Wir freuen uns heute einen Gastbeitrag von Maximilian Roser veröffentlichen zu können. Nach Studium und erstem Examen in Freiburg hat er im April diesen Jahres das zweite Examen in Baden-Württemberg abgeschlossen und bereitet sich derzeit auf seine Promotion vor. Der Autor befasst sich in seinem Artikel anhand allgemeiner Grundsätze mit einer spannenden deliktsrechtlichen Haftungsfrage.
Am Montag (09.05.2016) verurteilte das Landgericht München I als Berufungsgericht einen Mann zu einer Geldstrafe wegen Körperverletzung am Schauspieler Heino Ferch. Der Vorfall aus dem Jahre 2014, bei dem nach der Überzeugung des Gerichts der Angeklagte den Schauspieler in einem Münchner Club mit der Faust ins Gesicht schlug, ist damit strafrechtlich erledigt.
Zivilrechtlich hingegen gibt es noch offene Fragen und zwar weniger im Hinblick auf den unmittelbar geschädigten Schauspieler als vielmehr auf eine mit diesem zusammenarbeitende Produktionsfirma. Heino Ferch konnte aufgrund der Verletzung einen bereits geplanten Drehtermin bei dieser Firma nicht wahrnehmen. Die Online-Ausgabe der Süddeutschen Zeitung schreibt dazu in einem Bericht über das Strafverfahren:
„Der Produktionsfirma entstand dadurch ein Schaden in Höhe von rund 300.000 Euro, für den eine Versicherung aufkommen musste. Die Versicherung will sich das Geld nun bei Steve R. zurückholen.“
(Quelle: https://www.sueddeutsche.de/muenchen/prozess-fussballer-nach-schlaegerei-mit-heino-ferch-zu-geldstrafe-verurteilt-1.2986320)
Geht das?
Diese aktuelle Thematik gibt Anlass dazu das Recht am eingerichteten und ausgeübten Gewerbebetrieb zu untersuchen und den vorliegenden Fall anhand der Rechtsprechung des BGH zu beurteilen.
I. Problem
Es handelt sich hierbei um den Problemkreis des mittelbar Geschädigten: Der mittelbar Geschädigte erleidet durch die unmittelbare Schädigung eines Dritten einen Vermögensschaden. Häufiger Fall ist, wie auch hier, dass der Dritte als Leistungserbringer ausfällt. Fraglich ist, ob auch dem mittelbar Geschädigten Ansprüche zustehen.
II. Grundsätze
Das deutsche Deliktsrecht ist von bestimmten Grundstrukturen geprägt (vgl. Nomos Handkommentar BGB Vor §§ 823-853). Dazu gehören:
- Es gibt keine große deliktische Generalklausel (wie im französischen Recht), sondern drei kleine Generalklauseln: § 823 I BGB, § 823 II BGB, § 826 BGB
- Primäre Vermögensschäden fallen nicht unter § 823 I BGB
- Dem nur mittelbar Geschädigten steht im Regelfall kein Anspruch aus unerlaubter Handlung zu
Die letzten beiden Aspekte sollen eine grenzenlose Ausuferung der deliktischen Haftung vermeiden. Die Nichterstattung mittelbarer Schäden ergibt sich zudem systematisch aus einem Umkehrschluss zu §§ 844, 845 BGB, die nur für Ausnahmefälle Ansprüche mittelbar Geschädigter vorsehen.
III. Lösungsansatz: Recht am eingerichteten und ausgeübten Gewerbebetrieb
Eine Lösung von Fällen mittelbarer Schädigung kann darin bestehen, dass, untechnisch gesprochen, aus mittelbar Geschädigten unmittelbar Geschädigte „werden“. Möglich ist dies über eine Verletzung des Rechts am eingerichteten und ausgeübten Gewerbebetriebs als von der Rechtsprechung entwickeltes „sonstiges Recht“ iSd § 823 I BGB. In den Schutzbereich dieses Rechts fällt alles, „was in seiner Gesamtheit den Betrieb zur Entfaltung und Betätigung in der Wirtschaft befähigt und damit den wirtschaftlichen Wert des Betriebs als bestehender Einheit ausmacht“ (Palandt – Sprau, § 823).
Um eine uferlose Haftung für Vermögensschäden Gewerbetreibender über diesen Auffangtatbestand zu vermeiden, gibt es eine wesentliche Einschränkung: nur ein betriebsbezogener Eingriff kann eine Rechtsgutverletzung begründen. Im „Stromkabel-Fall“ führt der Bundesgerichtshof dazu aus (BGHZ 29, 65):
„Unmittelbare Eingriffe in das Recht am bestehenden Gewerbebetrieb, gegen welche § 823 I BGB Schutz gewährt, sind nur diejenigen, die irgendwie gegen den Betrieb als solchen gerichtet, also betriebsbezogen sind, und nicht vom Gewerbebetrieb ohne Weiteres ablösbare Rechte oder Rechtsgüter betreffen.“
In einem weiteren Fall hatte der Bundesgerichtshof darüber zu entscheiden, ob eine Eiskunstläuferin Schadensersatz vom Schädiger ihres Sportpartners verlangen kann, u.a. aufgrund des Ausfalls von Wettkämpfen. Der BGH verneint klar und anschaulich einen betriebsbezogenen Eingriff (Beschluss vom 10.12.2002 – VI ZR 171/02 – ):
„Von einem derart abgegrenzten Eingriff kann nach der Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs keine Rede sein, wenn es zu Störungen im Betriebsablauf aufgrund eines schädigenden Ereignisses kommt, das in keinerlei Beziehung zu dem Betrieb steht, mag dadurch auch eine für das Funktionieren des Betriebs maßgebliche Person oder Sache betroffen sein. Insbesondere die Schädigung einer zum Betrieb gehörenden Person stellt danach keinen betriebsbezogenen Eingriff dar […] Wer durch verkehrswidriges Verhalten einen Verkehrsunfall verursacht, kann dabei sowohl eine beliebige Privatperson als auch einen wichtigen Mitarbeiter eines Betriebes verletzen. Die Verletzungshandlung kann jedermann treffen. Der Schädiger verletzt daher keine Verhaltenspflichten, die ihm gerade im Hinblick auf das besondere Schutzbedürfnis eines Gewerbebetriebs obliegen.“
Unterstützend führt der BGH dabei aus, dass es nicht gerechtfertigt sei über das Institut des eingerichteten und ausgeübten Gewerbebetriebs ein „Sonderrecht“ für Gewerbetreibende zu schaffen und andere mittelbar Geschädigte vom Schadenersatz auszunehmen.
IV. Subsumtion
Insbesondere im Lichte des Falles der Eiskunstläuferin dürfte hier ein Anspruch der Produktionsfirma am fehlenden betriebsbezogenen Eingriff scheitern. Die Körperverletzung in einem Nachtclub in München hätte grundsätzlich jedermann treffen können, sie weist keinen spezifischen Bezug zur schauspielerischen Tätigkeit und der Produktionsfirma auf. Der Umstand allein, dass es sich um eine vorsätzliche Schädigung des bekannten Schauspielers handelt, genügt nicht für die Betriebsbezogenheit. Das subjektive Element des Vorsatzes bezieht sich zunächst nur auf die Rechtsgutsverletzung des unmittelbar Geschädigten und kann daher nicht allein aufgrund von Billigkeit einen betriebsbezogenen Eingriff begründen. Der Schauspieler hätte zudem auch ein Vertragsverhältnis zu einer anderen Produktionsfirma haben können. Denkbar wäre ein betriebsbezogener Eingriff etwa bei folgendem hypothetischen Fall: Der Täter schlägt den Schauspieler auf dem Weg zu den Dreharbeiten nieder, um zu verhindern, dass der Schauspieler gerade für die vom Täter verhasste Produktionsfirma arbeitet.
Eine Körperverletzung, die sich zur Zeit des Oktoberfestes bei einem zufälligen Aufeinandertreffen in einem Nachtclub zuträgt, ist damit nicht vergleichbar.
V. Fazit
Unter dem Gesichtspunkt einer Verletzung des eingerichteten und ausgeübten Gewerbebetriebs scheidet somit ein Schadensersatzanspruch der Produktionsfirma aus.
Eine Lösung über die Drittschadensliquidation scheitert bereits daran, dass der Schauspieler selbst einen Schaden erlitten hat und zudem keine der anerkannten Fallgruppen einschlägig ist.
Die Thematik ist aufgrund ihrer hohen praktischen Relevanz und der erforderlichen Einzelfallprüfung am konkreten Sachverhalt immer wieder Gegenstand im Examen.