Mit Urteilen vom 3.7.2019 (Az.: 5 StR 132/18 und 5 StR 393/18) hat der BGH in zwei Sterbehilfe-Fällen Freisprüche der Vorinstanzen (LG Hamburg und LG Berlin) bestätigt. Konkret ging es um die Strafbarkeit zweier Ärzte, die ihren Patienten bei den Suiziden assistiert hatten. Einer Strafbarkeit der Ärzte stehe nach Ansicht des BGH sowohl in Bezug auf im Vorfeld geleistete Unterstützungsmaßnahmen als auch hinsichtlich des Unterlassens von Rettungsmaßnahmen nach Eintritt der Bewusstlosigkeit die Eigenverantwortlichkeit der Suizidwilligen entgegen. Dies ist eine eindeutige Abkehr von älterer Rechtsprechung des BGH, nach der ein Garant auch gegenüber einem freiverantwortlich handelnden Suizidenten jedenfalls zur Einleitung von Rettungsmaßnahmen verpflichtet ist, sobald der Garant nach Eintritt der Bewusstlosigkeit die Tatherrschaft über das Geschehen erlangt (BGH, Urt. v. 4.7.1984 – 3 StR 96/84, NJW 1984, 2639). Die extrem hohe Klausur- und Examensrelevanz der Entscheidungen liegt damit auf der Hand – die Auseinandersetzung mit der Rechtsprechungsänderung ist für jeden Examenskandidaten ein Muss. Im Rahmen dieses Beitrags sollen daher die Grundzüge der Entscheidungen dargestellt und erläutert werden.
A) Sachverhalte (vereinfacht)
Die den Entscheidungen zugrunde liegenden Sachverhalte ähneln sich insoweit, als in beiden Fällen von einem freiverantwortlichen Suizid auszugehen war, der von Ärzten begleitet wurde. Im Hamburger Verfahren ging es um zwei befreundete ältere Frauen, die an mehreren nicht lebensbedrohlichen, jedoch ihre Lebensqualität und persönlichen Handlungsmöglichkeiten zunehmend einschränkenden Krankheiten litten. Sie wandten sich an einen Sterbehilfeverein, der seine Unterstützung bei ihrer Selbsttötung von der Erstattung eines neurologisch-psychiatrischen Gutachtens zu ihrer Einsichts- und Urteilsfähigkeit abhängig machte. Dieses erstellte ein Facharzt für Neurologie und Psychiatrie, der an der Festigkeit und Wohlerwogenheit der Suizidwünsche keine Zweifel hatte und auf Verlangen der beiden Frauen auch der Einnahme der tödlich wirkenden Medikamente beiwohnte sowie Rettungsmaßnahmen unterließ. Im Berliner Verfahren verschaffte der Hausarzt der Suizidwilligen, die an einer nicht lebensbedrohlichen, aber stark krampfartige Schmerzen verursachenden Krankheit litt und bereits mehrere Suizidversuche unternommen hatte, dieser ein tödlich wirkendes Medikament. Er betreute die nach der Einnahme des Medikaments Bewusstlose und ergriff ebenfalls keine Rettungsmaßnahmen.
B) Rechtsausführungen
Sowohl das LG Hamburg als auch das LG Berlin verneinten die Strafbarkeit der beiden Ärzte nach §§ 216 Abs. 1, 13 Abs. 1 StGB und § 323c StGB. Im ersten Fall hätten die beiden Frauen die Tatherrschaft über die Herbeiführung ihres Todes gehabt und im zweiten Fall sei die Beschaffung des Medikaments als straflose Beihilfe zur eigenverantwortlichen Selbsttötung zu qualifizieren. Zu Rettungsbemühungen nach Eintritt der Bewusstlosigkeit seien die Ärzte aufgrund der Eigenverantwortlichkeit der Sterbewilligen in beiden Fällen nicht verpflichtet gewesen. Der BGH hat die Urteile bestätigt.
I. Beihilfe zur Selbsttötung
Eine Strafbarkeit anknüpfend an die Beschaffung des tödlich wirkenden Medikaments kam schon nicht in Betracht, da es an der für eine Beihilfe zwingend erforderlichen Haupttat fehlte – ein Suizid ist nicht strafbar. Auch weitere Vorfeldmaßnahmen stellten kein strafrechtlich relevantes Verhalten dar, wie der BGH ausdrücklich feststellte:
„Eine strafrechtliche Verantwortlichkeit der Angeklagten für ihre im Vorfeld geleisteten Beiträge zu den Suiziden hätte vorausgesetzt, dass die Frauen nicht in der Lage waren, einen freiverantwortlichen Selbsttötungswillen zu bilden. In beiden Fällen haben die Landgerichte rechtsfehlerfrei keine die Eigenveranwortlichkeit der Suizidentinnen einschränkenden Umstände festgestellt. Deren Sterbewünsche beruhten vielmehr auf einer im Laufe der Zeit entwickelten, bilanzierenden „Lebensmüdigkeit“ und waren nicht Ergebnis psychischer Störungen.“ (Pressemitteilung Nr. 90/2019)
II. Tötung auf Verlangen durch Unterlassen, §§ 216 Abs. 1, 13 Abs. 1 StGB
Zu prüfen war daher zunächst eine Strafbarkeit der Ärzte wegen Tötung auf Verlangen durch Unterlassen, §§ 216 Abs. 1, 13 Abs. 1 StGB, indem nach Eintritt der Bewusstlosigkeit keine Rettungsmaßnahmen ergriffen wurden.
Anmerkung: Im Berliner Verfahren kam nur eine Strafbarkeit wegen versuchter Tötung auf Verlangen durch Unterlassen in Betracht, da nicht sicher festgestellt werden konnte, ob der Eintritt des Todeserfolgs durch zeitnah eingeleitete Rettungsmaßnahmen überhaupt noch hätte verhindert werden können. In einer Klausur würde dies einen erhöhten Schwierigkeitsgrad bedeuten, da auf diese Weise auch noch klassische Probleme des Versuchs – etwa der Versuchsbeginn bei Unterlassen – abgeprüft werden können.
1. Objektiver Tatbestand
a) Ausdrückliches und ernstliches Verlangen
Die Verstorbenen müssten die Ärzte durch ausdrückliches und ernstliches Verlangen zu ihrer Tötung bestimmt haben. Der Begriff des „Verlangens“ beschreibt den Todeswunsch des Tatopfers, wobei er seinem Wortsinn nach mehr als ein einverständliches Hinnehmen oder Geschehenlassen einer Fremdtötung voraussetzt. Erforderlich ist, dass eine auf das Vorstellungsbild des Erklärungsadressaten abzielende Einwirkung in Form einer Willensäußerung vorliegt (MüKoStGB/Schneider, 3. Aufl. 2017, § 216 Rn. 13). Vorliegend bestand hinsichtlich des Todeswunsches der Suizidenten kein Zweifel; dass keine Rettungsmaßnahmen ergriffen werden sollten, wurde auch ausdrücklich gegenüber den Ärzten geäußert. Ebenso stellt sich das Verlangen auch als ernstlich dar. Dies ist der Fall, wenn ein subjektiv frei verantwortlicher Willensentschluss gegeben ist. Hierzu genügen beiläufig oder leichthin artikulierte Tötungsverlangen, die einer depressiven Augenblicksstimmung entspringen, nicht. Vielmehr ist eine durch Willensfestigkeit gekennzeichnete innere Haltung des Lebensmüden erforderlich (MüKoStGB/Schneider, 3. Aufl. 2017, § 216 Rn. 19; Fischer, StGB, 65. Aufl. 2018, § 216 Rn. 9). Eine solche war hier, wie bereits angesprochen, in beiden Fällen anzunehmen: Bei den beiden älteren Frauen erstellte ein Facharzt für Neurologie und Psychiatrie ein Gutachten, das die Festigkeit und Wohlerwogenheit der Suizidwünsche attestierte. Aber auch die Verstorbene im Berliner Verfahren hatte sich viele Jahre mit der Thematik des Suizids auseinandergesetzt und war sich der Tragweite ihres Tuns bewusst. Mithin bestand ein ausdrückliches und ernstliches Verhalten, durch das die Ärzte auch bestimmt wurden.
b) Abgrenzung Tun / Unterlassen
Ein tatbestandliches aktives Tun ist den Ärzten evident nicht anzulasten. Der Schwerpunkt der Vorwerfbarkeit liegt hierbei im Unterlassen der Rettungsmaßnahmen nach Eintritt der Bewusstlosigkeit.
Zur Erinnerung: Ob eine Strafbarkeit wegen aktiven Tuns oder Unterlassens in Betracht kommt, ist auf den ersten Blick nicht immer eindeutig. Wie eine Abgrenzung vorzunehmen ist, ist umstritten. Die herrschende Meinung stellt auf normative Kriterien ab, konkret: ob der Schwerpunkt der Vorwerfbarkeit bei einem aktiven Tun oder Unterlassen liegt. Eine andere Ansicht – die Lehre vom Energieeinsatz – stellt die Frage, ob der Täter den Erfolg durch positiven Energieeinsatz verursacht hat oder ob er seine Energie gegenüber einem anderweitig in Gang gesetzten Kausalverlauf nicht eingesetzt hat (Zum Ganzen Schönke/Schröder/Bosch, StGB, 30. Aufl. 2019, Vorb. § 13 Rn. 158 ff.)
c) Garantenstellung
Weiterhin müssten die Ärzte eine Garantenstellung aufweisen, d.h. eine Summe von Voraussetzungen erfüllen, aus denen die rechtliche Pflicht resultiert, gegen Rechtsgutsgefährdungen einzuschreiten (Schönke/Schröder/Bosch, StGB, 30. Aufl. 2019, § 13 Rn. 7). Für den Hausarzt kommt eine Beschützergarantenstellung aufgrund des zwischen ihm und der Verstorbenen bestehenden Arzt-Patienten-Verhältnisses in Betracht. Zwar kann nicht der bloße Umstand, dass ein Arzt einem Suizid beiwohnt, eine Garantenstellung begründen (hierzu BGH, Urt. v. 26.10.1982 – 1 StR 413/82, NJW 1983, 350, 351). Hier hat der Arzt aber die Betreuung der Patientin übernommen, sodass insofern eine Garantenstellung anzunehmen ist. Diese Überlegungen können für den Gutachter, der auch als solcher auftrat, jedoch nicht übertragen werden. Diesbezüglich könnte allenfalls eine Garantenstellung aus Ingerenz, also pflichtwidrigem Vorverhalten, erwogen werden. Ein pflichtwidriges Vorverhalten begründet eine Garantenstellung, wenn es die nahe Gefahr des Eintritts des konkret untersuchten tatbestandsmäßigen Erfolgs verursacht (BGH, Urt. v. 19.4.2000 – 3 StR 442/99, NJW 2000, 2754, 2756).
d) Verpflichtung zur Vornahme von Rettungsmaßnahmen
Ob eine Garantenstellung angesichts dessen vorliegt, kann jedoch dahinstehen, wenn die Ärzte, selbst wenn sie grundsätzlich Garanten sind, nicht zur Abwendung des Todeserfolgs verpflichtet waren. Dies haben das LG Hamburg, das LG Berlin und nun auch der BGH aufgrund des Selbstbestimmungsrechts der Suizidentinnen angenommen:
„Beide Angeklagte waren nach Eintritt der Bewusstlosigkeit der Suizidentinnen auch nicht zur Rettung ihrer Leben verpflichtet. Der Angeklagte des Hamburger Verfahrens hatte schon nicht die ärztliche Behandlung der beiden sterbewilligen Frauen übernommen, was ihn zu lebensrettenden Maßnahmen hätte verpflichten können. Auch die Erstellung des seitens des Sterbehilfevereins für die Erbringung der Suizidhilfe geforderten Gutachtens sowie die vereinbarte Sterbebegleitung begründeten keine Schutzpflicht für deren Leben. Der Angeklagte im Berliner Verfahren war jedenfalls durch die Ausübung des Selbstbestimmungsrechts der später Verstorbenen von der aufgrund seiner Stellung als behandelnder Hausarzt grundsätzlich bestehenden Pflicht zur Rettung des Lebens seiner Patientin entbunden.“ (Pressemitteilung Nr. 90/2019)
Mit anderen Worten: Selbst, wenn man im vorliegenden Fall eine Garantenstellung des Arztes bejaht, traf ihn aufgrund der Ausübung des Selbstbestimmungsrechts der später Verstorbenen nicht die Pflicht, nach Eintritt der Bewusstlosigkeit Maßnahmen zu ergreifen, um den Todeserfolg abzuwenden. Dies stellt eine Abkehr von einem älteren Urteil des BGH dar, in denen eine Pflicht des Garanten zur Einleitung lebensrettender Maßnahmen nach Eintritt der Bewusstlosigkeit selbst dann angenommen wurde, wenn es sich um einen freiverantwortlichen Suizid handelte (BGH, Urt. v. 4.7.1984 – 3 StR 96/84, NJW 1984, 2639). Bereits in einer Grundsatzentscheidung aus dem Jahre 1952 führte der BGH aus: „Beihilfe zur Selbsttötung ist nicht strafbar. Wer aber eine Rechtspflicht hat, Lebensgefahr von einem anderen nach Kräften abzuwenden, und diese Pflicht kennt, die Selbsttötung aber trotzdem nicht hindert, obwohl er es könnte, ist – je nach seinem Willen und seiner Haltung zur Todesfolge – in der Regel der vorsätzlichen oder fahrlässigen Tötung schuldig. Die Rechtspflicht kann auf Gesetz, Gewohnheitsrecht oder Vertrag beruhen, sie besteht für Ehegatten, die in ehelicher Gemeinschaft leben“ (BGH, Urt. v. 12.2.1952 – 1 StR 59/50, BGHSt 2, 150 Ls. 1). In Fortführung stellte der BGH in einem folgenden Urteil darauf ab, dass es im Zeitpunkt des Eintritts der Bewusstlosigkeit zu einem Tatherrschaftswechsel komme, aufgrund dessen der Garant zur Abwendung des Todeserfolgs verpflichtet sei:
„Wenn nämlich der Suizident die tatsächliche Möglichkeit der Beeinflussung des Geschehens („Tatherrschaft”) endgültig verloren hat, weil er infolge Bewußtlosigkeit nicht mehr von seinem Entschluß zurücktreten kann, hängt der Eintritt des Todes jetzt allein vom Verhalten des Garanten ab. […] In diesem Stadium des […] Sterbens hat dann nicht mehr der Selbstmörder, sondern nur noch der Garant die Tatherrschaft und, wenn er die Abhängigkeit des weiteren Verlaufs ausschließlich von seiner Entscheidung in seine Vorstellung aufgenommen hat, auch den Täterwillen. Daß der Garant durch sein Verhalten den früher geäußerten Wunsch des Sterbenden erfüllen will, ändert daran nichts.“ (BGH, Urt. v. 4.7.1984 – 3 StR 96/84, NJW 1984, 2639, 2640 f.)
Die Rechtsprechung ist in der Literatur vielfach unter Hinweis auf das Selbstbestimmungsrecht freiverantwortlich handelnder Suizidenten kritisiert worden. So sei es wertungswidersprüchlich, die Beihilfe zur Selbsttötung als straffrei einzuordnen, bei Nichthandeln nach Eintritt der Bewusstlosigkeit dann aber eine Strafbarkeit nach §§ 216 Abs. 1, 13 Abs. 1 StGB anzunehmen (zum Ganzen etwa MüKoStGB/Schneider, 3. Aufl. 2017, Vor § 211 Rn. 67 ff.; Fischer, StGB, 65. Aufl. 2018, Vor §§ 211-217, Rn. 24 m.w.N.). Zudem – und hierauf stützen sich auch die Vorinstanzen – bestehe einer veränderte gesellschaftliche Vorstellung über die Reichweite und Konsequenzen des Selbstbestimmungsrechts des Einzelnen, die sich auch in der Einführung der §§ 1901a ff. BGB zur Patientenverfügung ausdrücke. Zwar hat der BGH in jüngeren Urteilen dem Selbstbestimmungsrecht erhöhte Bedeutung beigemessen (s. etwa BGH, Urt. v. 21.12.2011 – 2 StR 295/11, NStZ 2012, 319; Urt. v. 5.8.2015 – 1 StR 328/15, NJW 2016, 176), eine ausdrückliche Aufgabe erfolgte indes erst mit dem Urteil vom 3.7.2019.
2. Zwischenergebnis
Da die Ärzte aufgrund des Selbstbestimmungsrechts der Sterbewilligen keine Pflicht traf, nach Eintritt der Bewusstlosigkeit Rettungsmaßnahmen zur Abwendung des Todeserfolgs zu ergreifen, handelten sie nicht tatbestandsmäßig. Eine Strafbarkeit nach §§ 216 Abs. 1, 13 Abs. 1 StGB scheidet aus.
III. Unterlassene Hilfeleistung, § 323c StGB
Subsidiär war eine Strafbarkeit wegen unterlassener Hilfeleistung nach § 323c StGB zu prüfen. Auch dies verneinte der BGH konsequent:
„Eine in Unglücksfällen jedermann obliegende Hilfspflicht nach § 323c StGB wurde nicht in strafbarer Weise verletzt. Da die Suizide, wie die Angeklagten wussten, sich jeweils als Verwirklichung des Selbstbestimmungsrechts der sterbewilligen Frauen darstellten, waren Rettungsmaßnahmen entgegen deren Willen nicht geboten.“
Anmerkung: Vertretbare erschiene es auch, bereits das Vorliegen eines Unglücksfalls abzulehnen. Hierzu tendiert auch das LG Hamburg, das in Fällen wie dem vorliegenden, in denen der Adressat des § 323c StGB über die Selbsttötungsabsicht in Kenntnis gesetzt wurde und auch keine Willensänderungen ersichtlich sind, bereits das Vorliegen des Tatbestandsmerkmals Unglücksfall anzweifelt.
IV. Geschäftsmäßige Förderung der Selbsttötung, § 217 StGB
Seit der Einführung der Norm im Jahre 2015 kam bei Unterstützungshandlungen betreffend Selbsttötungen auch eine Strafbarkeit nach § 217 StGB in Betracht, der die geschäftsmäßige Förderung der Selbsttötung unter Strafe stellte. Dieser war jedoch zur Zeit der hier gegenständlichen Suizide noch nicht in Kraft, sodass das Verhalten der Ärzte wegen des strafrechtlichen Rückwirkungsverbotes nicht hieran zu messen war.
Anmerkung: Die Einführung des § 217 StGB war in der überwiegenden Literatur auf Kritik gestoßen, da für eine geschäftsmäßige Förderung bereits das wiederholte Unterstützen genügte. Mit Urteil vom 26.02.2020 hat das BVerfG nun entschieden, dass § 217 StGB verfassungswidrig ist (Az.: 2 BvR 2347/15 u.a.; s. hierzu unseren Beitrag). Damit kommt eine Strafbarkeit nach § 217 StGB künftig auch nicht mehr in Betracht.
C) Fazit
Zusammenfassend lässt sich feststellen, dass der BGH unter besonderer Würdigung des Selbstbestimmungsrechts eines freiverantwortlich handelnden Suizidenten nunmehr die Strafbarkeit eines Garantens wegen Untätigbleibens nach Eintritt der Bewusstlosigkeit ablehnt, was eine Abkehr von früherer Rechtsprechung bedeutet. Die Entscheidung war überfällig: Wie das LG Berlin betont, erfordert der Wertewandel in der Gesellschaft, der sich insbesondere auch in der Einführung der §§ 1901a ff. BGB zur Patientenverfügung ausdrückt, dem Selbstbestimmungsrecht des Einzelnen eine erhöhte Bedeutung beizumessen – dann ist es nur konsequent, das Untätigbleiben eines Garanten bei einem freiverantwortlichen Suizid nicht als strafrechtlich relevantes Unterlassen einzuordnen. Dies entspricht auch gänzlich dem Urteil des BVerfG vom 26.02.2020, in dem ein neues Grundrecht auf Sterbehilfe entwickelt wurde.