Muss sich die bei einem Verkehrunfall geschädigte Person im Rahmen der fiktiven Abrechnung ihres Fahrzeugschadens auf niedrigere Stundenverrechnungssätze einer von dem Schädiger benannten, nicht markengebundenen Karosseriefachwerkstatt verweisen lassen oder kann sie auf Grundlage des von ihr eingeholten Sachverständigengutachtens die Stundenverrechnungssätze einer markengebundenen Vertragswerkstatt des Kfz-Herstellers erstattet verlangen?
Der BGH hat in letzter Zeit in mehreren Entscheidungen grundsätzlich Stellung dazu bezogen, unter welchen Voraussetzungen ein Geschädigter, der den Ersatz fiktiver Reparaturkosten begehrt, gemäß § 249 Abs. 2 Satz 1 BGB die Erstattung der Stundenverrechnungssätze einer markengebundenen Fachwerkstatt verlangen kann (vgl. Senatsurteile vom 20. Oktober 2009 – VI ZR 53/09; vom 23. Februar 2010 – VI ZR 91/09; vom 22. Juni 2010 – VI ZR 337/09 – und – VI ZR 302/08). Auch im Freischusstermin in NRW im Mai 2010 wurde diese Problematik bereits abgeprüft. (vgl. Examensreport Mai 2010 NRW)
Ein aktuelles BGH-Urteil vom 13. Juli 2010 (VI ZR 259/09) fasst die Voraussetzungen noch einmal sehr gut zusammen.
„Der Geschädigte leistet dem Gebot der Wirtschaftlichkeit im Allgemeinen Genüge und bewegt sich in den für die Schadensbehebung nach § 249 Abs. 2 Satz 1 BGB gezogenen Grenzen, wenn er der Schadensabrechnung die üblichen Stundenverrechnungssätze einer markengebundenen Fachwerkstatt zugrunde legt, die ein von ihm eingeschalteter Sachverständiger auf dem allgemeinen regionalen Markt ermittelt hat.
Der Schädiger kann den Geschädigten aber unter dem Gesichtspunkt der Schadensminderungspflicht gemäß § 254 Abs. 2 BGB auf eine günstigere Reparaturmöglichkeit in einer mühelos und ohne weiteres zugänglichen „freien Fachwerkstatt“ verweisen, wenn er darlegt und ggf. beweist, dass eine Reparatur in dieser Werkstatt vom Qualitätsstandard her der Reparatur in einer markengebundenen Fachwerkstatt entspricht, und wenn er ggf. vom Geschädigten aufgezeigte Umstände widerlegt, die diesem eine Reparatur außerhalb der markengebundenen Fachwerkstatt unzumutbar machen würden.
Unzumutbar ist eine Reparatur in einer „freien Fachwerkstatt“ für den Geschädigten im Allgemeinen dann, wenn das beschädigte Fahrzeug im Unfallzeitpunkt nicht älter als drei Jahre war. Aber auch bei Kraftfahrzeugen, die älter sind als drei Jahre, kann es für den Geschädigten unzumutbar sein, sich auf eine technisch gleichwertige Reparaturmöglichkeit außerhalb der markengebundenen Fachwerkstatt verweisen zu lassen. Dies kann insbesondere dann der Fall sein, wenn der Geschädigte sein Fahrzeug bisher stets in einer markengebundenen Fachwerkstatt hat warten und reparieren lassen. Unzumutbar ist eine Reparatur in einer „freien Fachwerkstatt“ für den Geschädigten auch dann, wenn sie nur deshalb kostengünstiger ist, weil ihr nicht die (markt-) üblichen Preise dieser Werkstatt, sondern vertragliche Sonderkonditionen mit dem Haftpflichtversicherer des Schädigers zugrunde liegen.“
In dem neuen BGH Urteil hatte die Beklagte (eine Haftpflichtversicherung) ihrer Schadensberechnung die günstigeren Stundenverrechnungssätze einer von ihr benannten Karosseriefachwerkstatt zugrundegelegt und die im Sachverständigengutachten kalkulierten Stundenverrechnungssätze einer Mercedes-Benz-Vertragswerkstatt auf die Stundenverrechnungssätze des teuersten der drei von ihr benannten Karosseriefachbetriebe gekürzt. Auch die Fahrzeugverbringungskosten wurden nicht berücksichtigt. Die Klägerin hatte auf Zahlung des Differenzbetrages in Höhe von ca. 500 € geklagt, blieb jedoch in allen Instanzen – auch vor dem BGH – erfolglos. Hier geht’s zum Volltext des Urteils.
In der Examensklausur müssen selbstverständlich die einzelnen Details des jeweiligen Sachverhalts ausgewertet werden, z.B. Ist das Auto ein Jahr oder sieben Jahre alt? Handelt es sich um einen Bagatellschaden oder um einen erheblichen Schaden? Etc. Dafür sollte man die oben genannten grundsätzlichen Voraussetzungen kennen. Angesicht der zahlreichen BGH Entscheidungen in der letzten Zeit wird der Maitermin 2010 in NRW wohl nicht der einzige Examenstermin sein, wo die Problematik der fiktiven Schadensberechnung im Rahmen einer Zivilrecht Examensklausur abgefragt werden wird wird.