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Schlagwortarchiv für: Examen

Dr. Marius Schäfer

Typische Examensfehler: Öffentliches Recht

Examensvorbereitung, Lerntipps, Öffentliches Recht, Rechtsgebiete, Startseite, Verschiedenes

Die meisten Missgeschicke, die Examenskandidaten innerhalb von (Examens-)Klausuren begehen, lassen sich ohne weiteres vermeiden. Oftmals sind es auch immer wieder die gleichen damit verbundenen Probleme, auf welche die Klausurbearbeiter dabei stoßen. Daher soll dieser Beitrag einen Einblick zu den Erfahrungen gewähren, die ich im Rahmen meiner Tätigkeit als Korrektor bei der Examensvorbereitung der Universität Bonn sammeln konnte, um eine Hilfestellung für alle zukünftigen Examenskandidaten zu liefern. Dem ein oder andere mag sich in Bezug auf diese Hinweise so einiges als selbstverständlich vorkommen, doch kann ich euch versichern: Das ist es leider nicht!
Nachdem euch zuvor schon ganz allgemein solche typischen Examensfehler eigens in einem Artikel präsentiert wurden, ist es nun an der Zeit, sich dem ersten Rechtsgebiet zu widmen, indem euch Hinweise zu Klausuren im Bereich des Öffentlichen Rechts gegeben und die typischen Examensfehler dazu aufgezeigt werden. Zwar lässt sich die unten dargestellte Liste noch deutlich erweitern, doch hoffe ich, dass euch die folgenden Punkte schon um einen entscheidenden Schritt im Rahmen eurer Examensvorbereitung weiterbringen können.
 
I. Allgemeine Hinweise

  • Fallbearbeitung: Ihr werdet insbesondere bei Klausuren im Öffentlichen Recht mit verschiedenen Begehren und Argumentationen der beteiligten Personen und Behörden konfrontiert, welche streng auseinanderzuhalten sind und vollständig in eurem Gutachten wiederzufinden sein sollten.
  • Schemata: Alle gängigen Schemata zu sämtlichen Klagearten, aber auch zur Prüfung der Rechtmäßigkeit eines Grundrechtseingriffes, VAs, zum Normal- und Sofortvollzug, zum Eingriff in eine Grundfreiheit, usw. müssen ganz sicher auswendig beherrscht werden, denn hierauf darf in der Klausursituation keine Zeit zum Überlegen verwendet werden.
  • Normkenntnis: Oftmals gewinnt man als Korrektor den Eindruck, dass sich der Klausurbearbeiter die einschlägigen Normen zum ersten Mal in der Klausur selbst angesehen hat und daher unsicher mit dessen Umgang ist. Ein gutes Beispiel, wie sehr eine solide Normenkenntnis weiterhelfen kann, sind etwa die §§ 48, 49 VwVfG zur Rücknahme eines rechtswidrigen bzw. zum Widerruf eines rechtmäßigen VAs.
  • Begrifflichkeiten: Benennt die einschlägigen Begrifflichkeiten unbedingt mit der exakten Bezeichnung, denn so heißt es etwa „Verwaltungsrechtsweg“ und nicht „Verwaltungsgerichtsweg“.
  • Definitionen: Ein absolutes Muss ist die sichere Kenntnis über die einschlägigen Definitionen oder die Bedeutung gerade von im Verfassungsrecht besonders relevanten Begriffen, denn sonst kann eine fundierte Subsumtion, auf die im Öffentlichen Recht besonderen Wert gelegt wird, nicht erfolgen. Beispielhaft dazu sei die Verhältnismäßigkeitsprüfung angeführt, denn hier ist zunächst zu definieren, wann eine Maßnahme verhältnismäßig ist („Eine Maßnahme ist verhältnismäßig, wenn diese zur Erreichung eines legitimen Zieles geeignet, erforderlich sowie angemessen ist.“) und was unter den aufgeführten Merkmalen zu verstehen ist. Ihr seht also, dass ihr euch mit ein wenig Mühe von euren Mitstreitern absetzen und einen guten Eindruck beim Korrektor hinterlassen könnt.
  • Auslegung: Beachtet vor allem, dass insbesondere im Öffentlichen Recht oftmals eine an den Auslegungskanones orientierte, methodische Herangehensweise gefragt ist, wie z.B. bei der Frage nach einem materiellen Prüfungsrecht des Bundespräsidenten.
  • Schwerpunktsetzung: In der Regel lassen sich die meisten Punkte im Rahmen der Begründetheit verdienen, sodass unproblematische Prüfungspunkte innerhalb der Zulässigkeit nur kurz abzuhandeln sind.
  • Analogien herstellen: Insbesondere im Hinblick auf Examensklausuren im Bereich des Öffentlichen Rechts könnten euch unbekannte Fallkonstellationen und -gestaltungen begegnen, die sich (nur) mit dem Ziehen von vergleichbaren Wertungen oder mit dem Herstellen von Analogien zu euch bekannten Grundsätzen lösen lassen. Als ein Beispiel sei hier meine erste Klausur aus dem Staatsexamen in NRW (Ö I – Mai 2012) angeführt.

 
II. Staats- und Verfassungsrecht

  • Verfassungsrechtliche Prinzipien: Diese spielen im Grunde zu jeder Problemstellung im Staats- und Verfassungsrecht eine Rolle. Wer etwa die demokratischen und rechtsstaatlichen Grundsätze nicht kennt, dem fehlen häufig wertvolle Argumentationslinien.
  • Organstreitverfahren: Die Zulässigkeit des Organstreitverfahrens ergibt sich nach Art. 93 Abs. 1 Nr. 1 GG i.V.m. den §§ 13 Nr. 5, 63 ff. BVerfGG. Zu beachten ist dabei insbesondere, dass § 63 BVerfGG den Art. 93 Abs. 1 Nr. 1 GG nicht wirksam einschränken kann, sodass sich die Parteifähigkeit der insoweit nicht erfassten Organe und Organteile direkt aus Art. 93 Abs. 1 Nr. 1 GG ergibt. Nach ständiger, aber problematischer Rechtsprechung des BVerfG sind politische Parteien „andere Beteiligte“ i.S.d. Art. 93 Abs. 1 Nr. 1 GG, was allerdings nur dann gilt, wenn und soweit sie mit Verfassungsorganen um Rechte streiten, die sich aus ihrem besonderen verfassungsrechtlichen Status ergeben. Wird im Übrigen auf ein Unterlassen als streitgegenständliche Maßnahme abgestellt, so bedarf es einer entsprechenden Handlungspflicht.
  • Verfassungsbeschwerde: Beachtet bitte, dass es sich bei der Verfassungsbeschwerde nicht um eine Klage handelt und daher auch die Nennung von Begriffen wie „Klagegegenstand“ oder „Klagebefugnis“ zu unterlassen sind. Übernehmt diesen immer wieder begangenen Fehler also nicht aus der BILD-Zeitung. Die Bildung der Obersätze bereitet vielen Bearbeitern Schwierigkeiten, was bereits bei der korrekten Zitierung der Normen beginnt. Häufig wird z. B. geschrieben: „Die Statthaftigkeit der Verfassungsbeschwerde richtet sich nach Art. 93 Abs. 1 Nr. 4a GG i.V.m. §§ 13 Nr. 8a, 90 ff. BVerfGG.“ Letzteres ist nicht ganz korrekt, denn vielmehr muss es heißen: „[…] nach Art. 93 Abs. 1 Nr. 4a GG i.V.m. den §§ 13 Nr. 8a, 90 Abs. 1 BVerfGG“. Oftmals ist nicht genau bekannt, was im Rahmen des Prüfungsumfanges des BVerfG, der im Übrigen nur bei einer Urteilsverfassungsbeschwerde anzusprechen ist, unter der Verletzung spezifischen Verfassungsrechtes zu verstehen ist. Insofern gelingt auch die Subsumtion nicht zufriedenstellend. Ebenso ist dies für die Benennung des Beschwerdegegenstandes im Fall einer Urteilsverfassungsbeschwerde zu verzeichnen, denn hier ist vielen Klausurbearbeitern oftmals unklar, dass es sich bei mehreren Exekutiv- und Judikativakten um einen einheitlichen Beschwerdegegenstand handelt. Innerhalb des Prüfungspunktes der Rechtswegerschöpfung ist darauf zu achten, dass gegen Gesetze des Bundes kein Rechtsweg existiert und § 90 Abs. 2 S. 1 BVerfGG bei Rechtssatzverfassungsbeschwerden keine Anwendung finden kann. Falsch ist es jedoch, wenn man in diesem Zusammenhang die Formulierung liest: „Mithin ist der Rechtsweg erschöpft“, denn ein Rechtsweg steht ohnehin nicht offen. Zu prüfen sind im Rahmen der Begründetheit unbedingt nur die Grundrechte sowie die grundrechtsgleichen Rechte, die den Beschwerdeführer möglicherweise selbst, gegenwärtig und unmittelbar betreffen könnten. Achtet daher auf die Konnektivität der Beschwerdebefugnis sowie der Grundrechtsprüfung innerhalb der Begründetheit. Eine solche besteht im Grunde auch mit Blick auf den Beschwerdegegenstand sowie den Eingriff. Mit Blick auf den letzten Punkt ist zu verzeichnen, dass die Subsumtion unter den klassischen Eingriffsbegriff leider nur selten gelingt, obwohl dieser immer wieder angeführt wird. Schwierigkeiten bereitet vielen Bearbeitern auch die Maßgabe, dass kollidierendes Verfassungsrecht im Rahmen schrankenlos gewährleisteter Grundrechte dennoch von einer einfach-gesetzlichen Regelung konkretisiert werden müssen.
  • Grundrechtskonkurrenzen: Diese werden leider nur von wenigen Klausurbearbeitern beherrscht, sodass ihr euch hier ganz besonders von euren Mitstreitern absetzen könnt. Beispielhaft sei hier nur das Verhältnis von Art. 5 GG zu Art. 8 GG angeführt. Ein Grundrecht mit einem spezielleren Schutzbereich verdrängt das Grundrecht, welches einen allgemeinen Schutzbereich bietet. Sofern ein Eingriff in den Schutzbereich eines speziellen Grundrechtes vorliegt, wird dadurch eine Sperrwirkung gegenüber Art. 2 Abs. 1 GG entfaltet.
  • Verhältnismäßigkeitsprüfung: Innerhalb der Verhältnismäßigkeitsprüfung vernachlässigen viele Bearbeiter oftmals, dass strikt zwischen der Normauslegungs- und der Normanwendungsebene zu unterscheiden ist. Auch die Begriffe „Wechselwirkungslehre“ und „praktische Konkordanz“ sind in diesem Zusammenhang nur selten bekannt. Dass die relevante Maßnahme einen legitimen Zweck verfolgen muss, wird insbesondere von Anfängern nur allzu oft vergessen. In Anbetracht der Häufigkeit, mit der die Verhältnismäßigkeitsprüfung zu leisten ist, ist es daher kaum verständlich, wenn diese nicht sicher beherrscht wird. Eine Hilfe könnte euch da unser Artikel vom 01. August 2012 sein.
  • Politische Parteien: Eine politische Partei darf übrigens auch dann als „verfassungsfeindlich“ bezeichnet werden, wenn sie nicht für verfassungswidrig erklärt wurde.

 
III. Europarecht

  • Grundlagen: Selbst wenn ihr „auf Lücke lernen“ wollt, solltet ihr wenigstens die Grundzüge des Europarechts, wie beispielsweise die Wirkweise einer Richtlinie, die Voraussetzungen der gängigsten Klagearten und Grundfreiheiten sowie die Lissabon-Rechtsprechung beherrschen. Es schadet auch nicht, einen Überblick über die Struktur und die Inhalte des EU-Vertrages zu kennen.
  • Einwirkung in andere Rechtsgebiete: Immer wieder gerne geprüft werden auch die europarechtlichen Anforderungen bei der Rücknahme eines Bewilligungsbescheides, sodass das Europarecht mittlerweile nicht mehr isoliert zu betrachten ist, sondern auch in andere Rechtsgebiete, wie hier im Falle des Allgemeinen Verwaltungsrechtes, einzuwirken vermag.

 
IV. Staatshaftungsrecht

  • Anspruchsgrundlagen: Wiederholt vor den anstehenden Klausuren noch einmal unbedingt die Voraussetzungen des Amtshaftungsanspruchs, des enteignenden und enteignungsgleichen Eingriffs, des Folgen-/Vollzugsbeseitigungsanspruchs, der öffentlich-rechtlichen Geschäftsführung ohne Auftrag sowie der öffentlich-rechtlichen culpa in contrahendo, denn im Examen sind Fallkonstellationen zu eben diesen Ansprüchen nicht unüblich, doch lassen sich gerade diese nur allein mit dem Gesetz keinesfalls lösen.
  • Rechtsfolgen: Hier muss zu den einzelnen Anspruchsgrundlagen unbedingt zwischen Schadensersatz und Entschädigung unterschieden werden.

 
V. Verwaltungsprozessrecht

  • Obersatz: Gewöhnt euch direkt zu Beginn eurer Examensvorbereitung die Formulierung „Die Klage hat Erfolg, soweit diese zulässig und begründet ist.“ an, denn zulässig ist diese zwar nur, wenn alle Sachurteilsvoraussetzungen vorliegen, begründet sein kann diese aber auch nur teilweise.
  • Verwaltungsrechtsweg: Vergesst an dieser Stelle nicht, gegebenenfalls auch an aufdrängende Sonderzuweisungen zu denken (z.B. § 126 Abs. 1 und 2 BRRG) Wenn es darum geht, die Frage zu beantworten, ob eine öffentlich-rechtliche Streitigkeit nicht-verfassungsrechtlicher Art gegeben ist, sollten zwingend die Begriffe „modifizierte Subjekttheorie“ und „doppelte Verfassungsunmittelbarkeit“ Erwähnung finden. Beachtet auch immer die korrekte Bezeichnung aller in Betracht kommenden streitentscheidenden Normen.
  • Statthafte Klageart: Bei der Ermittlung der statthaften Klageart ist auch immer kurz an die Möglichkeit eines Annexantrages nach § 113 Abs. 1 S. 2 und S. 3 VwGO zu denken. Häufig wird bei der Ermittlung der statthaften Klageart leider auch die actus-contrarius-Theorie übersehen.
  • Klagebefugnis: Insbesondere an dieser Stelle zeigt sich ein allgemein festzustellendes Phänomen, denn „Theorien“ werden des Öfteren unbedacht und teilweise in falschem Zusammenhang angewendet, speziell etwa die Adressatentheorie im Rahmen einer Verpflichtungssituation. Bei der Verwendung der Adressatentheorie ist also Vorsicht geboten, was vor allem daran liegt, weil diese nur dann passt, wenn auch ein VA mit der notwendigen Außenwirkung vorliegt (also z.B. nicht bei Maßnahmen im Sonderstatusverhältnis) und sich ein Rückgriff darauf bei Verpflichtungs- und Leistungsklagen ohnehin verbietet, da Art. 2 Abs. 1 GG prinzipiell nur ein Abwehr- und kein Leistungsrecht enthält. Besser verwenden Sie also stets die Formulierung: „A ist klagebefugt gemäß/analog § 42 Abs. 2 VwGO, wenn die Möglichkeit besteht, dass er durch […] in seinen subjektiven Recht verletzt wird/dass er einen Anspruch auf… hat.“ Im Rahmen der Klagebefugnis sollte im Übrigen immer auf die jeweils konkretere Normebene abgestellt werden. Geht es also beispielsweise um das Recht, an einer öffentlichen Versammlung teilzunehmen, sollte § 1 Abs. 1 VersammlG genannt werden und nicht (nur) Art. 8 GG.
  • Vorverfahren: Zwar sollten alle Examenskandidaten aus NRW immer die Regelung zum Absehen vom Vorverfahren gemäß § 110 Abs. 1 JustG NRW im Hinterkopf behalten, doch geht der bloße Verweis auf die Vorschrift im Rahmen der Allgemeinen Leistungs- sowie der Feststellungsklage fehl, da hier grundsätzlich kein Vorverfahren vorgesehen ist. Die Rückausnahmen nach § 110 Abs. 2 JustG NRW werden an dieser Stelle ebenfalls gerne übersehen. Nicht vergessen werden darf schließlich, dass ein Vorverfahren auch bei Untätigkeit der Behörde nach § 75 S. 1 VwGO entbehrlich ist.
  • Beteiligten-/Prozessfähigkeit/Klagegegner: Völlig unverständlich ist es, wenn den Klausurbearbeitern an dieser Stelle Fehler unterlaufen, da es sich hierbei um eine überschaubare Thematik handelt, die sich fast ausschließlich mit einem Blick auf die einschlägigen Normen beherrschen lässt. Wenn dann bei einer Maßnahme der Polizei der Klagegegner im Sinne von § 78 Nr. 1 VwGO in einer kreisfreien Stadt erkannt wird, so lässt sich ein solcher schwerwiegender Fehler kaum mehr wieder gutmachen. Im Widerspruchsverfahren ist auf § 78 VwGO im Übrigen nicht zurückzugreifen.
  • Prozessuale Besonderheiten: Oftmals fehlt in diesem Zusammenhang eine auch gedanklich klare Trennung von Haupt- und Hilfsantrag. Unsicherheiten bestehen nicht zuletzt auch im Hinblick auf die Voraussetzungen der objektiven Klagehäufung nach § 44 VwGO.
  • Fortsetzungsfeststellungsklage: Die Fallgruppen, wann ein Fortsetzungsfeststellungsinteresse zu bejahen ist, sind teilweise nicht bekannt, obwohl gerade hier eine dezidierte Subsumtion erwartet wird.

 
VI. Verwaltungsrecht

  • Ermessensprüfungen: Diese erfordern stets eine saubere Trennung von Tatbestands- sowie Rechtsfolgenseite und sind immer an eine konkrete Norm anzubinden (z.B. an § 114 S. 1 VwGO bzw. an § 40 VwVfG). Die Kategorien der Ermessensfehler müssen unbedingt sicher beherrscht werden.
  • Baurecht: Die Abwägungsfehlerlehre im Bauplanungsrecht ist nicht mit der allgemeinen Ermessensfehlerlehre zu verwechseln, auch wenn sich hier gewisse Ähnlichkeiten zeigen. Überhaupt ist zwischen Bauordnungs- und Bauplanungsrecht zu differenzieren.
  • Polizei- und Ordnungsrecht: Bei der Eröffnung des Verwaltungsrechtsweges nach § 40 Abs. 1 S. 1 VwGO sollte immer ein kurzer Satz dazu geschrieben werden, dass es sich um eine präventive polizeiliche Tätigkeit handelt und die abdrängenden Sonderzuweisungen speziell nach § 23 Abs. 1 S. 1 EGGVG und analog § 98 Abs. 2 S. 2 StPO nicht einschlägig sind. Immer wieder zeigen sich auch Schwächen im Bereich der Vollstreckungsvoraussetzungen, obwohl die im Prinzip völlig schematischen Voraussetzungen des Normal- und des Sofortvollzuges sicher auswendig beherrscht werden sollten. Probleme im Zusammenhang mit der Rechtmäßigkeit eines Kostenbescheid nach § 77 VwVG NRW sind die mangelnde vollständige Normzitation im Obersatz sowie Unsicherheiten hinsichtlich des verschachtelten Prüfungsaufbaus. Die jeweils korrekte Rechtsgrundlage für eingreifende polizeiliche Maßnahmen muss hinreichend dargelegt werden. Ebenso muss die Abgrenzung von Ersatzvornahme und Sicherstellung ausführlich bekannt sein, da Fallkonstellationen zu dieser Thematik nicht unüblich sind. Die Polizeifestigkeit der Versammlungsfreiheit wird leider häufig missachtet. Aus dem abschließenden Charakter des Versammlungsrechts als speziellem Gefahrenabwehrrecht folgt im Umkehrschluss, dass versammlungsbezogene Eingriffe allein auf der Grundlage des Versammlungsgesetzes und nicht auf der Grundlage des Polizeirechts zulässig sind. Der spezielle Schutz öffentlicher Versammlungen findet dabei seine Rechtfertigung in der grundlegenden Bedeutung der Versammlungsfreiheit für ein freiheitlich-demokratisches Gemeinwesen, weshalb entsprechende Freiheitsausübungen einem privilegierenden Sonderrecht unterstellt werden.
  • Kommunalrecht: Unsicherheiten und erhebliche Wissenslücken zeigen sich auch im Kommunalrecht, da dies relativ selten in Klausuren abgeprüft wird. „Auf Lücke“-Lernen ist riskant und lässt sich in der Klausur ggf. nur mit einer aufmerksamen Studie der kommunalrechtlichen Regelungen überwinden.

 

25.05.2016/2 Kommentare/von Dr. Marius Schäfer
https://www.juraexamen.info/wp-content/uploads/2022/05/je_logo.svg 0 0 Dr. Marius Schäfer https://www.juraexamen.info/wp-content/uploads/2022/05/je_logo.svg Dr. Marius Schäfer2016-05-25 10:00:182016-05-25 10:00:18Typische Examensfehler: Öffentliches Recht
Tom Stiebert

Juraexamen: Wo ist es einfach/wo ist es schwer – ein Bundesländervergleich (Stand 06/16)

Examensvorbereitung, Schon gelesen?, Startseite, Verschiedenes

Vor drei Jahren haben wir die unterschiedlichen Prüfungsvoraussetzungen zur staatlichen Pflichtfachprüfung im Ersten Examen (also zum nicht-universitären Teil des Staatsexamens, ohne den schwer vergleichbaren Schwerpunktbereich) in einem Beitrag aufgezeigt. Nunmehr erscheint hier die aktualisierte und angepasste Version dieses Vergleichs. Diese wurde um Nachweise der entscheidenden Normen ergänzt und umfassend aktualisiert.
In einem zweiten Teil werden wir uns demnächst den Schwerpunktbereichen in den einzelnen Bundesländern bzw. Universitäten und den entsprechenden Voraussetzungen widmen.
Eine Wertung wird dabei bewusst nicht vorgenommen. Vielmehr soll sich jeder seine eigene Meinung zu diesem Thema bilden (und diese auch gerne hier kundtun). Zudem kann diese Übersicht auch Anlass dafür bieten die Studienortwahl (zumindest für das Examen) nochmals zu überdenken.
Zur besseren Vergleichbarkeit werden auch die Durchfallquoten und Prädikatsquoten (Stand 2013) dargestellt. Weitere interessante Statistiken findet ihr hier.
I. Baden-Württemberg (18,2% Prädikat/ 28,8% durchgefallen)

gesetzliche Regelungen in JAPrO
Zwei Prüfungstermine pro Jahr (Frühling und Herbst); 6 Klausuren (3 Z, 2 Ö, 1 S) (§ 13 JAPrO);
Schriftl. Prüfung 70%; Mdl. Prüfung 30 %, Gespräche in allen drei Rechtsgebieten, kein Vortrag (§§ 17 – 19 JAPrO)
Freischuss (bis 8. Semester) (§ 22 JAPrO); Notenverbesserungsversuch auch ohne Freischuss (wenn Stex bis 10. Sem.; binnen zwei Semestern) (§ 23 JAPrO); sonst nur Wiederholung, wenn durchgefallen (§ 21 JAPrO)
Unterstreichungen und Verweise im Gesetz zulässig (siehe hier)
II. Bayern (15,3%/ 32%)

gesetzliche Regelung in JAPO
Zwei Prüfungstermine pro Jahr (März und September); 6 Klausuren (3 Z, 2 Ö, 1 S) (§ 28 JAPO);
Schriftl. Prüfung 75%, Mdl. Prüfung 25%; Gespräche in allen drei Rechtsgebieten, kein Vortrag (§§ 33, 34 JAPO)
Freischuss (bis 8. Semester) (§ 37 JAPO); Notenverbesserungsversuch auch ohne Freischuss (binnen zwei Semestern) (§ 15 JAPO); sonst nur Wiederholung, wenn durchgefallen (§ 36 JAPO)
Unterstreichungen und Verweise im Gesetz zulässig, sofern nicht kommentierend und „gelegentlich“ (siehe hier); ab Herbst 2016 20 Verweisungen pro Doppelseite auf Normen sowie Unterstreichungen mit Bleistift (siehe hier)
III. Berlin (21,6%/25,5%)

gesetzliche Regelung in JAO
Zwei Prüfungstermine pro Jahr (mai und November); 7 Klausuren (3 Z, 2 Ö, 2 S) (§ 5 JAO)
Schriftl. Prüfung 63%, Mdl. Prüfung 37% (13% Vortrag, 3 x 8% Gespräch) (§ 10 Abs. 2 JAO); Vortrag (10 Minuten ggf. Kurzgespräch 5 min; freie Wahl Rechtsgebiet) Gespräche in allen drei Rechtsgebieten (§ 9 JAO)
Freischuss (bis 8. Semester) (§ 13 JAO); sonst nur Wiederholung, wenn durchgefallen (§ 12 JAO)
Keine Unterstreichungen und Verweise im Gesetz zulässig, Register zulässig (siehe hier)
IV. Brandenburg (9,2%/31,,%)

siehe Berlin (Gemeinsames Prüfungsamt seit 2005)
V. Bremen (12,9%/41,3%)

gesetzliche Regelungen in JAPG
Zwei Prüfungstermine pro Jahr (Februar und August), 6 Klausuren (3 Z [davon 1 Handels/-Gesellschafts-/ Arbeitsrecht], 2 Ö, 1 S) (§ 18 JAPG)
Schriftl. Prüfung 2/3, Mdl. Prüfung 1/3 (§ 23 JAPG); Gespräche in allen drei Rechtsgebieten, kein Vortrag
Freischuss bis 8. Semester (§ 26 JAPG); Notenverbesserungsversuch auch ohne Freischuss binnen drei Monaten nach Abschluss (§ 27 JAPG); sonst nur Wiederholung, wenn durchgefallen (§ 28 JAPG)
Unterstreichungen zulässig, keine Verweise zulässig
VI. Hamburg (25,5%/24,9%)

gesetzliche Regelung in HmbJAG
Sechs Klausurtermine pro Jahr (gerade Monate); 6 Klasuren (3 Z, 2 Ö, 1 S) (§ 15 HmbJAG)
75% Schriftl. Prüfung, 25% Mdl. Prüfung (§ 22 Abs. 2 HmbJAG) (Vortrag und Gespräche in allen Rechtsgebieten) (§ 20 HmbJAG)
Freischuss bis 9. Semester (§ 26 HmbJAG); Notenverbesserung ohne Freischuss nicht möglich, Wiederholung nur, wenn durchgefallen (§ 28 HmbJAG)
Unterstreichungen und Paragraphenhinweise im Gesetz zulässig (10 pro Seite) (siehe hier)
VII. Hessen (13,6%/28,4%)

gesetzliche Regelung in JAG
Drei Klausurtermine pro Jahr (Februar, Juli, September); 6 Klausuren (2 Z, 1 Arbeits-/Handels-/Gesellschaftsrecht, 2 Ö, 1 S) (§ 13 JAG)
2/3 Schriftl. Prüfung, 1/3 Mdl. Prüfung (§ 19 Abs. 2 JAG) (Gespräche in allen drei Rechtsgebieten, kein Vortrag § 14 JAG)
Freischuss bis 8. Semester (§ 21 JAG); Notenverbesserung auch ohne Freischuss, wenn Examensmeldung bis. 10. Semester (Kosten 400 Euro) (§ 21 Abs. 5 JAG); sonst nur Wiederholung, wenn durchgefallen (§ 20 JAG)
Keine Unterstreichungen und Markierungen zugelassen
VIII. Mecklenburg-Vorpommern (9%/37,8%)

gesetzliche Regelung in MV-JAPO
2 Klausurtermine pro Jahr (Winter und Sommer); 6 Klausuren (3 Z, 2 Ö, 1 S) (§ 12 JAPO)
70 % Schriftl. Prüfung, 30 % Mdl. Prüfung (§ 22 Abs. 2 JAPO) (Gespräche in allen drei Rechtsgebieten, kein Vortrag § 19 JAPO)
Freischuss bis 8. Semester (§ 26 JAPO); Notenverbesserung sonst nicht möglich; Wiederholung nur, wenn durchgefallen (§ 25 JAPO)
Keine Unterstreichungen und Markierungen zugelassen
IX. Niedersachsen (17,4%/22,9%)

gesetzliche Regelung in NJAVO und NJAG
4 Klausurtermine pro Jahr (Januar, April, Juli, Oktober); 6 Klausuren (3 Z, 2 Ö, 1 S) (§ 19 NJAVO)
64 % Schriftl. Prüfung; 36 % Mdl. Prüfung (§ 12 NJAG) (Gespräche in allen drei Rechtsgebieten, kein Vortrag)
Freischuss bis 8. Semester (§ 18 NJAG); einmalige Notenverbesserung auch ohne Freischuss möglich (§ 19 NJAG, Kosten 160 €); sonst Wiederholung nur, wenn durchgefallen (§ 17 NJAG)
Abschichten bis zum 8. Semester möglich (Aufsplitten in zwei Abschnitte, bis max. 8. Semester) (§ 4 Abs. 2 S. 2 NJAG)
Verweisungen (5 pro Seite) und (gelegentliche) Markierungen zulässig (siehe hier)
X. Nordrhein-Westfalen (16%/32,7%)

gesetzliche Regelung in JAG NRW
10 Klausurtermine pro Jahr (außer Juli und März); 6 Klausuren (3 Z, 2 Ö, 1 S) (§ 10 Abs. 2 JAG)
60 % Schriftl. Prüfung; 40 % Mdl. Prüfung (Vortrag und Gespräche in allen drei Rechtsgebieten) (§ 10 Abs. 3 JAG)
Freischuss bis 8. Semester (§ 25 JAG); Notenverbesserung nicht möglich; Wiederholung sonst nur, wenn durchgefallen (§ 24 JAG)
Besonderheit: Abschichten: Meldung vor Abschluss 7. Semester; Aufsplitten der Rechtsgebieten bis zum Abschluss 8. Semester (§ 12 JAG)
Keine Verweisungen, Markierungen und Unterstreichungen zulässig
XI. Rheinland-Pfalz (16,6%/22,4%)

gestzliche Regelung in JAPO und JAG
2 Klausurtermine pro Jahr (März/August); 6 Klausuren (3 Z, 2 Ö, 1 S) (§ 6 JAPO)
2/3 Schriftl. Prüfung; 1/3 Mdl. Prüfung (§ 9 Abs. 4 JAPO) (Gespräche in allen drei Rechtsgebieten, kein Vortrag § 7 JAPO)
Freischuss bis 8. Semester (§ 5 Abs. 5 JAG); Notenverbesserung möglich (§ 5 Abs. 6 JAG); Wiederholung, wenn durchgefallen (§ 5 Abs. 4 JAG)
Unterstreichungen zulässig; Verweisungen unzulässig (siehe hier)
XII. Saarland (13,7%/25,3%)

gesetzliche Regelungen in JAO und JAG
2 Klausurtermine pro Jahr (Februar und August); 6 Klausuren (3 Z, 2 Ö, 1 S) (§ 5 JAO)
ca. 70 % schriftl. Prüfung (900/1275); ca. 30 % Mdl. Prüfung (375/1275) (§ 14 JAG) (Gespräche in allen drei Rechtsgebieten, kein Vortrag, §§ 10 und 11 JAO)
Freischuss bis 8. Semester (§ 19 JAG); Notenverbesserung möglich (§ 20a JAG zum nächsten oder übernächsten Termin); Wiederholung, wenn durchgefallen (§ 20 JAG)
Unterstreichungen zulässig; Verweisungen unzulässig (siehe hier)
XIII. Sachsen (12,5/39,3%)

gesetzliche Regelung in JAPO
2 Klausurtermine pro Jahr (Februar und August); 6 Klausuren (3 Z, 2 Ö, 1 S) (§ 23 JAPO)
2/3 schriftl. Prüfung, 1/3 Mdl. Prüfung (§ 27 Abs. 3 JAPO) (Gespräche in allen drei Rechtsgebieten, kein Vortrag § 26 JAPO)
Freischuss bis 8. Semester (§ 29 JAPO); Notenverbesserung möglich (§ 31 JAPO); Wiederholung, wenn durchgefallen (§ 30 JAPO)
Keine Unterstreichungen und Verweisungen zulässig
XIV. Sachsen-Anhalt (16,3%/24,4%)

gesetzliche Regelung in JAPrVO
2 Klausurtermine pro Jahr (Februar und August); 6 Klausuren (2 Z, 2 Ö, 2 S) (§ 16 JAPrVO)
60% schriftl. Prüfung, 40% Mdl. Prüfung (§ 23 JAPrVO) (Gespräche in allen drei Rechtsgebieten) (§ 21 JAPrVO)
Freischuss bis 8. Semester (§ 26 JAPrVO) ; Notenverbesserung möglich (Kosten 300 Euro) (§ 27 JAPrVO); Wiederholung, wenn durchgefallen (§ 28 JAPrVO)
Verweisungen und gelegentliche Unterstreichungen zulässig (siehe hier)
XV. Schleswig-Holstein (11,9%/30,4%)

gesetzliche Regelung in JAVO
2 Klausurtermine pro Jahr (Januar und Juli); 6 Klausuren (3 Z, 2 Ö, 1 S) (§ 11 JAVO)
2/3 schriftl. Prüfung, 1/3 Mdl. Prüfung (§ 21 JAVO) (Gespräche in allen drei Rechtsgebieten, kein Vortrag) (§ 18 JAVO)
Freischuss bis 7. Semester bzw. bis 8. Semester (wenn Schwerpunkt beendet) (§ 22 JAVO); Notenverbesserung nur bei Freischuss (§ 23 JAVO); Wiederholung, wenn durchgefallen (§ 24 JAVO)
keine Hinweise zu Hilfsmitteln veröffentlicht (Hilfsmittel werden vollständig gestellt)
XVI. Thüringen (16,2%/23,7%)

gesetzliche Regelung in ThürJAPO
2 Klausurtermine pro Jahr (Februar, August oder September); 6 Klausuren (2 Z, 2 Ö, 1 S, 1 S oder Z nach Wahl des JPA) (§ 20 ThürJAPO)
65% schriftl. Prüfung, 35% Mdl. Prüfung (§ 25 Abs. 2 ThürJAPO) (Gespräche in allen drei Rechtsgebieten und Grundlagenfach oder Prozessrecht) (§ 23 Abs. 5 ThürJAPO)
Feischuss bis 8. Semester (§ 29 ThürJAPO); Notenverbesserung nur bei Freischuss; Wiederholung sonst nur, wenn durchgefallen (§ 28 ThürJAPO)
Unterstreichungen und Verweisungen nicht zulässig;
 
Man sieht also, dass punktuell doch starke Unterschiede zwischen den einzelnen Bundesländern bestehen. Unterschiede gibt es insbesondere bei der Zusammensetzung der Endnote, den Inhalten der mündlichen Prüfung (häufig kein Vortrag), der Möglichkeit des Abschichtens und der Zulässigkeit des generellen Verbesserungsversuchs. Es bleibt damit jedem selbst überlassen, diese als so gravierend einzuschätzen, dass sich ein Wechsel der Universität (bzw. des Bundeslandes) lohnt.
Alle Angaben ohne Gewähr

12.05.2016/0 Kommentare/von Tom Stiebert
https://www.juraexamen.info/wp-content/uploads/2022/05/je_logo.svg 0 0 Tom Stiebert https://www.juraexamen.info/wp-content/uploads/2022/05/je_logo.svg Tom Stiebert2016-05-12 08:28:182016-05-12 08:28:18Juraexamen: Wo ist es einfach/wo ist es schwer – ein Bundesländervergleich (Stand 06/16)
Dr. Marius Schäfer

Typische Examensfehler: Allgemeines

Examensvorbereitung, Lerntipps, Startseite, Verschiedenes

Die Tätigkeit als Korrektor juristischer (Examens-)Klausuren ist nicht immer eine erfüllende und dankbare Aufgabe. Mal abgesehen von einem katastrophalen Schriftbild oder einer nicht gerade Gutachten gerechten Ausdrucksweise unterlaufen den Examenskandidaten vielfach auch einfachste Fehler, sodass sich einem die Haare sträuben möchten. Man wünscht sich, dass der Prüfling seine dem Begriff eines Rechtsgutachtens spottende Klausurbearbeitung wenigstens ein einziges Mal durch die Augen eines Korrektors sehen könnte. Angesichts dessen verwundert es den frustrierten Prüfer kaum mehr, dass der juristische Notenschnitt so ausfällt, wie dies allseits bekannt ist.
Die meisten Missgeschicke lassen sich jedoch ohne Weiteres vermeiden. Oftmals sind es auch immer wieder die gleichen Probleme, auf welche die Klausurbearbeiter dabei stoßen. Daher soll dieser Beitrag einen Einblick in die Erfahrungen gewähren, die ich im Rahmen meiner Tätigkeit als Korrektor bei der Examensvorbereitung der Universität Bonn sammeln konnte, um eine Hilfestellung für alle zukünftigen Examenskandidaten zu liefern überflüssige Fehler zu vermeiden. Dem ein oder anderen mag in Bezug auf die folgenden Hinweise so einiges selbstverständlich vorkommen, doch kann ich Euch versichern: Das ist es leider nicht!
Bevor aber eine Darstellung typischer Fehler und Hinweise hinsichtlich solcher Klausuren im Öffentlichen Recht, Strafrecht und Zivilrecht erfolgt, soll zunächst eine kurze Übersicht zu allgemeinen klausurtypischen Fehlern und Hilfestellungen dargeboten werden.
 
I. Klausuraufbau

  • Zeiteinteilung: Zum Lesen, Nachdenken und Gliedern sollten ca. 2 Stunden, zum sauberen Ausformulieren dagegen ca. 3 Stunden eingeplant werden. Sinnvoll ist es, zuerst mit der Fallfrage zu beginnen und erst im Anschluss daran mit dem Lesen des Sachverhaltes fortzufahren.
  • Gestaltung: Baut euer Rechtsgutachten übersichtlich und in sinnvolle Abschnitte gegliedert auf. Gewährt dem Korrektor einen ausreichend großen Korrekturrand und verärgert ihn nicht damit, diesen begrenzten Bereich auch noch mit eingeschobenen Ausführungen zu belegen. Einschübe sollten also auf einer Extraseite und erst recht nicht auf der Rückseite angeführt werden. Eure Klausur soll schließlich einen guten ersten Eindruck vermitteln!
  • Gliederung: Gewöhnt euch die üblichen Gliederungsebenen an, welche dann konsequent einzuhalten sind. Beispiel: A., I., 1., a., aa., usw. Allerdings sollte nicht jedes offensichtliche Merkmal einem Gliederungspunkt zugeordnet werden, denn oftmals lassen sich diese auch leicht mit anderen verbinden. Teilweise finden sich Prüfungsschritte, die nicht dem entsprechen, was im Examen oder gar in einer Großen Übung erwartet werden kann. Als Beispiel sei an dieser Stelle Folgendes genannt, was unter der Überschrift „Tatobjekt des § 239 StGB“ zu lesen war: „Tatobjekt des § 239 I StGB ist ein anderer Mensch. O ist ein anderer Mensch.“
  • Schrift: Auch wenn es so einigen von euch schwer fallen mag, sollte es im Grunde eine Selbstverständlichkeit sein auf eine lesbare Schrift zu achten. Sofern die Schrift unleserlich ist, kann es durchaus vorkommen, dass ein bereits verärgerter Korrektor möglicherweise einen guten Gedanken von euch überliest, weil er euren Text nur noch „überfliegen“ kann. Die Lesbarkeit eurer Schrift liegt daher in eurem eigenen Interesse.
  • Formulierung: Jeder Jurist sollte im Übrigen die deutsche Sprache in Ausdruck, Grammatik, Rechtschreibung und Zeichensetzung beherrschen. Alles andere kann durchaus zu Punktabzügen führen. Umgangssprache oder Chat-Sprache ist unbedingt zu vermeiden. Was ihr mit eurem Rechtsgutachten zum Ausdruck bringen wollt, sollte auch eine gewisse sprachliche Qualität aufweisen. Wenn etwa zu lesen ist „…der Vater hat sein Sohn geschlagen“, so wirft dies ein schlechtes Licht auf die sprachlichen Fähigkeiten des Kandidaten. Andauernde Wiederholungen der immer gleichen Phrasen (z.B. „vorliegend“, „laut Sachverhalt“) sollten möglichst umgangen werden. Nichtssagende Floskeln (z.B. „ein milderes Mittel ist kaum ersichtlich“) wirken unbeholfen. Gewöhnt euch auch die häufig anzutreffende Formulierung „gemäß §§… analog“ ab, denn „analog“ heißt „entsprechend“, sodass es richtigerweise nur „analog §§…“ heißen kann.
  • Keine Unterschrift: Auf keinen Fall dürft Ihr die Klausur abschließend unterschreiben oder sonst in irgendeiner anderen Weise als mit Eurer zugewiesenen Kennziffer kenntlich machen. Die Justizprüfungsämter „belohnen“ eine Unterschrift oder eine Kenntlichmachung in sonstiger Weise strikt mit 0 Punkten. Schließt eure Klausur daher lediglich mit den erlösenden Worten „Ende der Bearbeitung“ ab.

 
II. Fallbearbeitung

  • Bearbeitervermerk: Gleich vorweg muss leider immer noch darauf hingewiesen werde, dass den Hinweisen des Bearbeitervermerks ausnahmslos zu folgen ist.
  • Fallfrage: Eure Ausführungen sollen sich (nur) auf die jeweilige Fallfrage beziehen, sodass ihr diese am besten mit dem zu Beginn anzuführenden Obersatz wiederholend präsentiert. Wird also nach der Strafbarkeit gefragt, sollte der Obersatz nicht zum Gegenstand haben, ob sich die Person nach dem jeweiligen Delikt „schuldig“ gemacht haben könnte. Keine Ausführungen oder Prüfungen dürfen dagegen zu Punkten erfolgen, nach denen nicht gefragt ist bzw. die eindeutig über die Aufgabenstellung hinausgehen. Ausführungen ohne Fallbezug solltet ihr ohnehin tunlichst vermeiden.
  • Gutachtenstil: Auch wenn im Examen nicht mehr erwartet wird, dass jedes Tatbestandsmerkmal „sklavisch“ im Gutachtenstil ausgeführt werden soll, darf diese Form gutachtlicher Ausdrucksweise dennoch nicht missachtet werden. Als Korrektor gewinnt man manchmal jedoch den Eindruck, dass der eigentlich im ersten Semester zu erlernende Gutachtenstil nie wirklich beherrscht wurde. Der Urteilsstil sowie die entsprechend formulierten Sätze mit „da“, „weil“, „nämlich“ oder „denn“ sind also soweit als möglich zu vermeiden. Zulässige Konjunktionaladverbien sind die Formulierungen „folglich“, „demzufolge“, „demnach“, „damit“, „somit“, „mithin“, „deswegen“, „deshalb“ oder „daher“. Vor allem im Rahmen der Subsumtion ist auch auf die richtige Zeitform zu achten. Für weitergehende Ausführungen hierzu sei auf unseren Artikel vom 5. April 2012 verwiesen.
  • Obersätze: Vernachlässigt keinesfalls die Bildung von vollständigen Obersätzen. Das Merkmal einer schwachen Klausurbearbeitung ist häufig in einer oberflächlichen Bearbeitung in Bezug auf die Bildung von Obersätzen zu sehen, was dazu führt, dass im Anschluss nicht sauber definiert und subsumiert wird.
  • Ergebnisse: Formuliert sinnvolle Zwischen- und Endergebnisse zu den jeweiligen Abschnitten. Dabei ist insbesondere darauf zu achten, dass die Ergebnissätze unbedingt den Obersätzen entsprechen sollten.
  • Fachbegriffe: Verwendet die entsprechenden Fachbegriffe nur im richtigen Kontext, und auch nur dann, wenn euch die Schreibweise hinlänglich bekannt ist. Oftmals hat sich im juristischen Sprachgebrauch ein Binde-„s“ eingeschlichen, obwohl es aber beispielsweise „Rechtsgutverletzung“ und nicht „Rechtsgutsverletzung“ heißt.
  • Zitierung: Wenn ihr Paragraphen(ketten) anführt, müsst ihr immer Absatz, Satz, Nummer, Alternative und Gesetz vollständig mitzitieren. Weniger bekannte Gesetze sollten wenigstens zu Beginn ausformuliert und mit einer in Klammern zu setzenden Abkürzung kenntlich gemacht werden. Von der Formulierung „§§ sind solche des BGB“ ist jedenfalls in der Klausursituation abzuraten, da sich ansonsten schnell Flüchtigkeitsfehler einschleichen können. Entscheidet Euch auch entweder für „§ 242 Abs. 1 StGB“ oder „§ 242 I StGB“ und haltet dieses Muster dann innerhalb einer Bearbeitung ein.
  • Auslegung: Eine methodische und an den Auslegungskanones orientierte Herangehensweise ist immer dann angezeigt, wenn nicht direkt unter die Voraussetzungen einer Norm subsumiert werden kann. Im Falle der teleologischen Reduktion bedarf es unbedingt einer Begründung, warum sich eine einschränkende Auslegung gebietet. Für weitergehende Ausführungen hierzu sei auf unseren Artikel vom 10. April 2012 verwiesen.
  • Analogie: Sprecht bei Bedarf auch immer die Analogievoraussetzungen an, d.h. die planwidrige Regelungslücke sowie die vergleichbare Interessenlage.
  • Unbekannte Normen: Wenn von Euch eine Auseinandersetzung mit unbekannten Normen verlangt wird, ist nie eine bloße Textwiedergabe erwartet, denn es geht dabei immer um die Erfassung von Sinn und Zweck der euch unbekannten Regelungen, was sich am besten anhand von Struktur und Systematik oder aber im Wege rechtsvergleichender Überlegungen ermitteln lässt.
  • Sachverhalt: Die im Sachverhalt enthaltenen Beschreibungen sind als gegeben zu akzeptieren. Eine Überinterpretation des Sachverhaltes führt in der Regel zu unzutreffenden Ergebnissen. Werdet Euch darüber hinaus auch bewusst, dass grundsätzlich alle Angaben des Sachverhaltes einen Sinn ergeben und im Rahmen eurer Klausurbearbeitung „verarbeitet“ werden sollten.

 

08.02.2016/8 Kommentare/von Dr. Marius Schäfer
https://www.juraexamen.info/wp-content/uploads/2022/05/je_logo.svg 0 0 Dr. Marius Schäfer https://www.juraexamen.info/wp-content/uploads/2022/05/je_logo.svg Dr. Marius Schäfer2016-02-08 12:00:142016-02-08 12:00:14Typische Examensfehler: Allgemeines
Tom Stiebert

Natürlich ist das Staatsexamen schwer – so wie das ganze Leben: Stellungnahme zur Zeit-Themenwoche

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Die Zeit widmet sich in ihrer aktuellen Themenwoche möglichen Reformbestrebungen des juristischen Staatsexamens. Unter den Überschriften „Schafft das Staatsexamen ab“ und „Vor dem Examen übergaben wir uns“ wurden zwei Beiträge von Studenten (!) veröffentlicht, deren Tenor eindeutig kritisch gegenüber dem aktuellen juristischen Staatsexamen ist.
Diese Aussagen können meines Erachtens nicht unkommentiert so stehenbleiben. Dabei will ich gar nicht behaupten, dass das Staatsexamen nicht wahnsinnig stressig und anstrengend ist. Natürlich ist es das. Gleichwohl: Welches andere Studienfach ist das nicht. Und wer denken würde, dass der Stress mit dem Studium endet, der muss schon sehr blauäugig sein. Das juristische Staatsexamen ist keinesfalls schlimmer als der spätere Berufsalltag.
Natürlich mag es Punkte am Staatsexamen geben, die zur Kritik berechtigen: Sind die Noten immer vollständig objektiv – nein! Werden die Universitäten ihren Bildungsauftrag vollständig gerecht – nein (sonst gäbe es keine privaten Repetitorien)! Ist es richtig, dass nach zehn oder mehr Semestern mit dem Examen der große Knall kommt, bei dem es Hop oder Top heißt – natürlich nicht! Nur wo gibt es absolute Fairness und hundertprozentige Objektivität? Nicht in der Realität, nicht im wahren Leben und deshalb auch nicht im Jurastudium. Aus diesem Grund sollen an dieser Stelle anhand einiger Thesen die aus meiner Sicht positiven Inhalte des Jurastudiums dargestellt werden.
These 1 – Das Jurastudium ist verhältnismäßig fair, weil die Note zählt
Das juristische Studium und insbesondere das Staatsexamen ist ein Spiegelbild der Realität. Nicht mehr und nicht weniger. Es geht hier – natürlich – um Leistung. Aber worum auch sonst? Hier zeigen sich meines Erachtens gerade die Vorteile des Jurastudium: Die Note entscheidet. Nicht persönliche Beziehungen, nicht eine Vielzahl von Praktika – allein die Note zählt. Natürlich führt das auch zu Verwerfungen: Nicht jeder gut benotete Examenskandidat ist tatsächlich in der Praxis ein guter Jurist, nur zeigt die Erfahrung, dass die Indizwirkung eines guten Examens äußerst hoch ist. Und das muss dennoch nicht heißen, dass NUR gut benotete Kandidaten Berufschancen haben. Auch alle anderen haben die Chance ihre beruflichen Fähigkeiten spätestens im Referendariat unter Beweis zu stellen und so ihre Stärken zu zeigen.
These 2 – Juraabsolventen haben oft ein „Luxusproblem“
Dabei sind wir Juristen jedenfalls bei guten Examina (und damit meine ich nicht zwingend Doppel-VB, auch mit zwei soliden Befriedigend bspw. steht man sehr gut da) in der äußerst komfortablen Position, Jobs wählen zu können und eben nicht ewig suchen zu müssen. Gute und spezialisierte Juristen werden allerorts gesucht. Wem nützt man also, wenn man die Herausforderungen senken würde – niemandem! Nicht den Guten, nicht aber auch den Schlechteren.
These 3 – Die juristische Notenvergabe ist fair
Dies ist vielleicht die kontroverseste These. Im Staatsexamen – und letztlich nur darum geht es – werden mindestens sechs Klausuren verfasst, die alle (ausführlich!) korrigiert und gelesen werden. Wie kann man da behaupten, die Notenvergabe sei willkürlich. Natürlich ist eine solche Notenvergabe nicht so einfach nachvollziehbar, wie in anderen Fächern und natürlich ist es äußerst fragwürdig, dass die Notenskala letztlich nie ausgereizt wird. Dennoch möchte ich behaupten, dass man äußerst schnell eine gute von einer schlechten Arbeit unterscheiden kann. Zudem gleicht sich im Staatsexamen bei sechs Klausuren alles aus. Keiner kann behaupten, er habe ausschließlich schwere Klausuren schreiben müssen. Und selbst wenn – auch dann wird immer noch „relativ korrigiert“, sodass die Besten immer noch gute Noten bekommen.
These 4 – Jura ist nicht arbeitsintensiver als andere Fächer oder Ausbildungen
Am Ende von ca. fünf Jahren Jurastudium und Examensvorbereitung steht das erste Staatsexamen. Wie sieht die Zeit bis dahin aus? Dies wird gern in der Diskussion vernachlässigt. Zunächst sollte das Grundstudium in zwei bis vier Semestern beendet werden. Der Aufwand hierfür ist äußerst überschaubar. Kein Student MUSS am Anfang ständig in der Bibliothek sitzen etc., so viel ist es nicht. Gleiches gilt für das Hauptstudium mit den Großen Übungen. Auch hier sind andere Studiengänge deutlich lernintensiver.
Aber selbst in der berüchtigten Examensvorbereitung ist der Aufwand bei entsprechender Organisation überschaubar. Ein Arbeitnehmer arbeitet 40 Stunden pro Woche ergo 8 Stunden pro Tag. Dies genügt auch für das Jurastudium (und liegt damit weit unter den Arbeitszeiten im späteren Beruf). Natürlich ist damit ein effektives Arbeiten gemeint: Kaffeetrinken, erzählen etc. sind keine Arbeitszeit. Letztlich ist dies aber alles eine Frage der Selbstorganisation.
Wichtig ist, die Lockerheit zu bewahren. Darin liegt das offene Geheimnis eines erfolgreichen Studiums. Nicht die Verbissensten und Fleißigsten werden am Ende erfolgreich sein, sondern diejenigen, die das Studium als einen – wenn auch wichtigen – Teil ihres Lebens sehen, aber eben nur als einen Teil. So gelingt es das Studium erfolgreich zu absolvieren.
These 5 – Nicht erst im Examen merkt man, ob Jura das Richtige ist
Natürlich gibt es bis zum Staatsexamen keine ernstzunehmenden Prüfungen und natürlich ist eine Examensklausur nicht mit einer Klausur in der großen Übung oder im Grundstudium vergleichbar. Dennoch ist es sehr naiv zu behaupten, man wäre wegen seiner Examensnote aus allen Wolken gefallen. Der Zusammenhang zwischen den Noten im bisherigen Studienverlauf und der Examensnote ist sehr eng: Kaum einer steigt von 0 auf 100 und kaum einer geht den umgekehrten Weg. So sollte man sich bereits im Studienverlauf fragen, ob das Jurastudium sowohl von den Interessen als auch von den Noten das Richtige ist. Der Gedanke „Im Examen wird alles besser“ oder „Das lerne ich dann noch“ ist reichlich blauäugig. Es ist keine Schande ein Studium (und das gilt nicht nur für Jura) abzubrechen, gerade auch, wenn man damit das böse Erwachen beim Examen verhindert.
These 6 – Die Studieninhalte sind (weitestgehend) die Richtigen
Als Student – egal in welchem Fach – muss es einen Unterschied zur Schule geben. Beim Jurastudium ist dieser – zum Glück – noch recht groß. Mit einem verschulten Studium ist keinem gedient. Ebensowenig mit einer Berücksichtigung der Noten aus den ersten Semestern fürs Examen. Das Jurastudium sollte vor allem dazu anregen selbständig zu denken. Dies wird – auch das muss ich zugeben – in der universitären Lehre leider häufig vernachlässigt, bzw. zumindest nicht adäquat kommuniziert und gelehrt. Weicht man hiervon ab, erzieht man Studenten gerade zu Lernmaschinen und erhöht den Druck fürs Examen massiv. Gerade aber die Erkenntnis, dass Jura maßgeblich vom Verständnis lebt (obgleich es natürlich ohne Faktenwissen nicht auskommen kann), erleichtert die Examensvorbereitung und mindert den Druck. Denn dieses Verständnis kann man trainieren: durch zahlreiche Probeklausuren, durch Diskussionen in Lerngruppen, durch juristisches Nachdenken über alltägliche Sachverhalte etc.
Natürlich ist derjenige im Vorteil, dem dieses Verständnis in die Wiege gelegt wurde, ein anderer muss es sich hart erarbeiten. Aber keiner kann doch ernsthaft fordern, dass hieran etwas geändert werden sollte. So ist das Leben: Dem einen fällt es leichter als dem anderen. Auch im Sport wird der 100m-Lauf nicht rückwärts durchgeführt, wenn Usain Bolt allen davon läuft. Warum soll das im Jurastudium anders sein?
These 7 – Eine – grundlegende – Absenkung der Anforderungen würde den Juristenberuf entwerten
Noch immer hat der Jurist in der Gesellschaft ein verhältnismäßig hohes Ansehen. Zu Recht, begibt man sich doch vor Gericht in dessen Hände: Sei es als Anwalt, sei es als Richter. Auch die Kosten für eine juristische Beratung und Vertretung sind zuweilen immens. Ist es dann nicht auch opportun, dass ein gewisses Mindestniveau gefordert wird? Durchfallquoten von 30% im Ersten Staatsexamen sind zweifellos schmerzhaft und häufig verbergen sich dahinter auch persönliche Schicksale. Nur, es gibt keine Alternative (außer eben das frühzeitige Aussieben, wie in These 5 erwähnt). Es ist schlichtweg nicht zutreffend, dass jemand zufällig durch das Examen gefallen ist – dazu ist bereits die Benotung zu objektiv (siehe These 3). Es mag an der fehlerhaften Vorbereitung gelegen haben, vielleicht aber auch am fehlenden (juristischen) Talent oder an besonderen äußeren Umständen. Bloß: „Durchwinken“ kann man diese Studenten auch nicht. Damit tut man weder Ihnen einen Gefallen (denn die spätere Jobsuche dürfte schwierig werden) noch den anderen Absolventen (die sich dann gegen eine größere Anzahl von Konkurrenten durchsetzen müssten). Erst recht kann aber auch die Gesellschaft kein Interesse hieran haben. Das Examen sollte kein Selbstzweck sein. Der Jurist dient später dem Recht, dazu bedarf es schlichtweg eines Mindestmaßes an juristischen Fähigkeiten.
These 8 – Das Examen ist nur ein Vorgeschmack auf den Beruf
Zuletzt schließlich meine Meinung zur Drucksituation: Natürlich ist das Examen anstrengend, aufregend, nervenaufreibend und stressig. So ist aber auch der spätere Beruf des Juristen: anstrengend, aufregend, nervenaufreibend und stressig. Und sowohl für das Examen als auch für den Beruf bedarf es einer gewissen Lockerheit und einer angemessenen Strukturiertheit. Das Examen ist damit lediglich ein Vorgeschmack auf den späteren Beruf des Juristen – egal in welchem Berufsfeld. Auch dieser ist, ebenso wie das Examen, häufig nervig, eintönig und ermüdend. So ist es eben. Nur die Alternativen fehlen. Der Beruf des Juristen und ebenso die Ausbildung ist ein Beruf wie jeder andere. Es sollte zahlreiche Momente geben, wo der Spaß vorherrscht. Dennoch bleibt es ein Beruf.
Fazit
All das Gesagte kann auf das Leben allgemein übertragen werden. Hieran kann keiner etwas ändern. Man mag das – in vielen Punkten auch zu Recht – kritisieren und den Leistungsdruck in unserer Gesellschaft anprangern. Nur ändern kann man daran nichts und es ist albern das Jurastudium und -examen als ein Musterbeispiel hierfür herauszugreifen.
Natürlich sind Vorkehrungen zwingend nötig, die verhindern, dass Studenten gesundheitliche Schäden davontragen oder unnötige psychische Probleme bekommen. Grund hierfür ist aber im Regelfall nicht das Studium selbst, sondern der selbst erzeugte Druck. Es geht aber auch anders. Sowohl im Leben als auch im Jurastudium. Man sollte sich stets vor Augen halten: Ein gescheiterter Jurastudent ist keinesfalls ein gescheiterter Mensch, vielleicht zeigt sich hierin gerade die Wahrheit. Nicht jeder muss ein (guter) Jurist werden. Sich dies einzugestehen, mag oft schwer sein und nach Versagen klingen – meines Erachtens zu Unrecht. Wir haben ein faires System der juristischen Ausbildung, dass ein Spiegelbild des juristischen Alltags ist. Dies muss nicht jedem liegen, aber dies frühzeitig zu erkennen und entsprechende Konsequenzen zu ziehen, ist eine Stärke und gleichzeitig eine Herausforderung, die keinesfalls leichter ist als das Staatsexamen.

01.07.2015/12 Kommentare/von Tom Stiebert
https://www.juraexamen.info/wp-content/uploads/2022/05/je_logo.svg 0 0 Tom Stiebert https://www.juraexamen.info/wp-content/uploads/2022/05/je_logo.svg Tom Stiebert2015-07-01 12:28:362015-07-01 12:28:36Natürlich ist das Staatsexamen schwer – so wie das ganze Leben: Stellungnahme zur Zeit-Themenwoche
Gastautor

Examensrelevante Entscheidungen zum Kaufrecht

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Wir freuen uns, heute einen Gastbeitrag von Lars Stegemann veröffentlichen zu können. Der folgende Beitrag fasst die bisher in diesem Jahr zum Kaufrecht ergangenen examensrelevanten Entscheidungen des Bundesgerichtshofes zusammen und weist auf die jeweilige Prüfungsrelevanz hin. Der zweite Teil dieses Beitrages folgt in Kürze an dieser Stelle.
 
Beweislastumkehr für Mangelursache beim Verbrauchsgüterkauf
BGH Urteil vom 15.1.2014, VIII ZR 70/13, NJW 2014, 1086
Leitsätze:
Zur Beweislastumkehr hinsichtlich eines latenten Mangels beim Verbrauchsgüterkauf (hier: Vorschädigung der Sehnen eines Pferdes als Ursache einer akuten Verletzung).
Entscheidungsinhalt:
Der Bundesgerichtshof bestätigt in dieser Entscheidung seine Rechtsprechung[1] zur Beweislastumkehr im Rahmen des Verbrauchsgüterkaufes nach § 476 BGB. Danach wird grundsätzlich vermutet, sofern sich innerhalb von sechs Monaten nach Gefahrenübergang ein Sachmangel zeigt, dass die Sache bereits bei Gefahrenübergang mangelhaft war. Die Parteien stritten in dem der Entscheidung zu Grunde liegenden Rechtsstreit über die Mangelhaftigkeit eines verkauften Pferdes (§§ 433, 434, 474 I, 90a BGB).
Der der Entscheidung zu Grunde liegende Streit dürfte bekannt sein. Der Bundesgerichtshof geht davon aus, dass die Vermutung des § 476 BGB nur in zeitlicher Hinsicht wirkt ­– es wird also nur vermutet, dass der konkret sich zeigende Mangel bei Gefahrenübergang vorhanden war. So führt er in der Entscheidung aus: „Beruft sich der Käufer […] darauf, dass der nach Gefahrübergang sichtbar gewordene – akute – Mangel auf einer Ursache beruhe, die ihrerseits einen vertragswidrigen Zustand darstelle, so muss er dies beweisen. […]; ob hinsichtlich einer solchen Ursache ein Sachmangel vorliegt, hat […] der Kläger zu beweisen […]. Beweist der Käufer, dass der sichtbar gewordene Mangel auf einem – latenten – Mangel beruht, so greift zu Gunsten des Käufers auch insoweit die Vermutung des § 476 BGB ein, dass dieser – latente – Mangel bereits bei Gefahrenübergang bestand […].“[2]
Demgegenüber entnimmt die wohl herrschende Lehre der Norm eine weitergehende Wirkung. Danach wird über diese zeitliche Komponente hinaus vermutet, dass ein sich nach Gefahrenübergang zeigender Sachmangel auf einem schon bei Gefahrenübergang vorhandenen „Grundmangel“ beruht.[3] Dafür spricht nicht nur der Wortlaut des § 476 BGB, sondern auch der Zweck der Vorschrift. Vor allem bei technischen Geräten würde der § 476 BGB dem Verbraucher sonst in den allermeisten Fällen nicht helfen.[4]
Im vorliegenden Fall gelang dem Käufer aber auch der Nachweis des Grundmangels, sodass § 476 BGB insofern eingriff. Der BGH nahm auch zu dem Streit nicht weiter Stellung,[5] ebenso wenig zieht er auch weiterhin eine Vorlage an den BGH in Erwägung.[6]
Interessant sind auch die kurzen Ausführungen des Senats zu Beginn der Entscheidung, der § 446 BGB (und damit wohl auch § 447 BGB) auch im Rahmen eines Verbrauchsgüterkaufes für abdingbar erklärt.[7] Im vorliegenden Fall hatten die Parteien den Gefahrenübergang auf den Zeitpunkt des Vertragsschlusses vorverlegt.
Prüfungsrelevanz:
Der Streit um die Reichweite der Vermutung des § 476 BGB ist prüfungsrelevant, die Entscheidung bietet somit Anlass, sich erneut mit ihm zu beschäftigen, auch wenn der BGH nur in aller Kürze seine Rechtsprechung bestätigt. Prüfungsstandort hierfür ist die Mangelhaftigkeit der Kaufsache, die für die in § 437 BGB genannten Rechtsbehelfe des Gewährleistungsrechts nötig ist. Lässt sich nicht aufklären, ob die Kaufsache bereits bei Gefahrenübergang[8] mangelhaft war, ist auf § 476 BGB einzugehen, sofern ein Verbrauchsgüterkauf vorliegt (zu denken ist hier auch stets an § 478 Abs. 3 BGB). Insofern enthält die Norm eine Abweichung von der Grundregel des § 363 BGB. Im Rahmen dessen sollte man nun auch bei entsprechenden Hinweisen im Sachverhalt an die Abdingbarkeit des § 446 BGB denken.
 
Unverhältnismäßigkeit der Nacherfüllung und deren Auswirkungen auf den Schadensersatz statt der Leistung
BGH Urteil vom 14.4.2014, V ZR 275/12, BeckRS 2014, 12422
Leitsätze:

  1. Stellen sich die zur Mängelbeseitigung erforderlichen Kosten als unverhältnismäßig dar, so kann der Käufer von dem Verkäufer nur Ersatz des mangelbedingten Minderwerts der Sache verlangen.
  2. Ob die Kosten unverhältnismäßig sind, ist aufgrund einer umfassenden Würdigung der Umstände des Einzelfalls unter Berücksichtigung der in § 439 Abs. 3 BGB genannten Kriterien festzustellen.
  3. Bei Grundstückskaufverträgen kann als erster Anhaltspunkt davon ausgegangen werden, dass die Kosten der Mängelbeseitigung unverhältnismäßig sind, wenn sie entweder den Verkehrswert des Grundstücks in mangelfreiem Zustand oder 200% des mangelbedingten Minderwerts übersteigen.
  4. Für die Beurteilung der Unverhältnismäßigkeit der Kosten kommt es auf den Beginn der Mängelbeseitigung durch den Käufer an. Stellt sich während deren Ausführung heraus, dass die Kosten höher als erwartet sind, steht dies einer Ersatzpflicht nur entgegen, wenn ein wirtschaftlich denkender Käufer die Arbeiten auch unter Berücksichtigung der bereits angefallenen Kosten nicht fortführen würde bzw. fortgeführt hätte.

Entscheidungsinhalt:
Der BGH überträgt die Grundsätze einer im vorletzten Jahr zum Werkvertragsrecht ergangenen Entscheidung auf das Kaufrecht.[9] Dabei geht es im Schwerpunkt um die Unverhältnismäßigkeit der Nacherfüllung und deren Auswirkungen auf den Schadensersatz statt der Leistung. Da es sich nicht um einen Verbrauchsgüterkauf handelte (schon keine bewegliche Sache im Sinne des § 474 Abs. 1 BGB, sondern ein Grundstückskauf), konnte der BGH vorliegend eine absolute Unverhältnismäßigkeit der Nacherfüllung gem. § 439 Abs. 3 BGB annehmen und gelangte so zu den zu erörternden Problemen.[10] Die prozessrechtlichen Ausführungen zu Beginn der Entscheidung werden hier nicht weiter vertieft, ebenso bleiben die Ausführungen zur Kausalität außer Betracht.[11]
Nach kurzen Ausführungen zur Vorteilsausgleichung und zum Abzug „neu für alt“ ­– also Ausführungen zum Schadensumfang – geht der Senat auf den eigentlichen Schwerpunkt des Urteils ein, nämlich die Unverhältnismäßigkeit der Nacherfüllung und die Folgen für den Umfang des Schadensersatzes. Während die Nacherfüllung in Form der Nachlieferung im vorliegenden Fall unmöglich war,[12] kam für die Nachbesserung eine absolute Unverhältnismäßigkeit nach § 439 Abs. 3 S. 3 Hs. 2 BGB in Betracht. Hier ist zu begrüßen, dass der Senat, obwohl er wiederum die Relevanz der jeweiligen Umstände des Einzelfalls betont, zumindest sachlich beschränkt auf Grundstückskaufverträge feste Prozentgrenzen als Anhaltspunkt nennt. Entsprechend dem Wortlaut des § 439 Abs. 3 S. 2 BGB wird ausgeführt, dass § 439 Abs. 3 S. 3 Hs. 2 BGB eingreift, wenn die Kosten „entweder den Verkehrswert des Grundstücks in mangelfreiem Zustand oder 200% des mangelbedingten Minderwerts übersteigen“[13]. Es bleibt angesichts der Vielfalt der hierzu vertretenen Prozentgrenzen zu hoffen, dass der BGH diese Richtwerte auch auf andere Fälle überträgt.
Sofern der Verkäufer die mögliche Art der Nacherfüllung zu Recht gem. § 439 Abs. 3 S. 3 Hs. 2 BGB verweigert, steht dem Käufer ohne weitere Fristsetzung ein Anspruch auf Schadensersatz statt der Leistung zu. Das ergibt sich zwar nicht direkt, aber aus dem Sinn und Zweck des § 440 S. 1 Var. 2 BGB, die in solchen Fällen sinnlose Nachfristsetzung für entbehrlich zu erklären.[14] Der Senat geht in der Entscheidung ohne Diskussion von der Anspruchsgrundlage der §§ 437 Nr. 3, 280 Abs. 1, 281 Abs. 1 S. 1 BGB aus, wie es auch § 440 S. 1 Var. 2 BGB offensichtlich vorsieht.[15] Dennoch bestehen Bedenken hinsichtlich dieser Anspruchsgrundlage und auch ob dies im Sinne des Gesetzgebers ist,[16] doch ist angesichts des geringen Echos auf diesen Punkt der Entscheidung hier die weitere Diskussion abzuwarten.[17]
Neues bringt die Entscheidung insofern auch hier erst wieder bei den Ausführungen zum Umfang des Schadensersatzes statt der Leistung. Grundsätzlich kann im Falle des kleinen Schadensersatzes statt der Leistung der Käufer zwischen dem Ausgleich des mangelbedingten Minderwerts und dem Ersatz der Mängelbeseitigungskosten wählen.[18] Verweigert der Verkäufer allerdings die Nachbesserung wegen Unverhältnismäßigkeit der Kosten, so würde es dem Schutzzweck des § 439 Abs. 3 BGB widersprechen, wenn der Käufer nun über den Umweg des Schadensersatzes diese Kosten dennoch vom Verkäufer ersetzt verlangen könnte. Ein eventuelles Vertretenmüssen hat insofern nur Auswirkungen auf die im Rahmen des § 439 Abs. 3 BGB relevante Grenze dessen, was dem Verkäufer zumutbar ist.[19] Der BGH stützt dies auf eine analoge Anwendung des § 251 Abs. 2 S. 1 BGB und zieht im Rahmen dessen die Werte zu § 439 Abs. 3 BGB heran.[20] Einer Analogie bedarf es deshalb, weil nach herrschender, aber nicht unbestrittener Auffassung beim Schadensersatz statt der Leistung die Naturalrestitution ausscheidet ­– diese bestünde gerade in der Nacherfüllung. Stattdessen ist stets Schadensersatz in Geld zu leisten, die Wiederherstellung kann entsprechend nicht unverhältnismäßig im Sinne des § 251 Abs. 2 S. 1 BGB sein.[21]
Prüfungsrelevanz:
Würde man die Entscheidung in eine Klausur übersetzen, würde der Anspruch auf Schadensersatz statt der Leistung im Zentrum stehen. Der BGH hat sich hier für die §§ 437 Nr. 3, 280 Abs. 1, 281 Abs. 1 S. 1 BGB entschieden; das sollte man angesichts von § 440 S. 1 Var. 2 BGB vorbehaltlich weiterer Diskussionen in der Literatur auch ohne größere Erörterungen tun. Die Unverhältnismäßigkeit der Nacherfüllung, die der BGH erst im Rahmen des Schadens anspricht, wären hier bereits im Rahmen der Fristsetzung zu erläutern, sofern eine solche nicht ohnehin gesetzt wurde und verstrichen ist. Im Rahmen des Schadens bzw. der Schadensberechnung ist dann auf die analoge Anwendung des § 251 Abs. 2 S. 1 BGB einzugehen.
 
Erheblicher Mangel bei Mangelbeseitigungskosten von mehr als fünf Prozent des Kaufpreises
BGH Urteil vom 28.5.2014, VIII ZR 94/13, BeckRS 2014, 11378
Leitsätze:

  1. Die Beurteilung der Frage, ob eine Pflichtverletzung unerheblich im Sinne des § 323 Abs. 5 S. 2 BGB ist, erfordert eine umfassende Interessenabwägung auf der Grundlage der Umstände des Einzelfalls (Bestätigung der Senatsurteile vom 17. Februar 2010 – VIII ZR 70/07, NJW-RR 2010, 1289 Rn. 23; vom 6. Februar 2013 – VIII ZR 374/11, NJW 2013, 1365 Rn. 16).
  2. Bei einem behebbaren Mangel ist im Rahmen dieser Interessenabwägung von einer Geringfügigkeit des Mangels und damit von einer Unerheblichkeit der Pflichtverletzung gem. § 323 Abs. 5 S. 2 BGB jedenfalls in der Regel nicht mehr auszugehen, wenn der Mangelbeseitigungsaufwand einen Betrag von fünf Prozent des Kaufpreises übersteigt.

Entscheidungsinhalt:
In dieser Entscheidung setzt sich der BGH damit auseinander, wann eine Pflichtverletzung im Rahmen der §§ 437 Nr. 2, 323 Abs. 5 S. 2 BGB und §§ 437 Nr. 3, 281 Abs. 1 S. 3 BGB unerheblich ist, sodass Rücktritt und Schadensersatz statt der ganzen Leistung nicht in Betracht kommen. Zum ersten Mal äußert sich der BGH zu einer konkreten Prozent-Grenze, ab der bei einem behebbaren Mangel im Regelfall von einer Erheblichkeit ausgegangen werden kann. Zuvor hatte er nur entschieden, dass jedenfalls bei Mangelbeseitigungskosten von unter 1 % des Kaufpreises von einer Unerheblichkeit auszugehen ist und diese Grenze auch auf einen merkantilen Minderwert übertragen.[22]
Der Senat setzt sich ausführlich mit den zahlreichen in Literatur und Rechtsprechung vertretenen Ansichten zu Prozent-Grenzen auseinander, bezieht in seine Auslegung die Gesetzesbegründung und rechtsvergleichend auch die entsprechende Regelung im CISG mit ein. Diese Ausführungen können in einer Prüfung regelmäßig nicht erwartet werden. Nur einige Punkte aus der Entscheidung verdienen eine genauere Betrachtung. So betont der BGH auch hier wieder die Einzelfallentscheidung und erklärt eine umfassende Interessenabwägung für maßgeblich. Insgesamt kommt er zu dem Schluss, „[…] dass bei einem behebbaren Mangel im Rahmen der nach den Umständen des Einzelfalls vorzunehmenden Interessenabwägung von einer Unerheblichkeit der Pflichtverletzung gem. § 323 Abs. 5 Satz 2 BGB in der Regel dann nicht mehr auszugehen ist, wenn der Mängelbeseitigungsaufwand mehr als fünf Prozent des Kaufpreises beträgt.“[23]
Der BGH hält damit einerseits an seiner vorherigen Rechtsprechung fest, bei behebbaren Mängeln nicht auf die Funktionsbeeinträchtigung, sondern nur auf den Mängelbeseitigungsaufwand abzustellen.[24] Andererseits stellt er ausdrücklich nur auf „die in der Mangelhaftigkeit der Kaufsache liegende Pflichtverletzung“[25] ab, wobei fraglich ist, ob dies wirklich als Abkehr von seiner umstrittenen Rechtsprechung anzusehen ist, hier auch eine vorvertragliche Pflichtverletzung in Gestalt einer arglistigen Täuschung einzubeziehen.[26] Der BGH begründet diese Grenze wie folgt: „Bei behebbaren Sachmängeln unterhalb der genannten Schwelle wird es dem Käufer in der Regel zuzumuten sein, am Vertrag festzuhalten und sich – nach erfolglosem Nachbesserungsverlangen – mit einer Minderung des Kaufpreises oder mit der Geltendmachung des kleinen Schadensersatzes zu begnügen. Den Verkäufer wiederum vermag diese Lösung in ausreichendem Maße vor den für ihn wirtschaftlich meist nachteiligen Folgen eines Rücktritts des Käufers wegen geringfügiger Mängel zu schützen […]“.[27]
Prüfungsrelevanz
Das vorliegende Problem kann sowohl im Rahmen eines Anspruchs auf Schadensersatz statt der Leistung (§§ 281 Abs. 1 S. 3, 283 S. 2, 311a Abs. 2 S. 3 BGB) als auch im Rahmen eines Rücktritts (§§ 323 Abs. 5 S. 2, 326 Abs. 5 Hs. 2 BGB) bzw. der daraus resultierenden Ansprüche begegnen. Es bietet sich an, in problematischen Fällen kurz darzustellen, dass diesen Vorschriften eine Abwägung zwischen den Interessen des Käufers und Verkäufers zu Grunde liegt, die nur im konkreten Einzelfall entschieden werden kann, um dann gegebenenfalls auf die vom BGH aufgestellte Grenze zurückzukommen. Bekannt sein sollte, dass eine Beschaffenheitsvereinbarung und erst recht eine übernommene Garantie für eine bestimmte Beschaffenheit ebenfalls die Erheblichkeit indizieren.[28] Ein wenig versteckt kann einem das Problem im Rahmen der Frage begegnen, ob der Käufer eine mangelhafte Sache zurückweisen durfte, da der BGH dieses Recht dem Käufer zumindest bei einem erheblichen Mangel im Sinne der genannten Vorschriften und einem damit einhergehendem Rücktrittsrecht zugesteht.[29]
 
[1] BGH, NJW 2004, 2299; BGH, NJW 2005, 3490; BGH, NJW 2006, 434.
[2] BGH, NJW 2014, 1086 (1087); das Berufungsgericht wollte die Reichweite der Vermutung gar auf den akuten Mangel beschränkt sehen, § 476 BGB also nicht einmal in zeitlicher Hinsicht auf den latenten Mangel anwenden.
[3] Siehe nur S. Lorenz in: MüKo BGB, 6. Auflage 2012, § 476 Rn. 25; ausführlich auch Huber/Bach, SchuldR BT I, 4. Auflage 2013, Rn. 278; Gsell, JuS 2005, 967 (970 ff.).
[4] So auch Faust in: BeckOK BGB, 32. Edition 2014, § 476 Rn. 8 ff.
[5] Eine kurze Auseinandersetzung mit der Gegenansicht findet sich in BGH, NJW 2006, 434.
[6] Kritisch dazu Faust in: BeckOK BGB, § 476 Rn. 12.
[7] BGH, NJW 2014, 1086 (1086); so wohl auch die h.L., dazu S. Lorenz in: MüKo BGB, § 475, Rn. 5 m.w.N.: § 446 BGB ist in der Norm nicht genannt, zudem enthält die RL keine entsprechenden Vorgaben, auf deren Rahmen der Gesetzgeber aber die zwingenden Regelungen beschränken wollte.
[8] Dies ist nach ganz h.M. der für die Mangelhaftigkeit der Kaufsache relevante Zeitpunkt und der Beginn des zeitlichen Anwendungsbereichs des Gewährleistungsrechts, siehe ausführlich Huber/Bach, SchuldR BT I, Rn. 62 f., 85 ff.
[9] BGH, NJW 2013, 370.
[10] Die hierzu ergangene Rechtsprechung sollte unbedingt bekannt sein, siehe dazu unseren Beitrag https://red.ab7.dev/eugh-ausbau-mangelhafter-und-neu-einbau-mangelfreier-fliesen-von-nacherfullung-erfasst/.
[11] Siehe dazu die Rn. 7-18 und 27-30 der Entscheidung.
[12] Es handelte sich ganz offensichtlich um eine Stückschuld, siehe zu den Voraussetzungen, unter denen dennoch eine Nachlieferung in Betracht kommt, BGH, NJW 2006, 2839.
[13] BGH, BeckRS 2014, 12422 Rn. 41 ff., wobei der BGH die Verkehrswert-Grenze mit der Rechtsprechung zu § 251 II 1 BGB bei Grundstücken begründet; offengelassen noch in BGH, NJW 2009, 1660 (1661); eine Übersicht zu den verschiedenen Ansichten liefert Faust in: BeckOK BGB, § 439 Rn. 49 f.
[14] Der Wortlaut erfasst dies streng genommen nicht, siehe aber nur H. P. Westermann in: MüKo BGB, § 440 Rn. 6.
[15] BGH, BeckRS 2014, 12422 Rn. 35; so auch Pammler in: jurisPK BGB, 6. Auflage 2012, § 440 Rn. 65; unklar Weidenkaff in: Palandt, 70. Auflage 2011, § 439 Rn. 21.
[16] Siehe zu den Bedenken und der Gesetzesbegründung ausführlich Jaensch, NJW 2013, 1121, bezogen auf die zuvor zum Werkvertragsrecht ergangene Entscheidung; ebenso bereits Jaensch, JURA 2005, 649 (652 f.); das hat zahlreiche Auswirkungen, insbesondere auf den Bezugspunkt des Vertretenmüssens sowie den relevanten Zeitpunkt, ab dem die Schäden dem Schadensersatz statt der Leistung zuzurechnen sind.
[17] Vorsichtig die Anmerkung von S. Lorenz hierzu unter http://lorenz.userweb.mwn.de/urteile/viizr179_11.htm#8, Abruf vom 29.09.2014.
[18] BGH, BeckRS 2014, 12422, Rn. 33.
[19] Zu den umstrittenen Kriterien im Rahmen des § 439 Abs. 3 BGB Faust in: BeckOK BGB, § 439 Rn. 49 m.w.N.
[20] BGH, BeckRS 2014, 12422, Rn. 36, 43 ff.
[21] Ausführlich Riehm, JuS 2014, 833 (834).
[22] BGH, NJW 2008, 1517 (1519): In Abweichung von einer vorherigen Entscheidung sind unbehebbare Mängel nicht stets als erheblich anzusehen; BGH, NJW 2011, 2872 (2874): 1 %-Grenze und alleiniges Abstellen auf Beseitigungsaufwand, außer der Mangel ist nicht oder nur mit hohen Kosten behebbar.
[23] BGH, BeckRS 2014, 11378, Rn. 30.
[24] Sehr deutlich bereits BGH, NJW 2011, 2872 (2874).
[25] BGH, BeckRS 2014, 11378, Rn. 16.
[26] Grundlegend BGH, NJW 2006, 1960 (1961); zu recht kritisch Lorenz, NJW 2006, 1925 (1926); zustimmend hingegen Faust in: BeckOK BGB, § 437 Rn. 27 m.w.N.
[27] BGH, BeckRS 2014, 11378, Rn. 38. Lesenswert auch die Ausführungen in den Rn 31, 33, 37, ebenso Rn. 44 mit Bezug zur Verbrauchsgüterkaufrichtlinie.
[28] BGH, NJW-RR 2010, 1289 (1291); Huber/Bach, SchuldR BT I, Rn. 157.
[29] BGH, NJW-RR 2010, 1289 (1291); ebenso BGH, NJW 2013, 1365 (1366); in beiden Entscheidungen für Fälle ohne Rücktrittsrecht wegen Unerheblichkeit offen gelassen; ausführlich dazu Jud, JuS 2004, 841.

03.10.2014/3 Kommentare/von Gastautor
https://www.juraexamen.info/wp-content/uploads/2022/05/je_logo.svg 0 0 Gastautor https://www.juraexamen.info/wp-content/uploads/2022/05/je_logo.svg Gastautor2014-10-03 10:00:122014-10-03 10:00:12Examensrelevante Entscheidungen zum Kaufrecht
Tom Stiebert

Notiz: Studie zur Examensbenotung: Im Zweifel für den deutschen Mann

Schon gelesen?, Startseite, Verschiedenes

Einen äußerst interessanten und kontroversen Beitrag der noch für viel Gesprächsstoff hat die Zeitschrift für die Didaktik der Rechtswissenschaft heute veröffentlicht (ZDRW 2014, 8). Es geht um die Objektivität und Fairness bei der Vergabe der Examensnoten.
Den äußerst interessanten Beitrag kann man hier abrufen.
Zentrale Ergebnisse sind:

  • Männer erhalten bessere Noten als Frauen
  • Studenten mit deutschen bzw. deutsch klingenden Namen schneiden besser ab

Nicht belegt werden kann aber, ob dies auf eine Diskriminierung hindeutet, oder ob schlichtweg die notwendigen Kenntnisse (sprachlicher bzw. logisch-analytischer Art) ungleich verteilt sind. Auch weitere Faktoren der Notenvergabe werden untersucht.
Insgesamt also ein Aufsatz, der für Furore sorgen wird. Ob sich das „System“ Examen ändern wird, ist aber fraglich.
Was denkt ihr zu der Studie, habt ihr ähnliche Erfahrungen gemacht oder ist das alles Zufall? Wir sind auf eine Meinungen gespannt.
Zu Unterschieden des Examens in den einzelnen Bundesländern siehe auch unseren Beitrag.
 
 

14.04.2014/6 Kommentare/von Tom Stiebert
https://www.juraexamen.info/wp-content/uploads/2022/05/je_logo.svg 0 0 Tom Stiebert https://www.juraexamen.info/wp-content/uploads/2022/05/je_logo.svg Tom Stiebert2014-04-14 07:00:532014-04-14 07:00:53Notiz: Studie zur Examensbenotung: Im Zweifel für den deutschen Mann
Redaktion

Die mündliche Prüfung- Wir fragen, Prüfer antworten

Examensvorbereitung, Lerntipps, Mündliche Prüfung, Startseite, Verschiedenes

Die mündliche Prüfung ist für die Examensnote genauso wichtig wie das schriftliche Examen. Für viele Kanditaten stellt sie aber häufig Neuland dar, findet sie in der universitäten Ausbildung ja kaum statt. Umso größer sind die Fragen, die so manch einen vor der Prüfung plagen. Um euch einen Einblick zu geben, was für die mündliche Prüfung wichtig sein kann und welche Vorstellungen die Prüfer/innen eigentlich haben, möchten wir verschiedene Prüfer für euch interviewen.
 
Heute gibt uns Herr Prof. Dr. Martin Avenarius als regelmäßiger Prüfer einen Einblick.
Prof. Dr. Martin Avenarius ist Inhaber des Lehrstuhls für Bürgerliches Recht, Römisches Recht und Neuere Privatrechtsgeschichte an der Rechtswissenschaftlichen Fakultät der Universität zu Köln. Daneben ist er u.a. Mitglied der Justizprüfungsämter bei den Oberlandesgerichten Köln und Düsseldorf und Vertrauensdozent der Hanns-Seidel-Stiftung.
 
1. Wie bereiten Sie sich auf die Kandidaten vor? Nehmen Sie Einsicht in die Prüfungsakte?
Über den Inhalt der Prüfungsakte berichtet der Kommissionsvorsitzende erst am Tag der mündlichen Prüfung. Die Ergebnisse der Klausuren kennen die Prüfer aber schon etwas länger. Dies ermöglicht es, sie bei der Vorbereitung des Prüfungsgesprächs zu berücksichtigen, um auf jeden Kandidaten angemessen eingehen zu können. Wer z.B. um das Bestehen ringt, muss fairerweise anders gefragt werden als jemand, der vielleicht Aussichten auf ein gutes Gesamtergebnis hat und zeigen möchte, dass er besonders qualifiziert ist. So kann man schwächeren Kandidaten mit zunächst einfacheren Aufgaben ihre Chance geben, um sie nicht von vornherein zu überfordern, während stärkere die Möglichkeit bekommen, mit anspruchsvolleren Gedanken zu glänzen. Im übrigen ergibt sich aus den Vornoten keineswegs eine Tendenz hinsichtlich des Erfolgs in der mündlichen Prüfung. Hier besteht also Raum für erfreuliche Überraschungen.
 
2. Welchen Einfluss hat das Vorgespräch auf die spätere mündliche Prüfung? Welchem Zweck dient es aus Ihrer Sicht?
Das Vorgespräch wird mit dem Vorsitzenden geführt, der darüber in der Kommission berichtet. Es vermittelt einen Eindruck von der Persönlichkeit des Kandidaten. Dieser kann sich hier zu seinen Zukunftsplänen oder Interessenschwerpunkten äußern und allfällige Probleme (etwa sprachliche Schwierigkeiten oder besondere Prüfungsangst) benennen. Auch kann er ggf. darauf hinweisen, wenn er meint, dass seine schriftlichen Arbeiten sein wirkliches Leistungsniveau nicht widerspiegeln; man kann dem dann in der mündlichen Prüfung durch geeignete Fragen nachgehen.
 
3. Welche Rolle spielen die erzielten Vornoten aus dem schriftlichen Examensteil?
Ihre Kenntnis ist wichtig, damit man das Prüfungsgespräch in angemessener Weise planen und durchführen kann (s.o. 1.). Auch können Klausuren, die dem Kandidaten ausnahmsweise misslungen sind, bewirken, dass das rechnerische Gesamtergebnis der Prüfung hinter einem günstigeren Eindruck zurückbleibt, den die Kommission vom Leistungsstand des Kandidaten gewinnt. In solchen Sonderfällen ist eine Korrektur der Gesamtnote möglich.
 
4. Viele Prüflinge sind unsicher, was Sie anziehen sollen. Wie sollte man sich am besten kleiden?
Förmlich und zurückhaltend. Kandidaten sollten dadurch zum Ausdruck bringen, dass sie die Prüfung ernst nehmen. Die Prüfer tun es ebenso.
 
5. Wie bereiten Sie sich selbst auf eine mündliche Prüfung vor?
Ich konzipiere normalerweise einen oder zwei kurze Fälle, die im Gespräch gelöst werden sollen, und notiere mir, welche Gegenstände dabei möglichst erörtert werden sollten. Gerne wähle ich Themen, die kleine Exkurse zu den Grundlagen des Rechts erlauben. Auch für den Fall, dass am Ende der Teilprüfung noch Zeit bleibt, notiere ich mir einige Grundfragen. Ich nehme mir vor der Prüfung auch Zeit für die Auseinandersetzung mit der Aufgabe, die jeweils als Gegenstand des Kurzvortrags vorgesehen ist.
 
6. Was empfehlen Sie einem Kandidaten, um sich gut vorzubereiten?
Mit der Vorbereitung sollte man keinesfalls erst unmittelbar vor der Prüfung beginnen, man sollte sie vielmehr langfristig betreiben. Sehr wichtig ist es, das Fach mit seiner ganzen Schwierigkeit von Beginn des Studiums an ernst zu nehmen. Es genügt selbstverständlich nicht, im letzten Moment – z.B. mit Rücksicht auf die Zusammensetzung der Prüfungskommission – das Kurzzeitgedächtnis mit irgendwelchen Einzelheiten anzureichern. Entscheidend ist, ob der Prüfling über die Ausbildung hinaus, also über das bloße juristische Handwerk, das schwierig genug ist, auch als juristisch gebildete Persönlichkeit gereift ist, der man zutraut, dass er später gesellschaftliche Verantwortung übernehmen kann. Die mündliche Prüfung erlaubt in dieser Hinsicht klarere Eindrücke als schriftliche Leistungen. Erst wenn also die kritische Selbstvergewisserung zu dem Eindruck führt, dass die nötige Reife erreicht ist, dann sollte man ins Examen gehen, und keinesfalls allein deswegen, weil der Freiversuchs-Termin bevorsteht.
Natürlich kann man auch ganz konkrete Maßnahmen ergreifen, um die Aussichten zu verbessern. Hierzu gehört etwa das Einüben von Kurzvorträgen, insbesondere mit Rücksicht auf das Zeitmanagement, oder die Orientierung über aktuell diskutierte Rechtsprobleme.
 
7. Wie sollte ein Prüfling reagieren, wenn er eine Frage nicht richtig verstanden hat?
Nachfragen. Soviel Zeit steht immer zur Verfügung, und Prüfer sind nach meiner Erfahrung immer geduldig und freundlich. Man versucht selbstverständlich zu vermeiden, dass das Prüfungsgespräch durch Mißverständnisse belastet wird.
 
8. Sollte man mit dem Prüfer diskutieren, wenn er der eigenen Rechtsansicht widerspricht?
Ich finde es geradezu erfreulich, wenn die Rechtskenntnis eines Kandidaten qualifiziert und sein Auftreten selbstbewußt genug ist, dass er seinen Standpunkt mit Gründen behaupten kann. Auch der fertige Jurist wird, um dem Recht verantwortlich dienen zu können, in der Lage sein müssen, im juristischen Streitgespräch kritisch zu argumentieren. Abwegige Vorstellungen oder methodisch unzulässig entwickelte Gedanken werden dadurch freilich nicht richtiger. Wenn der Prüfer also klar signalisiert, dass ein bestimmter Standpunkt falsch sei, sollte man nicht insistieren.
 
9. Was sind Ihrer Meinung nach die 3 Top-Fehler, die ein Kandidat begehen kann?
Unkritische Nutzung des Freiversuchs, Vernachlässigung der Grundlagen des Rechts, unsorgfältiger Umgang mit Gesetz, Sachverhalten und Methoden. Die Folgen sind nicht nur generell fatal, sondern können gerade in der mündlichen Prüfung unverschleiert zutage treten.
 
10. Haben Sie eine lustige oder kuriose Anekdote aus Ihrem bisherigen “Prüferleben”, die Sie uns preisgeben möchten?
Lieber nicht. Was auf der einen Seite des Tisches u.U. kurios wirken kann, mag für die andere Seite fatale Folgen haben. Man sollte nicht vergessen, dass das Staatsexamen eine ernste Angelegenheit ist. Nur scheinbar kurios, in Wahrheit aber besonders unangenehm kann es sein, wenn beide Seiten völlig unterschiedliche Vorstellungen vom wünschenswerten Niveau des juristischen Fachgesprächs haben.
 
Wir bedanken uns herzlich für die Antworten.

04.11.2013/0 Kommentare/von Redaktion
https://www.juraexamen.info/wp-content/uploads/2022/05/je_logo.svg 0 0 Redaktion https://www.juraexamen.info/wp-content/uploads/2022/05/je_logo.svg Redaktion2013-11-04 09:00:042013-11-04 09:00:04Die mündliche Prüfung- Wir fragen, Prüfer antworten
Gastautor

Grundlagen des Gesellschaftsrechts

Gesellschaftsrecht, Rechtsgebiete, Startseite, Verschiedenes, Zivilrecht

Wir freuen uns heute einen Gastbeitrag von Lars Stegemannn veröffentlichen zu können. Lars studiert an Universität Bremen und hat dort den Schwerpunkt Internationales und Europäisches Wirtschaftsrecht belegt. Nebenbei arbeitet er als studentische Hilfskraft am Lehrstuhl von Prof. Gralf-Peter Calliess.
Der folgende Beitrag soll einen Überblick über die Gesellschaftsformen geben. Damit soll das Verständnis des Gesellschaftsrechts, das in Grundzügen zum Pflichtstoff im Ersten Staatsexamen gehört, gefördert werden. Dazu gilt es, einen Blick auf Rechtskonstruktion und Struktur der Gesellschaftsformen zu werfen. Dies soll zunächst allgemein geschehen (A. zur Rechtskonstruktion und B. zur Struktur). Daran anschließend soll ein Überblick über die examensrelevanten Gesellschaftsformen gegeben werden (C.).
A. Die Rechtskonstruktion hinter der Gesellschaft
Zu Beginn des Beitrags soll eine kurze Erläuterung der – nicht nur für das Gesellschaftsrecht relevanten – Lehre von den Rechtssubjekten erfolgen. Das BGB beginnt im ersten Buch – dem Allgemeinen Teil – mit dem Abschnitt „Personen“. Damit sind Rechtssubjekte gemeint.Sie sind rechtsfähig, können also Träger von Rechten und Pflichten sein. Wie die Titel dieses ersten Abschnitts zeigen, ging der historische Gesetzgeber hier zunächst von einer Zweiteilung in natürliche und juristische Personen aus (Dörner, in: Schulze u.a. (Hrsg.), BGB, 7. Auflage, Vor. §§ 1 ff. Rn. 1; instruktiv hierzu auch Medicus/Petersen, Grundwissen zum Bürgerlichen Recht, 9. Auflage, Rn. 23 ff.). Während der natürlichen Person stets schon von Grundrechts wegen Rechtsfähigkeit zukommt (Medicus, BGB AT, 10. Auflage, Rn. 1043 f.), sind juristische Personen nur Zweckgebilde der Rechtsordnung (Schöpflin, in: BeckOK BGB, 28. Edition, Stand 01.08.2013, § 21 Rn. 1). Ihnen wird aus Zweckmäßigkeitsgründen durch die Rechtsordnung Rechtsfähigkeit verliehen (Medicus/Petersen, Grundwissen zum Bürgerlichen Recht, 9. Auflage, Rn. 25). Juristische Personen werden üblicherweise definiert als Zusammenfassung von Personen oder Sachen zu einer rechtlich geregelten Organisation, der die Rechtsordnung Rechtsfähigkeit verliehen und dadurch als Träger eigener Rechte und Pflichten verselbstständigt hat (Ellenberger, in: Palandt, BGB, 72. Auflage, vor. §§ 21 ff. Rn. 1). Nach dem heute herrschenden System der Normativbestimmungen erlangen die juristischen Personen ihre Rechtsfähigkeit bei Erfüllung bestimmter Voraussetzungen durch konstitutive Registereintragung. Erst durch diese Eintragung werden sie zur juristischen Person (Wolf/Neuner, BGB AT, 10. Auflage, § 16 Rn. 2). Doch einige Vorschriften, auch im BGB, implizieren, dass es neben natürlichen und juristischen Personen eine dritte konstruktive Kategorie geben muss. Von einer solchen Dreiteilung geht insbesondere § 14 Abs. 1 BGB aus, wenn er neben den natürlichen und juristischen Personen die rechtsfähigen Personengesellschaften nennt.  Die rechtliche Konstruktion der rechtsfähigen Personengesellschaft wird als Gesamthandsgemeinschaft bezeichnet. Die Grundform der Personengesellschaften, die BGB-Gesellschaft, (siehe nur die Verweise in § 105 Abs. 3, 161 Abs. 2 HGB für OHG und KG sowie in § 1 Abs. 4 PartGG für die PartG), ist als eine solche Gesamthandsgemeinschaft konzipiert, §§ 705 ff. BGB (Wolf/Neuner, BGB AT, 10. Auflage, § 16 Rn. 30 ff.; auch BGH, NJW 2001, 1056). Veranschaulichen lässt sich das Gesamthandsprinzip vor allem in Abgrenzung zur Bruchteilsgemeinschaft. Die Bruchteilsgemeinschaft ist in §§ 741 ff. BGB geregelt und betrifft Fälle der sogenannten gemeinsamen Rechtszuständigkeit. Wichtigster Anwendungsfall ist hier das Miteigentum (§§ 1008 ff. BGB). Die Rechtszuständigkeit im Hinblick auf die einzelnen zum Vermögen (Sondervermögen) der Bruchteilsgemeinschaft gehörenden Gegenstände ist geteilt, d.h., jedes Mitglied der Bruchteilsgemeinschaft kann über seinen Bruchteil frei verfügen (dazu Ulmer/Schäfer, in: MüKo, BGB Bd. 5, 6. Auflage, § 705 Rn. 289 ff., sowie K. Schmidt, in: MüKo, BGB Bd. 5, 6. Auflage, § 741 Rn. 6). Bei der Gesamthand wird demgegenüber ein Sondervermögen gebildet, das vor dem Zugriff einzelner Gesellschafter dadurch geschützt ist, dass über die Gegenstände des Sondervermögens nur gemeinsam verfügt werden kann. Die Mitglieder sind ideell an der Gesamthandsgemeinschaft bzw. am Sondervermögen in seiner Gesamtheit beteiligt, nicht aber an jedem einzelnen dazugehörigen Gegenstand. Träger des Vermögens sind dabei nicht etwa die Gesellschafter in ihrer gesamthänderischen Verbundenheit, sondern die Gesellschaft selbst (Schäfer, Gesellschaftsrecht, 2. Auflage, § 19 Rn 1 ff.; auf einen gewissen Widerspruch weist Beuthien, NJW 2005, 855 (857) nicht zu Unrecht hin; zur Lösung der heute wohl h.L. dieser scheinbaren Begriffswidersprüchlichkeit siehe Schöne, in: BeckOK BGB, 28. Edition, Stand 01.08.2013, § 705 Rn. 17 m.w.N.). Auch nach Anerkennung der potentiellen Rechtsfähigkeit der gesellschaftsrechtlichen (in Abgrenzung zur familienrechtlichen und erbrechtlichen Gesamthandsgemeinschaft, dazu instruktiv Ulmer/Schäfer, in: MüKo, BGB Bd. 5, § 705 Rn. 289 ff.) Gesamthandsgemeinschaft (nur Außen-Personengesellschaften steht die Rechtsfähigkeit zu; grundlegend hierzu die BGH-Entscheidung zur Rechtsfähigkeit der Außen-GbR, die bekannt sein sollte: BGH, NJW 2001, 1056), wird an der Abgrenzung zur juristischen Person durch die ganz h.M. festgehalten (siehe nur Ulmer, ZIP 2001, 585 (588); Schöne, in: BeckOKBGB, 28. Edition, Stand 01.08.2013, § 705 Rn. 17 mit Nachweisen zur Gegenauffassung; ausdrücklich auch BGH, NJW 2001, 1056: „ohne juristische Person zu sein“). Für die Klausur ist dieser Unterschied aber unerheblich. Hier bedarf es eingangs lediglich einer kurzen Feststellung, dass die in Rede stehende Gesellschaft rechtsfähig ist, ohne auf die Trennung zwischen juristischer Person und Gesamthandsgemeinschaft einzugehen. Welche Unterschiede hier wirklich noch bestehen, ist der akademischen Diskussion vorbehalten (so auch K. Schmidt, NJW 2001, 993 (1003)). Einer kurzen Erläuterung bedarf aber noch der Begriff der Teilrechtsfähigkeit. Mit ihm wird üblicherweise das Defizit der rechtsfähigen Gesamthandsgemeinschaften im Vergleich zu den juristischen Personen bezeichnet im Sinne einer nur beschränkten Rechtsfähigkeit (Ellenberger, in: Palandt, BGB, 72. Auflage, vor. §§ 21 ff. Rn. 2; BGH, NJW 2009, 594 (595); Medicus/Petersen, Bürgerliches Recht, 23. Auflage, Rn. 794). Dieser Begriff ist vielfach auf Kritik gestoßen (sehr kritisch Huber, in: FS Lutter, 2000, 107 (110 ff.); ebenso Servatius, in: Henssler/Strohn, Gesellschaftsrecht, § 705 BGB Rn. 67; Beuthien, NJW 2005, 855 (856)) und wird auch vom BGH nicht immer verwendet (BGH, NJW-RR 2009, 254 (255)). Wichtig für die Klausur ist jedoch nur, dass die Rechtsfähigkeit der Gesamthandsgemeinschaften bezogen auf Vermögensrechte mittlerweile unbeschränkt ist (Ulmer/Schäfer, in: MüKo, BGB Bd. 5, 6. Auflage, § 705 Rn. 310; davon geht auch BGH, NJW 2006, 2189 aus, wenn er die fehlende Eignung der GbR, Verwalter einer WEG zu sein, nicht mit der mangelnden Rechtsfähigkeit begründet, sondern der fehlenden Publizität). Ob man dennoch den Begriff der Teilrechtsfähigkeit wählt, sollte vor allem von den Befindlichkeiten der Korrektoren abhängig gemacht werden. Als kurzer Vorgriff: Körperschaften (dazu sogleich) sind in der Regel juristische Personen (der nicht eingetragene Verein bildet hier gerade wegen seiner fehlenden Eintragung in ein Register die Ausnahme), Personengesellschaften grundsätzlich Gesamthandsgemeinschaften (Kraft/Kreutz, Gesellschaftsrecht, 11. Auflage, S. 5 f.).
B. Personengesellschaften und Körperschaften – Die Unterscheidung der Gesellschaftsformen nach ihrer Struktur
I. Der Gesellschaftsbegriff
Üblicherweise wird eine Gesellschaft definiert als Zusammenschluss mehrerer Personen auf Grundlage eines privatrechtlichen Vertrages zur Verfolgung eines gemeinsamen Zwecks (Gesellschaftsbegriff im weiten Sinne, Bitter, Gesellschaftsrecht, § 1 Rn. 4; K. Schmidt, Gesellschaftsrecht, 4. Auflage, S. 3). Dadurch erfolgt grob gesagt eine Abgrenzung zu: -den Körperschaften des öffentlichen Rechts (diese entstehen durch Hoheitsakt, nicht durch privatrechtlichen Vertrag), -zu den familienrechtlichen Gemeinschaften (sie entstehen in der Regel kraft Gesetzes, verfolgen aber zumindest nie einen bestimmten Einzelzweck) -sowie zur Bruchteilsgemeinschaft i.S.d. §§ 741 ff. BGB. Hier besteht der Zweck allein im Anschaffen, Halten und Verwalten einer Sache und die Parteien verfolgen   mit der Sache jeweils eigene Zwecke (Sprau, in: Palandt, BGB, 72. Auflage, § 705 BGB Rn 14; Saenger, Gesellschaftsrecht, 2. Auflage, § 2 Rn. 4 ff.). Die Stiftung ist ebenfalls keine Gesellschaft, weil sie keine Mitglieder hat. Sie ist nur ein rechtlich verselbstständigtes Vermögen (Reuter, in: MüKo, BGB Bd. 1, 6. Auflage, Vor. §§ 80 ff. Rn. 51). Nicht erfasst werden von dieser Definition aber die Ein-Mann-GmbH und –AG, § 2 AktG, § 1 GmbHG (Kübler/Assmann, Gesellschaftsrecht, 6. Auflage, S. 2 f. zu den Problemen des Gesellschaftsbegriffs).
II. Numerus clausus des Gesellschaftsrechts
Im Gesellschaftsrecht gilt, ebenso wie im Sachenrecht, ein numerus clausus der Gesellschaftsformen. Das dient dem Verkehrsschutz (Saenger, Gesellschaftsrecht, 2. Auflage, § 2 Rn. 36 f.; im Grenzbereich dessen bewegen sich Mischformen wie die GmbH & Co, KG). Der Gegenüber soll wissen, womit er es zu tun hat. Wohl gerade wegen dieses numerus clausus stellt das Gesellschaftsrecht eine Fülle verschiedener Gesellschaftsformen zur Verfügung, die sich mal mehr, mal weniger stark unterscheiden.
III. Personengesellschaften und Körperschaften
Um zumindest eine grobe Einteilung dieser Gesellschaftsformen zu erreichen, werden sie in Personengesellschaften und Körperschaften eingeteilt. Damit wird die Struktur der jeweiligen Gesellschaft beschrieben. Gleichwohl ist damit nichts über die dahinter stehende Rechtsfigur gesagt (dazu bereits oben, aber auch Kübler/Assmann, Gesellschaftsrecht, 6. Auflage, S. 22, insb. die Kritik auf S. 28, das Struktur und Subjekt oft nicht klar genug getrennt werden). Als Körperschaften werden dabei üblicherweise solche Gesellschaften eingeordnet, die in ihrer Organisation und Struktur von ihren Mitgliedern unabhängig sind, als Personengesellschaften hingegen solche, die von der Individualität ihrer Mitglieder abhängen. Deshalb werden Personengesellschaften auch als enger Zusammenschluss der Mitglieder angesehen, der auf dem Vertrauen der Gesellschafter beruht, während Körperschaften grundsätzlich auf eine große Zahl von einander unbekannten Mitgliedern ausgelegt sind (dazu K. Schmidt, Gesellschaftsrecht, 4. Auflage, S. 46). Personengesellschaften werden auch als Gesellschaften im engeren Sinne bezeichnet, wobei als Definition für diesen engen Gesellschaftsbegriff üblicherweise der Wortlaut des § 705 BGB herangezogen wird (Ulmer/Schäfer, in: MüKo, BGB Bd. 5, 6. Auflage, Vor. §§ 705 ff. Rn. 2). Kapitalgesellschaften sind ein Unterfall der Körperschaften. Sie zeichnen sich darüber hinaus dadurch aus, dass die Mitgliedschaft wesentlich durch eine Kapitalbeteiligung geprägt ist und zum Schutze der Gläubiger Kapitalaufbringungs- und Kapitalerhaltungsvorschriften existieren (Kübler/Assmann, Gesellschaftsrecht, 6. Auflage, S. 25 f.). Praktische Relevanz hat die Unterscheidung in der Hinsicht, dass bezüglich lückenhafter Regelungen auf den jeweiligen Grundtypus zurückgegriffen werden kann (besonders deutlich wird das an § 105 Abs. 3 HGB, der für die OHG und über § 161 Abs. 2 HGB auch für die KG subsidiär auf das Recht der GbR verweist, aber auch an der heute allgemein anerkannten analogen Anwendung von § 31 BGB auf alle rechtsfähigen Gesellschaften, dazu Jauernig, in: Jauernig, BGB, 14. Auflage, § 31 Rn. 2).
IV. Unterschiede zwischen Personengesellschaften und Körperschaften
Mit den Begriffen der Körperschaft und der Personengesellschaft wird ein „idealtypischer Gegensatz“ (Kübler/Assmann, Gesellschaftsrecht, 6. Auflage, S. 22) bezeichnet. Dabei wird auf die Grundkonzeption des Gesetzgebers geschaut. Zur Differenzierung der beiden Gruppen werden insbesondere die jeweiligen Grundtypen herangezogen. Als Grundform der Körperschaften wird der eingetragene Verein angesehen, bei den Personengesellschaften ist es die Gesellschaft bürgerlichen Rechts. Ausgehend von diesen beiden Grundformen werden den beiden Gruppen nun verschiedene Eigenschaften zugeschrieben, die ihnen nach dem Gesetz zukommen (Saenger, Gesellschaftsrecht, 2. Auflage, § 2 Rn. 11). Durch die Vertragsfreiheit kann die reelle Struktur im Einzelfall aber stark davon abweichen. Im Folgenden sollen an Hand der beiden Grundtypen die üblichen Wesensmerkmale erläutert werden (ausgeklammert werden dabei die Innengesellschaften, die meist reines Schuldverhältnis sind, wobei hier vieles streitig ist, siehe ausführlich Ulmer/Schäfer, in: MüKo, BGB Bd. 5, 6. Auflage, § 705 Rn. 275 ff.; reine Innengesellschaften sind nur bei Personengesellschaften denkbar). Ein erster wesentlicher Unterschied ist die Struktur bzw. Verfassung der Gesellschaft. Körperschaften sind korporativ verfasst, was bedeutet, dass es auf Basis der Satzung klar voneinander abgrenzbare Organe mit unterschiedlichen Zuständigkeiten gibt, die für die Gesellschaft handeln. So existieren beim eingetragenen Verein zwingend die Organe Vorstand, § 26 BGB, und Mitgliederversammlung, § 32 BGB. Gleichzeitig gilt wegen der überindividuellen Verselbstständigung der Körperschaften das (nicht zwingende) Prinzip der Fremdorganschaft, was bedeutet, dass nicht notwendigerweise die Mitglieder selbst die Geschicke der Gesellschaft im Geschäftsführungs- und Vertretungsorgan leiten (anders aber § 9 Abs. 2 GenG). Bei den Personengesellschaften hingegen besteht eine Notwendigkeit zu einer solchen Organisation nicht (dazu Kübler/Assmann, Gesellschaftsrecht, 6. Auflage, S. 23). Die Gesellschafter sind zugleich kraft ihrer Gesellschafterstellung Geschäftsführer der Gesellschaft, §§ 709, 714 BGB. Das Prinzip der Selbstorganschaft ist hier grundsätzlich zwingend (K. Schmidt, Gesellschaftsrecht, 4. Auflage, S. 410). Es ist aber keine darüber hinausgehende Struktur und Verfassung notwendig. Die Gesellschafter können, ohne eine weitergehende Organstruktur zu schaffen, die Geschicke der Gesellschaft leiten (siehe bei Interesse zu den Grundlagen der Organstruktur in Personengesellschaften Schürnbrand, Organschaft im Recht der privaten Verbände, S. 81 ff.). Eng damit einher geht das Einstimmigkeitsprinzip bei Personengesellschaften, §§ 709, 714 BGB (Gesamtgeschäftsführung/-vertretung, beachte daneben aber auch die erforderliche Einstimmigkeit für Grundlagenentscheidungen), während bei Körperschaften grundsätzlich das Mehrheitsprinzip gilt, § 32 Abs. 1 S. 3 BGB. Ein weiterer Unterschied ist, dass im Recht der Personengesellschaften grundsätzlich die Gesellschafter persönlich für die Schulden der Gesellschaft haften (für die GbR gilt hier § 128 HGB analog nach der Akzessorietätstheorie, Bitter, Gesellschaftsrecht, § 5 Rn. 40 ff.). Der BGH sieht dies als prägend für die Personengesellschaften an (BGH, NJW 1999, 3483 (3484)). Demgegenüber haftet bei Körperschaften grundsätzlich nur die Gesellschaft mit ihrem Vermögen (zum e.V. Schöpflin, in: BeckOKBGB, 28. Edition, Stand 01.08.2013, § 21 Rn. 17, siehe daneben § 13 Abs. 1 GmbHG, § 1 Abs. 1 S. 2 AktG; das sollte man aber nicht so verkürzen, dass die Körperschaft nur mit ihrem Gesellschaftsvermögen haftet, das tun auch die Personengesellschaften; das besondere ist, dass daneben nicht auch die Gesellschafter haften!). Nur ausnahmsweise wird dieses Trennungsprinzip durch eine Durchgriffshaftung durchbrochen (Saenger, Gesellschaftsrecht, 2. Auflage, § 2 Rn. 15). Darüber hinaus unterscheiden sie sich im Grad der mitgliedschaftlichen Bindung. Die Personengesellschaften sind auf einen engen persönlichen festen Verbund von Gesellschaftern ausgerichtet. Gesellschafterwechsel sind grundsätzlich nur mit Zustimmung der übrigen Gesellschafter möglich. Zudem müssen stets mindestens zwei Gesellschafter vorhanden sein. Ansonsten geht das Vermögen in das Privatvermögen des letzten Gesellschafters im Wege der Gesamtrechtsnachfolge über (Saenger, Gesellschaftsrecht, 2. Auflage, § 2 Rn. 12; Bitter, Gesellschaftsrecht, § 5 Rn. 120). Die Körperschaften hingegen sind auf einen großen, wechselnden Mitgliederbestand ausgelegt. Das einzelne Mitglied kann die Körperschaft auch nicht durch Kündigung auflösen (Kübler/Assmann, Gesellschaftsrecht, 6. Auflage, S. 24, siehe auch § 39 BGB; anders bei den Personengesellschaften, siehe nur § 723 BGB). In der Regel können die Mitglieder auch frei über ihre Mitgliedschaft verfügen, die nicht freie Übertragbarkeit muss vielmehr besonders festgeschrieben werden, siehe nur § 15 Abs. 1, Abs. 5 GmbHG (Ausnahme ist hier jedoch gerade der eingetragene Verein als Grundtypus, Schöpflin, in: BeckOKBGB, 28. Edition, Stand. 01.08.2013, § 38 Rn. 32; bei der GmbH hingegen lässt § 16 GmbHG mittlerweile auch den gutgläubigen Erwerb zu, dazu Kindler/Paulus, JuS 2013, 490 (494)). Die Körperschaft kommt sogar gänzlich ohne Mitglieder in dem Sinne aus, dass der Austritt des letzten Mitglieds hier nicht zum sofortigen Erlöschen, sondern nur zur Abwicklung führt (K. Schmidt, Gesellschaftsrecht, 4. Auflage, S. 209; zur Differenzierung Auflösung – Beendigung Schöne, in: BeckOKBGB, 28. Edition, Stand 01.08.2013, § 723 Rn. 3). Ebenso ist es bei der Körperschaft im Gegensatz zur Personengesellschaft grundsätzlich denkbar, dass sie eigene Anteile erwirbt (Ulmer/Schäfer, in: MüKo, BGB Bd. 5, 6. Auflage, § 705 Rn. 309).
Auch der Gründungsaufwand unterscheidet sich. Personengesellschaften bedürfen zu ihrer Entstehung grundsätzlich nur eines Vertragsschlusses, der grundsätzlich auch konkludent erfolgen kann (besonders deutlich wird dies daran, wie leicht man, ohne darüber nachzudenken, eine GbR gründen kann; hierzu auch BGH, NJW 2008, 3277 (3278 f.)). Die Satzung einer Körperschaft bedarf hingegen regelmäßig einer besonderen Form, muss zumindest aber niedergelegt sein (§ 57 BGB für den Verein; § 2 Abs. 1 S. 1 GmbHG; § 23 Abs. 1 S. 1 AktG, zu allem auch Saenger, Gesellschaftsrecht, 2. Auflage, § 2 Rn. 30). Das hängt eng damit zusammen, dass Körperschaften für ihre Existenz als solche eine Registereintragung bedürfen (§ 21 BGB; § 11 Abs. 1 GmbHG; § 41 Abs. 1 S. 1 AktG; demgegenüber ist die Registereintragung unter Umständen bei OHG, KG und PartG für die Rechtsform relevant, nicht für ihre Existenz als Personengesellschaft, denn sie sind vorher GbR; eng damit zusammen hängt auch ihre Eigenschaft als juristische Person, die einer solche Eintragung bedarf). Zweck dieser konstitutiven Eintragung ist der Schutz des Rechtsverkehrs angesichts der Haftungsbeschränkung bei Körperschaften (Hüffer/Koch, Gesellschaftsrecht, 8. Auflage 2011, S. 10; daraus ergeben sich vielfältige Probleme im Rahmen der Vor-Gesellschaften, insb. bezüglich der Haftung, siehe dazu Saenger, Gesellschaftsrecht, 2. Auflage, § 17 Rn. 738 ff.). Nicht mehr zur Unterscheidung taugt hingegen das früher herangezogene Kriterium der Rechtsfähigkeit. Seit der Grundlagenentscheidung des BGH zur Rechtsfähigkeit der Außen-GbR sind zumindest die Außenpersonengesellschaften als rechtsfähig anzusehen (BGH, NJW 2001, 1056; zur früheren Orientierung daran Bitter, Gesellschaftsrecht, § 1 Rn. 15 ff.). Alle diese eben genannten Merkmale zeichnen grundsätzlich Personengesellschaften beziehungsweise Körperschaften aus. Hier seien jedoch kurz Ausnahmen erwähnt: Im Bereich der Publikumspersonengesellschaften hat die Rechtsprechung das Erfordernis der Selbstorganschaft zumindest stark aufgeweicht (Schäfer, in: MüKo, BGB Bd. 5, 6. Auflage, § 709 Rn. 6) und über die GmbH & Co. KG ist eine mittelbare Fremdorganschaft erreichbar. Publikumspersonengesellschaften sind solche, deren Funktion ähnlich wie die der AG in der Sammlung von Kapital von einer Vielzahl von Gesellschaftern besteht (Saenger, Gesellschaftsrecht, 2. Auflage, § 9 Rn. 420 ff. zu diesen beiden atypischen Personengesellschaften). Die KGaA ist Körperschaft, gleichwohl haftet auch hier ein Komplementär unbeschränkt persönlich. Umgekehrt kann durch die GmbH/AG & Co. KG im Ergebnis die persönliche unbeschränkte Haftung einer natürlichen Person auch bei Personengesellschaften gänzlich ausgeschlossen werden.
C. Die Gesellschaftsformen
Abschließend soll in aller Kürze ein Überblick über die für die Ausbildung relevanten Gesellschaftsformen gegeben werden. Als Personengesellschaften sind dies die GbR, OHG, KG, PartG und stille Gesellschaft, als Körperschaften AG, GmbH und Verein.
I. Personengesellschaften
Die GbR als Grundtypus der Personengesellschaften wird durch Vertrag gegründet, wobei das Ziel der Zusammenschließenden die Verfolgung eines gemeinsamen Zwecks sein muss, § 705 BGB. Grundsätzlich taugt hierzu „jeder erlaubte, dauernde oder vorübergehende, wirtschaftliche oder ideelle Zweck“ (Bitter, Gesellschaftsrecht, § 5 Rn. 5). Bereits die Vereinbarung einer Lotto-Tippgemeinschaft kann diese Merkmale erfüllen (BGH, NJW-RR 1988, 1266: Reine Innengesellschaft, deshalb auch nach neuerer Rechtsprechung nicht rechtsfähig). Während die GbR nach früherem Verständnis nicht rechtsfähig war, hat sich der BGH im Jahre 2001 schließlich der sog. Gruppenlehre angeschlossen, nach der die GbR, sofern sie bestimmungsgemäß nach außen hin am Rechtsverkehr teilnimmt, rechtsfähig ist (BGH, NJW 2001, 1056; zur Historie Ulmer/Schäfer, in: MüKo, BGB Bd. 5, 6. Auflage, § 705 Rn. 296 ff.; Saenger, Gesellschaftsrecht, § 3 Rn. 49; Schöne, in: BeckOKBGB, 28. Edition, Stand 01.08.2013, § 705 Rn. 139 ff.). Anforderungen sind darüber hinaus die Bildung von Gesellschaftsvermögen sowie eine eigene Identitätsausstattung (Medicus/Petersen, Bürgerliches Recht, 23. Auflage, Rn. 794; Ulmer/Schäfer, in: MüKo, BGB Bd. 5, 6. Auflage, § 705 Rn. 305 f.; der BGH hat sich zu diesen darüber hinausgehenden Anforderungen bislang nicht geäußert! In der Klausur sollten sie in der Regel aber unproblematisch erfüllt sein, sodass in jedem Fall von einer rechtsfähigen Außen-GbR ausgegangen werden kann). Dies ist in der Klausur heute in der Regel nicht mehr zu diskutieren und darf als ganz h.M. bezeichnet werden. Gründe für diese Anerkennung waren einerseits praktische Gründe, vor allem bei Dauerschuldverhältnissen, aber auch die Insolvenzfähigkeit der GbR, § 11 Abs. 2 Nr. 1 InsO, sowie die anderenfalls auftretenden Schwierigkeiten bei einer Änderung der Rechtsform zur OHG nach § 105 Abs. 1 HGB oder durch Umwandlung, § 191 UmwG (ausführlich BGH, NJW 2001, 1056). Für das Haftungsregime werden im Falle der rechtsfähigen Außen-GbR die Regeln über die OHG in den §§ 128 ff. HGB analog herangezogen (Bitter, Gesellschaftsrecht, § 5 Rn. 40 ff.; auch in diesem Zusammenhang ergangene BGH-Entscheidungen sollten bekannt sein, zunächst BGH, NJW 1999, 3483; später ausdrücklich zur Akzessorietätstheorie BGH, NJW 2001, 1056 (1061)). Als besonderes Problem im Rahmen der GbR stellt sich die Frage, ob (nicht-)eheliche Lebensgemeinschaften eine GbR eingegangen sind und die Abwicklungsvorschriften der GbR hier gegebenenfalls zur Anwendung kommen können (dazu den Überblick bei Medicus/Petersen, Bürgerliches Recht, 23. Auflage, Rn.690a f., siehe auch BGH, NJW 2008, 3277). Examensrelevante Vorschriften: § 705 BGB (Voraussetzungen eines Zusammenschlusses zu einer GbR), §§ 709, 714 BGB (grundsätzlich gemeinschaftliche Geschäftsführung und Vertretung), §§ 128 ff. HGB analog (Haftung), sehr selten wird für die Rechtsfähigkeit § 124 Abs. 1 HGB analog zitiert (mittlerweile aber offenbar auch BGH, NJW 2009, 594 (597)).
Die OHG ist letztlich nur eine besondere Form der GbR, nämlich in der Regel eine solche, bei der der Gesellschaftszweck auf das Betreiben eines Handelsgewerbes ausgerichet ist, § 105 Abs. 1 HGB. Alle Gesellschafter haften unbeschränkt, unmittelbar, primär, persönlich, akzessorisch und gesamtschuldnerisch nach § 128 HGB. In diesem Fall ist die Handelsregistereintragung lediglich deklaratorisch. Anders ist dies, sofern es um eine kleingewerbliche, vermögensverwaltende oder land- und forstwirtschaftliche GbR geht, § 105 Abs. 2 HGB. Hier wird die GbR erst dann zur OHG, wenn sie ins Handelsregister eingetragen ist (konstitutive Eintragung). § 105 Abs. 3 HGB verweist bezüglich eventueller Lücken auf das Recht der GbR. Nach § 124 Abs. 1 HGB ist die OHG rechtsfähig (insgesamt näher zur OHG Bitter, Gesellschaftsrecht, § 6). Examensrelevante Vorschriften: § 105 Abs. 1, 2 HGB (Voraussetzungen für den Zusammenschluss zu einer OHG), §§ 128 ff. HGB (Haftung), §§ 114 Abs. 1, 116 HGB (Grundsatz der Einzelgeschäftsführungsbefugnis und deren Umfang), §§ 125 Abs. 1, 126 HGB (Grundsatz der unbeschränkbaren Einzelvertretungsmacht), § 123 HGB (Entstehung der OHG im Außenverhältnis), §§ 106, 107 HGB (eintragungspflichtige Tatsachen, wichtig für § 15 HGB), § 124 Abs. 1 HGB (Rechtsfähigkeit).
Die KG wiederum ist eine besondere OHG, die sich dadurch auszeichnet, dass es unbeschränkt persönlich haftende Gesellschafter (Komplementäre) gibt, während bei einem anderen Teil der Gesellschafter, den Kommanditisten, die Haftung der Summe nach beschränkt ist, § 161 Abs. 1 HGB. Ist eine dieser Summe entsprechende Einlage ins Gesellschaftsvermögen geleistet worden, ist die Haftung nach § 171 Abs. 1 Hs. 2 HGB gänzlich ausgeschlossen (das Gesetz differenziert hier nicht genug zwischen der Haftsumme und der Einlage, siehe dazu und zum Haftungssystem Bitter, Gesellschaftsrecht, § 7 Rn. 6 ff.). Das Recht der KG kommt mit wenigen Regeln aus, weil bis auf besondere Regeln zu den Kommanditisten das Recht der OHG Anwendung findet, § 161 Abs. 2 HGB. Examensrelevante Vorschriften: § 161 Abs. 1 HGB (Voraussetzungen für den Zusammenschluss zu einer KG), § 161 Abs. 2 HGB (Verweis auf Recht der OHG bis auf die Sonderregelungen zu den Kommanditisten), §§ 164, 170 HGB (Grundsatz der ausschließlichen Geschäftsführung (abdingbar) und Vertretung (zwingend) durch Komplementäre), §§ 171 ff. HGB (Haftung der Kommanditisten), §§ 162, 175 (eintragungspflichtige Tatsachen, wichtig für § 15 HGB).
Kurz erwähnt sei noch die stille Gesellschaft, die reine Innengesellschaft und reines Schuldverhältnis ist, §§ 230 ff. HGB. Wesensmerkmal ist, dass sich jemand am Handelsgeschäft eines anderen durch Leistung einer Einlage beteiligt und dafür am Gewinn partizipiert (dazu Saenger, Gesellschaftsrecht, 2. Auflage, § 6 Rn. 378 ff.).
Die Partnerschaftsgesellschaft wurde eingeführt, weil Freiberufler kein Gewerbe betreiben und deshalb keine OHG oder KG gründen können. Zur damaligen Zeit war die Rechtsfähigkeit der BGB-Gesellschaft noch nicht allgemein anerkannt, weshalb es auch den Freiberuflern ermöglicht werden sollte, eine rechtsfähige Gesellschaft zu betreiben (Vorteile hier sind diejenigen, die den BGH letztlich auch zur Anerkennung der Rechtsfähigkeit der GbR bewegten, insbesondere die Probleme von Mitgliederwechseln bei Dauerschuldverhältnissen, zur PartG Saenger, Gesellschaftsrecht, § 7 Rn. 400 ff.; Anmerkung: der Katalog der freien Berufe in § 1 Abs. 2 S. 2 PartGG hat nur Indizwirkung für das HGB! K. Schmidt, in: MüKo, HGB Bd. 1, 3. Auflage, § 1 Rn. 36). Kürzlich wurde eine Partnerschaftsgesellschaft mit beschränkter Berufshaftung eingeführt, die aber ebenfalls Personengesellschaft ist (Römermann/Praß, NZG 2012, 601 ff.). Die Partenreederei wurde durch die letzte HGB-Reform für die Zukunft abgeschafft (siehe die Meldung bei beck-online http://beck-online.beck.de/?typ=reference&bcid=Y-300-Z-becklink-N-1024722).
II. Körperschaften
Unter den Körperschaften ist vor allem die GmbH in Praxis und Ausbildung relevant. Sie kann zu jedem gesetzlich zulässigen Zweck gegründet werden, § 1 GmbHG. Ihre Haftung ist nach § 13 Abs. 2 GmbHG auf das Gesellschaftsvermögen beschränkt. Die Geschicke der Gesellschaft leiten die Geschäftsführer, die Gesellschafter haben jedoch grundsätzlich eine Allzuständigkeit und können alle Geschäfte an sich ziehen, § 35 Abs. 1 S. 1, § 37 Abs. 1 GmbHG. Im Gegensatz zum Recht der AG gilt hier nicht das Recht der Satzungsstrenge, was bedeutet, dass das Recht des GmbHG in weitem Umfang dispositiv ist. Die GmbH erfüllt volkswirtschaftlich vor allem die Funktion, kleineren Unternehmen die Möglichkeit zu geben, bei riskanten Geschäften das Privatvermögen herauszuhalten und die Haftung auf die Gesellschaft und ihr Vermögen zu beschränken (Bitter, Gesellschaftsrecht, § 4 Rn. 3 f., 107). Die Unternehmergesellschaft ist nur eine besondere Form der GmbH, die ohne das sonst notwendige Mindestkapital in Höhe von 25.000 Euro auskommt, § 5 Abs. 1, § 5a Abs. 1 GmbHG. Sie ist die Antwort des Gesetzgebers auf die Rechtsprechung des EuGH in Sachen Internationales Gesellschaftsrecht (Saenger, Gesellschaftsrecht, 2. Auflage, § 17 Rn. 820 ff.; siehe zum Internationalen Gesellschaftsrecht auch den Beitrag dazu auf dieser Seite). Examensrelevante Vorschriften: §§ 2, 3 GmbHG (Form und Inhalt des Gesellschaftsvertrages), § 5 Abs. 1 GmbHG (Stammkapital), § 5a GmbHG (Vorschrift zur UG), § 11 Abs. 1 GmbHG (Notwendigkeit der Registereintragung, an Probleme im Zusammenhang mit der Vor-GmbH denken), § 13 GmbHG (Abs. 1 Rechtsfähigkeit; Abs. 2 Haftungsbeschränkung; Abs. 3 Handelsgesellschaft, wichtig für § 6 Abs. 1 HGB), § 35 Abs. 1 S. 1, Abs. 2 S. 1, § 37 Abs. 2 GmbHG (Grundsatz der unbeschränkbaren Gesamtvertretungsmacht der Geschäftsführer, nicht ausdrücklich erwähnt, aber ganz h.M. Grundsatz der Gesamtgeschäftsführung)
Die AG ist ebenso wie die GmbH Körperschaft und Kapitalgesellschaft. Ihre Funktion liegt jedoch in der Sammlung von Kapital von unbeteiligten Dritten. Um diese Funktion erfüllen zu können, gilt der Grundsatz der Satzungsstrenge, was bedeutet, dass das AktG grundsätzlich zwingend ist. Andernfalls müsste jeder Aktionäre zunächst ausführlich die Satzung lesen, bevor er investieren könnte (Bitter, Gesellschaftsrecht, § 3 Rn. 3). Gleichzeitig gilt bei der AG das „Prinzip der Gewaltenteilung“: Die Hauptversammlung hat grundsätzlich nur eng beschriebene Zuständigkeiten (in für die Gesellschaft zentralen Angelegenheiten, siehe dazu § 119 AktG), während der Vorstand weisungsunabhängig die Gesellschaft leitet, § 76 Abs. 1 AktG. Der Aufsichtsrat kontrolliert den Vorstand bei seiner Tätigkeit, § 111 Abs. 1 AktG. Den Gläubigern der AG haftet nach § 1 Abs. 1 S. 2 AktG ebenfalls nur die Gesellschaft mit ihrem Vermögen. Das Mindestgrundkapital beträgt 50.000 Euro, § 7 AktG. Examensrelevante Vorschriften: § 1 Abs. 1 AktG (S. 1 Rechtsfähigkeit; S. 2 Haftungsbeschränkung); § 3 Abs. 1 AktG (Handelsgesellschaft, wichtig für § 6 HGB); § 7 AktG (Grundkapital); § 23 AktG (Form und Inhalt der Satzung, Grundsatz der Satzungsstrenge); § 41 Abs. 1 S. 1 AktG (Notwendigkeit der Registereintragung); §§ 77 Abs. 1 S. 1, 78 Abs. 1 S. 1, Abs. 2 S. 1, 82 AktG (Grundsatz der Gesamtgeschäftsführungsbefugnis sowie der unbeschränkbaren Gesamtvertretungsmacht).
Der eingetragene Verein ist grundsätzlich nur in der Form des Idealvereins i.S.d. § 21 BGB relevant. Der wirtschaftliche eingetragene Verein bedarf der Konzession, weil Unternehmen sich grundsätzlich der übrigen Rechtsformen bedienen sollen und diese nicht umgehen sollen (Saenger, Gesellschaftsrecht, 2. Auflage, § 10 Rn. 443). Der nichtwirtschaftliche eingetragene Verein ist Körperschaft, aber nicht Kapitalgesellschaft. Wie oben bereits erwähnt, führt der Vorstand die Geschäfte des Vereins, die Haftung ist auf das Vereinsvermögen beschränkt. Ebenso wie bei der GmbH ist die Mitgliederversammlung grundsätzlich allzuständig und bestimmt ihre Zuständigkeiten selbst (Schöpflin, in: BeckOKBGB, 28. Edition, Stand 01.08.2013, § 32 Rn. 4).
Der nichtrechtsfähige Idealverein ist ebenfalls Körperschaft (beim nichtrechtsfähigen Wirtschaftsverein ist streitig, ob er GbR/OHG ist oder nur wie eine behandelt wird, siehe dazu Schöpflin, in: BeckOKBGB, 28. Edition, Stand 01.08.2013, § 54 Rn. 8). Nach Anerkennung der Rechtsfähigkeit der GbR wird wegen des Verweises aus § 54 S. 1 BGB ebenfalls für rechtsfähig gehalten, sodass von einem nichteingetragenen Verein gesprochen werden sollte (K. Schmidt, Gesellschaftsrecht, 4. Auflage, S. 736 f.). Allgemein sollen auf den nichteingetragenen Idealverein die Vorschriften über den eingetragenen Verein Anwendung finden, weil die Vorschrift des § 54 S. 1 BGB nur aus dem historischen Kontext heraus zu erklären ist, unliebsame Verbände unter staatlicher Kontrolle zu halten. Ein solcher Zweck ist angesichts des Grundgesetzes und der Vereinigungsfreiheit aber nicht haltbar (Saenger, Gesellschaftsrecht, 2. Auflage, § 11 Rn. 473). Bezüglich der Societas Europeae (SE, Europäische Aktiengesellschaft) sei hier angemerkt: Bei ihr handelt es sich um eine für den grenzüberschreitenden Geschäftsverkehr gedachte Kapitalgesellschaft. Zwar basiert sie auf einer europäischen Verordnung (Verordnung EG 2157/2001), die aber nur fragmentarische Regelungen enthält. Insgesamt ergibt sich hier eine Regelungspyramide, an deren Spitze die Verordnung steht. Darauf folgen das SEAG und das SEBG als nationale Umsetzungsgesetze einer zur SE-VO gehörigen Richtlinie (RL EG 86/2001), darauf folgend das nationale Aktienrecht auf Grund eines Verweises in der Verordnung und schließlich die Satzung. Deshalb ist, obwohl es sich letztlich um eine europäische Gesellschaftsform handelt, keine EU-weit einheitliche Rechtsform geschaffen worden (zu weiteren Einzelheiten siehe Schäfer, Gesellschaftsrecht, 2. Auflage, § 52 ff. sowie den Beitrag zum Internationalen Gesellschaftsrecht a.E.).

17.10.2013/5 Kommentare/von Gastautor
https://www.juraexamen.info/wp-content/uploads/2022/05/je_logo.svg 0 0 Gastautor https://www.juraexamen.info/wp-content/uploads/2022/05/je_logo.svg Gastautor2013-10-17 08:00:202013-10-17 08:00:20Grundlagen des Gesellschaftsrechts
Redaktion

Die mündliche Prüfung- Wir fragen, Prüfer antworten

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Die mündliche Prüfung ist für die Examensnote genauso wichtig wie das schriftliche Examen. Für viele Kanditaten stellt sie aber häufig Neuland dar, findet sie in der universitäten Ausbildung ja kaum statt. Umso größer sind die Fragen, die so manch einen vor der Prüfung plagen. Um euch einen Einblick zu geben, was für die mündliche Prüfung wichtig sein kann und welche Vorstellungen die Prüfer/innen eigentlich haben, möchten wir verschiedene Prüfer für euch interviewen.
 
Den Anfang macht heute Herr Prof. Dr. Stefan Muckel, der schon sehr häufig geprüft hat.
Prof. Dr. Stefan Muckel ist Inhaber des Lehrstuhls für Öffentliches Recht und Kirchenrecht an der Rechtswissenschaftlichen Fakultät der Universität zu Köln. Daneben ist er Mitherausgeber der juristischen Ausbildungszeitschrift JA und Autor u.a des Lehrbuches Öffentliches Baurecht und der Fallsammlung Klausurenkurs zum Besonderen Verwaltungsrecht.
 
1. Wie bereiten Sie sich auf die Kandidaten vor? Nehmen Sie Einsicht in die Prüfungsakte?
Ich bereite mich auf die Kandidaten vor, indem ich mir ihre Unterlagen anschaue, die das Prüfungsamt mir mit der Post vor jeder Prüfung zuschickt. Darin befinden sich immerhin einige Informationen zum bis dahin laufenden Examen. Außerdem führt der Vorsitzende, nachdem er die Vorstellungsgespräche durchgeführt hat, im Vorgespräch der Prüfungskommission mit einigen Informationen zu jedem Kandidaten in die Prüfung ein. In die eigentliche Prüfungsakte nehme ich nur Einsicht, wenn Anlass dazu besteht, insbesondere wenn ich mir eine schriftliche Prüfungsleistung anschauen möchte. Das kommt aber selten vor.
2. Welchen Einfluss hat das Vorgespräch auf die spätere mündliche Prüfung? Welchem Zweck dient es aus Ihrer Sicht?
Das Vorgespräch dient aus meiner Sicht dazu, die bis dahin ganz anonyme Prüfung wieder zu personalisieren. So werden gewissermaßen aus Kennziffern Menschen mit konkreten Schicksalen. Ich habe niemals erlebt, dass aus den dabei meist nur kurz rekapitulierten Vornoten bereits Prognosen für das spätere Gesamtprüfungsergebnis erstellt worden sind. Aber sehr häufig erhält man als Prüfer vom Vorsitzenden, der das Vorgespräch geführt hat, wertvolle Informationen über einzelne Kandidaten, etwa Erkrankungen, Schicksalsschläge, aber auch persönliche Vorlieben. All das dient in meinem Empfinden dazu, der Prüfung einen persönlichen Anstrich zu geben.
3. Welche Rolle spielen die erzielten Vornoten aus dem schriftlichen Examensteil?
Wie ich schon zu Frage 2 angedeutet habe, habe ich das unter Studierenden sehr verbreitete Vorurteil, die Vornoten hätten erheblichen Einfluss auf das Ergebnis der mündlichen Prüfung, niemals – in all den Jahren – bestätigt gesehen. Viele Prüfer schauen überhaupt erst auf die Vornoten, wenn sie sich – im Guten oder im Schlechten – über eine Kandidatin bzw. einen Kandidaten wundern. So kann es sein, dass jemand im Mündlichen besonders brilliert. Dann schaut man noch einmal auf die Vornoten und fragt sich, ob die betreffende Person auch im schriftlichen Teil so gut war. Aber die konkrete Bewertung der mündlichen Prüfungsleistung wird davon nach meinem Eindruck nicht berührt.
4. Viele Prüflinge sind unsicher, was Sie anziehen sollen. Wie sollte man sich am besten kleiden?
Es gibt schon einen gewissen Dresscode für das Examen. Es handelt sich um einen bedeutsamen Tag im beruflichen Leben eines jeden Kandidaten. Die Prüfer wissen das und kleiden sich entsprechend, insbesondere Herren mit einer Krawatte (ich habe erlebt, dass männliche Prüfer sich dafür bei den Kandidaten entschuldigten, dass sie keine Krawatte anhatten, weil sie als Ersatzprüfer kurzfristig herangezogen worden sind). Ich empfehle männlichen Prüflingen einen dunklen Anzug (selbstverständlich mit Krawatte), weiblichen Kandidaten ein dunkles Kostüm.
5. Wie bereiten Sie sich selbst auf eine mündliche Prüfung vor?
Ich bereite mich in unterschiedlicher Weise auf die Prüfung vor. Häufig begegnen mir bei der Lektüre der Zeitschriften interessante Rechtsfragen, insbesondere in Gerichtsentscheidungen. Soweit es um Fragen zu Grundrechten geht, halte ich nach solchen Entscheidungen ohnehin immer Ausschau, weil ich sie für die Ausbildungszeitschrift JA regelmäßig rezensiere. Dann kann ich mitunter Synergieeffekte erzielen, indem ich einen Fall prüfe, den ich rezensiere, bevor er in JA erschienen ist. Immer handelt es sich aber um bereits veröffentliche Entscheidungen. Darüber hinaus gibt es eine ganze Reihe von Standardproblemen, zu denen man einen kleinen Fall ergänzend prüfen kann, etwa um die volle Prüfungszeit auszuschöpfen.
6. Was empfehlen Sie einem Kandidaten/in, um sich gut vorzubereiten?
Ich empfehle den Kandidaten zur Vorbereitung auf die mündliche Prüfung, sich im sog. Rechtsgespräch zu üben. Das kann man mit Kommilitonen tun oder im Examenskurs an der Universität oder bei anderer Gelegenheit. Wichtig ist aber, dass man lernt, sich zu teilweise schwierigen Rechtsproblemen mündlich zu artikulieren. So etwas klappt in aller Regel nicht auf Anhieb; daher bedarf es dieser Vorbereitung. Außerdem sollte man unbedingt eine ganze Reihe von Vorträgen übungshalber bearbeiten. Wichtig ist hierbei auch, dass man sich selbst oder einem Kommilitonen den Vortrag hält, um zu prüfen, ob man mit der vorgegebenen Zeit hinkommt. Im Übrigen empfehle ich, wie sich bereits aus meiner Antwort zu Frage 5 ergibt, sich um aktuelle Rechtsprobleme zu kümmern. Außerdem sollten die Kandidaten mit dem aktuellen politischen Geschehen vertraut sein, weil mitunter Rechtsfälle daran anknüpfen.
7. Wie sollte ein Prüfling reagieren, wenn er eine Frage nicht richtig verstanden hat?
Wenn ein Prüfling eine Frage nicht richtig verstanden hat, sollte er dies sagen und darum bitten, dass der Prüfer die Frage wiederholt. Das wird anstandslos geschehen.
8. Sollte man mit dem Prüfer diskutieren, wenn er der eigenen Rechtsansicht widerspricht?
Wer mit einem Prüfer auf hohem rechtlichem Niveau in eine Diskussion einsteigen kann, darf sich glücklich schätzen. Hier können nun Argumente ausgetauscht werden, ohne dass es darum geht, in der Sache unbedingt Recht zu behalten. Nicht das Ergebnis entscheidet, sondern die Argumentation. Allerdings sollte man sich auch eines gewissen Fingerspitzengefühls befleißigen. Mitunter wird der Prüfer einer Antwort so widersprechen, dass es sich nicht empfiehlt, dagegen zu halten.
9. Was sind Ihrer Meinung nach die Top3 Fehler, die ein Kandidat begehen kann?
a)  Der Prüfling hat nicht richtig hingehört, als der Prüfer die Aufgabe formuliert hat. So prüfen viele im Öffentlichen Recht die Zulässigkeit einer Klage, obwohl sehr häufig nicht danach gefragt worden ist.
b)  Viele Kandidaten steuern nicht selten ganz schnell auf das Problem zu, das sie für das zentrale des Falles halten, den der Prüfer vorgetragen hat. Aber auch in der mündlichen Prüfung muss unbedingt methodisch korrekt Schritt für Schritt vorgegangen werden. Dazu bedarf es insbesondere im Rahmen der materiellen öffentlich-rechtlichen Prüfung zunächst einer gesetzlichen Ermächtigungsgrundlage. Sehr häufig muss ich die Kandidaten „zurückpfeifen“, um sie für dieses Problem und die richtige methodische Vorgehensweise zu sensibilisieren.
c)  Wenn ein Prüfer nachfragt, weil ihn eine Antwort nicht überzeugt hat, sollten die Kandidaten nicht einfach wiederholen, was sie zuvor gesagt haben. So geistig flexibel sollte jeder Prüfling sein, dass er zumindest etwas anderes in kurzer Zeit improvisiert, wenn er denn schon nicht zu dem konkreten Problem exakt informiert ist.
10. Haben Sie eine lustige oder kuriose Anekdote aus Ihrem bisherigen „Prüferleben“, die Sie uns preisgeben möchten?
Anekdoten im eigentlichen Sinne zu meinem „Prüferleben“ kann ich eigentlich nicht bieten. Manche Kandidaten haben sich natürlich durch kuriose, teilweise blamable Äußerungen zu außerjuristischen Bezügen (z.B.: ich lese keine Zeitung o.ä.) lächerlich gemacht. Das möchte ich hier aber nicht im Einzelnen weitergeben. Ansonsten erlebt man als Prüfer leider auch „negative“ Anekdoten, insbesondere wenn Kandidaten scheitern. Das aber kommt seit der letzten Änderung des JAG glücklicherweise im Mündlichen nur noch selten vor und kann in unserem Fach eigentlich jeder vermeiden, wenn er sich intensiv und mit Methode auf das Examen vorbereitet.
Wir bedanken uns herzlich für die Antworten.

01.07.2013/5 Kommentare/von Redaktion
https://www.juraexamen.info/wp-content/uploads/2022/05/je_logo.svg 0 0 Redaktion https://www.juraexamen.info/wp-content/uploads/2022/05/je_logo.svg Redaktion2013-07-01 08:00:002013-07-01 08:00:00Die mündliche Prüfung- Wir fragen, Prüfer antworten
Tom Stiebert

Juraexamen in Deutschland – Wo ist es einfach/ wo ist es schwer: Ein Ländervergleich

Examensvorbereitung, Schon gelesen?, Startseite, Verschiedenes

Anlässlich der kontrovers geführten Diskussion zum Thema „Abschichten“ anhand eines Beitrags auf unserer Seite sollen einmal die unterschiedlichen Prüfungsvoraussetzungen zur staatlichen Pflichtfachprüfung im Ersten Examen (also zum nicht-universitären Teil des Staatsexamens, ohne den schwer vergleichbaren Schwerpunktbereich) aufgezeigt werden. Eine Wertung wird dabei bewusst nicht vorgenommen. Vielmehr soll sich jeder seine eigene Meinung zu diesem Thema bilden (und diese auch gerne hier kundtun). Zudem kann diese Übersicht auch Anlass dafür bieten die Studienortwahl (zumindest für das Examen) nochmals zu überdenken.
Zur besseren Vergleichbarkeit werden auch die Durchfallquoten und Prädikatsquoten (Stand 2011) dargestellt. Weitere interessante Statistiken findet ihr hier.
 
I. Baden-Württemberg (20% Prädikat/ 35% durchgefallen)

Zwei Prüfungstermine pro Jahr; 6 Klausuren (3 Z, 2 Ö, 1 S);
Schriftl. Prüfung 70%; Mdl. Prüfung 30 %, Gespräche in allen drei Rechtsgebieten
Freischuss (bis 8. Semester); Notenverbesserungsversuch auch ohne Freischuss (wenn Stex bis 10. Sem.; binnen zwei Semestern); sonst nur Wiederholung, wenn durchgefallen
Unterstreichungen, Verweise im Gesetz zulässig
 
II. Bayern (12,8%/ 27,5%)

Zwei Prüfungstermine pro Jahr; 6 Klausuren (3 Z, 2 Ö, 1 S);
Schriftl. Prüfung 75%, Mdl. Prüfung 25%; Gespräche in allen drei Rechtsgebieten
Freischuss (bis 8. Semester); Notenverbesserungsversuch auch ohne Freischuss (binnen zwei Semestern); sonst nur Wiederholung, wenn durchgefallen
Unterstreichungen, Verweise im Gesetz zulässig
 
III. Berlin (19,2%/24%)

Zwei Prüfungstermine pro Jahr; 7 Klausuren (3 Z, 2 Ö, 2 S)
Schriftl. Prüfung 63%, Mdl. Prüfung 37% (13% 3 x 8%); Vortrag (10 Minuten ggf. Kurzgespräch; freie Wahl Rechtsgebiet) Gespräche in allen drei Rechtsgebieten
Freischuss (bis 8. Semester); sonst nur Wiederholung, wenn durchgefallen
Keine Unterstreichungen, Verweise im Gesetz zulässig
 
IV. Brandenburg (17%/28%)

siehe Berlin (Gemeinsames Prüfungsamt seit 2005)
 
V. Bremen (10,3%/32%)

Zwei Prüfungstermine pro Jahr, 6 Klausuren (3 Z [davon 1 Nebengebiet], 2 Ö, 1 S)
Schriftl. Prüfung 70%, Mdl. Prüfung 30 %; Gespräche in allen drei Rechtsgebieten
Freischuss bis 8. Semester; Notenverbesserungsversuch auch ohne Freischuss; sonst nur Wiederholung, wenn durchgefallen
Unterstreichungen, Verweise im Gesetz zulässig
 
VI. Hamburg (24,5%/16,7%)

Sechs Klausurtermine pro Jahr; 6 Klasuren (3 Z, 2 Ö, 1 S)
75% Schriftl. Prüfung, 25% Mdl. Prüfung (Vortrag Gespräche in allen Rechtsgebieten)
Freischuss bis 9. Semester (Neuregelung von 2012); Notenverbesserung ohne Freischuss nicht möglich, Wiederholung nur, wenn durchgefallen
Unterstreichungen, Verweise im Gesetz zulässig
 
VII. Hessen (16,5%/27,5%)

Drei Klausurtermine pro Jahr; 6 Klausuren (2 Z, 1 Nebengebiet, 2 Ö, 1 S)
2/3 Schriftl. Prüfung, 1/3 Mdl. Prüfung (Gespräche in allen drei Rechtsgebieten)
Freischuss bis 8. Semester; Notenverbesserung auch ohne Freischuss, wenn Examensmeldung bis. 10. Semester (Kosten 400 Euro); sonst nur Wiederholung, wenn durchgefallen
Unterstreichungen, Markierungen unzulässig
 
VIII. Mecklenburg-Vorpommern (8%/40,5%)

2 Klausurtermine pro Jahr; 6 Klausuren (3 Z, 2 Ö, 1 S)
70 % Schriftl. Prüfung, 30 % Mdl. Prüfung (Gespräche in allen drei Rechtsgebieten)
Freischuss bis 8. Semester; Notenverbesserung sonst nicht möglich; Wiederholung nur, wenn durchgefallen
Unterstreichungen, Markierungen unzulässig
 
IX. Niedersachsen (17,6%/23,3%)

4 Klausurtermine pro Jahr; 6 Klausuren (3 Z, 2 Ö, 1 S)
64 % Schriftl. Prüfung; 36 % Mdl. Prüfung (Gespräche in allen drei Rechtsgebieten)
Freischuss bis 8. Semester; einmalige Notenverbesserung auch ohne Freischuss möglich; sonst Wiederholung nur, wenn durchgefallen
Abschichten bis zum 8. Semester möglich (Aufsplitten in zwei Abschnitte, bis max. 8. Semester)
Verweisungen (5 pro Seite) und Markierungen zulässig
 
X. Nordrhein-Westfalen (14,8%/32%)

10 Klausurtermine pro Jahr; 6 Klausuren (3 Z, 2 Ö, 1 S)
60 % Schriftl. Prüfung; 40 % Mdl. Prüfung (Vortrag und Gespräche in allen drei Rechtsgebieten)
Freischuss bis 8. Semester; Notenverbesserung nicht möglich; Wiederholung nur, wenn durchgefallen
Besonderheit: Abschichten: Meldung vor Abschluss 7. Semester; Aufsplitten der Rechtsgebieten bis zum Abschluss 8. Semester
Verweisungen, Markierungen, Unterstreichungen unzulässig
 
XI. Rheinland-Pfalz (15%/28,5%)

2 Klausurtermine pro Jahr; 6 Klausuren (3 Z, 2 Ö, 1 S)
2/3 Schriftl. Prüfung; 1/3 Mdl. Prüfung (Gespräche in allen drei Rechtsgebieten)
Freischuss bis 8. Semester; Notenverbesserung möglich; Wiederholung, wenn durchgefallen
Unterstreichungen zulässig; Verweisungen unzulässig
 
XII. Saarland (18,1%/29,1%)

4 Klausurtermine pro Jahr; 6 Klausuren (3 Z, 2 Ö, 1 S)
ca. 70 % schriftl. Prüfung (900/1275); ca. 30 % Mdl. Prüfung (375/1275) (Gespräche in allen drei Rechtsgebieten)
Freischuss bis 8. Semester; Notenverbesserung möglich; Wiederholung, wenn durchgefallen
Unterstreichungen zulässig; Verweisungen unzulässig
 
XIII. Sachsen (12,2//39,2%)

2 Klausurtermine pro Jahr; 5 Klausuren (2 Z, 2 Ö, 1 S)
2/3 schriftl. Prüfung, 1/3 Mdl. Prüfung (Vortrag Schlüsselqualifikationen und Gespräche in allen drei Rechtsgebieten)
Freischuss bis 8. Semester; Notenverbesserung möglich; Wiederholung, wenn durchgefallen
Unterstreichungen und Verweisungen unzulässig
 
XIV. Sachsen-Anhalt (19,5%/16,7%)

2 Klausurtermine pro Jahr; 6 Klausuren (2 Z, 2 Ö, 2 S)
60% schriftl. Prüfung, 40% Mdl. Prüfung (Vortrag und Gespräche in allen drei Rechtsgebieten)
Freischuss bis 8. Semester; Notenverbesserung möglich (Kosten 300 Euro); Wiederholung, wenn durchgefallen
Verweisungen und Unterstreichungen zulässig
 
XV. Schleswig-Holstein (10,2%/32,5%)

2 Klausurtermine pro Jahr; 6 Klausuren (2 Z, 1 Nebengebiete, 2 Ö, 1 S)
2/3 schriftl. Prüfung, 1/3 Mdl. Prüfung (Gespräche in allen drei Rechtsgebieten)
Freischuss bis 7. Semester bzw. bis 8. Semester (wenn Schwerpunkt beendet); Notenverbesserung nur bei Freischuss; Wiederholung, wenn durchgefallen
 
XVI. Thüringen (12,4%/28,5%)

2 Klausurtermine pro Jahr; 6 Klausuren (2 Z, 2 Ö, 1 S, 1 S oder Z nach Wahl des JPA)
65% schriftl. Prüfung, 35% Mdl. Prüfung (Gespräche in allen drei Rechtsgebieten und Grundlagenfach oder Prozessrecht)
Feischuss bis 8. Semester;
Unterstreichungen und Verweisungen nicht zulässig; Notenverbesserung nur bei Freischuss; Wiederholung sonst nur, wenn durchgefallen
 
Man sieht also, dass punktuell doch starke Unterschiede zwischen den einzelnen Bundesländern bestehen. Es bleibt damit jedem selbst überlassen, diese als so gravierend einzuschätzen, dass sich ein Wechsel der Universität (bzw. des Bundeslandes) lohnt.
Alle Angaben ohne Gewähr

21.05.2013/25 Kommentare/von Tom Stiebert
https://www.juraexamen.info/wp-content/uploads/2022/05/je_logo.svg 0 0 Tom Stiebert https://www.juraexamen.info/wp-content/uploads/2022/05/je_logo.svg Tom Stiebert2013-05-21 15:00:022013-05-21 15:00:02Juraexamen in Deutschland – Wo ist es einfach/ wo ist es schwer: Ein Ländervergleich
Gastautor

Examenswissen auf Wikipedia – Beitrag “Verbundene Verträge“

Rechtsgebiete, Schon gelesen?, Schuldrecht, Startseite, Verschiedenes, Zivilrecht

Liebe Leser von juraexamen.info, vor einiger Zeit haben wir Euch auf das Seminar „Examenswissen auf Wikipedia“ der Universität zu Köln (Kompetenzzentrum für juristisches Lehren und Lernen; Prof. Dauner-Lieb) hingewiesen, das von Frau Professor Dauner-Lieb und Herrn Tobias Lutzi betreut wurde.
Wir freuen uns heute und in den nächsten Tagen einige sehr gelungene Beiträge hiervon auf unserer Seite veröffentlichen zu können. Sämtliche hier veröffentlichten Beiträge werden in der nächsten Zeit in ähnlicher Form auch auf wikipedia erscheinen. Eine Übersicht über alle Beiträge werden wir, wenn diese vorliegt, hier auch noch veröffentlichen.
Der heutige Beitrag ist von Fin Habermann und befasst sich mit dem Stichwort „Verbundene Verträge“.
 

Verbundene Verträge

Unter verbundenen Verträgen versteht man die Verbindung eines Vertrages zwischen einem Verbraucher und einem Unternehmer über die Lieferung einer Ware oder die Erbringung einer anderen Leistung mit einem Darlehensvertrag. Dabei sind die beiden Verträge gemäß § 358 Abs. 3 Satz 1 BGB dann verbunden, wenn das Darlehen ganz oder teilweise der Finanzierung des anderen Vertrags dient und beide Verträge eine wirtschaftliche Einheit bilden.
Verbundene Verträge sind häufig Kauf- oder Werkverträge, aber z.B. auch ein Reisevertrag kann mit einem Darlehensvertrag verbunden werden.
Das Vorliegen verbundener Verträge zieht gemäß §§ 358, 359 BGB besondere Rechtsfolgen wie einen Einwendungs- und Widerrufsdurchgriff nach sich. Außerdem muss der Verbraucher gemäß § 358 Abs. 5 BGB in einer erweiterten Belehrung über die Rechtsfolgen des § 358 Abs. 1 und 2 BGB unterrichtet werden.
Der Zweck der rechtlichen Verknüpfung der beiden Verträge ist der Schutz des Verbrauchers vor Risiken, die ihm durch die Trennung eines wirtschaftlich einheitlichen Vertrages in ein Bargeschäft und einen damit verbundenen Darlehensvertrag drohen.[1]
Typischerweise finden sich verbundene Verträge in Drei-Personen-Verhältnissen. Die Regelungen der §§ 358, 359 BGB finden aber auch Anwendung auf bloße Zwei-Personen-Verhältnisse, also auf Fälle, in denen der Unternehmer und der Darlehensgeber personenidentisch sind. Im Übrigen ist die Anwendbarkeit in § 359a BGB normiert.
 
1. Rechtliche Grundlagen
Die §§ 358, 359 BGB sind mit dem Schuldrechtsmodernisierungsgesetz vom 1. Januar 2002 eingeführt worden und lösen die Regelungen in § 9 Verbraucherkreditgesetz (VerbrKrG), § 4Fernabsatzgesetz (FernAbsG) und § 6 Teilzeit-Wohnrechtegesetz ab. Der Begriff der „verbundenen Geschäfte“ in § 9 VerbrKrG sowie der Begriff der „finanzierten Verträge“ in § 4 FernAbsG wurden somit der einheitlichen Terminologie der „verbundenen Verträge“ zugeführt.
§ 358 BGB dient der Umsetzung der Richtlinie 97/7/EG (Fernabsatzrichtlinie), der FinDL-RL 6 VII und der TeilzeitnutzungsR-RL 7. § 359 dient der Umsetzung des Art. 11 II 1 VerbrKrRL 1986.
Durch Art. 1 des Gesetzes vom 24. Juli 2010[2] sind § 358 Abs. 2 Satz 2 und 3 BGB aufgehoben worden. In diesen Vorschriften war vorher ein Ausschluss des Widerrufsrechts geregelt.
Durch Art. 1 des Gesetzes vom 27. Juli 2011[3] sind § 358 Abs. 1 bis 5 dahin geändert worden, dass statt des Verbraucherdarlehensvertrages i.S.d. § 491 BGB jeder mit einem Verbraucher abgeschlossene Darlehensvertrag erfasst wird.
 
2. Wirtschaftliche Einheit
Neben der Voraussetzung, dass das Darlehen ganz oder teilweise der Finanzierung des anderen Vertrages dient, müssten beide Verträge eine wirtschaftliche Einheit bilden.
Gemäß § 358 Abs. 3 Satz 2 BGB ist eine wirtschaftliche Einheit insbesondere dann anzunehmen, wenn der Unternehmer selbst die Gegenleistung des Verbrauchers finanziert, oder im Falle der Finanzierung durch einen Dritten, wenn sich der Darlehensgeber bei der Vorbereitung oder dem Abschluss des Darlehensvertrags der Mitwirkung des Unternehmers bedient.
Der Darlehensgeber bedient sich z.B. der Mitwirkung des Unternehmers bei der Vorbereitung oder dem Abschluss des Darlehensvertrags, wenn der Darlehensvertrag nicht aufgrund eigener Initiative des Darlehensnehmers zustande kommt, sondern weil der Vertreiber bzw. der Vermittler dem Verbraucher zugleich mit dem Waren- oder Dienstleistungsvertrag einen Darlehensantrag des Darlehensgebers vorlegt.[4]
Bei einem finanzierten Erwerb eines Grundstücks oder eines grundstücksgleichen Rechts ist eine wirtschaftliche Einheit nur anzunehmen, wenn der Darlehensgeber selbst das Grundstück oder das grundstücksgleiche Recht verschafft oder wenn er über die Zurverfügungstellung von Darlehen hinaus den Erwerb des Grundstücks oder grundstücksgleichen Rechts durch Zusammenwirken mit dem Unternehmer fördert, indem er sich dessen Veräußerungsinteressen ganz oder teilweise zu Eigen macht, bei der Planung, Werbung oder Durchführung des Projekts Funktionen des Veräußerers übernimmt oder den Veräußerer einseitig begünstigt, § 358 Abs. 3 Satz 3 BGB.
 
3. Widerrufsrecht
Sind Verträge i.S.d. § 358 BGB miteinander verbunden, ergeben sich einige Besonderheiten bei einem eventuell erklärten Widerruf des Verbrauchers. Ein Widerrufsrecht des Verbrauchers hinsichtlich des Darlehensvertrags kann sich aus § 495 Abs. 1 BGB ergeben. Dagegen kommen für den verbundenen Vertrag mit den § 312 Abs. 1 Satz 1, § 312d Abs. 1 Satz 1 und § 485 Abs. 1 BGB verschiedene Widerrufsrechte in Betracht. Gemäß § 355 Abs. 1 Satz 1 BGB ist der Verbraucher bei Ausübung einer dieser Widerrufsrechte an seine auf den Abschluss des Vertrags gerichtete Willenserklärung nicht mehr gebunden. Aufgrund des zivilrechtlichen Trennungsprinzips wirkt sich der Widerruf grundsätzlich nur auf den Vertrag aus, aufgrund dessen das Widerrufsrecht besteht. Damit auch der andere Vertrag seine Wirksamkeit verliert, müsste die auf dessen Abschluss gerichtete Willenserklärung ebenso widerrufbar sein und widerrufen werden.
3.1 Widerrufsdurchgriff
Bei verbundenen Verträgen wird dagegen von § 358 Abs. 1 und 2 BGB angeordnet, dass der Verbraucher bei einem wirksamen Widerruf seiner auf Abschluss eines der Verträge gerichteten Willenserklärung auch nicht mehr an seine auf Abschluss des anderen Vertrages gerichteten Willenserklärung gebunden ist. Der Widerruf der Willenserklärung bzgl. des einen Vertrages erstreckt sich also auch auf die Willenserklärung bzgl. des anderen Vertrages (sog. Widerrufsdurchgriff). Dabei ist in § 358 Abs. 1 BGB der Widerrufsdurchgriff von dem Waren- oder Dienstleistungsvertrag auf den Darlehensvertrag bzw. in § 358 Abs. 2 BGB der umgekehrte Fall geregelt. Bei einem Durchgriff auf den Darlehensvertrag gemäß § 358 Abs. 1 BGB ist nicht das Vorliegen eines Verbraucherdarlehensvertrages gemäß § 491 BGB erforderlich; vielmehr reicht jeder mit einem Verbraucher abgeschlossene Darlehensvertrags aus.[5] Doch muss es sich bei dem Durchgriff nach § 358 Abs. 2 BGB entgegen eines ausdrücklichen Hinweises im Gesetz um einen verbundenen Vertrag mit einem Unternehmer handeln.[6]
Diese Regelung soll sicherstellen, dass der Verbraucher trotz der Nichtinanspruchnahme der Leistung des Unternehmers nicht sinnlos an einem Darlehensvertrag festhalten muss, der nur zur Finanzierung der Leistung des Unternehmers abgeschlossen wurde. Im umgekehrten Fall wird der Verbraucher vor einer finanziellen Überbelastung durch seine Zahlungspflicht gegenüber dem Unternehmer geschützt, da dann der der Finanzierung dienende Darlehensvertrag nicht mehr vorhanden ist. Der Verbraucher soll nicht einmal bei Ausübung des Widerrufsrechts auf die Erstreckung der Widerrufsfolgen auf den verbundenen Vertrag verzichten können. Ihm bleibt dann nur die Möglichkeit, den Vertrag neu abzuschließen.[7]
3.2 Besonderheiten bei Zugang der Widerrufserklärung
Der Verbraucher hat den Widerruf nach § 355 Abs. 1 Satz 2 BGB gegenüber dem Unternehmer zu erklären. Das kann bei verbundenen Verträgen entweder der Unternehmer, mit dem der Verbraucher den Vertrag über die Ware oder Dienstleistung geschlossen hat, oder der Darlehensgeber sein und hängt von dem jeweiligen Widerrufsrecht ab. Dabei stellt sich die Frage, wie der Fall zu beurteilen ist, wenn der Verbraucher den Darlehensvertrag widerrufen will, den Widerruf aber gegenüber dem Unternehmer des verbundenen Vertrags erklärt. Dies ist insbesondere vor dem Hintergrund der einzuhaltenden Widerrufsfrist nach § 355 Abs. 2 BGB relevant.
Der Widerruf ist eine empfangsbedürftige Willenserklärung und muss grundsätzlich demjenigen zugehen, demgegenüber der Widerruf seine Wirkung entfalten soll. Der Unternehmer des verbundenen Vertrages kann aber als Empfangsbote der Widerrufserklärung gegenüber dem Darlehensgeber fungieren. Empfangsbote ist, wer vom Empfänger zur Entgegennahme von Erklärungen bestellt worden ist oder nach der Verkehrsauffassung als bestellt anzusehen ist.[8] Beim Abschluss des Darlehensvertrages ist der Vermittler als vom Darlehensgeber bestellt anzusehen, wenn Letzterer nicht unmittelbar in Erscheinung tritt.[9]
Willenserklärungen an einen Empfangsboten gehen dem wirklichen Adressaten in dem Zeitpunkt zu, in dem nach dem regelmäßigen Verlauf der Dinge die Weiterleitung an diesen zu erwarten war.[10] Übermittelt nun der Empfangsbote die Willenserklärung verspätet, falsch oder überhaupt nicht, geht dies zu Lasten des Empfängers.[11]
3.3 Rechtsfolgen des Widerrufs
Hat der Verbraucher den Widerruf erklärt, ist er weder an den widerrufenen noch an den verbundenen Vertrag gebunden. Für den widerrufenen Vertrag ergeben sich die Rechtsfolgen direkt aus§ 357 BGB. Für den verbundenen Vertrag ordnet § 358 Abs. 4 Satz 1 BGB die entsprechende Anwendung von § 357 BGB und im Falle eines bestehenden oder bestandenen Widerrufsrechts gemäß § 312d BGB die entsprechende Anwendung von § 312e BGB an. Die verbundenen Verträge sind nicht als einheitliches Rechtsgeschäft, sondern als selbstständige Verträge zu behandeln. Die Rückabwicklung der beiden Verträge findet also im jeweiligen Leistungsverhältnis statt. Dies gilt im Umkehrschluss aus § 358 Abs. 4 Satz 3 BGB allerdings nur, wenn das Darlehen dem Unternehmer bei Wirksamwerden des Widerrufs noch nicht zugeflossen ist.
Gem. § 358 Abs. 4 Satz 2 BGB sind im Falle des § 358 Abs. 1 BGB Ansprüche auf Zahlung von Zinsen und Kosten aus der Rückabwicklung des Darlehensvertrags gegen den Verbraucher ausgeschlossen.
3.4 Eintritt des Darlehensgebers
Wenn das Darlehen dem Unternehmer bei Wirksamwerden des Widerrufs oder der Rückgabe bereits zugeflossen ist, tritt der Darlehensgeber im Verhältnis zum Verbraucher hinsichtlich der Rechtsfolgen des Widerrufs oder der Rückgabe in die Rechte und Pflichten des Unternehmers aus dem verbundenen Vertrag ein, § 358 Abs. 4 Satz 3 BGB. Hierdurch soll eine bilaterale Rückabwicklung zwischen Verbraucher und Darlehensgeber erreicht werden.[12] Anderenfalls müsste der Verbraucher zunächst dem Darlehensgeber den Darlehensbetrag zurückerstatten und dann seinerseits vom Verkäufer die Rückzahlung des Kaufpreises verlangen. Mit dieser Regelung wird insbesondere das Insolvenzrisiko des Verbrauchers, welches er bei einem Kaufpreisrückzahlungsverlangen gegenüber dem Unternehmer hätte, auf den Darlehensgeber, welcher in der Regel eine Bank ist, verlagert.
Es handelt sich dabei um einen Eintritt des Darlehensgebers in das Abwicklungsverhältnis zwischen Verbraucher und Unternehmer, d.h. der Darlehensgeber tritt vollständig an die Stelle des Unternehmers.[13] Obwohl der Wortlaut des § 358 Abs. 4 Satz 3 BGB offen ist, kann von einem bloßen Schuldbeitritt des Darlehensgebers nicht gesprochen werden.[14] Denn dann würden der Darlehensgeber und der Unternehmer gesamtschuldnerisch haften. Wenn dem Verbraucher aber die Wahl zwischen zwei Schuldnern bliebe, müssten dem Unternehmer, der durch einen Schuldbeitritt des Darlehensgebers von seinen Pflichten nicht befreit würde, seine Rechte gegenüber dem Verbraucher erhalten bleiben. Es käme damit zu einer Aufspaltung des Rückabwicklungsverhältnisses gegenüber verschiedenen Personen und liefe so dem Zweck des § 358 Abs. 4 Satz 3 BGB zuwider.[15]
Als Voraussetzung für diesen Schuldeintritt muss dem Unternehmer das Darlehen bei Wirksamwerden des Widerrufs oder der Rückgabe bereits zugeflossen sein. Das Darlehen ist dann zugeflossen, wenn der Verbraucher seine Verpflichtung gegenüber dem Unternehmer erfüllt hat, d.h., wenn eine Auszahlung oder Gutschrift an den Unternehmer erfolgt ist.[16]
Ist der Darlehensgeber in die Rechte und Pflichten des Unternehmers aus dem verbundenen Vertrag eingetreten, kann der Verbraucher von diesem zum einen die auf das Darlehen schon erbrachten Teilleistungen zurückverlangen, zum anderen aber auch die Rückgabe einer aus eigenen Mitteln an den Unternehmer geleisteten Anzahlung verlangen. Der Darlehensgeber kann dagegen vom Verbraucher nicht gemäß § 358 Abs. 4 Satz 1, § 357 Abs. 1 Satz 1 und §§ 346 ff. BGB die Rückzahlung des Darlehens verlangen. Eine Leistung übers Eck soll gerade nicht stattfinden. Hier muss sich der Darlehensgeber an den Unternehmer gemäß § 812 Abs. 1 Satz 1 Alt. 2 BGB (Durchgriffskondiktion) oder gemäß § 358 Abs. 4 Satz 3 analog BGB wenden.[17]
Der Darlehensgeber erhält durch den Eintritt in die Schuld des Unternehmers aber spiegelbildlich einen Anspruch gegen den Verbraucher auf Rückgabe und Übereignung der Ware.[18] Dieser Anspruch verfolgt den Zweck, dem Darlehensgeber seinen Rückgriffsanspruch gegenüber dem Unternehmer durch die Kaufsache abzusichern. Wenn der Verbraucher die Ware nun schon dem Unternehmer gegeben hat, steht dem Darlehensgeber gemäß § 358 Abs. 4 Satz 1, § 357 Abs. 1 Satz 1 und den §§ 348, 320 BGB gegenüber dem Verbraucher ein Zurückbehaltungsrecht hinsichtlich der gezahlten Darlehensraten zu. Der Darlehensgeber kann so lange die Rückzahlung verweigern, bis er die Ware erhält oder die Darlehensvaluta vom Unternehmer zurückerhält, da dann sein Sicherungsinteresse wegfallen würde.
 
4. Einwendungsdurchgriff
Bei den beiden verbundenen Verträgen handelt es sich um zwei rechtlich selbstständige Verträge (sog. Trennungsprinzip). Mit der Regelung in § 359 BGB findet bei verbundenen Verträgen eine Durchbrechung des Prinzips der Relativität der Schuldverhältnisse statt, indem die Vorschrift den Verbraucher berechtigt, Einwendungen aus dem verbundenen Vertrag gegenüber dem Darlehensgeber einredeweise geltend zu machen. Ein solcher Einwendungsdurchgriff ist auf die Rechtsprechung zu § 242 BGB zurückzuführen. [19]
4.1 Leistungsverweigerungsrecht des Verbrauchers
Soweit den Verbraucher Einwendungen aus dem verbundenen Vertrag gegenüber dem Unternehmer, mit dem er den verbundenen Vertrag geschlossen hat, zur Verweigerung seiner Leistung berechtigen würden, steht ihm gemäß § 359 Satz 1 BGB ein Leistungsverweigerungsrecht bzgl. der Rückzahlung des Darlehens zu. Dadurch geht das Verwendungsrisiko hinsichtlich der Darlehensvaluta im Fall einer Insolvenz des Unternehmers vom Darlehensnehmer auf den Darlehensgeber über. Dieser Übergang rechtfertigt sich darin, dass der Darlehensgeber schon durch die enge Zusammenarbeit mit dem Unternehmer eine gewisse Bereitschaft zur Risikoübernahme zum Ausdruck bringt und er den Verbraucher von seiner Stellung als über die Darlehensvaluta frei Verfügenden verdrängt.[20]
Unter Einwendungen aus dem verbundenen Vertrag versteht man alle rechtshindernden, -vernichtenden sowie –hemmenden Einwendungen und Einreden, wie z.B. eine erklärte Aufrechnung gemäß § 389 BGB oder ein ausgeübtes Zurückbehaltungsrecht gemäß § 273 BGB.[21]
Beispiel: Verbraucher V schließt im Internet mit Unternehmer U einen Kaufvertrag gemäß § 433 BGB über einen Gebrauchtwagen für 20.000 €. U wirbt auf seiner Internetseite damit, dass eine Finanzierung des Kaufpreises durch einen Darlehensvertrag mit der B-Bank (B) möglich sei. Dazu stellt U einen von der B zur Verfügung gestellten Musterdarlehensvertrag zum Download bereit. B bedient sich also zumindest bei der Vorbereitung eines Darlehensvertrages der Mitwirkung des U, so dass eine wirtschaftliche Einheit der beiden Verträge gegeben ist. Desweiteren dient das Darlehen mit der B der Finanzierung des Kaufvertrages mit dem U. Damit sind die beiden Verträge verbunden. V füllt den Darlehensvertrag ordnungsgemäß aus und schickt ihn der B zu. V schließt also mit B einen Verbraucherdarlehensvertrag in Höhe des Kaufpreises gemäß §§ 488, 491 BGB. Die Darlehensvaluta wird direkt von B an U ausgezahlt, woraufhin V von U das Auto erhält. Es stellt sich jedoch heraus, dass das Auto ein Unfallwagen und somit mangelhaft i.S.d. § 434 BGB ist. Eine Nacherfüllung gemäß § 439 Abs. 1 BGB ist nach § 275BGB unmöglich, so dass V u.a. von U Schadensersatz statt der Leistung wegen Unmöglichkeit gemäß § 311a Abs. 2 S. 1 und § 437 Nr. 3 BGB fordern kann. Mit diesem Anspruch könnte V hinsichtlich des Kaufpreiszahlungsanspruches des U aus § 433 Abs. 2 BGB gegenüber U gemäß § 389 BGB aufrechnen oder aufgrund dieses Anspruchs die Kaufpreiszahlung an U gemäß § 273 BGB verweigern. Wenn V eine dieser Einwendungen aus dem verbundenen Vertrag geltend machen würde, könnte er sie der B gemäß § 359 Satz 1 BGB derart entgegenhalten, dass er die Rückzahlung des Darlehens bei Erlöschen der Kaufpreisforderung dauerhaft, anderenfalls bis zur Zahlung des Schadensersatzes verweigere.
4.2 Verhinderung des Schuldnerverzugs
Außerdem kann der Verbraucher durch sein Leistungsverweigerungsrecht den Eintritt des Schuldnerverzugs abwenden. Der Schuldnerverzug nach § 286 BGB fordert als ungeschriebenes Tatbestandsmerkmal die Durchsetzbarkeit der fälligen Forderung.[22] Zwar hindert das bloße Bestehen eines nicht dauerhaft bestehenden Leistungsverweigerungsrechts, wie dem aus § 359BGB, die Durchsetzbarkeit einer Forderung nicht,[23] doch wird eine Forderung undurchsetzbar, sobald das Leistungsverweigerungsrecht geltend gemacht wird.
Besonders relevant wird diese Wirkung für eine eventuelle Kündigung des Darlehens durch den Darlehensgeber gegenüber dem Verbraucher nach § 488 Abs. 3 Satz 1 i.V.m. § 498 Abs. 1 BGB. Voraussetzung für eine solche Kündigung ist der Verzug des Verbrauchers mit der Zahlung der Darlehensraten gemäß § 286 BGB. Wenn der Verbraucher nun aber sein Leistungsverweigerungsrecht aus § 359 BGB geltend macht, führt dies zur Nichtdurchsetzbarkeit der Darlehensforderung, mit der Folge, dass der Verbraucher nicht in den Verzug gerät. Der Darlehensvertrag könnte dann nicht nach §§ 488 Abs. 3 Satz 1 i.V.m. 498 Abs. 1 BGB gekündigt werden. Das Leistungsverweigerungsrecht muss aber vor der Kündigungserklärung erklärt werden. Eine Rückwirkung findet nicht statt.[24]
4.3 Ausschluss des Einwendungsdurchgriffs
Von diesem sog. Einwendungsdurchgriff sind gemäß § 359 Satz 2 BGB solche Einwendungen ausgeschlossen, die auf einer zwischen dem Unternehmer und dem Verbraucher nach Abschluss des Verbraucherdarlehensvertrags vereinbarten Vertragsänderung beruhen. Diese Ausnahme dient dem berechtigten Interesse des Darlehensgebers daran, dass er mit nachträglichen Belastungen bei Abschluss des Darlehensvertrags noch nicht rechnen brauchte. Würde man einen Einwendungsdurchgriff in diesen Fällen zulassen, würde der Darlehensgeber durch dessen Wirkungen belastet, obwohl ein berechtigtes Interesse von Unternehmer- oder Verbraucherseite dem nicht gegenüberstünde. [25]
4.4 Subsidiarität des Einwendungsdurchgriffs
Nach § 359 Satz 3 BGB kann der Verbraucher im Falle eines bestehenden Nacherfüllungsanspruchs gegen den Unternehmer die Rückzahlung des Darlehens erst dann verweigern, wenn die Nacherfüllung fehlgeschlagen ist.
Eine Nacherfüllung ist fehlgeschlagen, wenn nicht mehr erwartet werden kann, dass sie innerhalb der angemessenen Frist ordnungsgemäß erbracht wird, und es daher sinnlos wäre, mit der Geltendmachung etwaiger Sekundärrechte noch weiter zu warten.[26] Insbesondere gilt im Kaufrecht gemäß § 440 Satz 2 BGB eine Nachbesserung nach dem erfolglosen zweiten Versuch als fehlgeschlagen, wenn sich nicht insbesondere aus der Art der Sache oder des Mangels oder den sonstigen Umständen etwas anderes ergibt.
 
5. Rückforderungsdurchgriff
Die §§ 358, 359 BGB treffen keine speziellen Regelungen hinsichtlich der Rückabwicklung für Fälle, bei denen der verbundene Vertrag nicht wegen eines Widerrufs des Verbrauchers, sondern aus anderen Gründen unwirksam oder erloschen ist, wie z.B. durch Anfechtung oder Rücktritt. Es stellt sich hier die Frage, ob dem Verbraucher trotz des weiterhin wirksamen Darlehensvertrags ein Rückzahlungsanspruch gegen den Darlehensgeber hinsichtlich bereits gezahlter Darlehensraten zugesprochen werden kann.
War der verbundene Vertrag von vornherein nichtig, hat der Verbraucher gegen den Darlehensgeber trotz des weiterhin wirksamen Darlehensvertrages unstreitig einen Anspruch auf Rückzahlung etwaig gezahlter Darlehensraten aus § 812 Abs. 1 Satz 1 Alt. 1, § 813 i.V.m. § 359 S. 1 BGB.[27] Da die Unwirksamkeit des verbundenen Vertrages schon im Zeitpunkt der Zahlung der Darlehensraten bestand, kann der Verbraucher diese nämlich als dauerhafte Einrede gegenüber dem Darlehensgeber geltend machen.
Wird der verbundene Vertrag aber erst später nach Zahlung etwaiger Darlehensraten durch einen Rücktritt in ein Rückgewährschuldverhältnis nach § 346 Abs. 1 BGB umgewandelt, werden verschiedene Ansätze vertreten, da in diesem Fall die Voraussetzungen von § 813 BGB nicht gegeben sind.
Der BGH will dem Verbraucher auch bei einem nicht von Anfang an unwirksamen Vertrag einen Rückforderungsanspruch gegen den Kreditgeber in einer analogen Anwendung von § 358 Abs. 4 Satz 3 BGB i.V.m. § 346 Abs. 1 und § 357 Abs. 1 BGB einräumen.[28] Ein solcher Rückforderungsdurchgriff wird begründet mit einem umfänglichen Verbraucherschutz. Vor allem soll eine bilaterale Rückabwicklung erfolgen, damit der Kreditgeber das Insolvenzrisiko des Unternehmers und nicht der Verbraucher trage.
Dagegen lehnt eine andere Ansicht einen solchen Rückforderungsanspruch in diesem Fall ab.[29] Der Gesetzgeber habe eben in § 359 BGB nur einen Einwendungsdurchgriff regeln wollen und sich damit bewusst gegen einen Rückforderungsdurchgriff entschieden. § 358 Abs. 4 Satz 3 BGB sei speziell auf die Situation des Widerrufsrechts zugeschnitten. Dort könne der Darlehensgeber die Auszahlung der Darlehensvaluta an den Unternehmer hinauszögern, bis klar sei, dass der Verbraucher nicht widerrufen habe. Würde man den Rückforderungsanspruch zulassen, erhöhe sich das Risiko des Darlehensgebers unbillig durch eine Erstreckung auf einen längeren Zeitraum im Rahmen der Mängelgewährleistung. Außerdem gebe es keinen Grund dafür, den Verbraucher bei einem verbundenen Vertrag hinsichtlich seiner Risiken besser zu stellen als bei einem Teilzahlungsgeschäft.[30] Bei einem Teilzahlungsgeschäft kann der Verbraucher sich auch nur an den Leistungserbringer halten und hätte das Insolvenzrisiko zu tragen. Es ist nicht ersichtlich, warum bei einem verbundenen Vertrag der Verbraucher nun einen zweiten, regelmäßig solventeren Schuldner erhalten soll. Der Verbraucher muss sich nach dieser Ansicht also an den Unternehmer, mit dem er den Waren- oder Dienstleistungsvertrag geschlossen hat, halten. Von diesem kann er gemäß § 346 Abs. 1, §§ 323 und 437 Nr. 2 BGB den Kaufpreis zurückverlangen, mit dem er dann das Darlehen zurückzahlen könnte.
 
6. Literatur

  • Peter Bülow/Markus Artz, Verbraucherprivatrecht, 3. Auflage 2011, C.F.Müller, Heidelberg u.a., ISBN 978-3-8114-9792-4.
  • Christoph Godefroid, Verbraucherkreditverträge, 3. Auflage 2008, C.H.Beck, München, ISBN 978-3-406-50719-9.
  • Mathias Habersack, in: Münchener Kommentar zum Bürgerlichen Gesetzbuch, Band 2 – Schuldrecht Allgemeiner Teil, 6. Auflage 2012, §§ 358-359a BGB, C.H.Beck, München, ISBN 978-3-406-61462-0.
  • Sibylle Kessal-Wulf, in: J. von Staudingers Kommentar zum Bürgerlichen Gesetzbuch mit Einführungsgesetz und Nebengesetzen, Buch 2 – Recht der Schuldverhältnisse, Neubearbeitung 2004, §§ 358 – 359 BGB, Sellier/de Gruyter, Berlin, ISBN 978-3-8059-1002-6.
  • Rüdiger Martis/Alexander Meinhof, Verbraucherschutzrecht, 2. Auflage 2005, C.H.Beck, München, ISBN 978-3-406-50991-6.

 
7. Weblinks

  • Eintrag zu „Vertrag (Verbundene Verträge)“ auf www.lexikon.jura-basic.de
  • Eintrag zu „Verbundene Verträge“ auf www.justiz.nrw.de
  • Eintrag zu „Verbundenes Geschäft/Verbundener Vertrag“ auf www.lexexakt.de/

 
8. Einzelnachweise

[1] Palandt/Grüneberg, BGB, 72. Aufl. 2013, § 358, Rn. 1.
[2] Gesetz zur Einführung einer Musterwiderrufsinformation für Verbraucherdarlehensverträge zur Änderung der Vorschriften über das Widerrufsrecht bei Verbraucherdarlehensverträgen und zur Änderung des Darlehensvermittlungsrechts vom 24.7.2010, BGBl. I, S. 977.
[3] Gesetz zur Anpassung der Vorschriften über den Wertersatz bei Widerruf von Fernabsatzverträgen und über verbundene Verträge vom 27.7.2011, BGBl. I, S. 1600.
[4] BGH NJW 2003, 2821; 2006, 1788; 2007, 3200; NJW-RR 2008, 1436.
[5] Palandt/Grüneberg, BGB, § 358, Rn. 3.
[6] Palandt/Grüneberg, BGB, § 358, Rn. 5; Habersack, in: MüKo/Habersack, BGB, Band 2, 6. Aufl. 2012, § 358, Rn. 18.
[7] MüKo/Habersack, BGB, § 358, Rn. 22 m.w.N.
[8] BSG NJW 2005, 1303 (1304); Palandt/Ellenberger, BGB, § 130, Rn. 9.
[9] BGHZ 131, 66 (71).
[10] BGH NJW-RR 1989, 757.
[11] Palandt/Ellenberger, BGB, § 130, Rn. 9.
[12] BT-Drucks 11/5462, 24.
[13] BGH NJW 2009, 3572 (3574); Palandt/Grüneberg, BGB, § 358, Rn. 21; MüKo/Habersack, BGB, § 358, Rn. 82; Staudinger/Kessal-Wulf, BGB, Neubearbeitung 2004, § 358, Rn. 67; Erman/Saenger, BGB, Band 1, 13. Aufl. 2011, § 358, Rn. 27.
[14] So aber Bülow/Artz/Bülow, Verbraucherkreditrecht, 7. Aufl. 2011, § 495, Rn. 294.
[15] BT-Drucks. 11/5462, 24; BGHZ 131, 66 (73).
[16] BGH NJW 1995, 3386 (3388).
[17] Für eine Durchgriffskondiktion sprechend BGHZ 133, 254 (263); Erman/Saenger, BGB, § 358, Rn. 29; Schulze/Dörner/u.a./Schulze, BGB, 7.Aufl. 2012, § 358, Rn. 13; dagegen eine analoge Anwendung des § 358 Abs. 4 S. 3 BGB befürwortend MüKo/Habersack, BGB, § 358 Rn. 89; Dauner-Lieb, Verbraucherschutz bei verbundenen Geschäften (§ 9 VerbrKrG), WM-Sonderbeil. Nr. 6/1991, 21.
[18] OLG Düsseldorf NJW 1997, 2056 (2058); MüKo/Habersack, BGB, § 358, Rn. 84; Erman/Saenger, BGB, § 358, Rn. 28.
[19] Palandt/Grüneberg, BGB, § 359, Rn. 1.
[20] MüKo/Habersack, BGB, § 359, Rn. 24.
[21] BGHZ 149, 43; Staudinger/Kessal-Wulf, BGB, § 359, Rn. 7.
[22] Palandt/Grüneberg, BGB, § 286, Rn. 9; Staudinger/Löwisch, BGB, Neubearbeitung 2004, § 286, Rn. 12.
[23] Palandt/Grüneberg, BGB, § 286, Rn. 10 f.; dagegen ist die Forderung schon bei dem bloßen Bestehen einer dauerhaften (sog. peremptorischen) Einrede wie § 214 BGB undurchsetzbar: MüKo/Ernst, BGB, § 286, Rn. 22; ausführlich dazu auch Staudinger/Löwisch, BGB, § 286, Rn. 12 ff.
[24] MüKo/Ernst, BGB, § 286 Rn. 28; Palandt/Grünberg, § 286, Rn. 10.
[25] MüKo/Habersack, BGB, § 359, Rn. 46.
[26] Bamberger/Roth/Faust, BGB, Band 1, 3. Aufl. 2012, § 440, Rn. 32.
[27] BGH NJW 2008, 846; MüKo/Habersack, BGB, § 359, Rn. 66; Palandt/Grüneberg, BGB, § 359 Rn. 7.
[28] BGH NJW 2003, 2821.
[29] MüKo/Habersack, BGB, § 359, Rn. 75; Staudinger/Kessel-Wulf, BGB, § 359, Rn. 34; Larenz/Canaris, Schuldrecht Besonderer Teil Band II/2, 13. Aufl. 1994, § 68 I 5.
[30] Larenz/Canaris, Schuldrecht BT II/2, § 68 I 5.

28.02.2013/1 Kommentar/von Gastautor
https://www.juraexamen.info/wp-content/uploads/2022/05/je_logo.svg 0 0 Gastautor https://www.juraexamen.info/wp-content/uploads/2022/05/je_logo.svg Gastautor2013-02-28 18:00:312013-02-28 18:00:31Examenswissen auf Wikipedia – Beitrag “Verbundene Verträge“
Gastautor

Examenswissen auf Wikipedia – Beitrag „Gesamtschuld“

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Liebe Leser von juraexamen.info, vor einiger Zeit haben wir Euch auf das Seminar „Examenswissen auf Wikipedia“ der Universität zu Köln (Kompetenzzentrum für juristisches Lehren und Lernen; Prof. Dauner-Lieb) hingewiesen, das von Frau Professor Dauner-Lieb und Herrn Tobias Lutzi betreut wurde.
Wir freuen uns heute und in den nächsten Tagen einige sehr gelungene Beiträge hiervon auf unserer Seite veröffentlichen zu können. Sämtliche hier veröffentlichten Beiträge werden in der nächsten Zeit in ähnlicher Form auch auf wikipedia erscheinen. Eine Übersicht über alle Beiträge werden wir, wenn diese vorliegt, hier auch noch veröffentlichen.
Der heutige Beitrag ist von Andreas Theune und befasst sich mit dem Stichwort „Gesamtschuld“.
 

Gesamtschuld

Der Begriff der Gesamtschuld ist ein Rechtsbegriff des deutschen Rechts. Er umschreibt eine Art der Schuldnermehrheit, bei der mehrere Schuldner einem Gläubiger eine Leistung so schulden, dass dieser von jedem Gesamtschuldner die volle Leistung fordern kann, diese jedoch insgesamt nur einmal erhält. Sie ist in den §§ 420 ff. BGB geregelt
 
1. Entstehung der Gesamtschuld
Eine Gesamtschuld kann durch Gesetz oder durch vertragliche Vereinbarung entstehen. Im deutschen Recht wird eine gesamtschuldnerische Haftung mehrerer Schuldner an verschiedenen Stellen angeordnet. So haften z.B. mehrere deliktische Schädiger als Gesamtschuldner und zwar gleichgültig, ob sie den Schaden als gemeinsam handelnde Mittäter (§ 830 BGB) oder als unabhängig voneinander handelnde Nebentäter (§ 840 BGB) verursacht haben. § 431 BGB ordnet eine gesamtschuldnerische Haftung an, wenn mehrere eine unteilbare Leistung schulden. Große Bedeutung hat auch § 128 HGB, der anordnet, dass mehrere Gesellschafter einer OHG für Gesellschaftsschulden gesamtschuldnerisch haften. Diese Norm wird auch auf Gesellschafter einer BGB-Gesellschaft analog angewandt.[1] Weitere wichtige Anordnungen von Gesamtschulden befinden sich in § 613a Abs. 2 , § 769 (Mitbürgen) sowie § 1357 Abs. 1 (Ehegatten) BGB. Neben diesen Fällen gibt es weitere inner- und außerhalb des BGB.
Parteien eines Vertrages können eine Gesamtschuld auch neben den gesetzlich vorgesehenen Fällen vertraglich ausdrücklich vereinbaren. Wenn es an einer gesetzlichen Regelung oder einer ausdrücklichen Reglung fehlt, ist durch Auslegung zu ermitteln, ob eine Gesamtschuld vorliegt oder nicht. Dabei besteht Einigkeit, dass aus § 421 BGB Mindestbedingungen entnommen werden können, die für das Vorliegen einer Gesamtschuld zwingend erforderlich sind.

  1. Es müssen mehre Schuldner dem Gläubiger eine Leistung schulden.
  2. Der Gläubiger darf von jedem Gesamtschuldner die volle Leistung fordern.
  3. Aber er darf insgesamt die Leistung nur einmal fordern.

Ob neben diesen geschriebenen Voraussetzungen noch andere Bedingungen erfüllt sein müssen, um eine Gesamtschuld annehmen zu können, ist streitig.
Aktuell besteht jedenfalls Einigkeit darüber, dass der Schuldgrund nicht einheitlich sein muss. So kann ein Gesamtschuldner aus Delikt Schadensersatz schulden, während ein anderer Gesamtschuldner aufgrund einer vertraglichen Pflichtverletzung für dasselbe Interesse haftet.[2]
Weiterhin ist laut Bundesgerichtshof (BHG) nicht erforderlich, dass alle Gesamtschuldner ein identisches Leistungsinteresse vorweisen. Ein Architekt und ein Bauunternehmer haften für vertragliche Pflichtverletzung bezüglich desselben Bauwerks auch dann als Gesamtschuldner, wenn der Bauunternehmer auf Nacherfüllung haftet und der Architekt auf Schadensersatz.[3]
Keine Gesamtschuld besteht dagegen für die herrschende Lehre und die Rechtsprechung, wenn mehrere Schuldner nicht gleichstufig haften. Das Erfordernis der Gleichstufigkeit ersetzt damit die früher von der Rechtsprechung geforderte Zweckgemeinschaft.[4] Gleichstufigkeit ist zu verneinen, wenn einer der Schuldner subsidiär haftet. So sind z.B. Bürge und Hauptschuldner keine Gesamtschuldner, da ein Stufenverhältnis besteht und der Hauptschuldner primär in Anspruch zu nehmen ist.[5] Deshalb sind auch die Gesellschaft und ihre Gesellschafter keine Gesamtschuldner, denn primär haftet die Gesellschaft[6]. Ebenso haftet ein Versicherer lediglich subsidiär für einen vom Versicherten verursachten Schaden. Umstritten ist ob ein Bereicherungsschuldner mit einem Schadensersatzschuldner bzw. einem Geschäftsführer ohne Auftrag gleichstufig haftet.[7]
Dagegen spricht allein die Tatsache, dass ein Gesamtschuldner im Innenverhältnis den Schaden allein tragen muss, noch nicht gegen eine gleichstufige Schuld. So bejahte der BGH die Gleichstufigkeit der Verpflichtungen eines Pferdeverkäufers, der ein mangelhaftes Pferd lieferte, und eines Tierarztes, der diesen Mangel bei seiner Untersuchung nicht erkannte.[8]
Teile der Literatur lehnen das Erfordernis der Gleichstufigkeit jedoch ab[9], da sie das Kriterium nicht für erforderlich halten, um zu sachgerechten Ergebnissen zu kommen. Für das Erfordernis einer Gleichstufigkeit wird angeführt, dass es nur dieses Kriterium ermögliche, die Fälle einer Gesamtschuld von den Fällen des § 255 BGB abzugrenzen. Dieser sichert einem leistenden Schuldner die Abtretung von Ersatzansprüchen gegen Dritte zu, die ihm gegenüber ersatzverpflichtet sind.[10] Außerdem wird angeführt, dass manche Rechtsfolgen einer Gesamtschuld nicht passend erscheinen, wenn ein Schuldner lediglich nachrangig haftet.[11]
Große Bedeutung für die Annahme einer Gesamtschuld im Wege der Auslegung hat § 427 BGB, der eine Zweifelsregel zugunsten der Annahme einer Gesamtschuld bei einer gemeinschaftlichen vertraglichen Verpflichtung enthält. Verpflichten sich also mehrere Schuldner vertraglich gemeinsam zu einer Leistung, ist zunächst durch Auslegung zu ermitteln ob eine Gesamtschuld oder eine andere Form der Schuldnermehrheit gewollt ist. Wenn eine solche Auslegung nicht möglich ist, wird das Vorliegen einer Gesamtschuld vermutet. Die Partei, die das Vorliegen einer Gesamtschuld bestreitet, muss also im Prozess beweisen, dass keine Gesamtschuld vorliegt.
 
2. Abgrenzung der Gesamtschuld von anderen Schuldnermehrheiten 
2.1 Teilschuld 
Von einer Teilschuld ist auszugehen, wenn der Gläubiger zwar mehrere Schuldner besitzt, von diesen aber auch im Außenverhältnis nur den Betrag fordern kann, den der Schuldner auch im Innenverhältnis zu tragen hat. Die Position des Gläubigers ist also signifikant schwächer als bei der Gesamtschuld, da er, um den vollen Betrag zu erhalten, jeden Schuldner verklagen muss und die Insolvenz eines Schuldners zu seinen Ungunsten wirkt.
2.2 Abgrenzung gemeinschaftliche Schuld 
Keine Gesamtschuld liegt auch dann vor, wenn die Leistung nur von allen Schuldnern gemeinsam erbracht werden kann, da der Gläubiger an einer Leistung nur eines Schuldners kein Interesse hat. Wenn ein Gläubiger beispielsweise das gebuchte Konzert einer Musikband besuchen möchte, kann der Sänger alleine die Schuld nicht erfüllen. Somit erscheinen die Regeln der Gesamtschuld unpassend.
2.3 Abgrenzung zur Gesamthandsschuld 
Bei der Gesamthandsschuld schulden die Schuldner nicht jeder für sich im Außenverhältnis, sondern nur als gesamte Hand. Das heißt, dass der Gläubiger Leistung nur von der gesamten Hand verlangen kann. Er kann sich also nicht an einen einzelnen Schuldner halten und von diesem Erfüllung fordern, sondern er muss die Gesamthandsgemeinschaft als Ganzes zur Leistung auffordern.
 
3. Rechtsfolgen der Gesamtschuld
3.1 Verhältnis Gläubiger – Gesamtschuldner 
Im Verhältnis zwischen dem Gläubiger und seinen Schuldnern führt die Annahme einer Gesamtschuld dazu, dass der Gläubiger von jedem Schuldner volle Erfüllung verlangen kann. Von welchem Gläubiger sich der Schuldner befriedigen lässt, steht in seinem Belieben. Er kann also auch nur den Gesamtschuldner zur Leistung auffordern und gegebenenfalls verklagen, der ihm am solventesten erscheint. Einschränkungen dieses Wahlrechts des Gläubigers bestehen nach herrschender Meinung kaum. Lediglich bei schikanöser Inanspruchnahme eines bestimmten Gläubigers kann eine Korrektur gemäß § 242 BGB erfolgen.[12]
Wenn der Gläubiger von einem Gesamtschuldner die Leistung erhält, erlöschen damit auch die Ansprüche gegen die anderen Gesamtschuldner. Dies gilt auch, wenn der Gläubiger durch Aufrechnung oder andere Erfüllungssurrogate befriedigt wird. Dabei ist zu beachten, dass jeder Gläubiger nur mit einer Forderung aufrechnen kann, die ihm selbst zusteht (§ 422 BGB).
3.2 Gesamtwirkung/ Einzelwirkung
Anders als die Erfüllung, führen Rechtsgeschäfte des Gläubigers mit einem Gesamtschuldner nicht automatisch zu einer Wirkung zugunsten oder zuungunsten der anderen Gesamtschuldner. Vielmehr ist bei einem Erlass der Schuld oder einem Prozessvergleich zwischen dem Gläubiger und einem Gesamtschuldner durch Auslegung zu ermitteln, ob dem Rechtsgeschäft Gesamtwirkung zukommen soll. Nur wenn Gesamtwirkung gewollt war, verliert der Gläubiger seinen kompletten Anspruch auch gegen die anderen Gesamtschuldner. Eine Gesamtwirkung ist beim Erlass gemäß § 423 BGB nur dann anzunehmen, wenn die Umstände des Erlasses darauf schließen lassen, dass der Gläubiger die Schuld allen Gesamtschuldnern erlassen wollte.
Ist keine Gesamtwirkung anzunehmen, ist durch Auslegung zu ermitteln, ob wenigstens eine beschränkte Gesamtwirkung gewollt ist. Eine solche hätte zur Folge, dass der Betrag, den der Gläubiger von den restlichen Gesamtschuldnern fordern darf, um den Betrag zu kürzen ist, der im Innenverhältnis dem Gesamtschuldner zustünde, der vom Erlass profitieren soll.[13]
Wenn die Auslegung auch dieses Ergebnis nicht stützt, hat der Erlass lediglich Einzelwirkung, sodass der Gläubiger weiterhin in der Lage ist, von den restlichen Gesamtschuldnern den vollen Betrag zu fordern. Ein Erlass bedeutet dann lediglich, dass der Gläubiger auf die Inanspruchnahme des begünstigten Gesamtschuldners verzichtet.[14]
Schulden also zwei Gesamtschuldner dem Gläubiger 100 € und ist im Innenverhältnis jeder Gesamtschuldner zu je 50 € verpflichtet und erlässt der Gläubiger dem S1 seine Schuld, so kann er bei Gesamtwirkung des Erlasses auch von S2 nichts fordern. Liegt lediglich beschränkte Gesamtwirkung vor, kann er 50 € fordern, während er bei Einzelwirkung von S2 die vollen 100 € fordern kann.
Der BGH lehnt es auch beim Prozessvergleich ab, eine Vermutung hinsichtlich einer (beschränkten) Gesamtwirkung aufzustellen, sodass der begünstigte Gesamtschuldner den Willen zur (beschränkten) Gesamtwirkung beweisen muss.[15]
§ 424 BGB legt eine Gesamtwirkung hinsichtlich des Gläubigerverzuges fest. Andere Tatsachen, die auf das Schuldverhältnis einwirken, haben gemäß § 425 BGB grundsätzlich Einzelwirkung, soweit sich aus den Umständen des Schuldverhältnisses nichts anderes ergibt.
So wirkt das Verschulden hinsichtlich einer Pflicht aus einem Gesamtschuldverhältnis grundsätzlich nur für den Schuldner, den der Schuldvorwurf trifft. Entsteht aufgrund eines Verschuldens eines Gesamtschuldners also ein Schadensersatzanspruch, muss grundsätzlich nur dieser Gesamtschuldner Schadensersatz leisten. Ergibt sich aus dem zu Grunde liegenden Vertrag allerdings, dass die Gesamtschuldner für ein Verschulden der Anderen einstehen wollten, kann das Verschulden eines Gesamtschuldners zugerechnet werden. So hat der BGH einen Schadensersatzanspruch gegen gesamtschuldnerisch haftende Mitglieder einer Anwaltssozietät bejaht, obwohl lediglich einem Anwalt ein Verschulden nachgewiesen werden konnte.[16]
Auch die Verjährung gesamtschuldnerischer Ansprüche erfolgt lediglich mit Einzelwirkung. So kann z.B. die Verjährung des Anspruches gegen den verklagten Gesamtschuldner S1 durchRechtshängigkeit gehemmt sein, während die Ansprüche gegen weitere Gesamtschuldner während des Prozesses verjähren. Dies zeigt, dass Ansprüche gegen Gesamtschuldner grundsätzlich selbstständig sind und sich im Gegensatz zu akzessorischen Ansprüchen unterschiedlich entwickeln können.
 
4. Ausgleichsansprüche im Innenverhältnis 
Zahlt ein Gesamtschuldner an den Gläubiger, so steht ihm gemäß § 426 Abs. 1 BGB ein Ausgleichsanspruch gegen die übrigen Gesamtschuldner zu. Der Anspruch ist in der Höhe auf den Anteil zu begrenzen, den jeder Gesamtschuldner im Innenverhältnis zu tragen hat. Dabei geht das Gesetz gemäß § 426 Abs. 1 Satz 1 BGB von einem Anteil nach Köpfen aus. Haften also vier Gesamtschuldner auf einen Betrag von 100 €, so kann der erfüllende Gesamtschuldner von jedem der anderen Gesamtschuldner 25 € verlangen. Häufig ergibt sich aber aus dem Schuldverhältnis eine andere Verteilung. Besondere Bedeutung kommt dabei § 254 BGB zu. Schulden mehrere Schädiger Schadensersatz, richtet sich die Summe des Anteils im Innenverhältnis nach dem Grad des Verschuldens. So ist es auch möglich, dass ein Gesamtschuldner im Innenverhältnis von jeglicher Haftung freizustellen ist.
Bereits vor Zahlung hat jeder Gesamtschuldner gegen die übrigen Gesamtschuldner einen Anspruch auf anteilige Befreiung.
Neben dem Anspruch aus § 426 Abs. 1 BGB erhält der zahlende Gesamtschuldner gemäß § 426 Abs. 2 BGB im Wege einer Legalzession den Anspruch des ursprünglichen Gläubigers gegen die anderen Gesamtschuldner, soweit er berechtigt ist, bei den anderen Gesamtschuldnern Regress zu nehmen. Auch die Höhe dieses Anspruches ist also auf den jeweiligen Anteil im Innenverhältnis beschränkt. Der Vorteil dieses Anspruches liegt im Übergang aller akzessorischer Sicherheiten des Gläubigers.[17] War der Anspruch des Gläubigers also durch Hypotheken oder Bürgschaften gesichert, so haften die Sicherungsgeber nun auch für die Ausgleichsansprüche des leistenden Gesamtschuldners. Nachteilig für den zahlenden Gesamtschuldner kann sich auswirken, dass die §§ 401 ff. BGB Anwendung finden und sich die anderen Gesamtschuldner auf Einreden gegenüber dem ursprünglichen Gläubiger berufen können, so dass sie beispielsweise weiterhin mit einer Forderung gegen den Gläubiger aufrechnen können (§ 406 BGB). Auch hinsichtlich der Verjährung bestehen Unterschiede zwischen beiden Ansprüchen.[18]
Wenn einem Gesamtschuldner seine Schuld mit Einzelwirkung erlassen wurde, hindert dies die übrigen Gesamtschuldner nicht, von dem begünstigten Gesamtschuldner Ausgleich in Höhe seines Innenanteils zu nehmen. Es ist dem Gläubiger nicht möglich, einen Gesamtschuldner aus der Innenhaftung zu befreien, da dies einen Vertrag zu Lasten Dritter darstellen würde.[19] Kommt also einem Erlass oder Vergleich lediglich Einzelwirkung zu, muss der begünstigte Schuldner sich trotzdem am Innenausgleich beteiligen und profitiert so nicht vom vereinbarten Erlass.
 
5. Sonderfall: Gestörte Gesamtschuld 
Unter dem Begriff der gestörten Gesamtschuld wird eine Situation erfasst, in der eine Gesamtschuld nicht entsteht, weil ein potentieller Gesamtschuldner von einer Haftungsprivilegierung profitiert. Haftungsprivilegierungen können aufgrund eines Vertrages oder aufgrund gesetzlicher Regelungen bestehen. So ordnet das Gesetz verschiedentlich eine Haftungsbeschränkung auf den Haftungsmaßstab der eigenüblichen Sorgfalt an. Die Rechtsprechung wählt je nach Art der Haftungsprivilegierung unterschiedliche Lösungen[20], während die juristische Literatur zu einer einheitlichen Lösung tendiert.[21] 

Die Lösung des Problems der gestörten Gesamtschuld ist gesetzlich nicht speziell geregelt. Denkbar sind drei verschiedene Lösungsansätze:
1. Es bleibt bei der gesetzlichen Regelung. Der verbliebene Schuldner muss gegenüber dem Gläubiger voll haften. Der haftungsprivilegierte Schädiger kann vom Gläubiger nicht in Anspruch genommen werden. Diese Lösung wurde vom BGH bei der gesetzlichen Haftungsprivilegierung des § 1664 Abs. 1 BGB zugunsten der dort privilegierten Eltern angewandt. Bei vertraglichen Haftungsprivilegien jedenfalls sieht sich eine solche Lösung jedoch dem Einwand ausgesetzt, dass dem verbliebenen Schädiger seine Regressmöglichkeit genommen würde. Damit wäre die Haftungsprivilegierung zwischen Schädiger und Geschädigtem ein Vertrag zu Lasten Dritter.
2. Eine andere Lösung wäre es, eine Gesamtschuld in einer solchen Situation zu fingieren. Der nicht privilegierte Schädiger könnte dann beim privilegierten Schädiger Rückgriff nehmen. Dieser Rückgriff würde allerdings den Haftungsausschluss bedeutungslos machen, da der privilegierte Schädiger letztlich doch seinen Anteil am Schaden zu tragen hätte.[22] Außerdem stünde der privilegierte Schädiger bei Alleinverursachung des Schadens besser als bei bloßer Mitverursachung, denn wenn er den Schaden alleine verursacht hätte, würde ihm der Haftungsausschluss zugute kommen.[23]
Dieses Ergebnis kann nur dann verhindert werden, wenn dem privilegierten Schädiger wiederum ein Regress beim Geschädigten ermöglicht wird. (sog. Regresskreisel)[24]
3. Schließlich könnte auch der Schadensersatzanspruch des Geschädigten gegen den Schädiger um den Anteil des privilegierten Schädigers am verursachten Schaden gekürzt werden. Somit würde der Haftungsausschluss zu Lasten des Geschädigten wirken. Für diese Lösung wird angeführt, dass der Haftungsausschluss auch bei einer Schädigung nur durch den privilegierten Schädiger zu Lasten des Geschädigten wirken würde und diese Lösung deshalb interessengerecht sei.[25] Problematisch ist jedoch, dass eine solche Lösung dem Gesetz nicht zu entnehmen ist.
 
6. Literaturempfehlungen 

  • Zerres, Thomas: Die Gesamtschuld in, Jura 2008, S. 726 ff.
  • Looschelders, Dirk: Schuldrecht AT, 10.Auflage, Rn. 1194 ff.
  • Wernecke, Frauke: Die Gesamtschuld – ihre Befreiung von irrationalen Merkmalen und ihre Rückführung in die Gesetzessystematik, 1990 zur „gestörten Gesamtschuld“
  • Mollenhauer, Anna-Maria: Das gestörte Gesamtschuldverhältnis, Neue Justiz 2011, 1ff.

 
7. Einzelnachweise

[1] Hopt, in Baumbach/Hopt, Handelsgesetzbuch, 35.Auflage 2012.
[2] BGHZ 59, S. 97ff.; Wolf, Gesamtschuld und andere Schuldnermehrheiten, JA 1985, S. 370; Bydlinski, Münchener Kommentar Bürgerliches Gesetzbuch, 6.Auflage 2012, § 421, Rn. 10,12.
[3] BGH NJW 1965, S. 1175.
[4] BGH NJW 2007, S. 1208, Rn. 17; Zerres, Jura 2010, S. 728.
[5] Staudinger, Bürgerliches Gesetzbuch, 2012, Vorbemerkung S. 765, Rn. 16.
[6] Looschelders, Schuldrecht AT, 10.Auflage 2012, Rn. 1195.
[7] Bydlinski, Münchener Kommentar Bürgerliches Gesetzbuch, 6.Auflage 2012, § 421, Rn. 56, 64, 67.
[8]  BGH NJW 2012, S. 1070, Rn. 18.
[9] Wernecke, Die Gesamtschuld, 1989, S. 36 ff.
[10] Zerres, Jura 2010, S. 729.
[11] Palandt, Bürgerliches Gesetzbuch, 72.Auflage 2013, § 421, Rn. 8.
[12] BGH NJW 2010, S. 861ff., Rn. 31; Zerres, Jura 2008, S. 30.
[13] Palandt, Bürgerliches Gesetzbuch, 72.Auflage 2013, § 423, Rn. 4.
[14] Palandt, Bürgerliches Gesetzbuch, 72.Auflage 2013, § 423, Rn. 3.
[15] BGH NJW 2012, S. 1070, Rn. 20 ff.
[16] BGH NJW 1971, S. 1803.
[17] Zerres, Jura 2008, S. 732.
[18] Weise, NJW Spezial 2011, S. 108.
[19]  Looschelders, Schuldrecht AT, 10.Auflage 2012, Rn. 1201.
[20] BGHZ 103, S. 338; BGHZ 58, S. 216, Rn. 20; BGHZ 54, 177, Rn. 14.
[21] Medicus/Petersen, Bürgerliches Recht, 23.Auflage 2011, Rn. 934.
[22]  Mollenhauer, NJ 2011, S. 3.
[23] Siehe Fn. 22.
[24]  Looschelders, Schuldrecht AT, 10.Auflage 2012, Rn. 1211.
[25] Medicus/Petersen, Bürgerliches Recht, Rn. 933.

24.02.2013/1 Kommentar/von Gastautor
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Examenswissen auf Wikipedia – Beitrag "Arglistige Täuschung"

Rechtsgebiete, Schon gelesen?, Schuldrecht, Startseite, Verschiedenes, Zivilrecht

Liebe Leser von juraexamen.info, vor einiger Zeit haben wir Euch auf das Seminar „Examenswissen auf Wikipedia“ der Universität zu Köln (Kompetenzzentrum für juristisches Lehren und Lernen; Prof. Dauner-Lieb) hingewiesen, das von Frau Professor Dauner-Lieb und Herrn Tobias Lutzi betreut wurde.
Wir freuen uns heute und in den nächsten Tagen einige sehr gelungene Beiträge hiervon auf unserer Seite veröffentlichen zu können. Sämtliche hier veröffentlichten Beiträge werden in der nächsten Zeit in ähnlicher Form auch auf wikipedia erscheinen. Eine Übersicht über alle Beiträge werden wir, wenn diese vorliegt, hier auch noch veröffentlichen.
Der heutige Beitrag ist von Linda Kamin und befasst sich mit dem Stichwort „Arglistige Täuschung“.

Arglistige Täuschung

Die arglistige Täuschung ist einer der Anfechtungsgründe der §§ 119 ff. des Bürgerlichen Gesetzbuches. Wie bei der Drohung ist das geschützte Rechtsgut – im Gegensatz zur Anfechtung nach §§ 119, 120 BGB – die Willensentschließungsfreiheit. Sofern eine verübte Täuschung widerrechtlich und kausal für die Abgabe einer Willenserklärung ist und dies vom Vorsatz des Handelnden umfasst ist, kann das gesamte Rechtsgeschäft rückwirkend vernichtet werden. Bei dieser Prüfung ergeben sich rechtsgebietsübergreifende Probleme, sodass die arglistige Täuschung gerade im Staatsexamen sicher beherrscht werden sollte.
 
1. Täuschungshandlung
Die erforderliche Täuschungshandlung meint -wie im Strafrecht – ein Verhalten, das darauf abzielt in einem Anderen eine unrichtige Vorstellung hervorzurufen, zu bestärken oder zu unterhalten.[1] Sie kann durch positives Tun, aber auch durch Unterlassen ausgeübt werden.
 
1.1 Positives Tun 
Positives Tun liegt bei ausdrücklichen oder konkludent wahrheitswidrigen Behauptungen vor, wenn sie sich auf Tatsachen oder wertbildende objektiv nachprüfbare Umstände beziehen. Eine konkludente Täuschungshandlung stellt zum Beispiel das Zurückdrehen des Kilometerstands beim zum Verkauf stehenden PKW dar.[2] Auch präzise Aussagen über die Grundlage der Preisberechnung, so die Behauptung, es handle sich beim deutlich überhöhten Preis um einen ordentlichen, können unter die Täuschungshandlung subsumiert werden, wenn es sich nicht um erkennbar bloß subjektive Werturteile oder überspitzte Anpreisungen handelt.[3] Da eine bezweckte Irreführung des Vertragspartners genügt, ist die Behauptung des Verkäufers, der zwölf Jahre alte Motor sei mehr als drei Jahre alt, ausreichend.[4]
1.2 Unterlassen
Es gilt der Grundsatz der Privatautonomie, aufgrund welchem es geboten ist Rechtsgeschäfte in Selbstverantwortung zu führen. Somit kann jede Partei von ihrem überlegenen Wissen profitieren, ohne dass eine Pflicht zur Offenbarung besteht. Nach der Rechtsprechung kommt es zu einer Durchbrechung dieses Grundsatzes, wenn die Aufklärung nach Treu und Glauben und der Ansicht der Verkehrsauffassung geboten ist und der Vertragspartner daher mit einer Aufklärung der Sachlage rechnen darf.[5] Demnach ist eine Abwägung pflichtbegründender Umstände im Einzelfall vorzunehmen.[6] So wird beispielsweise bei Vertragsverhältnissen, bei denen die Vertragspartner sich erhöhtes Vertrauen entgegenbringen sowie bei laufenden Geschäftsbeziehungen[7] oder sofern eine erkennbare Informationsasymmetrie zwischen dem unerfahrenen Käufer und dem sachkundigen Verkäufer gegeben ist[8], eine umfassendere Aufklärungspflicht angenommen werden können. Allerdings gilt Vorausgenanntes nur, sofern die Umstände für den Vertragspartner nicht erkennbar sind und ohne Aufklärung mit einer Gefährdung des Vertragspartners oder des Vertragszwecks zu rechnen ist. Auf Nachfragen des Käufers ist jedoch in jedem Fall wahrheitsgemäß zu antworten.
 
2. Kausalität
Die Täuschung muss zudem kausal zu einem Irrtum führen, der wiederum kausal für die Abgabe der Willenserklärung sein muss. Dabei ist es bezüglich des Irrtums bereits ausreichend, dass durch die Täuschung falsche Vorstellungen aufrecht erhalten werden. Im Unterschied zu § 119 BGB genügt aufgrund des Schutzzwecks der Norm jeglicher Mangel bei der Willensbildung. Hingegen fehlt es an der Kausalität, wenn der Getäuschte die Täuschung durchschaut hat oder diese bei Vertragsschluss in vollem Umfang[9] offenkundig war. Bezüglich der Abgabe der Willenserklärung ist entscheidend, dass sie derzeit nicht in gleicher Weise abgegeben worden wäre. Es genügt dabei die Mitursächlichkeit der Täuschung für die Erklärungsabgabe.
 
3. Arglist
Anders als beim Betrug nach § 263 StGB wird im Rahmen des § 123 BGB kein Vermögensschaden des Getäuschten verlangt. Folgerichtig braucht es nicht der Absicht den Vertragspartner im Vermögen zu schädigen oder einen Vermögensvorteil zu erlangen. Auch wird keine moralisch verwerfliche Gesinnung gefordert, sodass Arglist auch dann zu bejahen ist, wenn nur das Beste für den Vertragspartner gewollt ist. Die Arglist kann damit mangels eigenständiger Bedeutung mit Vorsatz gleichgesetzt werden. Besondere Aufmerksamkeit ist dennoch „Erklärungen ins Blaue hinein“ zu widmen. Diese, und damit auch der erforderliche bedingte Vorsatz, liegen schon bei blindlings zugesicherten Umständen vor, wenn verschwiegen wird, dass man aufgrund mangelnder Kenntnis zu einer sachgerechten Beurteilung außerstande ist. Die Kenntnis der Unrichtigkeit ist dabei nicht erforderlich. Ein Auto darf demnach nur als nach Angaben vom Vorbesitzer unfallfrei bezeichnet werden, wenn der Verkäufer es nicht selbst untersucht hat.[10]
 
4. Widerrechtlichkeit
Zwar sieht der Wortlaut des § 123 Abs. 1 BGB die Widerrechtlichkeit nur im Rahmen der Drohung vor. Dies liegt jedoch lediglich an der vom Gesetzgeber zu Unrecht angenommenen Tatsache, eine arglistige Täuschung sei stets widerrechtlich. Mithin muss eine teleologische Reduktion vorgenommen und somit die Widerrechtlichkeit geprüft werden. Dies wirkt sich vor allem im Arbeitsrecht aus, da dem Stellenbewerber das Recht zur Lüge zusteht, wenn der Arbeitgeber an der wahrheitsgemäßen Beantwortung einer Frage kein berechtigtes, billigenswertes und schützenswertes Interesse hat[11] und es somit an der Widerrechtlichkeit der Täuschung fehlt. Dies ist der Fall, wenn eine Frage in ungerechtfertigter Weise gegen die Diskriminierungsverbote des § 1 AGG verstößt, weil dann das Verhalten wegen Angriffs auf das allgemeine Persönlichkeitsrecht nach § 227 BGB gerechtfertigt ist.
 
5. Person des Täuschenden
5.1 Dritter nach § 123 Abs. 2 Satz 1 BGB
Wird die Täuschung nicht vom Erklärungsempfänger selbst, sondern von einem Dritten verübt, kann die empfangsbedürftige Erklärung gemäß § 123 Abs. 2 Satz 1 BGB nur angefochten werden, wenn Erstgenannter die Täuschung kennt oder hätte kennen müssen. Letzteres beurteilt sich nach § 122 Abs. 2 BGB, wonach bereits jede Form der fahrlässigen Unkenntnis genügt.
Mangels subsumtionsfähiger Definition ist die Frage, wer als Dritter im Sinne der Norm zu qualifizieren ist, problematisch.
Das Reichsgericht beurteilte zunächst lediglich Stellvertreter und ihnen ähnliche Personen nicht als Dritte.[12] Der Schutz des Getäuschten gebietet es jedoch den Begriff des Dritten restriktiver zu bestimmen. Heute ist demnach in Literatur und Praxis die täuschende Person nicht als Dritter zu bewerten, wenn ihr Verhalten über die Regeln der Stellvertretung hinaus nach § 278 BGB dem Erklärungsgegner zuzurechnen ist. Erfasst werden dabei auch Fälle, in denen die Person zurechenbar nur nach außen hin als Vertrauensperson für den Erklärungsempfänger auftritt, beziehungsweise dem Empfänger näher steht als dem Getäuschten. Damit ist nicht nur der Ehemann, der zu Gunsten seiner Frau die Lebensversicherung täuscht[13], sondern auch der Makler oder Vermittler[14] erfasst, sofern mit Wissen und Wollen nur einer der späteren Parteien Aufgaben übernommen werden. Dritter ist folglich nicht, wer mit Willen des Erklärungsempfängers am Vertragsschluss beteiligt ist und somit seinem Bereich zuzurechnen ist.
Bei der Schuldübernahme nach § 414 BGB ist der nicht am Geschäft beteiligte täuschende Altschuldner demnach als Dritter zu qualifizieren. Kommt es dagegen im Sinne des § 415 BGB zu einer Schuldübernahme, wird der Vertrag zwischen bisherigem und neuem Schuldner geschlossen, wodurch der täuschende Altschuldner aufgrund seiner Beteiligung am Vertrag nicht als Dritter im Sinne der Norm zu bewerten ist. Dennoch soll es aufgrund der vergleichbaren Interessenlage auch in diesem Fall darauf ankommen, ob der Gläubiger die Täuschung durch den Altschuldner kannte oder kennen musste.[15]
Auch im Rahmen der Bürgschaft kann der Schuldner im Verhältnis zum Bürgen nicht als Vertrauensperson des Gläubigers angesehen werden, da er eigene Interessen und nicht die des Gläubigers vertritt und somit kein Erfüllungsgehilfe ist.[16] Mithin ist er ebenfalls als Dritter im Sinne der Norm anzusehen.
5.2 Anfechtung nach §123 Abs. 2 Satz 2 BGB
Zu beachten ist außerdem, dass gemäß § 123 Abs. 2 Satz 2 BGB selbst bei Gutgläubigkeit des Erklärungsempfängers die Anfechtung möglich sein soll, wenn ein anderer aus der Erklärung unmittelbar ein Recht erworben hat und dieser die Täuschung kannte oder kennen musste. Die Anfechtung ist dann ihm gegenüber zu erklären und wirkt auch nur gegen ihn. Es geht vor allem um Verträge zu Gunsten Dritter nach §§ 328 ff. BGB, bei denen durch Täuschung eines unbeteiligten Dritten ein Vierter begünstigt wird.
 
6. Anfechtungserklärung, §143 BGB
Die Anfechtungserklärung im Sinne von § 143 BGB ist eine empfangsbedürftige Willenserklärung. Aus ihr muss hervorgehen, dass der Anfechtende den Willen hat das Geschäft gerade wegen des Willensmangels nicht bestehen lassen zu wollen. In der Regel ist die Erklärung formlos möglich. Sofern dennoch eine Form vereinbart worden ist, muss diese vom Getäuschten nicht eingehalten werden. Zudem sieht das Gesetz keine Begründungspflicht vor. Allerdings wird gefordert, dass der Anfechtungsgrund aus den Umständen erkennbar sein muss. Der Anfechtungsgegner bestimmt sich nach Maßgabe des § 143 Abs. 2 bis 4 BGB. Besonderheiten ergeben sich gemäß § 143 Abs. 3 Satz 1 BGB bei der Vollmachterteilung nach § 167 BGB. Sofern noch kein Rechtsgeschäft abgeschlossen wurde, bestimmt sich die Person des Anfechtungsgegners unstrittig danach, wer die anzufechtende Erklärung empfangen hat. Entscheidend ist also, ob eine Innen- oder Außenvollmacht erteilt wurde. Ist das Rechtsgeschäft dagegen bereits abgeschlossen, wird teilweise vertreten, dass die Anfechtung der Vollmacht nur gegenüber dem Geschäftspartner erfolgen könne.[17]
 
7. Anfechtungsfrist, §124 Abs. 1 und 2 Satz 1 erste Alternative
Die empfangsbedürftige Willenserklärung ist binnen eines Jahres nach Entdeckung der Täuschung anzufechten, wobei es auf positive Kenntnis, nicht auf den bloßen Täuschungsverdacht ankommt. Ferner wird nicht nach § 121 Abs. 1 Satz 2 BGB auf das unverzügliche Absenden, sondern auf den Zugang der Erklärung gemäß § 130 BGB abgestellt. Teils wird die lange Anfechtungsfrist für ungerecht erachtet, sofern nach § 123 Abs. 2 BGB gegenüber einem Dritten und nicht dem Täuschenden selbst anzufechten ist, sodass nach Ablauf einer vom Anfechtungsgegner gesetzten angemessenen Frist der Getäuschte keine Rechte mehr herleiten können soll.[18] Jedoch ist nicht ersichtlich, warum der Anfechtungsgegner, sofern er die Täuschung kannte oder kennen musste, schutzwürdig sein sollte.[19]
 
8. Ausschluss der Anfechtung
Die Anfechtung ist gemäß § 124 Abs. 3 BGB nach Ablauf von zehn Jahren ab Abgabe der Willenserklärung ausgeschlossen. Zudem kann, wie im Rahmen der §§ 119, 120 BGB, auch bei der arglistigen Täuschung gemäß § 144 Abs. 1 BGB der Anfechtungsberechtigte durch Bestätigung des anfechtbaren Rechtsgeschäfts auf seine Rechte verzichten, wenn er Kenntnis des Anfechtungsgrundes hat. Zwar ist die Einhaltung der Form des zugrundeliegenden Rechtsgeschäfts nicht erforderlich, an eine konkludente Bestätigung werden im Rahmen des § 123 Abs. 1 erste Alternative BGB aber hohe Anforderungen gestellt. Auch ein Ausschluss unter Vorbehalt von Treu und Glauben kann wie bei den §§ 119, 120 BGB angenommen werden, sofern die dem Getäuschten erbrachte Leistung zum Zeitpunkt der Anfechtungserklärung nicht mehr beeinträchtigt erscheint. Ein vorheriger Ausschluss der Anfechtung ist, außer wenn im Falle des § 123 Abs. 2 BGB die Täuschung durch Dritte nur hätte bekannt sein müssen, wegen Verstoßes gegen das Recht auf freie Selbstbestimmung nicht möglich.
 
9. Rechtsfolgen
Die Rechtsfolgen bestimmen sich, wie bei der Anfechtung, gemäß §§ 119, 120 BGB nach § 142 BGB. Der schutzwürdige Anfechtende hat somit die Wahl, ob er die Willenserklärung und mit ihr den gesamten Vertrag durch Anfechtung ex tunc vernichtet oder das Rechtsgeschäft gegen sich gelten lässt. Bei in Vollzug gesetzten Dauerschuldverhältnissen, wie im Arbeits- und Gesellschaftsrecht, ergeben sich jedoch Probleme bei der Rückabwicklung nach den Regeln des Bereicherungsrechts, sodass es regelmäßig zu einer vom Wortlaut des § 142 Abs. 1 BGB abweichenden Nichtigkeitsfolge ex nunc kommt.[20] Problematisch ist, ob es beim Vorliegen von arglistiger Täuschung dagegen, mangels Schutzwürdigkeit des Täuschenden, nicht bei der vom Gesetzgeber angeordneten Folge bleiben sollte.
Im Arbeitsverhältnis besteht bei Rückabwicklungen das Problem einer objektiven Bewertung der Arbeitsleistung sowie des rückwirkenden Entfallens von Schutzvorschriften. Allerdings können dem täuschenden Arbeitnehmer die Risiken wohl auferlegt werden, sodass es keinen sachlichen Grund gibt, der die Abweichung von der Gesetzesfolge zu rechtfertigen vermag. Die Rechtsprechung verdeutlicht anhand der Außervollzugsetzung, dass Gesichtspunkte des Arbeitnehmerschutzes nicht zum Tragen kommen.[21] Zumindest bei besonders schweren Mängeln[22] wird stets keine Ausnahme von der gesetzlichen Rechtsfolge vorgenommen.
Im Gesellschaftsrecht wird dagegen eine Auseinandersetzung mit Wirkung für die Zukunft nach Invollzugsetzung trotz Arglist grundsätzlich aus Gründen der Verkehrssicherheit sowie wegen besonderer Rückabwicklungsschwierigkeiten im Außenverhältnis angenommen.[23]
Bei Mietverträgen bleibt es dagegen mangels vergleichbarer Schwierigkeiten im Rahmen der bereicherungsrechtlichen Rückabwicklung bei der gesetzlich angeordneten Rechtsfolge.[24].
Im Rahmen der arglistigen Täuschung ist zudem besonders hervorzuheben, dass zumeist das schuldrechtliche und das dingliche Geschäft an demselben Willensmangel leiden und somit beide anfechtbar sind. Diese Fehleridentität kann freilich nicht als eine Durchbrechung des Trennungs- und Abstraktionsprinzips gewertet werden, weil die danach vorzunehmende strikte Trennung dieser Geschäfte nicht vom Durchschlagen des Mangels berührt wird.[25] Beachtlich ist ferner, dass die gemäß § 122 BGB vorgesehene Schadensersatzpflicht aufgrund der systematischen Stellung des Gesetzes nicht auf die Arglistanfechtung anzuwenden ist.
 
10. Konkurrenzen
Nach der Geltendmachung des § 119 BGB bleibt eine Berufung auf § 123 BGB möglich. Auch die Gewährleistungsrechte, die – anders als im Verhältnis zu § 119 BGB – kein lex specialis sind, können wahlweise geltend gemacht werden. Wird aber zunächst wirksam angefochten, fehlt es an einem für die §§ 437 ff. BGB erforderlichen gültigen Vertrag, sodass diese ausgeschlossen sind. Eine Geltendmachung genannter Rechte ist hingegen weder als konkludenter Verzicht noch als eine Bestätigung im Sinne des § 144 Abs. 1 BGB zu werten. Ein Anspruch aus culpa in contrahendo (c. i. c.) soll neben der erfolgten Anfechtung erhalten bleiben. Kritisch ist dies jedoch, sofern der Anspruch auf Beseitigung des Vertrags gerichtet ist, da bereits Fahrlässigkeit zur Anspruchsbegründung bei der c. i. c. ausreicht und die Frist nach § 124 BGB durch die dann geltende dreijährige Verjährungsfrist unterlaufen würde. Die von der Rechtsprechung erfolgte Einschränkung, nach der die Vertragsaufhebung nur gefordert werden könne, sofern ein Vermögensschaden zu bejahen sei[26], löst die Wertungswidersprüche nicht, zumal ein Vermögensschaden regelmäßig schon bei Abschluss eines nicht gewollten Vertrags vorliegt. Eine Vermeidung von Wertungswidersprüchen kann herbeigeführt werden, indem bei fahrlässigem Handeln der Anspruch aus c. i. c. auf Vertragsaufhebung nur in den Grenzen des § 121 BGB analog und bei Vorsatz in den Grenzen des § 124 BGB analog zugelassen wird.[27] Ferner wird vertreten, dass neben der Anfechtung gemäß § 123 BGB die Grundsätze der c. i. c. nur anwendbar bleiben, wenn der Anspruch nicht auf Aufhebung des Vertrags gerichtet ist.[28]
 
11. Weiterführende Literaturhinweise

  • Martens: Zur Abgrenzung der §§123 I und II 1 BGB JuS 10/2005, S. 887 ff.
  • Strick: Die Anfechtung von Arbeitsverträgen durch den Arbeitgeber NZA 2000, S. 695- 700
  • Lorenz: Vertrauensschaden des Wohnungskäufers bei Verschweigen der Sozialbindung und falschen Finanzierbarkeitsangaben- was schützt die culpa in contrahendo? NZM 1998, S. 359 ff.
  • Olzen/ Wank: Zivilrechtliche Klausurenlehre 7. Auflage, 2012: Falllösung „Verheimlichte Schwangerschaft“, Rn. 226 ff.
  • Schubert, AcP 168 (1968), 470 ff.

 
12. Einzelnachweise

[1] Flume, Allgemeiner Teil des BGB, 2. Band, 3. Auflage 1979, §29/1.
[2] Brox/ Walker, Allgemeiner Teil des BGB, 36. Auflage 2012, §19, Rn. 450.
[3] BGHZ 169, 109 (115); Soergel/Hefermehl, Band 2 §§104- 240, 1999, §123, Rn. 3.
[4] MüKomm/Armbrüster, Band 1 AT §§1- 240, 6. Auflage 2012, §123, Rn. 28.
[5] RGZ 111, 233 (234).
[6] BGH NJW 1983, 2493 (2494).
[7] Soergel/Hefermehl, Band 2 §§104- 240, 1999, §123, Rn. 8.
[8] BGHZ 47, 208 (210); MüKomm/Armbrüster, Band 1 AT §§1- 240, 6. Auflage 2012, §123, Rn. 33.
[9] BAG NZA 1998, 33 (34).
[10] Brox/ Walker, Allgemeiner Teil des BGB, 36. Auflage 2012, §19, Rn. 454.
[11] BAGE 51, 167 (172).
[12] RGZ 72, 133 (135).
[13] Brox/ Walker, Allgemeiner Teil des BGB, 36. Auflage 2012, §19, Rn. 458.
[14] MüKomm/Armbrüster, Band 1 AT §§1-240, 6. Auflage 2012, §123, Rn. 64; BGH NJW 2001, 358 (358 f.).
[15] Soergel/Hefermehl, Band 2 §§104- 240, 1999, §123, Rn. 38; Staudinger/Singer, von Finckenstein, Buch 1 AT, §§90- 123; 130- 133, 2012, §123, Rn. 63; aA: BGHZ 31, 321 (324 ff.); RGZ 119, 418 (421).
[16] NJW- RR 1992, 1005 (1006); Medicus/Petersen, BR 23. Auflage 2011, §6, Rn. 149; aA: noch BGH NJW 1962, 1907 (1907 f.).
[17] Staudinger/Roth, Buch 1 AT §§134- 163, 2003, §143, Rn. 35; aA: Larenz/Wolf, AT des Bürgerlichen Rechts, 9. Auflage 2004, §44, Rn. 32; Palandt/Ellenberger, 72. Auflage 2013, §143, Rn. 6.
[18] Flume, Allgemeiner Teil des BGB, 2. Band, 3. Auflage 1979, §27/3.
[19] Staudinger/Singer, von Finckenstein, Buch 1 AT, §§90- 123, 130- 133, 2012, §124, Rn. 1.
[20] BAGE 5, 159 (161); BGHZ 3, 285 (287f.); Palandt/Ellenberger, 72. Auflage 2013, §119, Rn. 5.
[21] BAG NZA 1999, 584 (586); BGH NJW 1984, 646 (647).
[22] BAG NZA 2005, 1409 (1410).
[23] BGHZ 13, 320 (323 f.); 55, 5 (8).
[24] BGHZ 178, 16 (27).
[25] Bork, Allgemeiner Teil des BGB, 3. Auflage 2011, §13, Rn. 482.
[26] BGH NJW- RR 2002, 308 (310); NJW 1998, 302 (304); ebenfalls Schubert, AcP 168 (1968), 470 (504 ff.).
[27] MüKomm/Armbrüster, Band 1 AT §§1- 240, 6. Auflage 2012, §123, Rn. 91; Staudinger/Singer, von Finckenstein, Buch 1 AT, §§90- 123; 130- 133, 2012, §123, Rn. 101; in den Grenzen des §124 BGB analog: OLG Hamm NJW- RR 1995, 205 (206); Fleischer, AcP 200 (2000), 91 (119).
[28] Brox/ Walker, Allgemeiner Teil des BGB, 36. Auflage 2012, §19, Rn. 463.

 

 

 

24.02.2013/1 Kommentar/von Gastautor
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Examenswissen auf Wikipedia – Beitrag "Abtretung"

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Liebe Leser von juraexamen.info, vor einiger Zeit haben wir Euch auf das Seminar „Examenswissen auf Wikipedia“ der Universität zu Köln (Kompetenzzentrum für juristisches Lehren und Lernen; Prof. Dauner-Lieb) hingewiesen, das von Frau Professor Dauner-Lieb und Herrn Tobias Lutzi betreut wurde.

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Der heutige Beitrag ist von Vera Eickhoff und befasst sich mit dem Stichwort „Abtretung“.

 Abtretung

Abtretung meint nach der Legaldefinition des § 398 Satz 1 BGB die vertragliche Übertragung einer vom alten Gläubiger (Zedent) auf den neuen Gläubiger (Zessionar). Es handelt sich um den Austausch des Gläubigers durch Rechtsgeschäft ohne Änderung des Schuldners oder des Inhalts der Forderung. Die Abtretung ist daher abzugrenzen von der Schuldübernahme und der Novation. Neben dem rechtsgeschäftlichen Forderungsübergang kann die Person des Gläubigers auch kraft Gesetzes (sog. cessio legis, bspw. § 426 Abs. 2 Satz 1, § 774 Abs. 1 Satz 1 BGB, § 86 Abs. 1 VVG) oder durch Hoheitsakt (bspw. § 835 Abs. 2 ZPO) ausgetauscht werden.

Bedeutung. Die Forderung als solche hat Vermögenswert.[1] Die Abtretung ist daher insbesondere bedeutsam als Zahlungsmittel (Abtretung an Erfüllungs Statt oder erfüllungshalber) und Sicherungsmittel für Geld- oder Warenkrediten.

 

Rechtsnatur. Bei der Abtretung handelt es sich um eine Verfügung über die Forderung. Sie ist allerdings kein dingliches Rechtsgeschäft, da sie kein Recht an einer Sache, sondern einen Anspruch aus einem Schuldverhältnis (§ 241 Abs. 1 Satz 1 BGB) betrifft.[2] Insofern erklärt sich die Einordnung im allgemeinen Teil des Schuldrechts. Demgegenüber können dingliche Rechte wie bspw. das Eigentum und Ansprüche, die einzig dazu dienen, diese dinglichen Rechte durchzusetzen (bspw. § 985 BGB), nicht abgetreten werden: sie gehen nach den allgemeinen Regeln über die Übertragung dinglicher Rechte (bspw. §§ 929 ff. BGB) über.[3]

Als Verfügung ist der Abtretungsvertrag abstrakt von dem zugrunde liegenden Kausalgeschäft.[4] Hierbei kann es sich bspw. um einen Forderungskauf, eine Schenkung, eine Geschäftsbesorgung (im Falle der Inkassozession, s.u.) oder eine Sicherungsabrede (im Falle der Sicherungsabtretung, s.u.) handeln. Mängel im Kausalgeschäft berühren die Wirksamkeit der Abtretung nicht, die Forderung ist aber ggf. kondizierbar (§§ 812 ff. BGB).

 

1. Voraussetzungen der Abtretung

1.1 Wirksame Einigung über den Forderungsübergang, § 398 Satz 1 BGB

Bei der Einigung handelt es sich um einen Verfügungsvertrag, der nach den allgemeinen Vorschriften über Entstehung und Wirksamkeit von Willenserklärungen und Verträgen beurteilt werden muss. Die Abtretung kann insbesondere gegen § 134 BGB iVm § 203 StGB verstoßen, da § 402 BGB den Zedenten zur Herausgabe der zur Durchsetzung erforderlichen, ggf. vertraulichen Unterlagen verpflichtet.[5] Der Abtretungsvertrag ist grundsätzlich formlos wirksam.[6] Dies gilt auch, wenn das zugrunde liegende Kausalgeschäft formbedürftig ist (bspw. nach § 311b Abs. 1 Satz 1 BGB), da die Abtretung als Verfügungsgeschäft abstrakt ist. Ausnahmsweise kann aber auch der Abtretungsvertrag einem Formzwang nach Spezialgesetzen unterliegen (bspw. gem. § 1154 Abs. 1 BGB). Auf die Nichtigkeit des Abtretungsvertrags kann sich auch der Schuldner berufen.[7]

1.2 Berechtigung des Zedenten

Die Forderung muss tatsächlich bestehen und der Zedent ihr Inhaber sein. Zudem darf die Abtretung nicht ausgeschlossen sein.

1.2.1 Bestehen der Forderung zugunsten des Zedenten

Grundsätzlich ist jede Forderung abtretbar, unabhängig, aus welchem Schuldverhältnis sie stammt. Eine Teilabtretung ist nach herrschender Meinung (h.M.) möglich, wenn die Forderung teilbar ist.[8] Aber auch erst künftig entstehende Forderungen können abgetreten werden (Vorausabtretung, praktisch häufig zu Sicherungszwecken).[9] Auch können mehrere Forderungen auf einmal abgetreten werden, bspw. alle aus einem bestimmten Rechtsverhältnis (Globalzession).

Bestimmtheitsgrundsatz. Die Forderung muss im Interesse der Rechtssicherheit nach Schuldgrund, Inhalt und Schuldner zweifelsfrei bestimmbar sein.[10] Für künftige Forderungen reicht aus, dass diese Voraussetzungen im Zeitpunkt der Entstehung der Forderung erfüllt sind.[11] Insbesondere bei der Globalzession muss nicht jede Forderung einzeln bezeichnet werden, wenn eindeutig ist, dass alle Forderungen aus einem bestimmten Zeitraum oder aus bestimmten Geschäftsbeziehungen abgetreten werden sollen.[12]

Grundsatz: kein gutgläubiger Erwerb von Forderungen. Besteht die Forderung nicht oder ist der Zedent nicht Inhaber der Forderung – etwa weil er sie bereits abgetreten hat – kommt ein gutgläubiger Erwerb durch den vermeintlichen Neugläubiger grundsätzlich nicht in Betracht.[13] Anders als beim Erwerb eines dinglichen Rechts an einer beweglichen Sache (§§ 932 ff. BGB) oder an Grundstücken (§ 892 BGB) fehlt es hier an einem Rechtsscheinsträger wie dem Besitz (§ 1006 BGB) oder dem Grundbuch, auf den der Neugläubiger vertrauen darf. Bei einer mehrfachen Abtretung derselben Forderung greift nur die erste (Prioritätsprinzip); alle nachfolgenden gehen ins Leere.[14] Ausnahmsweise kann eine Forderung gutgläubig erworben werden, sofern über sie eine Urkunde ausgestellt wurde, die als Rechtsscheinsträger fungiert. § 405 BGB ermöglicht aber nur den Erwerb trotz der Einwendung des § 117 BGB oder eines Abtretungsausschlusses gem. § 399 Fall 2 BGB, nicht in sonstigen Fällen fehlender Forderungsinhaberschaft. Eine solche Möglichkeit besteht nur, wenn der Abtretende durch einen Rechtsscheinsträger legitimiert wird (bspw. § 2366 BGB).[15]

1.2.2 Übertragbarkeit der Forderung / Kein Ausschluss der Abtretung

Die Abtretbarkeit kann durch Sondervorschriften ausgeschlossen sein (bspw. § 613 Satz 2, § 664 Abs. 2 BGB). Weiterhin kommt ein Ausschluss gem. § 399 oder § 400 BGB in Betracht.

§ 399 Fall 1 BGB: Ausschluss bei Inhaltsänderung. Eine Inhaltsänderung der Forderung durch die Abtretung kommt insbesondere in Betracht bei höchstpersönlichen Ansprüchen, die auf die Person des Gläubigers zugeschnitten sind (bspw. Urlaubsanspruch, § 1 BUrlG),[16] ebenso bei einem Anspruch auf Befreiung von einer Verbindlichkeit (bspw. § 257 BGB): dieser kann ohne Inhaltsänderung nur an den Gläubiger dieser Verbindlichkeit abgetreten werden.[17]

§ 399 Fall 2 BGB: Vertraglicher Abtretungsausschluss (pactum de non cedendo). Schuldner und Gläubiger können vereinbaren, dass eine Forderung nicht abtretbar sein soll. Nach h.M. hat diese Vereinbarung absolute, nicht bloß relative Wirkung.[18] Zwei Ausnahmen von der Unwirksamkeit der Abtretung in solchen Fällen begründet § 354a HGB.

Auf einen Ausschluss der Abtretbarkeit gem. § 399 Fall 2 BGB kann sich der Schuldner gem. § 405 Fall 2 BGB nur bei Kenntnis des Zessionars berufen. Gem. § 851 Abs. 2 ZPO wirken Abreden im Sinne des § 399 Fall 2 BGB nicht zu Lasten von Vollstreckungsgläubigern.

Einer vereinbarungswidrigen Verfügung kann der Schuldner zustimmen, da § 399 Fall 2 BGB nur ihn schützt.[19] Die neuere Rechtsprechung und herrschende Lehre (h.L.) hält die Zustimmung für einen Abänderungsvertrag mit Wirkung bloß für die Zukunft.[20] Auch wenn die Abtretung ausdrücklich von der Genehmigung des Schuldners abhängig gemacht wurde, soll diese nicht zurückwirken.[21] Eine ältere Ansicht billigt der Zustimmung des Schuldners entsprechend § 185 Abs. 2 Satz 1 Fall 1, § 184 Abs. 1 BGB Rückwirkung zu auf den Zeitpunkt der Abtretung. Bei mehrfacher Abtretung soll diejenige wirksam werden, der der Schuldner zuerst zustimmt; dies kann auch die spätere Abtretung sein.[22] Bedeutsam wird dieser Streit bei der Frage, ob zwischen Abtretung und Zustimmung vorgenommene Verfügungen oder Pfändungen wirksam bleiben oder nicht.

§ 400 BGB: Unpfändbare Forderungen. Soweit eine Forderung nicht pfändbar ist, kann sie auch nicht abgetreten werden. Dies dient zum einen dem Schutz des Existenzminimums des Gläubigers, zum anderen auch dem Schutz der Allgemeinheit: der Gläubiger soll sich seines eigenen Vermögen insoweit nicht entledigen können, als er dann auf staatliche Unterstützung angewiesen ist.[23] Daher ist § 400 BGB zwingend und der Schuldner kann auf seinen Schutz nicht verzichten.[24] Die Pfändbarkeit ist geregelt in §§ 850 ff. ZPO.

 

2. Wirkungen der Abtretung

2.1 Übergang der Forderung auf den neuen Gläubiger, § 398 Satz 2 BGB

Die Abtretung führt zum Übergang der Forderung vom Zedenten auf den Zessionar in der Form, in der sie zum Zeitpunkt der Abtretung besteht, § 398 S.2 BGB. Anders als bei einer Vertragsübernahme bleibt der Zedent Vertragspartner des Schuldners und kann ihm gegenüber die Einrede des § 320 BGB geltend machen.[25] Er bleibt auch empfangszuständig für die Gestaltungserklärungen des Schuldners aus einem gegenseitigen Vertrag.[26]

Bei der Vorausabtretung kann der Zessionar die Forderung erst bei ihrer Entstehung erwerben. Ob die Gläubiger des Zedenten in dessen Insolvenz auf die Forderung zugreifen können und ob dem Zessionar schon vor Forderungsentstehung eine Prozessführungsbefugnis zusteht, richtet sich danach, ob die vorausabgetretene Forderung direkt in der Person des Zessionars entsteht (Direkterwerb) oder zunächst für eine logische Sekunde in der Person des Zedenten (Durchgangserwerb). Überwiegend[27] wird danach unterschieden, ob mit der Abtretung bereits eine bestehende Rechtsposition (Anwartschaft) übertragen werden konnte (bspw. bei aufschiebend bedingten Forderungen), oder ob dies gerade nicht der Fall ist. Bei Übertragung einer Anwartschaft soll ein Direkterwerb vorliegen, sonst ein Durchgangserwerb.

2.2 Übergang von Neben- und Vorzugsrechten, § 401 BGB

Ausdrücklich in § 401 BGB genannt sind Hypotheken und Pfandrechte sowie Bürgschaften. Da diesen Rechten gemeinsam ist, dass sie abhängig von der Forderung sind (Akzessorietät), wird diese Vorschrift analog auf andere akzessorische Sicherheiten angewandt, insbesondere auf die Vormerkung (§§ 883 ff. BGB).[28] Ebenso gehen unselbstständige Hilfsansprüche wie bspw. Auskunftsansprüche über.[29]

Bezüglich der Gestaltungsrechte, die dem Zedenten hinsichtlich der Forderung zustanden, ist nach h.M. zu unterscheiden:[30] dienen diese nur zur Durchsetzung der Forderung (bspw. Fälligkeitskündigung, Wahlrecht des Gläubigers), sollen sie entsprechend § 401 BGB mit der Forderung übergehen.[31] Betreffen sie aber auch die verbliebene Position des Zedenten (bspw. §§ 346 ff. BGB nach Erklärung des Rücktritts), sollen sie diesem oder beiden Gläubigern zur gemeinsamen Ausübung zustehen.[32] Ihr Übergang kann allerdings gesondert vereinbart werden.[33]

Keine Anwendung findet § 401 BGB auf fiduziarische Sicherungsrechte wie Sicherungsgrundschuld, –übereignung oder –zession. Diese sind zum einen nicht akzessorisch zur Forderung; zum anderen ist der Gläubiger im Innenverhältnis zum Sicherungsgeber gebunden, sodass diese Vertrauensstellung dem automatischen Personenwechsel entgegensteht.[34] Allerdings kann aus dem zugrunde liegenden Kausalverhältnis für den Zedenten die schuldrechtliche Pflicht bestehen, solche Rechte ebenfalls zu übertragen.[35]

2.3 Pflichten des Zedenten, §§ 402, 403 BGB

Der Zedent ist verpflichtet, dem Zessionar die nötige Auskunft zu erteilen und die erforderlichen Urkunden zu übergeben (§ 402 BGB). Er hat außerdem auf Verlangen eine öffentlich beglaubigte Urkunde über die Abtretung auszustellen (§ 403 BGB).

 

3. Schuldnerschutz

Die §§ 404, 406 ff. BGB dienen dem Schutz des Schuldners. Grundgedanke dieser Regelungen ist, dass sich die Rechtsstellung des Schuldners nicht durch die Abtretung verschlechtern darf, da er an ihr nicht mitwirken, von ihr nicht einmal Kenntnis haben muss.

3.1 Erhalt von Einwendungen und Einreden aus dem Ursprungsschuldverhältnis, § 404 BGB

Da die Forderung so übergeht, wie sie beim Zedenten bestand (§ 398 Satz 2 BGB), geht sie mit allen Verteidigungsrechten über, die der Schuldner bereits dem Altgläubiger entgegenhalten konnte. § 404 BGB gilt daher auch für Einreden.[36] Einzig auf § 117 BGB kann sich der Schuldner im Fall des § 405 BGB nicht berufen (s.o.).

§ 404 BGB gilt zunächst für solche Einwendungen/Einreden, deren Voraussetzungen bei der Abtretung vorlagen (bspw. Nichtigkeitsgründe bzgl. der Forderung; Verjährung; Erfüllung, auch durch Aufrechnung). Es reicht aber auch aus, wenn die Einwendung/Einrede zur Zeit der Abtretung nur „begründet“ ist, das heißt dem Grunde nach angelegt ist in dem Ursprungsschuldverhältnis,[37] selbst wenn alle Voraussetzungen erst nach der Abtretung vorliegen (bspw. wenn bei Gestaltungsrechten die Erklärung fehlt). Bei mehrfacher Abtretung kann der Schuldner dem nachfolgenden Zessionar gem. § 404 BGB auch Einwendungen/Einreden entgegenhalten, die er aus dem Verhältnis mit dem vorigen Zessionar erworben hat. Die in der Praxis oft seitens des Zessionars vom Schuldner erbetene Bestätigung der Einredefreiheit ist eng auszulegen, insbesondere kann ein Verzicht auf diesem noch unbekannte Einwendungen/Einreden so nicht konstruiert werden.[38]

3.2 Schutz des Schuldners bei Unkenntnis von der Abtretung, §§ 407, 408 BGB

Hat der Schuldner keine Kenntnis von der Abtretung, muss der Zessionar eine Leistung an den Zedenten sowie ein Rechtsgeschäft mit dem Zedenten die Forderung betreffend gegen sich gelten lassen (bspw. Erlass, Stundung, Aufrechnung), § 407 Abs. 1 BGB. Ist nach Abtretung, aber vor Kenntnis des Schuldners hiervon über die Forderung ein Rechtsstreit zwischen Zedenten und Schuldner anhängig geworden, muss der Zessionar auch ein rechtskräftiges Urteil zugunsten des Schuldners gegen sich gelten lassen, § 407 Abs. 2 BGB.[39] Die Unkenntnis des Schuldners wird vermutet; fahrlässige Unkenntnis schadet nicht (§ 407 Abs. 1 und 2 BGB a.E.).

Auf Urteile oder Handlungen zu Lasten des Schuldners jedoch (bspw. Kündigung, Hemmung der Verjährung) kann sich der Zessionar nicht berufen („gegen sich gelten lassen“, § 407 Abs. 1 und 2 BGB). Da die Vorschrift allein den Schutz des Schuldners bewirken soll, kann er auf ihre Wirkung verzichten; beispielsweise kann es für ihn günstig sein, seine Leistung vom Zedenten zurückzufordern, um mit einer Forderung, die er gegen den insolventen Zessionar hat, gegen die abgetretene Forderung aufzurechnen.[40]

Die Grundsätze gelten auch bei mehrfacher Abtretung oder gerichtlicher Überweisung einer bereits abgetretenen Forderung an einen Dritten, wenn der Schuldner keine Kenntnis vom zeitlich früheren Forderungsübergang hat (§ 408 BGB). Bei bloßer Unkenntnis über die tatsächliche Reihenfolge der Abtretungen schützt § 408 BGB den guten Glauben des Schuldners jedoch nicht.[41]

3.3 Schutz bei Abtretungsanzeige bzw. bis zur Abtretungsanzeige, §§ 409, 410 BGB

Wird dem Schuldner die Abtretung angezeigt, muss er auf die Richtigkeit der Anzeige vertrauen können. Die Anzeige kann auf zwei Arten erfolgen: entweder stammt sie – mündlich[42] oder schriftlich – vom Zedenten, oder der Zessionar legt dem Schuldner eine vom Zedenten ausgestellte Urkunde über die Abtretung vor. Der Schuldner darf dann befreiend an den leisten, der ihm als neuer Gläubiger benannt ist, sowie Rechtshandlungen ihm gegenüber vornehmen. Nach überwiegender Ansicht soll es für diese Wirkung nicht auf die Gutgläubigkeit des Schuldners ankommen, der sich sogar bei positiver Kenntnis von der Unwirksamkeit der Abtretung auf die Abtretungsanzeige berufen können soll.[43] Die Gegenansicht hält dies für zu weit gehend und beschränkt den Schutz des § 409 Abs. 1 BGB auf die Fälle, in denen es dem Schuldner wirklich auf die Tilgung seiner Verbindlichkeit ankommt.[44]

Der Zedent kann Leistung an sich selbst nur dann verlangen, wenn derjenige, der in der Anzeige als Zessionar genannt ist, der Rücknahme der Anzeige zustimmt (§ 409 Abs. 2 BGB). Darauf kann der Zedent allerdings einen Anspruch aus § 812 BGB haben.

§ 410 Abs. 1 BGB gewährt dem Schuldner ein Leistungsverweigerungsrecht bis zum urkundlichen Nachweis über die Abtretung durch den Zessionar. Bis dahin darf er aus diesem Grund dessen Mahnung oder Kündigung unverzüglich zurückweisen; es sei denn, der Zedent hat dem Schuldner die Abtretung – schriftlich – angezeigt.[45] Der Schuldner muss also nicht ohne den Schutz des § 409 BGB leisten.

3.4 Schuldnerschutz im Rahmen der Aufrechnung, § 406 BGB

Unproblematisch aufrechnen kann der Schuldner gegenüber dem Zessionar mit einer Forderung, die ihm gegen diesen zusteht. § 406 BGB betrifft die Fälle, in denen ihm die Aufrechnung mit einer Forderung gegen den Zedenten ermöglicht werden soll, wenn also die in § 387 BGB geforderte Gegenseitigkeit nicht gegeben ist. § 406 BGB gilt nur für eine Aufrechnung, die in Kenntnis der Abtretung vorgenommen wird; sie ist gegenüber dem Zessionar zu erklären. Für Aufrechnungen, die bereits vor der Abtretung gegenüber dem Zedenten erklärt worden sind, gilt § 404 BGB; für Aufrechnungen in Unkenntnis von der Abtretung gilt § 407 BGB.

§ 406 BGB hilft über die fehlende Gegenseitigkeit der Forderungen hinweg. Der Schuldner ist schutzwürdig, wenn er hoffen durfte, mit seiner Gegenforderung gegen die abgetretene (Haupt-)Forderung aufrechnen zu können.[46] Entscheidend ist der Zeitpunkt, zu dem er Kenntnis von der Abtretung erhält.

Wusste er schon bei Erwerb der Gegenforderung von der Abtretung, kann er dem Zessionar gegenüber nicht aufrechnen (§ 406 Hs. 2 Alt. 1 BGB). Dann musste er sich bewusst sein über die fehlende Gegenseitigkeit der Forderungen.[47]

Ist die Gegenforderung des Schuldners erst nach dessen Kenntnis von der Abtretung und später als die abgetretene Hauptforderung fällig geworden, kann der Schuldner dem Zessionar gegenüber ebenfalls nicht aufrechnen (§ 406 Hs. 2 Alt. 2 BGB). Bei pünktlicher Erfüllung seiner Verbindlichkeit hätte der Schuldner ja auch dem Zedenten gegenüber nicht mit seiner noch nicht fälligen Gegenforderung aufrechnen können.[48]

Im Umkehrschluss bleibt der Schuldner zur Aufrechnung befugt, wenn zu dem Zeitpunkt, zu dem er von der Abtretung Kenntnis erhält, bereits eine Aufrechnungslage iSd § 389 BGB gegeben war – § 406 BGB hilft über die fehlende Gegenseitigkeit der Forderungen hinweg. Er bleibt auch berechtigt, wenn sich für ihn ohne die Abtretung bei der im Zeitpunkt der Kenntniserlangung gegebenen Rechtslage eine Aufrechnungslage entwickelt hätte, weil seine Gegenforderung vor oder mit der abgetretenen Hauptforderung zusammen fällig geworden wäre.[49]

 

4. Spezialfälle der Abtretung

4.1 Sicherungsabtretung

Hier dient die Forderung zur Sicherung eines Bar- oder Warenkredits. Kausalgeschäft ist eine Sicherungsabrede, die in der Regel den Zessionar (Sicherungsnehmer) im Innenverhältnis verpflichtet, die Forderung nur im Sicherungsfall zu verwerten und bei Rückzahlung des Kredits rückabzutreten. Für größere Kredite in der Praxis relevant ist die sog. Sicherungsglobalzession, bei der alle Forderungen des Zedenten gegen Drittschuldner oder zumindest alle aus bestimmten Geschäftsbeziehungen an den Zessionar abgetreten werden. Oft erfolgt die Sicherungsabtretung als sog. stille Zession: der Zedent tritt die Forderung ab, wird aber zugleich vom Zessionar zur Einziehung ermächtigt.[50]

4.2 Verlängerter Eigentumsvorbehalt

Hier gestattet der Eigentumsvorbehaltsverkäufer seinem Käufer, die Kaufsache weiterzuveräußern und auch das Eigentum daran zu übertragen; im Gegenzug lässt er sich im Voraus die Forderungen aus der Weiterveräußerung abtreten.

4.3 Inkassozession

Die Forderung wird vom Zedenten übertragen, damit der Zessionar sie für ihn einzieht. Anders als bei der Einziehungsermächtigung[51] wird der Zessionar hier Inhaber der Forderung und ist nur im Innenverhältnis durch die Inkassoabrede dem Zedenten verpflichtet.

4.4 Factoring

Bei dieser gesetzlich nicht geregelten Konstruktion überträgt der Gläubiger Forderungen an einen Factor, der ihm den Gegenwert abzüglich einer Risikopauschale zur Verfügung stellt. Das unechte Factoring, bei dem dieser Austausch im Falle der Uneintreibbarkeit der Forderung rückgängig gemacht wird, wird allgemein als Darlehensgeschäft, das echte Factoring, bei dem eine Rückabwicklung ausgeschlossen ist, als Forderungskauf eingeordnet.[52] In beiden Fällen ist das Factoring das abstrakte Kausalgeschäft, das durch die Abtretung erfüllt wird.

 

5. Vertiefende Literatur

Larenz, Schuldrecht Band I Allgemeiner Teil, 14. Auflage 1987, §§ 33, 34.

Ahcin / Armbrüster, Grundfälle zum Zessionsrecht, JuS 2000, 450 ff., 549 ff., 658 ff., 768 ff., 865 ff., 965 ff.

Haertlein, Die Rechtsstellung des Schuldners einer abgetretenen Forderung, JuS 2007, 1073 ff.

Bacher, Aufrechnung gegenüber abgetretenen Forderungen, JA 1992, 200 ff., 234 ff.

Eidenmüller, Die Dogmatik der Zession vor dem Hintergrund der internationalen Entwicklung, AcP 204 (2004), 457 ff.

 

 


[1] Ausführlich Larenz, Schuldrecht Band I AT, 14. Aufl. 1987, § 33 I, II.

[2] Ahcin/Armbrüster, Grundfälle zum Zessionsrecht, JuS 2000, 450 (452).

[3] Larenz, Schuldrecht Band I AT, 14. Aufl. 1987, § 34 Abs. 2, 583.

[4] G. Lüke, Grundfragen des Zessionsrechts, JuS 1995, 90.

[5] Ahcin/Armbrüster, Grundfälle zum Zessionsrecht, JuS 2000, 450, 452 ff.; Looschelders, Schuldrecht AT, 10. Aufl. 2012, Rn. 1091.

[6] Brox/Walker, Allgemeines Schuldrecht, 36. Aufl. 2012, § 34, Rn. 9.

[7] Looschelders, Schuldrecht AT, 10. Aufl. 2012, Rn. 1123.

[8] Palandt/Grüneberg, 72. Aufl. 2013, § 398, Rn. 10; Larenz, Schuldrecht Band I AT, 14. Aufl. 1987, § 34 Abs. 1, 579; a.A. MüKomm/Roth Band 2, 2012, § 398, Rn. 65.

[9] Palandt/Grüneberg, 72. Aufl. 2013, § 398, Rn. 11 mwN.

[10] Looschelders, Schuldrecht AT, 10. Aufl. 2012, Rn. 1097 ff.; zu den verschiedenen Konstellationen Palandt/Grüneberg, 72. Aufl. 2013, § 398, Rn. 14 ff.

[11] Medicus/Lorenz, Schuldrecht I AT, 20. Aufl. 2012, Rn. 755.

[12] Looschelders, Schuldrecht AT, 10. Aufl. 2012, Rn. 1099: Nicht ausreichend ist die Abtretung aller Forderungen bis zu einer bestimmten Summe, da bei deren Überschreiten nicht klar ist, welche Forderungen beim Zedenten verbleiben sollen.

[13] Medicus/Lorenz, Schuldrecht I AT, 20. Aufl. 2012, Rn. 758.

[14] Lorenz, Grundwissen – Zivilrecht: Abtretung, JuS 2009, 891 (892).

[15] Ausführlich Thomale, Der gutgläubiger Forderungserwerb im BGB, JuS 2010, 857 ff.

[16] Übersicht bei Palandt/Grüneberg, 72. Aufl. 2013, § 399, Rn. 4 ff.

[17] Looschelders, Schuldrecht AT, 10. Aufl. 2012, Rn. 1103.

[18] Vgl. nur BGH NJW 1991, 559; Palandt/Grüneberg, 72. Aufl. 2013, § 399, Rn. 12; Nomos-Kommentar BGB SchuldR/Kresse, B. Eckardt, Band 2, 12. Aufl. 2012, § 399, Rn. 12; Staudinger/Busche, 2012, § 399, Rn. 65; a.A. Erman/H.P. Westermann, 13. Aufl. 2011, § 399, Rn. 3a; Scholz, Die verbotswidrige Abtretung, NJW 1960, 1837.

[19] Palandt/Grüneberg, 72. Aufl. 2013, § 399, Rn. 12; Staudinger/Busche, 2012, § 399, Rn. 63.

[20] BGH NJW 1978, 813; Larenz, Schuldrecht Band I AT 14. Aufl. 1987, § 34 Abs. 2, 581f.; Palandt/Grüneberg 72. Aufl. 2013, § 399, Rn. 12; Staudinger/Busche, 2012, § 399, Rn. 63 mwN.

[21] BGH NJW 1990, 109; a.A. MüKomm/Roth, Band 2, 2012, § 399, Rn. 38.

[22] BGH NJW 1964, 243, 244, Medicus/Lorenz, Schuldrecht I AT, 20. Aufl. 2012, Rn. 761.

[23] Zur teleologischen Reduktion des § 404 BGB bei ausreichender Gegenleistung vgl. Ahcin/Armbrüster, Grundfälle zum Zessionsrecht, JuS 2000, 549 (552).

[24] Brox/Walker, Allgemeines Schuldrecht, 36. Aufl. 2012, § 34, Rn. 13.

[25] Palandt/Grüneberg, 72. Aufl. 2013, § 398, Rn. 21; ausführlich Larenz, Schuldrecht Band I AT, 14. Aufl. 1987, § 34 Abs. 1, 577f.

[26] Ausführlich Köhler, Forderungsabtretung und Ausübung von Gestaltungsrechten, JZ 1986, 516 (518); ist der Schuldner an einer Mitteilung ihm gegenüber gehindert, kann er gem. § 132 Abs. 2 BGB vorgehen oder analog § 770 Abs. 1 BGB gegenüber dem Zessionar die Einrede der Gestaltbarkeit erheben.

[27] Ausführlich Larenz, Schuldrecht Band I AT 14. Aufl. 1987, § 34 Abs. 3, 585 f.; Medicus/Lorenz, Schuldrecht I AT, 20. Aufl. 2012, Rn. 756; vgl. auch Palandt/Grüneberg, 72. Aufl. 2013, § 398, Rn. 12 mwN zum Streitstand; Nomos-Kommentar BGB SchuldR/Kresse, B. Eckardt, Band 2, 12. Aufl. 2012, § 398, Rn. 16.

[28] Palandt/Grüneberg, 72. Aufl. 2013, § 401, Rn. 2; MüKomm/Roth, Band 2, 2012, § 401, Rn. 7 ff.

[29] G. Lüke, Grundfälle des Zessionsrechts, JuS 1995, 90 (92); Beispiele in Nomos-Kommentar BGB, SchuldR/Kresse, B. Eckardt, Band 2, 12. Aufl. 2012, § 401, Rn. 5 ff.

[30] Ausführlich MüKomm/Roth, Band 2, 2012, § 398, Rn. 97 ff.; sowie Staudinger/Busche, 2012, § 413, Rn. 10 ff. jeweils mwN zu den jeweiligen Streitständen.

[31] Staudinger/Busche, 2012, § 401, Rn. 35.

[32] Medicus/Lorenz, Schuldrecht I AT, 20. Aufl. 2012, Rn. 752; zum Rücktrittsrecht vgl. BGH NJW 1985, 2640; zum Minderungsrecht BGHZ 95, 250; zum Nachbesserungsanspruch BGHZ 96, 146; vertiefend Pick, Einwendungen beim gegenseitigen Vertrag nach Abtretung, AcP 172 (1972), 39.

[33] MüKomm/Roth, Band 2, 2012, § 398, Rn. 98; Looschelders, Schuldrecht AT, 10. Aufl. 2012, Rn. 1106 mwN.

[34] Medicus/Lorenz, Schuldrecht I AT, 20. Aufl. 2012, Rn. 756.

[35] Looschelders, Schuldrecht AT, 10. Aufl. 2012, Rn. 1112.

[36] Vgl. nur Palandt/Grüneberg, 72. Aufl. 2013, § 404, Rn. 2.

[37] BGH NJW 1957, 1553 (1554).

[38] Palandt/Grüneberg, 72. Aufl. 2013, § 404, Rn. 7; BGH NJW 1983, 1904.

[39] Erfolgt die Abtretung während des anhängigen Prozesses, gilt nicht § 407 BGB, sondern §§ 265, 325 ZPO.

[40] Medicus/Lorenz, Schuldrecht I AT, 20. Aufl. 2012, Rn. 779; Nomos-Kommentar BGB SchuldR/Kresse, B. Eckardt, Band 2, 12. Aufl. 2012, § 407, Rn. 15.

[41] BGHZ 100, 36 (46 ff.), Anm. K. Schmidt, JuS 1987, 911 ff.

[42] Palandt/Grüneberg, 72. Aufl. 2013, § 409, Rn. 2.

[43] Larenz, Schuldrecht Band I AT 14. Aufl. 1987, § 34 Abs. 4, 593; differenzierend: MüKomm/Roth, Band 2, 2012, § 409 Rn. 12; Palandt/Grüneberg, 72. Aufl. 2013, § 409, Rn. 5.

[44] Nomos-Kommentar BGB SchuldR/Kresse, B. Eckardt, Band 2, 12. Aufl. 2012, § 409, Rn. 6; Staudinger/Busche 2012, Rn. 29; Karollus, Unbeschränkter Schuldnerschutz nach § 409 BGB?, JZ 1992, 557; Rieke, Zum Schutz des Schuldners nach § 409 Abs. 1 BGB, NJW 1959, 1415.

[45] Siehe auch § 174 BGB für die Vollmacht.

[46] Looschelders, Schuldrecht AT, 10. Aufl. 2012, Rn. 1126.

[47] Nach h.M. gilt dies auch für den Fall der Vorausabtretung, vgl. Ahcin/Armbrüster, Grundfälle zum Zessionsrecht, JuS 2000, 658 (661).

[48] BGH NJW 1996, 1056 (1058).

[49] Palandt/Grüneberg, 72. Aufl. 2013, § 406, Rn. 5.

[50] Staudinger/Busche, 2012, Einl. zu §§ 398 ff., Rn. 28.

[51] Zur Einziehungsermächtigung vertiefend: Larenz, Schuldrecht Band I AT, 14. Aufl. 1987, § 34 V (S. 597); Staudinger/Busche, 2012, Einl. zu §§ 398 ff., Rn. 107 ff.

[52] Jork, Factoring, verlängerter Eigentumsvorbehalt und Sicherungsglobalzession in Kollisionsfällen, JuS 1994, 1019 (1022).

22.02.2013/3 Kommentare/von Gastautor
https://www.juraexamen.info/wp-content/uploads/2022/05/je_logo.svg 0 0 Gastautor https://www.juraexamen.info/wp-content/uploads/2022/05/je_logo.svg Gastautor2013-02-22 18:00:252013-02-22 18:00:25Examenswissen auf Wikipedia – Beitrag "Abtretung"
Gastautor

Häufige Fehler in Examensklausuren (Teil 3) – Zivilrecht

Fallbearbeitung und Methodik, Lerntipps, Schon gelesen?, Startseite, Verschiedenes, Zivilrecht

Im letzten Teil seines Beitrags (den ersten Teil findet ihr hier, den zweiten Teil hier) weist unser Gastautor Marvin Granger heute auf typische Fehler in den Klausuren im Zivilrecht hin.

 Zivilrecht:

  1. Eigentumserwerb:

    1. „Der V wollte dem E die Küche schenken. Somit könnte der E gem. § 516 BGB das Eigentum erlangt haben.“

Das ist ein ganz böser Fehler. Wegen des Abstraktionsprinzips wird in Deutschland niemand aufgrund eines schuldrechtlichen Vertrags Eigentümer, sondern immer nur auf der Grundlage eines sachenrechtlichen Vertrags (§ 929 BGB). Also bitte bei einer Übereignung nichts schreiben von Schenkungsvertrag, Kaufvertrag, Darlehensvertrag, Leihvertrag, Mietvertrag oder sonst was! Es geht vielmehr immer nur um die dingliche Einigung i.S.d. § 929 BGB.

    1. „Der E könnte das Eigentum an dem Grundstück gutgläubig gem. §§ 873 I, 925 I, 932 I BGB erworben haben.“

Stimmt, das könnte er. Aber mit Sicherheit nicht nach § 932 I BGB! Diese Vorschrift steht nämlich unter dem Titel „Erwerb und Verlust des Eigentums an beweglichen Sachen“ (Überschrift vor § 929 BGB). Grundstücke lassen sich allerdings – außer bei Erdbeben – nur sehr schwer bewegen. Der gutgläubige Erwerb unbeweglicher Sachen richtet sich nach § 892 I BGB (siehe die Abschnittsüberschrift vor § 873 BGB: „Allgemeine Vorschriften über Rechte an Grundstücken“).

  1. Schadensersatz nach § 280 BGB: Vielfach liest man in Klausuren, dass ein Schadensersatzanspruch nach § 280 I 1 BGB ein vertragliches Schuldverhältnis voraussetze.

Das stimmt so generell nicht, wenngleich in vielen Fällen ein Vertrag vorliegt. § 280 I 1 BGB sagt: „Verletzt der Schuldner eine Pflicht aus dem Schuldverhältnis…“. Von einem Vertrag steht dort keine Silbe. Die Norm geht ganz allgemein von einem Schuldverhältnis aus und davon gibt es bekanntlich zwei Arten: vertragliche und gesetzliche. Schuldverhältnis i.S.d. § 280 I 1 BGB kann folglich auch ein gesetzliches Schuldverhältnis sein (z.B. eine GoA1). Das ergibt sich auch daraus, dass die Regeln über Verträge erst bei § 311 BGB beginnen (Abschnitt 3: „Schuldverhältnisse aus Verträgen“) und somit § 280 BGB eine allgemeinere Norm ist.

Ein weiteres, wohl jedem Studenten bekanntes, gesetzliches Schuldverhältnis, auf welches § 280 I 1 BGB Anwendung findet, ist die sog. culpa in contrahendo (c.i.c.) nach § 311 II, III BGB. Danach sind die Vertragsparteien schon vor Vertragsschluss zur Rücksichtnahme auf die gegenseitigen Interessen gem. § 241 II BGB verpflichtet. Da die Parteien noch keinen Vertrag geschlossen haben, sondern sich allenfalls in Vertragsverhandlungen befinden (§ 311 II Nr. 1 BGB), kann dieses Schuldverhältnis auf keinem Vertrag beruhen. Es existiert, weil das Gesetz – § 311 II BGB – es anordnet.

Auch § 311 III BGB betrifft ein vorvertragliches und damit ein gesetzliches Schuldverhältnis, denn das Gesetz spricht hier davon, dass ein Schuldverhältnis i.S.d. § 241 II BGB auch zu solchen Personen entstehen könne, „die nicht selbst Vertragspartei werden sollen“. Auch hier ist der Vertrag also noch nicht geschlossen, d.h. noch nicht existent.

  1. Veräußerungsverbote: Was manchen Klausurbearbeitern Probleme zu bereiten scheint, ist die Abgrenzung von absoluten und relativen gesetzlichen Veräußerungsverboten. In vielen Lehrbüchern steht, dass man sich unbedingt merken müsse, bei welchen Vorschriften es sich um absolute Veräußerungsverbote handele, die einen gutgläubigen Erwerb ausschlössen.

Die Aufforderung zum Auswendiglernen der entsprechenden Vorschriften aus Lehrbüchern kann man getrost vergessen. Zwar spricht § 135 I 1 BGB von relativen gesetzlichen Veräußerungsverboten, doch diese Vorschrift regelt etwas, das es im BGB gar nicht gibt. Das BGB kennt überhaupt keine gesetzlichen relativen, sondern nur gesetzliche absolute Veräußerungsverbote. § 135 BGB hat daher nur i.V.m. § 136 BGB Bedeutung.2

Ein Verstoß gegen ein gesetzliches Veräußerungsverbot hat wegen seines absoluten Charakters zur Folge, dass ein gutgläubiger Rechtserwerb grds. nicht möglich ist. Das geht nur dann, wenn das Gesetz es (ausnahmsweise) speziell anordnet (wie z.B. § 161 III BGB). Aus dieser Regelungstechnik kann man ebenfalls den Schluss über absolute Veräußerungsverbote ziehen: Wenn das BGB gesetzliche relative Veräußerungsverbote kennen würde, wären die speziellen Anordnungen der Möglichkeit des gutgläubigen Erwerbs überflüssig, weil sich das ganz allgemein schon aus § 135 II BGB ergeben würde.

Merke also einzig: Alle Veräußerungsverbote des BGB sind absoluter Natur.

  1. Drittwiderspruchsklage:

    1. „Die Drittwiderspruchsklage ist statthaft, da es hier um eine Streitigkeit auf dem Gebiet des bürgerlichen Rechts geht.“

Deswegen ist eine Drittwiderspruchsklage (§ 771 ZPO) nicht statthaft. Wenn es lediglich darauf ankäme, dass eine bürgerlich-rechtliche Streitigkeit vorliegt, könnte auch eine beliebige andere Klageart aus der ZPO statthaft sein. Bei der Drittwiderspruchsklage ist das vielmehr genau dann der Fall, wenn die Möglichkeit besteht, dass der klagende Dritte ein die Veräußerung hinderndes Recht an dem Vollstreckungsgegenstand hat3, sodass die Zwangsvollstreckung in diesen Gegenstand nicht stattfinden darf. Zudem muss die Vollstreckung in den Gegenstand schon begonnen haben und darf noch nicht abgeschlossen sein.4

    1. Oft scheint Klausurbearbeitern unbekannt zu sein, was ein „die Veräußerung hinderndes Recht“ i.S.d. § 771 I ZPO ist.

Darunter ist jedes Recht des Dritten zu verstehen, welches dem Schuldner verbieten würde, die Sache, in die vollstreckt wird, selber zu veräußern.

Solche Rechte sind nach h.M. insbesondere Eigentum, Vorbehalts- und Sicherungseigentum sowie Anwartschaftsrechte. Allerdings empfiehlt es sich hier einmal mehr, nicht einen ganzen Katalog von Rechten, also Details, auswendig zu lernen, sondern sich die o.g. Definition zu merken und zu prüfen, ob ein im konkreten Fall infrage kommendes Recht des Dritten dem Schuldner die Veräußerung verbieten würde. Lässt sich das bejahen, stellt dieses Recht ein Veräußerungshindernis i.S.d § 771 I ZPO dar und die Drittwiderspruchsklage ist begründet.

1 Vgl. Heinrichs, in: Palandt, 72. Aufl., München 2013, § 280, Rn. 9. Bei einer unberechtigten GoA, d.h. einer GoA, die nicht im Einklang mit dem Interesse und dem wirklichen oder mutmaßlichen Willen des Geschäftsherrn steht, ergibt sich der Schadensersatzanspruch allerdings speziell aus § 678 BGB.

2 Siehe Kurt Schellhammer, Schuldrecht nach Anspruchsgrundlagen samt BGB Allgemeiner Teil, 8. Aufl., Heidelberg 2011, Rn. 2396; Dörner, in: Schulze, Bürgerliches Gesetzbuch, Handkommentar, 7. Aufl., Baden-Baden 2012, § 136, Rn. 4. Absolute gesetzliche Veräußerungsverbote i.S.d. § 135 BGB gibt es aber in anderen Gesetzen; s. hierzu Ellenberger, in: Palandt (Fn. 7), § 136, Rn. 2 m.w.N.

3 Vgl. Brox/Walker, Zwangsvollstreckungsrecht, 9. Aufl., München 2011, Rn. 1402.

4 Vgl. Wolfgang Lüke, Zivilprozessrecht, Erkenntnisverfahren, Zwangsvollstreckung, Europäisches Zivilverfahrensrecht, 10. Aufl., München 2011, Rn. 603.

23.01.2013/3 Kommentare/von Gastautor
https://www.juraexamen.info/wp-content/uploads/2022/05/je_logo.svg 0 0 Gastautor https://www.juraexamen.info/wp-content/uploads/2022/05/je_logo.svg Gastautor2013-01-23 10:13:562013-01-23 10:13:56Häufige Fehler in Examensklausuren (Teil 3) – Zivilrecht
Gastautor

Häufige Fehler in Klausuren (Teil 2) – Öffentliches Recht

Fallbearbeitung und Methodik, Lerntipps, Öffentliches Recht, Schon gelesen?, Startseite, Verschiedenes

Im zweiten Teil seines Beitrags (den ersten Teil findet ihr hier) weist unser Gastautor Marvin Granger heute auf typische Fehler in den Klausuren im Öffentlichen Recht hin.
 

I. Öffentliches Recht:

  1. Verfahren vor dem BVerfG: Vorsicht mit den Formulierungen in der Zulässigkeit! Häufig liest man Begriffe wie „Klagegegenstand“, „Klagebefugnis“ etc.

Vor dem BVerfG gibt es (von der Präsidentenanklage abgesehen) keine Klageverfahren, sondern laut dem BVerfGG Beschwerde- und Antragsverfahren. Dementsprechend muss man jeweils die Terminologie wählen, also „Beschwerdegegenstand/Antragsgegenstand“, „Beschwerdebefugnis/Antragsbefugnis“ usw.

  1. Zulässigkeit einer Verfassungsbeschwerde:

    1. Wenn sich die Verfassungsbeschwerde gegen ein Gesetz richtet: „Gegen Gesetze steht kein Rechtsweg offen. Daher ist der Rechtsweg erschöpft.“

So eine Formulierung ist schlicht falsch. Zutreffend ist zwar der erste Satz, dass gegen Gesetze (von § 47 VwGO abgesehen geä. d. Red.) kein Rechtsweg offen steht. Das heißt nichts anderes, als dass kein Rechtsweg existiert. Einen Rechtsweg, den es nicht gibt, kann man aber nicht beschreiten, geschweige denn erschöpfen. Es gibt bei Verfassungsbeschwerden gegen Gesetze schlicht kein Rechtswegerschöpfungsgebot. Schreibt also in der Klausur besser: „Gegen Gesetze steht kein Rechtsweg offen, sodass ein solcher nicht zu erschöpfen war.“

Übrigens: Rechtsweg i.S.d. § 90 II 1 BVerfGG ist nur der Rechtsweg zu den Fachgerichten1, nicht jedoch der Rechtsweg zu den Landesverfassungsgerichten2. Auch wenn also eine Verfassungsbeschwerde zu den Landesverfassungsgerichten möglich ist, kann man sofort das BVerfG anrufen (vgl. § 90 III BVerfGG).

    1. „Der Grundsatz der Subsidiarität der Verfassungsbeschwerde ist gewahrt.“

Grundsätze/Regeln kann man nicht wahren, sondern nur beachten oder missachten/verletzen. Schreibt also anstelle des o.g. Satzes zum Beispiel: „Der Grundsatz der Subsidiarität wurde beachtet.“ Oder: „Es wurde nicht gegen den Subsidiaritätsgrundsatz der Verfassungsbeschwerde verstoßen.“

  1. Begründetheit einer Verfassungsbeschwerde:

    1. „Die Verfassungsbeschwerde ist begründet, wenn das angegriffene Gesetz formell oder materiell verfassungswidrig ist.“

Das stimmt nicht. Dieser Obersatz gehört zur (abstrakten oder konkreten) Normenkontrolle. Für die Begründetheit der Verfassungsbeschwerde lautet der richtige Obersatz: „Die Verfassungsbeschwerde ist begründet, soweit der Beschwerdeführer in seinen Grundrechten bzw. grundrechtsgleichen Rechten verletzt ist.“ Dieser Satz gilt unabhängig davon, was der Beschwerdegegenstand ist.

    1. „Die Verfassungsbeschwerde ist begründet, wenn das angegriffene Gesetz gegen das Grundgesetz verstößt. Dabei ist die Prüfung nicht nur auf die Grundrechte des Beschwerdeführers beschränkt, sondern alle in Betracht kommenden Grundrechte sind zu prüfen.“ [Anm.: Der Bearbeiter prüfte sodann konsequent auch die Grundrechte anderer Personen, die überhaupt keine Verfassungsbeschwerde erhoben hatten.]

Das ist nicht richtig. Der Beschwerdeführer kann sich immer nur auf seine eigenen Grundrechte bzw. grundrechtsgleichen Rechte berufen, aber niemals auf die Grundrechte anderer Personen. Daher sind bei der Verfassungsbeschwerde auch nur die Grundrechte des Beschwerdeführers zu prüfen.

Bitte beachtet hier die Parallele zur Beschwerdebefugnis: Diese liegt vor, wenn die Möglichkeit besteht, dass der Beschwerdeführer selbst, d.h. in seinen eigenen Grundrechten, gegenwärtig und unmittelbar betroffen ist. In der Begründetheit geht es darum, festzustellen, ob der Beschwerdeführer tatsächlich in seinen Grundrechten verletzt ist. Dies gilt i.Ü. für alle Klagen (nicht nur vor dem BVerfG), sofern sie eine Klagebefugnis voraussetzen: In der Klagebefugnis geht es um die Möglichkeit einer Verletzung der Rechte des Klägers, in der Begründetheit um die tatsächliche Rechtsverletzung (vgl. etwa § 42 II und § 113 I 1 VwGO).

Bei Leistungsklagen gilt dies entsprechend.

Klagebefugnis: Der Kläger hat möglicherweise einen Anspruch.

Begründetheit: Der Kläger hat tatsächlich den Anspruch (oder er hat ihn tatsächlich nicht).

    1. Wichtig ist auch zu definieren, wann ein Grundrecht verletzt ist, nämlich: „Ein Grundrecht ist verletzt, wenn sein Schutzbereich eröffnet ist und der Staat ungerechtfertigt darin eingegriffen hat.“

Daraus folgt, dass nicht jeder Grundrechtseingriff eine Grundrechtsverletzung darstellt, sondern das nur dann der Fall ist, wenn für den Eingriff keine Rechtfertigung vorliegt. Bevor man dies geprüft hat, sollte man daher bloß von „Grundrechtsbetroffenheit“ o.Ä. sprechen. Dies gilt auch, wenn man keine Verfassungsbeschwerde, sondern z.B. eine verwaltungsrechtliche Klage prüft.

    1. „Das BVerfG ist keine Superrevisionsinstanz und prüft daher nur die Verletzung spezifischen Verfassungsrechts.“

Das ist im Grundsatz zwar richtig, spielt aber nur bei Urteilsverfassungsbeschwerden eine Rolle. Deswegen ist der o.g. Satz auch nur bei solchen zu schreiben, nicht hingegen bei Verfassungsbeschwerden gegen Gesetze oder Handlungen der Exekutive.

Der Grund dafür ist, dass das BVerfG nicht prüft, ob die Fachgerichte, deren Urteile nun mit der Verfassungsbeschwerde angefochten werden, das Fachrecht (z.B. BGB, StGB) korrekt angewendet haben. Dies ist vielmehr nach ständiger Rechtsprechung des BVerfG allein die Aufgabe der Fachgerichte. Deswegen ist das Verfassungsgericht auch keine Superrevisionsinstanz; eine Revision gegen die falsche Anwendung des Fachrechts findet nicht statt. Das BVerfG prüft ausschließlich, ob die Fachgerichte bei ihrer Urteilsfindung die Grundrechtsrelevanz des Falles entweder komplett verkannt haben oder ob sie sie zwar gesehen, die Grundrechte des (jetzigen) Beschwerdeführers aber nicht hinreichend berücksichtigt haben. Dies wäre eine Verletzung des sog. spezifischen Verfassungsrechts (Grundrechte), die das BVerfG nunmehr prüft.

  1. Grundrechtsprüfung:

    1. Bei der Prüfung, ob der Staat in ein Grundrecht eingegriffen hat, werden gelegentlich der klassische und der moderne Eingriffsbegriff vermischt. Oft wird auch mit der Prüfung des klassischen Eingriffs begonnen und nach dessen – u.U. langwierigen – Verneinung mit dem modernen Eingriff fortgefahren.

Diese Vorgehensweise ist unklug, denn der klassische Eingriffsbegriff ist deutlich enger als der moderne. Beide Begriffe müssen voneinander getrennt werden. Für einen Grundrechtseingriff im klassischen Sinn ist erforderlich eine

      • rechtsförmige,

      • unmittelbare,

      • finale und

      • imperative

Maßnahme.3

Einen Eingriff im modernen Sinn (oft als „Beeinträchtigung“4 bezeichnet) stellt dagegen jede Handlung dar, welche die Ausübung der grundrechtlich gewährten Freiheiten erschwert oder sogar ganz unmöglich macht. Da dies schon ausreicht, um einen Grundrechtseingriff zu bejahen, ist es unnötig und verfehlt, zuvor lang und breit zu diskutieren, ob die strengen Voraussetzungen des klassischen Eingriffsbegriffs erfüllt sind. Das kostet wertvolle Zeit und wird den Korrektor nicht erfreuen. Man ziehe in der Klausur also stets den modernen Eingriffsbegriff heran und prüfe dessen Voraussetzungen. Falls die staatliche Maßnahme auch noch die Kriterien des klassischen Eingriffs erfüllt, kann man dies anschließend in einem Satz kurz feststellen, etwa (neutral formuliert): „… Der Beschwerdeführer ist folglich in seinem Grundrecht beeinträchtigt. Darüber hinaus hat der Hoheitsakt rechtsförmigen, unmittelbaren, finalen und imperativen Charakter, sodass auch ein klassischer Eingriff vorliegt.“

    1. Schwierigkeiten treten gelegentlich auf, wenn es darum geht zu beurteilen, ob und wann ein Grundrecht Sperrwirkung ggü. einem anderen Grundrecht, insbesondere ggü. der allgemeinen Handlungsfreiheit, erzeugt.

Generell gilt auch bei Grundrechten die lex specialis-Regel.5 Ein Grundrecht, das einen spezielleren Schutzbereich hat, verdrängt das allgemeinere Grundrecht. Eine Sperrwirkung – v.a. ggü. Art. 2 I GG – wird erzeugt, wenn das spezielle Grundrecht betroffen ist, d.h. wenn sein Schutzbereich eröffnet ist und ein Eingriff in denselben vorliegt.6 Stellt man bspw. bei der Prüfung der Verletzung der Berufsfreiheit fest, dass der Schutzbereich eröffnet und beeinträchtigt ist, ist Art. 2 I GG gesperrt und darf nicht mehr geprüft werden. Stellt man bei der Prüfung von Art. 12 I GG jedoch fest, dass zwar der Schutzbereich eröffnet ist, jedoch kein Eingriff vorliegt, weil die belastende Maßnahme keine berufsregelnde Tendenz aufweist, ist Art. 2 I GG nicht gesperrt.

Grund für die Sperrwirkung von Grundrechten ist, dass spezielle Grundrechte besondere Rechtfertigungsanforderungen für Eingriffe aufstellen. Diese Anforderungen dürfen nicht ausgehebelt werden. Wenn sich also ein Eingriff in Art. 12 I GG als gerechtfertigt und damit die Berufsfreiheit als nicht verletzt erweist, darf man dieses Ergebnis nicht dadurch umgehen, dass man eine Verletzung der allgemeinen Handlungsfreiheit annimmt.

  1. Grundsatz der Verhältnismäßigkeit:

    1. Nachdem man im Obersatz gesagt hat, dass die staatliche Maßnahme verhältnismäßig sein müsse, muss man definieren, wann sie verhältnismäßig wäre. Diese Definition fehlt leider oft!

Sie lautet: „Eine Maßnahme ist verhältnismäßig, wenn sie zur Erreichung eines legitimen Zieles geeignet, erforderlich und angemessen ist.“

    1. Auch die Definition der Angemessenheit (Verhältnismäßigkeit i.e.S.) fehlt meistens und es wird wild drauflos argumentiert.

Die Definition lautet etwa (neutral formuliert) so: „Die staatliche Maßnahme ist angemessen, wenn eine Interessenabwägung ergibt, dass das Interesse des Staates an der Durchführung dieser Maßnahme das Interesse des Betroffenen an der Unterlassung der Maßnahme überwiegt.“

Diese widerstreitenden Interessen müssen sodann argumentativ gegeneinander abgewogen werden. Die Maßnahme kann z.B. der Erlass einer Abrissverfügung sein. Diese Verfügung (bzw. der dahinter stehende Abriss der baulichen Anlage) ist angemessen, wenn das Interesse der Allgemeinheit an der Beseitigung das Interesse des Bauherrn am Erhalt der Anlage überwiegt.

  1. Gesetzgebungskompetenzen: Manchen Klausurbearbeitern scheint das Verhältnis von geschriebenen und ungeschriebenen Gesetzgebungskompetenzen unbekannt zu sein, v.a. wann man eine Annexkompetenz annehmen darf. Oft wird vorschnell eine ungeschriebene Kompetenz bejaht.

 

Zunächst: Da i.d.R. die Länder gesetzgebungsbefugt sind, kommen geschriebene Gesetzgebungskompetenzen nur für den Bund in Betracht (Art. 70 I GG). Die Kompetenzen der Länder sind folglich stets ungeschrieben, sodass es bei der Abgrenzung von geschriebenen und ungeschriebenen Gesetzgebungszuständigkeiten nur um solche des Bundes geht.

Hierbei sind ungeschriebene Rechtsetzungskompetenzen, zu denen auch Annexkompetenzen zählen, immer nur ein „Notanker“. Das heißt, sie kommen nur dann in Betracht, wenn kein geschriebener Kompetenztitel einschlägig ist. Das muss stets sorgfältig geprüft werden. Erst wenn jede erdenkliche Auslegungsvariante einer Kompetenznorm des Grundgesetzes versagt, um eine – geschriebene – Gesetzgebungskompetenz des Bundes bejahen zu können, darf man überlegen, ob eine ungeschriebene Kompetenz (Annexkompetenz, Kompetenz kraft Natur der Sache, Kompetenz kraft Sachzusammenhangs) infrage kommt. Ist auch dies zu verneinen, sind die Länder gem. Art. 70 I GG zuständig.

Noch einmal kurz und knapp: geschriebene vor ungeschriebenen Kompetenzen!

  1. Gesetzgebungsverfahren: Ebenfalls scheint vielen Bearbeitern nicht klar zu sein, wann und v.a. warum ein Bundesgesetz der Zustimmung des Bundesrats bedarf.

Bundesgesetze sind nur dann zustimmungsbedürftig, wenn das Grundgesetz es ausdrücklich vorschreibt. Dies ist der Fall, wenn durch das Gesetz Interessen der Länder betroffen werden. Damit der Bund den Ländern nicht einseitig Verpflichtungen auferlegen bzw. Rechte entziehen kann, müssen die Länder sich damit einverstanden erklären. Das ist eine wichtige Konsequenz aus dem Föderalismusprinzip.

 

1 Vgl. BVerfGE 110, 226 (245).

2 Vgl. Bethge, in: Maunz/Schmidt-Bleibtreu/Klein/Bethge, Bundesverfassungsgerichtsgesetz, Kommentar, Stand: Juli 2012 (38. EL), § 90, Rn. 428.

3 Vgl. BVerfGE 105, 279 (300).

4 Vgl. BVerfGE 105, 279 (301).

5 Siehe Sodan/Ziekow, Grundkurs Öffentliches Recht, Staats- und Verwaltungsrecht, 5. Aufl., München 2012, § 25, Rn. 2.

6 Vgl. Volker Epping, Grundrechte, 4. Aufl., Berlin/Heidelberg 2010, Rn. 576 f.

21.01.2013/7 Kommentare/von Gastautor
https://www.juraexamen.info/wp-content/uploads/2022/05/je_logo.svg 0 0 Gastautor https://www.juraexamen.info/wp-content/uploads/2022/05/je_logo.svg Gastautor2013-01-21 10:31:482013-01-21 10:31:48Häufige Fehler in Klausuren (Teil 2) – Öffentliches Recht
Gastautor

Häufige Fehler in Klausuren (Teil 1)

Fallbearbeitung und Methodik, Lerntipps, Schon gelesen?, Startseite, Strafrecht, Verschiedenes

Wir freuen uns erneut einen Gastbeitrag unseres Lesers Marvin Granger veröffentlichen zu können. In seinem Beitrag möchte er – aus Sicht des Korrektors – auf häufige und vermeidbare Fehler in der Examensklausur hinweisen. Der heutige erste Beitragsteil umfasst sowohl allgemeine methodische Fehler als auch Fehler aus dem Bereich Strafrecht.
 

Häufige Fehler in Klausuren

 

Seit einigen Wochen bin ich als Korrektor sowohl von Klausuren im Examensklausurenkurs als auch von Semesterabschlussklausuren tätig. Einige Fehler – insbesondere formeller Art – fallen uns immer wieder in Klausuren besonders ins Auge, diese ließen sich aber verhältnismäßig leicht vermeiden. Fehltritte wie die nachstehend aufgeführten sollte man tunlichst vermeiden, denn sie werden einen Korrektor im Zweifel dazu bewegen, die Klausur mit einer schlechteren Note zu bewerten.

Im Anschluss an jedes unten aufgeführte Problem finden sich ggf. begründete Formulierungsvorschläge sowie weiterführende Hinweise.

I. Allgemeines/Methodik:

  1. Floskeln: weglassen!

Sie haben im Gutachten nichts verloren, weil sie nichts aussagen und demnach die Falllösung nicht voranbringen. Ins Gutachten gehören vielmehr nur solche Ausführungen, die die Falllösung fördern. Am besten lasst also Wörter wie „unproblematisch“, „zweifellos“, „eigentlich“, „wohl ja/nein“, „eher ja/nein“ usw. weg und bezieht klar Stellung.

Übrigens: Wenn etwas unproblematisch ist, sollte man kein Fass aufmachen, sondern die Tatsache in ein oder zwei Sätzen mit kurzer Begründung feststellen. Gleiches gilt, wenn das Gesetz eine klare Antwort liefert. Hier ist dann nichts „fraglich“, „problematisch“ oder sonst etwas. Wer hier gutachterlich mit „hätte, müsste, könnte“ prüft, verschwendet wertvolle Zeit und verärgert den Korrektor. Der Gutachtenstil ist nur dort anzuwenden, wo eine eingehende Prüfung erforderlich ist. Sonst bitte kurz halten! Ein Rechtsgutachten soll auf dem kürzesten Weg zu einer vertretbaren Lösung führen. Andernfalls setzt man falsche Schwerpunkte.

  1. Gesetzeszitate: möglichst genau!

Nicht wenige Leute zitieren – wenn überhaupt – Gesetze nur nach Paragrafen bzw. Artikeln, jedoch ohne Absätze, Sätze, Halbsätze, Nummern, Varianten o.Ä. anzugeben. Diese müssen aber unbedingt mitzitiert werden! Das Recht auf Leben und körperliche Unversehrtheit etwa ergibt sich also nicht aus Art. 2 Abs. 2 GG, sondern aus Art. 2 Abs. 2 Satz 2 GG.

  1. Analoge Gesetzesanwendung: „gemäß § 670 BGB analog“

Das sollte man nicht schreiben – auch wenn es so in vielen Büchern und Aufsätzen steht! „Gemäß“ bedeutet nämlich, dass man eine Norm direkt anwendet, d.h. so, wie sie geschrieben steht. „Analog“ ist dagegen ein anderes Wort für „entsprechend“. Hier wird die Norm nicht direkt, sondern über ihren Wortlaut hinaus angewandt. Wenn man also schreibt „gemäß § 670 BGB analog“, dann heißt das nichts anderes als „§ 670 BGB in direkter und entsprechender Anwendung“. Das ist natürlich ein Widerspruch. Schreibt am besten „analog § 670 BGB“.

  1. Definitionen: Sie müssen bei der Prüfung im Gutachtenstil immer genannt werden, und zwar VOR der Subsumtion!

Viele Bearbeiter machen das nicht. Oft wird die Definition irgendwie in die Subsumtion „hinein gewurschtelt“ – wenn sie überhaupt gebracht wird! Dabei gibt gerade sie den Maßstab für die Subsumtion vor. Nur mit einer brauchbaren Definition kann man letztlich zu einem klaren und nachvollziehbaren Ergebnis gelangen.

II. Strafrecht:

  1. Erfordernis und Definition vorsätzlichen Handelns: Vielfach wird in Klausuren ohne Begründung gesagt, dass der Täter vorsätzlich gehandelt haben müsse. Ist das so – und wenn ja, wo steht das?

Das steht in § 15 StGB. Diese Vorschrift besagt: „Strafbar ist nur vorsätzliches Handeln, wenn nicht das Gesetz fahrlässiges Handeln ausdrücklich mit Strafe bedroht.“ Zitiert bitte in Klausuren unbedingt diese Norm!

Für die Definition des Vorsatzes sollte man sich am besten am Umkehrschluss aus § 16 I 1 StGB orientieren und bspw. schreiben: „Vorsätzlich handelt, wer alle Umstände kennt, die den objektiven Tatbestand ausmachen (Umkehrschluss aus § 16 I 1 StGB).“ Wenn einem diese Definition nicht einfällt, geht auch die verkürzte Form: „Vorsatz ist das Wissen und Wollen der Tatbestandsverwirklichung [geä. d. Red.].“

Bitte zitiert in jedem strafrechtlichen Gutachten, wenn Vorsatzdelikte zu prüfen sind, wenigstens ein Mal den § 15 und den § 16 I 1 StGB. Im weiteren Verlauf des Gutachtens könnt ihr hinsichtlich des Vorsatzes ja nach oben verweisen.

  1. Begründetheit der Revision: Nicht selten wird der Fehler gemacht, dass die Begründetheitsprüfung der Revision nicht mit den Voraussetzungen des § 337 I StPO eingeleitet wird, sondern die Bearbeiter fallen sofort mit absoluten und relativen Revisionsgründen ins Haus.

Hilfreich zur Lösung dieses Problems ist die Lektüre des § 337 I StPO: „Die Revision kann nur darauf gestützt werden, dass das Urteil auf einer Verletzung des Gesetzes beruhe.“ Aus dem Wortlaut des § 337 I StPO lässt sich ein zweiteiliges Prüfungsschema ableiten:

    • Gesetzesverletzung

    • Beruhen des Urteils auf der Gesetzesverletzung

Und nun lesen wir noch § 338 StPO: „Ein Urteil ist stets als auf einer Verletzung des Gesetzes beruhend anzusehen …“ Das genügt schon.

§ 338 StPO bezieht sich mithin nur auf den zweiten Teil des Prüfungsschemas – auf das Beruhen des Urteils auf einer Gesetzesverletzung. Ob eine Gesetzesverletzung, die § 338 StPO voraussetzt, vorliegt, muss man zuvor also immer prüfen. Erst anschließend kann man beurteilen, ob die festgestellte Gesetzesverletzung überhaupt einen in § 338 StPO aufgezählten absoluten Revisionsgrund darstellt. Wenn ja, kann man sich eine eingehende Prüfung des Beruhens des Urteils auf der Gesetzesverletzung sparen, denn das wird ja nach § 338 StPO vermutet. Ist hingegen kein absoluter Revisionsgrund gegeben, kann es sich nur um einen relativen Revisionsgrund handeln und man muss auch noch das Beruhen des Urteils auf dem Gesetzesverstoß prüfen.

19.01.2013/21 Kommentare/von Gastautor
https://www.juraexamen.info/wp-content/uploads/2022/05/je_logo.svg 0 0 Gastautor https://www.juraexamen.info/wp-content/uploads/2022/05/je_logo.svg Gastautor2013-01-19 10:00:342013-01-19 10:00:34Häufige Fehler in Klausuren (Teil 1)
Redaktion

Hinweis: Examenswissen auf Wikipedia

Startseite, Verschiedenes

Liebe Leser von juraexamen.info,
An dieser Stelle wollen wir euch auf ein sehr interessantes Projekt der Universität Köln (Kompetenzzentrum für juristisches Lehren und Lernen; Prof. Dauner-Lieb) hinweisen:
Viele von euch nutzen sicherlich auch zu juristischen Recherchezwecken die freie Enzyklopädie Wikipedia. Dennoch sind die examens- und studiumsrelevanten juristischen Beiträge oftmals sehr oberflächlich und ungenau. Eine effektive Inanspruchnahme ist damit nicht möglich.
Die Initiatoren des Projekts „Examenswissen auf Wikipedia“ haben sich zum Ziel gesetzt, diesen Missstand zu ändern. In ihrem Seminar sind die Teilnehmer dazu aufgerufen, einen Beitrag zu jeweils einem examensrelevanten Thema zu verfassen, der anschließend auf Wikipedia eingefügt werden soll. Die Präsentation dieser Beiträge wird am 9. und 16. Februar 2013 erfolgen. Nähere Informationen könnte ihr hier  finden.
Wir freuen uns, dass Tobias Lutzi, der das Projekt als langjähriger Wikipedia-Mitarbeiter betreut, uns bereits zugesagt hat, juraexamen.info die gelungensten Beiträge zur Verfügung zu stellen. Im Februar werden wir im Zuge dessen ausgewählte Beiträge hier veröffentlichen. Auf weitere Artikel werden wir selbstverständlich hinweisen.

14.01.2013/2 Kommentare/von Redaktion
https://www.juraexamen.info/wp-content/uploads/2022/05/je_logo.svg 0 0 Redaktion https://www.juraexamen.info/wp-content/uploads/2022/05/je_logo.svg Redaktion2013-01-14 14:30:112013-01-14 14:30:11Hinweis: Examenswissen auf Wikipedia
Dr. Christoph Werkmeister

Examensrelevante Rechtsprechung für das Jahr 2012

Rechtsprechung

Das Jahr 2012 neigt sich dem Ende zu. Wie zu erwarten war, erging – wie jedes Jahr – eine ganze Reihe von gerichtlichen Entscheidungen, die den juristischen Examensstoff, wie er aus den Lehrbüchern und Repetitorienunterlagen bekannt ist, noch um einige Facetten erweitern. Einige dieser Entscheidungen iterieren für die Examenskandidaten ohnehin nahe liegende Sachverhalte. Andere wiederum erschaffen gänzlich neue Topoi, ungeschriebene Tatbestandsmerkmale oder argumentieren entgegen der klassischen Muster.
Bedeutsamkeit der aktuellen Rechtsprechung
So oder so… angesichts der Tatsache, dass derartige Entscheidungen äußerst häufig – meist sogar mit unveränderten Sachverhalten – den Eingang in Examensklausuren finden (siehe dazu nur die Originalklausuren für das erste Staatsexamen sowie das zweite Staatsexamen), kommt der ambitionierte Examenskandidat von heute nicht daran vorbei, obschon der Masse an Entscheidungen, zumindest zu versuchen, sich mit der bedeutsamsten Rechtsprechung des letzten Jahres vertraut zu machen.
Ein Ansatzpunkt, um sich in dieser Hinsicht zu informieren, besteht darin, den aktuellen Jahrgang einer der juristischen Ausbildungszeitschriften durchzuarbeiten (siehe zu den verschiedenen Zeitschriften und deren Vor- sowie Nachteile hier). Darüber hinaus bietet juraexamen.info kostenfreie Übersichten mit den diesjährigen examensrelevanten Entscheidungen. Unsere Übersicht erhebt (genauso wie die der Fachzeitschriften) keinen Anspruch auf Vollständigkeit. Sofern aber gewisse Entscheidungen bei uns sowie auch bei einer der Fachzeitschriften gelistet werden, kann mit einer hohen Wahrscheinlichkeit davon ausgegangen werden, dass dieser Entscheidung eine besonders erhöhte Examensrelevanz zukommt.
Strafrecht
Unsere Rechtsprechungsübersicht im Strafrecht findet Ihr hier. Die Auflistung der Entscheidungen zeigt, dass in diesem Rechtsgebiet die wenigsten (zumindest für die Examenskandidaten) wirklich relevanten Entscheidungen gefällt wurden. Einen guten Überblick über die Rechtsprechung in diesem Gebiet sollte sich der Kandidat somit in relativ kurzer Zeit verschaffen können. Anderes gilt für die Kandidaten im zweiten Staatsexamen zumindest für die Bundesländer, in denen auch eine strafrechtliche Revision zum Prüfungsstoff gehört. Um für diese Art der Prüfungsform im Hinblick auf die Rechtsprechung gerüstet zu sein, empfiehlt es sich, den aktuellen Jahrgang der NStZ durchzugehen, wobei ein besonderes Augenmerk auf verfahrensrechtliche Probleme gerichtet sein sollte.
Zivilrecht
Unsere Rechtsprechungsübersicht im Zivilrecht findet Ihr hier. In diesem Gebiet gab es in materiellrechtlicher Hinsicht einiges mehr an examensrelevanten Entscheidungen als im Strafrecht. Insbesondere im Schuldrecht, aber auch in anderen examensrelevanten Gebieten, gab es einige wichtige Entscheidungen. Das vertiefte Studium der zivilrechtlichen Entscheidungen des letzten Jahres sei also jedem Kandidaten ans Herz gelegt. Bei komplizierteren Konstellationen kann es ratsam sein, nicht bloß unsere Anmerkung zu lesen, sondern darüber hinaus auch den Volltext der Entscheidung. Zu den Volltextveröffentlichungen gelangt Ihr schnell, unkompliziert und kostenfrei, wenn Ihr bei unseren Artikeln auf das Aktenzeichen der jeweils besprochenen Entscheidung klickt.
Öffentliches Recht
Unsere Rechtsprechungsübersicht im öffentlichen Recht findet Ihr hier. Im öffentlichen Recht gab es die meisten Entscheidungen, die potentiellen Stoff für Examensklausuren bieten. Von der Masse der examensrelevanten Entscheidungen darf man sich in diesem Gebiet jedoch nicht abschrecken lassen. Bei den wenigsten der judizierten Sachverhalte bringt die Kenntnis der zugrunde liegenden Entscheidung einen enormen Wissensvorsprung im Rahmen einer Klausur. Im öffentlichen Recht kommt es meist auf Argumentation, penible Normenlektüre sowie einen nachvollziehbaren Aufbau an. Die Kenntnis des „richtigen“ Ergebnisses und bestimmter Argumentationsstränge stellt dabei zwar einen Vorteil dar; dies heißt aber nicht, dass ein Kandidat, der die examensrelevante Entscheidung nicht kennt, nicht ebenso eine gut vertretbare Lösung produzieren kann. Aus diesem Grunde ist es bei der Recherche im Hinblick auf examensträchtige öffentlich-rechtliche Entscheidungen wichtig, den Wald vor lauter Bäumen im Blick zu behalten. Das bedeutet konkret, dass nur wenige (der ohnehin schon von uns sowie den Ausbildungszeitschriften selektierten) Entscheidungen einer vertieften Nachbereitung unterliegen. Für das Gros der Entscheidungen genügt in diesem Rechtsgebiet meist also das einmalige Überfliegen der Entscheidungsanmerkung.

28.12.2012/2 Kommentare/von Dr. Christoph Werkmeister
https://www.juraexamen.info/wp-content/uploads/2022/05/je_logo.svg 0 0 Dr. Christoph Werkmeister https://www.juraexamen.info/wp-content/uploads/2022/05/je_logo.svg Dr. Christoph Werkmeister2012-12-28 12:34:592012-12-28 12:34:59Examensrelevante Rechtsprechung für das Jahr 2012
Dr. Christoph Werkmeister

Aktuelle examensrelevante verwaltungsgerichtliche Rechtsprechung

Öffentliches Recht, Rechtsprechung, Verwaltungsrecht

Gerade im öffentlichen Recht zeigen die Examensdurchgänge der letzten Monate und Jahre (siehe die Original-Examenssachverhalte hier), dass die Klausurersteller äußerst regelmäßig auf die unveränderten Sachverhalte von aktuelleren Gerichtsentscheidungen zurückgreifen. Aus diesem Grund kann den angehenden Examenskandidaten nur angeraten werden, sich regelmäßig über die letzten Entwicklungen auf dem Laufenden zu halten (eine Auflistung besonders examensträchtiger Entscheidungen findet sich zudem hier).
In den letzten Tagen sind insofern auch wieder eine ganze Reihe von öffentlich-rechtlichen Problemkreisen durch die verwaltungsgerichtliche Judikatur gegangen. Da die Pressemitteilungen der genannten Fälle die jeweils einschlägige Problematik bereits ausreichend erläutern, werden im Folgenden lediglich Auszüge aus den respektiven Mitteilungen zitiert, was ausreichen sollte, um das Problembewusstsein entsprechend zu sensibilisieren.
BVerwG: Heilpraktikererlaubnis kann auch bei Erblindung zu erteilen sein (Urteil vom 13.12.2012 – 3 C 26.11)

Nach den Vorschriften des Heilpraktikergesetzes bestehe ein Rechtsanspruch auf die Erlaubniserteilung, wenn kein Versagungsgrund nach der Durchführungsverordnung zum Heilpraktikergesetz eingreift. Die Blindheit der Klägerin begründe keinen Versagungsgrund im Sinne der gesetzlichen Bestimmungen. Zwar könne sie solche Heilpraktikertätigkeiten nicht ausüben, die eine eigene visuelle Wahrnehmung voraussetzen. Es verblieben daneben aber, wie die Vorinstanz für das Revisionsgericht bindend festgestellt hat, Bereiche, in denen sie selbstverantwortlich heilpraktisch tätig sein kann. Dazu gehöre insbesondere die Behandlung all jener Erkrankungen, die sich allein mit manuellen Methoden diagnostizieren und therapieren lassen.
Es sei zudem unverhältnismäßig, die Heilpraktikererlaubnis unter Hinweis auf eine mangelnde gesundheitliche Eignung zu versagen, meint das BVerwG. Das folge sowohl aus dem Grundrecht auf freie Berufswahl (Art. 12 Abs. 1 GG) als auch aus Art. 3 Abs. 3 S. 2 GG, wonach niemand wegen seiner Behinderung benachteiligt werden darf.

OLG Köln: Religiöse Gründe rechtfertigen keine vollständige Schulverweigerung (Beschluss vom 27.11.2012 – 1 RBs 308/12)

Eltern dürfen den Schulbesuch ihrer schulpflichtigen Kinder nicht aus religiösen Gründen vollständig verweigern.
Nach Auffassung der Eltern habe das Kreisschulamt mit dem Durchsetzen der Schulpflicht derweil gegen Menschenrechte und gegen die Grundrechte aus Art. 6 und Art. 7 GG verstoßen. Die im Landesschulgesetz normierte Schulpflicht verstoße gegen die Neutralitätspflicht des Staates. Der Schulunterricht sei neomarxistisch angelegt und ziele darauf ab, die Eltern-Kind-Beziehung zu zerstören und christliche Werte aus der Gesellschaft zu entfernen. Die Schule betreibe die Erziehung der Kinder zur Schamlosigkeit, trainiere sie in der Gossensprache und wolle durch «Gender Mainstreaming» die gottgegebenen unterschiedlichen Wesensmerkmale von Mann und Frau verwischen.
Die Ausübung des elterlichen Erziehungsrechts unterliegt nach Auffassung des Gerichts nach Art. 6 Abs. 2 Satz 2 GG der Überwachung durch die staatliche Gemeinschaft. Nach Art. 7 Abs. 1 GG unterstehe das Schulwesen der staatlichen Aufsicht. Damit dürfe der Staat unabhängig von den erzieherischen Vorstellungen der Eltern auch eigene Erziehungsziele verfolgen. Es bleibe den Eltern unbenommen, im außerschulischen Bereich durch eigene erzieherische Maßnahmen ihrer Meinung nach bestehende Mängel der schulischen Erziehung auszugleichen. Ob der Schulunterricht nach staatlichen Lehrplänen als neomarxistisch einzuordnen sei, erörterte das Gericht indes nicht (siehe zum examensrelevanten Schulrecht zudem auch diesen Beitrag).

VG Köln: Keine Befreiung vom Schwimmunterricht für 12-jährigen muslimischen Jungen (Beschluss v. 20.11.2012 – 10 L 1400/12)

Das VG Köln hat einen Eilantrag abgelehnt, mit dem die Eltern eines 12-jährigen muslimischen Jungen dessen Befreiung vom Schwimmunterricht in der Klasse 7 erreichen wollten. Die Eltern hatten geltend gemacht, während des gemeinsamen (koedukativen) Schwimmunterrichts von Jungen und Mädchen sei ihr Sohn gezwungen, seine nur mit Badekleidung bekleideten Mitschülerinnen anzusehen. Dies sei mit den islamischen Glaubensgrundsätzen der Familie nicht vereinbar.
Nach Auffassung des Verwaltungsgerichts hätten die Eltern schon nicht nachvollziehbar dargelegt, dass der Teilnahme ihres Sohnes am koedukativen Schwimmunterricht von der Familie als verbindlich erachtete religiöse Vorschriften entgegen stünden. So nehme er etwa am allgemeinen koedukativen Sportunterricht teil, bei dem er ebenfalls leicht bekleidete Schülerinnen und Schüler zu sehen bekomme, ohne insoweit einen Gewissenskonflikt geltend zu machen. Jedenfalls sei angesichts der Bedeutung des staatlichen Erziehungs- und Bildungsauftrags eine Teilnahme am Schwimmunterricht hier zumutbar. Der Schüler sei dadurch keinen größeren Konflikten ausgesetzt als im Alltag innerhalb und außerhalb der Schule, wo er ebenfalls Mädchen und Frauen begegne, die gelegentlich nur leicht bekleidet seien. Im Übrigen sei die Schule verpflichtet durch getrennte Umkleidemöglichkeiten, die konkrete Ausgestaltung des Schwimmunterrichts und die pädagogische Einflussnahme auf die Mitschülerinnen und Mitschüler Beeinträchtigungen der Glaubensfreiheit zu vermeiden.

OLG Koblenz: Kommunen dürfen Fütterung von Tauben und Wasservögeln verbieten (Beschluss vom 02.05.2012 – 2 SsBs 114/11)

Kommunen sind grundsätzlich berechtigt, die Fütterung freilebender Tieren wie Tauben oder Wasservögel in ihrem Gebiet zu verbieten, um Gefahren für die öffentliche Sicherheit und Ordnung abzuwehren. Die Gefahrenabwehrverordnung der Verbandsgemeinde sei wirksam, so das OLG. Sie beruhe auf einer hinreichenden gesetzlichen Ermächtigung und sei auch verhältnismäßig. Die Verbandsgemeinde sei berechtigt, durch eine solche Verordnung bestimmte Gefahren für die öffentliche Sicherheit und Ordnung abzuwenden. Hier sei insbesondere der Umstand in den Blick genommen worden, dass Wasservögel an den Menschen gewöhnt würden und vermehrt öffentliche Wege und Plätze beträten, um Futter zu verlangen. Dies könne zu nicht unerheblichen Verschmutzungen von Gehwegen, Straßen und Gebäuden durch Exkremente sowie letztlich zu Substanzschäden an öffentlichem und privatem Eigentum führen (siehe instruktiv zur Rechtmäßigkeit von sog. Gefahrenverordnungen hier sowie zu ordnungsrechtlichen Verboten, die im Wege der Allgemeinverfügung auferlegt werden, hier).

20.12.2012/1 Kommentar/von Dr. Christoph Werkmeister
https://www.juraexamen.info/wp-content/uploads/2022/05/je_logo.svg 0 0 Dr. Christoph Werkmeister https://www.juraexamen.info/wp-content/uploads/2022/05/je_logo.svg Dr. Christoph Werkmeister2012-12-20 09:39:352012-12-20 09:39:35Aktuelle examensrelevante verwaltungsgerichtliche Rechtsprechung
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