57 Abs. 2 VwGO, 222 ZPO, 187 Abs. 1 BGB bzw. §§ 79 Hs. 2, 31 VwVfG NRW, 187 Abs. 1 BGB der 8. Mai 2020.
Die Frist endet gem. §§ 57 Abs. 2 VwGO, 222 ZPO, § 188 Abs. 2 Alt. 1 BGB bzw. §§ 79 Hs. 2, 31 VwVfG NRW, 188 Abs. 2 Alt. 1 BGB grundsätzlich mit Ablauf des 7. Juni 2020.
Bei dem 7. Juni 2020 handelt es sich jedoch um einen Sonntag. Nach der verwaltungsprozessualen Lösung endet die Frist gem. §§ 57 Abs. 2 VwGO, 222 Abs. 2 ZPO, nach der verwaltungsverfahrensrechtlichen Lösung gem. §§ 79 Hs. 2, 31 Abs. 3 S. 1 VwVfG NRW mit Ablauf des nächsten Werktages. Nächster Werktag ist der 8. Juni 2020. Mithin kommen beide Lösungswege auch insofern zum selben Ergebnis.
B kann bis zum Ablauf des 8. Juni 2020 Widerspruch erheben.
 
Fall 19: Bekanntgabe und Klagefrist bei Verkehrszeichen
A lebt in einer Wohnung in der Kölner Innenstadt zur Miete. Die Parksituation in der Kölner Innenstadt ist sehr angespannt. Da A abends häufig keinen freien Parkplatz in der Nähe seiner Wohnung findet, stellt er seinen Pkw wiederholt direkt vor dem Haus ab, in dem sich seine Mietwohnung befindet. Für diesen Bereich ordnet allerdings ein bereits am 11.12.2017 ordnungsgemäß aufgestelltes Verkehrszeichen ein eingeschränktes Halteverbot an (Zeichen 286 der Anlage 2 zu § 41 Abs. 1 StVO). Das Verkehrszeichen war A bereits am Tage seines Einzugs in seine Kölner Wohnung am 20.10.2019 aufgefallen, als er mit dem Umzugswagen zum Zwecke des Entladens in dessen Geltungsbereich gehalten hatte. Nachdem gegen A wegen wiederholter Verstöße gegen dieses Verkehrszeichen nun schon mehrere Bußgeldbescheide ergangen sind, beschließt er, unmittelbar gegen das Verkehrszeichen vorzugehen.
Wäre eine am 20.4.2020 erhobene – im Übrigen zulässige – Anfechtungsklage des A gegen das Verkehrszeichen noch fristgerecht?
 
Lösung:
Die Klagefrist beträgt gemäß § 74 Abs. 1 S. 2 VwGO einen Monat ab Bekanntgabe des Verwaltungsakts.
Da ein Verkehrszeichen aber regelmäßig nicht mit einer Rechtsbehelfsbelehrung versehen ist, richtet sich die Anfechtungsfrist nach § 58 Abs. 2 VwGO und beträgt somit grundsätzlich ein Jahr ab Bekanntgabe.
Bei einem Verkehrszeichen handelt es sich um eine Allgemeinverfügung in Form einer Benutzungsregelung, § 35 S. 2 Var. 3 VwVfG NRW, die abweichend von den allgemeinen Regeln nach den bundesrechtlichen Spezialvorschriften der StVO durch ordnungsgemäßes Aufstellen des Verkehrsschildes (§ 39 Abs. 1 und § 45 Abs. 4 StVO) öffentlich bekanntgegeben wird (gegenüber allen Verkehrsteilnehmern). Dies ist am 11.12.2017 geschehen. Fristbeginn wäre folglich gem. §§ 57 Abs. 2 VwGO, 222 Abs. 1 ZPO, 187 Abs. 1 BGB der 12. Dezember 2017. Die Klagefrist endete gem. § 57 Abs. 2 VwGO, § 222 ZPO, § 188 Abs. 2 Alt. 1 BGB mit Ablauf des 11. Dezember 2018. Die Anfechtungsklage des A wäre verfristet.
Dies könnte aber gegen die Rechtsschutzgarantie des Art. 19 Abs. 4 GG verstoßen. Denn:

Liefe die Anfechtungsfrist für jedermann schon mit dem Aufstellen des Verkehrsschildes, könnte ein Verkehrsteilnehmer, der erstmals mehr als ein Jahr später mit dem Verkehrszeichen konfrontiert wird, keinen Rechtsschutz erlangen; denn bis zu diesem Zeitpunkt war er an der Einlegung eines Rechtsbehelfs mangels individueller Betroffenheit (§ 42 Abs. 2 VwGO) gehindert, danach würde ihm der Ablauf der einjährigen Anfechtungsfrist entgegengehalten. Dieses Rechtsschutzdefizit wird auch durch die Möglichkeit, ein Wiederaufgreifen des Verfahrens zu beantragen, nicht in der verfassungsrechtlich gebotenen Weise ausgeglichen, dies schon wegen der besonderen Voraussetzungen, die § 51 VwVfG an einen solchen Rechtsbehelf stellt.
(BVerwG NJW 2011, 246 [247] = BVerwG, Urteil v. 23.9.2010 – 3 C 37/09)

Aus diesem Grund beginnt die Anfechtungsfrist gegen ein Verkehrszeichen erst in dem Zeitpunkt zu laufen, in dem der Verkehrsteilnehmer sich erstmals dem Verkehrszeichen gegenüber sieht.
P sah sich erstmals bei seinem Umzug am 20. Oktober 2019 dem Verkehrszeichen gegenüber.
Folglich ist Fristbeginn gem. §§ 57 Abs. 2 VwGO, 222 Abs. 1 ZPO, 187 Abs. 1 BGB der 21. Oktober 2019.
Die Klagefrist endet nach §§ 57 Abs. 2 VwGO, 222 Abs. 1 ZPO, 188 Abs. 2 BGB mit Ablauf des 20. Oktober 2020.
Eine Klageerhebung am 20.4.2020 wäre also fristgemäß erfolgt.
 
Fall 20: Eingang der Klageschrift bei einem unzuständigen Gericht
Der in Düsseldorf wohnhafte D möchte im Kölner Süden ein Wohngebäude errichten. Die von ihm beantragte Baugenehmigung wird ihm jedoch von der Stadt Köln durch schriftlichen und mit ordnungsgemäßer Rechtsbehelfsbelehrung versehenen Bescheid untersagt. Der Bescheid wurde am 5. Mai 2020 zur Post gegeben. K möchte daraufhin Verpflichtungsklage auf Erteilung der Baugenehmigung erheben. Trotz des zutreffenden Hinweises in der Rechtsbehelfsbelehrung, Klage gegen den Bescheid sei vor dem VG Köln zu erheben, reicht D am 8. Juni 2020 Klage beim VG Düsseldorf ein. Er meint, da er in Düsseldorf wohne, könne er sich aussuchen, ob er vor dem VG Düsseldorf oder dem VG Köln klage. Das VG Düsseldorf verweist die Klage gem. §§ 83 S. 1 VwGO i.V.m. § 17a Abs. 2 GVG zwei Wochen später an das allein zuständige VG Köln.
Erfolgte die Klageerhebung rechtzeitig?
 
Lösung:
Die Klagefrist der Verpflichtungsklage beträgt gem. § 74 Abs. 2, Abs. 1 S. 2 VwGO einen Monat ab Bekanntgabe des Ablehnungsbescheids.
Die Bekanntgabe richtet sich nach § 41 Abs. 1 S. 1, Abs. 2 S. 1 VwVfG NRW. Danach gilt ein schriftlicher Verwaltungsakt, der im Inland durch die Post übermittelt wird, am dritten Tag nach der Aufgabe zur Post als bekanntgegeben („Drei-Tages-Fiktion“). Die Aufgabe zur Post erfolgte hier am 5. Mai 2020, sodass der Ablehnungsbescheid danach am 8. Mai 2020 als bekanntgegeben gilt.
Fristbeginn ist danach gemäß §§ 57 Abs. 2 VwGO, 222 Abs. 1 ZPO, 187 Abs. 1 BGB der 9. Mai 2020.
Die Klagefrist endet nach §§ 57 Abs. 2 VwGO, 222 Abs. 1 ZPO, 188 Abs. 2 Alt. 1 BGB grundsätzlich mit Ablauf des 8. Juni 2020.
Die Verpflichtungsklage ist erst zwei Wochen nach dem 8. Juni beim zuständigen VG Köln eingegangen, jedoch schon am 8. Juni beim unzuständigen VG Düsseldorf.
Entscheidend ist also, ob es für die Rechtzeitigkeit der Klageerhebung auf den Eingang der Klage beim VG Düsseldorf (dann rechtzeitig) oder den Eingang beim VG Köln (dann verfristet) ankommt. Hierbei ist zwischen zwei Fallkonstellationen zu differenzieren. Sofern eine Klage an ein Gericht adressiert wird, das jedoch unzuständig ist (örtlich oder sachlich; bei Rechtswegunzuständigkeit ergibt sich dies unmittelbar aus §§ 17 ff. GVG; str. bei instanzieller Unzuständigkeit), ist der Eingang der Klageschrift beim unzuständigen Gericht entscheidend. Dies beruht auf dem Gedanken von § 83 S. 1 VwGO i.V.m. § 17b Abs. 1 S. 2 GVG, wonach die Wirkungen der Rechtshängigkeit auch nach Verweisung an das zuständige Gericht gem. § 83 S. 1 VwGO i.V.m. § 17a Abs. 2 GVG bestehen bleiben. Sofern eine Klageschrift hingegen bei einem Gericht eingereicht wird, an das sie überhaupt nicht adressiert ist, ist der Eingang bei dem Gericht entscheidend, an das die Klageschrift selbst gerichtet ist. § 83 S. 1 VwGO i.V.m. §§ 17 ff. GVG ist in diesem Fall nicht anwendbar (weiterführende Erläuterungen bei Brenner, in: Sodan/Ziekow, VwGO, 5. Aufl. 2018, § 74 Rn. 30 ff.).
K adressiert seine Verpflichtungsklage an das VG Düsseldorf, das er neben dem VG Köln für zuständig hält. In Wahrheit ist aber allein das VG Köln nach § 52 Nr. 1 VwGO i.V.m. § 17 Nr. 5 JustG NRW örtlich zuständig. Entscheidender Zeitpunkt für die Rechtzeitigkeit der Klageerhebung ist demnach der Eingang der Klageschrift beim VG Düsseldorf.
Somit erfolgte die Klageerhebung rechtzeitig am 8. Juni 2020.
 
Fall 21: Eingang der Klageschrift bei einem unzuständigen Gericht
Wie Fall 4, aber:
D geht richtigerweise davon aus, dass allein das VG Köln zuständig ist. Da er kein Faxgerät besitzt, möchte er die Klage direkt in den gerichtlichen Briefkasten werfen. D ist aber mit der Anfertigung der Klageschrift erst am 8. Juni 2020 um 23.30 Uhr fertig. Er weiß, dass er es nicht mehr vor 00.00 Uhr zum VG Köln schaffen wird. Er hat aber von einem Kollegen gehört, dass man Klagen auch einfach bei an sich unzuständigen Gerichten einwerfen könne. Solange die Klage nur an das in Wahrheit zuständige Gericht adressiert sei, werde das unzuständige Gericht die Klage schon weiterleiten. D beschließt daher, die an das VG Köln adressierte Klage in den Gerichtsbriefkasten des nahegelegenen VG Düsseldorf einzuwerfen. Er schafft es gerade noch, die Klage vor 00.00 Uhr einzuwerfen. Am nächsten Tag leitet das VG Düsseldorf die Klage an das VG Köln weiter.
Hat D fristgerecht Verpflichtungsklage erhoben?
 
Lösung:
In diesem Fall ist die Klage eindeutig an das VG Köln adressiert. Das VG Düsseldorf wird deshalb überhaupt nicht angerufen. § 83 S. 1 VwGO i.V.m. §§ 17 ff. GVG ist in diesem Fall nicht anwendbar. Entscheidend ist daher allein der Zeitpunkt, in dem die Klage dem VG Köln zugeht.
D hat nicht fristgerecht Anfechtungsklage erhoben.
 
Fall 22: Eingang der Klageschrift bei einem unzuständigen Gericht
Wie Fall 4, aber:
D verfügt über ein Faxgerät. Er versendet die an das VG Köln adressierte Klageschrift um 23.45 Uhr per Fax. Aus Versehen verwendet er hierbei allerdings die Faxnummer des VG Düsseldorf. Die Geschäftsstelle des VG Düsseldorf leitet die Klageschrift am Tag darauf an das VG Köln weiter.
Hat D fristgerecht Verpflichtungsklage erhoben?
 
Lösung:
D möchte eigentlich das VG Köln anrufen, an das er die Klage auch adressiert. Infolge eines Versehens schickt er die Klageschrift jedoch an das VG Düsseldorf. Er unterliegt hierbei keinem Rechtsirrtum über die Zuständigkeit eines Gerichts, sondern lediglich einem Tatsachenirrtum über die Verwendung der zu einem Gericht gehörenden Faxnummer. § 83 S. 1 VwGO i.V.m. §§ 17 ff. Abs. 1 S. 2 GVG ist in diesem Fall nicht anwendbar. Maßgeblicher Zeitpunkt ist mithin der Eingang der Klageschrift beim VG Köln am 9. Juni 2020.
D hat demnach nicht fristgerecht Klage erhoben.
 
Fall 23: Fehlende Bekanntgabe einer Baugenehmigung gegenüber dem Nachbarn
(Angelehnt an BVerwG NVwZ 2019, 245 ff. = BVerwG, Beschluss v. 11.9.2018 ­­– 4 B 34/18)
Bauherr B hat am 4. Juli 2017 von der zuständigen Baugenehmigungsbehörde eine Baugenehmigung für einen weiteren Stall einer Putenmastfarm erhalten. Im Mai 2018 beginnt B mit den Bauarbeiten. Auch Nachbar N, der bislang keine Kenntnis vom Bauvorhaben des B hatte, bemerkt die Bauarbeiten. Nachdem er die Bauarbeiten über mehrere Monate hinweg beobachtet hat, beschwert er sich am 28. Oktober 2018 bei der Baugenehmigungsbehörde über Baulärm und verlangt Akteneinsicht. Diese wird ihm am 1. November 2019 gewährt.
N, nun in Kenntnis von der Baugenehmigung des B, ist erbost. Am 20. Mai 2020 erhebt er Anfechtungsklage gegen die Baugenehmigung des B.
Konnte N die im Übrigen zulässige Klage zu diesem Zeitpunkt noch erheben?
 
Lösung:
I. Klagefrist ab Bekanntgabe
Die Klagefrist gegen die Baugenehmigung (Verwaltungsakt) beträgt gemäß § 74 Abs. 1 S. 2 VwGO einen Monat bzw. bei fehlender oder fehlerhafter Rechtsbehelfsbelehrung gem. § 58 Abs. 2 VwGO ein Jahr ab Bekanntgabe. Unter Bekanntgabe ist allgemein die Eröffnung des Verwaltungsakts gegenüber dem Betroffenen mit Wissen und Wollen der Behörde zu verstehen. Eine solche amtliche Bekanntgabe ist zwar dem B gegenüber erfolgt. Maßgeblich ist für den Beginn der Klagefrist aber die Bekanntgabe gegenüber dem Kläger. N gegenüber fehlt es an einer amtlichen Bekanntgabe. Mithin wurde für N mangels Bekanntgabe weder die Klagefrist des § 74 Abs. 1 S. 2 VwGO noch die Klagefrist des § 58 Abs. 2 VwGO in Gang gesetzt. Es kommt auch zu keiner analogen Anwendung der Vorschrift. Da die Zulässigkeit von Drittanfechtungsklagen wie der hier vorliegenden schon vor Erlass der VwGO allgemein bekannt war, ist davon auszugehen, dass der Gesetzgeber die Konstellation des dem Drittbetroffenen nicht bekanntgegebenen Verwaltungsakts bewusst nicht in § 58 Abs. 2 VwGO aufgenommen hat.
 
II. Jahresfrist ab Kenntnis bzw. Kennenmüssen der Baugenehmigung
Aufgrund des besonderen nachbarschaftlichen Gemeinschaftsverhältnisses kann es dem Nachbarn jedoch nach Treu und Glauben versagt sein, sich auf sein Anfechtungsrecht zu berufen. Dies ist der Fall, wenn der Nachbar von der Baugenehmigung sichere Kenntnis erlangt hat oder hätte erlangen müssen. In diesem Fall muss sich der Nachbar aber in der Regel so behandeln lassen, als sei ihm die Baugenehmigung amtlich bekanntgegeben worden und würde dementsprechend auch die Klagefrist des § 58 Abs. 2 VwGO laufen.
Sichere Kenntnis von der Baugenehmigung hat N erst am 1.11.2019 durch Einsichtnahme in die Bauakte erhalten. N hat am 20. Mai 2020, also innerhalb der Frist des § 58 Abs. 2 VwGO, Klage erhoben, sodass die Klagefrist des § 58 Abs. 2 VwGO ab sicherer Kenntnis von der Baugenehmigung eingehalten wurde.
Möglicherweise hätte er aber schon früher Kenntnis von der Baugenehmigung erlangen müssen mit der Folge, dass er so zu behandeln wäre, als sei ihm die Baugenehmigung zu diesem Zeitpunkt bekanntgegeben worden. Der Zeitpunkt, zu dem der Nachbar von der Baugenehmigung hätte Kenntnis erlangen müssen, tritt ein, wenn sich ihm das Vorliegen der Baugenehmigung aufdrängen musste und es ihm möglich und zumutbar war, sich hierüber Gewissheit zu verschaffen.

Daraus folgt: Ab dem Zeitpunkt, an dem der Nachbar davon ausgehen muss, dass der Bauherr eine Baugenehmigung erhalten hat, hat er sich regelmäßig innerhalb eines Jahres über die Genehmigungslage zu informieren. Tut er dies, so ist die Widerspruchsfrist gewahrt und wird erst dadurch versäumt, dass er nach Erhalt der Information, die ihm die sichere Kenntnis von der Baugenehmigung verschafft, nicht fristgerecht Widerspruch einlegt.
(BVerwG NVwZ 2019, 245 [246] = BVerwG, Beschluss v. 11.9.2018 ­­– 4 B 34/18)

N musste sich ab Beginn der Bauarbeiten das Vorliegen einer Baugenehmigung aufdrängen. Ab diesem Zeitpunkt musste er sich somit innerhalb eines Jahres über das Vorhandensein einer Baugenehmigung informieren. Dies hat er getan, indem er am 28. Oktober 2018 bei der zuständigen Behörde Akteneinsicht forderte. Da er auf den Zeitpunkt der Akteneinsichtsgewährung keinen Einfluss hatte, hat er damit das Erforderliche getan.
Die Frist wäre jedoch versäumt, wenn sich N nach Akteneinsicht, also nach Kenntnis von der Baugenehmigung nicht innerhalb eines Jahres Anfechtungsklage erhoben hätte. Dies hat er jedoch getan (s.o.).
 
III. Verwirkung des Anfechtungsrechts schon vor Ablauf der Jahresfrist?
Ausnahmsweise kann das Anfechtungsrecht des Nachbarn aber auch schon vor Ablauf der Jahresfrist verwirkt sein. Die Verwirkung setzt die Untätigkeit des Berechtigten, hier des Nachbarn N, für einen längeren Zeitraum (Zeitmoment) und das Hinzutreten besonderer Umstände voraus, welche die späte Geltendmachung als Verstoß gegen Treu und Glauben erscheinen lassen (Umstandsmoment). Solche Umstände kommen insbesondere dann in Betracht, wenn der Bauherr infolge eines bestimmten Verhaltens des Nachbars darauf vertrauen durfte (Vertrauensgrundlage) und vertraut hat (Vertrauenstatbestand), dass dieser sein Klagerecht nicht mehr ausüben werde.
Gegen die erforderliche Vertrauensgrundlage könnte sprechen, dass sich N am 28.10.2018 bei der Baugenehmigungsbehörde über Baulärm beschwert sowie Akteneinsicht verlangt hat. Dieser Umstand vermag eine etwaige Vertrauensgrundlage aber nicht zu erschüttern, da es auf ein Vertrauen seitens des Bauherrn, nicht der Baugenehmigungsbehörde ankommt.
Allerdings hat N über seine Untätigkeit hinaus kein Verhalten an den Tag gelegt, weshalb B darauf hätte vertrauen dürfen, dass N keine Klage gegen die Baugenehmigung erheben würde. Es fehlt deshalb schon an der für eine Verwirkung erforderlichen Vertrauensgrundlage des B.
N hat sein Recht zur Klageerhebung mithin nicht vor Ablauf der Jahresfrist verwirkt.
N konnte die Anfechtungsklage am 20. Mai 2020 noch erheben.
 
Fall 24: Fehlerhafte Rechtsbehelfsbelehrung: Hinweis auf Abfassung der Klage in deutscher Sprache
(Angelehnt an BVerwG NVwZ 2019, 167 ff. = BVerwG, Urteil v. 29.8.2018 – 1 C 6/18. Die Entscheidung beschäftigt sich darüber hinaus mit der Frage, ob eine fehlende oder unrichtige Übersetzung der Rechtsbehelfsbelehrung diese unrichtig i.S.d. § 58 Abs. 2 VwGO macht oder sonst dessen Anwendung bewirkt.)
A, afghanischer Staatsbürger, wird am 27. April 2020 eine schriftliche Ordnungsverfügung der Stadt Köln bekanntgegeben. Die dem Bescheid beigefügte und im Übrigen ordnungsgemäße Rechtsbehelfsbelehrung enthält den Zusatz: „Die Klage muss in deutscher Sprache abgefasst sein.“ Diesem Zusatz geht der grundsätzlich zutreffende Hinweis voran, für die Rechtzeitigkeit der Klageerhebung sei der Tag des Eingangs beim VG entscheidend.
A verfügt zwar nur über einfache Deutschkenntnisse, erfasst den Inhalt der Ordnungsverfügung aber korrekt. Er hält die Verfügung für rechtswidrig. A sieht sich aber nicht in der Lage, eine ordentliche Klage schriftlich in deutscher Sprache zu formulieren und nimmt daher zunächst von einer Klageerhebung Abstand. Am 28. Mai 2020 erhebt er doch Klage vor dem zuständigen VG Köln.
Hat A die im Übrigen zulässige Anfechtungsklage fristgemäß erhoben?
 
Lösung:
Die Klagefrist beträgt grundsätzlich gemäß § 74 Abs. 1 S. 2 VwGO einen Monat ab Bekanntgabe des Verwaltungsakts. Die Ordnungsverfügung wurde dem A am 27. April 2020 bekanntgegeben.
Fristbeginn ist danach gemäß §§ 57 Abs. 2 VwGO, 222 Abs. 1 ZPO, 187 Abs. 1 BGB der 28. April 2020.
Die Klagefrist endet folglich nach §§ 57 Abs. 2 VwGO, 222 Abs. 1 ZPO, 188 Abs. 2 Alt. 1 BGB mit Ablauf des 27. Mai 2020.
Folglich wäre die am 28. Mai 2020 erhobene Anfechtungsklage des A verfristet.
Möglicherweise ist die dem Bescheid beigefügte Rechtsbehelfsbelehrung jedoch unrichtig erteilt, sodass die Klagefrist nicht gem. § 74 Abs. 1 S. 2 VwGO einen Monat, sondern gem. § 58 Abs. 2 VwGO ein Jahr ab Bekanntgabe des Verwaltungsakts beträgt.
Die Rechtsbehelfsbelehrung enthält zwar alle nach § 58 Abs. 1 VwGO erforderlichen Angaben. Eine Rechtsbehelfsbelehrung ist aber auch dann unrichtig, wenn sie einen nicht erforderlichen Zusatz enthält, der fehlerhaft oder irreführend ist und dadurch generell geeignet ist, bei dem Betroffenen einen Irrtum über die formellen und/oder materiellen Voraussetzungen des in Betracht kommenden Rechtsbehelfs hervorzurufen und ihn dadurch abzuhalten, den Rechtsbehelf überhaupt, rechtzeitig oder in der richtigen Form einzulegen. Hier enthält die Rechtsbehelfsbelehrung den Zusatz, die Klage sei in deutscher Sprache abzufassen.
Der Hinweis darauf, dass die Klage „in deutscher Sprache“ abgefasst sein muss, ist weder fehlerhaft noch irreführend, sondern ein zutreffender Hinweis auf die Rechtslage. Die Gerichtssprache ist gem. § 55 VwGO i.V.m. § 184 S. 1 GVG deutsch. Eine in einer anderen Sprache erhobene Klage ist unwirksam. Dieser Zusatz führt daher nicht zur Unwirksamkeit der Rechtsbehelfsbelehrung.
Die Verwendung des Verbs „abfassen“ in Bezug auf „Klage“ könnte allerdings als Hinweis darauf zu verstehen sein, dass die Klage verschriftlicht werden muss. So verstanden könnte der Hinweis unvollständig und irreführend sein, da die Klage gem. § 81 Abs. 1 S. 2 VwGO auch zu Protokoll des Urkundsbeamten der Geschäftsstelle erhoben werden kann.
Dagegen spricht jedoch, dass eine Klageerhebung stets die Verschriftlichung des klägerischen Begehrens verlangt.

Dies gilt auch für eine vom Kläger zu Protokoll des Urkundsbeamten der Geschäftsstelle erhobene Klage. Denn hierbei muss das vom Kläger mündlich geäußerte Begehren vom Urkundsbeamten (in deutscher Sprache) niedergeschrieben, protokolliert und vom jeweiligen Kläger gezeichnet werden; erst mit dieser Verschriftlichung liegt eine wirksame Klageerhebung vor.
Der Formulierung der Rechtsbehelfsbelehrung lässt sich auch nicht entnehmen, dass der Kläger selbst für die Verschriftlichung zu sorgen habe, mithin eine Klageerhebung zur Niederschrift des Urkundsbeamten nicht möglich sei. Dem steht die passivische Form des Partizips Perfekt ‚abgefasst‘ in Verbindung mit dem Hilfsverb ‚müssen‘ (‚… muss … abgefasst sein‘) entgegen. Die Verwendung des Passivs trifft – zutreffend – allein eine Aussage dazu, dass eine Verschriftlichung notwendig ist. Sie enthält gerade keine Aussage dazu, wer die Klage abfassen bzw. für die Verschriftlichung der Klage sorgen muss. Dies kann mithin auch der Urkundsbeamte der Geschäftsstelle sein. Etwas anderes ergibt sich auch nicht aus dem vorangegangenen Satz der Rechtsbehelfsbelehrung, wonach für die Rechtzeitigkeit der Klageerhebung der Tag des ‚Eingangs‘ beim Verwaltungsgericht maßgebend ist. Eine wirksame Klageerhebung liegt (erst) vor, wenn die Klage in verschriftlichter Form beim Verwaltungsgericht vorliegt. Auch bei einer Klageerhebung zu Protokoll des Urkundsbeamten der Geschäftsstelle ist damit für den Eingang der Klage maßgeblich, wann diese in verschriftlichter Form vorliegt.
(BVerwG NVwZ 2019, 167 [169] = BVerwG, Urteil v. 29.8.2018 – 1 C 6/18)

Die Rechtsbehelfsbelehrung war daher nicht unrichtig i.S.d. § 58 Abs. 2 VwGO. Es bleibt bei der Anwendung von § 74 Abs. 1 S. 2 VwGO.
A hat die Anfechtungsklage nicht fristgemäß erhoben.
 
Fall 25: Fristberechnung bei der Öffentlichkeitsbeteiligung nach § 3 Abs. 2 BauGB – Ablauffrist und Ereignisfrist
Der Rat der Gemeinde G möchte für einen Teil des Gemeindegebiets einen Bebauungsplan aufstellen, für den bislang lediglich ein Flächennutzungsplan vorliegt. Nachdem ein Planaufstellungsbeschluss gefasst wurde und Umweltprüfung, frühzeitige Behörden- und Öffentlichkeitsbeteiligung ordnungsgemäß erfolgt sind, soll der Entwurf des Bebauungsplans öffentlich ausgelegt werden. Hierzu wird zunächst am 12. Februar 2020 ortsüblich bekanntgegeben, dass die Planentwürfe vom 20. Februar bis einschließlich zum 19. März an allen Werktagen von 8.00 Uhr bis 16.00 Uhr im Rathaus von G öffentlich ausliegen werden. Die Auslegung erfolgt entsprechend der Bekanntmachung.
Wurde die Öffentlichkeit gem. § 3 Abs. 2 BauGB ordnungsgemäß beteiligt?
 
Lösung:
I. Bekanntmachung der Auslegung, § 3 Abs. 2 S. 2 BauGB
Ort und Dauer der Auslegung sind gem. § 3 Abs. 2 S. 2 BauGB mindestens eine Woche vorher, d.h. vor Beginn der Auslegung ortsüblich bekanntzumachen. Die ortsübliche Bekanntmachung erfolgte am 12. Februar 2020. Für die Berechnung von Auslegungs- und Bekanntmachungsfrist sind im Ergebnis die §§ 187 ff. BGB maßgeblich. Ob sich deren Anwendung aus § 31 VwVfG NRW ergibt oder mangels Anwendbarkeit von § 31 VwVfG NRW auf die Bauleitplanung nach dem BauGB im Wege einer Analogie, kann dahinstehen.
Da für den Beginn der Frist ein Ereignis, namentlich die Bekanntmachung der Auslegung, ausschlaggebend ist, handelt es sich um eine Ereignisfrist i.S.d. § 187 Abs. 1 BGB. Fristbeginn war mithin gem. (§ 31 Abs. 1 VwVfG NRW i.V.m.) § 187 Abs. 1 BGB der 13. Februar 2020. Die Frist läuft für die Dauer einer Woche. Die Frist endete gem. (§ 31 Abs. 1 VwVfG NRW i.V.m.) § 188 Abs. 2 Alt. 1 BGB mit Ablauf des 19. Februar 2020. Es durfte somit – wie geschehen – ab dem 20. Februar 2020 mit der Auslegung der Planentwürfe begonnen werden. Die Auslegung der Entwürfe wurde ordnungsgemäß bekannt gemacht.
 
II. Öffentliche Auslegung der Planentwürfe, § 3 Abs. 2 S. 1 BauGB
Gem. § 3 Abs. 2 S. 1 BauGB sind die Entwürfe der Bauleitpläne (mit Begründung und umweltbezogenen Stellungnahmen) für die Dauer eines Monats auszulegen.
Da für den Beginn der Frist nicht ein Ereignis, sondern der Beginn eines Tages – der erste Tag der Auslegung – ausschlaggebend ist, handelt es sich bei der Auslegungsfrist um eine Ablauffrist i.S.d. § 187 Abs. 2 BGB.
Der erste Tag der Auslegung war der 20. Februar 2020. Fristbeginn war somit gem. (§ 31 Abs. 1 VwVfG NRW i.V.m.) § 187 Abs. 2 BGB der 20. Februar 2020.
Die Auslegungsfrist endete gem. (§ 31 Abs. 1 VwVfG NRW i.V.m.) § 188 Abs. 2 Alt. 2 BGB mit Ablauf des 19. März 2020. Zu beachten ist jedoch, dass die Fristdauer gem. § 3 Abs. 2 S. 1 BauGB mindestens 30 Tage betragen muss. Die Auslegung fiel hier auf den Übergang der Monate Februar und März und betrug lediglich 29 Tage.
Das Ende der Auslegungsfrist ist deshalb für eine Fristdauer von 30 Tagen neu zu berechnen. Da es sich hierbei um eine nach Tagen bestimmte Frist handelt, richtet sich das Fristende nach § 188 Abs. 1 BGB. Die Frist endet folglich mit Ablauf des 20. März 2020. Da die Planentwürfe lediglich bis zum 19. März öffentlich ausgelegt wurden, wurde die gesetzlich vorgeschriebene Auslegungsfrist nicht eingehalten.
Die Planentwürfe wurden nicht ordnungsgemäß ausgelegt.

15.06.2020/2 Kommentare/von Gastautor
https://www.juraexamen.info/wp-content/uploads/2022/05/je_logo.svg 0 0 Gastautor https://www.juraexamen.info/wp-content/uploads/2022/05/je_logo.svg Gastautor2020-06-15 08:48:382020-06-15 08:48:38Die Fristberechnung im Öffentlichen Recht
Tom Stiebert

BVerfG: Neues zur Beschwerdefrist nach § 93 BVerfGG – Nicht immer gilt die Jahresfrist

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Das Gute vorweg: Fristprobleme im Rahmen von Klausuren mögen zwar lästig sein, sie sind aber ebenso wichtig (und bringen die nötigen Punkte in der Klausur und sind vor allem bei kurzer Lektüre der zentralen Entscheidungen auch einfach zu beherrschen.
Zu diesen lesenswerten Judikaten gehört ein kürzlich veröffentlichter Beschluss des Bundesverfassungserichts vom 22. Februar 2017 (1 BvR 2875/16). In diesem ging es um die Frage, wann bei einer Rechtssatzverfassungsbeschwerde (also einer Verfassungsbeschwerde gegen ein Gesetz) die Jahresfrist des§ 93 Abs. 3 BVerfGG beginnt.
I. Die Lösung des Gerichts
Das mag einfach klingen: § 93 Abs. 3 BVerfGG knüpft die Jahresfrist an das Inkrafttreten des Gesetzes. Grundsätzlich tritt ein Gesetz – auch bei Änderungen nur einmalig in Kraft. Allerdings kann die inhaltliche Änderung einzelner Vorschriften dazu führen, dass jedenfalls hinsichtlich dieser geänderten Abschnitte die Frist erst an den Zeitpunkt der Änderung anknüpft, das heißt das Inkrafttreten des Änderungsgesetzes zum Maßstab nimmt.
Gleiches muss aber auch gelten, wenn Normen zwar unverändert bestehen bleiben, aber aufgrund von Verweisen oder der Änderung des Umfelds ein vollständig neues Gepräge bekommen. Auch hier ist dann auch gegen die – an sich unveränderten Normen – eine Verfassungsbeschwerde innerhalb der neu beginnenden Jahresfrist möglich.
Nun hatte das BVerfG den abweichenden Fall zu entscheiden: Eine Norm wurde zwar geändert. Die Änderungen bezogen sich aber aus Sicht des BVerfG allein auf redaktionelle Anpassungen ohne inhaltliche Bedeutung.
Zum Vergleich Alt und Neufassung:
Altfassung:

§ 15 Werkfeuerwehren
(1) Werkfeuerwehren sind staatlich angeordnete oder anerkannte Feuerwehren. Die Bezirksregierung verpflichtet nach Anhörung der Gemeinde Betriebe oder Einrichtungen, bei denen die Gefahr eines Brandes oder einer Explosion besonders groß ist oder bei denen in einem Schadensfall eine große Anzahl von Personen gefährdet wird, eine Werkfeuerwehr aufzustellen und zu unterhalten, die in der Regel aus hauptamtlichen Kräften besteht. Die Bezirksregierung hat regelmäßig den Leistungsstand der Werkfeuerwehren zu überprüfen.
(2) Die Angehörigen der Werkfeuerwehr müssen Werksangehörige sein. Sie müssen über ausreichende Kenntnisse der Liegenschaften und der Betriebsabläufe verfügen. Werkfeuerwehren müssen in Aufbau, Ausstattung und Ausbildung den an öffentliche Feuerwehren gestellten Anforderungen entsprechen. Ihre Leistungsfähigkeit muss sich an den von dem Betrieb ausgehenden Gefahren orientieren.

 
Neufassung:

§ 16 Werkfeuerwehren
(1) Werkfeuerwehren sind staatlich angeordnete oder anerkannte Feuerwehren. Die Bezirksregierung verpflichtet nach Anhörung der Gemeinde Betriebe oder Einrichtungen, bei denen die Gefahr eines Brandes oder einer Explosion besonders groß ist oder bei denen in einem Schadensfall eine große Anzahl von Personen gefährdet wird, eine Werkfeuerwehr aufzustellen und zu unterhalten. Auf Antrag eines Betriebes oder einer Einrichtung kann die Bezirksregierung eine Betriebsfeuerwehr oder die zum Schutz der eigenen Anlagen vor Brandgefahren und zur Hilfeleistung im Betrieb oder der Einrichtung vorgehaltenen Brandschutzkräfte als Werkfeuerwehr anerkennen. Die Werkfeuerwehr besteht in der Regel aus hauptamtlichen Kräften. Die Bezirksregierung hat in Zeitabständen von längstens fünf Jahren den Leistungsstand der Werkfeuerwehren zu überprüfen.
(2) Die Leistungsfähigkeit der Werkfeuerwehr muss sich an den von dem Betrieb oder der Einrichtung ausgehenden Gefahren orientieren. Sie muss in Aufbau, Ausstattung und Ausbildung den an öffentliche Feuerwehren gestellten Anforderungen entsprechen. Die Angehörigen der Werkfeuerwehr müssen dem Betrieb oder der Einrichtung angehören, für welche die Werkfeuerwehr eingerichtet worden ist. Sie müssen neben der erforderlichen fachlichen Qualifikation insbesondere über Kenntnisse der Örtlichkeit, der Produktions- und Betriebsabläufe, der betrieblichen Gefahren sowie Schutzmaßnahmen und der besonderen Einsatzmittel verfügen.
 

Trotz dieser an sich zahlreichen Änderungen sah das BVerfG einen Neubeginn der Jahresfrist nach § 93 Abs. 3 BVerfGG nicht für gegeben an. Es legte hierzu dar:

Nach diesen Grundsätzen begann die Jahresfrist des § 93 Abs. 3 BVerfGG mit dem Inkrafttreten des § 16 BHKG am 1. Januar 2016 nicht neu zu laufen. Denn der Landesgesetzgeber hat mit der angegriffenen Vorschrift des § 16 Abs. 2 Satz 3 BHKG die Vorgängervorschrift des § 15 Abs. 2 Satz 1 FSHG, die bereits am 1. März 1998 in Kraft getreten ist, nur redaktionell und nicht inhaltlich geändert.
Der Wortlaut des § 16 Abs. 2 Satz 3 BHKG wurde insoweit zwar gegenüber der früheren Vorschrift des § 15 Abs. 2 Satz 1 FSHG geändert. Entgegen der Auffassung der Verfassungsbeschwerde liegt darin aber keine inhaltliche Änderung der Vorschrift. Bereits § 15 Abs. 2 Satz 1 FSHG war dahin auszulegen, dass die Angehörigen der Werkfeuerwehr dem Betrieb oder der Einrichtung angehören mussten, für welche die Werkfeuerwehr eingerichtet worden ist. Dies ergibt die systematische Auslegung der Vorschrift.

Insbesondere prüft das BVerfG, ob sich durch die Änderung materielle Neuerungen ergeben haben, an die eine Verfassungsbeschwerde anknüpfen kann. Mittels dieser wird gerade die Verletzung spezifischen Verfassungsrechts – binnen der Jahresfrist – gerügt. Dort, wo also eine Verletzung durch die Gesetzesänderung nicht denkbar ist, da inhaltlich keine Änderungen eintreten, muss die Verfassungsbeschwerde unzulässig sein:

Die Frist wird nur neu in Lauf gesetzt, wenn die Gesetzesänderung die Verfassungswidrigkeit der angegriffenen Norm begründet oder verstärkt (vgl. BVerfGE 45, 104 <119 f.>; 78, 350 <356>; 111, 382 <411> m.w.N.). Dies ist der Fall, wenn der Gesetzgeber das materielle Gewicht einer Regelung verändert (vgl. BVerfGE 17, 364 <369>; 26, 100 <109>; 79, 1 <14>) oder wenn ihr Anwendungsbereich – etwa durch Präzisierung eines Legalbegriffs – eindeutiger als bisher begrenzt und der Vorschrift damit ein neuer Inhalt gegeben wird (vgl. BVerfGE 11, 351 <359 f.>; 43, 108 <116>). Gleiches gilt, wenn sich durch die Gesetzesänderung für die formal identisch gebliebene Norm ein erweiterter Anwendungsbereich ergibt.

Dies alles lag hier nicht vor.
II. Was also zu beachten ist
Sofern es sich also nicht um ein vollständig neues Gesetz handelt, muss stets genau geprüft werden, was hieran geändert wurde. Insbesondere bei Verfassungsbeschwerden gegen Gesetztesteile, die so oder so ähnlich schon vorhanden waren, sind die Voraussetzungen des § 93 Abs. 3 BVerfGG streng zu prüfen. All die genannten Fallgruppen könnten jedenfalls im Rahmen einer Zusatzfrage in der Klausur abgeprüft werden. Eine rein pauschale Prüfung verbietet sich hier – nicht jede Änderung führt zum Fristneubeginn. Hier gilt es also Vorsicht walten zu lassen.

13.04.2017/0 Kommentare/von Tom Stiebert
https://www.juraexamen.info/wp-content/uploads/2022/05/je_logo.svg 0 0 Tom Stiebert https://www.juraexamen.info/wp-content/uploads/2022/05/je_logo.svg Tom Stiebert2017-04-13 09:00:362017-04-13 09:00:36BVerfG: Neues zur Beschwerdefrist nach § 93 BVerfGG – Nicht immer gilt die Jahresfrist
Tom Stiebert

OLG Hamm: Verlust von Briefkastenschlüssel führt nicht zu Einsetzung in den vorigen Stand

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Die Frage einer Wiedereinsetzung in den vorigen Stand ist gerade im zweiten Examen durch Ihre Verknüpfung mit Fragen der Fristenberechnung von immens hoher Relevanz. Aber auch im Ersten Staatsexamen eignet sie sich sehr gut, um bspw. in der mündlichen Prüfung abgefragt zu werden.
Das OLG Hamm hat sich in einem am 23.5.2016 veröffentlichten Beschluss (Az. 4 Ws 103/16) mit einer besonderen Konstellation auseinandergesetzt, die sich perfekt als Baustein einer Klausur eignet.
I. Sachverhalt
Der Fall ist einfach erzählt: Der Kläger hatte eine gerichtliche Notfrist (im konkreten Fall die Frist zur Einlegung eines Widerrufs der Bewährung) versäumt. Die notwendige Handlung wurde erst verspätet durchgeführt. Sein Fristversäumnis hat der Kläger damit entschuldigt, dass seine Ehefrau, im Besitz des einzigen Briefkastenschlüssels, wenige Tage vor dem Einwurf des Widerrufbeschlusses die gemeinsame Wohnung nach einer Auseinandersetzung unter Mitnahme des besagten Briefkastenschlüssels verlassen und erst nach Fristablauf nach 11 Tagen zurückgekehrt sei, so dass er, der Betroffene, in dieser Zeit keinen Zugang zum Briefkasten gehabt habe.
Aus diesem Grund begehrte er hier Wiedereinsetzung in den vorherigen Stand.
II. Rechtliche Würdigung
An erster Stelle würde hier die Feststellung stehen, dass es sich um eine Notfrist gehandelt hatte und diese versäumt war. Hier stellen sich häufig Fragen zur Fristberechnung (siehe hierzu unseren Beitrag). Wichtig ist an dieser Stelle auch festzustellen, dass der Antrag verfristet sei, nur dann kommt man überhaupt zur Prüfung der Wiedereinsetzung. Insofern ist es dogmatisch fehlerhaft, aufgrund einer möglichen Wiedereinsetzung von einer Wahrung der Frist zu sprechen.
Möglich wäre aber eine Wiedereinsetzung in den vorigen Stand. Diese ist in diversen gesetzlichen Regelungen vorgesehen. Am wichtigsten ist wohl § 233 ZPO, § 44 StPO und § 60 VwGO. Die Voraussetzungen sind stets identisch: Die Partei muss ohne Verschulden gehindert gewesen sein, eine Frist wahrzunehmen. Folglich ist zweistufig zu prüfen: Zunächst der Fall der Verhinderung, dann des fehlenden Verschuldens. Ferner bedarf es stets der Wahrung einer Frist, die im Regelfall an den Wegfall des Hinderungsgrundes anknüpft (§ 234 ZPO).
Hier ist einzig die Frage relevant, ob die Unmöglichkeit des Öffnens des Briefkastens verschuldet war. Hierzu existiert eine äußerst umfassende Kasuistik. Relevant wird an dieser Stelle häufig auch ein mögliches Verschulden des Prozessbesvollmächtigten (§ 85 Abs. 2 ZPO), das zuzurechnen ist. Hier würde dann darzulegen sein, ob der Prozessbevollmächtigte insbesondere im Rahmen seiner Organisationspflichten fehlerhaft gehandelt hat.
Aber auch längere Abwesenheit oder schwere Krankheiten sind hierfür ausreichend. Fraglich ist, ob sich der Kläger hier auf den Verlust des Briefkastenschlüssels stützen konnte. Dies verneint das Gericht:

Der Betroffene habe zwar glaubhaft gemacht, dass seine Ehefrau im Besitz des einzigen Briefkastenschlüssels gewesen sei, diesen nach einer Auseinandersetzung Anfang Dezember 2015 mitgenommen habe, so dass der Betroffene mangels Briefkastenschlüssels für ca. 11 Tage keinen Zugang zum Inhalt des Briefkasten gehabt habe.
Sein Fristversäumnis sei dennoch verschuldet. Derjenige, der den Zugang zu seinem Briefkasten unverschuldet verliere, müsse sich danach um einen baldmöglichsten erneuten Zugang bemühen. Unterlasse er dies, handele er jedenfalls hinsichtlich einer versäumten Frist schuldhaft, die er hätte einhalten können, wenn er umgehend Maßnahmen ergriffen hätte, um an den Inhalt seines Briefkastens zu kommen. Im vorliegenden Fall sei nicht erkennbar, dass der Betroffene irgendwelche Anstrengungen unternommen habe, um sich Zugang zum Inhalt des Briefkastens zu verschaffen. Er habe z.B. weder seine Ehefrau um den Schlüssel gebeten, noch versucht, den Briefkasten mit Hilfe eines Schlüsseldienstes öffnen zu lassen. Bei entsprechenden Anstrengungen hätte er sich rechtzeitig vor dem Ablauf der Rechtsmittelfrist Zugang zum Inhalt des Briefkastens und damit Kenntnis vom zugestellten Widerrufbeschluss verschaffen können.

Das Gericht differenziert daher, nicht die Nichterreichbarkeit des Briefkastens selbst sei verschuldet, sondern die fehlende Vornahme von Maßnahmen, um den Briefkasten zu öffnen, als er erkannte, dass er keinen Schlüssel habe.
Dogmatisch scheint dies nicht ganz exakt, scheint das Gericht doch zunächst von einem bestehenden unverschuldeten Hinderungsgrund auszugehen. Würde man dies auch so sehen wollen, wäre dann die Wahrung der Wiedereinsetzungsfrist (§ 45 Abs. 1 StPO) zu prüfen, die hier nicht allein bei einem Wegfall des Hindernisses sondern auch bei einem Wegfall der unverschuldeten Versäumung beginnt (vgl. BGH v. 13.01.2015 – VI ZB 46/14). Das Ergebnis wäre aber identisch.
III. Bewertung
Die Entscheidung eignet sich sehr gut zum „pushen“ einer Klausur. Gerade Zulässigkeitsfragen lassen sich sehr gut kombinieren. Insofern wird sich nur die Frage stellen, wann diese Variante abgeprüft wird. Hier kommt es dann auf sauberes und systematisches Prüfen an, um ein gutes Ergebnis zu erzielen.

24.05.2016/3 Kommentare/von Tom Stiebert
https://www.juraexamen.info/wp-content/uploads/2022/05/je_logo.svg 0 0 Tom Stiebert https://www.juraexamen.info/wp-content/uploads/2022/05/je_logo.svg Tom Stiebert2016-05-24 14:00:522016-05-24 14:00:52OLG Hamm: Verlust von Briefkastenschlüssel führt nicht zu Einsetzung in den vorigen Stand
Dr. David Saive

LAG Schleswig Holstein: Keine Kündigung am Sonntag

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Das Landesarbeitsgericht Schleswig Holstein hat sich in seinem Urteil vom 13.10.2015, Aktenzeichen 2 Sa 149/15, das heute veröffentlich worden ist, mit allseits beliebten Fristenproblemen befasst.
 
Zum Sachverhalt:
Im vorliegenden Falle beschäftigte der beklagte Rechtsanwalt eine nun klagende Rechtsanwaltsgehilfin. Dieser wollte er noch innerhalb der Probezeit kündigen. Die Probezeit endete am Sonntag, den 30.11.2014. Innerhalb der Probezeit konnte er das Arbeitsverhältnis mit einer Frist von zwei Wochen beenden; danach mit einer Frist von vier Wochen.
Um noch rechtzeitig innerhalb der Probezeit kündigen zu können, warf der Rechtsanwalt das Kündigungsschreiben bei der Klägerin am Sonntag, den 30.11.2014, in den Briefkasten.
Der Beklagte ist der Auffassung, die Kündigung sei rechtzeitig zugegangen, wobei die Klägerin dies bestreitet und sich auf die nunmehr gültige Kündigungsfrist von vier Wochen beruft, nach der sie noch bis zum 31.12.2014 beschäftigt gewesen wäre.
 
Aus den Gründen:
Das Gericht gab der Klägerin recht. Als Begründung führte das Gericht an, dass Arbeitnehmer grundsätzlich nicht dazu verpflichtet sind, ihren Briefkasten auch sonntags zu leeren. Dies gelte sogar dann, wenn an diesem Tag die Probezeit endet und am diesen Tag auch gearbeitet werde. Das Schreiben ist der Klägerin somit frühestens am 01.12.2014 zugegangen, sodass das Arbeitsverhältnis bis zum 31.12.2014 fortbestand.
 
Anmerkung:
Das Urteil regt dazu an, sich erneut vertieft mit dem Zugang von Willenserklärungen und den damit zusammenhängenden Fristenproblemen zu beschäftigen. Bei allen Kündigungsfristen des BGB ist die Sonntagsregelung des § 193 BGB weder direkt noch analog anwendbar (BGH NJW 2005, 1354, 1355). Nach ganz herrschender Meinung dient § 193 BGB dem Schutz des Gekündigten. Insbesondere bei Arbeitsverhältnissen ist es dem Gekündigten nicht zumutbar, sich mit den komplexen Fristenregelungen des BGB auseinanderzusetzen (MüKo BGB, Grothe, § 193, Rn.7).
Ausnahmsweise mal eine Begründung, die sich jedem Jurastudenten sofort erschließt.
Zur Wiederholung der Fristenberechnung lohnt sich ein Blick hier.

11.11.2015/0 Kommentare/von Dr. David Saive
https://www.juraexamen.info/wp-content/uploads/2022/05/je_logo.svg 0 0 Dr. David Saive https://www.juraexamen.info/wp-content/uploads/2022/05/je_logo.svg Dr. David Saive2015-11-11 19:18:112015-11-11 19:18:11LAG Schleswig Holstein: Keine Kündigung am Sonntag
Dr. Stephan Pötters

BGH: Wiedereinsetzungsantrag – Zurechenbares Anwaltsverschulden gem. § 85 Abs. 2 ZPO bei Fax durch Azubi?

Rechtsgebiete, Rechtsprechung, Rechtsprechungsübersicht, Schon gelesen?, Startseite, Zivilrecht, Zivilrecht, ZPO

Der BGH hat entschieden (Beschluss vom 12.9.2013 – III ZB 7/13), dass die Faxübermittlung fristwahrender Schriftsätze einem Auszubildenden nur dann übertragen werden darf, wenn dieser mit einer solchen Tätigkeit vertraut ist und eine regelmäßige Kontrolle seiner Tätigkeit keine Beanstandungen ergeben hat. Der – vor allem für das Assessorexamen – äußerst klausurträchtigen Entscheidung lag der folgende Sachverhalt zugrunde:
Sachverhalt
Die Klägerin nahm die Beklagte aus einem Centermanagement-Vertrag auf Zahlung restlicher Vergütung in Anspruch und hat vor dem Landgericht am 12. September 2012 ein überwiegend klagestattgebendes Urteil erwirkt. Dieses Urteil ist den Prozessbevollmächtigten der Beklagten am 14. September 2012 zugestellt worden. Nach Einlegung der Berufung am 4. Oktober 2012 hat die Beklagte mit Schriftsatz vom 14. November 2012, (als Original) eingegangen beim Berufungsgericht am 16. November 2012, um (erstmalige) Verlängerung
der Berufungsbegründungsfrist bis zum 14. Dezember 2012 nachgesucht. Mit Schriftsatz vom 15. November 2012, eingegangen per Telefax am selben Tage, hat sie hinsichtlich der Versäumung der Berufungsbegründungsfrist die Wiedereinsetzung in den vorigen Stand beantragt. Diesem Antrag beigefügt war die nicht unterschriebene Kopie eines Schriftsatzes vom 14. November 2012, mit dem die Prozessbevollmächtigten der Beklagten um eine Verlängerung der Berufungsbegründungsfrist bis zum 14. Dezember 2012 gebeten hatten. Mit Eingang vom 5. Dezember 2012 hat sie ihre Berufung begründet.
Die Beklagte hat zu ihrem Wiedereinsetzungsgesuch vorgetragen: Das Fristverlängerungsgesuch sei am 14. November 2012 um 16.28 Uhr durch die in der Kanzlei seiner Prozessbevollmächtigten tätige Rechtsanwalts- und Notarfachangestellte M erstellt und sodann dem sachbearbeitenden Rechtsanwalt  P vorgelegt, von diesem gegen 16.50 Uhr unterzeichnet und wieder an Frau M. zur Übersendung an das Berufungsgericht per Telefax übergeben worden. Frau M. habe die Akte mit dem unterschriebenen Fristverlängerungsantrag der Auszubildenden T übergeben und diese angewiesen, die Faxübersendung vorzunehmen. Nachdem T  aus dem separaten Faxraum zurückgekehrt sei, habe sich M bei ihr erkundigt, ob die Faxe durchgegangen seien, was die Auszubildende bejaht habe. Von einer weiteren Überprüfung habe M abgesehen. Die Auszubildende habe den Schriftsatz sodann in den Postausgangskorb für die Gerichtspost gelegt. Ohne weitere Kontrolle habe M die Änderung beziehungsweise Erledigung der Fristen im elektronischen Fristenkalender und im Handkalender veranlasst. Rechtsanwalt P habe gegen 19.00 Uhr die Fristenkalender kontrolliert und festgestellt, dass alle notierten Fristen als erledigt gekennzeichnet gewesen seien. Erst am folgenden Tage habe sich gezeigt, dass ein Faxprotokoll nicht vorhanden und der Fristverlängerungsantrag nicht gefaxt worden sei.  M sei seit acht Jahren in der Kanzlei angestellt. Ihre Tätigkeit habe bis dahin nie zu Fristversäumnissen geführt. Die regelmäßige Kontrolle ihrer Arbeit habe keine Beanstandungen ergeben. Die Rechtsanwaltsangestellten seien angewiesen, die ausgehenden Faxe anhand des Faxprotokolls zu überprüfen, die erfolgte Prüfung auf dem Protokoll zu vermerken und erst dann die Frist im Kalender als erledigt zu kennzeichnen. Von den Auszubildenden hätten sie sich die Faxprotokolle vorlegen zu lassen und diese zu kontrollieren, bevor die Frist als erledigt gekennzeichnet werde. Hierbei habe es in der Vergangenheit, auch bei regelmäßigen Überprüfungen der ausgegangenen Faxschreiben, keinerlei Grund zur Beanstandung durch die Rechtsanwälte gegeben. Grundsätzlich strichen nur die ausgebildeten Rechtsanwaltsfachangestellten die im Kalender notierten Fristen. Diese überprüften auch die korrekte Übermittlung von Telefaxsendungen, die die Auszubildenden oder sie selbst versandt hätten. Dieses Vorgehen sei seit Jahren eingeübt und werde durch die Rechtsanwälte regelmäßig kontrolliert, ohne dass sich in der Vergangenheit Beanstandungen ergeben hätten.
Versäumung der Berufungsbegründungsfrist, § 520 Abs. 2 ZPO
Die Berufungsbegründungsfrist war hier unstreitig versäumt. Nach § 233 ZPO ist einer Partei jedoch  auf Antrag Wiedereinsetzung in den vorigen Stand zu gewähren., wenn sie „ohne ihr Verschulden verhindert“ war, „eine Notfrist oder die Frist zur Begründung der Berufung […] einzuhalten.“ Entscheidend kam es vorliegend darauf an, ob die Berufungsbegründungsfrist ohne ein Verschulden der Beklagten versäumt wurde. Ein eigenes Verschulden konnte der Partei hier nicht vorgeworfen werden. Jedoch kann ihr gem. § 85 Abs. 2 ZPO das Verschulden ihres Prozessbevollmächtigten zugerechnet werden. Die Zurechnung von Anwaltsverschulden erstreckt sich jedoch gerade nicht auf Erfüllungsgehilfen des Prozessbevollmächtigten, § 278 BGB ist also nicht anwendbar. Nur bei in besonderem Maße selbständige Hilfspersonen,  die das Mandat ohne eigene Prozessvertretungsmacht im Außenverhältnis intern weitgehend selbständig und auch abschließend bearbeiten, kommt eine Zurechnung in Betracht. Nicht zugerechnet wird dagegen das Verschulden von Personen, die nur unselbständige Hilfstätigkeiten und Bürotätigkeiten ausüben (BeckOK ZPO/Piekenbrock, § 85 Rn. 20 f. m.w.N.). Bei solchen unselbständigen Hilfspersonen kann ein zurechenbares Verschulden nur darin liegen, dass sie vom Prozessbevollmächtigten nicht hinreichend überwacht oder angewiesen wurden, wenn also ein Organisationsverschulden seitens des mandatierten Rechtsanwalts vorliegt.

Zurechenbares Verschulden im Rahmen des Wiedereinsetzungsantrags nach § 85 Abs. 2 ZPO

Insofern stellt der BGH folgende abstrakte Grundsätze für ein (Organisations- und Überwachungs-) Verschulden des Rechtsanwalts bei der Faxübermittlung durch Azubis auf:

Zu Recht ist das Berufungsgericht davon ausgegangen, dass die Übersendung eines fristwahrenden Schriftsatzes per Telefax einem Auszubildenden nur dann überlassen werden darf, wenn dieser mit einer solchen Tätigkeit vertraut ist und eine regelmäßige Kontrolle seiner Tätigkeit keine Beanstandungen ergeben hat (BGH, Beschlüsse vom 11. Februar 2003 – VI ZB 38/02, NJW-RR 2003, 935, 936 mwN und vom 26. Januar 2006 – I ZB 64/05, NJW 2006, 1519, 1520 Rn. 11). Allgemein muss der Rechtsanwalt eine wirksame Ausgangskontrolle sicherstellen, indem er seine Mitarbeiter anweist, einen Einzelnachweis über den Sendevorgang ausdrucken zu lassen, bevor die entsprechende Frist als erledigt vermerkt wird (s. et-wa BGH, Beschluss vom 23. Oktober 2003 – V ZB 28/03, NJW 2004, 367, 368).

Überträgt man diese Grundsätze auf den vorliegenden Fall, dürfte ein zurechenbares Anwalts(!)verschulden zu bejahen sein:

In dem Wiedereinsetzungsantrag finden sich, wie das Berufungsgericht zutreffend ausgeführt hat, keine Angaben zum Ausbildungsstand, zur Zuverlässigkeit und zur Befähigung der Auszubildenden. Ebenso fehlen Angaben dazu, welche allgemeinen Anweisungen zum Einsatz von Auszubildenden bei der Faxübermittlung fristgebundener Schriftsätze in der betreffenden Anwaltskanzlei bestanden haben. Damit war organisatorisch insbesondere nicht ausgeschlossen, dass unerfahrene oder unzuverlässige Auszubildende mit der Aufgabe der Faxübermittlung betraut werden. Dass die Auszubildenden die Faxprotokolle den ausgebildeten Fachangestellten zur Kontrolle vorlegen müssen, bevor die Frist als erledigt gekennzeichnet werden darf, macht Regelungen über die Voraussetzungen für den Einsatz von Auszubildenden mit Rücksicht auf deren Zuverlässigkeit und Erfahrungsstand nicht entbehrlich. So kann es etwa bei der Erledigung mehrerer Faxaufträge durch unerfahrene Auszubildende leicht dazu kommen, dass Faxprotokolle verwechselt, falsch zugeordnet oder missdeutet werden oder ihr Fehlen übersehen wird oder dass es eigenmächtig zur Eintragung der Fristerledigung im Kalender kommt. Dies macht jedenfalls in der ersten Zeit ihrer Ausbildung eine weitergehende Überwachung dieser Auszubildenden erforderlich, wenn man sie zur Faxübermittlung einsetzt. Ihnen fehlt in diesem Stadium typischerweise die nötige Erfahrung im Umgang mit dem anwaltlichen Schriftverkehr und ein Bewusstsein für die Bedeutung und den Nachweis der Wahrung von Fristen.
Entgegen der Ansicht der Rechtsbeschwerde liegt keine hinreichend konkrete anwaltliche Einzelanweisung vor, die das Fehlen allgemeiner organisatorischer Regelungen ausgleichen könnte. Der Vortrag der Beklagten hat sich hierzu darin erschöpft, dass Rechtsanwalt P das Fristverlängerungsgesuch nach Unterzeichnung „an Frau M zur Übersendung an das Kammergericht per Fax“ übergeben habe. Eine Einzelweisung, die – wie hier – lediglich darin besteht, den fristgebundenen Schriftsatz per Telefax an das Rechtsmittelgericht zu übersenden, regelt nur die Art und Weise sowie den Adressaten der Übermittlung. Sie macht eine organisatorische Regelung zur Kontrolle der Faxübermittlung und zur Einschaltung von Auszubildenden weder entbehrlich noch setzt sie eine hierzu bestehende – unvollständige oder sonst mangelhafte – organisatorische Regelung außer Kraft […]. Sie schließt – wie auch im vorliegenden Fall – insbesondere nicht aus, dass die Faxübermittlung ohne hinreichende Kontrolle einem unerfahrenen Auszubildenden übertragen wird.

26.11.2013/0 Kommentare/von Dr. Stephan Pötters
https://www.juraexamen.info/wp-content/uploads/2022/05/je_logo.svg 0 0 Dr. Stephan Pötters https://www.juraexamen.info/wp-content/uploads/2022/05/je_logo.svg Dr. Stephan Pötters2013-11-26 09:00:582013-11-26 09:00:58BGH: Wiedereinsetzungsantrag – Zurechenbares Anwaltsverschulden gem. § 85 Abs. 2 ZPO bei Fax durch Azubi?
Gastautor

BGH: Rücktrittsrecht ohne Nachfristsetzung bei Vielzahl einzelner Mängel – Montagsauto

Rechtsgebiete, Rechtsprechung, Rechtsprechungsübersicht, Schon gelesen?, Schuldrecht, Startseite, Zivilrecht, Zivilrecht

Erneut können wir heute einen Gastbeitrag von Marvin Granger veröffentlichen. Diesmal zu einem aktuellen und sehr examensrelevanten Urteil des BGH.

Der BGH hat am 23.01.2013 in einem Urteil (Az.: VIII ZR 140/12) entschieden, wann der Käufer eines Fahrzeugs vom Kaufvertrag ohne Nachfristsetzung zurücktreten darf und wann nicht. Bislang liegt nur die Presseerklärung vor.

I. Sachverhalt

Der Kläger hatte im Juni 2008 ein Wohnmobil zum Preis von knapp 134.000 Euro gekauft, das ihm im April 2009 geliefert wurde. Von Mai 2009 bis März 2010 brachte er das Wohnmobil dreimal zwecks Durchführung von Garantiearbeiten in die Werkstatt der Beklagten. Der K rügte dabei zahlreiche Mängel (u.a. Flecken in der Spüle, schief sitzende Abdeckplatten der Möbelverbinder, lose Stoßstange).

Nachdem trotz der erfolgten Reparaturarbeiten, die der K teilweise selbst vorgenommen hatte, weitere Mängel auftraten, erklärte er am 1. April 2011 den Rücktritt vom Kaufvertrag. Die Beseitigung der bestehenden Mängel würde laut einem Sachverständigengutachten fast 5.500 Euro kosten. Ein Fasthalten am Kaufvertrag sei ihm wegen der Vielzahl der aufgetretenen Mängel nicht mehr zumutbar und er dürfe deswegen ohne weitere Nachfristsetzung vom Vertrag zurücktreten.

Die Vorinstanzen hatten ein solches Rücktrittsrecht abgewiesen. Der BGH schloss sich dem jetzt an.

II. Gründe

Er begründete seine Entscheidung damit, dass nicht jedes Fahrzeug, welches eine Vielzahl von Sachmängeln aufweist, als sog. „Montagsauto“ einzustufen sei mit der Berechtigung des Käufers, gem. § 323 II Nr. 3 BGB oder nach § 440 Satz 1 Var. 3 BGB ohne Nachfristsetzung vom Kaufvertrag zurückzutreten. Es stellt sich damit die Frage, wann die Vielzahl der Mängel ein Festhalten am Vertrag unzumutbar machen.

Nicht jede Art, jedes Ausmaß und jede Bedeutung von Mängeln machten eine Nachfristsetzung entbehrlich bzw. die Nacherfüllung für den Käufer unzumutbar. Bei der Entscheidung über dieses Kriterium hätten die Tatrichter vielmehr einen Beurteilungsspielraum. Die Gerichte müssten dabei aus der Sicht eines verständigen Käufers entscheiden, ob die bisher aufgetretenen Mängel die Befürchtung rechtfertigen, dass das Fahrzeug „wegen seiner auf herstellungsbedingten Qualitätsmängeln beruhenden Fehleranfälligkeit insgesamt mangelhaft ist und auch zukünftig nicht frei von herstellungsbedingten Mängeln sein wird“, heißt es in der Presseerklärung. Letztlich hat das Gericht also ein Prognose vorzunehmen, wann Mängel in einer solchen Qualität und Quantität vorliegen, dass ein sofortiger Rücktritt möglich ist.

Zwar hat der BGH im konkreten Fall ebenso wie die Vorinstanz eingeräumt, dass in einer recht kurzen Zeit zahlreiche Mängel an dem Wohnmobil aufgetreten seien. Diese Bagatellmängel beträfen aber nicht die Funktionstüchtigkeit des Fahrzeugs, sondern seien nur optische Lästigkeiten.

Die Nachfristsetzung zur Beseitigung der Sachmängel war somit weder gem. § 323 II Nr. 3 BGB entbehrlich noch war nach § 440 Satz 1 Var. 3 BGB dem K die Nacherfüllung unzumutbar.

III. Anmerkungen für Prüfungen

  • Dieser vom BGH entschiedene Fall ist für Examensklausuren und mündliche Prüfungen geradezu prädestiniert. Es geht thematisch wieder einmal um das Kaufgewährleistungsrecht, das regelmäßig in Prüfungsaufgaben abgefragt wird. In der Sache dreht die Entscheidung sich um die Auslegung der §§ 323 II Nr. 3, 440 Satz 1 Var. 3 BGB dahingehend, wann Art, Ausmaß und Bedeutung von Sachmängeln die Nachfristsetzung entbehrlich bzw. die Nacherfüllung für den Käufer unzumutbar machen. Gerade hier ist die Kenntnis des „case law“ sehr wichtig.
  • Zum Schluss möchte ich noch auf eine lerntechnische Sache hinweisen: Man liest und hört (auch in der Uni) immer wieder, man müsse sich unbedingt merken, dass im Kaufgewährleistungsrecht die Nacherfüllung nach §§ 437 Nr. 1, 439 BGB grds. Vorrang vor Rücktritt und Schadensersatz bzw. Preisminderung hat. Letzteres stimmt zwar, man muss sich das aber nicht merken, sondern das ergibt sich aus dem Gesetz. Für den Rücktritt vom Vertrag bestimmt § 323 I BGB, dass bei fälliger nicht oder nicht vertragsgemäß erbrachter Leistung der Gläubiger, „wenn er dem Schuldner eine angemessene Frist zur Leistung oder Nacherfüllung bestimmt hat“, zurücktreten darf. Für den Schadensersatz statt der (möglichen) Leistung bestimmt § 281 I 1 BGB Entsprechendes. Für die Kaufpreisminderung nach §§ 437 Nr. 2, 441 BGB gilt das Gleiche, weil der Käufer gem. § 441 I 1 BGB den Preis mindern kann  „statt zurückzutreten“. Die Minderung setzt also ein Rücktrittsrecht voraus, welches man zunächst (am Gesetz orientiert, versteht sich) prüfen muss – und da sind wir wieder bei § 323 I BGB. Nach dem gerade Gesagten dürfte es niemanden mehr verwundern, weshalb auch im Werkgewährleistungsrecht gem. §§ 634 ff. BGB die Nacherfüllung grds. Vorrang vor Rücktritt, Minderung und Schadensersatz statt der Leistung hat. Auch die Selbstvornahme darf i.d.R. erst nach erfolglosem Ablauf einer gesetzten Nachfrist erfolgen (§ 637 I BGB).

 

25.01.2013/0 Kommentare/von Gastautor
https://www.juraexamen.info/wp-content/uploads/2022/05/je_logo.svg 0 0 Gastautor https://www.juraexamen.info/wp-content/uploads/2022/05/je_logo.svg Gastautor2013-01-25 17:00:572013-01-25 17:00:57BGH: Rücktrittsrecht ohne Nachfristsetzung bei Vielzahl einzelner Mängel – Montagsauto
Tom Stiebert

Fristenberechnung in der juristischen Klausur und Besonderheiten bei Feiertagen

BGB AT, Schon gelesen?, Verschiedenes, Zivilrecht, ZPO

Fristenberechnung in der juristischen Klausur
Das Berechnen von Fristen bereitet in der juristischen Klausur oftmals Schwierigkeiten und ist deshalb ein wenig beliebter Teil einer Klausur. Grund hierfür könnte sein, dass der Fristberechnung im Studium wenig Beachtung geschenkt wird und diese Problematik eher dem Praktiker zugewiesen wird. Dennoch müssen die Grundzüge der Fristberechnung bereits im Ersten Examen beherrscht werden, werden Klausuren doch sehr häufig mit dieser kleinen Problematik „angefettet“.
Das Beherrschen der Fristenproblematik erfordert – hat man es einmal verstanden – nur sehr wenig Aufwand; dennoch unterscheiden sich gerade auch an solchen Stellen gute von weniger guten Klausuren. Aus diesem Grund möchte der Beitrag kurz die Modalitäten der Fristberechnung aufzeigen und dabei insbesondere auch auf ein spezielles Problem eingehen, dass kürzlich vom BAG erneut entschieden wurden ist (8 AZN 808/11).
Anknüpfungspunkte zur Berechnung der Frist gibt es gesetzlich mehrere: So enthält das BGB in §§ 187 ff BGB als auch die ZPO in §§ 221 und 222 ZPO und das VwVfG in § 31 VwVfG Regelungen zur Fristberechnung. Je nachdem um welche Art von Frist es sich handelt, muss die Grundlage der Frist im jeweiligen Gesetz gesucht werden: Handelt es sich um eine zivilprozessuale Frist, ist zunächst die ZPO einschlägig; bei einer verwaltungsprozessualen muss die Prüfung im VwVfG beginnen. Diese beiden Einstiege sind die in der Klausur am häufigsten. Aber selbst wenn eine anderweitige Frist zu berechnen ist, ist dies mit den nachfolgend dargestellten Grundsätzen unproblematisch möglich.
Ereignistag/ Fristbeginn
Die Frist knüpft grundsätzlich an das Vorliegen eines bestimmten fristauslösenden Ereignisses an. § 221 ZPO stellt hierzu auf die Zustellung des Dokuments, in dem die Frist festgelegt ist, ab. § 31 Abs. 2 VwVfG stellt allgemein auf die Bekanntgabe der Frist ab. Noch allgemeiner formuliert § 187 Abs. 1 BGB, dass die Frist mit einem Ereignis oder einem auf den Lauf eines Tages fallenden Zeitpunkt beginnt.
Hier stellt sich schon die erste Schwierigkeit bei der Fristberechnung, nämlich die Frage nach dem genauen Beginn der Frist. § 31 Abs. 2 VwVfG legt hierzu fest, dass die Frist an dem Tag, der auf die Bekanntgabe folgt, beginnt. Die ZPO hingegen enthält hierzu keine konkrete Regelung, verweist aber in § 222 Abs. 1 ZPO auf die Regelungen des BGB. Hier ergibt sich aus § 187 Abs. 1 BGB ebenso wie in der VwVfG, dass für die Frist der Ereignistag nicht mitzurechnen hat. Auch hier beginnt die Frist damit an dem den Ereignistag folgenden Tag. Eine Ausnahme besteht nach § 187 Abs. 2 BGB dann, wenn der Fristbeginn nicht an ein Ereignis anknüpft, sondern konkret auf einen Tag festgelegt ist. Hier zählt dann dieser Tag selbstverständlich mit.
Das heißt: Knüpft die Frist allein an die Zustellung etc. an, dann beginnt sie am darauffolgenden Tag. Ist hingegen ein konkreter genannter Fristbeginn maßgeblich – bspw. ein Schreiben legt diesen fest, dann zählt dieser Tag selbst mit.
Zustellung
Besonderheiten gelten allerdings im Rahmen der Verwaltungsbehörden. Grundsätzlich ist der Begriff der Zustellung bzw. des Zugangs nach den allgemeinen zivilrechtlichen Grundsätzen zu bestimmen. Liegt allerdings ein Zustellungsverfahren von Bundes- oder Landesbehörden vor, greifen die Besonderheiten des Bundeszustellungsgesetzes oder der entsprechenden Landeszustellungsgesetze. Am bedeutendsten ist dabei die Zustellung durch die Post mittels Einschreiben. Eine Zustellung wird hier am dritten Tag nach der Aufgabe zur Post als zugestellt (§ 4 Abs. 2 VwZG bzw. Zustellungsgesetz der Länder). Diese Fiktion greift freilich nur dann ein, wenn der tatsächliche Zugang (zu bestimmen nach den allgemeinen Grundsätzen des BGB) nicht nach diesem Zeitpunkt erfolgt ist – die Fiktion soll den Bürger schützen, nicht aber unwiderruflich ein Zustellung festlegen.
Fristende
Klar ist damit der Beginn der Frist, welche sich maßgeblich aus dem jeweiligen Gesetz ergibt. Für die Klausur bedeutsam ist aber die eigentliche Fristberechnung, das heißt die Ermittlung des Endes der Frist, um festzustellen, ob eine Handlung innerhalb oder außerhalb dieser Frist erfolgt ist. Sowohl § 222 Abs. 1 ZPO als auch § 31 Abs. 1 VwVfG verweisen hierfür auf die Vorschriften des BGB. Zentrale Norm hierfür ist § 188 BGB. Am bedeutsamsten ist hierbei bei Vorgabe einer Wochen oder Monatsfrist der § 188 Abs. 2 BGB. Beim ersten Durchlesen wird dieser Norm wohl den meisten recht unverständlich erscheinen. Dies täuscht allerdings, spricht die Norm doch nur ohnehin klares aus. Die Frist endet

„im Falle des § 187 Abs. 1 mit dem Ablauf desjenigen Tages der letzten Woche oder des letzten Monats, welcher durch seine Benennung oder seine Zahl dem Tage entspricht, in den das Ereignis oder der Zeitpunkt fällt“

Maßgeblich ist auch hier wieder der Ereignistag. Das Fristende fällt auf den Tag mit der selben Benennung (oder einfacher gesagt, mit der selben Zahl) wie der Ereignistag.
Ist also der Ereignistag der 17.2. beginnt eine Monatsfrist am 18.2. zu laufen und endet am 17.3. (das heißt mit dessen Beendigung).
In diesem Zusammenhang zeigt sich auch die Bedeutung von § 188 Abs. 3 BGB, der festlegt, dass eine Monatsfrist dann am letzten Tag des Monats endet, wenn es das durch § 188 Abs. 2 BGB ermittelte Fristende nicht gibt.

  • Ist also der Ereignistag der 30.1. beginnt eine Monatsfrist am 31.1. zu laufen und endet damit am 28.2. (und nicht am 30.2. [den es nicht gibt] oder am 2.3. [zählte man die Tage weiter]).

Knüpft der Fristbeginn nicht an ein Ereignis, sondern konkret an einen Tag an (§ 187 Abs. 2 BGB) so endet die Frist gemäß § 188 Abs. 2 Var. 2 BGB)

„mit dem Ablauf desjenigen Tages der letzten Woche oder des letzten Monats, welcher dem Tage vorhergeht, der durch seine Benennung oder seine Zahl dem Anfangstag der Frist entspricht.“

  • Beginnt die Monatsfrist hierbei also am 12.2., endet sie am 11.3. (das heißt mit dessen Ablauf).

Besonderheit: Fristende auf Feiertag
Eine Besonderheit zeigt sich allerdings dann, wenn das Fristende auf einen Sonnabend oder Sonn- oder Feiertag fällt. Gemäß § 193 BGB, § 222 Abs. 2 ZPO und § 31 Abs. 3 VwVfG endet die Frist dann an dem darauffolgenden Werktag. Ob das jeweilige Fristende auf einen Sonnabend oder Sonn- oder Feiertag fällt, ergibt sich entweder aus der Klausur selbst, oder ist durch die Anwendung des Bundes- oder Landesfeiertagsgesetzes zu ermitteln. Insofern bestehen keine Probleme.
Ein besondere Konstellation wurde allerdings kürzlich vom BAG entschieden (Urteil v. 24.08.2011, 8 AZN 808/11). Die Problematik lag hierbei darin, dass ein Feiertag (Fronleichnam) bestand, der aber nur im Bundesland des Absenders Feiertag war, nicht aber im Bundesland des Adressaten. Die Frage, die sich hier stellte war, ob dennoch auch in einem solchen Falle die Verschiebung auf den nächsten Werktag greift – das heißt an welchem Ort ein Tag Feiertag sein muss.
Das Gericht stellte hierzu im Anschluss an seine ständige Rspr. fest:

„2. Der Kläger kann sich nicht darauf berufen, dass der 23. Juni 2011 in Nordrhein-Westfalen ein gesetzlicher Feiertag – Fronleichnam – war, § 222 ZPO in Verb. mit § 193 BGB.
a) Das Ende einer Rechtsmittelfrist wird wegen eines allgemeinen Feiertages nur dann hinausgeschoben, wenn der betreffende Tag an dem Ort, an dem das Rechtsmittel einzulegen ist, gesetzlicher Feiertag ist (st. Rspr., vgl. BAG 24. September 1996 – 9 AZR 364/95 – BAGE 84, 140, 144 = AP BUrlG § 7 Nr. 22 = EzA BUrlG § 7 Nr. 102; 16. Januar 1989 – 5 AZR 579/88 – AP ZPO § 222 Nr. 3 = EzA ZPO § 222 Nr. 1; 26. Mai 1976 – 4 AZR 240/75 – AP BAT §§ 22, 23 Nr. 92; 15. Oktober 1959 – 1 AZB 19/59 – AP ZPO § 222 Nr. 1).“

Diese Rechtsprechung überzeugt auch. Die Verschiebung des Fristendes auf einen Werktag beruht darauf, dass an einem Feiertag eine Zustellung und damit eine Einhaltung der Frist gerade problematisch ist. Sie soll aber nicht den Absender besonders schützen, ist es ihm doch auch an einem Feiertag möglich und zuzumuten die Frist einzuhalten.
Zeigen soll diese Konstellation, dass auch bei der Fristberechnung unbekannte Fallgestaltungen möglich sind, durch die eine Klausur inhaltlich erweitert werden kann.
Fazit
Fristberechnung in der Klausur ist weniger schwer, als dies von vielen Studenten vermutet wird. Wichtig ist eine genaue Lektüre der Normen und ein entsprechendes Verständnis hierfür.
Zu differenzieren ist zwischen der Bestimmung eines Ereignistages (§ 187 Abs. 1 BGB), dem eigentlichen Fristbeginn am nächsten Tag und dem entsprechenden Fristende (§ 188 Abs. 2 Var. 1 BGB). Besonderheiten beim Ereignistag treten dann auf, wenn es sich um eine förmliche Zustellung durch Behörden handelt. Weitere Schwierigkeiten können sich dann stellen, wenn das Fristende auf einen Sonnabend oder Sonn- oder Feiertag trifft; diese sind aber mit einem guten Normverständnis auch unproblematisch zu lösen.

04.10.2011/8 Kommentare/von Tom Stiebert
https://www.juraexamen.info/wp-content/uploads/2022/05/je_logo.svg 0 0 Tom Stiebert https://www.juraexamen.info/wp-content/uploads/2022/05/je_logo.svg Tom Stiebert2011-10-04 10:18:222011-10-04 10:18:22Fristenberechnung in der juristischen Klausur und Besonderheiten bei Feiertagen

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