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Schlagwortarchiv für: formelle Illegalität

Dr. Jan Winzen

VG Berlin: Ferienwohnungen im allgemeinen Wohngebiet unzulässig

Baurecht, Öffentliches Recht, Rechtsgebiete, Rechtsprechung, Startseite

Das VG Berlin hat in einer aktuellen Entscheidung vom 21.02.2014 (VG 13 L 274. 13) einen Eilantrag zurückgewiesen, mit dem sich der Eigentümer eines Wohnkomplexes in Berlin Pankow gegen eine Untersagungsverfügung des zuständigen Bezirksamts gewendet hatte.
I. Sachverhalt
Das streitbefangene mit einem mehrgeschossigen Wohnhaus bebaute Grundstück liegt im unbeplanten Innenbereich. Die nähere Umgebung ist ganz überwiegend durch Wohnnutzung geprägt. Ab dem Frühjahr 2013 gingen beim Antragsgegner (dem zuständigen Bezirksamt) widerholt Mieterbeschwerden ein. Gegenstand der Beschwerden waren u.a. nächtliche und am Wochenende erfolgende Lärmbelästigungen durch den Ein- und Auszug von Feriengästen, laute Musik, versehentliches Klingeln und den Lärm von Reinigungskräften. Bei bauaufsichtlichen Kontrollen vor Ort stellte der Antragsgegner fest, dass eine Reihe der insgesamt etwa 30 Wohnungen als Ferienwohnungen genutzt wurden. Daraufhin untersagte der Antragsgegner der Hauseigentümerin nach vorheriger Anhörung unter Anordnung der sofortigen Vollziehung die Nutzung der „Ferienwohnungen“. Hiergegen hat die Antragstellerin am 27. November 2013 einstweiligen Rechtsschutz beantragt. Sie macht geltend, die tatsächlich ausgeübte Nutzung halte sich im Rahmen der gewöhnlichen „Wohnnutzung“. Insbesondere liege kein Beherbergungsbetrieb vor. Davon abgesehen sei die Nutzungsuntersagung ermessensfehlerhaft.
II. Entscheidung des Gerichts
Das VG Berlin weist den Antrag auf Wiederherstellung der aufschiebenden Wirkung gemäß § 80 Abs. 5 Satz 1 Alt. 2 VwGO zurück.
Auf die Zulässigkeit des Antrags geht das Gericht in seiner vorliegenden Entscheidung zwar nicht ein. Im Examen sollte man aber zumindest kurz etwas zur Statthaftigkeit und zum Rechtsschutzbedürfnis sagen (siehe zur Zulässigkeit eines Antrags nach § 80 Abs. 5 VwGO ausführlich hier).
In der Begründetheit prüft das Gericht die formelle Rechtmäßigkeit der Anordnung der sofortigen Vollziehung und die Rechtmäßigkeit der Untersagungsverfügung. Dies wäre in einer Klausur gutachterlich wie folgt darzustellen.
1. Obersatz
Der Antrag nach § 80 Abs. 5 Satz 1 Alt. 2 VwGO, gerichtet auf Wiederherstellung der aufschiebenden Wirkung ist begründet, wenn das private Aussetzungsinteresse (auch: Suspensivinteresse) der Antragstellerin das öffentliche Interesse an der sofortigen Vollziehung der Nutzungsuntersagung überwiegt. Dies richtet sich in erster Linie nach der (summarisch geprüften) Erfolgsaussicht des Rechtsbehelfs in der Hauptsache. Ist der Verwaltungsakt (offensichtlich) rechtswidrig, hat der Antrag nach § 80 Abs. 5 Satz 1 Alt. 2 VwGO Erfolg. Ist der Verwaltungsakt rechtmäßig, bedarf es darüber hinaus noch eines besonderen Vollzugsinteresses der Behörde.
2. Ermächtigungsgrundlage
Rechtsgrundlage für die Nutzungsuntersagung ist § 79 Satz 2 BauO Bln. Danach kann eine im Widerspruch zu öffentlich-rechtlichen Vorschriften erfolgende Nutzung von baulichen Anlagen untersagt werden (in anderen Landesbauordnungen finden sich gleichlautende Ermächtigungsgrundlagen).
a) Nutzung im Widerspruch zu öffentlich rechtlichen Vorschriften
Eine Nutzung im Widerspruch zu öffentlich rechtlichen Vorschriften läge jedenfalls dann vor, wenn die Wohnungen, für die nur eine gewöhnliche Wohnnutzung genehmigt ist, als Ferienwohnungen genutzt werden, ohne dass die für diese Nutzungsänderung erforderliche Baugenehmigung vorliegt.
aa) Definition „Nutzung als Ferienwohnung“
Eine Nutzung als Ferienwohnung ist nach dem VG Berlin gegeben, wenn

eine Wohnung ständig wechselnden Gästen zum vorübergehenden Aufenthalt zur Verfügung gestellt wird. Eine solche gewerbliche Kurzzeitvermietung stellt zwar regelmäßig (noch) keinen Beherbergungsbetrieb im bauplanungsrechtlichen Sinne dar, bildet aber eine eigenständige planungsrechtliche Nutzungsart, nämlich eine besondere Art der gewerblichen Nutzung, die von der gewöhnlichen Wohnnutzung zu unterscheiden ist. Darüber besteht soweit ersichtlich Einigkeit in der obergerichtlichen Rechtsprechung. Einigkeit besteht ferner darüber, dass der „vorübergehende“ Charakter des Aufenthalts nicht nur einen wenige Tage dauernden, sondern auch einen nach Wochen bemessenen Aufenthalt umfasst. Maßgeblich für die auf Dauer angelegte Häuslichkeit, die den Begriff des Wohnens prägt, ist darüber hinaus nach Ansicht der Kammer, dass es bei den abgeschlossenen Mietverträgen typischerweise zu einer Anmeldung i. S. des Melderechts kommt.

Gemessen an diesen Kriterien spricht nach Ansicht des VG Berlin, bei der im einstweiligen Rechtsschutzverfahren allein möglichen summarischen Prüfung, alles dafür, dass die streitgegenständlichen Wohnungen als Ferienwohnungen i. S. der dargestellten obergerichtlichen Rechtsprechung genutzt werden. Das Gericht lässt sich dabei von folgenden Erwägungen leiten:

  • Die Auslobung der Wohnungen zur (auch) tageweisen Vermietung im Internet auf mehreren Webseiten sowie die aktenkundigen Beschwerden mehrerer Hausbewohner über die „in kurzen Intervallen“ an- und abreisenden Touristengruppen und die von diesen ausgehenden, konkret beschriebenen, Störungen stellen gewichtige Indizien dafür dar, dass eine gewerbliche Kurzzeitvermietung stattfindet.

  • Dasselbe gilt für die auf den Klingelschildern der entsprechenden Wohnungen angebrachten Fantasienamen (ohne entsprechenden Melderegistereintrag), den Wäscheservice (Wäschewechsel nach Ein- und Auszug, spezieller Kellerraum zur Lagerung der Wäsche) sowie die Informationsblätter in englischer Sprache, die ganz augenscheinlich für die Kurzzeitmieter bestimmt sind und u. a. eine „check-in time“ und „check-out time“ festlegen sowie einen Briefkasten angeben, in den der Wohnungsschlüssel bei Abreise einzuwerfen ist. Anmeldungen erfolgen offensichtlich nicht.

Der Einwand der Antragsstellerin, die ensprechenden Mietverträge sähen überwiegend eine Mietzeit von mehreren Wochen oder Monaten vor, greift nach Ansicht des Gerichts nicht durch,

da eine Nutzung als Ferienwohnung auch dann vorliegen kann, wenn die Nutzungsüberlassungen nicht lediglich tageweise erfolgen, sondern sich jeweils über mehrere Wochen erstrecken. Eine äußerste Grenze dürfte nach Ansicht der Kammer bei 12 Wochen zu ziehen sein. Dabei dürften einzelne Überschreitungen ebenso unerheblich sein wie eine gelegentliche (Mit-)Nutzung durch den Eigentümer oder Hauptmieter selbst, weil solche „Einsprengsel“ das Gesamtbild einer gewerblichen Kurzzeitvermietung nicht beeinflussen.

Die Wohnungen werden im Ergebnis also als Ferienwohnungen genutzt.
bb) Genehmigungspflicht
Die als Ferienwohnung genutzten Wohnugen werden im Widerspruch zu öffentlich rechtlichen Vorschriften genutzt, wenn für diese Nutzungsänderung eine Baugenehmigung erforderlich ist und nicht vorliegt.
Nach dem VG Berlin liegt eine genehmigungspflichtige Nutzungsänderung vor, wenn

sich die neue Nutzung von der bisherigen (legalen), durch die Baugenehmigung dokumentierten Nutzung dergestalt unterscheidet, dass sie anderen oder weitergehenden bauordnungs- oder bauplanungsrechtlichen Anforderungen unterworfen ist oder unterworfen sein kann, also die der bisherigen Nutzung eigene, gewisse Variationsbreite verlassen wird und durch die Veränderung bodenrechtliche Belange neu berührt werden können.

Diese Voraussetzungen sind im Hinblick auf die streitgegenständlichen Wohnungen erfüllt:

Das ist für eine Nutzung als gewerbliche Ferienwohnung im Verhältnis zur gewöhnlichen Wohnnutzung ersichtlich der Fall (vgl. nur VGH München, Beschluss vom 4. September 2013 – 14 ZB 13.6 -; VG Schwerin, Urteil vom 20. Dezember 2012 – 2 A 621/11 -). Die Nutzung durch Feriengäste ist gegenüber der „normalen“ Wohnnutzung typischerweise andersartig; ihr Nebeneinander kann zu städtebaulichen Konflikten führen, weil damit Unruhe in ein Wohngebiet getragen wird (so ausdrücklich OVG Lüneburg, Beschluss vom 22. November 2013 – 1 LA 49/13 -; VGH München, Beschluss vom 4. September 2013 – 14 ZB 13.6 -).

Die nach §§ 60 Abs. 1, 62 Abs. 2 Nr. 1 BauO Bln für die Nutzungsänderung erforderliche Baugenehmigung liegt nicht vor.
Die Wohnungen werden im Ergebnis im Widerspruch zu öffentlich rechtlichen Vorschriften genutzt.
b) Ermessen
Auf der Rechtsfolgenseite dürfte die Untersagungsverfügung schließlich nicht ermessensfehlerhaft sein. Dies erscheint hier zunächst insoweit unproblematisch, als eine Untersagungsverfügung (anders als eine Beseitigungsverfügung) bei (nur) formeller Illegalität ergehen kann. Anderenfalls würde das bauordnungsrechtliche Genehmigungsverfahren weitgehend unterlaufen und könnte das formelle Baurecht seine Ordnungsfunktion nicht mehr erfüllen.
Etwas anderes kann allerdings dann gelten, wenn, wenn die streitige Nutzung offensichtlich genehmigungsfähig ist oder unter Bestandsschutz steht oder wenn bei atypischen Fallgestaltungen ein Verstoß gegen das Verhältnismäßigkeitsprinzip vorliegt (vgl. OVG Berlin-Brandenburg, Beschluss vom 15. Mai 2007- OVG 2 S 26.07 -).
Das Gericht verneint in der vorliegenden Konstellation einen solchen Ausnahmefall. Der offensichtlichen Genehmigungsfähigkeit steht nach Ansicht des Gerichts entgegen, dass

wegen der von der Ferienwohnungsnutzung ausgehenden erheblichen Störungen ein Verstoß gegen das bauplanungsrechtliche Rücksichtnahmegebot naheliegt.

Zur weiteren Begründung bezieht sich das Gericht auf zwei aktuelle Entscheidungen des Bundesverwaltungsgerichts:

U. U. ist das Vorhaben bereits gebietsunverträglich, also aufgrund typisierender Betrachtungsweise mit der Zweckbestimmung eines allgemeinen Wohngebiets nicht verträglich (vgl. BVerwG, Beschluss vom 31. Juli 2013 – 4 B 8/13 -), weil allgemeine Wohnnutzung und Freizeitwohnen „grundverschieden“ sind (so BVerwG, Urteil vom 11. Juli 2013 – 4 GN 7/12 -).

Auch ein Verstoß gegen den Verhältnismäßigkeitsgrundsatz liegt, mangels milderer Mittel, nicht vor:

Ebenso wenig erscheint die Nutzungsuntersagung unverhältnismäßig. Mildere Mittel als eine (vollständige) Untersagung der Nutzung als Ferienwohnungen sind nicht ersichtlich.

Die Untersagungsverfügung stellt sich damit im Ergebnis als offensichtlich rechtmäßig dar.
3. Besonderes Vollzugsinteresse
Das bei einer Anordnung nach § 80 Abs. 2 Satz 1 Nr. 4 VwGO erforderliche besondere Vollzugsinteresse sieht das Gericht schließlich auf der Grundlage folgender Erwägung als gegeben an:

Es liegt ein besonderes Vollzugsinteresse insbesondere wegen der Besorgnis einer negativen Vorbild- oder Nachahmungswirkung vor. Es ist geboten, die rechtswidrigen Zustände umgehend zu beenden, um die Ordnungsfunkti-on des formellen Baurechts zu sichern und zugleich den wirtschaftlichen Anreiz für illegale Nutzungsänderungen gegenüber einer sonst möglichen Ausnutzung des Suspensiveffektes von Widerspruch und Klage möglichst effektiv zu minimieren. Zudem liegen zahlreiche Nachbarbeschwerden wegen Lärmbelästigungen vor

III. Fazit
Ein interessanter Fall zu § 80 Abs. 5 VwGO, der sich gut für Klausuren des ersten und zweiten Staatsexamens eignet. Da der Sachverhalt relativ einfach und schnell erzählt ist, scheint der Fall auch für ein Prüfungsgespräch nicht ungeeignet, zumal § 80 Abs. 5 VwGO und bauordnungsrechtliche Grundlagen gerne auch zum Gegenstand mündlicher Prüfungen gemacht werden.
Die Originalentscheidung enthält zudem noch einige Passagen, die zum einen eher die tatsächliche Ebene betreffen. Dabei geht es um die Frage, ob die Antragstellerin richtige Adressatin der Untersagungsverfügung war (sie hatte geltend gemacht, die Vermietung sei doch eine dritte GmbH erfolgt) und ob die Verfügung inhaltlich hinreichend bestimmt war. Zum anderen enthält die Entscheidung noch eine teilweise übereinstimmende Erledigung und einen weiteren Antrag, der sich gegen eine Zwangsgeldandrohung richtet. Insgesamt also reichlich Themen, die sie für das zweite Staatsexamen besonders interessant machen. Die Lektüre der Originalentscheidung ist insoweit also durchaus zu empfehlen.

25.03.2014/2 Kommentare/von Dr. Jan Winzen
https://www.juraexamen.info/wp-content/uploads/2022/05/je_logo.svg 0 0 Dr. Jan Winzen https://www.juraexamen.info/wp-content/uploads/2022/05/je_logo.svg Dr. Jan Winzen2014-03-25 09:00:302014-03-25 09:00:30VG Berlin: Ferienwohnungen im allgemeinen Wohngebiet unzulässig
Anna Ebbinghaus

Grundwissen Baurecht- die Bauordnungsverfügung

Baurecht, Öffentliches Recht, Rechtsgebiete, Startseite, Verschiedenes

Mit unserem Kurzüberblick haben wir euch schon einen ersten Einstieg in das Baurecht gegeben. Einige Themen sollen nun in nächster Zeit vertieft werden. Heute möchten wir die Bauordnungsverfügung näher betrachten:
Die Bauordnungsverfügung
Die Bauaufsichtsbehörden haben auch die Aufgabe, bereits bestehende bauliche Vorhaben zu überwachen. Werden Verstöße gegen öffentlich-rechtliche Vorschriften, insbesondere die des Bauplanungs- und Bauordnungsrechts, festgestellt, so haben die zuständigen Behörden die Möglichkeit, mit verschiedenen Verfügungen den baurechtswidrigen Zustand wieder zu beseitigen (sog. repressive Kontrolle).
I. Überblick über die Verfügungen
Den Bauaufsichtsbehörden stehen eine Vielzahl von Verfügungen zur Wahl.
Besonders examensrelevant sind folgende:
1. Stilllegungsverfügung
Bei noch laufenden Bauarbeiten kann die Behörde ein materiell oder formell illegales Vorhaben mit einer Stilllegungsverfügung stoppen.
2. Abriss-/Beseitigungsverfügung
Ist das bauliche Vorhaben schon fertig gestellt, kann bei Verstößen eine Abriss- oder Beseitigungsverfügung ergehen.
3. Nutzungsuntersagung
Werden bauliche Anlagen im Widerspruch zu öffentlich-rechtlichen Vorschriften genutzt, hat die Behörde die Befugnis, dies zu untersagen.
Beispiel: störender Gewerbebetrieb in reinem Wohngebiet
 
II. Ermächtigungsgrundlagen
In den meisten landesrechtlichen Bauordnungen sind für die jeweiligen Verfügungen spezielle Ermächtigungsgrundlagen normiert, zB 89 I Nr. 1 und 2 BauO Nds, Art. 81 BauO Bay, § 64 BauO BW.
Ansonsten ist als Ermächtigungsgrundlage die bauordnungsrechtliche Generalklausel des jeweiligen Landesrechts heranzuziehen, zB § 61 I S2 BauO NRW.
 
III. Prüfungsschema
Zu prüfen ist häufig, ob eine erlassene Bauordnungsverfügung rechtmäßig ist.
I. Ermächtigungsgrundlage
Gestützt wird die Verfügung entweder auf die nach der jeweiligen Bauordnung bestehende spezielle Ermächtigungsgrundlage oder auf die bauordnungsrechtliche Generalklausel.
Für NRW: § 61 I S2 BauO NRW ist EGL für alle oben genannten Verfügungen
II. formelle Rechtmäßigkeit
Weiterhin müsste die Verfügung formell rechtmäßig sein.
Zuständig sind die nach dem Landesrecht zu bestimmenden unteren Bauordnungsbehörden,
zB für NRW nach §§ 62, 60 I Nr. 3 BauO NRW.
Daneben ist grundsätzlich eine Anhörung nach § 28 VwVfG des jeweiligen Landes notwendig. Die Verfügungen sind insoweit belastende Verwaltungsakte.
Die Verfügung kann schriftlos ergehen, sofern das Landesrecht nicht etwas anderes vorschreibt. Für NRW zB ergibt sich das Schriftformerfordernis aus § 20 I S1 OBG NRW.
Ergeht der VA schriftlich, ist er nach § 39 VwVfG zu begründen.
III. materielle Rechtmäßigkeit
Auch müsste die Verfügung materiell rechtmäßig sein.
1. Voraussetzungen der Ermächtigungsgrundlage
Dazu müssten zunächst die Voraussetzungen der Ermächtigungsgrundlage vorliegen.
Sofern die Ermächtigungsgrundlage spezielle Voraussetzungen neben dem Widerspruch zu öffentlich-rechtlichen Vorschriften enthält, sind diese hier auch zu prüfen.
Das bauliche Vorhaben darf insoweit nicht im Widerspruch zu öffentlich-rechtlichen Vorschriften stehen.
a) formelle Illegalität
Ein Vorhaben ist formell illegal, wenn es im Widerspruch zu formellen bauordnungsrechtlichen Vorschriften steht.
Hier ist festzustellen, ob eine benötigte Baunehmigung fehlt. Ist dies der Fall, so ist das Vorhaben formell illegal.
b) materielle Illegalität
Steht das Vorhaben materiell-rechtlichen Vorschriften entgegen, ist es materiell illegal.
Einschlägig sind insbesondere Vorschriften des Bauordnungs- und des Bauplanungsrechts ( zB Vereinbarkeit des Vorhabens mit den §§ 29 BauGB).
Ob die materielle Illegalität notwendige Rechtmäßigkeitsvoraussetzung ist, hängt von der Art der Verfügung ab.
Es ist zu differenzieren:
Stilllegungsverfügung
Eine Stilllegungsverfügung kann allein auf die formelle Illegalität gestützt werden. Die materielle Illegalität ist nicht erforderlich. Es genügt also, wenn die erforderliche Baugenehmigung nicht vorliegt oder nicht vollstreckbar ist.
Begründet kann dies damit werden, dass eine Stilllegungsverfügung nur vorrübergehend das Vorhaben stoppt und in der Regel nicht substanzverletzend ist, Muckel, S. 130, Rn. 39. Der Bauherr, der sein Vorhaben noch nicht umsetzt und bis zum Erlass der Baugenehmigung wartet, soll nicht benachteiligt werden gegenüber denjenigen, die einfach ohne Genehmigung mit dem Bau unmittelbar beginnen, Schlichter, JuS 1985, 898; Muckel, S. 127, Rn. 33.
Abriss/Beseitungsverfügung
Auch ist unstreitig, dass eine solche Verfügung aufgrund des starken Eingriffs der formellen und materiellen Illegalität bedarf, Muckel, S. 126, 29; Stollmann, § 19 Rn. 23.
Ausnahmsweise kann die formelle Illegalität ausreichen, wenn mit der auferlegten Beseitigung keine Substanzverletzung oder ein sonstiger irreparabler Nachteil verbunden ist, OVG NRW NVwZ 1995, 718; BauR 1992, 742.
zB Carport, der unproblematisch wieder auf- und abgebaut werden kann
Nutzungsuntersagung
Besonders streitig ist, ob eine Nutzungsuntersagung auch materiell illegal zu sein hat.
Dagegen  soll sprechen, dass sonst eine Nutzung eingeleitet und aufrecht erhalten werde, solange eine Genehmigung nicht erteilt sei, zudem könne der Betroffene einen Antrag auf eine Baugenehmigung noch stellen, Schlichter, JuS 1985, 898; OVG Lüneburg, BauR 2007. Auch droht regelmäßig kein Substanzverlust, so dass vielfach die formelle Illegalität als ausreichend angenommen wird, Stollmann, § 19, Rn. 18 mwN.
Andererseits wird der Betroffene in der Art der Nutzung der baulichen Anlage wesentlich eingeschränkt, weswegen auch mit Hinblick auf Art. 14 GG die formelle Illegalität nicht als ausreichend angesehen werden könnte.
Sachgerechter erscheint es aber, diese Frage im Einzelfall zu entscheiden:
Dabei ist darauf abzustellen, ob die konkrete Verfügung einer Stilllegungsverfügung oder einer dauerhaften Beseitigungsverfügung gleichkommt.
Verbietet die Behörde die Nutzung nur zeitweise und zB nur bis zur Klärung des Verfahrens, werden keine endgültigen Tatsachen geschaffen und die Verfügung hat den Charakter einer (vorübergehenden) Stilllegungsverfügung, die ja auch wieder rückgängig gemacht werden kann. In diesem Fall ist die formelle Illegalität ausreichend, s. zusammenfassend Muckel, S. 130, Rn. 39.
Sofern die Behörde jedoch eine Nutzung dauerhaft untersagt und ggf. auch eine andere Nutzung der baulichen Anlage für den Bürger nicht in Frage kommt, reicht die Unersagung in ihrer Eingriffsintensität so an die Abrissverfügung heran, dass aufgrund des damit verbundenen Substanzeingriffs und mit Hinblick auf Art. 14 GG zusätzlich die materielle Illegalität gegeben sein muss.
In der Falllösung bietet es sich also an, diese Frage nicht pauschal zu entscheiden, sondern die Sachverhaltsangaben in Hinblick auf die Intensität des Eingriffs und die Dauer der Untersagung genau herauszuarbeiten und mit ihnen euren Lösungsweg zu begründen. Korrektoren lieben die Arbeit am Sachverhalt.
Bestandsschutz
Anmerkung: für den passiven Bestandsschutz gibt es verschiedene Prüfungsstandorte: entweder im Rahmen der materiellen Illegalität auf Tatbestandsseite oder im Ermessen („Verstoß gegen Art. 14, passiver Bestandsschutz“). Wo es geprüft wird, ist völlig gleich. Es gilt wie immer der Grundsatz: völlig egal, wo, Hauptsache es wird überhaupt angesprochen, natürlich wird der eigene Aufbau dabei nicht begründet. 
Hier wird die erste Aufbauvariante gewählt: 
Das Vorhaben kann aber dennoch matieriell trotzdem legal sein, wenn es unter Bestandsschutz steht.
Gegen eine vormals genehmigte bauliche Anlage oder Nutzung, die nach jetzigem Recht nicht mehr genehmigt werden könnte, kann die Behörde nicht einschreiten, sog. formeller Bestandsschutz, Muckel, § 7, Rn. 141-143.
Daneben wird vielfach traditionell auch Bestandschutz angenommen, wenn das Vorhaben auch nur zeitweilig- in Anlehnung an § 75 S2 VwGO mind. ein Zeitraum von drei Monaten- dem materiellen Recht entsprochen hat, Muckel, § 9, Rn. 31-32; BVerwG, NJW 1987, 1348.
 
2. richtiger Adressat
a) Grundsatz
Adressat der Verfügung ist der für den baurechtswidrigen Zustand Verantwortliche.
Dies kann der Bauherr oder ein anderer am Bau Beteiligter sein, s. jeweilige landesrechtliche BauO.
Im Übrigen ist der Eigentümer oder Besitzer als Zustands- oder Verhaltensstörer nach allgemeinem Ordnungsrecht pflichtig. Theoretisch kann auch ein Nichtstörer in Betracht kommen,
zB NRW §§ 17,18 OBG NRW.
b) Rechtsnachfolge
In manchen Bundesländern ist dies ausdrücklich geregelt.
Unter Umständen kann sich hier auch das Problem der Rechtsnachfolge stellen.
Die Behörde hat gegen A eine Beseitiungsverfügung erlassen und für den Fall der Nichtbefolgung ein Zwangsgeld angedroht. A verkauft das Grundstück später an B.
Fraglich ist, ob und wie die Behörde nun gegen B vorgehen kann.
Ist B Eigentümer und insoweit Zustandsstörer, kann die Behörde gegen ihn eine eigene (originäre) Verfügung erlassen.
Daneben könnte auch die gegen A erlassene Verfügung kraft Rechtsnachfolge gegen B wirken.
Zu diesem Problem vertiefend: Schoch, Eingriffsbefugnisse der Bauaufsichtsbehörden, Jura 2005, 178.
3. sonstige allgemeine Rechtmäßigkeitsvoraussetzungen
Anmerkung: Bestimmtheit der Verfügung, der Vorstoß gegen Grundrechte oder das Problem der Verwirkung sollten nur bei Hinweisen im Sachverhalt angesprochen werden.
Auf das Ermessen und die Verhältnismäßigkeit ist allerdings immer, wenn auch in der gebotenen Kürze, einzugehen.
a) Ermessen-keine Ermessensfehler
b) Verhältnismäßigkeit
c) Bestimmtheit
d) Grundrechte im Besonderen, insb. Art 3 I GG
Es kann vorkommen, dass der Bürger vorträgt, dass sein bauliches Vorhaben vielleicht illegal sei, die Behörde aber gegen andere Schwarzbauten oder vergleichbare illegale Nutzungen nicht eingeschritten sei.
Erlässt die Behörde nur eine Verfügung gegen den einen Bürger A, nicht aber gegen B und C, könnte sie möglicherweise gegen den Gleichbehandlungsgrundsatz aus Art. 3 I GG verstoßen.
Grundsätzlich herrscht im Polizei- und Ordnungsrecht der Grundsatz „keine Gleichheit im Unrecht“ vor.* Das heißt, dass der Einwand, die Behörde lässt andere Bürger unbehelligt, nicht schützt. Die Behörde kann grundsätzlich nach ihrem eigenen Ermessen auswählen, gegen wen sie vorgeht und gegen wen nicht.
Im Bauordnungsrecht ist dieser Grundsatz nach überwiegender Ansicht zumindest aufgeweicht. Die Behörde muss ihrer Entscheidung ein gewisses planerisches Konzept zugrundelegen und kann nicht einfach willkürlich Einzelfälle herausgreifen, OVG Berlin NVWZ 1990, 176; BVerwG, BauR 1999, 734.
Allerdings kann die Behörde Kriterien, wie eine erhöhte Einsturzgefährdetheit oder größerer Nachahmungseffekt als bei den anderen Vorhaben, berücksichtigen. Auch kann die Behörde bei einem laufenden Prüfungsverfahren die Verfügung gegenüber einem Bürger A zurückstellen, gleichzeitig aber schon gegen B, bei dem die baurechtliche Illegalität unproblematisch feststeht, vorgehen, s. dazu Stollmann, § 19, Rn. 35.
*Anmerkung: teilweise wird vertreten, dass der Grundsatz „keine Gleichheit im Unrecht“ nur auf der TB-Ebene und nicht im Ermessen zum Tragen kommt. Auch wenn man diesen Begriff auf der Ermessensseite nicht verwenden möchte, so sind die inhaltlichen Argumente aber gleich.
e) Verwirkung
Auf die Möglichkeit der Verwirkung der Einschreitungsbefugnis seitens der Behörde ist einzugehen, wenn zB im Sachverhalt vorgetragen wird, die zuständige Behörde hätte ja wohl von der Rechtswidrigkeit des Vorhabens gewusst, wäre aber sehr lange untätig geblieben.
Damit eine Verwirkung angenommen werden kann, müssen zwei Elemente vorliegen:
Anmerkung: das Problem der Verwirkung kann bei allen Verwaltungsakten in Betracht kommen, die im folgenden genannten Voraussetzungen sind immer gleich:
aa) Umstandsmoment
Die Behörde muss über das bloße Nichtstun hinaus in Kenntnis der baurechtswidrigen Zustände einen Vertrauenstatbestand gesetzt haben, aus dem der Bürger schließen durfte, dass die Behörde nicht einschreiten werde.
 
bb) Zeitmoment
Weiterhin darf die Behörde über einen nicht unerheblichen Zeitraum untätig geblieben sein.
Hinweis für NRW: Das OVG Münster verneint die Möglichkeit der Verwirkung („dass nur Rechte, nicht aber Pflichten- hier das Recht der Bauaufsichtsbehörde, für rechtmäßige Zustände zu sorgen- verwirkt werden kann“, BauR 2009, 857; Stollmann, § 19, Rn. 37.) und löst das Problem über das Bestehen einer eventuellen Pflicht der Behörde zur aktiven Duldung des baurechtswidrigen Zustandes. Die Voraussetzungen unterscheiden sich nicht wesentlich von denen der Verwirkung. Auch hier muss die Behörde „in Kenntnis der formellen und ggf. matriellen Illegalität eines Vorhabens zu erkennen g[eben], dass sie sich auf Dauer mit dessen Existens abzufinden gedenkt. (…) [Es] muss den entsprechenenden Erklärungen der Behörde mit hinreichender Deutlichkeit zu entnehmen sein, ob, in welchem Umfang und ggf. über welchen Zeitraum die Duldung der illegalen Zustände erfolgen soll.“. Im übrigen nimmt das OVG an, dass diese Erklärung, um genügend Vertrauensschutz zu gewähren, wohl schriftlich erfolgen muss.

 
IV. Rechtsschutz
verschiedene Klausurkonstellationen sind denkbar:
A: Die Behörde erlässt eine Bauordnungsverfügung gegen A. Was kann er tun?
Gegen die Bauordnungsverfügung als belastenden Verwaltungsakt ist der Widerspruch, soweit vom jeweiligen Landesrecht vorgesehen, und die Anfechtungsklage vor dem Verwaltungsgericht statthaft. Zu prüfen ist hier also bespielsweise, ob die Klage des A zulässig und begründet ist.
B: A soll sein baurechtswidriges Haus schnell abreißen. Die Behörde erlässt eine Bauordnungsverfügung und ordnet zudem die sofortige Vollziehung der Verfügung an. Wie kann A schnell dagegen vorgehen?
Aufgrund der Anordnung der sofortigen Vollziehung haben Widerspruch und Anfechtungsklage keine aufschiebende Wirkung. A verbleibt noch der einstweilige Rechtsschutz: Er kann einen Antrag auf Wiederherstellung der aufschiebenden Wirkung nach § 80 V VwGO stellen.
C. B möchte, dass A sein Haus abreißt. Was kann er tun?
B begehrt im Ergebnis die Supendierung der Baugehmigung. Zur Durchsetzung dieses Begehrens kommt ein Antrag auf Aussetzung der sofortigen Vollziehung der Baugehmigung gem. §§ 80a III S1, Var. 3, 80a I Nr. 2, Var. 1, 80 V S1 VwGO in Betracht (aA: Antrag auf Anordnung der aufschiebenden Wirkung). Die Baugehmigung ist ein VA mit Doppelwirkung isd 80a I VwGO, gegen den Widerspruch und Anfechtungsklage keine aufschiebende Wirkung haben, § 80 II S1 Nr. 3 VwGO iVm 212a BauGB.
Ist die Baugehmigung bestandskräftig, kann B vor dem VG Verpflichtungsklage auf Einschreiten der Behörde erheben. Die AGL für das Einschreiten der Behörde ergibt sich aus der EGL für das bauordnungsrechtliche Einschreiten, s.o. zB § 61 I S2 BauO NRW. B hat allerdings nur einen Anspruch auf ein Einschreiten der Behörde, wenn ihr Ermessen auf Null in diesem Fall reduziert ist und sie so gezwungen ist, einzuschreiten.
D. A wurde eine Baugehmigung erteilt. Dagegen hat B einen Rechtsbehelf eingelegt, der wegen § 80 II S1 Nr.3 VwGO iVm 212a BauGB keine aufschriebende Wirkung hat. Die Behörde hat daraufhin auf Antrag des B nach § 80a I Nr.2 iVm 80 IV VwGO die Vollziehung der Baugehmigung ausgesetzt. Sie ist nun suspendiert. Was kann A tun, damit er weiterbauen kann?
A hat nun die Möglichkeit, einen Antrag auf Anordnung der sofortigen Vollziehung nach §§ 80a III S1, 3.Var, 80a I Nr. 1, 80 V S1 zu stellen (aA: Antrag auf Aufhebung der Aussetzungsentscheidung nach 80a III 1,2 Var VwGO).
E. A baut ohne Baugnehmigung. Dagegen hat die Behörde eine Bauordnungsverfügung erlassen, die nicht zur sofortigen Vollziehung ausgesetzt ist. A legt nun einen Rechtsbehelf dagegen ein (Widerspruch oder Anfechtungsklage), welcher hier aufschiebende Wirkung hat. 212a BauGB kommt hier nicht zum Tragen, da es sich nicht um einen Drittrechtsbehelf gegen die Zulassung eines Bauvorhabens handelt. A kann weiterbauen. Wie kann der Nachbar B das verhindern?
Ziel des B ist es, die aufschiebende Wirkung des Rechtsbehelfs des A zu beseitigen.
Dazu kann er einen Antrag an die Behörde stellen: die Behörde kann die Anordnung der sofortigen Vollziehung beseitigen, vgl. 80a II iVm 80 II S1 Nr. 4 VwGO.
Daneben kann er einen Antrag an das VG stellen auf Anordnung der sofortigen Vollziehung der Verfügung nach § 80 III 1,3 Var, 80a II, 80V VwGO.
 
V. Fazit
Die Bauordnungsverfügung ist absoluter Pflichtstoff im Baurecht und sollte insbesondere von jedem Examenskandidaten beherrscht werden. Sie lässt sich prima mit einem Antrag nach §§ 80V, 80a VwGO verbinden. Im Rahmen der matriellen Illegalität kann wunderbar die Zulässigkeit von Vorhaben nach §§29ff BauGB abgeprüft werden. Auch Aspekte des Bestandsschutzes können hier besonders relevant werden.

23.12.2013/3 Kommentare/von Anna Ebbinghaus
https://www.juraexamen.info/wp-content/uploads/2022/05/je_logo.svg 0 0 Anna Ebbinghaus https://www.juraexamen.info/wp-content/uploads/2022/05/je_logo.svg Anna Ebbinghaus2013-12-23 09:00:282013-12-23 09:00:28Grundwissen Baurecht- die Bauordnungsverfügung
Dr. Jan Winzen

VG Arnsberg: Borussia Dortmund Fahne darf weiter wehen

Baurecht, Öffentliches Recht, Rechtsgebiete, Rechtsprechung, Startseite

Pünktlich zur neuen Bundesligasaison hat das VG Arnsberg mit Urteil vom 15.07.2013 (8 K 1679/12) die Klage zweier Grundstückseigentümer, gerichtet auf Beseitigung einer auf dem Nachbargrundstück aufgestellte Fahnenstange nebst BVB-Fahne, abgewiesen.
A. Sachverhalt
Der Nachbar hatte zur Fussball Weltmeisterschaft 2010 auf seinem Grundstück einen 5 m hohen Fahnenmast errichtet und die deutsche Flagge gehisst. Im April 2012 ersetzte er die Deutschland-Flagge durch eine 1×2 m große Flagge des Bundesligavereins Borussia Dortmund (BVB). Der Flaggenmast befindet sich im rückwärtigen Bereich des Grundstücks (Garten) in ca. 11,5 m Entfernung von dem Grundstück der Kläger. Der Bebauungsplan weist das streitgegenständliche Gebiet als reines Wohngebiet aus. Die Kläger verfügen hinter ihrem Haus über eine gepflasterte Terrassenanlage. Auf dieser ist ein Fischteich mit stetiger Wasserzu- und abfuhr und damit verbundenem Plätschern angelegt.
Nach erfolgloser Durchführung eines Vorverfahrens begehren die Kläger von der zuständigen Behörde (Beklagte) im Wege der Verpflichtungsklage den Erlass einer an den Nachbarn gerichteten Beseitigungsverfügung. Sie sind der Ansicht, bei der Fahne handele es sich um eine Werbeanlage für den BVB als börsennotiertes Unternehmen, die nicht der Nutzung der Wohngrundstücke diene und im Wohngebiet einen Störfaktor darstelle. Diese sei nicht nur von ihrer Terrasse, sondern auch aus ihrem Wohnzimmer heraus dauernd sichtbar. Außerdem entstünden durch das Schlagen der Fahne im Wind erhebliche Geräusche, die nicht zu akzeptieren seien.
B. Rechtliche Würdigung
Die zulässige Verpflichtungsklage (§ 42 Abs. 1 Alt. 2 VwGO) ist begründet, wenn den Klägern ein Anspruch auf Einschreiten gegen die Beklagte in Form der Beseitigungsanordnung bezogen auf die auf dem Nachbargrundstück aufgestellte Fahnenstange nebst BVB-Fahne zusteht.
I. Anspruchsgrundlage: § 61 Abs. 1 Sätze 1 und 2 BauO NRW
Ein solcher Anspruch könnte sich aus § 61 Abs. 1 S. 1 und 2 BauO NRW ergeben.
Danach haben die Bauaufsichtsbehörden bei der Errichtung, der Änderung, dem Abbruch, der Nutzung, der Nutzungsänderung sowie der Instandhaltung baulicher Anlagen sowie anderer Anlagen und Einrichtungen im Sinne des §§ 1 Abs. 1 S. 2 BauO NRW darüber zu wachen, dass die öffentlich-rechtlichen Vorschriften und die aufgrund dieser Vorschriften erlassenen Anordnungen eingehalten werden. Sie haben in Wahrnehmung dieser Aufgaben nach pflichtgemäßem Ermessen die erforderlichen Maßnahmen zu treffen.
II. Prüfungsmaßstab bei Beseitigungsanordnung

  • Die Beseitigung einer genehmigungsbedürftigen baulichen Anlage setzt voraus, dass die Anlage formell und materiell illegal ist, d.h. weder genehmigt worden noch zu irgend einem Zeitpunkt genehmigungsfähig gewesen ist.
  • Handelt es sich um eine nicht genehmigungsbedürftige baulichen Anlage, kommt es allein auf die materielle Illegalität an.
  • Verlangt – wie hier – ein Nachbar die Beseitigung einer baulichen Anlage im Wege des bauaufsichtlichen Einschreitens, reicht die bloße Rechtswidrigkeit der baulichen Anlage freilich nicht aus. Die Rechtswidrigkeit muss sich vielmehr aus einem Verstoß gegen nachbarschützende Vorschriften des öffentlichen Rechts ergeben.
  • Siehe ausführlich zum Nachbarschutz im Baurecht hier.

III. Verstoß gegen nachbarschützende Vorschriften
Der Fahnenmast  nebst BVB Fahne (bei dem es sich um eine bauliche Anlage im Sinne des § 2 Abs. 1 BauO NRW handelt) müsste gegen nachbarschützende Vorschriften verstoßen.
1. Art der baulichen Nutzung
In dem Umstand, dass der Fahnenmast in einem reinen Wohngebiet (§ 1 Abs. 2 Nr. 2 i.V.m. § 3 BauNVO)  errichtet wurde, könnte ein Verstoß gegen die (generell drittschützenden) bauplanungsrechtlichen Festsetzungen hinsichtlich der Art der baulichen Nutzung liegen.
Zur Erinnerung: Das BVerwG billigt jedem Grundstückseigentümer das Recht zu, sich innerhalb des von ihm bewohnten Baugebiets gegen jede artfremde Bebauung zur Wehr zu setzen, unabhängig davon, ob sie ihn tatsächlich beeinträchtigt (sog. Gebietserhaltungsanspruch).
Nach § 3 Abs. 2 BauNVO sind im reinen Wohngebiet nur Wohngebäude zulässig.
a) Fahnenmast kein Gewerbebetrieb
Zunächst handelt es sich bei der Fahnenstange nicht um einen im reinen Wohngebiet unzulässigen Gewerbebetrieb.

Bei der Fahnenstange handelt es sich selbst dann nicht um einen Gewerbebetrieb, wenn diese mit aufgezogener BVB-Fahne rechtlich als Werbeanlage qualifiziert würde. Ein Gewerbebetrieb im Sinne von § 8 Abs. 3 Nr. 1 BauNVO 1968 liegt hier nicht vor. „Gewerbebetrieb“ im Sinne des § 8 BauNVO ist ein gerichtlich in vollem Umfang überprüfbarer unbestimmter Rechtsbegriff. Ein solches Gewerbe ist jede selbständige, auf Dauer und auf Gewinnerzielung angelegte Tätigkeit. Die Beigeladenen betreiben jedoch mit der am Fahnenmast gehissten Fahne von Borussia Dortmund ganz erkennbar keine selbstständige, auf Dauer und auf Gewinnerzielung angelegte Tätigkeit.

b) Fahnenmast keine Werbeanlage
Sodann kann der Einwand der Kläger, es handele sich bei dem Fahnenmast um eine im Wohngebiet unzulässige Werbeanlage, nicht durchgreifen. Zwar sind Werbeanlagen gemäß § 13 BauNVO in reinen Wohngebieten unzulässig. Selbst wenn es sich bei dem Fahnenmast vorliegend um eine Werbeanlage handeln sollte, kommt es aber nach Ansicht des Gerichts

nicht darauf an, dass gemäß § 13 BauO NRW Werbeanlagen in Wohngebieten unzulässig sind. Denn § 13 BauO NRW entfaltet bezogen auf die Kläger keine nachbarschützende Wirkung. Die darin enthaltenen Verunstaltungsvorschriften dienen dem allgemeinen Interesse an einer einwandfreien Einfügung des Bauwerks in seine Umgebung.

c) Fahnemast = zulässige Nebenanlage
Vielmehr handelt es sich nach Ansicht des Gerichts bei dem Fahnenmast um eine nach § 14 BauNVO zulässige Nebenanlage. Nach § 14 Abs. 1 Satz 1 BauNVO sind außer den in den §§ 2 bis 13 genannten Anlagen auch untergeordnete Nebenanlagen und Einrichtungen zulässig, die dem Nutzungszweck der in dem Baugebiet gelegenen Grundstücke oder des Baugebiets selbst dienen und die seiner Eigenart nicht widersprechen.

Der Fahnenmast mit Fahne stellt sich seiner Dimension nach gegenüber dem Wohngebäude als untergeordnet dar. Er dient dem Nutzungszweck des Wohnens, weil er eine nach außen dokumentierte Verbundenheit der Bewohner des Grundstücks mit bestimmten Ereignissen, Hobbys oder ähnlichem dokumentiert. Als solcher ist er auch nur dort sinnvoll, wo sich die Personen regelmäßig aufhält, um hier den nach außen sichtbaren gewünschten Bezug zu erreichen. An einer anderen Stelle aufgebaut und aufgezogen kann dieser Zweck nicht erreicht werden, weil dann der nötige Bezug der gemäß Art. 5 Abs. 1 des Grundgesetzes geschützten Meinungsfreiheit sinngemäß dergestalt „Der Fußballverein BVB ist derjenige, dem meine sportliche Verbundenheit und Unterstützung gilt“ nicht hergestellt werden kann. Das ist aber typischerweise beim Wohnhaus der Fall, weil hier ein ersichtlicher Bezug zwischen dem persönlichen Lebensbereich des Vereinsfans und seiner äußeren Meinungsbekundung besteht.

d) Maß der baulichen Nutzung?
Dass der Fahnenmast angesichts seiner Höhe möglicherweise außerhalb der überbaubaren Grundstücksflächen liegt, ist schon deshalb hier nicht beachtlich, weil den Festsetzungen des Bebauungsplans über das Maß der baulichen Nutzung nach hM keine drittschützende Wirkung zugunsten des Nachbarn zukommt. Sie dienen ausschließlich dem öffentlichen Interesse an einer geordneten städtebaulichen Entwicklung. Gleichwohl verweist das Gericht hilfsweise auch noch auf § 23 Abs. 5 BauNVO, wonach bauliche Nebenanlagen gegebenenfalls auch außerhalb der überbaubaren Grundstücksfläche zulässig sind.

Als bauliche Nebenanlage ist die Anlage gemäß § 23 Abs. 5 BauNVO auch gegebenenfalls außerhalb der überbaubaren Grundstücksfläche zulässig. Im Übrigen entfalten Regelungen über die überbaubaren Grundstücksflächen auch keine nachbarschützende Wirkung zugunsten der Kläger.

2. § 15 Abs. 1 Satz 2 NauNVO i.V.m. dem Gebot der Rücksichtnahme
Abschließend prüft das Gericht einen Verstoß gegen das Gebot der Rücksichtnahme. Drittschutz folgt allerdings nach heute überwiegender Meinung nicht aus dem Rücksichtnahmegebot selbst, sondern stets aus einer einfach-gesetzlichen Norm als dessen Ausprägung. Dass das Gericht vorliegend insoweit prüft, ob von dem Fahnenmast für die Kläger keine für diese unzumutbaren Beeinträchtigungen ausgehen, deutet auf die materielle Prüfung des § 15 Abs. 1 Satz 2 BauNVO als einfachgesetzliche Ausprägung des Rücksichtnahmegebots hin.
Welche Anforderungen das Gebot der Rücksichtnahme (objektiv-rechtlich) begründet, hängt – nach st. Rspr. des BVerwG – wesentlich von den jeweiligen Umständen ab.

Je empfindlicher und schutzwürdiger die Stellung derer ist, denen die Rücksichtnahme im gegebenen Zusammenhang zugute kommt, um so mehr kann an Rücksichtnahme verlangt werden. Je verständlicher und unabweisbarer die mit dem Vorhaben verfolgten Interessen sind, um so weniger braucht derjenige, der das Vorhaben verwirklichen will, Rücksicht zu nehmen.

Gemessen daran ergibt sich ein Anspruch der Kläger auf Beseitigung des Fahnenmasts auch nicht aus § 15 Abs. 1 Satz 2 BauNVO i.V.m. demRücksichtsnahmegebot. Weder der Umstand, dass die BVB-Fahne gerade bei Nässe und starkem Wind nicht unerhebliche Geräusche verursacht, noch der Blick auf die flatternde Fahne begründen nach der Abwägung des Gerichts eine unzumutbare Beeinträchtigung der Kläger. Zu Lasten der Kläger berücksichtigt das Gericht dabei auch, dass auch ihr Grundstück angesichts des plätschernden Teichs nicht immissionsneutral ausgestaltet ist.

Insofern ist den Klägern, was auch die Beigeladenen einräumen, zuzugeben, dass die Fahne, gerade bei Nässe verbunden mit starkem Wind nicht unerhebliche Geräusche verursacht (…) Dabei ist zu berücksichtigen, dass die Beigeladenen sowohl schriftsätzlich als auch mündlich im Rahmen des Erörterungstermins glaubhaft versichert haben, die jeweiligen Fahnen bei stürmischer Wetterlage und starkem Wind auch aus eigenem Interesse einzuholen. Sofern sie dies gelegentlich aufgrund vorübergehender Abwesenheit verabsäumen, gehen die von der Fahne ausgehenden Beeinträchtigungen nach Auffassung der Kammer jedoch nicht über das im nachbarlichen Austauschverhältnis zumutbare Maß hinaus und verpflichten die Beklagte insbesondere nicht, im bauordnungsrechtlichen Verfahren die Beseitigung anzuordnen.
(…)
Im diesem Zusammenhang ist insbesondere auch von Bedeutung, dass die Fahnenstange in einer Entfernung von über 10 Metern zum Grundstück der Kläger hin angebracht sind. Sofern diese darauf verweisen, die Fahne tauche immer wieder in ihrem Blickwinkel auf, wenn sie im Wohnzimmer in ihren Sitzmöbeln säßen und dadurch sei insbesondere auch ein ungestörtes Fernsehen nicht möglich, stellt das Flattern der Fahne in Richtung des Grundstücks der Kläger keine gegen öffentlich-rechtliche Bestimmungen verstoßende, für diese unzumutbare und nicht mehr hinnehmbare Beeinträchtigung dar. Zunächst weht der Wind im T. nicht ständig mit hoher Windstärke und wenn er weht, geschieht dies auch nicht immer aus westlicher Richtung, so dass die Fahne in Richtung des Grundstücks der Kläger flattert. Es handelt sich daher bei dem Flattern um eine nur gelegentlich auftretende Einwirkung auf das Grundstück der Kläger. Auch bei Wohngrundstücken müssen aber gewisse, gelegentlich auftretende und von Nachbargrundstücken ausgehende Beeinträchtigungen hingenommen werden, sofern diese – wie hier – mit der Wohnnutzung in Zusammenhang stehen. Dazu gehören neben Lebensäußerungen der Bewohner auch bei der Gartennutzung etwa auch gelegentliche Geräusche, die bei der Gartenpflege, zum Beispiel durch Rasenmäher, entstehen. Über solche gelegentliche Beeinträchtigungen gehen die von dem Fahnenmast verursachten Immissionen auf dem Grundstück der Kläger aber selbst ihrem eigenen Vorbringen zufolge nicht hinaus.
(…)
Dabei berücksichtigt das Gericht auch, dass auch der rückwärtige Grundstücksbereich der Kläger keineswegs vollkommen immissionsneutral gestaltet ist. Dort haben diese nämlich einen Teich angelegt, der durch dauernden Wasserzu- und -abfluss ein stetig plätscherndes Geräusch erzeugt, das auch auf den Nachbargrundstücken – insbesondere nachts – wahrnehmbar sein dürfte.

Im Ergebnis ist die Klage daher mangels eines Verstoßes des Fahnenmasts gegen nachbarschützende Vorschriften unbegründet.
C. Fazit
Ein Fall mit populärem Bezug ohne größere rechtliche oder tatsächliche Schwierigkeiten. Gerade deshalb aber als Aufhänger für ein baurechtliches Prüfungsgespräch nicht uninteressant. Die Genehmigungsfreiheit der baulichen Anlage wird in den Entscheidungsgründen übrigens gar nicht angesprochen, dürfte sich aber entsprechend des Vortrags der Beklagten im Vorverfahren aus § 65 Abs. 1 Nr. 22 BauO NRW ergeben. Im Rahmen der Abwägung muss man argumentieren. Da die von der Fahne ausgehenden Immissionen nicht über das Maß der Beeinträchtigung anderer im Nachbarschaftverhältnis üblicher Immissionen (Rasenmähen) hinausgehen und die Nachbarn außerdem glaubhaft ihre Bereitschaft bekundet haben, die Fahne einzuholen, wenn mit außergewöhnlichen starken Immissionen zu rechnen ist (Sturm, Gewitter), fällt die Abwägung hier zu Lasten der Kläger aus. Dies könnte natürlich im Einzelfall auch anders sein.
Für die Assessorklausur ist zu beachten, dass die Nachbarn durch das Gericht beigeladen wurden. Da sie keinen Antrag gestellt haben und deshalb keinem Kostenrisiko ausgesetzt waren (§ 154 Abs. 3 VwGO), sind etwaige aussergerichtliche Kosten für sie auch nicht erstattungsfähig (§ 162 Abs. 3 VwGO). Das ist im Kostentenor deutlich zu machen („Die Kläger tragen die Kosten des Verfahrens, mit Ausnahme der außergerichtlichen Kosten des Beigeladenen“).
Sehr instruktiv zum baurechtlichen Nachbarschutz ist im Übrigen der zweitplatzierte Beitrag aus unserem Aufsatzwettberwerb des vergangenen Jahres.
 
 

28.07.2013/1 Kommentar/von Dr. Jan Winzen
https://www.juraexamen.info/wp-content/uploads/2022/05/je_logo.svg 0 0 Dr. Jan Winzen https://www.juraexamen.info/wp-content/uploads/2022/05/je_logo.svg Dr. Jan Winzen2013-07-28 09:00:282013-07-28 09:00:28VG Arnsberg: Borussia Dortmund Fahne darf weiter wehen
Dr. Jan Winzen

VG Aachen: Protestcamp Tagebau Hambach muss geräumt werden

Baurecht, Öffentliches Recht, Öffentliches Recht, Rechtsgebiete, Rechtsprechung, Rechtsprechungsübersicht, Startseite, Verwaltungsrecht

Mit Beschluss vom 03.07.2013 (5 L 193/13) entschied das Verwaltungsgericht Aachen über den Eilrechtsschutzantrag eines Grundstückseigentümers gegen eine an ihn gerichtete bauordnungsrechtliche Beseitigungsverfügung. Gegenstand der angegriffenen Verfügung des Kreises Düren war die Beseitigug eines auf dem Grundstück des Antragstellers erichteten Protestcamps gegen die Erweiterung des Tagesbaus Hambach.
A. Sachverhalt
Im Rahmen der Proteste gegen die (weitere) Ausdehnung des Tagebaus Hambach errichteten Aktivisten auf dem Grundstück, das im Bereich des geplanten Tagebaus liegt, ein aus Zelten, Wohn- und Bauwagen, Pkws mit Vorzelt bzw. Windschutz, Holzhütten sowie einer „Kriechbude“ mit blauer Folienabdeckung bestehendes Protestcamp. Der Eigentümer des im Außenbereich liegenden Grundstücks hatte den Aktivisten die Errichtung des Camps Ende 2012 gestattet. Wie von dem Antragsteller im Verfahren ausgeführt, sollte das Camp primär den „Protestorganismus“ am Leben erhalten und verhindern, dass die Beteiligten „in alle Himmelsrichtungen“ vertrieben werden. Dabei diene es auch als Obdach seiner Bewohner und als Ausgangsbasis für die Planung des Widerstands und insbesondere von Protestveranstaltungen. Mit Bescheid vom 22.03.2013 verfügte der Kreis Düren gegenüber dem Eigentümer der Wiese, unter (formell ordnungsgemäßer) Anordnung der sofortigen Vollziehung, das Camp zu beseitigen. Gegen diesen Bescheid hat der Grundstückseigentümer Anfechtungsklage beim Verwaltungsgericht erhoben. Zugleich begehrt er im Wege des einstweiligen Rechtsschutzes die Wiederherstellung der aufschiebenden Wirkung seiner Klage.
B. Rechtliche Würdigung
Der Antrag des Grundstückseigentümers hat Erfolg, wenn er zulässig und begründet ist.
I. Zulässigkeit
Angesichts der zahlreichen materiell-rechtlichen Probleme, die der Fall im Rahmen der Begründetheit aufwirft, sollte die Zulässigkeitsprüfung in einer Klausur möglichst kurz ausfallen. Gleichwohl sind im Eilrechtsschutz stets (also auch hier) folgende Punkte zumindest kurz anzusprechen (siehe ausführlich zur Zulässigkeitsprüfung unseren Grundlagenbeitrag zu § 80 Abs. 5 VwGO):
1. Statthaftigkeit
Statthaft ist der Antrag auf Wiederherstellung der aufschiebenden Wirkung nach § 80 Abs. 5 Satz 1 Alt. 2 VwGo, da sich der Antragsteller gegen den Vollzug eines ihn belastenden Verwaltungsakts (in Form der Beseitigungsverfügung) wendet, gegen den in der Hauptsache die Anfechtungsklage (§ 42 Abs. 1 Alt. 1 VwGO) statthaft ist. In diesen Fällen ist Eilrechtsschutz vorrangig nach den §§ 80, 80a VwGO und nicht nach § 123 Abs. 1 VwGO zu gewähren (vgl. § 123 Abs. 5 VwGO).
2. Rechtsschutzbedürfnis
Das für einen Antrag nach § 80 Abs. 5 Satz 1 Alt. 2 VwGo erforderliche Rechtsschutzbedürfnis ist gegeben, da der Anfechtungsklage des Antragstellers wegen der Vollziehungsanordnung der Behörde keine aufschiebende Wirkung zukommt (§ 80 Abs. 2 Satz 1 Nr. 4 VwGO) und die Klage fristgerecht erhoben worden, also nicht offensichtlich unzulässig ist.
II. Begründetheit
Der Antrag nach § 80 Abs. 5 Satz 1 Alt. 2 VwGO ist begründet, wenn die Anordnung der sofortigen Vollziehung formell rechtmäßig ist und das private Aussetzungsinteresse (Suspensivinteresse) des Antragsstellers das öffentliche Vollzugsinteresse der Behörde überwiegt. Dies richtet sich in erster Linie nach den (summarisch zu prüfenden) Erfolgsaussichten des Rechtsbehelfs in der Hauptsache. Ist der Verwaltungsakt danach (offensichtlich) rechtswidrig, hat der Antrag nach § 80 Abs. 5 Satz 1 Alt. 2 VwGO regelmäßig Erfolg, da an dem Vollzug eines rechtswidrigen Verwaltungsakts kein öffentliches Interesse bestehen kann. Ist der Verwaltungsakt (offensichtlich) rechtmäßig, überwiegt das Vollzugsinteresse der Behörde (im Fall des § 80 Abs. 5 Satz 1 Alt. 2 VwGO) aber nur, wenn ein besonderes Vollzugsinteresse vorliegt.
1. Formell rechtmäßige Anordnung der sofortigen Vollziehung
Im Hinblick auf die formellen Anforderungen an die behördliche Vollziehungsanordnung nach § 80 Abs. 3 VwGO bestehen laut Sachverhalt keine Bedenken
2. Interessenabwägung – Erfolgsaussichten in der Hauptsache
Als Ermächigungsgrundlage für die bauordnungsrechtliche Verfügung kommt § 61 Abs. 1 BauO NRW in Betracht. Danach haben die Bauaufsichtsbehörden bei der Errichtung, der Änderung, dem Abbruch, der Nutzung, der Nutzungsänderung sowie der Instandhaltung baulicher Anlagen darüber zu wachen, dass die öffentlich-rechtlichen Vorschriften und die aufgrund dieser Vorschriften erlassenen Anordnungen eingehalten werden (Satz 1). Sie haben in Wahrnehmung dieser Aufgaben nach pflichtgemäßem Ermessen die erforderlichen Maßnahmen zu treffen (Satz 2).
a) formelle Rechtmäßigkeit
Die formellen Voraussetzungen (Zuständigkeit/Verfahren/Form) waren vorliegend gewahrt. Etwaige Anhörungsmängel wurden jedenfalls im Rahmen des gerichtlichen Verfahrens nach § 45 Abs. 1 Satz 1 Nr. 3, Abs. 2 VwVfG NRW geheilt (im Interesse der Leserlichkeit des Beitrags wird die Thematik hier nicht näher dargestellt – siehe vertiefend etwa hier).
b) materielle Rechtmäßigkeit
Auf Tatbestandsebene setzt eine auf § 61 Abs. 1 BauO NRW gestützte Beseitigungsanordnung das Vorliegen einer baulichen Anlage sowie deren formelle und materielle Illegalität voraus.
aa) Protestcamp als bauliche Anlage im Sinne der §§ 2, 61, 63 BauO NRW
Bei den das Protestcamp bildenden einzelnen Bestandteilen müsste es sich um bauliche Anlagen im Sinne des § 2 BauO NRW handeln.
Bauliche Anlagen sind mit dem Erdboden verbundene, aus Bauprodukten hergestellte Anlagen (§ 2 Abs. 1 Satz 1 BauO NRW). Eine Verbindung mit dem Erdboden besteht nach § 2 Abs. 1 Satz 2 BauO NRW auch dann, wenn die Anlage durch eigene Schwere auf dem Erdboden ruht oder auf ortsfesten Bahnen begrenzt beweglich ist oder wenn die Anlage nach ihrem Verwendungszweck dazu bestimmt ist, überwiegend ortsfest benutzt zu werden.

Zu diesen Anlagen gehören neben Zelten, die mit Heringen und/oder ähnlichen Befestigungen mit dem Erdboden verankert sind, vgl. Gädtke/Czepuck/Johlen/Plietz/Wenzel, BauO NRW, 12. Aufl., § 2 Rdnr. 45, auch zu Wohnzwecken genutzte Wohn-, Bau- und Verkaufswagen, bei denen die Funktion als Transportmittel bei wertender Betrachtung in den Hintergrund tritt, vgl. OVG Berlin, Beschluss vom 13. März 1998 – 2 S 2.98 -, BRS 60 Nr. 206; Hessischer Verwaltungsgerichtshof, Beschluss vom 22. Oktober 1985 – 4 TH 1864/85 -, BRS 44 Nr. 136 = juris, sowie Pkws mit Vorzelt bzw. Windschutz, wenn diese überwiegend ortsfest benutzt werden.

Folglich handelt es sich bei den verschiedenen Bestandteilen des Camps um bauliche Anlagen.
bb) formelle Illegalität
Die formelle Illegalität folgt grds. aus dem Umstand, dass der Grundstückeigentümer die für die einzelnen baulichen Anlagen gemäß § 63 BauO NRW erforderliche Baugenehmigung nicht besitzt.
Man kann an dieser Stelle (wie auch das Verwaltungsgericht) noch eine Abgrenzung zu fliegenden Bauten im Sinne des § 79 BauO NRW vornehmen (die keiner Baugenehmigung nach § 63 BauO NRW bedürfen). Dies lässt sich leicht mit Hilfe der Legaldefinition des § 79 Abs. 1 BauO NRW vornehmen. Die insoweit erforderliche Eignung und Bestimmung zum wiederholten Aufstellen und Zerlegen an verschiedenen Orten ist vorliegend angesichts des zum Enscheidungszeitpunkt bereits monatelang unveränderten Standorts des Camps zu verneinen.
cc) materielle Illegalität
Materiell ist das im Außenbereich befindliche Vorhaben (das die Errichtung von baulichen Anlagen zum Inhalt hat, vgl. § 29 Abs. 1 BauGB) an § 35 BauGB zu messen. Im Rahmen des § 35 BauGB ist zuerst zu prüfen, ob ein privilegiertes Vorhaben im Sinne des § 35 Abs. 1 BauGB vorliegt (und öffentliche Belange nicht entgegenstehen). Ist dies nicht der Fall, kann sich die bauplanungsrechtliche Zulässigkeit als sonstiges Vorhaben aus § 35 Abs. 2 BauGB ergeben, wenn die Ausführung oder Benutzung öffentliche Belange nicht beeinträchtigt und die Erschließung gesichert ist.

  • Protestcamp kein privilegiertes Vorhaben im Sinne des § 35 Abs. 1 Nr. 4 BauGB

In Betracht kommt vorliegend allein der Tatbestand des § 35 Abs. 1 Nr. 4 BauGB. Danach sind Vorhaben privilegiert, die wegen ihrer besonderen Anforderungen an die Umgebung, wegen ihrer nachteiligen Wirkung auf die Umgebung oder wegen ihrer besonderen Zweckbestimmung nur im Außenbereich ausgeführt werden sollen.
Die Bestimmung stellt einen Auffangtatbestand für diejenigen nicht in § 35 Abs. 1 BauGB benannten Vorhaben dar, die auf einen Standort im Außenbereich angewiesen sind. Zur Bejahung der Tatbestandsvoraussetzungen bedarf es einer rechtlichen Wertung, ob das Vorhaben nach Lage der Dinge des jeweiligen Einzelfalls aus einem der in der Vorschrift genannten Gründe hier und so sachgerecht nur im Außenbereich untergebracht werden kann. Diese Wertung beinhaltet vor allem die Entscheidung, ob das Vorhaben überhaupt im Außenbereich ausgeführt werden soll. Das ist nicht der Fall, wenn es zur Erfüllung der zulässigen und an sich außenbereichsadäquaten Funktion nicht erforderlich ist (siehe dazu zuletzt etwa die lesenswerte Entscheidung des OVG Münster, Urteil vom 15.02.2013 – 10 A 237/11 Rz. 27 ff. – juris, zu einem Hundeauslaufplatz im Außenbereich).
Gemessen an diesen Kriterien verneint das Gericht die Einordnung des Protestcamps als privilegiertes Vorhaben im Sinne des § 35 Abs. 1 Nr. 4 BauGB:

In Anwendung dieser Grundsätze fehlt es vorliegend an hinreichenden Anhaltspunkten dafür, dass die Vorhaben auf Verhältnisse angewiesen sind, die typischerweise im Außenbereich anzutreffen sind. Die Eigentümer der streitgegenständlichen Anlagen nutzen das „Protestcamp“ nach den eigenen Angaben des Antragstellers in dem Schriftsatz vom 6. Mai 2013 primär um den „Protestorganismus“ am Leben zu erhalten und zu verhindern, dass die Beteiligten „in alle Himmelsrichtungen“ vertrieben werden. Es dient als Obdach seiner Bewohner und als Ausgangsbasis für die Planung des Widerstands und insbesondere von Protestveranstaltungen, z.B. der vom Antragsteller selbst organisierten Demonstration vom 18. November 2012 an der Autobahnabfahrt Kerpen-Buir. Es ist nichts dafür ersichtlich, dass ein derartiges „Basislager“ nicht auch im Innenbereich realisiert werden könnte.

  • Beeinträchtigung öffentlicher Belange im Sinne des § 35 Abs. 2 BauGB

Zur Bestimmung möglicher öffentlicher Belange, die ein sonstiges Vorhaben nach § 35 Abs. 2 BauGB beeinträchtigen könnte, sollte man sich immer zunächst an den Regelbeispielen des § 35 Abs. 3 BauGB orientieren. Diese sind freilich nicht abschließend. Im vorliegenden Fall könnte das Vorhaben sowohl den Darstellungen des Flächennutzungsplans widersprechen (§ 35 Abs. 3 Satz 1 Nr. 1 BauGB) (dieser stellt das Baugrundstück als „Fläche für die Landwirtschaft“ dar), oder das Entstehen einer Splittersiedlung befürchten lassen (§ 35 Abs. 3 Satz 1 Nr. 7 BauGB).
Das Verwaltungsgericht lässt die Frage jedoch offen und stellt maßgeblich auf das vom Bundesverwaltungsgericht entwickelte – in § 35 Abs. 3 BauGB nicht ausdrücklich geregelte – öffentlichen Belang „Erfordernis einer förmlichen Planung“ ab. Dabei geht es vereinfacht gesagt um die Frage, ob das in Rede stehende Gebiet bauplanungsrechtlich zum Gegenstand eines Bebauungsplans gemacht werden müsste. In einem solchen Fall sind die Kriterien des § 35 BauGB nicht geeignet, um die Zulässigkeit eines Vorhabens zu beurteilen:

Die öffentlichen Belange, die der Gesetzgeber in § 35 Abs. 3 Satz 1 BauGB aufzählt, haben nur beispielhaften Charakter. Zu den nicht benannten öffentlichen Belangen gehört auch das Erfordernis einer förmlichen Planung. Dieser öffentliche Belang hat allerdings eine andere Qualität als die in § 35 Abs. 3 BauGB genannten. Er bringt zum Ausdruck, dass die in § 35 BauGB selbst enthaltenen Vorgaben nicht ausreichen, um im Sinne des erwähnten Konditionalprogramms eine Entscheidung über die Zulässigkeit des beabsichtigten Vorhabens treffen zu können. Das im Außenbereich zu verwirklichende Vorhaben kann eine Konfliktlage mit so hoher Intensität für die berührten öffentlichen und privaten Belange auslösen, dass dies die in § 35 BauGB vorausgesetzte Entscheidungsfähigkeit des Zulassungsverfahrens übersteigt. Ein derartiges Koordinierungsbedürfnis wird vielfach dann zu bejahen sein, wenn die durch das Vorhaben berührten öffentlichen und privaten Belange einen in erster Linie planerischen Ausgleich erfordern, der seinerseits Gegenstand einer abwägenden Entscheidung zu sein hat. Eine in diesem Sinne „abwägende“ Entscheidung ist nach der Gesetzeslage weder der Genehmigungsbehörde noch der Gemeinde im Rahmen des § 36 Abs. 1 BauGB zugestanden. Sie ist nach Maßgabe der §§ 1 ff. BauGB allein in einem Bauleitplanverfahren zu treffen.

Ob ein Erfordernis förmlicher Planung besteht, richtet sich im Einzelfall vor allem nach dem Umfang des Vorhabens und der Möglichkeit seiner Einordnung in die nähere Umgebung, wobei der Katalog der § 35 Abs. 3 BauGB insoweit wichtige Anhaltspunkte liefert.

Lässt sich die Koordination der Belange sachgerecht letztlich nur im Wege einer Abwägung sicherstellen, so ist dies auch ein hinreichendes Anzeichen für seine bodenrechtlich relevanten Auswirkungen, die geeignet sind, ein Planungsbedürfnis auszulösen.
Eine solche Situation ist hier gegeben. Dabei kommt der Tatsache, dass nur die einzelnen baulichen Anlagen, nicht aber die Gesamtanlage als solche, bei der es sich nicht um einen Campingplatz im Sinne von § 2 Abs. 1 der Verordnung über Camping- und Wochenendplätze handelt, genehmigungspflichtig ist, keine Bedeutung zu. Die 19 baulichen Anlagen treten nämlich schon wegen ihrer Verwirklichung in einem engen räumlichen Zusammenhang auf einem Flurstück und wegen ihres Charakters als (wildes) Camp als einheitliche Anlage in Erscheinung. Ein solches inmitten landwirtschaftlich genutzter Felder gelegenes Camp setzt eine förmliche Planung voraus, weil die ortsfeste Aufstellung der Anlagen eine Nutzung des Grundstücks durch die Mitglieder der Protestbewegung ermöglicht, die gesteigerte Anforderungen an die Gestaltung der in der näheren Umgebung befindlichen Wege und Straßen, die in erster Linie für den landwirtschaftlichen Verkehr ausgebaut sind, und an die Erschließungsanlagen (Wasser und Abwasser) stellt. Dies sind Belange, die grundsätzlich einer planerischen Steuerung bedürfen.

Die Zulässigkeit des Vorhabens kann damit im Ergebnis nicht auf § 35 BauGB gestützt werden, da es einer formelle Planung bedurft hätte.

  • dd) Zwischenergebnis: Protestcamp formell und materiell illegal

c) Rechtsfolgenseite
Auf Rechtsfolgenseite sind nun verschiedene Gesichtspunkte zu erörtern. Die Erwägungen müssen in einer Klausur in eine sinnvolle (vertretbare) Reihenfolge gebracht werden. Da § 61 Abs. 1 Satz 2 BauO NRW der Behörde Ermessen einräumt („Sie haben in Wahrnehmung dieser Aufgaben nach pflichtgemäßem Ermessen die erforderlichen Maßnahmen zu treffen“) und sich die Begründetheit des Antrags nach den Erfolgsaussichten der Hauptsache richtet (s.o.), empfiehlt es sich, zunächst – wie gewohnt – die ordnungsgemäße Ermessensbetätigung im Hinblick auf Maßnahme und Störer überprüfen (vgl. dazu § 114 VwGO) und dann auf eine mögliche Beeinträchtigung von Grundrechten einzugehen.
aa) Auswahlermessen: hohe Anforderungen an Beseitigungsanordnung im Eilrechtsschutz
Eine bauaufsichtsrechtliche (auf die Generalklausel des § 61 Abs. 1 Satz 2 BauO NRW gestützte) Verfügung, mit der die Beseitigung baulicher Anlagen (im Gegensatz zur Untersagung ihrer Nutzung oder einer Baueinstellung) angeordnet wird, setzt wegen der besonders hohen Eingriffsintensität jedenfalls die formelle und materielle Ilegalität der Anlagen voraus. Selbst wenn das Vorhaben formell und materiell illegal ist, bedarf es stets der Prüfung, ob nicht auf andere Weise (durch weniger einschneidende Maßnahmen) rechtmäßige Zustände hergestellt werden können. Hier ist nun zu erkennen, dass die Rechtmäßigkeit einer Beseitigungsanordnung im Eilrechtsschutz höheren Anforderungen unterliegt und regelmäßig zu verneinen ist.

Der Antragsgegner konnte die angefochtene Verfügung auch in rechtlich zulässiger Weise auf die formelle und materielle Illegalität der Vorhaben stützen, soweit hierdurch das Entfernen der baulichen Anlagen vom Grundstück des Antragstellers gefordert wird. Das öffentliche Interesse an der sofortigen Vollziehung einer bauaufsichtlichen Beseitigungsverfügung ist, worauf der Antragsteller zu Recht hinweist, zwar regelmäßig zu verneinen, weil der – nur durch ein Eilverfahren bestätigte – Abbruch von baulichen Anlagen die Hauptsache in unangemessener Weise vorwegnehmen kann.
Formell und materiell illegalen Baumaßnahmen ist daher regelmäßig durch Stilllegung der Baumaßnahmen oder Untersagung der Nutzungsaufnahme zu begegnen. Mit der Anordnung dieser Maßnahmen wird dem Zweck der Genehmigungspflicht – das Bauvorhaben soll (vor seiner Ausführung) auf seine Zulässigkeit geprüft werden – in aller Regel hinreichend Rechnung getragen. Auch kann der Vorteil, den der ohne die erforderliche Baugenehmigung Bauende gegenüber dem gesetzestreuen Bürger dadurch erlangt, dass er eine nicht zugelassene Baumaßnahme bzw. Nutzung schon vor der Erteilung der Baugenehmigung verwirklicht, durch die Stilllegung oder Nutzungsuntersagung weitgehend aufgehoben werden.

Gemessen an diesen Kriterien unterliegt die Rechtmäßigkeit der Beseitigungsanordnung zunächst erheblichen Bedenken. Etwas anderes kann aber gelten

in Ausnahmefällen, wenn beispielsweise die Beseitigung den ohne die erforderliche Baugenehmigung Bauenden nicht wesentlich härter trifft als ein Nutzungsverbot oder – wie bei Werbeanlagen – das Nutzungsverbot einer Beseitigung gleichkommt, darf die Behörde die sofortige Entfernung des Baukörpers allein wegen formeller und materielle Illegalität verlangen. In jedem Fall muss die Beseitigung der baulichen Anlage ohne erheblichen Substanzverlust und andere – absolut und im Wert zur baulichen Anlage gesehen – hohe Kosten für Entfernung und Lagerung möglich sein.

Nach Ansicht des Verwaltungsgerichts liegt hier ein solcher Ausnahmefall vor, denn

Die Beseitigung der streitgegenständlichen baulichen Anlagen ist ganz offensichtlich ohne (größeren) Substanzverlust und wesentliche wirtschaftliche Aufwendungen möglich. Die Zelte und Vorbauten können abgebaut, zusammengelegt, in den verschiedenen Fahrzeugen verstaut und gemeinsam mit den Fahrzeugen vom Grundstück entfernt werden. Die Hütte, die aus Holzresten behelfsmäßig gezimmert wurde, und die Kriechbude, die aus in den Boden eingegrabenen Holzplatten und hierauf befestigten Folienabdeckungen besteht, können auseinandergenommen und die Bauteile später einer erneuten Verwendung zugeführt werden. Ein nennenswerter Substanzverlust tritt daher nicht ein.
Die Beseitigung der baulichen Anlagen trifft den Antragsteller bei objektiver Betrachtung auch nicht härter als ein Nutzungsverbot. Denn ein solches hätte ebenfalls zur Folge, dass aus Sicherheitsgründen zumindest die Zelte, zeltartigen Konstruktionen und Vorbauten abgebaut und ebenso wie die Fahrzeuge entfernt werden müssten, da diese ansonsten der Gefahr einer Beschädigung durch Witterungseinflüsse ausgesetzt und/oder dem Zugriff Dritter schutzlos preisgegeben wären.
Darüber hinaus könnte eine Nutzungsuntersagung wegen der Lage der Bauvorhaben im Außenbereich aber auch nicht wirksam überwacht werden, so dass allein die Beseitigung der streitgegenständlichen baulichen Anlagen für eine Wiederherstellung baurechtmäßiger Zustände in Betracht kommt.

bb) Störerauswahlermessen: Grundstückseigentümer als Störer
Im Hinblick auf die Störerauswahl gilt es zu erkennen, dass grundsätzlich auch eine Inanspruchnahme der einzelnen Camp-Insassen (als Verhaltensstörer) in Betracht gekommen wäre. Allerdings lag es unter dem Gesichtspunkt der Effektivität der Gefahrenabwehr nahe, den Eigentümer des Grundstücks in Anspruch zu nehmen:

Zwar wäre auch in Betracht gekommen, den jeweiligen Inhaber der baurechtlich illegal aufgestellten und genutzten Anlagen in den Grenzen seiner jeweiligen Verhaltensverantwortlichkeit (§ 17 Abs. 1 des Gesetzes über den Aufbau und Befugnisse der Ordnungsbehörden) einzeln heranzuziehen. Eine Verpflichtung, das Auswahlermessen in der letztgenannten Weise auszuüben, bestand für den Antragsgegner jedoch nicht. Denn es gibt kein generelles Rangverhältnis zwischen der Inanspruchnahme des Verhaltens- und des Zustandsstörers; die Entschließung, wer als Pflichtiger heranzuziehen ist, ist vielmehr an den Umständen des Einzelfalles, dem Grundsatz der Verhältnismäßigkeit und auch dem Gebot effektiver und schneller Gefahrenabwehr auszurichten.
Ausgehend hiervon erweist sich die Entscheidung des Antragsgegners, den Antragsteller als Störer heranzuziehen, als ermessensgerecht. Sie beruht im Kern auf der Erwägung, dass die Bewohner der baulichen Anlagen häufig wechseln und daher nur schwer zu ermitteln sind, und berücksichtigt ergänzend, dass der Antragsteller über das bloße Zurverfügungstellen des Grundstücks hinaus durch eigenes Handeln – nämlich die aktive Unterstützung der Bewohner des Camps – die baurechtlich illegalen Anlagen in ihrem (Fort-)Bestand erhält. Diese Überlegungen sind nicht zu beanstanden. Die Inanspruchnahme des Antragstellers entspricht vielmehr dem Ziel effektiven Verwaltungshandelns, weil derzeit weder die einzelnen Nutzer noch deren Namen und Anschriften bekannt sind und ein Vorgehen gegen diese Personen mit erheblichen Aufwand verbunden wäre, den zu treiben der Antragsgegner nicht verpflichtet ist.

cc) Ermessensüberschreitung – Beeinträchtigung von Grundrechten
Ein Ermessensfehler (in Form der Ermessensüberschreitung) kann auch in einer Verletzung von Grundrechten liegen. Das Verwaltungsgericht prüft im vorliegenden Fall, ob die Beseitigungsanordnung in den Schutzbereich des Art. 8 GG eingreift. Dann müsste da Protestcamp eine Versammlung im Sinne des Art. 8 Abs. 1 GG sein. Dies verneint das Verwaltungsgericht wegen des fehlenden funktionalen Zusamenhangs zwischen der Camp-Infrastruktur und dem Versammlungszweck:

Geschützt ist zwar der gesamte Vorgang des Sichversammelns, wozu auch der Zugang und die Abreise zu einer bevorstehenden oder sich bildenden Versammlung gehört. Ebenso wenig wie es für die Eröffnung des Schutzbereich des Art. 8 GG ausreicht, dass die Teilnehmer einer Veranstaltung durch einen beliebigen Zweck miteinander verbunden sind, kann auch nicht jede Begleiterscheinung einer Versammlung oder eine für deren Durchführung begehrte Infrastruktur (Zelte, Sitzgelegenheiten, Ver- und Entsorgungseinrichtungen etc.) dem Schutzbereich des Art. 8 GG unterfallen. Dies ist vielmehr nur dann anzunehmen, wenn die jeweils in Rede stehenden Gegenstände und Hilfsmittel zur Verwirklichung des Versammlungszwecks funktional und symbolisch für die kollektive Meinungskundgebung wesensnotwendig sind, denn der Versammlungsbegriff bzw. dessen Schutzbereich ist nicht weiter auszudehnen, als dies zur Schutzgewährung nach Art. 8 GG erforderlich ist. (…) Solange das Camp primär als Basislager zur Organisation des Widerstands dient, der u.a. die Mobilisierung der örtlichen Bevölkerung zum Ziel hat, ist der gemeinsame Zweck nicht auf die unmittelbare Teilnahme an einer der Meinungsäußerung und Meinungsbildung dienenden Veranstaltung gerichtet. Seine Errichtung hat vielmehr die Schaffung derjenigen „Infrastruktur“ zum Ziel, die für die Erhaltung der Protestorganisation erforderlich ist. Eine feste „Infrastruktur“ fällt aber gerade nicht unter den Schutz des Grundrechts

Die Beseitigungsanordnung ist damit auch unter Ermessensgesichtpunkten nicht zu beanstanden und stellt sich damit im Ergebnis als offensichtlich rechtmäßig dar.
3. Besonderes Vollzugsinteresse
Hat der Rechtsbehelf in der Hauptsache keine Aussicht auf Erfolg, weil der Verwaltungsakt offensichtlich rechtmäßig ist, bedarf es zur Rechtmäßigkeit der Anordnung der sofortigen Vollziehung wegen des in § 80 Abs. 1 VwGO (Regelfall: aufschiebende Wirkung) zum Ausdruck kommenden Regel-/Ausnahme Verhältnis eines besonderen öffentlichen Vollzugsinteresses. Hier ist stets eine Würdigung der Umstände des Einzelfalls angezeigt:

Für die hier gewählte Beseitigungsanordnung spricht zudem, dass aufgrund des bisherigen Verhaltens des Antragstellers, der eine Ausweitung des Camps in der Vergangenheit nicht nur hingenommen, sondern bewusst gefördert hat, Anhaltspunkte dafür bestehen, dass weitere ungenehmigte Baumaßnahmen zu befürchten sind. Auch insoweit ist die Anordnung der sofortigen Vollziehung gerechtfertigt, da nur so einer weiteren Verfestigung und Entstehung baurechtswidriger Zustände auf dem Grundstück des Antragstellers wirksam entgegengewirkt werden kann.
Letztlich geht von dem Protestcamp auch eine Vorbildwirkung aus, obwohl dieses im Außenbereich gelegen und nach den Angaben des Antragstellers nicht ohne Weiteres einsehbar ist. Denn es ist nicht auszuschließen, dass sich andere Gegner des Tagebaus Hambach durch das pressewirksame Camp ermutigt sehen, in der näheren Umgebung in gleicher Weise illegale bauliche Anlagen zu errichten.

III. Ergebnis

 Der Antrag des Grundstückseigentümers auf Wiederherstellung der aufschiebenden Wirkung seiner Anfechtungsklage gegen die Beseitigungsanordnung des Kreises Düren hat keine Aussicht auf Erfolg.
IV. Fazit
Die Entscheidung ließe sich unverändert als Examensklausur stellen. Sie enthälten eine ganze Reihe verwaltungsrechtlicher Problemstellungen, sowohl aus dem allgemeinen (Heilung einer unterlassenen Anhörung im gerichtlichen Verfahren, Störerauswahl, Ermessensprüfung), als auch aus dem besonderen (Begriff der baulichen Anlage, Voraussetzungen einer Beseitigungsanordnung, bauplanungsrechtliche Zulässigkeit nach § 35 BauGB) Verwaltungsrecht. In einer Klausur würden vermutlich einzelnen Erwägungen des Gerichts auch bereits im Sachverhalt angedeutet werden. Die zugrundeliegende Thematik (Tagebau Hambach) ist zudem äußerst öffentlichkeitswirksam und eignen sich deshalb ausgezeichnet für ein mündliches Prüfungsgespräch.
Abschließend sei noch einmal auf unseren Grundlagenbeitrag zu § 80 Abs. 5 VwGO verwiesen.
 
 
 

22.07.2013/2 Kommentare/von Dr. Jan Winzen
https://www.juraexamen.info/wp-content/uploads/2022/05/je_logo.svg 0 0 Dr. Jan Winzen https://www.juraexamen.info/wp-content/uploads/2022/05/je_logo.svg Dr. Jan Winzen2013-07-22 13:00:462013-07-22 13:00:46VG Aachen: Protestcamp Tagebau Hambach muss geräumt werden

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