Mit Urteil vom 22.2.2018 – VII ZR 46/17 hat der BGH eine äußerst examensrelevante, wesentliche Neuerung zur Schadensberechnung im Werkvertragsrecht eingeleitet. Die Entscheidung betrifft die bisherige Rechtsprechung zur Schadensermittlung nach den fiktiven Mängelbeseitigungskosten, welche das Gericht nunmehr aufgegeben hat. Gleichzeitig stellt der BGH neue Grundsätze zur Bestimmung der Schadenshöhe auf. Da der Werkvertrag sowohl im Studium als auch im Examen einer der prüfungsrelevantesten Vertragstypen ist, muss der nachfolgenden Entscheidung ein besonderes Augenmerk gewidmet werden:
I. Der zugrundeliegende Sachverhalt (vereinfacht)
A ließ seit 2003 ein viergeschossiges Einfamilienhaus in der Stadt D errichten. Mit Vertrag vom 24. Juli 2002 beauftragte A den B mit der Planung von Freianlagen und der Überwachung seiner Herstellung. Mit einem weiteren, am 16. April 2004 geschlossenen Vertrag beauftragte A den B unter Einbeziehung der „Vergabe- und Vertragsordnung für Bauleistungen – Teil B: Allgemeine Vertragsbedingungen für die Ausführung von Bauleistungen“ (VOB/B) mit der Ausführung von Naturstein-, Fliesen- und Abdichtungsarbeiten im Innen- und Außenbereich des Objekts. B ließ daraufhin Natursteinplatten verlegen. A nahm die Arbeiten des B im Jahr 2005 ab und erstellte eine Schlussrechnung.
Im Jahr 2007 zeigten sich erste Mängel der Natursteinarbeiten, die sich in der Folgezeit verstärkten. Es kam unter anderem zu Rissen und Ablösungen der Platten, zu Kalk- und Salzausspülungen, Farb- und Putzabplatzungen sowie zu starken Durchfeuchtungen des Putzes. Im August des Folgejahres verkauft A das – mittlerweile fertiggestellte – Objekt. A verzichtet auf die Beseitigung der entstandenen Mängel, verlangt allerdings von B Ersatz der fiktiven Mängelbeseitigungskosten i.H.v. 80.000 €.
II. Bislang: Schadensberechnung nach den fiktiven Mängelbeseitigungskosten
Nach der bisherigen Rechtsprechung des BGH standen dem geschädigten Besteller verschiedene Möglichkeiten zur Schadensermittlung im Rahmen des „kleinen Schadensersatzes“ zu. Wie auch weiterhin hat der Besteller bei Veräußerung der Sache die Möglichkeit, den Schaden nach einem den konkreten Mindererlös übersteigenden Minderwert zu bemessen – er muss dann nachweisen, dass der erzielte Kaufpreis den tatsächlichen Wert der Sache übersteigt (hierzu bereits BGH Urteil v. 14. Januar 2016 – VII ZR 271/14, BauR 2016, 852 Rn. 25). Daneben ließ die Rechtsprechung jedoch auch eine Berechnung anhand der fiktiven Mängelbeseitigungskosten zu. Der Anspruch richtete sich dabei auf das, was der Besteller bei tatsächlicher Vornahme der Mängelbeseitigung an Kosten aufgewandt hätte. Ob er den Geldbetrag wirklich für die Beseitigung des Mangels verwendet oder überhaupt eine Mangelbeseitigung stattfindet, war insofern unerheblich (vgl. hierzu auch MüKo/Busche, 7. Auflage 2018, § 634 BGB Rn. 45). Diese Wertung stützte sich im Wesentlich darauf, dass der BGH bereits den Mangel selbst als Schaden qualifizierte (s. BGH Urteil v. 28. Juni 2007 – VII ZR 8/06, BauR 2007, 1567 (1568).
III. Aufgabe der bisherigen Rechtsprechung / Fokus auf mangelbedingten Minderwert
1.Keine Bemessung nach fiktiven Mängelbeseitigungskosten
Die Möglichkeit zur Schadensberechnung nach den fiktiven Mängelbeseitigungskosten gibt das Gericht nunmehr ausdrücklich auf. Den Ausgangspunkt hierfür bildet die Feststellung, dass der Besteller, der keine Aufwendungen zur Beseitigung des Mangels tatsächlich tätigt, keinen Vermögensschaden in Form und Höhe der hypothetischen Aufwendungen erleidet. Ein Schaden in entsprechender Höhe tritt erst dann ein, wenn der Bestellter den Mangel beseitigten lässt und die hierfür notwendigen Kosten entrichtet. Auch in der Literatur wurde dieser Kritikpunkt in der Vergangenheit vorgebracht (vgl. nur Halfmeier, BauR 2013, 320 (322 f.).
Ein weiterer wesentlicher Gedanke richtet sich auf die Identifizierung des Vermögensschadens und dessen Verhältnis zum Mangel: Letzterer bedeutet zunächst einmal nur, dass das errichtete Werk hinter dem geschuldeten zurückbleibt, mithin ein Leistungsdefizit besteht. Mit Blick auf die dadurch eintretende Störung des werkvertraglichen Äquivalenzverhältnisses mag der Mangel zwar bereits einen Vermögensschaden begründen – allerdings ist damit noch nichts über dessen Höhe gesagt. Zu berücksichtigen ist in diesem Zusammenhang auch und insbesondere das schadensrechtliche Bereicherungsverbot: Da die Höhe der fiktiven Mängelbeseitigungskosten naturgemäß nicht mit letzter Sicherheit bestimmt werden kann, besteht die Gefahr, dass die angesetzte Schadenshöhe über den Zweck der Wiederherstellung des Äquivalenzverhältnisses „hinausschießt“. Im Ergebnis bestünde erneut ein werkvertragliches Gefälle, dann jedoch zu Lasten des Unternehmers. Der BGH führt aus:
„Eine Schadensbemessung nach fiktiven Mängelbeseitigungskosten bildet das Leistungsdefizit im Werkvertragsrecht – insbesondere im Baurecht – auch bei wertender Betrachtung nicht zutreffend ab. Vielmehr führt sie häufig zu einer Überkompensation und damit einer nach allgemeinen schadensrechtlichen Grundsätzen (vgl. Lange/Schiemann, Schadensersatz, 3. Aufl., S. 9 f.) nicht gerechtfertigten Bereicherung des Bestellers. Denn der (fiktive) Aufwand einer Mängelbeseitigung hängt von verschiedenen Umständen ab, zum Beispiel von der Art des Werks, dem Weg der Mängelbeseitigung, dem Erfordernis der Einbeziehung anderer Gewerke in die Mängelbeseitigung, und kann die vereinbarte Vergütung, mit der die Parteien das mangelfreie Werk bewertet haben, (nicht nur in Ausnahmefällen) deutlich übersteigen. Er ist daher nicht geeignet, ein beim Besteller ohne Mängelbeseitigung verbleibendes Leistungsdefizit und die hierdurch eingetretene Äquivalenzstörung der Höhe nach zu bestimmen.“
Damit wird deutlich, dass der BGH die rechtstatsächliche Unzulänglichkeit dieser Berechnungsmethode vor allem in der Gefahr einer Überkompensation des Bestellers zu Lasten des Unternehmers sieht. Durch die Abkehr vom Konstrukt der fiktiven Mängelbeseitigungskosten bezweckt die Rechtsprechung letztlich eine Annäherung an das primäre Leistungsinteresse des Bestellers. Mit Blick auf die Konzeption des § 634 BGB ist dies auch systemgerecht, da die Höhe des Ausgleichs nach dem, was zur Mängelbeseitigung tatsächlich verwendet wird, bemessen werden muss.
2. Vielmehr: Schadensberechnung anhand des mangelbedingten Minderwerts
Wie also soll der Schaden nunmehr ermittelt werden? Der Senat entwickelt die Antwort hierauf aus dem Recht des Bestellers zur Minderung: Nach §§ 634 Nr. 3, 638 Abs. 1 BGB kann der Besteller – statt zurückzutreten – die Vergütung mindern. § 638 Abs. 3 S. 1 BGB ordnet an, dass die Vergütung in dem Verhältnis herabzusetzen ist, in welchem zur Zeit des Vertragsschlusses der Wert des Werkes in mangelfreiem Zustand zu dem wirklichen Wert gestanden haben würde. Der mangelbedingte Minderwert ist freilich nicht mit den fiktiven Mängelbeseitigungskosten identisch. Der BGH stellt deshalb ausdrücklich fest, dass der
„mangelbedingte Minderwert des Werks danach ausgehend von der Vergütung als Maximalwert nach § 287 ZPO unter Berücksichtigung der Umstände des Einzelfalls zu schätzen [ist]. Im Rahmen dieser – sich an § 634 Nr. 3, § 638 BGB anlehnenden – Schadensbemessung können die fiktiven Mängelbeseitigungskosten nicht als Maßstab herangezogen werden. Soweit dem Urteil des Senats vom 24. Februar 1972 (BGHZ 58, 181) entnommen werden kann, dass die Berechnung einer Minderung regelmäßig durch den Abzug fiktiver Mängelbeseitigungskosten erfolgen könne, hält der Senat auch hieran […] nicht fest. Dagegen kommt beispielsweise eine Schadensbemessung anhand der Vergütungsanteile in Betracht, die auf die mangelhafte Leistung entfallen (vgl. z.B. BGH, Urteil vom 9. Januar 2003 – VII ZR 181/00, BGHZ 153, 279 für die Ausführung mit minderwertigem Material). Ergeben sich die Vergütungsanteile nicht aus dem Vertrag, sind sie zu schätzen (vgl. zum Reisevertragsrecht BGH, Urteil vom 21. November 2017 – XZR 111/16 Rn. 10; zu optischen Fehlern z.B. OLG Düsseldorf, NJW-RR 1994, 341; zu möglichen Schätzmethoden ferner Messerschmidt/Voit/Moufang/Koos, Privates Baurecht, 2. Aufl., § 638 BGB Rn. 24; Kapellmann/Messerschmidt/Langen, VOB Teile A und B, 6. Aufl., § 13 VOB/B Rn. 386; Genius in jurisPK-BGB, 8. Aufl., § 638 Rn. 18 a.E., 20; Staudinger/Peters/Jacoby, 2014, BGB, § 634 Rn. 113-115, jeweils m.w.N.).“
Auch mit Blick auf die Schadensermittlung bei tatsächlicher Vornahme der Mängelbeseitigung schließt sich der BGH nunmehr den herrschenden Stimmen in der Literatur an. Entscheidet sich der Besteller dafür, den Mangel selbst zu beseitigen, beschränkt sich seine Rechtsposition nicht auf den Erstattungsanspruch aus §§ 634 Nr. 2, 637 Abs. 1 BGB. Vielmehr kann er die angefallenen Kosten auch als Schaden nach § 634 Nr. 4 i.V.m. §§ 280, 281 BGB ersetzt verlangen (so auch Messerschmidt/Voit/Drossart, Privates Baurecht, 2. Auflage, § 634 BGB Rn. 87 m.w.N.). Dass die Aufwendungen vom Besteller freiwillig getätigt wurden, sei insofern unerheblich, da er sich hierzu vom Unternehmer, der die Nachbesserung verweigert, „herausgefordert fühlen [durfte]“. Der BGH stellt damit im Ergebnis sicher, dass der Besteller nicht auf einen geringeren Minderwert beschränkt wird.
IV. Kurze Summa und Ausblick
Die Praxis hat gezeigt, dass im Werkvertragsrecht die Gefahr einer (erheblichen) Überkompensation des geschädigten Bestellers häufig größer ist als im Kaufrecht. Der BGH reagiert nun hierauf und nimmt von einer Schadensberechnung anhand fiktiver Mängelbeseitigungskosten Abstand. In der Folge rückt das werkvertragliche Schadensrecht näher an das ursprüngliche Leistungs- und Äquivalenzinteresse des Bestellers. Gleichzeitig verringert sich das Risiko schadensrechtlicher Bereicherung. Ob sich Besteller künftig vermehrt für eine tatsächliche Mängelbeseitigung entscheiden, bleibt abzuwarten. Fest steht, dass auch eine Schadensschätzung anhand des mangelbedingten Minderwerts mit beiderseitigen Verlustrisiken behaftet ist. In der juristischen Klausur kann punkten, wer die ratio der Rechtsprechungsänderung nachvollzieht und den Unterschied zwischen alter und neuer Schadensberechnungsmethode verdeutlicht.
Schlagwortarchiv für: Fiktive Schadensberechnung
Der Bundesgerichtshof hatte in einem Urteil vom 23. November 2010 (VI ZR 35/10) wieder einmal über einen Streit bezüglich des Schadens nach einem Verkehrsunfall zu entscheiden.
Sachverhalt (umformuliert und vereinfacht)
Der Unfallgeschädigte A macht gegen den Beklagten B Schadensersatz aus einem Verkehrsunfall vom 25. Mai 2008 geltend, bei dem das Kraftfahrzeug des Klägers beschädigt wurde. Die volle Haftung des B ist dem Grunde nach unstreitig. Nach einem von A eingeholten Sachverständigengutachten belief sich der Wiederbeschaffungswert des Fahrzeugs auf 39. 000 € brutto (32. 733, 10 € netto), der Restwert auf 18. 000 € und die geschätzten Reparaturkosten auf 23. 549, 54 € brutto (19. 789, 35 € netto). A reparierte das Fahrzeug danach in Eigenregie und veräußerte dann das Fahrzeug am 15. Oktober 2008 zu einem Preis von 32.000 Euro. A verlangt nun von B die fiktive Regulierung in Höhe der vom Sachverständigen geschätzten Reparaturkosten. B hält dem entgegen, dass der A den Wagen noch vor Ablauf der 6-Monats-Frist veräußert habe. Deshalb könne A von ihm nicht die fiktiven Reparaturkosten verlangen. A hält dem entgegen, dass die geschätzten Reparaturkosten von 19,789,35 Euro noch unter dem Wiederbeschaffungsaufwand von 21.000 Euro liege und er deshalb sehr wohl die Reparaturkosten in dieser Höhe geltend machen könne.
B macht außerdem geltend, dass der Restwert nicht bei 18.000 Euro, sondern bei 22.890 € liege. Den Restwert habe er aufgrund des Restwertangebots aus einer Internet-Restwertbörse ermittelt, an das der A bis zum 31. Juli 2008 gebunden war. Somit liege der Wiederbeschaffungsaufwand für das Fahrzeug deutlich niedriger.
1. Kann A Reparaturkosten in Höhe von 23.549,10 € brutto (19.789,35 € netto) verlangen?
2. Kann B den Restwert von 22.890 € bei der Berechnung des Wiederbeschaffungsaufwands zugrunde legen?
Lösung
Aufgabe 1:
Nach ständiger Rechtsprechung des erkennenden Senats kann ein Unfallgeschädigter fiktiv die vom Sachverständigen geschätzten (über dem Wiederbeschaffungsaufwand liegenden) Reparaturkosten bis zur Höhe des Wiederbeschaffungswerts in der Regel nur abrechnen, wenn er das Fahrzeug mindestens sechs Monate weiter nutzt und es zu diesem Zweck – falls erforderlich – verkehrssicher (teil-) reparieren lässt (vgl. Senatsurteile vom 29. April 2003 – VI ZR 393/ 02, BGHZ 154, 395 ff.; vom 23. Mai 2006 – VI ZR 192/ 05, BGHZ 168, 43 ff. und vom 29. April 2008 – VI ZR 220/ 07, VersR 2008, 839).
Im Streitfall sind die Voraussetzungen für eine fiktive Schadensabrechnung nicht erfüllt, da der Kläger laut Sachverhalt das unfallgeschädigte Fahrzeug bereits vor Ablauf der Sechs-Monats-Frist (hier noch nicht einmal fünf ganze Monate) weiterverkauft hat.
Vorliegend sind auch keine Anhaltspunkte ersichtlich, die ausnahmsweise eine Unterschreitung der Sechs-Monats-Frist rechtfertigen könnten.
Zwar kann der Geschädigte, der sein Fahrzeug tatsächlich reparieren lässt, grundsätzlich auch vor Ablauf der Sechs-Monats-Frist die Erstattung der konkret angefallenen Reparaturkosten verlangen, wenn diese den Wiederbeschaffungswert nicht übersteigen (Senatsurteil vom 5. Dezember 2006 – VI ZR 77/ 06, VersR 2007, 372). Vorliegend begehrt A jedoch nicht die Erstattung der konkreten Kosten der tatsächlich durchgeführten Reparatur, sondern er will seinen Schaden fiktiv auf der Basis der vom Sachverständigen geschätzten Reparaturkosten berechnen, obwohl er das Fahrzeug nicht mindestens sechs Monate weitergenutzt hat. Diese Möglichkeit der Schadensabrechnung ist ihm jedoch – wie der BGH bereits in einem Urteil vom 29. April 2008 – VI ZR 220/ 07 entschieden hat – aus Rechtsgründen versagt.
Fehl geht vorliegend auch die Auffassung des A, die fiktive Abrechnung der Reparaturkosten sei hier bereits deshalb möglich, weil die vom ihm begehrten Reparaturkosten von 19. 789, 35 € unter dem Wiederbeschaffungsaufwand von 21. 000 € (39. 000 € abzüglich 18. 000 €) liegen würden. Denn bei den Reparaturkosten von 19. 789, 35 € handelt es sich um die geschätzten Nettoreparaturkosten. Nach der Rechtsprechung des Senats (vgl. Senatsurteil vom 3. März 2009 – VI ZR 100/ 08, VersR 2009, 654) ist aber für die Vergleichsbetrachtung im Rahmen des Wirtschaftlichkeitsgebots grundsätzlich auf die Bruttoreparaturkosten abzustellen, die im Streitfall mit 23.549, 33 € über dem Wiederbeschaffungsaufwand von 21.000 Euro liegen.
Ergebnis:
Mithin kann A nicht die fiktiven Reparaturkosten in der vom Sachverständigen ermittelten Höhe von dem B verlangen. A kann lediglich die tatsächlich bei der Eigenreparatur angefallenen Reparaturkosten verlangen, muss diese jedoch konkret geltend machen. Die Obergrenze liegt jedoch beim ermittelten Wiederbeschaffungsaufwand, da der A den Wagen noch vor Ablauf der Sechs-Monats-Frist weiterveräußert hat.
Aufgabe 2: Welcher Restwert ist bei der Berechnung des Wiederbeschaffungsaufwands zugrunde zu legen?
Fraglich ist, welcher Restwert der Schadensabrechnung zugrundezulegen ist: der vom Sachverständigen auf dem regionalen Markt ermittelte Restwert von 18. 000 € oder die 22. 890 €, die B über eine Internet-Restwertbörse ermittelt hat.
Nach der ständigen Rechtsprechung des Senats kann der Geschädigte, der ein Sachverständigengutachten einholt, das eine korrekte Wertermittlung erkennen lässt, und im Vertrauen auf den darin genannten, auf dem allgemeinen regionalen Markt ermittelten Restwert und die sich daraus ergebende Schadensersatzleistung des Unfallgegners wirtschaftliche Dispositionen trifft, seiner Schadensabrechnung grundsätzlich diesen Restwertbetrag zugrunde legen (vgl. Senatsurteile vom 6. März 2007 – VI ZR 120/ 06, BGHZ 171, 287, 290 f.; vom 10. Juli 2007 – VI ZR 217/ 06, VersR 2007, 1243, 1244 und vom 13. Oktober 2009 – VI ZR 318/ 08, VersR 2010, 130).
Dem Sachverhalt ist nicht zu entnehmen, dass der vom Sachverständigen eingeholte Restwert nicht dem auf dem allgemeinen regionalen Markt ermittelten Restwert entspricht.
Zudem ist hier anzuführen, dass das von B angeführte Restwertangebot sich auf das unreparierte Fahrzeug bezog und zu dem Zeitpunkt, als der Kläger das Fahrzeug in Eigenregie repariert und weiterverkauft hat (nämlich am 15. Oktober 2008), längst abgelaufen war. (31.Juli 2008). In einer solchen Situation muss der Geschädigte grundsätzlich nicht den Haftpflichtversicherer über den nunmehr beabsichtigten Verkauf seines Fahrzeugs informieren und ihm zur Einholung neuer Angebote Gelegenheit geben, weil andernfalls die dem Geschädigten nach § 249 Abs. 2 Satz 1 BGB zustehende Ersetzungsbefugnis unterlaufen würde, die ihm die Möglichkeit der Schadensbehebung in eigener Regie eröffnet und deshalb auf seine individuelle Situation und die konkreten Gegebenheiten des Schadensfalles abstellt (vgl. Senatsurteile vom 12. Juli 2005 – VI ZR 132/ 04, VersR 2005, 1448 m. w. N.). Dies entspricht dem gesetzlichen Bild des Schadensersatzes, nach dem der Geschädigte Herr des Restitutionsgeschehens ist und grundsätzlich selbst bestimmen darf, wie er mit der beschädigten Sache verfährt (vgl. Senatsurteile vom 23. März 1976 – VI ZR 41/ 74, BGHZ 66, 239, 246 und vom 30. November 1999 – VI ZR 219/ 98, BGHZ 143, 189, 194 f.).
Ergebnis:
Im vorliegenden Fall ist also – entgegen der Auffassung des B – der Restwert in Höhe von 18.000 Euro zugrundezulegen.
Zum Abschluss noch die Leitsätze des Urteils:
1. Ein Unfallgeschädigter kann (fiktiv) die vom Sachverständigen geschätzten Reparaturkosten bis zur Höhe des Wiederbeschaffungswerts in der Regel nur abrechnen, wenn er das Fahrzeug mindestens sechs Monate weiternutzt und es zu diesem Zweck – falls erforderlich – verkehrssicher (teil-)reparieren lässt.
2. Vor Ablauf der Sechs-Monats-Frist kann der Geschädigte, der sein Fahrzeug tatsächlich repariert oder reparieren lässt, Reparaturkosten, die den Wiederbeschaffungswert nicht übersteigen, regelmäßig nur ersetzt verlangen, wenn er den konkret angefallenen Reparaturaufwand geltend macht.
Der BGH hat sich wieder einmal mit der Ersatzpflicht des Schädigers hinsichtlich der Reparaturkosten bei einem Verkehrsunfall befasst (BGH VI ZR 231/09 vom 14. Dezember 2010 ). Im konkreten Fall ging es um die Frage, ob der Geschädigte Anspruch auf die Reparaturkosten hat, wenn es ihm gelungen ist, die Reparatur besonders günstig mittels Einbau von Gebrauchtteilen durchführen zu lassen, obwohl die Reparaturkosten laut Gutachten über der „130%-Grenze“ angesetzt waren. Im gleichen Zuge äußert sich der BGH zudem zu der Art und Weise der sog. fiktiven Schadensberechnung. (vgl. weitere Artikel zum Thema: hier und hier)
Sachverhalt:
Das Sachverständigengutachten hatte ergeben, dass die Reparatur des beschädigten Fahrzeugs über der vom BGH aufgestellten 130%-Grenze (BGH VI ZR 70/04) bei über 3000 Euro liegen würde. Der Restwert des Pkw belief sich auf 800 Euro, der Wiederbeschaffungswert auf 2200 Euro. Die Geschädigte hatte daraufhin das Fahrzeug mittels Gebrauchtteilen fachgerecht reparieren lassen, wobei die Reparaturkosten 2.139,70 Euro nicht überstiegen. Neben Nutzungsersatz und Nebenkosten, zahlte der Schädiger auch die tatsächlich entstandenen Reparaturkosten.
Die Geschädigte verlangt zusätzlich die Differenz der fiktiven Reparaturkosten bis zur 130%-Grenze in Höhe von 720,30 Euro.
Die Vorinstanz bejahte den Anspruch der Geschädigten
Das LG Hannover hat den Anspruch der Geschädigten gemäß der gängigen Praxis zur fiktiven Schadensberechnung bejaht.
Ein erforderlicher Reparaturaufwand bis zu 130% des Wiederbeschaffungswerts des Fahrzeugs könne grundsätzlich verlangt werden, wenn die durch Sachverständigengutachten ermittelten Reparaturkosten diesen Betrag überstiegen und der Geschädigte durch eine fachgerechte Reparatur zum Ausdruck bringe, dass er das Fahrzeug in einen Zustand wie vor dem Unfall versetzen wolle. Diese Voraussetzungen lägen nach dem Gutachten des Gerichtssachverständigen vor. Das Fahrzeug der Klägerin sei unter Verwendung von Gebrauchtteilen fachgerecht repariert worden, da die verwendeten Ersatzteile den beschädigten Fahrzeugteilen gleichwertig seien.
Nur tatsächliche Reparaturkosten sind zu ersetzen
Der BGH ist anderer Auffassung und konkretisiert im gleichen Zuge den Sinn und Zweck der 130%-Grenze im Schadensrecht. Demnach sei in erster Linie der tatsächlich entstandene Schaden zu ersetzen.
Insoweit begehrt die Klägerin den Ersatz fiktiver Reparaturkosten in Höhe von bis zu 130% des vom Sachverständigen ermittelten Wiederbeschaffungswerts, obwohl für die tatsächlich durchgeführte Reparatur nur Kosten in Höhe von 2.139,70 € angefallen sind. Nach der Rechtsprechung des Senats können jedoch Reparaturkosten, die über dem Wiederbeschaffungswert des Fahrzeugs liegen, bis zur so genannten 130%-Grenze nur verlangt werden, wenn sie tatsächlich angefallen sind und die Reparatur fachgerecht und zumindest wertmäßig in einem Umfang durchgeführt wird, wie ihn der Sachverständige zur Grundlage seiner Kostenschätzung gemacht hat (vgl. Senatsurteile vom 15. Februar 2005 – VI ZR 70/04, BGHZ 162, 161, 167 ff.; vom 8. Dezember 2009 – VI ZR 119/09, VersR 2010, 363 Rn. 5 ff.). Entgegen der Auffassung der Klägerin ist damit nicht die generelle Möglichkeit einer fiktiven Schadensabrechnung bis zur 130%-Grenze eröffnet. Die Klägerin kann mithin über die bereits gezahlten konkret angefallenen Reparaturkosten hinaus nicht den Ersatz weiterer Reparaturkosten verlangen.
Nicht im Widerspruch zu den Schätzungen im Gutachten
Bedenken bezüglich des Umstands, dass die Reparaturkosten im Gutachten oberhalb der 130%-Grenze liegen und damit die Kalkulation von Reparaturkosten dem Geschädigten generell nicht eröffnet sei, räumt der BGH aus und verweist darauf, dass eine Reparatur auch im Falle eines „wirtschaftlichen Totalschadens“ nicht unzulässig ist.
Lässt der Geschädigte sein Fahrzeug dennoch reparieren, so können die Kosten nicht in einen vom Schädiger auszugleichenden wirtschaftlich vernünftigen Teil (bis zu 130% des Wiederbeschaffungswerts) und einen vom Geschädigten selbst zu tragenden wirtschaftlich unvernünftigen Teil aufgespalten werden (vgl. Senatsurteile vom 15. Oktober 1991 – VI ZR 67/91, BGHZ 115, 375, 378 ff.; vom 10. Juli 2007 – VI ZR 258/06, VersR 2007, 1244 Rn. 6).
Daher könne erst recht auch ein „Unterbieten“ der offiziell angesetzten Reparaturkosten zu einem entsprechen Schadensersatzanspruch führen, solange zumindest der Wiederbeschaffungswert nicht überschritten wird.
Jedenfalls unter solchen Umständen, bei denen zwar die vom Sachverständigen geschätzten Reparaturkosten über der 130%-Grenze liegen, es dem Geschädigten aber – auch unter Verwendung von Gebrauchtteilen – gelungen ist, eine […] fachgerechte und den Vorgaben des Gutachtens entsprechende Reparatur durchzuführen, deren Kosten den Wiederbeschaffungswert nicht übersteigen, kann ihm aus dem Gesichtspunkt des Wirtschaftlichkeitsgebots eine Abrechnung der konkret angefallenen Reparaturkosten nicht verwehrt werden.
Fazit:
Die 130%-Grenze ist kein Freibrief, einen Schadensersatzanspruch in dieser Höhe geltend machen zu können. Gelingt es dem Geschädigten, den Schaden kostengünstiger bei fachgerechter Ausführung entsprechend dem im Gutachten bezeichneten Umfang zu beseitigen, beschränkt sich der Schadensersatz auf die tatsächlich entstandenen Reparaturkosten. Dies deckt sich mit dem Zielsetzung der von der Rechtsprechung entwickelten 130%-Grenze: Dem Geschädigten wird die generelle Möglichkeit eingeräumt bis 30% über den Wiederbeschaffungswert im Sinne wirtschaftlich „vernünftigen“ Handelns hinauszugehen. Hierbei geht es in erster Linie um den tatsächlichen Erhalt des Fahrzeugs, obwohl der Schädiger streng genommen auch „günstiger davonkommen“ könnte. Dem Geschädigten soll damit ausnahmsweise im Bereich von Pkw-Schäden ein wirtschaftlicher Vorteil eingeräumt werden. Ein genereller Anspruch auf 130% des Wiederbeschaffungswertes würde dieses Recht überspannen.
Schwierig wird es dagegen dann, wenn die Reparaturkosten laut Gutachten über den 130% liegen. Grundsätzlich ist der Schädiger gehalten, entweder den Wiederbeschaffungsaufwand (hier: Kosten der Wiederbeschaffung minus Restwert = 1400 Euro) oder die prognostizierten Reparaturkosten nach den hierfür geltenden Regeln einzuklagen. Letzteres wäre aufgrund der Höhe der angesetzten Kosten hier grundsätzlich nicht möglich. Stellt sich jedoch heraus, dass die Reparatur doch kostengünstiger und fachgerecht ausführbar ist, kann der Schädiger den Geschädigten allein auf das Gutachten verweisen, da auch an dieser Stelle dem Gesichtspunkt des Wirtschaftlichkeitsgebots Vorrang eingeräumt werden muss.
Muss sich die bei einem Verkehrunfall geschädigte Person im Rahmen der fiktiven Abrechnung ihres Fahrzeugschadens auf niedrigere Stundenverrechnungssätze einer von dem Schädiger benannten, nicht markengebundenen Karosseriefachwerkstatt verweisen lassen oder kann sie auf Grundlage des von ihr eingeholten Sachverständigengutachtens die Stundenverrechnungssätze einer markengebundenen Vertragswerkstatt des Kfz-Herstellers erstattet verlangen?
Der BGH hat in letzter Zeit in mehreren Entscheidungen grundsätzlich Stellung dazu bezogen, unter welchen Voraussetzungen ein Geschädigter, der den Ersatz fiktiver Reparaturkosten begehrt, gemäß § 249 Abs. 2 Satz 1 BGB die Erstattung der Stundenverrechnungssätze einer markengebundenen Fachwerkstatt verlangen kann (vgl. Senatsurteile vom 20. Oktober 2009 – VI ZR 53/09; vom 23. Februar 2010 – VI ZR 91/09; vom 22. Juni 2010 – VI ZR 337/09 – und – VI ZR 302/08). Auch im Freischusstermin in NRW im Mai 2010 wurde diese Problematik bereits abgeprüft. (vgl. Examensreport Mai 2010 NRW)
Ein aktuelles BGH-Urteil vom 13. Juli 2010 (VI ZR 259/09) fasst die Voraussetzungen noch einmal sehr gut zusammen.
„Der Geschädigte leistet dem Gebot der Wirtschaftlichkeit im Allgemeinen Genüge und bewegt sich in den für die Schadensbehebung nach § 249 Abs. 2 Satz 1 BGB gezogenen Grenzen, wenn er der Schadensabrechnung die üblichen Stundenverrechnungssätze einer markengebundenen Fachwerkstatt zugrunde legt, die ein von ihm eingeschalteter Sachverständiger auf dem allgemeinen regionalen Markt ermittelt hat.
Der Schädiger kann den Geschädigten aber unter dem Gesichtspunkt der Schadensminderungspflicht gemäß § 254 Abs. 2 BGB auf eine günstigere Reparaturmöglichkeit in einer mühelos und ohne weiteres zugänglichen „freien Fachwerkstatt“ verweisen, wenn er darlegt und ggf. beweist, dass eine Reparatur in dieser Werkstatt vom Qualitätsstandard her der Reparatur in einer markengebundenen Fachwerkstatt entspricht, und wenn er ggf. vom Geschädigten aufgezeigte Umstände widerlegt, die diesem eine Reparatur außerhalb der markengebundenen Fachwerkstatt unzumutbar machen würden.
Unzumutbar ist eine Reparatur in einer „freien Fachwerkstatt“ für den Geschädigten im Allgemeinen dann, wenn das beschädigte Fahrzeug im Unfallzeitpunkt nicht älter als drei Jahre war. Aber auch bei Kraftfahrzeugen, die älter sind als drei Jahre, kann es für den Geschädigten unzumutbar sein, sich auf eine technisch gleichwertige Reparaturmöglichkeit außerhalb der markengebundenen Fachwerkstatt verweisen zu lassen. Dies kann insbesondere dann der Fall sein, wenn der Geschädigte sein Fahrzeug bisher stets in einer markengebundenen Fachwerkstatt hat warten und reparieren lassen. Unzumutbar ist eine Reparatur in einer „freien Fachwerkstatt“ für den Geschädigten auch dann, wenn sie nur deshalb kostengünstiger ist, weil ihr nicht die (markt-) üblichen Preise dieser Werkstatt, sondern vertragliche Sonderkonditionen mit dem Haftpflichtversicherer des Schädigers zugrunde liegen.“
In dem neuen BGH Urteil hatte die Beklagte (eine Haftpflichtversicherung) ihrer Schadensberechnung die günstigeren Stundenverrechnungssätze einer von ihr benannten Karosseriefachwerkstatt zugrundegelegt und die im Sachverständigengutachten kalkulierten Stundenverrechnungssätze einer Mercedes-Benz-Vertragswerkstatt auf die Stundenverrechnungssätze des teuersten der drei von ihr benannten Karosseriefachbetriebe gekürzt. Auch die Fahrzeugverbringungskosten wurden nicht berücksichtigt. Die Klägerin hatte auf Zahlung des Differenzbetrages in Höhe von ca. 500 € geklagt, blieb jedoch in allen Instanzen – auch vor dem BGH – erfolglos. Hier geht’s zum Volltext des Urteils.
In der Examensklausur müssen selbstverständlich die einzelnen Details des jeweiligen Sachverhalts ausgewertet werden, z.B. Ist das Auto ein Jahr oder sieben Jahre alt? Handelt es sich um einen Bagatellschaden oder um einen erheblichen Schaden? Etc. Dafür sollte man die oben genannten grundsätzlichen Voraussetzungen kennen. Angesicht der zahlreichen BGH Entscheidungen in der letzten Zeit wird der Maitermin 2010 in NRW wohl nicht der einzige Examenstermin sein, wo die Problematik der fiktiven Schadensberechnung im Rahmen einer Zivilrecht Examensklausur abgefragt werden wird wird.
Der u. a. für das Baurecht zuständige VII. Zivilsenat hat in einem Urteil vom 22. Juli 2010 (VII ZR 176/09) seine Rechtsprechung zur Berechnung eines Schadensersatzanspruches wegen eines Baumangels geändert. Diese Entscheidung erging im Lichte der gesetzlichen Regelung des § 249 Abs. 2 Satz 2 BGB ergangen, die zwar auf Schadensersatzansprüche im Werkvertragsrecht nicht anwendbar ist, jedoch eine gesetzliche Wertung für vergleichbare Fälle enthält.
Sachverhalt
Die Kläger erwarben von dem Beklagten ein von diesem zu errichtendes Einfamilienhaus. Abnahme und Übergabe erfolgten am 14. Dezember 2002. Zuletzt stand ein Restwerklohnanspruch des Beklagten in Höhe von 10.591 € offen. Die Kläger erklärten gegenüber diesem Anspruch die Aufrechnung mit einem Schadensersatzanspruch wegen baulicher Mängel des Hauses. Diese sind im Verlauf des Rechtsstreits unstreitig geworden; ihre bisher nicht erfolgte Beseitigung erfordert einen Betrag von 9.405 € netto. Die Kläger sind der Auffassung, ihr Schadensersatzanspruch betrage insgesamt unter Berücksichtigung der auf die für die Mängelbeseitigung erforderlichen Kosten zu zahlenden Umsatzsteuer von 19 % 11.191,95 € (9.405 € + 1.786,95 €), so dass der Restwerklohnanspruch insgesamt, also nicht nur in Höhe von 9.405 €, durch die Aufrechnung erloschen sei. Die Parteien streiten darüber, ob ein Schadensersatzanspruch der Kläger gegen den Beklagten einen Betrag für Umsatzsteuer umfasst, wenn er die Mängel noch nicht beseitigt hat.
Entscheidung des BGH / Lösung
Der Beklagte könnte einen Zahlungsanspruch gegen die Kläger in Höhe von 1.186 € gemäß § 631 Abs. 1 BGB haben. Dies wäre jedoch nur dann der Fall, wenn dem Restwerklohnanspruch des Beklagten in Höhe von 10.591 € gemäß § 631 Abs. 1 BGB nur ein aufrechenbarer Schadensersatzanspruch der Kläger wegen der Mängel an dem Bauwerk gemäß § 634 Nr. 4, § 280 Abs. 3, § 281 Abs. 1 Satz 1 BGB in Höhe von 9.405 € gegenüber stände.
Umfang des Schadensersatzes
Fraglich ist hier, ob der Schadensersatzspruch der Kläger nicht auch die Umsatzsteuer in Höhe von 1.786,95 € umfasst, somit also insgesamt in Höhe von 11.191,95 € besteht, mit der Folge, dass der Zahlungsanspruch des Beklagten durch die Aufrechnung erloschen ist.
Der Anspruch auf Schadensersatz statt der Leistung wegen Mängeln eines Werkes ist abweichend von § 249 Satz 1 BGB nicht auf Naturalrestitution in Form der Mängelbeseitigung, sondern auf Zahlung eines Geldbetrages gerichtet. Das folgt daraus, dass nach § 281 Abs. 4 BGB der Anspruch auf die Leistung, der hier in der Herstellung der Mangelfreiheit besteht, ausgeschlossen ist. Nach der Rechtsprechung des Senats kann dieser auf Zahlung eines Geldbetrages gerichtete Schadensersatzanspruch nach Wahl des Bestellers entweder nach dem mangelbedingten Minderwert des Werkes oder nach den Kosten berechnet werden, die für eine ordnungsgemäße Mängelbeseitigung erforderlich sind (BGH, Urteil vom 11. Juli 1991 – VII ZR 301/90). Letzteres gilt unabhängig davon, ob und in welchem Umfang der Besteller den Mangel tatsächlich beseitigen lässt (vgl. BGH, Urteil vom 28. Juni 2007 – VII ZR 8/06 Tz. 10, 13).
Bisherige Rechtsprechung
Nach der bisherigen Rechtsprechung des Senats gehörte zu den Kosten, die für eine ordnungsgemäße Mängelbeseitigung in diesem Sinne erforderlich sind, auch die von einem nicht vorsteuerabzugsberechtigten Besteller an dritte Unternehmer zu zahlende Umsatzsteuer (vgl. BGH, Urteil vom 18. Januar 1990 – VII ZR 171/88)
Rechtsprechungsänderung des BGH
In diesem Urteil hat der VII. Senat des BGH seine Rechtsprechung bei Berechnung eines Schadensersatzanspruches wegen eines Baumangels jedoch geändert.
§ 249 Abs. 2 Satz 2 BGB auf werkvertraglichen Schadensersatzanspruch nicht anwendbar
Zwar ist die Berücksichtigung der Umsatzsteuer nicht nach § 249 Abs. 2 Satz 2 BGB ausgeschlossen, da diese Vorschrift auf den werkvertraglichen Schadensersatzanspruch schon gar keine Anwendung findet. Sie gilt nach Wortlaut und systematischer Stellung nur in den Fällen, in denen wegen Beschädigung einer Sache Schadensersatz zu leisten ist. Dies ist bei dem Schadensersatzanspruch, der wegen Mängeln und damit wegen nicht ordnungsgemäßer Herstellung des geschuldeten Werkes besteht, nicht der Fall.
§ 249 Abs. 2 Satz 2 BGB bezieht sich zudem ausdrücklich nur auf den nach Satz 1 erforderlichen Geldbetrag. Dieser kann statt der nach § 249 Abs. 1 BGB auch geschuldeten Herstellung verlangt werden. Bei dem Schadensersatzanspruch wegen Mängeln eines Werkes schuldet der Unternehmer den Schadensersatz jedoch nicht wegen der Vorschrift des § 249 Abs. 2 Satz 1 BGB in Geld, sondern ausschließlich deshalb, weil er an die Stelle des Erfüllungsanspruches tritt.
Heranziehung der gesetzliche Wertung des § 249 Abs. 2 S. 2 BGB bei Berechnung des werkvertraglichen Schadensersatzanspruches
Nach Auffassung des Senats ist die Bemessung des Vermögensschadens des Bestellers in Fällen, in denen er den Mangel nicht hat beseitigen lassen, nach den erforderlichen Mängelbeseitigungskosten unter Einschluss einer zu zahlenden Umsatzsteuer jedoch nicht gerechtfertigt.
Im Lichte der Erwägungen, die den Gesetzgeber bei Schadensersatzansprüchen wegen Beschädigung einer Sache bewogen haben, die Umsatzsteuer aus der Berechnung des zur Herstellung erforderlichen Geldbetrages herauszunehmen, sofern sie nicht tatsächlich angefallen ist (vgl. BT-Drucks. 14/7752 S. 13), hält es der Senat auch bei einem werkvertraglichen Anspruch auf Schadensersatz statt der Leistung gemäß § 634 Nr. 4, § 280 Abs. 1, Abs. 3, § 281 BGB für eine Überkompensation des Schadens des Bestellers, wenn die nicht angefallene Umsatzsteuer berücksichtigt wird.
Die Bemessung eines bereits durch den Mangel des Werkes und nicht erst durch dessen Beseitigung entstandenen Schadens kann nicht ohne eine Wertung vorgenommen werden. Diese muss zum einen die berechtigte Erwartung des Bestellers berücksichtigen, den Schaden – nach seiner Wahl – an den Kosten bemessen zu können, die eine Mängelbeseitigung erfordern, weil der Anspruch an die Stelle des geschuldeten Erfüllungsanspruchs tritt. Gerade die Erfahrungen im Bauvertragsrecht zeigen jedoch, dass die Schadensberechnung nach geschätzten Mängelbeseitigungskosten häufig insoweit zu einer Überkompensation führt, als dem Geschädigten rechnerische Schadensposten ersetzt werden, die nach dem von ihm selbst gewählten Weg zur Schadensbeseitigung gar nicht anfallen. Der Senat hält es deshalb für gerechtfertigt, den Umfang des Schadensersatzes stärker als bisher auch daran auszurichten, welche Dispositionen der Geschädigte tatsächlich zur Schadensbeseitigung trifft. Dies gilt jedenfalls für den Anteil, der wie die Umsatzsteuer einen durchlaufenden Posten darstellt, der keinem der an einer Mängelbeseitigung Beteiligten zugutekommt und der in seiner Entstehung von steuerrechtlichen Vorgaben abhängt. Es ist gerechtfertigt, gerade bei der Umsatzsteuer eine derartige Einschränkung zu machen, weil dieser Anteil eindeutig und leicht feststellbar und abgrenzbar ist und den größten preisbildenden Faktor unter den durchlaufenden Posten der Mängelbeseitigungskosten darstellt (vgl. BT-Drucks. 14/7752 S. 13).
Ausreichender Schutz des Bestellers durch Umsatzsteuer umfassenden Vorschussanspruch aus § 637 Abs. 3 BGB
Schutzwürdige Interessen des Bestellers werden durch diese Einschränkung nicht beeinträchtigt. Unbeschadet bleibt die Ersatzfähigkeit eines Betrages in Höhe der Umsatzsteuer, wenn der Besteller diese tatsächlich aufgewendet hat und nicht im Rahmen eines Vorsteuerabzugs erstattet bekommt. Einer Vorleistungspflicht in dieser Höhe kann der Besteller entgehen, indem er einen Vorschussanspruch nach § 637 Abs. 3 BGB geltend macht. Beabsichtigt er zunächst keine Mängelbeseitigung, ist es ihm zumutbar, einer drohenden Verjährung durch Erhebung einer Feststellungsklage zu begegnen, falls er sich die Möglichkeit einer späteren Mängelbeseitigung auf Kosten des Unternehmers erhalten will.
Zwischenergebnis: Die Umsatzsteuer ist somit beim Schadensersatzanspruch der Kläger nicht mit einzubeziehen.
Ergebnis
Der Beklagte hat nach bereits erfolgter Aufrechnung mithin noch einen Zahlungsanspruch gegen die Kläger in Höhe von 1.186 € gemäß § 631 Abs. 1 BGB.
Examensrelevanz
Dieses BGH-Urteil könnte man eins zu eins so in einer Klausur stellen. Wie bereits nun schon einige Male erwähnt, ist die fiktive Schadensberechnung immer wieder beliebter Gegenstand von Examensklausuren (vgl. 1. Zivilrechtsklausur im Mai 2010 Examenstermin in NRW) und derzeit auch von vielen BGH Entscheidungen. Ohne dieses BGH-Urteil zu kennen ist es schwierig, die Heranziehung der gesetzlichen Wertung des § 249 Abs. 2 S. 2 BGB, die der BGH bei seiner Rechtsprechungsänderung hier vornimmt, zu erkennen und in die gutachterliche Klausurlösung mit einfließen zu lassen, da dem Wortlaut und der Systematik nach nichts dagegen zu sprechen scheint, die Umsatzsteuer bei der werkvertraglichen Schadensersatzberechnung mit einzubeziehen, auch dann, wenn diese noch nicht tatsächlich angefallen ist.
Urteil vom 22. Juli 2010 – VII ZR 176/09
LG München II – Urteil vom 20. April 2009 – 11 O 6481/08
OLG München – Urteil vom 29. September 2009 – 28 U 3123/09
Im Folgenden eine kurze Zusammenstellung von lesenswerten examensrelevanten Artikeln in anderen Jura Blogs in der Kalenderwoche 30/2010:
Schuldrecht: Die fiktive Schadensabrechnung und die Vertragswerkstatt
@ Jurakopf
BVerfG: Zur Lehrfreiheit eines Fachhochschulprofessors
@ Rechtslupe
BVerfG: Strafgefangener hat auch nach Beendigung der Maßnahme berechtigtes Interesse an Feststellung der gegen die Menschenwürde verstoßenden Haftraumunterbringung
@ Beck Ticker
Neues zur Sicherungsverwahrung: Justizministerin sorgt für einheitliche Rechtsprechung
@ Strafrecht Online Blog
StPO: Anlässlich der Freilassung Kachelmanns ein Artikel zu den verschiedenen Verdachtsarten: Anfachsverdacht, hinreichender Tatverdacht, dringender Tatverdacht
@ Sven Weichel
Ein schönes Wochenende!