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Schlagwortarchiv für: fahrlässige Tötung

Charlotte Schippers

Rechtsprechungsübersicht Strafrecht und Strafprozessrecht 1. Halbjahr 2020

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Bei der Vorbereitung auf die schriftliche und vor allem mündliche Examensprüfung, aber auch auf Klausuren des Studiums, ist die Kenntnis aktueller Rechtsprechung unbedingt erforderlich. Neue Urteile und Beschlüsse werden immer wieder als ein Teil der Prüfung herangezogen oder bei besonders wichtigen Entscheidungen ausdrücklich abgefragt. Der folgende Überblick soll für die examensrelevanten Entscheidungen in Strafsachen des Jahres 2020 (und Ende 2019) als Stütze dienen und Ausgangspunkt für eine tiefere Auseinandersetzung sein.
 
Strafrecht

BGH, Urt. v. 26.11.2019 – 2 StR 557/18: Strafrechtliche Verantwortlichkeit von JVA-Beamten für den Mord eines Häftlings während eines Freigangs

Zu folgendem Fall urteilte der BGH Ende letzten Jahres: T, Häftling in einer JVA, beging während eines Freigangs mehrere Straftaten, u.a. tötete er bei einer Flucht vor der Polizei, indem er mit rasanter Geschwindigkeit als „Geisterfahrer“ auf die Gegenfahrbahn fuhr, eine im Gegenverkehr befindliche junge Frau. Wegen dieser Tat wurde er wegen Mordes rechtskräftig zu einer lebenslangen Freiheitsstrafe verurteilt. Relevant war hier nun die Strafbarkeit der zuständigen JVA-Beamten.
Die Vorinstanz hatte eine Strafbarkeit wegen fahrlässiger Tötung gem. § 222 StGB angenommen, der BGH sprach die Beamten nun frei: In ihrer Entscheidung, den Strafgefangenen in den offenen Vollzug zu verlegen und ihm weitere Lockerungen in Form von Freigängen zu gewähren, liege keine Sorgfaltspflichtverletzung; den Beamten stehen Beurteilungsspielraum und Ermessen zu, sodass

„die getroffene Entscheidung bis zur Grenze des Vertretbaren hinzunehmen [ist]. Bei der Beurteilung der Sorgfaltswidrigkeit darf sich das Gericht weder von einer aus dem späteren Kenntnisstand rückschauenden Wertung (ex post) leiten lassen, dass sich eine Prognoseentscheidung im Ergebnis als ,falsch‘ erwiesen hat, noch seine eigene, abweichende Prognoseentscheidung als Maßstab anlegen. Maßgebend ist vielmehr die fachliche und rechtliche Vertretbarkeit der Entscheidung aus der Perspektive der Lockerungsentscheidung (ex ante). Eine im Ergebnis falsche Prognose erweist sich als pflichtwidrig, wenn die Missbrauchsgefahr aufgrund relevant unvollständiger oder unzutreffender Tatsachengrundlage oder unter nicht vertretbarer Bewertung der festgestellten Tatsachen verneint worden ist.“ (Rn. 25)

Der BGH erläutert in der Folge, die Angeklagten hätten sich aus der maßgeblichen ex-ante-Sicht den Anforderungen entsprechend verhalten.
Diese examensrelevante Entscheidung hat Tobias Vogt besprochen.
 

BGH, Beschl. v. 17.12.2019 – 1 StR 364/18: Unvermeidbarer Verbotsirrtum bei Auskunft eines Rechtsanwalts und einer unzuständigen Behörde?

Mit Betäubungsmitteldelikten beschäftigte der BGH sich Ende letzten Jahres und erhielt hierbei auch die Gelegenheit, sich zu den Anforderungen an die Unvermeidbarkeit eines Verbotsirrtums zu äußern. Kurz gefasst ging es um den Apotheker A, der mit anderen zusammen einen Versandhandel mit über das Internet bestellten verschreibungspflichtigen Medikamenten, die Abhängigkeitserkrankungen verursachen können, führte. Diese wurden an Kunden aus dem Ausland, überwiegend in die USA, geliefert. Über die für die Ausfuhr nach dem BtMG erforderliche Erlaubnis verfügte keiner der Beteiligten. Rechtsanwalt R, der A an die anderen vermittelt hatte, hatte ihm mitgeteilt, das Vertriebssystem sei von weiteren Rechtsanwälten geprüft. Dazu zeigte er ihm mehrere Blätter, die er als Gutachten bezeichnete, ohne sie ihm aber zum Lesen zu überlassen. Zudem erhielt A von der Landesapothekerkammer Rheinland-Pfalz die telefonische Auskunft, gegen den Versand von Medikamenten ins Ausland auf der Grundlage von Rezepten bestünden keine Bedenken.
Festgestellt wurde ein Verbotsirrtum gem. § 17 S. 1 StGB des A. Fraglich war nun, ob dieser vermeidbar war oder nicht. Zu den Anforderungen an die Unvermeidbarkeit führt der BGH aus:

„Unvermeidbar ist ein Verbotsirrtum erst dann, wenn der Täter alle seine geistigen Erkenntniskräfte eingesetzt und etwa aufkommende Zweifel durch Nachdenken oder erforderlichenfalls durch Einholung verlässlichen und sachkundigen Rechtsrats beseitigt hat. Dabei müssen sowohl die Auskunftsperson als auch die Auskunft aus der Sicht des Täters verlässlich sein; die Auskunft selbst muss zudem einen unrechtsverneinenden Inhalt haben. Eine Auskunft ist in diesem Sinne nur dann verlässlich, wenn sie objektiv, sorgfältig, verantwortungsbewusst und insbesondere nach pflichtgemäßer Prüfung der Sach- und Rechtslage erteilt worden ist. Bei der Auskunftsperson ist dies der Fall, wenn sie die Gewähr für eine diesen Anforderungen entsprechende Auskunftserteilung bietet, sie muss insbesondere sachkundig und unvoreingenommen sein und mit der Erteilung der Auskunft keinerlei Eigeninteresse verfolgen. Zudem darf der Täter nicht vorschnell auf die Richtigkeit eines ihm günstigen Standpunkts vertrauen und seine Augen nicht vor gegenteiligen Ansichten und Entscheidungen verschließen. Maßgebend sind die jeweils konkreten Umstände, insbesondere seine Verhältnisse und Persönlichkeit; daher sind zum Beispiel sein Bildungsstand, seine Erfahrung und seine berufliche Stellung zu berücksichtigen.“ (Rn. 21)

Daher ist auch der Rat eines Rechtsanwalts nicht ohne weiteres vertrauenswürdig. Der Rat muss, von notwendiger Sachkenntnis getragen, nach eingehender sorgfältiger Prüfung erfolgen. Sind die Auskünfte offenkundig mangelhaft, reicht das nicht zur Entlastung, notwendig ist bei komplexen Sachverhalten ein detailliertes, schriftliches Gutachten. Die durch R erteilten Hinweise, ohne die Möglichkeit, die Blätter durchzulesen, hätten durch A hinterfragt werden müssen, subsumiert der BGH.
Hinsichtlich der telefonischen Auskunft ist zu berücksichtigen, dass unzutreffende Auskünfte unzuständiger Behörden nur dann zur Unvermeidbarkeit des Irrtums führen können, wenn sich für den Täter die fehlende Zuständigkeit und Beurteilungskompetenz nicht aufdrängt (s. dazu BGH, Beschl. v. 2.2.2000 – 1 StR 597/99).

„Bei [A] handelt es sich um einen approbierten Apotheker mit langjähriger Berufserfahrung. Zur Ausbildung eines Apothekers gehören auch Grundkenntnisse im Betäubungsmittel- und Arzneirecht. Gerade aufgrund seiner beruflichen Stellung und der hiermit verbundenen Verpflichtungen war von [A] zu erwarten, dass ihm bekannt ist, dass der Handel mit Benzodiazepinen und NonBenzodiazepinen wegen der erhöhten Gefahr einer Abhängigkeitserkrankung bei dauerhaftem Konsum einer besonderen betäubungsmittelrechtlichen Kontrolle unterliegt und daher einer betäubungsmittelrechtlichen Erlaubnis bedarf. Jedenfalls hätte er dies bei gebotener Anstrengung von Verstand und Gewissen erkennen können. Gleichermaßen hätte er – unter Berücksichtigung seiner beruflichen Stellung und Erfahrung – erkennen können, dass er sich an das für die Erteilung von Erlaubnissen und Genehmigungen im Betäubungsmittelrecht zuständige BfArM [Bundesamt für Arzneimittel und Medizinprodukte] hätte wenden müssen.“ (Rn. 21)

Schließlich verneint der BGH, dass das BfArM ebenfalls dieselbe Auskunft gegeben hätte:

„Hat der Täter einer Erkundigungspflicht nicht genügt, so setzt die Feststellung von Vermeidbarkeit voraus, dass die Erkundigung zu einer richtigen Auskunft geführt hätte.“ (Rn. 21)

Insbesondere wegen der Ausführungen zu den Anforderungen an die Vermeidbarkeit des Verbotsirrtums handelt es sich hierbei somit um eine wichtige und examensrelevante Entscheidung.
 

BGH, Beschl. v. 8.1.2020 – 4 StR 548/19: Erpressung bei Nötigung zur Begehung von Eigentumsdelikten?

T brauchte dringend Geld, um sich Marihuana kaufen zu können. Deswegen bedrohte er zwei 13-jährige Jungen mit einem Messer und forderte sie auf, für ihn in der Innenstadt Wertgegenstände zu stehlen. Wie beabsichtigt, hatten die beiden Jungen Angst vor ihm und waren von dem vorgehaltenen Messer so beeindruckt, dass sie sich nicht zu widersetzen wagten. Auf dem Weg in die Innenstadt konnten sie aber weglaufen.
Der BGH beschäftigte sich mit der Strafbarkeit des T wegen versuchter besonders schwerer räuberischer Erpressung gem. §§ 253 Abs. 1, 255, 250 Abs. 2 Nr. 1, 22, 23 Abs. 1 StGB. Die Erpressung scheitert am Vermögensnachteil der Genötigten – das abverlangte Verhalten liegt „nur“ in der Begehung strafbarer Handlungen, ein Vermögensschaden auf Seiten des Nötigungsopfers fehlt. Weiterhin wäre für eine Dreieckserpressung ein Näheverhältnis zwischen dem Genötigten und dem zu Schädigenden erforderlich, an dem es hier, wie der BGH knapp feststellt, fehlte (vgl. auch BGH,  Urt. v.  20. 4.1995 ‒ 4 StR 27/95). Somit kam hier nur eine Strafbarkeit wegen versuchter Nötigung in zwei tateinheitlichen Fällen gem. §§ 240 Abs. 1, 2, 3, 22, 23 Abs. 1 StGB infrage.
 

BGH, Beschl. v. 22.1.2020 – 3 StR 526/19: Wohnungen i.S.d. § 244 Abs. 1 Nr. 3 StGB

Der BGH beschäftigte sich zur Klärung der Frage, ob die Wohnung eines Verstorbenen auch eine Wohnung i.S.d. § 244 Abs. 1 Nr. 3 StGB ist, mit folgendem (leicht abgewandeltem und gekürztem) Sachverhalt: Einbrecher E beschloss, vorrangig in die Häuser von Verstorbenen einzubrechen. Über entsprechende Todesfälle informierte er sich durch Traueranzeigen in der Tageszeitung. In der Folgezeit brach er, entsprechend seines Plans, unter Aufhebeln von Fenstern und Terassentüren in verschiedene Wohnungen von Verstorbenen ein.
In dem Beschluss bejahte der BGH, dass es sich bei den Immobilien, die noch voll eingerichtet und funktionsfähig waren, um Wohnungen im Sinne des § 244 Abs. 1 Nr. 3 StGB handelte mit einer lehrbuchartigen Gesetzesauslegung:

„Dafür spricht zunächst der Wortlaut der Vorschrift. Der Begriff „Wohnung“ bezeichnet eine für die private Lebensführung geeignete und in sich abgeschlossene Einheit von gewöhnlich mehreren Räumen. Nach dem allgemeinen Sprachgebrauch ist somit der Zweck der Stätte maßgebend, nicht deren tatsächlicher Gebrauch. […].
Diese Betrachtungsweise erfährt ihre Bestätigung in der Gesetzessystematik. Das Strafgesetzbuch sieht bei Einbruchdiebstählen eine Staffelung in Deliktsschwere und Strafmaß vor, die vom besonders schweren Fall des Diebstahls gemäß § 243 Abs. 1 Satz 2 Nr. 1 StGB über den Wohnungseinbruch im Sinne des § 244 Abs. 1 Nr. 3 StGB bis zum Einbruch in eine dauerhaft genutzte Privatwohnung nach § 244 Abs. 4 StGB reicht. Spätestens mit Einführung der letztgenannten Vorschrift im Jahr 2017 hat der Gesetzgeber deutlich gemacht, dass er die (dauerhafte) Nutzung der Wohnung nicht als tatbestandliche Voraussetzung des einfachen Wohnungseinbruchdiebstahls nach § 244 Abs. 1 Nr. 3 StGB verstanden wissen will. Die sprachliche Betonung dieses zusätzlichen Tatbestandsmerkmals in § 244 Abs. 4 StGB wäre sonst nicht geboten gewesen.“ (Rn. 16 f.)

Er argumentiert an dieser Stelle mit weiteren Delikten, namentlich § 123 Abs. 1 StGB, § 201a Abs. 1 Nr. 1 StGB und § 306a Abs. 1 Nr. 1 StGB, die sich auch in der Klausur gut zur Begründung heranziehen lassen!

„Schließlich gebieten Sinn und Zweck der Qualifikation aus § 244 Abs. 1 Nr. 3 StGB die Einbeziehung von unbewohnten Immobilien, jedenfalls so lange sie nicht als Wohnstätte entwidmet sind. Die Vorschrift soll das Eigentum an höchstpersönlichen Gegenständen und die häusliche Integrität an sich schützen. Diese Rechtsgüter können auch dann verletzt sein, wenn sie neben den aktuellen Bewohnern weiteren Personen zuzuordnen sind, die einen Bezug zu den Räumlichkeiten aufweisen – etwa, weil sie sich häufig in ihnen aufhalten, weil es sich um ihr Elternhaus handelt oder weil sie in dem Haus private Gegenstände lagern.“

Somit bejahte der BGH den Wohnungseinbruchsdiebstahl.
 

OLG Hamm, Beschl. v. 7.4.2020 – 4 RVs 12/20: Verwendung einer fremden EC-Karte zum kontaktlosen Zahlen

Ein Dauerbrenner im Examen sind die EC-Karten-Fälle, sodass sich ein Blick auf die aktuelle Entscheidung des OLG Hamm zum kontaktlosen Zahlen mit einer fremden EC-Karte lohnt. Folgender Fall (leicht abgewandelt und gekürzt) wurde entschieden: T erhielt von seiner Bekannten B die auf der Straße gefundene Geldbörse des O, in der sich neben ein wenig Bargeld und diversen Papieren und Karten auch eine EC-Karte befand. Mit dieser Karte tätigte T Einkäufe, u.a. im H-Markt, durch kontaktloses Bezahlen – also Auflegen der Karte auf das Lesegerät –, die jeweils einen Wert von unter 25 Euro hatten, sodass die Eingabe der PIN nicht erforderlich war. Diese Tatsache war T bekannt und er nutzte sie bewusst aus.
Eine Strafbarkeit wegen Betrugs gem. § 263 StGB lehnte das OLG ab, denn eine Täuschung liege bei der Zahlung ohne PIN-Abfrage nicht vor. Nach lesenswerten Ausführungen zu den Elementen der kontaktlosen Zahlung, folgert das OLG:

„Vor dem Hintergrund dieser Zahlungsmodalitäten hatten die Kassenkräfte des H-Marktes vorliegend keinerlei Anlass, sich Vorstellungen über die Berechtigung des Angeklagten zur Kartenverwendung zu machen. Im Gegenteil liefen sie vielmehr Gefahr, bei positiver Kenntnis von der Nichtberechtigung wegen kollusiven Zusammenwirkens mit dem Kartenverwender ihren Zahlungsanspruch gegen die […] kartenausgebende[…] Bank zu verlieren, weshalb aus Händlersicht gerade kein Anreiz bestand, über die Berechtigung des Angeklagten nachzudenken und so womöglich bösgläubig zu werden. Auch traf den Betreiber des H-Marktes bzw. seine Kassenmitarbeiter nach den Händlerbedingungen gegenüber der […] kartenausgebende[n] Bank keine Pflicht, die Berechtigung des Angeklagten anderweitig zu überprüfen, etwa durch Ausweiskontrolle. Damit aber fehlt es an einer Grundlage für die Annahme, dass der Angeklagte als Kunde seine Berechtigung zur Kartennutzung nach der Verkehrsanschauung fälschlich konkludent erklärt hätte und dass die Kassenmitarbeiter wenigstens im Sinne eines sachgedanklichen Mitbewusstseins einer entsprechenden irrigen Vorstellung unterlegen wären.“ (Rn. 14)

Gleichfalls scheidet auch ein Computerbetrug nach § 263a StGB aus, insbesondere wird nicht die einzig in Betracht kommende Variante der unbefugten Verwendung von Daten erfüllt – die h.M. setzt nämlich für das Merkmal „unbefugt“ voraus, dass die Verwendung gegenüber einer natürlichen Person Täuschungscharakter hätte. Das scheidet hier aber aus, denn geprüft werden mit dem Vorhalten der Karte vor das Lesegerät nur die Einhaltung des Verfügungsrahmens, die Nicht-Eintragung in eine Sperrdatei und das Vorliegen der Voraussetzungen für das Absehen von der starken Kundenauthentifizierung.
In Betracht zieht das OLG nach Verneinung einiger anderer Delikte schließlich noch eine Urkundenunterdrückung nach § 274 I Nr. 2 StGB: Die Verwendung der Karte im kontaktlosen Bezahlvorgang stellt eine Löschung/Veränderung beweiserheblicher Daten dar:

„Der noch bestehende Verfügungsrahmen sowie die Umstände der bisherigen Kartennutzung seit der letzten PIN-Abfrage stellen Gedankenerklärungen dar, die durch die Speicherung im Autorisierungssystem bzw. auf dem Chip der ec-Karte perpetuiert sind. Weiterhin sind diese Daten auch beweiserheblich, weil sie für die Autorisierung weiterer Bezahlvorgänge mit der ec-Karte relevant sind. Nur wenn der Verfügungsrahmen noch nicht ausgeschöpft ist und in Bezug auf die Umstände der bisherigen Kartennutzung die Voraussetzungen […] für das Absehen von der PIN-Abfrage erfüllt sind, erteilt die kartenausgebende Bank im POS-Verfahren die Autorisierung der Zahlung (ohne PIN-Abfrage). Anders als im Hinblick auf die Transaktionsdaten ist in Bezug auf den Verfügungsrahmen und die Umstände der bisherigen Kartennutzung auch die Garantiefunktion des Urkundenbegriffs erfüllt. Es ist nämlich die kartenausstellende Bank als Aussteller dieser Daten ohne Weiteres erkennbar.“ (Rn. 37)

Verwirklicht wurde darüber hinaus auch § 303a Abs. 1 StGB.
Insgesamt ist das hier also eine wichtige und examensrelevante Entscheidung, die man sich genauer anschauen sollte!
 

BGH, Beschl. v. 14.4.2020 – 5 StR 93/20: Mordmerkmal der gemeingefährlichen Mittel in Abgrenzung zur „Mehrfachtötung“

Im April hat der BGH die Anforderungen an das Mordmerkmal der gemeingefährlichen Mittel (speziell für den Fall naturgemäß gemeingefährlicher Mittel) konkretisiert. Folgender Sachverhalt (gekürzt) lag dem zugrunde: T zündete in dem von ihm bewohnten Zimmer im 1. OG eines Wohnkomplexes eine auf seinem Bett liegende Wolldecke an, schloss die Zimmertür und verließ das Haus. Es war ihm bewusst, dass A und B sich im 1. OG aufhielten und C sich möglicherweise im Dachgeschoss befand. Mögliche Verletzungen oder den Tod der anderen nahm T in Kauf. A entdeckte den Brand und alarmierte B und C. Sie flüchteten und alarmierten die Feuerwehr. A und C erlitten Rauchgasvergiftungen. Die Feuerwehr konnte ohne Atemschutz nur bis zur Hälfte der Holztreppe ins OG vordringen; ab dort bestand akute Lebensgefahr. Der im Zimmer des T lodernde Vollbrand konnte schließlich gelöscht werden.
Maßgeblich war zunächst die Frage, ob ein gemeingefährliches Mittel vorliegt, wobei die Tatsache, dass T den Brand in seinem Zimmer gelegt hat, die Gemeingefährlichkeit des Mittels nicht grundsätzlich ausschließt, vielmehr wohnt Handlungen wie der vorliegenden aufgrund ihrer naturgemäß fehlenden Beherrschbarkeit die Gemeingefährlichkeit bereits inne:

„Es gibt nach ihrer Eigenart grundsätzlich gemeingefährliche Mittel, bei denen allenfalls im Einzelfall die Beherrschbarkeit bejaht oder bei der speziellen Art ihrer Handhabung die Gefahr für eine Vielzahl von Menschen ausnahmsweise verneint werden kann. Dazu zählen Brandsetzungsmittel und Explosionsstoffe. Bei ihnen hat der Täter die Folgen seines Tuns typischerweise nicht in der Hand […]. An der gemeingefährlichen Verwendung fehlt es bei an sich nicht beherrschbaren Mitteln nur dann, wenn der Täter im konkreten Fall davon ausgeht, es könne dadurch nur die zur Tötung ins Auge gefasste Person getroffen werden.“ (Rn. 9)

Wichtig war außerdem die Abgrenzung zu „Mehrfachtötungen“, wobei es nach früherer Rspr. darauf ankam, ob sich die Tat trotz Einsatzes eines naturgemäß gemeingefährlichen Mittels gegen einen individualisierten Kreis von Personen richtet – dann war das Vorliegen dieses Mordmerkmals zu verneinen (s. BGH, Beschl. v. 18.7.2018 – 4 StR 170/18). Daran zweifelte der BGH aber nun:

„Es erscheint wertungswidersprüchlich, den Täter, der von vornherein eine konkrete Vielzahl von Opfern durch ein in seinem Gefahrenpotential nicht beherrschbares Mittel tötet, gegenüber demjenigen zu privilegieren, der ohne diese Konkretisierung aufgrund der Gemeingefahr des Tötungsmittels auch nicht bereits individualisierte Opfer in Kauf nimmt. Ausgehend von der bisherigen Rechtsprechung müsste in Fällen nicht weiterer Aufklärbarkeit der Tätervorstellung der Zweifelssatz für die Annahme sprechen, dem Täter sei es gerade auf die Tötung aller in die Gefahrenlage einbezogenen Personen angekommen. Weder die Formulierung noch der Sinn und Zweck des Mordmerkmals gebieten nach Ansicht des Senats eine solche Auslegung. Das gesetzliche Tatbestandsmerkmal stellt lediglich auf die vom Vorsatz umfasste Art des Tatmittels, nicht auf die Konkretisierung des Opfers in der Vorstellung des Täters ab. Die Unbestimmbarkeit des Opferkreises folgt vielmehr aus der besonderen Art des Tötungsmittels, das nach Freisetzung der in ihm ruhenden Kräfte für den Täter nicht mehr beherrschbar ist. Entscheidend muss es deshalb darauf ankommen, ob für den Angeklagten nicht mehr berechenbar ist, wie viele Menschen durch das Tatmittel verletzt und getötet werden können, weil er den Umfang der Gefährdung nicht beherrscht […]. Hat es der Täter bewusst nicht in der Hand, wie viele Menschen in den von ihm geschaffenen Gefahrenbereich geraten und durch sein Verhalten gefährdet werden, tötet er nach Ansicht des Senats auch dann mit gemeingefährlichen Mitteln, wenn er mit dem für ihn unbeherrschbaren Mittel eigentlich nur eine bestimmte Zahl konkreter Menschen töten will […].“ (Rn. 11 f.)

Im vorliegenden Fall fehlte aber sowieso die Individualisierung des Opferkreises, sodass die Frage i.E. nicht abschließend beurteilt werden musste.
Für weitere Details sei auf die ausführliche Besprechung von Melanie Jänsch verwiesen.
 

BGH, Beschl. vom 19.5.2020 – 4 StR 140/20: Habgier bei angestrebter staatlicher Versorgung in einer JVA?

Einen versuchten Mord aus Habgier nahm der BGH in vorliegendem Fall an: Der vermögenslose und nicht krankenversicherte A nahm sich vor, eine schwere Straftat begehen, um langfristig Unterkunft, Verpflegung und Krankenversorgung in einer JVA zu erhalten. In dieser Absicht fuhr er mit seinem Fahrzeug mit mindestens 80 km/h gezielt von hinten auf den auf einem Fahrradweg radelnden B auf. A wollte ihn erheblich verletzen. Zudem hielt er den Eintritt seines Todes ernsthaft für möglich und nahm ihn billigend in Kauf. B wurde von seinem Fahrrad geschleudert und erlitt durch den Aufprall und den Sturz schwere Verletzungen.
Zur Erinnerung:

„Habgier bedeutet ein Streben nach materiellen Gütern oder Vorteilen, das in seiner Hemmungslosigkeit und Rücksichtslosigkeit das erträgliche Maß weit übersteigt und das in der Regel durch eine ungehemmte triebhafte Eigensucht bestimmt ist. Voraussetzung hierfür ist, dass sich das Vermögen des Täters ‒ objektiv oder zumindest nach seiner Vorstellung ‒ durch den Tod des Opfers unmittelbar vermehrt oder dass durch die Tat jedenfalls eine sonst nicht vorhandene Aussicht auf eine Vermögensvermehrung entsteht.“ (2. a))

A wollte nun durch seine Tat lediglich eine langfristige Versorgung durch eine staatliche Einrichtung und dadurch eben auch eine Verbesserung seiner Vermögenslage i.S.e. rücksichtslosen Gewinnstrebens erreichen. Dass sich hiermit eine Begehung aus Habgier begründen lässt, wird auch nicht durch die Nachteile der Inhaftierung widerlegt, da diese für A nicht maßgeblich waren und er vornehmlich aufgrund der Vermögensvorteile handelte. Weiter begründet der BGH das Mordmerkmal der Habgier:

„Für die Annahme einer Tötung aus Habgier ist ferner unerheblich, dass der erstrebte Vermögensvorteil nicht unmittelbar aus dem Vermögen des Opfers stammen sollte. Ebenso steht einem Mordversuch aus Habgier nicht entgegen, dass der Angeklagte eine staatliche Versorgung auch auf legale Weise durch Beantragung von Sozialleistungen hätte erreichen können. Einen funktionalen Zusammenhang zwischen Tötung und Vermögensvermehrung in dem Sinne, dass der Angriff auf das Leben aus Sicht des Täters unerlässliches Mittel zur Zielerreichung ist, setzt das Mordmerkmal nicht voraus; entscheidend ist vielmehr die Motivation des Täters.“ (2. b)).

 

BGH, Beschl. v. 19.5.2020 – 6 StR 85/20: Erpresste Bankkarte und leeres Bankkonto

Der BGH traf ebenfalls am 19. Mai dieses Jahres einen Beschluss, wobei er die Anforderungen an einen Vermögensnachteil i.S.d. § 253 StGB darstellte. Der Sachverhalt ist schnell erzählt: T bedrohte O mit einer Schreckschusspistole und forderte ihn auf, am Automaten Geld abzuheben. Das gelang O aber nicht, da sein Konto nicht ausreichend gedeckt war. Daraufhin zwang T ihn unter Drohung mit der Waffe zur Aushändigung der EC-Karte und der PIN. Eine Strafbarkeit wegen Erpressung scheitert aber am Vermögensschaden:

„Zwar ist der Nachteil für das Vermögen i.S. des § 253 StGB gleichbedeutend mit der Vermögensbeschädigung beim Betrug, so dass auch schon eine bloße Vermögensgefährdung einen Vermögensnachteil darstellt. Dabei kommt es aber entscheidend darauf an, ob im Einzelfall durch die Verfügung das Vermögen konkret gefährdet, also mit wirtschaftlichen Nachteilen ernstlich zu rechnen ist. Durch die Kenntnis der geheimen Zugangsdaten zu einem Bankkonto ist das Vermögen des Opfers grundsätzlich beeinträchtigt, wenn sich der Täter zudem im Besitz der zugehörigen Bankkarte befindet und ihm deshalb die jederzeitige Zugriffsmöglichkeit auf den Auszahlungsanspruch des Berechtigten gegenüber der die Karte akzeptierenden Bank eröffnet ist.“ (Rn. 4)

Das setzt aber voraus, dass tatsächlich mit wirtschaftlichen Nachteilen zu rechnen ist, was hier jedoch mangels Deckung des Kontos nicht der Fall ist.
Auch hierbei handelt es sich also um eine Entscheidung, die man sich in Anbetracht der Examensrelevanz der einschlägigen Delikte zu Gemüte führen sollte.
 

BGH, Beschl. v. 23.6.2020 – 5 StR 164/20: Mehrfacher Einsatz einer fremden EC-Karte an demselben Geldautomaten

Noch ein EC-Karten-Fall hat den BGH diesen Juni beschäftigt, in konkurrenzrechtlicher Hinsicht: T erlangte EC-Karte und PIN des O. Daraufhin hob er an einem Geldautomaten der örtlichen Sparkasse zunächst 400 € und etwa eine Minute später weitere 600 € ab.

„Bei mehrfachem unberechtigtem Einsatz einer fremden ec-Karte an demselben Geldautomaten innerhalb kürzester Zeit – mit von vornherein auf die Erlangung einer möglichst großen Bargeldsumme gerichtetem Vorsatz – stellen die einzelnen Zugriffe eine einheitliche Tat nach § 263a StGB im materiellrechtlichen Sinne dar.“ (Rn. 3)

 
Strafprozessrecht

BGH, Beschl. v. 11.3.2020 – 4 StR 307/19: Kein Strafklageverbrauch durch Einstellung durch die Staatsanwaltschaft gem. § 153 Abs. 1 StPO

In einem Beschluss dieses Jahr stellte der BGH klar, dass eine Verfahrenseinstellung der Staatsanwaltschaft nach § 153 Abs. 1 StPO ohne Zustimmung des Gerichts kein Verfahrenshindernis begründet und der Aburteilung der Tat daher nicht entgegensteht, es kommt nicht mal ein begrenzter Strafklageverbrauch infrage. Das ist insofern anders als bei einer gerichtlichen Verfahrenseinstellung nach § 153 Abs. 2 StPO, nach der eine Verfahrensfortführung nur unter den Voraussetzungen des § 153a Abs. 1 S. 5 StPO möglich ist.

„Denn anders als bei einem gerichtlichen Beschluss nach § 153 Abs. 2 StPO, der auf der Grundlage einer auch für ein Urteil ausreichenden Sachverhaltsaufklärung ergehen kann, handelt es sich bei der staatsanwaltschaftlichen Einstellung nach § 153 Abs. 1 StPO strukturell um eine Entscheidung, der unter dem Gesichtspunkt des Verfahrensschutzes nicht die einem Urteilsverfahren ähnliche Verlässlichkeit zuzumessen ist. […] Da die Staatsanwaltschaft die von ihr […] verfügte Wiederaufnahme des Verfahrens auf neue Erkenntnisse und Tatsachen, die den Verdacht einer vorsätzlichen Tatbegehung begründeten, gestützt hat, liegt auch kein Verstoß gegen das Willkürverbot vor.“ (Rn. 4)

Alles in allem also eine Entscheidung, die sich gut in einer StPO-Zusatzfrage z.B. abfragen lässt, da man hier gut den Vergleich der Einstellung nach § 153 Abs. 1 StPO und der nach Abs. 2 ziehen kann.
 

BGH, Beschl. v. 27.5.2020 – 5 StR 166/20: Entzug des letzten Wortes bei Missbrauch

Kurz gehalten ist der Beschluss des BGH zu dem Fall, dass der Angeklagte eine Wiedereinsetzung in den vorigen Stand beantragte, weil ihm nicht ausreichend Gelegenheit zum letzten Wort (§ 258 StPO) gegeben worden sei, als ihm nach fünf Tagen das Wort entzogen wurde:

„Nach zehn Tagen Beweisaufnahme konnte er fünf Tage lang Ausführungen zu seiner Verteidigung machen. Dass er durch die Vorsitzende dabei 31 mal darauf hingewiesen wurde, dass seine Ausführungen Wiederholungen und Weitschweifigkeiten enthalten, und ihm schließlich eine Frist zur Beendigung seiner Ausführungen gesetzt wurde, lässt Rechtsfehler nicht erkennen. Denn ein Vorsitzender darf nach § 238 Abs. 1 StPO einschreiten, wenn sich die Ausführungen des Angeklagten in seinem letzten Wort mit nicht zur Sache gehörenden Umständen befassen, fortwährende Wiederholungen oder andere unnütze Weitschweifigkeiten enthalten oder sonst einen Missbrauch seines letzten Wortes darstellen. Nach mehrmaligen erfolglosen Ermahnungen ist auch der Entzug des letzten Wortes möglich.“ (Rn. 7)

 

Weitere Beiträge

Folgende Beiträge beschäftigen sich nicht mit Entscheidungen aus dem hier betrachteten Zeitraum, sind aber dieses Jahr erschienen und behandeln Examensrelevantes:
 
Unsere ausführliche Besprechung des Beschlusses des OLG Karlsruhe vom 13.3.2019 (1 Rv 3 Ss 691/18) zur Manipulation von Warenetiketten, wobei das Gericht über einen examensrelevanten Fall entschied, der sich im Kontext der Vermögens- und auch Urkundendelikte bewegt: Der Täter tauschte zwei Warenetiketten aus und zahlte an der Kasse in der Folge einen „falschen“ geringeren Preis, was der Kassiererin nicht auffiel. Er machte sich dadurch strafbar wegen Betrugs, woran sich im Hinblick auf den Vermögensschaden auch nichts dadurch ändert, dass er von einer Ladendetektivin beobachtet und vor Verlassen des Ladens aufgehalten wurde:

„Dass der von dem Täter erstrebte Vermögensvorteil erlangt oder auch nur erreichbar ist, ist hingegen wegen der überschießenden Innentendenz zur Tatbestandsvollendung nicht erforderlich. Danach ist erst recht dann von Vollendung auszugehen, wenn der Täter die rechtswidrig erstrebte Vermögensposition – wie hier Eigentum und Besitz an der Schlauchtrommel – bereits erlangt hat, diese aber noch nicht gegen die unmittelbar drohende Erhebung berechtigter Rückgabeansprüche des Geschädigten sichern konnte, weil er sich noch in dessen Herrschaftsbereich aufhält und seine Tat von einem im Auftrag des Geschädigten handelnden, eingriffsbereiten Dritten beobachtet wurde.“ (Rn. 22)

Eine Urkundenunterdrückung hat der Täter ebenfalls verwirklicht, denn das Etikett i.V.m. der Ware stellt eine zusammengesetzte Urkunde dar, die durch das Abreißen des Etiketts, um das Austauschen zu ermöglichen, vernichtet wurde. Eine Urkundenfälschung kam im konkreten Fall aber nicht in Betracht.
 
Der Beitrag von Dr. Lorenz Bode, in dem er klausurtaktische Hinweise zu dem Beschluss des BGH vom 6.6.2019 (STB 14/19) zu Beweisverwertungsverboten und Widerspruchslösung gibt. Hier wurde die Pflicht, dass Beweisverwertungsverbote im Ermittlungsverfahren „unabhängig von einem Widerspruch des Beschuldigten von Amts wegen zu beachten“ sind, „auch wenn der zugrundeliegende Verfahrensmangel eine für ihn disponible Vorschrift betrifft“, festgeschrieben.
 
Keine Gerichtsentscheidung, aber eine brandaktuelle Frage wird im Beitrag von Tobias Vogt behandelt: Es geht um die Strafbarkeit durch Ansteckung mit dem Coronavirus, die im Kontext einer Anzeige gegen eine Strafrichter wegen versuchter Körperverletzung, nachdem dieser auf die Durchführung einer Gerichtsverhandlung bestand, auch im Grundsatz betrachtet wird. Hierbei kommt die Möglichkeit einer Strafbarkeit wegen gefährlicher Körperverletzung, §§ 223, 224 StGB, in Betracht, die aber wohl häufig am fehlenden Vorsatz scheitern wird. Dann ist aber an eine fahrlässige Körperverletzung, § 229 StGB, denkbar. Bei tödlichem Verlauf ist natürlich an die Tötungsdelikte zu denken, auch ist immer der Versuch zu berücksichtigen.

03.08.2020/1 Kommentar/von Charlotte Schippers
https://www.juraexamen.info/wp-content/uploads/2022/05/je_logo.svg 0 0 Charlotte Schippers https://www.juraexamen.info/wp-content/uploads/2022/05/je_logo.svg Charlotte Schippers2020-08-03 08:16:002020-08-03 08:16:00Rechtsprechungsübersicht Strafrecht und Strafprozessrecht 1. Halbjahr 2020
Tobias Vogt

BGH zur strafrechtlichen Verantwortlichkeit von JVA-Beamten für den Mord eines Häftlings während eines Freigangs

Rechtsgebiete, Rechtsprechung, Startseite, Strafrecht, Strafrecht AT, Strafrecht BT

Das aktuelle BGH-Urteil vom 26.11.2019 – 2 StR 557/18 ist nicht nur für Justizvollzugsbeamte, sondern auch für Examenskandidaten von enormer Relevanz. Denn der Fall ist wie gemacht für eine Examensklausur: Ein Häftling begeht während eines von den zuständigen Justizvollzugsbeamten genehmigten Freigangs mehrere Straftaten, unter anderem tötet er bei einer Flucht vor der Polizei, während er mit rasanter Geschwindigkeit als „Geisterfahrer“ auf die Gegenfahrbahn fährt, eine im Gegenverkehr befindliche junge Frau. So kann zuerst die Strafbarkeit des Häftlings und hier insbesondere auch die aufgrund mehrere aktueller BGH-Entscheidungen bei Prüfern äußerst beliebte Problematik der Strafbarkeit wegen Mordes in den sog. „Raser-Fällen“ abgeprüft werden und sodann die Frage der strafrechtlichen Verantwortlichkeit der Justizvollzugsbeamten für diese Taten. Nachdem zwei Justizvollzugsbeamten durch das LG Limburg (Urteil vom 7.6.2018 – 5 KLs 3 Js 11612/16) wegen fahrlässiger Tötung verurteilt wurden, judizierte nun der BGH als Revisionsinstanz.
I. Strafbarkeit des Häftlings wegen Mordes, § 211 StGB
Ist in der Klausur offen nach der Strafbarkeit der Beteiligten gefragt, so ist zunächst mit dem Häftling als Tatnächsten zu beginnen. Dieser hat sich gemäß § 211 StGB wegen Mordes strafbar gemacht, wobei er jedenfalls das Mordmerkmal der Gemeingefährlichkeit erfüllte. Hinsichtlich der Abgrenzung von fahrlässiger Tötung und vorsätzlichem Mord in „Raser-Fällen“ ist auf unsere Artikel dazu (hier hier und hier) zu verweisen. Ein Vorsatz in Form des dolus eventualis kann hier insbesondere deshalb angenommen werden, weil der Täter eine Flucht um jeden Preis wollte und daher auch eine Eigengefährdung des Täters dem Vorsatz nicht entgegensteht, da er die Gefährdung anderer und auch sich selbst zum Zwecke der Flucht bewusst in Kauf nahm.
II. Verurteilung der JVA-Beamten durch das LG Limburg
Sodann ist zu erkennen, dass auch eine Strafbarkeit der Vollzugsbeamten wegen fahrlässiger Tötung gemäß § 222 StGB in Betracht kommt. Tathandlung ist hierbei die Entscheidung der Justizvollzugsbeamten, dem Häftling offenen Vollzug und dort weitere Lockerungen durch Freigänge zu gewähren. Das LG Limburg sah hierin eine Sorgfaltspflichtverletzung, die objektiv vorhersehbar zur Tötung des Opfers führte. Das Gericht stellte darauf ab, dass der Häftling bereits zuvor in einer Vielzahl von Fällen wegen Verkehrsdelikten verurteilt wurde. Insbesondere habe sich die Neigung des Häftlings, sich unter riskantem Verkehrsverhalten einer Polizeikontrolle zu entziehen, bereits in der Vergangenheit gezeigt. Denn einer der mehrere Verurteilungen des Häftlings lag ein Fall zugrunde, in dem dieser während einer Trunkenheitsfahrt bewusst in einer Kreuzung die Vorfahrt missachtete, um der Polizei zu entfliehen. Damals kam es nur aufgrund der schnellen Reaktion des anderen PWKs nicht zu einer Kollision.
III. Freispruch durch den BGH
Dem trat nun der BGH entgegen und hob die Verurteilung der beiden Justizvollzugsbeamten auf und sprach die beiden Angeklagten frei. Das oberste Gericht sah in der Entscheidung, den Strafgefangenen in den offenen Vollzug zu verlegen und ihm weitere Lockerungen in Form von Freigängen zu gewähren, schon keine Sorgfaltspflichtverletzung. Die Justizvollzugsbeamten handelten auf Grundlage der einschlägigen landesrechtlichen Strafvollzugsvorschriften. Vollzugsbedienstete haben bei jeder Entscheidung über vollzugsöffnende Maßnahmen zwischen der Sicherheit der Allgemeinheit einerseits und dem grundrechtlich geschützten Resozialisierungsinteresse eines Strafgefangenen andererseits abzuwägen, so der BGH. Dabei besteht ein Beurteilungsspielraum der Beamten. Da die Angeklagten – aus der maßgeblichen Sicht zum damaligen Zeitpunkt – alle relevanten für und gegen eine Vollzugslockerung sprechenden Aspekte berücksichtigten, haben sie ihren Beurteilungsspielraum nicht überschritten.
Zudem verneinte der BGH auch die objektive Vorhersehbarkeit des konkreten Taterfolgs. Denn der Fluchtverlauf, bei dem der Häftling einen vorsätzlichen Mord unter Verwirklichung des Mordmerkmals der Gemeingefährlichkeit begang, liege so sehr außerhalb der gewöhnlichen Erfahrung, dass mit ihm nicht gerechnet werden musste. Auch wenn sich dies aus der Pressemitteilung des BGH noch nicht direkt ergibt, wird für den BGH wohl ausschlaggebend gewesen sein, dass sich die in der Vergangenheit vom Häftling begangenen Verkehrsdelikte dadurch deutlich vom nun zu beurteilenden Geschehensablauf unterscheiden, als dass der Täter zuvor stets auf einen guten Ausgang hoffte und auch keine mit einer „Geisterfahrt“ auf einer befahrenen Gegenfahrbahn in ihrer Intensität vergleichbare Gefährdungslage schaffte.
IV. Fazit
Der BGH verneinte im vorliegenden Fall eine Strafbarkeit der Justizvollzugsbeamten wegen fahrlässiger Tötung. Dies dürfte nicht nur für Aufatmen bei den beiden Angeklagten, sondern auch bei anderen Strafvollzugsbeamten führen. Zwar lässt sich das Urteil des BGH nicht so verstehen, dass eine strafrechtliche Verantwortlichkeit für während des Freigangs begangener Straftaten von vorneherein ausgeschlossen sei. Dennoch bestehen dabei hohe Hürden. So erkennt der BGH einen Beurteilungsspielraum der Strafvollzugsbeamten bei der Entscheidung über eine Vollzuglockerung an. Zudem sind jedenfalls Straftaten, die sich hinsichtlich Vorsatzes, Schwere und Gefährdungsgrad deutlich von den bisherigen Straftaten des Häftlings unterscheiden, objektiv nicht vorhersehbar.
 
 

09.12.2019/2 Kommentare/von Tobias Vogt
https://www.juraexamen.info/wp-content/uploads/2022/05/je_logo.svg 0 0 Tobias Vogt https://www.juraexamen.info/wp-content/uploads/2022/05/je_logo.svg Tobias Vogt2019-12-09 10:00:342019-12-09 10:00:34BGH zur strafrechtlichen Verantwortlichkeit von JVA-Beamten für den Mord eines Häftlings während eines Freigangs
Dr. Maximilian Schmidt

Pistorius: klassischer Erlaubnistatbestandsirrtum?

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Oscar Pistorius ist wegen fahrlässiger Tötung schuldig gesprochen worden (s. hier). Er hatte seine Freundin durch eine Badezimmertür erschossen, weil er einen Einbrecher hinter dieser vermutet hatte. Der Fall bietet – übertragen auf das deutsche Rechte – viele Anknüpfungspunkte für eine mündliche Prüfung oder gar eine Examensklausur im Strafrecht. An dieser Stelle sei auf unsere ausführlichen Artikel zum Erlaubnistatbestandsirrtum in der Klausur sowie der irrtümlichen Notwehrlage eines HellsAngels Mitglieds hingewiesen. Letztlich läuft der Fall Pistorius analog. Im Folgenden werden die wohl wesentlichen Prüfungspunkte dargestellt:
I. Subjektiver Tatbestand: Zunächst bräuchte Pistorius Vorsatz, das heißt Wissen und Wollen, hinsichtlich der Tötung seiner Freundin. Da Pistorius jedoch einen Einbrecher vermutete, liegt ein error in persona vor. Dieser ist aber unbeachtlich, da die Tatobjekte rechtlich gleichwertig sind. In einer mündlichen Prüfung könnte die Abgrenzung von (unbeachtlichem) error in persona zu einem aberratio ictus (Fehlgehen der Tat) abgefragt werden.
II. Rechtfertigung: In Betracht kommt die Notwehr nach § 32 StGB. Tatsächlich lag kein kein gegenwärtiger rechtswidrig Angriff auf Pistorius vor, sodass es schon an einer Notwehrlage mangelt.
III. Erlaubnistatbestandsirrtum: Subjektiv hat sich Pistorius (nach Beweislage) aber vorgestellt, dass ein gegenwärtiger rechtswidriger Angriff, also eine Notwehrlage vorlag. Dies führt zum Problem des Erlaubnistatbestandsirrtum, der von verschiedenen Seiten unterschiedlich behandelt wird (die Vorsatztheorie bzw Lehre von den negativen TB-Merkmalen gem. § 16 Abs. 1 StGB, die strenge Schuldtheorie gem. § 17 StGB, die eingeschränkte Schuldtheorie gem. § 16 Abs. 1 S. 1 StGB analog und die rechtsfolgenverweisenden Schuldtheorie, der im Ergebnis gefolgt werden sollte gem. § 16 Abs. 1 S. 1 StGB analog).
Anschließend muss geprüft werden, ob nach der Vorstellung von Pistorius ein Notwehrrecht tatsächlich vorgelegen hätte und ob dieses dann  nach seiner Vorstellung rechtmäßig ausgeübt wurde. Hier kann man Überlegungen anstellen, ob mehrere Schüsse durch eine geschlossene Badezimmertür ohne vorherige Ankündigung noch ein erforderliches Mittel zur Abwehr des (vermeintlichen) Angriffes sind. Für eine Erforderlichkeit kann angeführt werden, dass Pistorius beinamputiert ist und in der besagten Nacht keine Prothese trug. Somit war er in seiner Verteidungsbereitschaft stark eingeschränkt, was zu einer Absenkung der Anforderungen an einen Schusswaffengebrauch führen kann. Die Theorien zur Behandlung des Erlaubnistatbestandsirrtums sollten letztlich erst an dieser Stelle ausführlich diskutiert werden, da diese nur bei tatsächlichem Vorliegen eines Erlaubnistatbestandsirrtum eine Rolle spielen.
Nimmt man nun an, dass Pistorius die Grenzen seines vermeintlichen Notwehrrechtes aus Verwirrung, Furcht oder Schrecken überschritten hat (die Vermutung könnte insbesondere wegen des unangekündigten Schusswaffengebrauches nahe liegen), käme man zu einem sog. Putativnotwehrexzess, also einer Überschreitung seines Notwehrrechts gem. § 33 StGB bei gleichzeitigem Vorliegen eines Erlaubnistatbestandsirrtums. Wie dieser Putativnotwehrexzess rechtlich zu behandeln ist, ist umstritten.

In Betracht kommt eine analoge Anwendung des § 33 StGB, die aber abzulehnen ist. Liegt keine Notwehrlage vor, kann das Risiko des Überschreitens der Grenzen des Notwehrrechtes nicht auf den vermeintlichen Angreifer übertragen werden. Eine vergleichbare Interessenlage liegt daher nicht vor (ganz h.M.; vgl. BGH – 4 StR 267/02). Teilweise wird § 35 Abs. 1 S. 2 StGB analog angewendet, teils auf eine Mitverursachung durch den Geschädigten abgestellt. Da dies hier nicht vorliegt, wäre Pistorius strafbar wegen vorsätzlicher Tötung.

a.A.: Sieht man die Grenzen des vermeintlichen Notwehrrechtes hingegen als gewahrt an und lehnt im Folgenden eine Vorsatzstrafbarkeit ab, muss noch die fahrlässige Tötung geprüft werden gem. § 222 StGB. Die Strafbarkeit ergibt sich hierbei aus § 16 Abs. 1 S. 2 StGB (analog).
Man sieht: Der Fall kann Futter für eine mündliche Prüfung liefern und sollte daher ein Mal komplett durchdacht sein. Trotz aller Kritik – die der Polemik im Fall der Tötung eines Polizisten durch ein Mitglied der HellsAngels nahe kommt – ist das Urteil zumindest nach deutschem Recht nachvollziehbar.

17.09.2014/10 Kommentare/von Dr. Maximilian Schmidt
https://www.juraexamen.info/wp-content/uploads/2022/05/je_logo.svg 0 0 Dr. Maximilian Schmidt https://www.juraexamen.info/wp-content/uploads/2022/05/je_logo.svg Dr. Maximilian Schmidt2014-09-17 13:40:382014-09-17 13:40:38Pistorius: klassischer Erlaubnistatbestandsirrtum?
Christian Muders

Die Behandlung der einverständlichen Fremdgefährdung in der Klausur

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Der nachfolgende Beitrag behandelt den Umgang mit dem Problem der sog. einverständlichen Fremdgefährdung, die häufiger in schriftlichen und mündlichen Prüfungen auftaucht und namentlich bei fahrlässig verwirklichten Delikten, insbesondere einer fahrlässigen Tötung gem. § 222 StGB, aber auch fahrlässigen Körperverletzungen nach § 229 StGB, eine Rolle spielen kann. Erstgenannte Norm liegt etwa dem vom BGH entschiedenen Fall eines tödlich ausgehenden Pkw-Rennens (Urteil v. 20.11.2008 – 4 StR 328/08 = BGHSt 53, 55 ff.) zugrunde: Zwei Autofahrer lieferten sich mit ihren getunten Wagen ein Beschleunigungsrennen, wobei beide je einen Beifahrer dabei hatten, welcher u.a. das Geschehen filmte. Während eines parallel vorgenommenen Überholvorgangs im Hinblick auf ein drittes Auto, welches in die gleiche Richtung auf der rechten Spur unterwegs war, geriet einer der getunten Pkw von der Fahrbahn, wobei sowohl Fahrer als auch Beifahrer herausgeschleudert wurden und der Beifahrer starb; dass dieser mit dem tödlichen Überholvorgang seines Partners einverstanden gewesen war, konnte jedenfalls nicht ausgeschlossen werden. Zu prüfen war jetzt die Strafbarkeit des Fahrers des verunfallten Pkw nach § 222 StGB im Hinblick auf den Tod seines Gefährten.
1. Erste Frage: Liegt überhaupt eine Fremdgefährdung vor?
Zu klären ist zunächst auf Tatbestandsebene, ob der Tod des Beifahrers dem Fahrer überhaupt objektiv zurechenbar ist. Dies scheidet dann aus, wenn das spätere Opfer maßgeblich selbst für das Risiko, welches zur Einbuße der eigenen Güter geführt hat, verantwortlich zeichnet, also nicht der Fall einer Fremd- sondern einer eigenverantwortlichen Selbstgefährdung vorliegt. Dies ist dann zu bejahen, wenn das Opfer die Gefährdung im Wesentlichen selbst herbeigeführt hat, so dass der zugehörige tatbestandsmäßige Erfolg nicht einem Dritten als zurechenbare Fremdverletzung angelastet werden kann. Die Rechtsprechung differenziert hierbei danach, ob das Opfer selbst oder aber ein Dritter die Tatherrschaft über dasjenige Geschehen trug, welches unmittelbar zum tatbestandlichen Erfolg geführt hat; eine Methode, die man bereits von der Abgrenzung von Suizid zur Fremdtötung her kennt, nur, dass im Unterschied hierzu, in der vorliegenden Konstellation keine vorsätzliche, sondern lediglich eine fahrlässige Herbeiführung des tatbestandsmäßigen Erfolges in Rede steht. Das Tatherrschaftskriterium des BGH wird in der Lehre allerdings teilweise unter Hinweis darauf kritisiert, dass beim Fahrlässigkeitsdelikt nach h.M. ein extensiver Einheitstäterbegriff gilt, so dass auch Verhaltensweisen, die bei Vorsatztaten als bloße „Teilnahme“ zu werten wären, als täterschaftliche und damit tatbestandsmäßige Verursachung des Deliktserfolgs erfasst werden können – demgemäß käme dem Begriff der „Tatherrschaft“ bei Fahrlässigkeitsdelikten keine eigenständige Bedeutung zu. Allerdings ändert der Einheitstäterbegriff im Fahrlässigkeitsbereich nichts daran, dass auch hier die von einer eigenverantwortlich agierenden Person herbeigeführte Selbstverletzung strafrechtlich irrelevant ist, so dass es widersprüchlich erschiene, die hierauf bezogene Unterstützungshandlung Dritter plötzlich als relevante Fremdverletzung einzuordnen. Demgemäß kann beim Fahrlässigkeitsdelikt die Tatherrschaft zwar nicht als formelles Kriterium für den Ausschluss einer (mangels rechtswidriger Haupttat) nicht realisierbaren Teilnahme, wohl aber als Konkretisierung für ein autonomes, eigenverantwortliches Verhalten des schlussendlichen Opfers herangezogen werden, welches – ebenso wie beim Vorsatzdelikt – zu einem Ausschluss einer Verantwortung Dritter führen muss. Im Hinblick auf den Rennfahrer-Fall hat der BGH danach eine Fremd- und keine Selbstgefährdung angenommen, da derjenige, der den letztendlich todbringenden Überholvorgang gesteuert und initiiert hat, nicht der Beifahrer, sonder der den Pkw tatsächlich steuernde Fahrer gewesen ist – selbst wenn das spätere Opfer damit einverstanden oder den Überholvorgang vom Fahrer sogar gefordert hätte, läge allenfalls eine „Anstiftung“ oder „psychische Beihilfe“ zu dem pflichtwidrigen Fahrmanöver des Fahrers vor, was jedoch nicht dazu führen würde, dass dem schlussendlich getöteten Partner eine (mindestens gleichrangige) Herrschaft über das Geschehen zuerkannt werden könne.
2. Zweite Frage: Ist die Fremdgefährdung einverständlich erfolgt?
a) Hier ist zunächst der Prüfungsort für diese Fragestellung umstritten: Während Roxin die einverständliche Fremdgefährdung, ebenso wie die Figur der eigenverantwortlichen Selbstgefährdung, dann als Frage der objektiven Zurechnung begreift, wenn diese „unter allen relevanten Aspekten“ einer Selbstgefährdung gleichstehe (AT I, § 11/123), verortet die h.M. selbige stets beim Prüfungspunkt der Rechtfertigung. Letzteres erscheint in der Tat vorzugswürdig: Denn wenn Eigen- und Fremdgefährdung nach dem Maß der Tatherrschaft des Opfers getrennt werden können, können beide gerade nicht als unter den „relevanten Aspekten“ gleich bewertet werden. Demgegenüber hatte die Vorinstanz im BGH-Fall allerdings argumentiert, dass die Beifahrer bei vorangegangenen Rennen auch selbst am Steuer saßen, so dass es mehr oder weniger vom Zufall abhängig war, wer während der konkreten Fahrt das Gefährt steuerte. Warum dies jedoch für die Frage der Verantwortung für ein konkretes Fehlverhalten relevant sein soll, erscheint nicht ersichtlich: So würde man schließlich auch bei einem Lkw-Fahrer, der aufgrund riskanten Fahrverhaltens einen Unfall mit tödlichem Ausgang verursacht, nicht zusätzlich seinen Kollegen mit dem Argument in Haftung nehmen, dass dieser die Strecke ebenfalls täglich in derselben pflichtwidrigen Weise befährt, so dass es bei ihm ebenso zu dem tödlichen Geschehen hätte kommen können. Für eine Prüfung der etwaigen Zustimmung in das pflichtwidrige Verhalten im Rahmen der Rechtswidrigkeit spricht zudem, dass die einverständliche Fremdgefährdung sehr dem Fall einer regulären Einwilligung ähnelt, die aber nach h.M. stets als Rechtfertigungsgrund fungiert: Wie diese bezieht sich die einverständliche Fremdgefährdung ebenso auf ein durch einen Dritten verwirklichtes Tun, nur dass sie nicht an den eingetretenen Erfolg in Gestalt der Tötung bzw. Verletzung anknüpft (den ja weder Täter noch Opfer herbeiführen wollten), sondern sich allein auf die diesen erst auslösende gefährdende Handlung bezieht.
b) Da sich die Einwilligung des späteren Opfers somit nicht – wie regulär – (auch) auf den eingetretenen Erfolg, sondern nur die Tathandlung, im BGH-Fall also den Überholvorgang des Fahrers bezieht, könnte allerdings fraglich sein, ob ihr überhaupt eine rechtfertigende Wirkung zukommen kann. Dies nimmt die wohl überwiegende Meinung indes grundsätzlich an: Denn auch wenn die Einwilligung den später eingetretenen Erfolg und damit das Erfolgsunrecht der Tat nicht erfasst, so wird durch diese doch zumindest die Tathandlung, welcher das Opfer gerade zugestimmt hat, und damit das Handlungsunrecht des Täters neutralisiert. Damit bleibt aber als unrechtsrelevanter Faktor nur das Erfolgsunrecht in Gestalt der Rechtsgutsbeeinträchtigung übrig, welches für sich betrachtet jedoch nicht in der Lage ist, den Tatbestand der fahrlässigen Tötung (bzw. Körperverletzung) allein zu konstituieren. Demgemäß führt die insofern anzunehmende „Teilrechtfertigung“ dazu, dass eine Strafbarkeit des Täters wegen vollendetem Fahrlässigkeitsdelikts insgesamt ausscheidet – ähnlich wie dies auch für den Fall anerkannt ist, bei dem der Täter im Hinblick auf einen Rechtfertigungsgrund unwissentlich handelt (Bsp.: Der Delinquent verkennt, dass sein Opfer ihn gerade angreifen wollte und er daher aus Notwehr gerechtfertigt gewesen wäre): Hier liegt gewissermaßen der umgekehrte Fall vor, dass nämlich das Erfolgsunrecht entfällt und nur das Handlungsunrecht verbleibt, was aber nach h.M. nicht zu einer Bestrafung wegen vollendeten Delikts, sondern (nur) wegen Versuchs führt – ein Weg, der für das Fahrlässigkeitsdelikt freilich von vornherein versperrt ist und im Hinblick auf das hier allein in Rede stehende Erfolgsunrecht auch nicht zielführend wäre.
3. Dritte Frage: Eingreifen der Einwilligungssperren nach §§ 216, 228 StGB?
Abschließend stellt sich noch die Frage, ob einer (Teil-)Einwilligung des Beifahrers in das tatbestandliche Handlungsunrecht nicht die Sperrwirkung der §§ 216, 228 StGB im Wege steht: Ersterer Tatbestand bezieht sich auf eine Strafbarkeit bei der Einwilligung in eine Fremdtötung, womit das Gesetz zum Ausdruck bringt, dass hier eine Rechtfertigung im Hinblick auf das „Ob“ der Strafe gerade nicht bestehen soll; letztere Regelung behandelt einen Ausschluss der Einwilligung in das Unrecht einer Körperverletzung, soweit die begangene Tat als sittenwidrig erscheint.
a) Fraglich ist dabei zunächst, ob eine oder beide Regelungen auf die Fahrlässigkeitsdelikte der §§ 222, 229 StGB überhaupt anwendbar sind. Dies scheint deswegen nicht von vornherein ausgemacht, da beide Vorschriften die Möglichkeit einer rechtfertigenden Einwilligung beschränken, so dass bei ihnen – als strafbegründende Umstände – insbesondere die Wortlautgrenze des Art. 103 Abs. 2 GG zu beachten ist.
aa) Eine Anwendbarkeit auf Fahrlässigkeitsdelikte erscheint dabei gerade im Hinblick auf § 216 StGB, der Tötung auf Verlangen, fragwürdig, da diesem Tatbestand zwingend ein vorsätzliches Tatgeschehen zugrunde liegt, weil ansonsten ein dort gefordertes „Bestimmen“ des Täters zur Tötung nicht denkbar ist; diese Situation ist auf eine fahrlässige Tat aber nicht übertragbar. Desgleichen ist zu beachten, dass die Vorschrift mit ihrem absoluten Einwilligungsverbot bei Tötungsdelikten im Hinblick auf die grundgesetzlich geschützte Privatautonomie des Opfers ohnehin eine höchst problematische Ausnahmeregelung darstellt, so dass auch dieser Punkt gegen eine Ausdehnung derselben auf § 222 StGB spricht („singularia non sunt extendenda“). Schließlich lässt sich auch die systematische Stellung der Norm gegen eine Anwendbarkeit auf die fahrlässige Tötung ins Feld führen, da letzterer Tatbestand hinter § 216 StGB geregelt ist, so dass selbige sich – unter Beachtung der gesetzlichen Abfolge – (nur) auf die vorsätzlichen Delikte der §§ 211, 212 StGB beziehen kann.
bb) Ähnliche Bedenken bestehen auch im Hinblick auf die Einwilligungssperre bei einer Körperverletzung durch § 228 StGB: Diese Vorschrift kann allerdings zunächst durchaus (auch) bei einer fahrlässigen Tötung herangezogen werden, da hier jedenfalls als Zwischenschritt eine Körperverletzung zwingend enthalten ist, die sodann zum Tod führt; i.Ü. kann auch der Tod selbst als die schwerste denkbare Körperverletzung, nämlich eine solche, die zur irreversiblen Aufhebung der Funktionsfähigkeit des Gesamtorganismus führt, begriffen werden. Dennoch sprechen sowohl die Systematik (die fahrlässige Körperverletzung steht wiederum hinter der Einwilligungssperre nach § 228 StGB) als auch der Wortlaut gegen eine Anwendbarkeit des § 228 StGB auf fahrlässig begangene Delikte: Letzteres ergibt sich insbesondere aus der Gegenüberstellung von § 228 StGB und § 229 StGB, wobei die erstgenannte Norm davon spricht, dass der Täter eine Körperverletzung mit Einwilligung der verletzten Person „vornimmt“, was auf das Erfordernis eines finalen Verhaltens schließen lässt – sich etwas vornehmen heißt schließlich, dass ein bestimmter Sachverhalt bereits vorab durchdacht wurde, bevor er ins Werk gesetzt wird. Demgegenüber sind sowohl § 229 als auch § 222 StGB neutraler formuliert, da dort jeweils nur gefordert ist, dass die jeweilige Rechtsgutsverletzung durch den Täter „verursacht“ wird.
b) Dagegen nimmt allerdings der BGH an, dass im Rahmen einer fahrlässigen Tötung die §§ 216, 228 StGB jedenfalls ihrem „Rechtsgedanken“ nach Anwendung finden können. So heißt es in der Rennfall-Entscheidung, hierfür spreche sowohl der Normzweck des § 228 StGB als auch die aus der Vorschrift des § 216 StGB abzuleitende gesetzgeberische Wertung. Sie begrenzten die rechtfertigende Kraft der Einwilligung in eine Tötung oder Körperverletzung, da das Gesetz ein soziales bzw. Allgemeininteresse am Erhalt dieser Rechtsgüter auch gegen den aktuellen Willen des Betroffenen verfolge. Eine rechtfertigende Wirkung der Einwilligung in riskantes Verkehrsverhalten scheide danach bei rein individualschützenden Delikten dort aus, wo die Grenze zur Sittenwidrigkeit überschritten sei, was durch den BGH mit dem Vorliegen einer konkreten Todesgefahr, unabhängig von einer tatsächlich eingetretenen Rechtsgutsverletzung, gleichgesetzt wird. Danach wäre im Fall des Beschleunigungsrennens jedenfalls zu dem Zeitpunkt, zu dem ein gleichzeitiges Überholen eines unbeteiligten dritten Fahrzeugs mit nicht mehr kontrollierbaren höchsten Risiken für sämtliche betroffene Verkehrsteilnehmer verbunden war, eine Einwilligungssperre nach § 228 StGB anzunehmen. Unabhängig von der Nachvollziehbarkeit dieses Ergebnisses im konkreten Fall erscheint eine generelle Gleichsetzung des Begriffs der „Sittenwidrigkeit“ mit einer erhöhten Todesgefahr jedoch zweifelhaft, da durchaus Fälle vorstellbar sind, in denen eine Person hochgradig gefährdet wird, ohne dass gleichzeitig eine Strafbarkeit des Handelnden angebracht wäre: Gedacht sei etwa das Beispiel, dass ein Täter seinen kollabierten Freund mit Hochgeschwindigkeit zum Krankenhaus fährt, damit dieser eine lebensrettende Injektion erhalten kann, und dabei einen für seinen Begleiter tödlichen Unfall verursacht – hier eine Sittenwidrigkeit der zuvor erteilten Einwilligung nur aufgrund der Todesgefahr durch das riskante Fahren anzunehmen, erscheint der Rettungsintention des Fahrers nicht angemessen. Der Fall zeigt, dass eine Bejahung des Merkmals der Sittenwidrigkeit nicht nur isoliert nach der Gefährdung des Opfers, sondern immer auch im Hinblick auf die Zwecke, die der Täter dabei verfolgt, bestimmt werden muss. Demgemäß müssen die tragenden Motive des Delinquenten jedenfalls insoweit, wie sie nachvollziehbar und billigenswert erscheinen, eine durch die Gefährdung zunächst indizierte Sittenwidrigkeit ausschließen können. Auch nach dieser Maßgabe wäre freilich im vorliegenden Fall des BGH, sofern man die Vorschrift des § 228 StGB nach dem soeben Gesagten überhaupt für anwendbar hält, von einer Sittenwidrigkeit auszugehen: Denn der Zweck des Beschleunigungsrennens und des hierbei durchgeführten Überholvorgangs im Besonderen folgte keiner von der Rechtsordnung unterstützten Intention, vielmehr wurde beides offenbar nur aus der simplen Lust am Geschwindigkeitsrausch und Wettkampf vorgenommen.

19.02.2013/3 Kommentare/von Christian Muders
https://www.juraexamen.info/wp-content/uploads/2022/05/je_logo.svg 0 0 Christian Muders https://www.juraexamen.info/wp-content/uploads/2022/05/je_logo.svg Christian Muders2013-02-19 10:00:282013-02-19 10:00:28Die Behandlung der einverständlichen Fremdgefährdung in der Klausur

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