Der BGH hatte in einem Urteil vom 1.12.2010 (VIII ZR 82/10) wieder einmal über eine unwirksame Widerrufsbelehrung zu entscheiden. Im zugrunde liegenden Fall ging es um einen Rechtsstreit über den Widerruf von einem Fernabsatzvertrag, der noch vor der Inkrafttreten der neuen Widerrufsvorschriften am 11.6.2010 stattfand. Nichtsdestotrotz enthält diese Entscheidung einige examensrelevante Probleme, die man auch nach der Neuordnung des Widerrufsrechts in Examensklausuren einbauen kann, bei denen der Sachverhalt nach dem 11.6.2010 spielt. Wie die 1. Zivilrecht Examensklausur im Januar in Niedersachsen zeigt, ist das Widerrufsrecht mit seinen verschiedenen Problemkreisen – insbesondere auch nach der Neuordnung des Widerrufsrechts – derzeit sehr examensrelevant.
1. Formulierung „Frühestens mit Erhalt dieser Belehrung“?
In der Widerrufsbelehrung hieß es:
„Verbraucher können ihre Vertragserklärung innerhalb von zwei Wochen ohne Angabe von Gründen in Textform (z.B. Brief, Fax, E-Mail) oder durch Rücksendung der Sache widerrufen. Die Frist beginnt frühestens mit Erhalt dieser Belehrung.“
Der BGH hat entschieden, dass eine Belehrung über den maßgeblichen Beginn der Widerrufsfrist mit der Formulierung „frühestens mit Erhalt dieser Belehrung“ unzureichend ist, da sie nicht umfassend ist. Der Verbraucher kann der Verwendung des Wortes „frühestens“ zwar entnehmen, dass der Beginn des Fristlaufs noch von weiteren Voraussetzungen abhängt, wird jedoch darüber im Unklaren gelassen, um welche Voraussetzungen es sich dabei handelt.
Der BGH sagt hierzu:
Zwar habe der Kläger den Vertrag nicht innerhalb von zwei Wochen nach Erhalt der Ware widerrufen. Dies sei jedoch unerheblich, da die Widerrufsfrist mangels ordnungsgemäßer Belehrung der Beklagten nicht zu laufen begonnen habe. Die von der Beklagten verwendete Klausel enthalte keinen ausreichenden Hinweis auf den nach § 355 Abs. 2 BGB maßgeblichen Beginn der Widerrufsfrist und trage damit nicht den gesetzlichen Anforderungen Rechnung, die an eine Belehrung gestellt würde.
2. Ist die Widerrufsbelehrung unwirksam, wenn die im gesetzlichen Muster vorgeschriebenen Überschriften fehlen, statt „Sie“ die abstrakte Formulierung „Verbraucher“ verwendet wird und die Schrift dazu auch noch extrem klein ist?
Im konkreten Fall fehlten die im Muster vorgeschriebene Überschrift „Widerrufsbelehrung“ und die die Belehrung gliedernden Zwischenüberschriften „Widerrufsrecht“, „Widerrufsfolgen“ und „finanzierte Geschäfte“. Stattdessen enthielt die Widerrufsbelehrung der Beklagten nur die einzige Überschrift „Widerrufsrecht“.
Die Belehrung wandte sich auch nicht, wie es das Muster vorsieht, konkret an den Adressaten der Belehrung („Sie“), sondern ist abstrakt formuliert („Verbraucher“), ohne den Rechtsbegriff „Verbraucher“ zu erläutern.
Darüber hinaus war die Widerrufsbelehrung der Beklagten für einen durchschnittlichen Verbraucher nur mit großer Mühe lesbar, weil die Schrift extrem klein war und jegliche Untergliederung des Textes fehlte.
Kurze Info: Die früher in der BGB-InfoV enthaltene Musterwiderrufsbelehrung ist nach der Neuordnung des Widerrufsrechts jetzt in der Anlage 1 zu Art. 246 EGB zu finden. Eine Musterwiderrufsbelehrung findet ihr z.B. hier.
Der BGH hat in der zugrunde liegenden Entscheidung die Widerrufsbelehrung insbesondere wegen Verstoßes gegen das Deutlichkeitsgebot für unwirksam erklärt.
Durch das Fehlen der in der Musterbelehrung vorgeschriebenen Überschrift „Widerrufsbelehrung“ wird für den Verbraucher nicht hinreichend deutlich, dass die Ausführungen unter der Überschrift „Widerrufsrecht“ eine für den Verbraucher wichtige Belehrung enthalten, und zwar nicht nur über sein Widerrufsrecht, sondern auch über die mit der Ausübung des Rechts verbundenen Pflichten.
Es fehlen nicht nur die in der Musterbelehrung vorgeschriebenen Zwischenüberschriften, sondern auch jegliche Absätze. So wird insbesondere nicht deutlich, dass sich unter der Überschrift „Widerrufsrecht“ auch Ausführungen zu den Widerrufsfolgen und zu finanzierten Geschäften verbergen und an welcher Textstelle die betreffenden Ausführungen beginnen und enden. Es kann deshalb keine Rede davon sein, dass die Widerrufsbelehrung insgesamt in einer der Musterbelehrung entsprechenden Weise deutlich gestaltet wäre; diese gilt insbesondere im Hinblick auf die Informationen über die für den Verbraucher nachteiligen Widerrufsfolgen.
Die vom Unternehmer verwendete Widerrufsbelehrung darf zwar in Format und Schriftgröße von der Musterbelehrung abweichen, muss aber – auch bei Verwendung des Textes der Musterbelehrung – deutlich gestaltet sein (§ 355 Abs. 2 Satz 1 BGB).
Das BGH-Urteil VIII ZR 82/10 im Volltext