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Schlagwortarchiv für: Examen

Redaktion

Zivilrecht III – April 2019 – NRW – 1. Staatsexamen

Arbeitsrecht, Examensreport, Examensvorbereitung, Lerntipps, Nordrhein-Westfalen, Rechtsgebiete, Schon gelesen?, Zivilrecht

Nachfolgend erhaltet ihr ein Gedächtnisprotokoll zur Examensklausur Zivilrecht III, 1. Staatsexamen, NRW, April 2019. Ergänzungen und Korrekturanmerkungen sind wie immer gerne gesehen. Wir danken sehr herzlich für die Zusendung.
 
Unser Examensreport lebt von Eurer Mithilfe. Deshalb bitten wir Euch, uns Gedächtnisprotokolle Eurer Klausuren zuzuschicken, damit wir sie veröffentlichen können. Nur so können Eure Nachfolger genauso von der Seite profitieren, wie Ihr es getan habt.
 
Fall:
Der A ist seit 2012 als Erzieherbei der KiTa GmbH beschäftigt. Die Geschäftsführerin der GmbH ist die G. Neben dem A arbeiten noch vier Erzieherinnen und ein weiterer Erzieher bei der KiTa GmbH. Im November 2018 tauchen auf der Plattform „Instaphoto“ Bilder von einem nackten Mann in den Räumlichkeiten der KiTa auf. Um welche Person es sich handelt, kann auf den ersten Blick nicht eindeutig festgestellt werden. Der Statur nach kann es sich um den A handeln, nicht jedoch um den anderen männlichen Erzieher. In dem Zeitraum, in dem das Foto entstanden sein muss, fanden ebenfalls Bauarbeiten in der KiTa statt. Bauarbeiter hätten entsprechend auch zu jeder Tages- und Nachtzeit Zutritt zu den Räumen gehabt. Allein der A steht jedoch unter Verdacht. Die G leitet sofort Ermittlungen ein und stellt den A zunächst zum 15.11.2018 von der Arbeit frei. Er soll so lange zuhause bleiben, bis sich der Verdacht aufgelöst hat. Die Eltern der Kinder sind jedoch mit diesem Vorgehen nicht einverstanden. Die Hälfte der Eltern kündigen an, ihre Kinder von der KiTa abzumelden, sollte der A nicht unverzüglich gekündigt werden. Auch die übrigen ErzieherInnen kündigen an, dass ihnen der Stress bzgl. des Fotos so sehr zu Gemüte schlage, dass die G mit einer Erkrankung ihrerseits zu rechnen habe. Ohne dem A eine Möglichkeit zur Stellungnahme gegeben zu haben, bringt die G am 30.11.2019 ein Kündigungsschreiben in das Büro der Ehefrau des A. Die Ehefrau übergibt dem A das Schreiben noch am Abend desselben Tages. In dem Schreiben kündigt die G den A fristlos zum 1.12.2019. Hiergegen möchte der A vorgehen. Er erhebt form- und fristgemäß eine Kündigungsschutzklage.
 
Frage 1: Wie wird das zuständige Arbeitsgericht entscheiden (Die Zulässigkeit ist nicht zu prüfen)?
 
Frage 2: Es sei anzunehmen, dass die Kündigung unwirksam war. Dies entscheidet das Gericht am 28.2.2019. Hat der A Anspruch auf Lohn vom 1.12.2018 bis zum 28.2.2019, wenn anzunehmen ist, dass der A der KiTa während der ganzen Zeit ferngeblieben ist?
 
Fallfortsetzung:
Dem A wird nicht gekündigt. Er wird jedoch ebenfalls am 15.11.2018 freigestellt. Die G fordert den A auf, den Schlüssel für die KiTa-Räumlichkeiten unverzüglich in der KiTa abzugeben. Hiermit ist der A jedoch nicht einverstanden. Zwar geht er davon aus, dass er zur Herausgabe des Schlüssels verpflichtet ist, er sieht es jedoch nicht ein, hierfür zur KiTa zu fahren. Vielmehr ist er der Meinung, dass die G den Schlüssel bei ihm abholen müsse. Die G fordert den A am 20.11.2018 erneut auf, ihr den Schlüssel in die KiTa zu bringen. Der A weigert sich erneut. Die G spielt mit dem Gedanken die Schließanlage der KiTa auszutauschen. Hierbei hätte sie Kosten i.H.v. 2000 EUR. Schlussendlich entscheidet sie sich jedoch gegen den Austausch. Die 2000 EUR soll der A jedoch trotzdem zahlen.
 
Frage 3: Hat die KiTa GmbH, vertreten durch die G, einen Anspruch i.H.v. 2000 EUR?
 
Fallfortsetzung:
Im Streit um die Kündigung vor dem zuständigen Arbeitsgericht, wird am 28.2.2019 ein Vergleich geschlossen. In dem wird festgehalten, dass der A bis zum 15.4.2019 nicht zur Arbeit erscheinen solle, weiterhin jedoch für diesen Zeitraum den Lohn erhalte. Er dürfe in der Zwischenzeit keine andere Tätigkeit wahrnehmen, solle jedoch gerade die Zeit nutzen, um eine neue Stelle zu finden. Sollte er eine Stelle vor dem 15.4.2019 gefunden haben, sei dies der KiTa GmbH fünf Tage vor dem neuen Arbeitsbeginn mitzuteilen. Die Lohnzahlung werde dann entsprechend eingestellt. Am 7.3.2019 findet der A tatsächlich eine geeignete Stelle, bewirbt sich und erklärt der G, er werde zum 15.3.2019 einer neuen Tätigkeit nachgehen. Am 10.3.2019 erhält der A jedoch für ihn sehr unerwartet eine Absage. Daraufhin möchte er von der KiTa GmbH auch weiterhin seinen Lohn erhalten. Dieser könne durch seine Ankündigung einen neuen Arbeitgeber gefunden zu haben, nicht erloschen sein. Sein Anspruch bestehe weiterhin, da der geschlossene Vergleich ohnehin unwirksam sei. Die angeführte „Ankündigungsfrist“ stehe im Widerspruch mit den gesetzlichen Kündigungsfristen. Er wendet sich an die Rechtsanwälten R mit der Bitte um Rat, da er davon ausgeht einen Anspruch auf Zahlung seines Lohns vom 15.3.2019 bis zum 15.4.2019 zu haben.
 
Frage 4: Was wird die R ihm mitteilen?
 
 

17.05.2019/0 Kommentare/von Redaktion
https://www.juraexamen.info/wp-content/uploads/2022/05/je_logo.svg 0 0 Redaktion https://www.juraexamen.info/wp-content/uploads/2022/05/je_logo.svg Redaktion2019-05-17 09:30:102019-05-17 09:30:10Zivilrecht III – April 2019 – NRW – 1. Staatsexamen
Redaktion

Strafrecht – April 2019 – NRW – 1. Staatsexamen

Examensreport, Lerntipps, Nordrhein-Westfalen, Schon gelesen?, Startseite

Nachfolgend erhaltet ihr ein Gedächtnisprotokoll zur Examensklausur im Strafrecht, 1. Staatsexamen, NRW, April 2019. Ergänzungen und Korrekturanmerkungen sind wie immer gerne gesehen. Wir danken sehr herzlich für die Zusendung.
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Der A ist in Geldnot. Um seine Situation zu verbessern, entschließt er sich, zusammen mit seinem Komplizen B, den 11-jährigen Sohn (S) des Millionärs V zu entführen und Lösegeld zu fordern. Der A lauert dem S auf, schlägt ihn von hinten mit einem gezielten Schlag nieder, sodass der S bewusstlos wird. A trägt den Jungen zum Auto und packt ihn in den Kofferraum. Er fährt mit dem Auto zu einer nahegelegenen Hütte in einem Wald. Der S ist die ganze Zeit bewusstlos, hiervon geht der A auch aus. An der Hütte ist der B. A und B schließen den S in die Hütte ein, hier kommt der S nach kurzer Zeit wieder zu sich. A und B verpflegen den S abwechselnd. Eine Woche später meldet sich der A, wie vorher mit B abgesprochen, bei dem V und verlangt von diesem 1 Mio EUR, wenn dieser seinen Sohn lebend wiedersehen möchte. Die Übergabe des Geldes sowie die Freilassung des Jungen sollten auf einer Lichtung in der Nähe der Hütte stattfinden.
Der V reagiert jedoch anders als erwartet. Er entscheidet sich, das Lösegeld nicht zu zahlen. Vielmehr lässt er eine Aufnahme im Fernsehen veröffentlichen, in der er 1 Mio EUR „Kopfgeld“ an denjenigen verspricht, der ihm den Täter „tot oder lebendig“ bringt. Daraufhin bekommt es der B mit der Angst zu tun. Er eilt zur Hütte und lässt den S laufen. Der S, der um sein Leben fürchtet, eilt in den Wald hinein, stolpert und stürzt in eine Schlucht. Er stirbt sofort. Der A, der von dem Vorgang nichts mitbekommt hat, ist entschlossen, an seinem Plan festzuhalten und den V erneut zu kontaktieren. Er möchte an sein Mitgefühl appellieren, um so doch noch an das Lösegeld zu kommen. Als er zur Hütte geht, sieht er jedoch den Körper des S und ist erschrocken. Er erkennt jetzt, dass er sein Ziel, das Lösegeld von dem V zu bekommen, unter keinen Umständen erreichen kann. Er fällt entsprechend den Entschluss, den B zu töten. Er will dann seine Leiche zum V bringen und erklären, er habe den B entdeckt, wie er den toten S begrub. Plangemäß tötet der A den B mit einer Schrotflinte. Bei der Tötung geht es dem A nicht vorwiegend darum, dass Lösegeld zu erhalten, hauptsächlich will er nicht als Täter entdeckt werden. Der A bringt die Köper des S und des B zum V. Der V ist von dem Anblick seines Sohnes zu tiefst erschüttert und händigt dem A das „Kopfgeld“ aus.
 
Wie haben sich A und V strafbar gemacht?
 
§ 140, § 225, § 240 StGB sind ausgeschlossen.
 

10.05.2019/0 Kommentare/von Redaktion
https://www.juraexamen.info/wp-content/uploads/2022/05/je_logo.svg 0 0 Redaktion https://www.juraexamen.info/wp-content/uploads/2022/05/je_logo.svg Redaktion2019-05-10 09:30:202019-05-10 09:30:20Strafrecht – April 2019 – NRW – 1. Staatsexamen
Dr. Matthias Denzer

Examensrelevante Rechtsprechung im Überblick – Zivilrecht (Oktober 2018 – März 2019) – Teil 2

Lerntipps, Startseite, Verschiedenes

Dieser Beitrag setzt den Rechtsprechungsüberblick im Zivilrecht von Oktober 2018 bis März 2019 fort. Teil 1 des Beitrags findet ihr hier.
 
BGH, Beschluss v. 08.01.2019 – VIII ZR 225/17
„VW-Abgasskandal“: Abschalteinrichtung als Sachmangel
Zunächst stellte der BGH fest, dass der Einbau einer unzulässigen Abschalteinrichtung ein Mangel i.S.d. § 434 Abs. 1 S. 2 Nr. 2 BGB ist:

„Ein Fahrzeug ist nicht frei von Sachmängeln, wenn bei Übergabe an den Käufer eine – den Stickoxidausstoß auf dem Prüfstand gegenüber dem normalen Fahrbetrieb reduzierende – Abschalteinrichtung im Sinne von Art. 3 Nr. 10 VO 715/2007/EG installiert ist, die gemäß Art. 5 Abs. 2 Satz 1 VO 715/2007/EG unzulässig ist.
Dies hat zur Folge, dass dem Fahrzeug die Eignung für die gewöhnliche Verwendung im Sinne von § 434 Abs. 1 Satz 2 Nr. 2 BGB fehlt, weil die Gefahr einer Betriebsuntersagung durch die für die Zulassung zum Straßenverkehr zuständige Behörde (§ 5 Abs. 1 Fahrzeug-Zulassungsverordnung – FZV) besteht und somit bei Gefahrübergang der weitere (ungestörte) Betrieb des Fahrzeugs im öffentlichen Straßenverkehr nicht gewährleistet ist.“ (Leitsätze 1a und 1b)

Eine Nacherfüllung durch Nachlieferung eines gleichwertigen Neuwagens nach § 439 Abs. 1, 2. Alt BGB soll grundsätzlich möglich sein. Auch ein Modellwechsel (im konkreten Fall von einem VW Tiguan I auf einen VW Tiguan II) steht dem nicht entgegen:

„Bei der durch interessengerechte Auslegung des Kaufvertrags (§§ 133, 157 BGB) vorzunehmenden Bestimmung des Inhalts und der Reichweite der vom Verkäufer übernommenen Beschaffungspflicht ist zu berücksichtigen, dass die Pflicht zur Ersatzbeschaffung gleichartige und gleichwertige Sachen erfasst. Denn der Anspruch des Käufers auf Ersatzlieferung gemäß § 439 Abs. 1 Alt. 2 BGB richtet sich darauf, dass anstelle der ursprünglich gelieferten mangelhaften Kaufsache nunmehr eine mangelfreie, im Übrigen aber gleichartige und – funktionell sowie vertragsmäßig – gleichwertige Sache zu liefern ist.
Die Lieferung einer identischen Sache ist nicht erforderlich. Vielmehr ist insoweit darauf abzustellen, ob die Vertragsparteien nach ihrem erkennbaren Willen und dem Vertragszweck die konkrete Leistung als austauschbar angesehen haben.
Für die Beurteilung der Austauschbarkeit der Leistung ist ein mit einem Modellwechsel einhergehender, mehr oder weniger großer Änderungsumfang des neuen Fahrzeugmodells im Vergleich zum Vorgängermodell nach der Interessenlage des Verkäufers eines Neufahrzeugs in der Regel nicht von Belang. Insoweit kommt es – nicht anders als sei ein Fahrzeug der vom Käufer erworbenen Modellreihe noch lieferbar – im Wesentlichen auf die Höhe der Ersatzbeschaffungskosten an. Diese führen nicht zum Ausschluss der Leistungspflicht nach § 275 Abs. 1 BGB, sondern können den Verkäufer gegebenenfalls unter den im Einzelfall vom Tatrichter festzustellenden Voraussetzungen des § 439 Abs. 4 BGB berechtigen, die Ersatzlieferung zu verweigern, sofern diese nur mit unverhältnismäßigen Kosten möglich ist.“ (Leitsätze 2b und 2c).

Siehe zu dieser besonders examensrelevanten Entscheidung auch die Besprechung von Sebastian Rombey.
 
BGH, Beschluss v. 09.01.2019 – VIII ZB 26/17
Kündigung eines Wohnraummietverhältnisses und analoge Anwendung des § 566 BGB auf den Erwerb eines Miteigentumsanteils
Die Eheleute M und F waren Miteigentümer einer Mietwohnung. Diese vermieteten sie an den Mieter X. Später übertrug M seinen Miteigentumsanteil auf die F, sodass F nun Alleineigentümerin der Mitwohnung war. Im Februar 2016 kündigte F das Mietverhältnis mit X. Fraglich war nun, ob die Kündigung auch durch den M hätte ausgesprochen werden müssen oder ob § 566 Abs. 1 BGB zur Anwendung komme, mit der Folge, dass die Kündigung allein durch den Erwerber des Miteigentumsanteils ausgesprochen werden konnte. Der BGH verneinte eine direkte Anwendung des § 566 Abs. 1 BGB:

„Nach dem Wortlaut des § 566 Abs. 1 BGB muss die Veräußerung an einen Dritten erfolgen, das heißt, der veräußernde Eigentümer und der Erwerber müssen personenverschieden sein, der Erwerber darf bis zum Erwerb nicht Vermieter gewesen sein. Eine direkte Anwendung des § 566 BGB kommt damit […] nicht in Betracht.“

Auch eine analoge Anwendung komme nicht in Betracht. Für eine Analogie bedarf es einer planwidrigen Regelungslücke sowie einer vergleichbaren Interessenlage. Solch eine vergleichbare Interessenlage lehnte der BGH im vorliegenden Fall ab:

„Sinn und Zweck des § 566 BGB ist der Schutz des Mieters vor einem Verlust des Besitzes an der Wohnung gegenüber einem neuem Erwerber im Falle der Veräußerung der Mietsache. Dieser Schutzzweck ist von vornherein nicht berührt, wenn […] einer von zwei vermietenden Miteigentümern seinen Eigentumsanteil auf den anderen überträgt, so dass dieser Alleineigentümer der Mietsache wird. Denn der nunmehrige Alleineigentümer ist (weiter) an den Mietvertrag gebunden und ein Verlust des Besitzes auf Seiten des Mieters infolge des Veräußerungsvorgangs ist somit nicht zu besorgen. Damit scheidet eine analoge Anwendung des § 566 BGB auf einen solchen Fall aus.“

 
BGH, Urteil v. 15.01.2019 – II ZR 392/17
Vertretung einer Gesellschaft durch den Aufsichtsrat

„Der Aufsichtsrat vertritt die Aktiengesellschaft nicht nur bei Rechtsgeschäften, die mit einem Vorstandsmitglied selbst geschlossen werden, sondern auch bei Rechtsgeschäften mit einer Gesellschaft, deren alleiniger Gesellschafter ein Vorstandsmitglied ist.“ (Leitsatz)
„Für eine entsprechende Erweiterung des Anwendungsbereichs spricht insbesondere der Schutzzweck der Norm. § 112 Satz 1 AktG soll Interessenkollisionen vorbeugen und eine unbefangene, von sachfremden Erwägungen unbeeinflusste Vertretung der Gesellschaft gegenüber Vorstandsmitgliedern sicherstellen. Dabei ist es im Interesse der Rechtssicherheit und Rechtsklarheit ausreichend, dass aufgrund der gebotenen und typisierenden Betrachtung in den von § 112 Satz 1 AktG geregelten Fällen regelmäßig die abstrakte Gefahr einer nicht unbefangenen Vertretung der Gesellschaft vorhanden ist.
Hierbei kann es keinen entscheidenden Unterschied machen, ob das Vorstandsmitglied einen Vertrag im eigenen Namen mit der Gesellschaft abschließt, oder ob Vertragspartner der Gesellschaft eine Gesellschaft ist, deren alleiniger Gesellschafter das Vorstandsmitglied ist.“ (Nachweise in Zitat ausgelassen)

 
BAG, Urteil v. 23.01.2019 – 7 AZR 733/16
Änderung der Rechtsprechung zur Auslegung einer Vorbeschäftigung nach § 14 Abs. 2 S. 2 TzBfG  
Nach bisheriger Rechtsprechung des BAG (Urteil v. 06.05.2011 – 7 AZR 716/09) waren Arbeitsverhältnisse, die länger als drei Jahre zurücklagen, nicht als Vorbeschäftigung im Sinne des § 14 Abs. 2 S. 2 TzBfG anzusehen. Nun nimmt die Rechtsprechung Abstand von einer rein zeitlichen Betrachtung:

„Allerdings können und müssen die Fachgerichte auch nach der Auffassung des Bundesverfassungsgerichts durch verfassungskonforme Auslegung den Anwendungsbereich von § 14 Abs. 2 Satz 2 TzBfG einschränken, soweit das Verbot der sachgrundlosen Befristung unzumutbar ist, weil eine Gefahr der Kettenbefristung in Ausnutzung der strukturellen Unterlegenheit der Beschäftigten nicht besteht und das Verbot der sachgrundlosen Befristung nicht erforderlich ist, um das unbefristete Arbeitsverhältnis als Regelbeschäftigungsform zu erhalten. Das Verbot der sachgrundlosen Befristung kann danach insbesondere unzumutbar sein, wenn eine Vorbeschäftigung sehr lang zurückliegt, ganz anders geartet war oder von sehr kurzer Dauer gewesen ist.“

Siehe zu dieser Entscheidung auch die ausführliche Besprechung von Yannik Beden, M.A.
 
BAG, Urteil v. 07.02.2019 – VII ZR 63/18
Abgrenzung Schadensersatz statt und neben der Leistung im Werkvertragsrecht
Die Klägerin ließ ihr Kfz (Volvo V 70) beim Beklagten, der eine Kfz-Werkstatt betreibt, warten. Im Rahmen dieser Wartungsarbeiten tauschte der Beklagte u.a. den Keilrippenriemen, den Riemenspanner und den Zahnriemen aus. Aufgrund von Problemen mit der Lenkung bring die Klägerin circa einen Monat später ihr Kfz in die Werkstatt des L – der Beklagte hatte zu diesem Zeitpunkt Betriebsferien. In der Werkstatt des L wird festgestellt, dass der Beklagte den Keilrippenriemen nicht richtig gespannt hatte und dieser daher gerissen war. Infolgedessen sind Schäden am Riemenspanner, am Zahnriemen, der Servolenkungspumpe sowie der Lichtmaschine entstanden. Die Klägerin ließ die beschädigten Teile in der Werkstatt des L austauschen und verlangte nun von der Beklagten Schadensersatz. Es stellte sich somit die Frage, ob die entstandenen Schäden unter den Voraussetzungen des Schadensersatz statt der Leistung (§§ 634 Nr. 4, 280, 281 BGB) oder als Mangelfolgeschäden unter den Voraussetzungen des Schadensersatz neben der Leistung (§§ 634 Nr. 4, 280 Abs. 1 BGB) ersatzfähig seien.
Der BGH differenzierte insoweit zwischen dem Austausch von Keilrippenriemen, Riemenspanner und Zahnriemen und dem Austausch von Servolenkungspumpe und Lichtmaschine.

„Liegt eine Pflichtverletzung in Form einer mangelhaften Werkleistung vor, ist danach zwischen dem Schadensersatzanspruch statt der Leistung gemäß § 634 Nr. 4, §§ 280, 281 BGB und dem Schadensersatzanspruch neben der Leistung gemäß § 634 Nr. 4, § 280 Abs. 1 BGB zu unterscheiden. Der Schadensersatzanspruch statt der Leistung gemäß § 634 Nr. 4, §§ 280, 281 BGB tritt an die Stelle der geschuldeten Werkleistung und erfasst damit das Leistungsinteresse des Bestellers. Er erfordert zunächst – vorbehaltlich der geregelten Ausnahmen – eine Fristsetzung zur Nacherfüllung, um dem Unternehmer eine letzte Gelegenheit zur Erbringung der geschuldeten Werkleistung, also zur Herstellung des mangelfreien Werks, zu geben. Demgegenüber sind gemäß § 634 Nr. 4, § 280 Abs. 1 BGB die über das Leistungsinteresse hinausgehenden Vermögensnachteile, insbesondere Folgeschäden an anderen Rechtsgütern des Bestellers als dem Werk selbst oder an dessen Vermögen, zu ersetzen:“

Die Schäden an Servolenkungspumpe und Lichtmaschine (diese Teile waren nicht Gegenstand der Wartungsarbeiten des Beklagten) qualifizierte er dabei als Mangelfolgeschäden, die als Schadensersatz neben der Leistung zu ersetzen sind. Das heißt: Eine Fristsetzung war insoweit nicht erforderlich:

„Mit dem Schadensersatzanspruch neben der Leistung gemäß § 634 Nr. 4, § 280 Abs. 1 BGB kann Ersatz für Schäden verlangt werden, die aufgrund eines Werkmangels entstanden sind und durch eine Nacherfüllung der geschuldeten Werkleistung nicht beseitigt werden können. Hiervon erfasst sind mangelbedingte Folgeschäden, die an anderen Rechtsgütern des Bestellers oder an dessen Vermögen eintreten. […]
Von […] Schäden, die im Zuge der Nacherfüllung zwangsläufig entstehen, sind diejenigen Schäden an anderen Rechtsgütern des Bestellers oder an dessen Vermögen zu unterscheiden, die durch die mangelhafte Werkleistung verursacht wurden. Sie werden von der Nacherfüllung nicht erfasst, sondern können nur Gegenstand des – verschuldensabhängigen – Schadensersatzanspruchs gemäß § 634 Nr. 4, § 280 Abs. 1 BGB sein.“

Die Nacherfüllung auch auf Mangelfolgeschäden zu erstrecken – und in der Folge einen Schadensersatzanspruch als Schadensersatz statt der Leistung zu qualifizieren – würde „zu einer nicht gerechtfertigten Einschränkung des Bestellers führen, wenn er bei mangelbedingten (engen) Folgeschäden nicht mehr entscheiden könnte, durch wen sie beseitigt werden sollen. […]Den Interessen des Unternehmers wird in Bezug auf Folgeschäden durch das in § 634 Nr. 4, § 280 Abs. 1 BGB geregelte Verschuldenserfordernis hinreichend Rechnung getragen.“ (Nachweise in Zitat ausgelassen)
Die Kosten für den Austausch des Keilrippenriemens, des Riemenspanners und des Zahnriemens qualifizierte das Gericht als Schadensersatz statt der Leistung.

„Der Schadensersatzanspruch statt der Leistung gemäß § 634 Nr. 4, §§ 280, 281 BGB tritt an die Stelle der geschuldeten Werkleistung und erfasst das Leistungsinteresse des Bestellers. Er knüpft daran an, dass eine ordnungsgemäße Nacherfüllung nicht erfolgt ist. Sein Anwendungsbereich bestimmt sich damit nach der Reichweite der Nacherfüllung. Da die Nacherfüllung gemäß § 634 Nr. 1, § 635 BGB auf Herstellung des geschuldeten Werks gerichtet ist, bestimmt dieses die Reichweite der Nacherfüllung. Die geschuldete Werkleistung ist dabei im Wege der Vertragsauslegung gemäß §§ 133, 157 BGB zu ermitteln. Die Nacherfüllung erfasst danach die Beseitigung der Mängel des geschuldeten Werks, die auf einer im Zeitpunkt der Abnahme vorhandenen vertragswidrigen Beschaffenheit des Werks beruhen.“

Damit wäre hinsichtlich der Schäden an Keilrippenriemen, Riemenspanner und Zahnriemen eine Fristsetzung grundsätzlich erforderlich gewesen. Eine solche hatte die Klägerin nicht gesetzt. Der BGH stellte jedoch fest, dass eine Fristsetzung nach § 281 Abs. 2 BGB entbehrlich sei, da besondere Umstände vorlägen, die unter Abwägung der beiderseitigen Interessen die sofortige Geltendmachung des Schadensersatzanspruchs rechtfertigten:

„Solche Umstände sind hier zu bejahen. Danach besteht ein besonderes Interesse der Klägerin an einer einheitlichen Reparatur, bei der die erforderlichen Austauscharbeiten im Zuge der Beseitigung der wirtschaftlich im Vordergrund stehenden Folgeschäden an der Lichtmaschine und der Servolenkung miterledigt werden. Demgegenüber tritt das – grundsätzlich bestehende – Interesse des Beklagten an der Möglichkeit einer Nacherfüllung betreffend Keilrippenriemen, Riemenspanner und Zahnriemen zurück […].

 
BAG, Urteil v. 07.02.2019 – 6 AZR 75/18
Gebot fairen Verhandelns bei Aufhebungsverträgen

„Ein Aufhebungsvertrag kann […] unwirksam sein, falls er unter Missachtung des Gebots fairen Verhandelns zustande gekommen ist. […]
Dieses Gebot ist eine arbeitsvertragliche Nebenpflicht. Sie wird verletzt, wenn eine Seite eine psychische Drucksituation schafft, die eine freie und überlegte Entscheidung des Vertragspartners über den Abschluss eines Aufhebungsvertrags erheblich erschwert. Dies könnte hier insbesondere dann der Fall sein, wenn eine krankheitsbedingte Schwäche der Klägerin bewusst ausgenutzt worden wäre. Die Beklagte hätte dann Schadensersatz zu leisten. Sie müsste den Zustand herstellen, der ohne die Pflichtverletzung bestünde (sog. Naturalrestitution, § 249 Abs. 1 BGB). Die Klägerin wäre dann so zu stellen, als hätte sie den Aufhebungsvertrag nicht geschlossen. Dies führte zum Fortbestand des Arbeitsverhältnisses.“ (Pressemitteilung das BAG, Nr. 6/19 v. 07.02.2019)

Siehe zu dieser besonders examensrelevanten Entscheidung auch die ausführliche Besprechung von Yannik Beden, M.A.
 
BGH, Urteil v. 02.04.2019 – VI ZR 13/18

„Weiterleben“ als Schaden
Ärzte haften grundsätzlich nicht, wenn sie einen Patienten länger als medizinisch sinnvoll am Leben erhalten und somit sein Leiden verlängern.
Geklagt hatte der Sohn eines an fortgeschrittener Demenz leidenden Patienten. Durch künstliche Ernährung sei das krankheitsbedingte Leiden seines Vaters verlängert worden; die Ärzte hätten das Therapieziel dahingehend ändern sollen, dass das Sterben des Patienten durch die Beendigung der lebenserhaltenden Maßnahmen zugelassen werde. Der Kläger machte Schmerzensgeld aus ererbtem Recht sowie den Ersatz von Behandlungs- und Pflegeaufwendungen geltend.

„Nach Auffassung des BGH steht dem Kläger kein Anspruch auf Zahlung eines Schmerzensgeldes zu. Dabei könne dahinstehen, ob der Beklagte Pflichten verletzt habe. Denn jedenfalls fehle es an einem immateriellen Schaden. Hier stehe der durch die künstliche Ernährung ermöglichte Zustand des Weiterlebens mit krankheitsbedingten Leiden dem Zustand gegenüber, wie er bei Abbruch der künstlichen Ernährung eingetreten wäre, also dem Tod. Das menschliche Leben sei ein höchstrangiges Rechtsgut und absolut erhaltungswürdig. Das Urteil über seinen Wert stehe keinem Dritten zu. Deshalb verbiete es sich, das Leben – auch ein leidensbehaftetes Weiterleben – als Schaden anzusehen (Art. 1 Abs. 1, Art. 2 Abs. 2 Satz 1 GG). Auch wenn ein Patient selbst sein Leben als lebensunwert erachten möge mit der Folge, dass eine lebenserhaltende Maßnahme gegen seinen Willen zu unterbleiben habe, verbiete die Verfassungsordnung aller staatlichen Gewalt einschließlich der Rechtsprechung ein solches Urteil über das Leben des betroffenen Patienten mit der Schlussfolgerung, dieses Leben sei ein Schaden. 
Dem Kläger stehe auch kein Anspruch auf Ersatz der durch das Weiterleben des Patienten bedingten Behandlungs- und Pflegeaufwendungen zu. Schutzzweck etwaiger Aufklärungs- und Behandlungspflichten im Zusammenhang mit lebenserhaltenden Maßnahmen sei es nicht, wirtschaftliche Belastungen, die mit dem Weiterleben und den dem Leben anhaftenden krankheitsbedingten Leiden verbunden seien, zu verhindern. Insbesondere dienten diese Pflichten nicht dazu, den Erben das Vermögen des Patienten möglichst ungeschmälert zu erhalten.“ Pressemitteilung des BGH Nr. 40/2019 v. 02.04.2019

Siehe zu dieser besonders examensrelevanten Entscheidung auch die ausführliche Besprechung von Charlotte Schippers. 
 
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15.04.2019/1 Kommentar/von Dr. Matthias Denzer
https://www.juraexamen.info/wp-content/uploads/2022/05/je_logo.svg 0 0 Dr. Matthias Denzer https://www.juraexamen.info/wp-content/uploads/2022/05/je_logo.svg Dr. Matthias Denzer2019-04-15 09:30:362019-04-15 09:30:36Examensrelevante Rechtsprechung im Überblick – Zivilrecht (Oktober 2018 – März 2019) – Teil 2
Dr. Matthias Denzer

Examensrelevante Rechtsprechung im Überblick – Zivilrecht (Oktober 2018 – März 2019) – Teil 1

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Viele Examenskandidaten stehen unmittelbar vor dem Antritt ihres „Freischusses“ im nächsten Monat. Empfehlenswert ist es dabei stets, sich die Rechtsprechung der letzten Monate noch einmal vor Augen zu führen – angesichts des zumeist straffen Zeitplans aus Lernen, Wiederholen und der Teilnahme am Klausurenkurs kein leichtes Unterfangen. In unserem Rechtsprechungsüberblick sollen daher die – aus unserer Sicht – examensrelevanten Entscheidungen auf ihre wesentlichen Aussagen reduziert dargestellt werden. Teil 2 des Rechtsprechungsüberblicks im Zivilrecht erscheint nächsten Montag (15.4.2019).
Einen Rechtsprechungsüberblick für die Monate Juli – September 2019 findet ihr unter den folgenden Links:
            Rechtsprechungsüberblick Zivilrecht (Juli – September 2018)
            Rechtsprechungsüberblick Strafrecht (Juli – September 2018)
            Rechtsprechungsüberblick Öffentliches Recht (Juli – September 2018)
 
BGH, Beschluss v. 10.10.2018 – XII ZB 231/18
Kann die Ehefrau der ein Kind gebärenden Frau als Mit-Elternteil im Geburtenregister eingetragen werden?
Nach § 1592 Nr. 1 BGB ist Vater eines Kinders der Mann, der zum Zeitpunkt der Geburt mit der Mutter des Kindes verheiratet ist. Der BGH verneinte die Frage, ob diese Regelung direkt oder analog auch auf die Ehefrau der in einer gleichgeschlechtlichen Ehe lebenden Mutter eines Kindes Anwendung finde:

„Die Ehefrau der ein Kind gebärenden Frau wird weder in direkter noch in entsprechender Anwendung des § 1592 Nr. 1 BGB Mit-Elternteil des Kindes. Die darin liegende unterschiedliche Behandlung von verschieden- und gleichgeschlechtlichen Ehepaaren trifft nicht auf verfassungs- oder konventionsrechtliche Bedenken.“ (Leitsätze 1 und 2)

 
BGH, Urteil v. 16.10.2018 – XI ZR 69/18
Verwirkung des Widerrufsrechts bei Verbraucherdarlehensverträgen
Grundsätzlich beträgt die Widerrufsfrist bei Verbraucherdarlehensverträgen 14 Tage (§ 355 Abs. 2 BGB) ab Vertragsschluss und Aushändigung der Vertragsurkunde, die die nach § 492 Abs. 2 BGB erforderlichen Pflichtangaben enthalten muss (§ 356b Abs. 1, 2 BGB). Dazu gehört insbesondere auch eine ordnungsgemäße Widerrufsbelehrung. (Gesetzesangaben entsprechen der Neufassung v. 13.06.2014.)
Im entschiedenen Fall schloss der Kläger mit der Beklagten im September 2005 einen Verbraucherdarlehensvertrag. Eine ordnungsgemäße Widerrufsbelehrung enthielt dieser nicht, die Widerrufsfrist begann damit nach § 356b Abs. 2 BGB nicht zu laufen. Im September 2011 einigte sich der Kläger mit der Beklagen auf eine vorzeitige Beendigung des Darlehensvertrags und zahlte an die Beklagte eine „Vorfälligkeitsentschädigung“. Die Beklagte gab daraufhin vom Kläger bestellte Sicherheiten frei. Im November 2014 widerrief der Kläger seine auf Abschluss des Darlehensvertrags gerichtete Willenserklärung.
Der BGH führte aus, dass das Widerrufsrecht des Klägers 9 Jahre nach Abschluss des Darlehnsvertrags und drei Jahre nach der vorzeitigen Beendigung verwirkt sei:

„Die Verwirkung als Unterfall der unzulässigen Rechtsausübung wegen der illoyal verspäteten Geltendmachung von Rechten setzt neben einem Zeitmoment ein Umstandsmoment voraus. Ein Recht ist verwirkt, wenn sich der Schuldner wegen der Untätigkeit seines Gläubigers über einen gewissen Zeitraum hin bei objektiver Beurteilung darauf einrichten darf und eingerichtet hat, dieser werde sein Recht nicht mehr geltend machen, so dass die verspätete Geltendmachung gegen Treu und Glauben verstößt. Zeit- und Umstandsmoment können nicht voneinander unabhängig betrachtet werden, sondern stehen in einer Wechselwirkung. […] Zu dem Zeitablauf müssen besondere, auf dem Verhalten des Berechtigten beruhende Umstände hinzutreten, die das Vertrauen des Verpflichteten rechtfertigen, der Berechtigte werde sein Recht nicht mehr geltend machen.“

Solche Umstände hat der BGH in der Freigabe von Sicherheiten gesehen:

„Dem steht nicht entgegen, dass der Darlehensgeber nach Beendigung des Darlehensvertrags und vollständiger Erfüllung der aus dem unwiderrufenen Darlehensvertrag resultierenden Pflichten des Darlehensnehmers die Sicherheiten ohnehin freizugeben hätte. Vom Darlehensgeber bestellte Sicherheiten sichern regelmäßig auch Ansprüche aus einem Rückgewährschuldverhältnis nach § 357 Abs. 1 Satz 1 BGB in der hier maßgeblichen, bis zum 12. Juni 2014 geltenden Fassung in Verbindung mit §§ 346 ff. BGB. Dem Rückgewähranspruch des Darlehensnehmers aus der Sicherungsabrede haftet die für den Fall des Widerrufs auflösende Rechtsbedingung einer Revalutierung an. Beendet der Darlehensgeber trotz der Möglichkeit der Revalutierung durch Rückgewähr der Sicherheit den Sicherungsvertrag, kann darin die Ausübung beachtlichen Vertrauens im Sinne des § 242 BGB liegen.“ (Nachweise in Zitat ausgelassen)

 
BGH, Urteil v. 17.10.2018 – VIII ZR 212/17
Ausübung eines Gestaltungsrechts (hier: Widerruf gem. § 312b, 312g, 355 f. BGB) nach Schluss der erstinstanzlichen mündlichen Verhandlung

„Der Vortrag einer Partei, dass ein Gestaltungsrecht erst nach Schluss der erstinstanzlichen mündlichen Verhandlung ausgeübt worden ist – vorliegend durch die Erklärung des Widerrufs gemäß § 355 Abs. 1 Satz 2 BGB – ist grundsätzlich unabhängig von den Voraussetzungen des § 531 Abs. 2 ZPO zu berücksichtigen. Denn die prozessrechtliche Präklusionsvorschrift in § 531 Abs. 2 ZPO soll die Parteien lediglich dazu anhalten, zu einem bereits vorliegenden und rechtlich relevanten Tatsachenstoff rechtzeitig vorzutragen (vgl. BT-Drucks. 14/4722, S. 102). Sie verfolgt hingegen nicht den Zweck, auf eine (beschleunigte) Veränderung der materiellen Rechtslage hinzuwirken.“

 
BGH, Urteil v. 24.10.2018 – VIII ZR 66/17
Zur Sachmängelhaftung eines mit einem Softwarefehler behafteten Neufahrzeugs

„Ein Fahrzeug ist nicht frei von Sachmängeln, wenn die Software der Kupplungsüberhitzungsanzeige eine Warnmeldung einblendet, die den Fahrer zum Anhalten auffordert, um die Kupplung abkühlen zu lassen, obwohl dies auch bei Fortsetzung der Fahrt möglich ist.
An der Beurteilung als Sachmangel ändert es nichts, wenn der Verkäufer dem Käufer mitteilt, es sei nicht notwendig, die irreführende Warnmeldung zu beachten. Dies gilt auch dann, wenn der Verkäufer zugleich der Hersteller des Fahrzeugs ist.“ (Leitsatz 1a und b)
 

BGH, Urteil v. 07.11.2018 – XII ZR 109/17
Werbung auf einem Kraftfahrzeug gegen Entgelt – Qualifizierung des Vertragstyps

„In der Zurverfügungstellung einer konkreten Werbefläche auf dem der Klägerin gehörenden Fahrzeug liegt eine Gebrauchsüberlassung gemäß § 535 BGB, bei der es einer Besitzverschaffung ausnahmsweise nicht bedarf. Die Überlassung einer Werbefläche auf einem in Benutzung der Bildungseinrichtung stehenden Kraftfahrzeug unterscheidet sich rechtlich nicht von der Reklame an Straßenbahnen, die in der höchstrichterlichen Rechtsprechung als Mietverhältnis qualifiziert worden ist. Soweit der Senat ähnlich gelagerte Werbegestattungen als Rechtspacht eingestuft hat, führt dies gemäß § 581 Abs. 2 BGB ebenfalls zur Anwendung von Mietrecht.
Dem steht auch nicht das Urteil des X. Zivilsenats des Bundesgerichtshofs vom 19. Juni 1984 (X ZR 93/83 – NJW 1984, 2406, 2407) entgegen. In jenem Fall lag der Schwerpunkt – anders als im vorliegenden Fall – ersichtlich auf werksvertragstypischen Leistungen.“ (Nachweise in Zitat ausgelassen)

 
BGH, Urteil v. 07.11.2018 – IX ZA 16/17
Zur Ablehnung eines Richters wegen Besorgnis der Befangenheit
Nach § 42 Abs. 1 ZPO kann ein Richter wegen Besorgnis der Befangenheit abgelehnt werden.

„Die Kläger meinen zu Recht, eine Besorgnis der Befangenheit des Vorsitzenden Richters ergebe sich daraus, dass dieser als Mitverfasser eines Geleitworts zu einer Festschrift anlässlich des 70. Geburtstags des Beklagten dessen Person und Lebenswerk in heraushebender Weise gewürdigt hat. In dem Geleitwort bezeichnet der abgelehnte Richter den Beklagten als einen Mann, „der sich wie kein zweiter in vielfältiger Weise um das Insolvenzrecht und die angrenzenden Rechtsgebiete verdient gemacht“ habe; der „zu der seltenen Spezies Insolvenzverwalter gehört, die unternehmerisches Denken mit scharfsinniger juristischer Analyse verbinden können“, der „unternehmerisch mit dem bestmöglichen Bemühen um die Sanierung als die ökonomisch vorzugswürdige Lösung“ vorgehe, „mit seinen Publikationen seine Qualifikation als Vordenker für die Praxis“ beweise und „den Acker «Insolvenz und Sanierung» in sehr unterschiedlichen, einander aber immer wieder befruchtenden Funktionen bestellt und daraus reiche Ernte hervorgebracht“ habe.
Die damit verlautbarte Hochachtung nicht nur von Person und Lebenswerk des Beklagten, sondern auch seiner besonderen insolvenzrechtlichen Treffsicherheit und seiner Vorbildfunktion für Insolvenzverwalter, kann bei vernünftiger Würdigung aller Umstände Anlass geben, in einem Rechtsstreit, in dem der Beklagte wegen angeblicher Pflichtverletzung bei der Ausübung seines Amtes als Insolvenzverwalter auf Schadensersatz in Anspruch genommen wird, an der Unvoreingenommenheit des Richters zu zweifeln.“

 
BGH, Urteil v. 14.11.2018 – XII ZB 107/18
Zur Auslegung einer Patientenverfügung

„Urkunden über formbedürftige Willenserklärungen sind nach allgemeinen Grundsätzen auszulegen. Außerhalb der Urkunde liegende Umstände dürfen dabei aber nur berücksichtigt werden, wenn der einschlägige rechtsgeschäftliche Wille des Erklärenden in der formgerechten Urkunde einen wenn auch nur unvollkommenen oder andeutungsweisen Ausdruck gefunden hat.“ (2. Leitsatz)

 
BGH, Urteil v. 05.12.2018 – VIII ZR 271/17
Gefahr einer Schimmelpilzbildung aufgrund von Wärmebrücken in den Außenwänden als Mangel der Mietsache bei Altbauwohnung

„Wärmebrücken in den Außenwänden einer Mietwohnung und eine deshalb – bei unzureichender Lüftung und Heizung – bestehende Gefahr einer Schimmelpilzbildung sind, sofern die Vertragsparteien Vereinbarungen zur Beschaffenheit der Mietsache nicht getroffen haben, nicht als Sachmangel der Wohnung anzusehen, wenn dieser Zustand mit den zum Zeitpunkt der Errichtung des Gebäudes geltenden Bauvorschriften und technischen Normen in Einklang steht.
Welche Beheizung und Lüftung einer Wohnung dem Mieter zumutbar ist, kann nicht abstrakt-generell und unabhängig insbesondere von dem Alter und der Ausstattung des Gebäudes sowie dem Nutzungsverhalten des Mieters, sondern nur unter Berücksichtigung der Umstände des Einzelfalls bestimmt werden“ (Leitsätze, Nachweise in Zitat ausgelassen)

 
BGH, Urteil v. 06.12.2018 – VII ZR 71/15
Zur Bemessung des Schadens nach den fiktiven Mängelbeseitigungskosten bei Nichtbeseitigung der Mängel im Rahmen eines Werkvertrags

„Die Ermittlung der Höhe des Vermögensschadens der Klägerin durch das Berufungsgericht beruht auf der Annahme, er lasse sich nach den erforderlichen, tatsächlich jedoch nicht angefallenen (Netto-)Mängelbeseitigungskosten […] bemessen, wenn der Besteller den Mangel eines Werks […] nicht beseitigt hat. Diese im Einklang mit der früheren Rechtsprechung des Senats stehende Auffassung trifft nicht zu. Der Senat hat […] unter Aufgabe seiner bisherigen Rechtsprechung entschieden, dass ein Besteller, der den Mangel nicht beseitigen lässt, seinen Schaden nicht nach den fiktiven Mängelbeseitigungskosten bemessen kann.“ (Nachweise in Zitat ausgelassen)

 
BGH, Urteil v. 19.12.2018 – XII ZR 5/18
Zur Verjährung des Anspruchs des Vermieters gegen den Mieter auf Unterlassung eines vertragswidrigen Gebrauchs der Mietsache
Der Beklagte mietete Räumlichkeiten des Vermieters zum Betrieb eines Rechtsanwaltsbüros an. Teile dieser Räumlichkeiten nutze der Beklagte zu Wohnzwecken. Der Vermieter machte gegen den Mieter einen Anspruch auf Unterlassung eines vertragswidrigen Gebrauchs der Mietsache nach § 541 BGB geltend. Dem wendet der Beklagte die Einrede der Verjährung entgegen.

„Der Bundesgerichtshof hat für den Bereich des Wohnungseigentumsrechts bereits entschieden, dass bei einer zweckwidrigen Nutzung einer Teileigentumseinheit als Wohnraum der Unterlassungsanspruch der übrigen Wohnungseigentümer aus § 1004 Abs. 1 BGB bzw. § 15 Abs. 3 WEG nicht verjährt, solange die Nutzung andauert. Zur Begründung wurde dabei im Wesentlichen darauf abgestellt, dass in diesem Fall der Schwerpunkt der Störung nicht vornehmlich in der Aufnahme der zweckwidrigen Nutzung liegt, sondern die übrigen Wohnungseigentümer in gleicher Weise dadurch beeinträchtigt werden, dass die zweckwidrige Nutzung dauerhaft aufrechterhalten wird“ (Nachweise in Zitat ausgelassen)

 
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10.04.2019/2 Kommentare/von Dr. Matthias Denzer
https://www.juraexamen.info/wp-content/uploads/2022/05/je_logo.svg 0 0 Dr. Matthias Denzer https://www.juraexamen.info/wp-content/uploads/2022/05/je_logo.svg Dr. Matthias Denzer2019-04-10 09:30:002019-04-10 09:30:00Examensrelevante Rechtsprechung im Überblick – Zivilrecht (Oktober 2018 – März 2019) – Teil 1
Dr. Matthias Denzer

Karteikarte Versammlungsfreiheit; Art. 8 GG

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06.02.2019/0 Kommentare/von Dr. Matthias Denzer
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Dr. Yannik Beden, M.A.

Karteikarte Rücktritt vom Versuch; § 24 I StGB

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05.02.2019/0 Kommentare/von Dr. Yannik Beden, M.A.
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Dr. Sebastian Rombey

BGH: Kriterien zur Abgrenzung von Eventualvorsatz und bewusster Fahrlässigkeit

Examensvorbereitung, Lerntipps, Rechtsprechung, Schon gelesen?, Startseite, Strafrecht, Strafrecht AT

Der BGH hat sich in einer seiner jüngeren Entscheidungen (BGH, Beschl. v. 20.11.2018 – 1 StR 560/18, juris) mit einer Frage auseinandergesetzt, die prüfungsrelevanter kaum sein könnte: Der Abgrenzung von Eventualvorsatz und bewusster Fahrlässigkeit.
Während bewusste Fahrlässigkeit voraussetzt, dass der Täter die Möglichkeit des Erfolgseintritts erkennt (kognitives Element), sich mit dieser jedoch nicht abfindet, sondern vielmehr darauf vertraut, der Erfolg werde nicht eintreten, kommt bei bedingtem Vorsatz neben dem Wissen um die Möglichkeit der Tatbestandsverwirklichung hinzu, dass der Täter die Tatbestandsverwirklichung billigend im Rechtssinne in Kauf nimmt, gerade um seines erstrebten Zieles Willen (voluntatives Element). Für das Studium wird dies unter Zuhilfenahme der Frank’schen Formel heruntergebrochen auf folgende Faustregel: Denkt der Täter „Na wenn schon“, auch wenn es ihm höchst unlieb ist, liegt Eventualvorsatz vor, denkt er „Es wird schon gut gehen“, ist bewusste Fahrlässigkeit gegeben. Als Indiz wird typischerweise der sog. Vermeidungswille genannt, den der Täter hat oder eben nicht hat.
Immer wieder keimt Kritik an dieser rechtsunsicheren Abgrenzung der Rechtsprechung und herrschenden Lehre auf; ein überzeugendes Alternativkonzept konnte indes noch nicht vorgelegt werden (vgl. unseren Beitrag zur Diskussion um die Abschaffung des Eventualvorsatzes). Zu noch mehr Abgrenzungsschwierigkeiten führen nur die sog. „intellektuellen Theorien“, die versuchen, unter Hinweis auf § 16 Abs. 1 S. 1 StGB gänzlich auf das voluntative Element zu verzichten (Wahrscheinlichkeits- und Möglichkeitstheorie sowie normative Risikolehre). Dass § 16 Abs. 1 S. 1 StGB  aber kein valides Argument gegen das Wollenselement des Vorsatzes sein kann, ist denklogisch, denn die Norm regelt neben dem Simultanitätsprinzip allein Irrtümer, die nichts mit dem Wollen zu tun haben können. Aus ihr folgt also nur das unstreitige Wissenselement, mehr gibt sie dagegen nicht her. Und so bleibt es bei der oben beschriebenen, wenig trennscharfen Abgrenzungslinie. Dass diese in der Rechtswirklichkeit immer wieder zu Problemen führt, zeigt nicht zuletzt der nachfolgende Sachverhalt, der dem 1. Strafsenat des BGH jüngst vorgelegt wurde:
I. Sachverhalt und Wertungen der Vorinstanz (LG München I, Urt. v. 12.06.2018)
„Am 12. Februar 2017 gegen 6.40 Uhr trafen in einer Tabledance-Bar der spätere Geschädigte R. und der Mitangeklagte L. im Durchgang zu den Toiletten aufeinander. Es kam zu einer verbalen Auseinandersetzung, in deren Verlauf der Mitangeklagte L. den Geschädigten schubste. Dies bemerkten der Mitangeklagte E. und der Angeklagte G. Beide mischten sich auf Seiten des Mitangeklagten L. in dieses Geschehen ein und sie begannen zu dritt, auf den Geschädigten einzuschlagen bzw. zu treten. Der Geschädigte ging hierdurch zunächst zu Boden, konnte aber sogleich wieder aufstehen und sich gegen die körperlichen Übergriffe der drei Angeklagten zur Wehr setzen. Kurz darauf zog der Angeklagte G. auf Grund der heftigen und so von den Angeklagten nicht erwarteten Gegenwehr des Geschädigten ein Messer mit einer Klingenlänge von nicht ausschließbar nur drei Zentimetern. Damit stach er dem Geschädigten unmittelbar und ohne Vorwarnung zweimal in den Bauch und fügte ihm einen Schnitt am Arm zu, wobei diese Verletzung nicht ausschließbar im Zuge einer der Stiche in den Bauch entstand.“
Die Vorinstanz, das LG München I, hatte ausgehend von diesem Sachverhalt einen versuchten Totschlag in Tateinheit mit gefährlicher Körperverletzung angenommen und den Angeklagten entsprechend verurteilt:
„Der Angeklagte G. rechnete angesichts seiner äußerst gefährlichen Vorgehensweise mit der Möglichkeit, dass der Geschädigte an den zugefügten Verletzungen versterben könnte und nahm dessen Tod jedenfalls billigend in Kauf. Der Geschädigte erlitt auf Grund der Messerstiche eine zwei bis vier Zentimeter lange Schnitt-/Stichwunde im linken Unterbauch mit einer Tiefe von einem Zentimeter sowie eine entsprechende Verletzung im rechten Oberbauch mit einer Tiefe von zwei Zentimetern, wobei es zu Lufteinschlüssen im subkutanen Gewebe kam.“
Die doch recht dünne Begründung des LG München I lautet verkürzt: Stiche in den Oberkörper einer Person könnten zweifelsfrei zu tödlichen Verletzungen führen, das sei allgemeinhin bekannt. Bei einer Klingenlänge von drei Zentimetern, die aber fast vollständig in den Oberkörper des Opfers eindringt, gelte nichts anderes. Denn: Auch bei Messern mit kurzer Klingenlänge könnten bei Stichen in wichtige Organe und besonders sensible Körperregionen lebensgefährliche Verletzungen hervorgerufen werden.
II. Die Entscheidung des 1. Strafsenats (Beschl. v. 20.11.2018 – 1 StR 560/18, juris)
Die einzig juristisch interessante Frage, die der BGH auf die Revision des Angeklagten G. hin zu prüfen hatte (die gefährliche Körperverletzung war unproblematisch gegeben), war hierbei: Liegt tatsächlich versuchter Totschlag vor? Genauer: Handelte der Angeklagte G. wirklich mit dolus eventualis?
Der BGH beantwortete diese Frage mit einem klaren „Nein“, gibt dem Rechtsanwender aber glücklicherweise ein Bündel von Kriterien mit an die Hand, das dazu beitragen kann, die Abgrenzung zur bewussten Fahrlässigkeit etwas objektiver und damit rechtssicherer zu gestalten:
„Bei äußerst gefährlichen Gewalthandlungen liegt es nahe, dass der Täter mit der Möglichkeit rechnet, das Opfer könne durch diese zu Tode kommen und – weil er gleichwohl sein gefährliches Handeln fortsetzt – auch einen solchen Erfolg billigend in Kauf nimmt. Deshalb ist in derartigen Fällen ein Schluss von der objektiven Gefährlichkeit der Handlungen des Täters auf bedingten Tötungsvorsatz […] grundsätzlich möglich.“
Aber, auch das betont der BGH, es bedarf hierzu einer Gesamtschau aller Tatumstände, sowohl der objektiven als auch der subjektiven. Hierbei sind – neben der genannten objektiven Gefährlichkeit der Handlung – vor allem die folgenden Kriterien zu berücksichtigen:

  • die konkrete Angriffsweise des Täters,
  • die psychische Verfassung des Täters und des Opfers im Zeitpunkt der Tatbegehung sowie
  • die Motivationslage des Täters.

Genau diese Gesamtschau hatte die Vorinstanz indes nicht vorgenommen, sondern allein auf die objektive Gefährlichkeit mehrerer Messerstiche in sensible Körperregionen abgestellt. In einer Klausur wäre selbiges ein vermeidbarer Fehler. Es wäre noch zu klären gewesen, welche Stichbewegungen der Täter genau ausgeführt hatte, um die konkrete Angriffsweise näher zu beleuchten, so der BGH. Ferner hätten Feststellungen zur „konkreten Lage der Verletzungen im Bauchbereich sowie zur Größe und zur Konstitution des Geschädigten und des Angeklagten“ getroffen werden müssen. Dies gilt umso mehr, als die Klingenlänge hier nur drei Zentimeter betrug und der Angeklagte zur Verteidigung angab, dem Opfer nur einen „Denkzettel“ habe verpassen respektive diesen zur Aufgabe habe bewegen wollen – zumal der mit dem Fall befasste Rechtsmediziner festgestellt hatte, dass die Stiche nicht zur Verletzung des Bauchfells geführt hatten und das Opfer selbst sie erst später bemerkt hatte.
III. Summa: Eine penible Sachverhaltsauswertung ist unerlässlich
Die aktuelle BGH-Entscheidung lehrt, was bereits zuvor auf der Hand lag: Eventualvorsatz kann nur im Einzelfall festgestellt werden, unter Würdigung aller Umstände – welche dieser Umstände besondere Relevanz entfalten bzw. zwingend berücksichtigt werden müssen, haben die obigen Ausführungen verdeutlicht. Wer sich die Abgrenzung von bedingtem Vorsatz und bewusster Fahrlässigkeit näher anschauen will, mag sich den neuen Aufsatz von Nicolai, JA 2019, 31 ansehen, der sich mit der Darstellung derselben im Rahmen einer Strafrechtsklausur auseinandersetzt.
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15.01.2019/2 Kommentare/von Dr. Sebastian Rombey
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Redaktion

Zivilrecht I – Dezember 2018 – NRW – 1. Staatsexamen

Examensreport, Examensvorbereitung, Gesellschaftsrecht, Lerntipps, Mietrecht, Nordrhein-Westfalen, Schon gelesen?, Startseite, Zivilrecht

Nachfolgend erhaltet ihr ein Gedächtnisprotokoll zur Examensklausur im Zivilrecht I, 1. Staatsexamen, NRW, Dezember 2018. Ergänzungen und Korrekturanmerkungen sind wie immer gerne gesehen. Wir danken sehr herzlich für die Zusendung.
Unser Examensreport lebt von Eurer Mithilfe. Deshalb bitten wir Euch, uns Gedächtnisprotokolle Eurer Klausuren zuzuschicken, damit wir sie veröffentlichen können. Nur so können Eure Nachfolger genauso von der Seite profitieren, wie Ihr es getan habt. Unsere Adresse lautet examensreport@juraexamen.info.
M ist seit Juni 2011 Mieter der von der X-GmbH vermieteten Wohnung. Die Wohnung ist Teil eines Mehrfamilienhaus, das auf einen Grundstück der X-GmbH steht. Gesellschafter der ordnungsgemäß ins Handelsregister eingetragen X-GmbH sind die Brüder A und B. 

A bewohnt mit seiner Ehefrau eine Wohnung, die für den bald erwarteten Nachwuchs zu klein ist. Deswegen will er in die größere, von M gemietete Wohnung einziehen. Nach Rücksprache mit B setzt A am 08.03.2018 selbst ein Kündigungsschreiben auf, in dem er genau seinen Eigenbedarf begründet, das Mietverhältnis zum 20.09.2018 kündigt und das er eigenhändig im Namen der X-OHG unterschreibt. Dieses geht am 10.03.2018 dem M zu. 
 
Am 31.03.2016 erhebt M Widerspruch. Er will unbedingt in der Wohnung bleiben und meint, ein Gesellschafter einer OHG könne sich nicht auf Eigenbedarf berufen. Zudem hält er mangels Vollmachtsurkunde das Kündigungsschreiben des A für unwirksam. 
In einem darauf folgenden Telefongespräch mit B, weist B darauf hin, dass er die Kündigung für rechtmäßig hält und an ihr festhalten will. 
 
Mitte April 2018 erbt die Ehefrau das A überraschend eine ausreichend große Wohnung, sodass A daraufhin kein Interesse mehr an der Wohnung des M hat. M zahlt jedoch nur eine Miete von 1.000 €, obwohl die ortsübliche Miete 1.500 € beträgt. Eine Mieterhöhung wäre erst wieder in einem Jahr möglich. Deswegen beschließen A und B dem M nichts von der neuen Wohnung des A zu erzählen, um den M so zu kündigen und die Wohnung anschließend lukrativer vermieten zu können. 
 
Nachdem A und B dem M mehrfach – auch unter Einbeziehung eines Anwaltes – mit einer Räumungsklage gedroht haben, sollte er die Wohnung nicht zum 30.09.2018 verlassen, erklärt sich M schließlich Mitte Juni aus Furcht vor einer Klage und den damit verbundenen Kosten zu einem Auszug bereit. 
Tatsächlich zieht er dann auch schon am 15.09.2018 in eine andere Wohnung.
 
Ab dem 01.10.2018 wird die Wohnung an den D mit seiner Familie vermietet. Da D bereits seit zwei Jahren verzweifelt eine Wohnung sucht, war er bereit mit 1.750 € auch einen über der ortsüblichen Miete liegenden Mietzins zu zahlen. 
 
Am 02.10.2018 erfährt M zufällig von dem ganzen Sachverhalt. Noch am gleichen Tag verlangt er von der X-OHG, wieder in die Wohnung gelassen zu werden, da er meint, dass das Mietverhältnis noch fortbestehe. Zudem verlangt er Schadensersatz für seine (angemessenen) Umzugskosten in Höhe von 1.250 €. Außerdem will M die Mieteinnahmen von D solange erhalten, wie er nicht in der Wohnung wohnen kann. 
 
B meint, das Mietverhältnis sei ordentlich gekündigt worden. Selbst wenn nicht, wäre es nicht möglich den D aus der Wohnung zu bekommen, da dieser unter allen Umständen dort bleiben wolle. Auch will B nicht die Umzugskosten zahlen und meint, es gäbe keine Anspruchsgrundlage für eine Erlösherausgabe. Zudem müsste ansonsten M sich jedenfalls seine Miete in Höhe von 1.000 € anrechnen lassen.
 
Am 01.12.2018 geht M zu dem Anwalt R und bittet ihn um Hilfe. Sie assistieren R als studentischer Rechtsberater und sollen für ihn folgende Fragen begutachten:
 
Frage 1:
Kann M von der X-OHG die Wiedereinräumung des Besitzes an der Wohnung verlangen?
 
Frage 2:
Es wird unterstellt, dass das Mietverhältnis nicht beendet wurde.
 
a) Kann M von der X-OHG Schadensersatz für seine Umzugskosten von 1.250 € verlangen?
 
b) Kann M von der X-OHG Erlöserausgabe für die Miete des D in Höhe von 1.750 € für die Monate Oktober und November verlangen?
 
Frage 3:
Es wird unterstellt, dass das Mietverhältnis nicht beendet wurde. 
Am 14.09.2018 wird die Y-GmbH nach vorheriger, ordnungsgemäßer Auflassung als Eigentümerin für das Grundstück, auf dem die ehemals von M bewohnte Wohnung steht, in das Grundbuch eingetragen. Ist sie in das Mietverhältnis eingetreten?
 
Bearbeitervermerk:
Deliktische Ansprüche aus den §§ 823 ff. sind nicht zu prüfen. Auf alle aufgeworfenen Fragen ist notfalls hilfsgutachterlich einzugehen. 
14.12.2018/1 Kommentar/von Redaktion
https://www.juraexamen.info/wp-content/uploads/2022/05/je_logo.svg 0 0 Redaktion https://www.juraexamen.info/wp-content/uploads/2022/05/je_logo.svg Redaktion2018-12-14 09:00:192018-12-14 09:00:19Zivilrecht I – Dezember 2018 – NRW – 1. Staatsexamen
Redaktion

Öffentliches Recht II – November 2018 – NRW – 1. Staatsexamen

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Nachfolgend erhaltet ihr ein Gedächtnisprotokoll zur Examensklausur im Öffentlichen Recht, 1. Staatsexamen, NRW, November 2018. Ergänzungen und Korrekturanmerkungen sind wie immer gerne gesehen. Wir danken sehr herzlich für die Zusendung.
Unser Examensreport lebt von Eurer Mithilfe. Deshalb bitten wir Euch, uns Gedächtnisprotokolle Eurer Klausuren zuzuschicken, damit wir sie veröffentlichen können. Nur so können Eure Nachfolger genauso von der Seite profitieren, wie Ihr es getan habt. Unsere Adresse lautet examensreport@juraexamen.info.
In Deutschland gibt es die Möglichkeit zur Punzierung. Das ist ein Stempel auf Edelmetallen, der deren Feinheit angibt. Die Hersteller nehmen die Punzierung selbst und freiwillig vor. Wenn die Angaben falsch sein sollten, haften die Hersteller auf Schadenersatz und begehen eine Ordnungswidrigkeit. Bei vorsätzlichem Handeln begehen sie sogar eine Straftat.
Die Staaten A, B und C sind Mitgliedstaaten der Europäischen Union. Dort nimmt eine staatliche Stelle die Punzierung vor. In diesen Mitgliedstaaten dürfen auch nur Edelmetalle verkauft werden, die eine staatliche Punzierung erhalten haben. Diese Staaten erkennen die Punzierungen aus den jeweils anderen Staaten an. Für Hersteller aus Deutschland gewährt der Mitgliedstaat A die Möglichkeit, die Produkte vor ihrem Verkauf in A punzieren zu lassen. Punzierungen aus Deutschland würden anerkannt werden, wenn diese auch in Deutschland durch eine staatliche Stelle übernommen werden würden.
Die X-GmbH mit Sitz in Deutschland stellt Edelmetallprodukte her und vertreibt diese. Sie möchte ihre Produkte insbesondere auch in A verkaufen. Dafür muss gemäß der Verwaltungspraxis des Mitgliedstaates A vor jeder Auslieferung die Punzierung bei der staatlichen Stelle in A (oder auch in B oder C) beantragt und vorgenommen werden. Es kommt hierbei immer wieder zu sprachlichen Schwierigkeiten und die Lieferzeiten der X-GmbH verzögern sich dadurch insbesondere im Vergleich zu in A ansässigen Unternehmen deutlich. Aufgrund dessen werden viele Bestellungen von Kunden aus A bei der X-GmbH wieder stroniert.
Die Bundesrepublik Deutschland vermutet einen Verstoß gegen die Warenverkehrsfreiheit. Insbesondere gäbe es mit einer europäischen Richtlinie über das CE-Siegel bereits eine europaweite Regelung, welche die Qualität von Produkten gewährleisten soll.
Die Kommission verfasst eine begründete Stellungnahme nach Art. 259 AEUV und stellt diese dem Mitgliedstaat A zu.
Dieser verneint einen Verstoß gegen die Warenverkehrsfreiheit. Von staatlichen Stellen vorgenommene Punzierungen seien verlässlicher. Das sei bedeutend, weil schon – was zutrifft – kleinste Abweichungen eine erhebliche Auswirkung auf die Gewinnspanne hätten.
Die Bundesrepublik Deutschland betreibt nun ein Vertragsverletzungsverfahren gegen den Mitgliedstaat A wegen dessen Verwaltungspraxis.
Aufgabe 1
Hat das Vertragsverletzungsverfahren Erfolg?
Aufgabe 2
Unterstellt wird, dass das Vertragsverletzungsverfahren keinen Erfolg hat: Kann die X-GmbH aus Grundfreiheiten oder deutschen Grundrechten von der BRD verlangen, dass auch in Deutschland eine staatliche Punzierungsstelle geschaffen wird? Die Bundesregierung meint, dass die Grundfreiheiten „in dieser Konstellation“ nicht anwendbar wären, und hat Zweifel, was die „Funktion der Grundrechte“ angeht.
Aufgabe 3
Unabhängig von einer Verpflichtung dazu hält die Bundesreggierung es zum Abbau bestehender Nachteile für die deutschen Hersteller für Geboten, auch in Deutschland die Möglichkeit zur Punzierung durch eine staatliche Stelle zu schaffen. Das untenstehende Gesetz bringt sie in den Bundestag ein, wo es  in einem ordnungsgemäßen Verfahren  beschlossen wird. Nachdem der Bundesrat auf die Anrufung des Vermittlungsausschusses verzichtet, wird das Gesetz verkündet. Die Landesregierung L meint, dass der Bund hierfür keine Kompetenz hätte. Verwaltung sei Ländersache. Und sowieso hätte der Bundesrat zustimmen müssen. Ist das Gesetz mit den Vorschriften des Grundgesetzes vereinbar?
§ 1 Hersteller von Edelmetallen haben die Möglichkeit, eine staatliche Punzierung zu erhalten.
§ 2 Zu diesem Zweck wird eine Bundesoberbehörde mit Sitz in Bonn errichtet und dem Bundesministerium für Wirtschaft unterstellt.
Aufgabe 4
Die Kommission hält es für sinnvoller, wenn statt der einzelstaatlichen Regelungen die Punzierung einheitlich durch die Europäische Union geregelt wird. Hat sie dafür die Kompetenz? In welcher Handlungsform könnte sie das tun? Welches Verfahren ist dafür vorgesehen? Wer könnte das einleiten?
Bearbeitervermerk: Beantworten sie die aufgeworfenen Fragen – ggf. hilfsgutachterlich – in einem umfassenden Gutachten.

12.12.2018/0 Kommentare/von Redaktion
https://www.juraexamen.info/wp-content/uploads/2022/05/je_logo.svg 0 0 Redaktion https://www.juraexamen.info/wp-content/uploads/2022/05/je_logo.svg Redaktion2018-12-12 09:00:052018-12-12 09:00:05Öffentliches Recht II – November 2018 – NRW – 1. Staatsexamen
Redaktion

Öffentliches Recht I – November 2018 – NRW – 1. Staatsexamen

Examensreport, Lerntipps, Nordrhein-Westfalen, Öffentliches Recht, Schon gelesen?, Startseite

Nachfolgend erhaltet ihr ein Gedächtnisprotokoll zur Examensklausur im Öffentlichen Recht, 1. Staatsexamen, NRW, November 2018. Ergänzungen und Korrekturanmerkungen sind wie immer gerne gesehen. Wir danken sehr herzlich für die Zusendung.
Unser Examensreport lebt von Eurer Mithilfe. Deshalb bitten wir Euch, uns Gedächtnisprotokolle Eurer Klausuren zuzuschicken, damit wir sie veröffentlichen können. Nur so können Eure Nachfolger genauso von der Seite profitieren, wie Ihr es getan habt. Unsere Adresse lautet examensreport@juraexamen.info.
 
Der K betreibt ein kleines Geschäft in einem allgemeinen Wohngebiet der großen kreisangehörigen Stadt S. Er hatte hierfür von der unteren Bauaufsichtsbehörde eine Baugenehmigung erhalten. Diese enthielt den Zusatz, dass er sich (wegen Lärm) nicht in der Nachtzeit (von 00:00 bis 06:00 Uhr) beliefern lassen darf. Die Baugenehmigung war rechtmäßig und ist inzwischen bestandskräftig.
Damit er auch in seiner Abwesenheit beliefert werden kann, überlässt der K seinem Lieferanten G einen Schlüssel für das Lager. Damit kann G seinen LKW bis an das Geschäft des K heranfahren und seine Waren abladen. Der K weist den G auf das Verbot hin, zur Nachtzeit zu beliefern. Anfangs hält sich der G daran.
Wegen des tagsüber hohen Verkehrsaufkommens beginnt der G nach einiger Zeit aber damit, den K auch nachts (zwischen 03:00 Uhr und 06:00 Uhr) zu beliefern. Der G nutzt dazu seinen eigenen, von K überlassenen Schlüssel. Der K erfährt davon, unternimmt aber nichts.
Der Nachbar N wohnt direkt neben dem Geschäft des K. Er wird von dem Lärm nachts gestört. Wegen der tropischen Wettertemperaturen ist an Schlaf vor 24:00 Uhr nicht zu denken. Der von den nächtlichen Belieferungen verursachte Lärm lässt ihn nicht schlafen. Aufgrund des Schlafmangels hat der N mit Beschwerden zu kämpfen, insbesondere mit Kopfschmerzen. Ein Sachverständiger kann nachweisen, dass der Lärm bestimmte Grenzwerte überschreitet und daher ein Verstoß gegen § 22 BImSchG i.V.m. der TA-Lärm darstellt.
Der N beschwert sich bei K, der aber weiterhin nichts unternimmt. Er meldet diese Vorfälle und der – zuständigen – unteren Bauaufsichtsbehörde. Diese bestätigt schriftlichen den Eingang der Meldung und verspricht, sich schnellstmöglich um diese Angelegenheit zu kümmern. Im weiteren Verlauf unternimmt die Behörde aber nichts und antwortet zwei Monate lang nicht auf Nachfragen des N.
Der N wendet sich an den Rechtsanwalt R. Dieser fragt sich, ob die Behörde überhaupt gegen den K etwas unternehmen könne und ob nicht vielmehr der G in Anspruch genommen werden müsse.
Aufgabe 1
1. Könnte die Behörde auf Grundlage von § 61 I 2 BauO NRW (ggf. i.V.m. § 14 OBG) gegen den K einschreiten?
2. Was könnte die Behörde in Hinblick auf eine zwangsweise Durchsetzung außerdem noch verfügen? Unter welchen Voraussetzungen wäre das rechtmäßig?
3. Hat der N auch einen Anspruch auf Einschreiten?
Aufgabe 2
Unterstellt wird, dass der N einen Anspruch auf Einschreiten hat: Wie könnte der N seinen Anspruch mit verwaltungsgerichtlichen Mitteln geltend machen, wenn dies möglichst schnell gehen soll? Wäre so ein Vorgehen zulässig? Unter welchen Voraussetzungen wäre so ein Vorgehen grundsätzlich begründet?
Bearbeitervermerk: Beantworten sie die aufgeworfenen Fragen  ggf. hilfsgutachterlich  in einem umfassenden Gutachten aus der Sicht des R.
Es folgten Ausführungen zum BImSchG.
Es folgten Ausführungen zur TA-Lärm und der Hinweis darauf, dass es sich um eine Verwaltungsvorschrift handelt.
Soweit es zur Lösung der Aufgabenstellung auf die Anwendung von Vorschriften aus dem Bauordnungsrecht ankommt, ist die BauO NRW (v. Hippel/Rehborn ON: 93) anzuwenden und nicht die BauO NRW 2016 (v. Hippel/Rehborn ON: 93.1).

06.12.2018/0 Kommentare/von Redaktion
https://www.juraexamen.info/wp-content/uploads/2022/05/je_logo.svg 0 0 Redaktion https://www.juraexamen.info/wp-content/uploads/2022/05/je_logo.svg Redaktion2018-12-06 09:00:562018-12-06 09:00:56Öffentliches Recht I – November 2018 – NRW – 1. Staatsexamen
Redaktion

Zivilrecht I – November 2018 – NRW – 1. Staatsexamen

Examensreport, Examensvorbereitung, Lerntipps, Nordrhein-Westfalen, Schon gelesen?, Startseite

Nachfolgend erhaltet ihr ein Gedächtnisprotokoll zur Examensklausur im Zivilrecht I, 1. Staatsexamen, NRW, November 2018. Ergänzungen und Korrekturanmerkungen sind wie immer gerne gesehen. Wir danken A.P. sehr herzlich für die Zusendung.
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Sachverhalt
Studentin S sucht eine neue Wohnung. Die Wohnung der Vermieterin V gefällt der S sehr, was sie ihr auch sagt. Nach kurzer Zeit meldet sich die V und berichtet S, dass sie ihr den Individualvertrag bereits von ihr unterschrieben per E-Mail zusendet, sofern S mit diesen einverstanden ist, solle sie der V Bescheid geben.
S freut sich über diesen Zuschlag und schreibt der V per WhatsApp: „Ich freue mich schon über die neue Wohnung“, sodann druckt S die E-Mail der V aus und legt sie ohne diese gelesen zu haben zur Seite.
S weiß, dass aufgrund des § 556d BGB die Monatsmiete nicht über 10 % über der ortsüblichen Vergleichsmiete liegen darf. Dank ihrer Recherche erfährt S, dass die ortsübliche Vergleichsmiete 500 Euro beträgt und beauftragt ihre Bank sodann mit der monatlichen Überweisung an V iHv 550 Euro.
Tatsächlich stand in den Vertragsbedingungen, dass die Vertragslaufzeit aufgrund der sich immer wieder ändernden Marktlage auf zwei Jahre begrenzt ist und die Monatsmiete 750 Euro beträgt.
Im Mai meldet sich V bei S und sagt, dass ihr Mietvertrag bald (Dezember 2017) endet. Außerdem sei ihr aufgefallen, dass S ihr 200 Euro monatlich zu wenig an Miete gezahlt hat und sie aufgrund der Brandflecke auf dem Parket einen Kostenvoranschlag holen werde.
Tatsächlich bedauert S, im Dezember mehrmals die Kerzen auf dem Parkettboden vergessen zu haben. Aber mit dem Ende der Vertragslaufzeit und der zu wenig gezahlten Miete sei sie nicht einverstanden. Zumal dies gar nicht gelten könnte, wenn S den Vertrag gar nicht unterzeichnet hat. S zieht nach Ende der Mietzeit nicht aus.
Im Februar meldet sich der Investor I, der das Haus in dem sich die Mietwohnung der S befindet gekauft hat bei S. Er steht bereits seit Januar 2018 im Grundbuch. Er verlangt von S den Mietrückstand für die zwei Jahre und die Handwerkerkosten (tatsächlich iHv 1000 Euro) für die Beseitigung der Parkettschäden außerdem auch die Räumung der Wohnung. S ist der Ansicht, dass er sich zumindest die an V gezahlten zwei Monatsmieten von Januar und Februar anrechnen lassen muss. Als die S sich weigert zu zahlen und auszuziehen, wird I wütend und kündigt der S fristlos aber hilfsweise auch ordnungsgemäß, aufgrund des Mietzahlungsverzugs.
Kann I von S Räumung und Herausgabe der Wohnung verlangen?
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29.11.2018/0 Kommentare/von Redaktion
https://www.juraexamen.info/wp-content/uploads/2022/05/je_logo.svg 0 0 Redaktion https://www.juraexamen.info/wp-content/uploads/2022/05/je_logo.svg Redaktion2018-11-29 13:55:022018-11-29 13:55:02Zivilrecht I – November 2018 – NRW – 1. Staatsexamen
Redaktion

Strafrecht – November 2018 – NRW – 1. Staatsexamen

Examensreport, Nordrhein-Westfalen, Schon gelesen?, Startseite

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Sachverhalt

A betritt kurz vor Ladenschluss den Kiosk des K. Während der Inhaber K die Kasse zählt, schleicht sich A von hinten an den K heran und hält ihm eine fünfzig Zentimeter lange und schwere Brechstange in den Rücken und schreit: „Nicht bewegen, sonst mache ich dich kalt!“. Wie von K erwartet, hält K die Brechstange für eine Waffe und erstarrt vor Angst. So kann K ungehindert die Geldscheine ergreifen und fliehen.

Aufgrund der Beschreibung des K wird A sodann von den Polizeibeamten aufgefunden und (ordnungsgemäß) in die Strafvollzugsanstalt gebracht. Dort trifft A auf den X, der A in seine Ausbruchspläne einweiht und diesen auffordert, seinen Plan mit ihm durchzuziehen und auszubrechen. Der Plan des X sieht es vor, den gehbehinderten Strafvollzugsbeamten B während der Essensausgabe mit abmontierten Stuhlbeinen niederzuschlagen. Dass B dabei tödlich verletzt werden könnte, nimmt X billigend in Kauf. A stimmt dem X bei dem Plan zu, will insgeheim jedoch gar nicht ausbrechen. Erst durch die Zustimmung des A fühlt sich X in seinem Tatentschluss endgültig bestärkt. A und X schrauben die Beine eines Stuhls ab und legen sie im Essensraum für den nächsten Tag bereit. A erzählt den Beamten jedoch von diesem Plan. So können sie rechtzeitig die Stuhlbeine beiseiteschaffen und verlegen X in einen anderen Bereich.

Nach der Freilassung des A wird er aufgrund seiner kriminellen Ader von seiner Freundin aus der Wohnung geworfen. Sodann ruft er die Wohnwagenvermietung an, um in einem Wohnwagen zu leben, bis er eine neue Wohnung findet. Er vereinbart mit dem Vermieter einen Termin. Um zu der Wohnwagenvermietung zu gelangen, benutzt er die Straßenbahn, ohne einen Fahrschein zu lösen. Die Aufschrift „Zutritt nur mit gültigem Fahrschein“ umgeht er bewusst, jedoch mit schlechtem Gewissen. Als der Kontrolleur M den A erreicht, zeigt A sein längst abgelaufenes Semesterticket, in der Hoffnung, dass der Kontrolleur aufgrund des Gedränges nicht so genau hinschaut und das Ticket für „echt“ hält. So geschieht es auch. A ist stolz, aufgrund des „taktischen Schachzuges“ sich das erhöhte Entgelt von 60 Euro gespart zu haben.

Nachdem A die Miete für den Mietwagen zahlt, nimmt er den Mietwagen mit. Da er allerdings in nächster Zeit keine neue Wohnung findet, beschließt er, über die Vertragslaufzeit hinaus, den Wohnwagen nicht zurückzugeben. Dies obwohl er ausdrücklich wegen lukrativen Vermietungsmöglichkeiten darauf hingewiesen wurde, dass die Vertragslaufzeit nicht verlängert werden kann. Um nicht aufzufallen fährt A nicht mehr mit dem Wohnwagen.

Da A denkt, dass er sich durch den Vertragsbruch strafbar gemacht hat, will er diese Straftat vertuschen, in dem er den Wohnwagen verbrennt. Er holt einen Benzinkanister und verteilt das Benzin im Wohnwagen und zündet diesen von außen an. In der Hoffnung, dass der Vermieter diesen gegen Diebstahl und sonstige Beeinträchtigungen des Mieters versichert hat, will er dem Vermieter keinen „Schaden“ zufügen. Dafür will er ihn am nächsten Tag, also noch vor Ende der Vertragslaufzeit, als gestohlen melden. Aufgrund des Feuers wird der Wohnwagen komplett zerstört. Außerdem kommt auch der wohnungslose O, der sich hinter dem Wohnwagen schlafen gelegt hat um ein Haar durch die herunterfallenden Teile mit seinem Leben davon. Von dem O wusste A nichts.

Noch bevor A den Wohnwagen als gestohlen melden kann, wird er festgenommen.

Strafbarkeit von A und X?
Bearbeitevermerk: Nicht zu prüfen sind §§ 303, 234, 239a StGB. Sämtliche Anträge sind noch nicht gestellt.
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26.11.2018/1 Kommentar/von Redaktion
https://www.juraexamen.info/wp-content/uploads/2022/05/je_logo.svg 0 0 Redaktion https://www.juraexamen.info/wp-content/uploads/2022/05/je_logo.svg Redaktion2018-11-26 11:06:222018-11-26 11:06:22Strafrecht – November 2018 – NRW – 1. Staatsexamen
Dr. Yannik Beden, M.A.

Examensrelevante Rechtsprechung im Überblick: Strafrecht (Quartal 3/2018)

Rechtsgebiete, Rechtsprechungsübersicht, Schon gelesen?, Startseite, StPO, Strafrecht, Strafrecht, Strafrecht AT, Strafrecht BT, Verschiedenes

Sowohl während des Studiums, als auch in der Vorbereitung auf Examensklausuren oder die mündliche Prüfung: Nur wer die aktuelle Rechtsprechung im Blick hat, ist auf neue Sachverhaltskonstellationen gut vorbereitet. Für das dritte Quartal 2018 haben wir euch im Zivilrecht und Öffentlichen Recht bereits die prüfungsrelevantesten Gerichtsentscheidungen präsentiert. Zur Vervollständigung unseres Quartalsberichts werden im nachstehenden Beitrag die wichtigsten Urteile und Beschlüsse zum materiellen Strafrecht und Strafprozessrecht besprochen:
I. Materielles Strafrecht
1. BGH Beschl. v. 5.7.2018 – 1 StR 201/18 zu den Rücktrittsanforderungen bei beendetem Versuch gem. § 24 Abs. 1 S. 1 Var. 2 StGB
Die Entscheidung des Ersten Senats betraf den Rücktritt vom versuchten Mord, §§ 211, 22, 23 StGB sowie der versuchten Brandstiftung mit Todesfolge, §§ 306c, 22, 23 StGB. Im zu entscheidenden Fall setzte der Angeklagte – ein Mitglied der Freiwilligen Feuerwehr – ein mehrstöckiges Wohnhaus in Brand, um dadurch einen Feuerwehreinsatz auszulösen und im Anschluss an der Bekämpfung des Feuers mitzuwirken. Damit wollte der Täter die auszulobende Einsatzvergütung erlangen, um seine schlechte finanzielle Situation aufzubessern. Der Täter wirkte dabei nicht vor Ort, sondern verrichtete seine Dienste in der Funkzentrale. Der BGH sah hierdurch die Voraussetzungen des Rücktritts vom beendeten Versuch nach § 24 Abs. 1 S. 1 Var. 2 StGB nicht erfüllt. Eine – für einen wirksamen Rücktritt notwendige – eigene Kausalkette, die für die Nichtvollendung der Tat zumindest mitursächlich ist, habe der Täter durch sein Verhalten nicht in Gang gesetzt:

„Nach der Rechtsprechung des BGH kommt ein Rücktritt vom Versuch gem. § 24 Absatz I 1 Var. 2 StGB schon dann in Betracht, wenn der Täter unter mehreren Möglichkeiten der Erfolgsverhinderung nicht die sicherste oder „optimale“ gewählt hat, sofern sich das auf Erfolgsabwendung gerichtete Verhalten des Versuchstäters als erfolgreich und für die Verhinderung der Tatvollendung als ursächlich erweist. Es kommt nicht darauf an, ob dem Täter schnellere oder sicherere Möglichkeiten der Erfolgsabwendung zur Verfügung gestanden hätten; das Erfordernis eines „ernsthaften Bemühens“ gem. § 24 Absatz I 2 StGB gilt für diesen Fall nicht. Erforderlich ist aber stets, dass der Täter eine neue Kausalkette in Gang gesetzt hat, die für die Nichtvollendung der Tat ursächlich oder jedenfalls mitursächlich geworden ist. Ohne Belang ist dabei, ob der Täter noch mehr hätte tun können, sofern er nur die ihm bekannten und zur Verfügung stehenden Mittel benutzt hat, die aus seiner Sicht den Erfolg verhindern konnten.“

2. BGH Beschl. v. 7.8.2018 – 3 StR 47/18 zum Totschlag in besonders schwerem Fall
Die bisherige Rechtsprechung zur Frage, wann von einem besonders schweren Fall eines Totschlags i.S.v. § 212 Abs. 2 StGB ausgegangen werden kann, wurde vom BGH nochmals bestätigt. Es handelt sich um ein Problem der Strafzumessung, welches grundsätzlich eine Würdigung und Abwägung aller Einzelfallumstände bedarf. Im Ausgangspunkt nimmt die Rechtsprechung erst dann einen besonders schweren Fall an, wenn das Verschulden des Täters ebenso schwer wiegt wie das eines Mörders nach § 211 StGB. Dieses Verständnis liegt bereits aufgrund des gleichen Strafmaßes (lebenslange Freiheitsstrafe!) nahe. Im Einzelnen führte das Gericht aus:

„Ein besonders schwerer Fall des Totschlags setzt voraus, dass das in der Tat zum Ausdruck kommende Verschulden des Täters außergewöhnlich groß ist. Es muss ebenso schwer wiegen wie das eines Mörders. Dafür genügt nicht schon die bloße Nähe der die Tat oder den Täter kennzeichnenden Umstände zu gesetzlichen Mordmerkmalen. Es müssen vielmehr schulderhöhende Gesichtspunkte hinzukommen, die besonders gewichtig sind“

Sowohl in subjektiver als auch objektiver Hinsicht bedarf es jedoch mehr als einer bloßen Möglichkeit, dass der Täter gleichermaßen wie ein Mörder hätte handeln können. Für den vom Dritten Senat zu entscheidenden Fall bedeutete das:

„Daraus, dass „zahlreiche, nicht fernliegende Handlungsalternativen und Motivationslagen in Betracht“ kommen, die Mordmerkmale ausfüllen könnten, ergibt sich indes noch keine Nähe zu diesen. Das gilt insbesondere in Bezug auf die subjektive Tatseite. So vermochte die Strafkammer keine Feststellungen zu den „Vorstellungen und Motiven“ des Angeklagten zu treffen. Damit fehlt es an einer tragfähigen Grundlage für die Annahme, dass eine Nähe zu den Mordmerkmalen der niedrigen Beweggründe oder der Verdeckungsabsicht bestehe. Entsprechendes gilt im Hinblick auf das Mordmerkmal der Heimtücke. Da die Strafkammer nicht ausschließen konnte, dass das Kind zum Zeitpunkt des ersten mit Tötungsvorsatz geführten Angriffs nicht mehr arglos war, kann nicht ohne Weiteres von einer Nähe zu heimtückischem Handeln ausgegangen werden.“

Deutlich wird, dass der BGH für das Merkmal der „Nähe zum Mord“ äußerst hohe Anforderungen stellt. In der Klausur bedeutet das, dass in Ermangelung eines Mordmerkmals tendenziell von einem „normalen“ Totschlag gem. § 212 Abs. 1 StGB und nicht von einem besonders schweren Fall ausgegangen werden sollte.
3. BGH Beschl. v. 8.8.2018 – 2 ARs 121/18 zur Strafvereitelung durch einen Strafverteidiger – § 258 StGB
Im streitgegenständlichen Verfahren teilte der Strafverteidiger der Ermittlungsbehörde wahrheitswidrig mit, dass die gesuchten Unterlagen sich in der Garage seines Mandanten befänden, obwohl sich tatsächlich noch wesentliche Teile der Dokumente in den Räumlichkeiten des Strafverteidigers befanden. Zudem erklärte der Strafverteidiger nach einer Sichtung seiner Büroräume, im Rahmen derer beweiserhebliche Materialien gefunden wurden, dass er über keine weiteren Beweismittel dieser Art verfüge, obwohl er jedenfalls über einen weiteren Ordner mit wichtigen Beweisurkunden verfügte. Der BGH entschied hier:

„Eine Strafvereitelung in diesem Sinn kann auch durch Vereitelung des staatlichen Beschlagnahmezugriffs auf Beweisgegenstände durch einen Strafverteidiger begangen werden. So gehen etwa wahrheitswidriges Bestreiten des Besitzes gesuchter Beweisurkunden und ein falscher Hinweis auf einen anderweitigen Belegenheitsort zur Vereitelung eines bevorstehenden Beschlagnahmezugriffs über die Grenzen zulässiger Strafverteidigung hinaus. Ein solches Verhalten erfüllt den Tatbestand der Strafvereitelung, wenn dadurch der Abschluss des staatlichen Strafverfahrens für geraume Zeit verzögert wird und der Strafverteidiger absichtlich oder wissentlich handelt.
[…]
Anders liegt es, wenn durch die Ermittlungsbehörde oder das Strafgericht die Herausgabe solcher Beweismittel, die nicht originär durch die Verteidigung hervorgebracht wurden, verlangt (§ 95 Abs. 1 StPO) oder deren Beschlagnahme (§ 94 Abs. 2 StPO) angestrebt wird. In diesem Fall darf der Verteidiger solche Beweismittel, die nicht spezifisches Verteidigungsmaterial darstellen, nicht dem staatlichen Zugriff entziehen, indem er sie verborgen hält oder falsche Angaben zum Belegenheitsort macht. In Bezug auf solche Beweismittel, namentlich „verfängliche Geschäftsunterlagen“, besteht kein Beschlagnahmeverbot gemäß § 97 Abs. 1 Nr. 3 StPO.
[…]
Der Verteidiger darf „Überführungsstücke“, auf die ein staatlicher Beschlagnahmezugriff zielt, nicht in seinen Räumen verstecken. Sein Mandat soll nicht dazu genutzt werden können, gesuchten Beweisgegenständen „Asyl“ zu gewähren. Erst recht gestattet keine der Regelungen zum Schutz des Vertrauensverhältnisses gemäß §§ 53, 97, 160a, 148 StPO es dem Strafverteidiger, falsche Angaben über seinen Besitz an Beweisgegenständen zu machen.“

4. BGH Urt. v. 15.5.2018 – 2 StR 152/18 zur Sittenwidrigkeit einer Körperverletzung nach § 228 StGB
Wird in eine Körperverletzung eingewilligt, ist die Tat nur rechtswidrig, wenn sie trotz Einwilligung gegen die „guten Sitten“ verstößt. Dieses äußert weit gefasste Merkmal konkretisierte der BGH erneut. Für die ex-ante zu bestimmende Sittenwidrigkeit sei vordergründig auf die Art und Schwere des Rechtsgutsangriffs abzustellen. Die Tat müsse in Anbetracht des Umfangs der Verletzung sowie des damit verbundenen Gefahrengrads für Leib und Leben trotz Einwilligung des Rechtsgutsträgers „nicht mehr als von der Rechtsordnung hinnehmbar erscheinen“. Viel ist damit freilich noch nicht gesagt, da auch der Begriff der Hinnehmbarkeit vieles bedeuten kann. Der BGH grenzt allerdings ein: Ebenso wie die Zwecksetzung der Tat sei unbeachtlich, welche gesellschaftliche Vorstellung über die Tat vorliegen mögen.

„Die Weite und Konturenlosigkeit des Merkmals der guten Sitten in § 228 StGB erfordert, dieses strikt auf das Rechtsgut der Körperverletzungsdelikte zu beziehen und auf seinen Kerngehalt zu reduzieren. Gesellschaftliche Vorstellungen oder der durch die Tat verfolgte Zweck können lediglich dazu führen, dass ihretwegen eine Einwilligung trotz massiver Rechtsgutsverletzungen Wirksamkeit entfalten kann. Zur Feststellung eines Sittenverstoßes und damit – über die Unbeachtlichkeit der Einwilligung – zur Begründung der Strafbarkeit von einvernehmlich vorgenommenen Körperverletzungen können sie nicht herangezogen werden.“ 

5. BGH Beschl. v. 12.6.2018 – 3 StR 171/17 zum subjektiven Schadenseinschlag beim Betrug (Nachtrag zu Quartal 2/2018)
Besondere Prüfungsrelevanz dürfte die Entscheidung des BGH zu den Grundsätzen des subjektiven Schadenseinschlags bei § 263 StGB haben. Das Gericht konkretisierte die Anforderungen an den persönlichen Schadenseinschlag: Ausgehend vom Grundsatz, dass ein Vermögensschaden trotz objektiver Gleichwertigkeit der Gegenleistung auch vorliegen kann, wenn diese für das Opfer unter Berücksichtigung der individuellen und wirtschaftlichen Bedürfnisse und Verhältnisse subjektiv wertlos ist, stellte der Dritte Senat nun fest:

„Insofern kann als Schaden die gesamte Leistung des Gesch. anzusehen sein, wenn die Gegenleistung nicht oder nicht in vollem Umfange zu dem vertraglich vorausgesetzten Zweck brauchbar ist und er sie auch nicht in anderer zumutbarer Weise verwenden, namentlich ohne besondere Schwierigkeiten wieder veräußern kann“  

Da im streitgegenständlichen Verfahren die verkauften Geräte nur mit „erheblichen Verlusten“ hätten weiterveräußert werden können, nahm der BGH einen persönlichen Schadenseinschlag und mithin einen Vermögensschaden an. Eine ausführliche Besprechung dieses besonders prüfungsrelevanten Urteils findet sich im hierzu erstellen Beitrag von Sebastian Rombey.
II. Strafprozessrecht
1. BGH Urt. v. 4.7.2018 – 5 StR 46/18 zur Verhandlungsunfähigkeit eines Angeklagten
Die Entscheidung behandelt die Grenze zur Verhandlungsunfähigkeit bei einem Angeklagten, dessen geistige, psychische oder körperliche Fähigkeit zur Wahrnehmung seiner Verteidigungsrechte eingeschränkt ist. Der 5. Strafsenat geht von einer Verhandlungsunfähigkeit erst aus, wenn dem Angeklagten auch bei Inanspruchnahme verfahrensrechtlicher Hilfe – also insbesondere einem Verteidiger – eine eigenständige, selbstverantwortliche Entscheidungen über die wesentlichen Belange seiner Verteidigung sowie eine sachgerechte Wahrnehmung der ihm zustehenden Verfahrensrechte nicht mehr möglich ist. Dabei geht es vor allem um solche Verfahrensrechte, die der Angeklagte selbst, d.h. persönlich wahrnehmen muss. Danach soll es speziell für das Revisionsverfahren ausreichen, wenn der Beschwerdeführer zumindest zeitweilig zur Konsensfindung mit seinem Verteidiger darüber, ob das Rechtsmittel aufrechterhalten oder zurückgenommen werden soll, in der Lage ist.

„Verhandlungsfähigkeit im strafprozessualen Sinne bedeutet, dass der Angekl. in der Lage sein muss, seine Interessen in und außerhalb der Verhandlung vernünftig wahrzunehmen, die Verteidigung in verständiger und verständlicher Weise zu führen sowie Prozesserklärungen abzugeben und entgegenzunehmen. Dies bedeutet aber nicht, dass der Angekl. auch tatsächlich fähig sein muss, die ihm gesetzlich eingeräumten Verfahrensrechte in jeder Hinsicht selbständig und ohne fremden Beistand wahrzunehmen. Auch bei solchen Angekl., deren geistige, psychische oder körperliche Fähigkeit zur Wahrnehmung der Verteidigungsrechte eingeschränkt ist, muss die Schuld- und Straffrage in einem rechtsstaatlichen Strafverfahren geklärt und entschieden werden können. Danach liegt Verhandlungsunfähigkeit bei solchen Einschränkungen der geistigen, psychischen oder körperlichen Fähigkeiten nicht vor, wenn die Auswirkungen dieser Einschränkungen auf die tatsächliche Wahrnehmung der Verfahrensrechte durch Hilfen für den Besch. hinreichend ausgeglichen werden können. Die Grenze zur Verhandlungsunfähigkeit ist erst dann überschritten, wenn dem Angekl. Auch bei Inanspruchnahme solcher verfahrensrechtlichen Hilfen eine selbstverantwortliche Entscheidung über grundlegende Fragen seiner Verteidigung und eine sachgerechte Wahrnehmung der von ihm persönlich auszuübenden Verfahrensrechte nicht mehr möglich ist“

2. BGH Beschl. v. 5.7.2018 – 1 StR 42/18 zur Selbstbelastungsfreiheit, § 136 Abs. 1 S. 2 StPO
Äußert sich der Angeklagte nicht zu den Gründen seines Aufenthalts am Ort seiner polizeilichen Festnahme und stellt das erkennende Gericht sowohl in seiner Beweiswürdigung, als auch seiner rechtlichen Würdigung ausdrücklich hierauf ab, wird das Schweigen zum Nachteil des Angeklagten gewertet, sein Schweigerecht mithin konterkariert. Dies verstößt gegen die Grundsätze eines fairen Verfahrens und gegen den Grundsatz der Selbstbelastungsfreiheit gem. §§ 136 Abs. 1 S. 2, 243 Abs. 5 S. 1 StPO:

„Der Grundsatz, dass niemand im Strafverfahren gegen sich selbst auszusagen braucht, insoweit also ein Schweigerecht besteht, ist notwendiger Bestandteil eines fairen Verfahrens. Es steht dem Angeklagten frei, sich zu äußern oder nicht zur Sache auszusagen (§ 136 Abs. 1 Satz 2, § 243 Absatz 5 Satz 1 StPO). Macht ein Angeklagter von seinem Schweigerecht Gebrauch, so darf dies nicht zu seinem Nachteil gewertet werden. So liegt der Fall aber hier.
Es ist zwar rechtlich zutreffend, dass der Zweifelssatz es nicht gebietet, zugunsten eines Angeklagten Geschehensabläufe zu unterstellen, für deren Vorliegen keine Anhaltspunkte bestehen. Das Landgericht stellt jedoch in seiner Beweiswürdigung, aber auch in der rechtlichen Würdigung, an mehreren Passagen ausdrücklich darauf ab, dass sich die Angeklagten nicht zu den Gründen ihres Aufenthalts im Bereich des Festnahmeortes geäußert oder erklärt haben. Damit wird im Ergebnis zum Nachteil gewertet, dass die Angeklagten von ihrem Schweigerecht Gebrauch gemacht haben.“


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23.10.2018/1 Kommentar/von Dr. Yannik Beden, M.A.
https://www.juraexamen.info/wp-content/uploads/2022/05/je_logo.svg 0 0 Dr. Yannik Beden, M.A. https://www.juraexamen.info/wp-content/uploads/2022/05/je_logo.svg Dr. Yannik Beden, M.A.2018-10-23 09:30:292018-10-23 09:30:29Examensrelevante Rechtsprechung im Überblick: Strafrecht (Quartal 3/2018)
Dr. Matthias Denzer

Examensrelevante Rechtsprechung im Überblick – Zivilrecht (Juli – September 2018)

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Mit Beginn des neuen Semesters wird es auch wieder Zeit für unseren Rechtsprechungsüberblick. Zu Beginn eines jeden Quartals bieten wir euch einen kurzen Überblick über ausgewählte, examensrelevante Entscheidungen der jeweils letzten drei Monate.
Die folgenden Entscheidungen bieten sich aufgrund ihrer grundlegenden Bedeutung oder ihrer Konstellation juristisches „Basiswissen“ abzuprüfen, als Fragestellung sowohl in einer Examensklausur, als auch in der „Großen Übung“ an. Auch – und insbesondere – in der mündlichen Prüfung ist ein umfassender Überblick über die aktuelle Rechtsprechung unerlässlich. Es ist daher nur zu raten, sich mit den folgenden Entscheidungen – zumindest in ihren Grundzügen – auseinandergesetzt zu haben:
BGH, Urteil v. 19.09.2018 – VIII ZR 231/17
Verbindung einer fristlosen Kündigung eines Wohnraummietverhältnisses mit einer hilfsweise ordentlichen Kündigung
Die fristlose Kündigung eins Wohnraummietverhältnisses kann mit einer hilfsweise erklärten ordentlichen Kündigung verbunden werden. Dies gilt insbesondere für den Fall der außerordentlichen Kündigung wegen Zahlungsverzugs (§ 543 Abs. 2 S. 1 Nr. 3 BGB). Dabei lässt eine Zahlung der Mietrückstände innerhalb der Schonfrist des § 569 Abs. 3 Nr. 2 BGB (sog. Schonfristzahlung) eine wegen Zahlungsverzuges nach § 543 Abs. 2 S. 1 Nr. 3 BGB mit Zugang der Kündigungserklärung herbeigeführte sofortige Beendigung des Mitverhältnisses nachträglich rückwirkend entfallen. Das Mietverhältnis wird damit fortgesetzt. Dazu führte das Gericht aus:

Der Gesetzgeber habe gewährleisten wollen, „dass die wirksam ausgeübte fristlose Kündigung unter den dort genannten Voraussetzungen trotz ihrer Gestaltungswirkung rückwirkend als unwirksam gelte und der Mietvertrag fortgesetzt werde. In einer solchen Situation komme eine gleichzeitig mit einer fristlosen Kündigung wegen Zahlungsverzuges hilfsweise ausgesprochene ordentliche Kündigung zur Geltung. Denn ein Vermieter, der neben einer fristlosen Kündigung hilfsweise oder vorsorglich eine ordentliche Kündigung des Mietverhältnisses wegen eines aufgelaufenen Zahlungsrückstands ausspreche, erkläre diese nicht nur für den Fall einer bereits bei Zugang des Kündigungsschreibens gegebenen Unwirksamkeit der vorrangig erfolgten fristlosen Kündigung. Vielmehr bringe er damit aus objektiver Mietersicht regelmäßig weiterhin zum Ausdruck, dass die ordentliche Kündigung auch dann zum Zuge kommen solle, wenn die zunächst wirksam erklärte fristlose Kündigung aufgrund eines gesetzlich vorgesehenen Umstandes wie einer unverzüglichen Aufrechnung durch den Mieter (§ 543 Abs. 2 Satz 3 BGB), einer sog. Schonfristzahlung oder einer Verpflichtungserklärung einer öffentlichen Stelle (§ 569 Abs. 3 Nr. 2 Satz 1 BGB) nachträglich unwirksam werde.“

BGH, Urteil vom 14.09.2018 – V ZR 213/17
„Änderungen eines Grundstückskaufvertrags nach der Auflassung sind formlos möglich, wenn die Auflassung bindend geworden ist. (Leitsatz)“
Der BGH bestätigte mit dieser Entscheidung seine ständige Rechtsprechung (u.a. BGH, Urteil v. 28.09.1984 – V ZR 43/83, WM 1984, 1539). Ein Grundstückskaufvertrag unterliegt grundsätzlich dem Formerfordernis der notariellen Beurkundung gem. § 311b Abs. 1 S. 1 BGB. Dies gilt auch für nachträgliche Änderungen des beurkundeten Kaufvertrags. Nach der Auflassung ist dies jedoch anders:

„Nach der ständigen Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs können Grundstückskaufverträge nach der Auflassung formlos abgeändert werden, weil die Verpflichtung zur Eigentumsübertragung mit der Auflassung erfüllt ist und deshalb nicht mehr besteht. Von der Formfreiheit ausgenommen ist die Begründung neuer selbständiger Erwerbspflichten.“  (Nachweise in Zitat ausgelassen)  

BGH, Beschluss v. 04.09.2018 – VIII ZB 70/17
Zum Verschulden eines Prozessbevollmächtigten bei Fristversäumnis

„Dem Prozessbevollmächtigten einer Partei ist ein – ihr zuzurechnendes – Verschulden an der Fristversäumung dann nicht anzulasten, wenn zwar die allgemeinen organisatorischen Vorkehrungen oder Anweisungen für eine Fristwahrung unzureichend sind, er aber einer Kanzleikraft, die sich bislang als zuverlässig erwiesen hat, eine konkrete Einzelanweisung erteilt, die bei Befolgung die Fristwahrung gewährleistet hätte. Gleiches gilt, wenn die konkrete Einzelanweisung zwar nicht allein, jedoch in Verbindung mit einer allgemein bestehenden – für sich genommen unzureichenden – Anweisung im Falle der Befolgung beider Anordnungen geeignet gewesen wäre, die Fristversäumung zu verhindern.“ (Nachweise in Zitat ausgelassen)

 BGH, Urteil vom 30. August 2018 – VII ZR 243/17
Widerrufsrecht bei Werkverträgen
Zum Sachverhalt: Der Kläger schloss in seinem Wohnhaus mit dem Beklagten einen Vertrag über die Lieferung und den Einbau eines Senkrechtlifts zum Preis von ca. 40.000 €. Der Lift ist eine individuelle Maßanfertigung; die einzelnen Teile des Lifts sind an die jeweilige Einbausituation angepasst. Der Kläger zahlt ca. 12.000 € auf den Kaufpreis an. Kurze Zeit später widerruft er den Kaufvertrag.
Dabei stellten sich zwei maßgebliche Fragen, die der BGH wie folgt beantwortet:
Ausschluss des Widerrufsrechts? – Verhältnis von § 312 Abs. 2 Nr. 1 BGB zu § 357 BGB:

„Das Widerrufsrecht des Klägers ist nicht nach § 312g Abs. 2 Satz 1 Nr. 1 BGB ausgeschlossen. […] Diese Regelung findet keine Anwendung, da der zwischen den Parteien geschlossene Vertrag nicht als Vertrag über die Lieferung von Waren im Sinne des § 312g Abs. 2 Satz 1 Nr. 1 BGB einzustufen ist.
Dem Wortlaut nach umfasst § 312g Abs. 2 Satz 1 Nr. 1 BGB Verträge, die auf die Lieferung von Waren gerichtet sind. Damit werden nach dem allgemeinen Sprachgebrauch Kaufverträge (§ 433 BGB) und Verträge über die Lieferung herzustellender oder zu erzeugender beweglicher Sachen (Werklieferungsverträge, § 651 BGB) erfasst.“
Damit folgte der BGH dem Berufungsgericht, welches zuvor feststellte: „Auf Dienstleistungen im Sinne der VRRL – worunter etwa auch ein Werkvertrag nach deutschem Recht fällt – ist § 312 g Abs. 2 S. 1 Nr. 1 BGB nicht anwendbar. Hat der Vertrag eine Dienstleistung zum Gegenstand, besteht auch keine Notwendigkeit das Widerrufsrecht auszuschließen, um den Unternehmer vor Nachteilen zu schützen, die sich daraus ergeben können, dass er vor dem Widerruf mit der Vertragsausführung begonnen hat. Dies schon deshalb, weil die Widerrufsfrist bei einem Vertrag über eine Werk- oder Dienstleistung anders als bei einem Verbrauchsgüterkauf nicht erst mit Lieferung der Ware beginnt (§ 356 Abs. 2 Nr. 1 BGB), sondern – unter den weiteren gesetzlichen Voraussetzungen – bereits mit Vertragsschluss. Der Unternehmer kann also regelmäßig das Ende der Widerrufsfrist abwarten, bevor er mit der Vertragsausführung beginnt. Es besteht folglich kein Grund, eine analoge Anwendung des § 312 g Abs. 2 S. 1 Nr. 1 BGB auf Werkverträge in Erwägung zu ziehen. Daneben ist der Unternehmer durch den Anspruch gemäß § 357 Abs. 8 BGB geschützt.“ (OLG Stuttgart, Urteil v. 19.09.2018 – 6 U 76/16, juris, Nachweise in Zitat ausgelassen)

Ausschluss des Widerrufsrechts nach § 312 Abs. 2 S. 1 Nr. 3 BGB (Verbraucherbauverträge; § 650i BGB):

„Die Anwendbarkeit von § 312g Abs. 1 BGB ist nicht nach § 312 Abs. 2 Nr. 3 BGB ausgeschlossen. Nach dieser Regelung findet § 312g BGB keine Anwendung auf Verträge über erhebliche Umbaumaßnahmen an bestehenden Gebäuden. Hierzu hat das Berufungsgericht ausgeführt, dass […] der Begriff der erheblichen Umbaumaßnahmen im Sinne des Verbraucherschutzes eng auszulegen sei. Hierunter fielen nur solche Umbaumaßnahmen, die dem Bau eines neuen Gebäudes vergleichbar seien, beispielsweise Baumaßnahmen, bei denen nur die Fassade eines alten Gebäudes erhalten bliebe. Maßgeblich seien mithin Umfang und Komplexität des Eingriffs sowie das Ausmaß des Eingriffs in die bauliche Substanz des Gebäudes.“

BGH, Urteil v. 24.08.2018 – III ZR 192/17
Tickets zum Selberausdrucken – Eventim – „print@home“-Servicegebühr ist unzulässig
Die von Eventim verwendeten Allgemeinen Geschäftsbedingung: „Premiumversand 29,90 EUR inkl. Bearbeitungsgebühr“ und „ticketdirect – das Ticket zum Selbst-Ausdrucken Drucken Sie sich ihr ticketdirect einfach und bequem selber aus! 2,50 EUR“ sind mit der grundsätzlichen Regelung von der abgewichen wird nicht vereinbar (§ 307 Abs. 2 BGB), benachteiligen den Käufer entgegen den Geboten von Treu und Glauben unangemessen und sind daher unwirksam (§ 307 Abs. 1 S. 1 BGB).
Die Optionen Premiumversand und ticketdirekt seien nicht als Entgeltvereinbarungen für die geschuldete Hauptleistung zu qualifizieren, sondern vielmehr als kontrollfähige Preisnebenabreden zur Erfüllung der kaufvertraglichen Hauptpflicht. Sie seien jedoch mit der Regelung in § 448 Abs. 1 BGB nicht vereinbar:

„Nach § 448 Abs. 1 BGB hat der Kunde nur die Kosten der Versendung der gekauften Eintrittskarte nach einem anderen Ort als dem Erfüllungsort zu tragen. Versendungskosten im Sinne dieser Norm sind in erster Linie die unmittelbar transportbedingten Sachaufwendungen für Porto, Verpackung und gegebenenfalls Versicherung des Kaufgegenstandes. Dagegen gewährt die Vorschrift grundsätzlich keine Kompensation für die Zeit und den sonstigen Aufwand des Verkäufers, den Kaufgegenstand transportgerecht zu verpacken und zum Versand aufzugeben. Setzt der Verkäufer hierfür Personal und Maschinen ein, gilt nichts anderes. Denn (anteilige) Personal- und Sachkosten, die nicht unmittelbar der Verpackung und dem Versand der Ware zugeordnet werden können, sind allgemeine Geschäftsunkosten, die der Verkäufer im Hinblick auf das Gebot der Unentgeltlichkeit von Nebenleistungen, die der Erfüllung seiner kaufvertraglichen Hauptleistungspflicht dienen und daher in seinem eigenen Interesse liegen, nicht auf den Käufer abwälzen kann.“ (Nachweise in Zitat ausgelassen)

Es sei auch nicht erkennbar, welche Aufwendungen von der Servicegebühr von 2,50 € abgedeckt würde, da insoweit weder Porto- noch Verpackungskosten entstünden.
Auch der für den Premiumversand verlangte Betrag für 29,90 € übersteige den Preis für Porto und Verpackungskosten nicht nur unerheblich, selbst dann, wenn es sich um einen Eilbrief bzw. eine versicherte Sendung handelte, sodass die „Betragshöhe […] damit ganz überwiegend von der ausdrücklich inkludierten ‚Bearbeitungsgebühr‘ bestimmt“ werde. Das BAG sieht darin „jedenfalls angesichts der beträchtlichen Höhe der ‚Bearbeitungsgebühr‘ eine unangemessene Benachteiligung des Kunden.“
BGH, Urteil v. 22.08.2018 – VIII ZR 99/17
Wohnraummiete – Instandhaltungspflicht des Vermieters

Leitsatz: „Für das Bestehen der Pflicht des Vermieters, die Wohnung gemäß § 535 Abs. 1 S. 2 BGB zum vertragsgemäßen Gebrauch zu überlassen und sie fortlaufend in diesem Zustand zu erhalten, ist es unerheblich, ob der Mieter die Sache tatsächlich nutzt und ihn ein Mangel daher subjektiv beeinträchtigt.“

BGH, Urteil v . 22.8.2018 – VIII ZR 277/16

Leitsatz: „Im Falle einer dem Mieter unrenoviert oder renovierungsbedürftig überlassenen Wohnung hält die formularvertragliche Überwälzung der nach der gesetzlichen Regelung (§ 535 Abs. 1 Satz 2 BGB) den Vermieter treffenden Verpflichtung zur Vornahme laufender Schönheitsreparaturen der Inhaltskontrolle am Maßstab des § 307 Abs. 1 S. 1, Abs. 2 Nr. 1 BGB nicht stand, sofern der Vermieter dem Mieter keinen angemessenen Ausgleich gewährt, der ihn so stellt, als habe der Vermieter ihm eine renovierte Wohnung überlassen“

Der BGH bestätigte damit seine bisherige Rechtsprechung (siehe BGH, Urteil v. 18.03.2015 – VIII ZR 185/14, BGHZ 204, 302).
BGH, Urteil v. 19.07.2018 – VII ZR 19/18
Abgrenzung Kauf- und Werkvertrag – Vertrag über Lieferung und Einbau einer Küche
Der BGH entschied, dass es für die rechtliche Einordnung darauf ankommt, auf welchem Element bei gebotener Gesamtbetrachtung der Schwerpunkt liege:

„Je mehr die mit dem Warenumsatz verbundene Übertragung von Eigentum und Besitz der zu montierenden Sache auf den Vertragspartner im Vordergrund steht und je weniger dessen individuelle Anforderungen und die geschuldete Montage- und Bauleistung das Gesamtbild des Vertragsverhältnisses prägen, desto eher ist die Annahme eines Kaufvertrags mit Montageverpflichtung geboten. Liegt der Schwerpunkt dagegen auf der Montage- und Bauleistung, etwa auf Einbau und Einpassung einer Sache in die Räumlichkeit, und dem damit verbundenen individuellen Erfolg, liegt ein Werkvertrag vor.“

BGH, Urteil v. 12.07.2018 – III ZR 183/17,
Anspruch des Erben auf Zugang zu Benutzerkonto bei Tod des Kontoinhabers eines sozialen Netzwerks

Leitsatz: „Beim Tod des Kontoinhabers eines sozialen Netzwerks geht der Nutzungsvertrag grundsätzlich nach § 1922 BGB auf dessen Erben über. Dem Zugang zu dem Benutzerkonto und den darin vorgehaltenen Kommunikationsinhalten stehen weder das postmortale Persönlichkeitsrecht des Erblassers noch das Fernmeldegeheimnis oder das Datenschutzrecht entgegen.“

Siehe hierzu bereits die ausführliche Urteilsbesprechung von Sebastian Rombey.
OLG Schleswig-Holstein, Urteil v. 04.07.2018 – 12 U 87/17
Zur Frage: Wann ist ein Pferd ein „gebrauchte Sache“ im Sinne der §§ 474 Abs. 2 S. 2, 476 Abs. 2 BGB

Leitsatz: „Bei einem zum Zeitpunkt der Versteigerung zweieinhalb Jahre alten Hengst handelt es sich um eine gebrauchte Sache im Sinne des § 474 Absatz 2 S. 2 BGB.“

Siehe hierzu bereits die ausführliche Urteilsbesprechung von Yannik Beden, M.A.

11.10.2018/1 Kommentar/von Dr. Matthias Denzer
https://www.juraexamen.info/wp-content/uploads/2022/05/je_logo.svg 0 0 Dr. Matthias Denzer https://www.juraexamen.info/wp-content/uploads/2022/05/je_logo.svg Dr. Matthias Denzer2018-10-11 10:00:442018-10-11 10:00:44Examensrelevante Rechtsprechung im Überblick – Zivilrecht (Juli – September 2018)
Gastautor

Examensklassiker: Abgrenzung Raub und räuberische Erpressung

Fallbearbeitung und Methodik, Klassiker des BGHSt und RGSt, Lerntipps, Rechtsgebiete, Schon gelesen?, Startseite, Strafrecht, Verschiedenes

Wir freuen uns ganz besonders, einen Gastbeitrag von Matthias Denzer veröffentlichen zu können. Matthias Denzer ist Wissenschaftlicher Mitarbeiter und Doktorand am Lehrstuhl von Prof. Thüsing an der Universität Bonn.
Raub und räuberische Erpressung sind absolute Examensklassiker und als solche regelmäßig Gegenstand von Examensklausuren. Relevant ist insoweit stets die Abgrenzung dieser beiden Delikte voneinander. Umso verwunderlicher erscheint es, dass diese bis zur Examensvorbereitung oftmals nur stiefmütterlich behandelt wird. Doch hier auf Lücke zu setzen ist mehr als fahrlässig. Dieser Beitrag soll daher einen umfassenden Überblick über den Streitstand zur Abgrenzung Raub – räuberische Erpressung bieten.
 I. Was ist überhaupt umstritten?
Inhalts des Streits ist das Verhältnis von § 249 StGB (Raub) zu §§ 253, 255 StGB (räuberische Erpressung). Während der BGH (BGH, Urteil v. 05.03.2003 – 2 StR 494/02, NStZ 2003, 604; BGH, Urteil v. 19.09.2001 – 2 StR 240/01, NStZ 2002, 31; BGH, Beschluß v. 12.01.1999 – 4 StR 685–98, NStZ-RR 1999, 103, jeweils m.w.N.) § 249 StGB als lex spezialis zu §§ 253, 255 StGB ansieht, besteht nach der herrschenden Ansicht in der Literatur (Fischer, StGB, 65. Aufl. 2018, § 249 Rn. 2 m.w.N. sowie § 253 Rn. 10 m.w.N.) zwischen dem Tatbestand des Raubes und dem Tatbestand der räuberischen Erpressung ein strenges Alternativverhältnis.
Das heißt: Nach Ansicht des BGH ist jeder Raub auch stets eine räuberische Erpressung; nach der Ansicht in der Literatur schließen sich Raub und räuberische Erpressung gegenseitig aus.

Die Literatur argumentiert folgendermaßen: Die Erpressung sei ebenso wie der Betrug ein Selbstschädigungsdelikt. Im Unterschied zum Betrug gelange der Täter jedoch nicht durch Täuschung, sondern durch Drohung zu seinem Ziel. Dementsprechend setze § 253 StGB – ebenso wie § 263 StGB – als ungeschriebenes Tatbestandsmerkmal eine Vermögensverfügung voraus.
Daraus folgt, dass die Anwendung von vis absoluta (d.h. unmittelbarem körperlichen/physischen Zwang) nicht tatbestandsmäßig ist, da sie einer Vermögensverfügung entgegensteht. Im Rahmen von § 253 StGB ist somit lediglich die Anwendung von vis compulsiva (d.h. psychischem Zwang) erfasst. Dies unterscheide die räuberische Erpressung vom Raub, der als Fremdschädigungsdelikt eine Wegnahme und damit gerade vis absoluta voraussetze.
Die Abgrenzung zwischen Wegnahme (§ 249 StGB) und einer Weggabe iS. einer Vermögensverfügung (§§ 253, 255 StGB) nimmt die Literatur anhand der inneren Willensrichtung des Opfers vor: Verfügt das Opfer bewusst über das Vermögen, liegt demnach eine Weggabe und dementsprechend eine räuberische Erpressung (§§ 253, 255 StGB) vor. Das heißt: Eine Vermögensverfügung ist immer dann gegeben, wenn das Opfer aus seiner Sicht eine Wahl hat – selbst dann, wenn diese darin besteht zwischen der Weggabe und dem eigenen Tod zu entscheiden. Es kommt somit darauf an, ob aus Sicht des Opfers eine eigene Mitwirkungshandlung zur Zielerreichung des Täters erforderlich ist.
Achtung: Im Rahmen der Versuchsprüfung ist erforderlich, dass der Täter mit Tatentschluss handelt. Dabei maßgebend ist die Sicht des Täters. Zur Abgrenzung von Wegnahme – Weggabe ist daher nach Ansicht der Literatur zu fragen, was der Täter über die Vorstellung des Opfers dachte (doppelt subjektive Prüfung). Insoweit kommt es auf die Vorstellung des Täters über die Vorstellung des Opfers an.
Die Rechtsprechung zieht eine Parallele zu § 240 StGB. Im Hinblick auf den Nötigungserfolg „Handlung, Duldung, oder Unterlassen“ sind § 240 StGB und § 253 StGB im Wortlaut identisch. Im Rahmen von § 240 StGB ist jedoch unstreitig, dass auch vis absoluta als Nötigungshandlung erfasst ist. Dies müsse ebenso im Rahmen von § 253 StGB gelten. Eine Vermögensverfügung könne daher schon gar nicht erforderlich sein, da insoweit im Rahmen von § 253 StGB auch die Duldung der Wegnahme genüge. Die räuberische Erpressung erfasst damit auch jeden tatbestandlichen Raub. § 249 StGB (Raub) sei daher lex specialis zu §§ 253, 255 StGB (räuberische Erpressung).
Abgrenzungskriterium ist nach der Ansicht der Rechtsprechung das äußere Erscheinungsbild: Maßgeblich ist, ob danach eine Wegnahme (dann Raub) oder eine Weggabe durch das Opfer (dann räuberische Erpressung) vorliegt.
 II. Welche Argumente werden vorgebracht?
Argumente, die für die Rechtsprechung sprechen, liegen auf der Hand: Aufgrund des gleichen Wortlauts in § 240 StGB und § 253 StGB spricht viel dafür, den Begriff „Duldung“ identisch auszulegen und auch im Rahmen von § 253 StGB vis absoluta und somit auch die Duldung der Wegnahme zu erfassen. Zudem lässt sich auch in der Praxis durch das Abgrenzungskriterium des äußeren Erscheinungsbilds eine klare Abgrenzung treffen.
Das Erfordernis einer Vermögensverfügung im Rahmen von § 253 StGB entspricht auch nicht dessen Wortlaut: Eine Vermögensverfügung müsste als ungeschriebenes Tatbestandsmerkmal in § 253 StGB hineingelesen werden. Doch auch in § 263 StGB (Betrug) spricht der Wortlaut nicht von einer „Vermögensverfügung“, dennoch gilt dies bei § 263 StGB unbestritten als ungeschriebenes Tatbestandsmerkmal.
Als Argument für die Literaturansicht wird immer wieder vorgebracht, dass vom Gesetzgeber Fälle der privilegierten Gebrauchsanmaßung umgangen würden. Dazu ein kurzer Beispielsfall:
T wendet gegen O Gewalt an, um dem O sein Auto zu entwenden und damit eine Spritztour zu machen. Nach dem er eine Stunde mit dem Auto durch die Stadt gefahren ist, gibt er dem O das Auto zurück, so wie er von Anfang an beabsichtigt hatte.
Sowohl nach dem äußeren Erscheinungsbild (Rechtsprechung), als auch nach der inneren Willensrichtung des O (Literatur) liegt hier eine Wegnahme vor. Eine Strafbarkeit nach § 249 StGB würde jedoch scheitern, da der T keine Zueignungsabsicht hatte. Nach der Ansicht der Rechtsprechung käme darüber hinaus eine Strafbarkeit nach §§ 253, 255 StGB in Betracht.
Nach der Literatur scheidet eine Strafbarkeit nach §§ 253, 255 StGB aus: Da T mit vis absoluta handelte (Wegnahme) sei eine räuberische Erpressung nicht mehr tatbestandsmäßig (strenges Alternativverhältnis). In Betracht käme lediglich eine Strafbarkeit nach § 248 b StGB, sowie ggf. nach den §§ 223 ff., 240 StGB, aufgrund der Gewaltanwendung des T gegen O.
Damit wird deutlich: Die Ansicht der Rechtsprechung führt dazu, dass die privilegierte Gebrauchsanmaßung des § 248 b StGB umgangen würde. Dem ließe sich jedoch entgegenhalten, dass es widersinnig erscheint, den mit vis absoluta und damit besonders rücksichtslos vorgehenden Täter zu privilegieren.
Ein starkes Argument für die Literaturansicht ist hingegen, dass § 249 StGB schlicht überflüssig wäre, wenn man der Ansicht der Rechtsprechung folge: Da der Raub sowie die räuberische Erpressung den identischen Strafrahmen haben und jeder Raub auch eine räuberische Erpressung darstellen würde, bräuchte es den Tatbestand des Raubes (§ 249 StGB) gar nicht.
Zudem findet sich nirgendwo sonst im StGB eine Verweisung des Strafrahmens vom allgemeinen zum spezielleren Delikt (vgl. § 255 StGB: „ist der Täter gleich einem Räuber zu bestrafen“).
Als weiteres Argument gegen die Ansicht der Literatur ließe sich vorbringen, dass die doppelt subjektive Prüfung im Rahmen der Versuchsprüfung zu Rechtsunsicherheit beiträgt.
Welcher Ansicht man sich in der Klausur anzuschließen vermag, ist letztlich Geschmackssache. Beide Ansichten sind mit den richtigen Argumenten jedenfalls gut vertretbar. Es empfiehlt sich jedoch, in der Prüfungssituation auch klausurtaktische Erwägungen in die Überlegung einzustellen
III. Relevanz in der Klausur – Aufbau und Verortung der Abgrenzung
In der Klausur sollte in der Regel mit der Prüfung des Raubes begonnen werden. Im Rahmen der Frage nach der Wegnahme ist eine Abgrenzung zur Weggabe (und damit zur räuberischen Erpressung) vorzunehmen. Hier sind beide Auffassungen darzustellen und anschließend sauber unter diese zu subsummieren. Entscheidende Frage ist dabei: Nach welchem Kriterium grenzt man eine Wegnahme von einer Weggabe ab? Äußeres Erscheinungsbild oder innere Willensrichtung des Opfers?
Kommen beide Ansichten zu dem Ergebnis, dass eine Weggabe vorliegt, erübrigt sich der Streit ohnehin. Die Raubprüfung ist dann zu beenden und es muss mit der Prüfung der räuberischen Erpressung fortgefahren werden. Kurz angesprochen werden sollte die Abgrenzung bei der Frage, ob die räuberische Erpressung eine Vermögensverfügung voraussetzt. Hier ist jedoch keine längere Auseinandersetzung erforderlich, da eine Vermögensverfügung jedenfalls gegeben sein wird.
Kommen beide Ansichten zu dem Ergebnis, dass ein Raub vorliegt, erübrigt sich der Streit vorerst. Er kann später relevant werden. Die Raubprüfung ist sodann fortzufahren. Die nächste Weichenstellung erfolgt am Tatbestandsmerkmal der Zueignungsabsicht. Handelt der Täter ohne Zueignungsabsicht, sind anschließend die §§ 253, 255 StGB zu prüfen. Relevant wird der Streitstand dann bei der Frage, ob §§ 253, 255 StGB als ungeschriebenes Tatbestandsmerkmal eine Vermögensverfügung voraussetzen. Hier sind die Argumente vorzubringen und ein Streitentscheid durchzuführen.
Hat sich der Täter nach § 249 StGB strafbar gemacht, scheidet nach Ansicht der Literatur eine Strafbarkeit nach §§ 253, 255 StGB tatbestandlich bereits aus. Die Rechtsprechung würde tatbestandlich zwar eine Strafbarkeit auch wegen räuberischer Erpressung bejahen, jedoch tritt diese in den Konkurrenzen hinter § 249 StGB (lex spezialis) zurück.
Kommen beide Ansichten im Rahmen der Raubprüfung zu unterschiedlichen Ergebnissen, ist der Streit bereits an dieser Stelle zu entscheiden. Im Anschluss ist mit der Prüfung fortzufahren, wobei darauf zu achten ist, dieser Auffassung konsequent zu folgen. Widersprüche gilt es unbedingt zu vermeiden!
IV. Zusammenfassung
Visuell lässt sich die Abgrenzung Raub – räuberische Erpressung durch folgende Darstellung zusammenfassen:

V. Ausblick: § 239a StGB
Relevanz kann die Abgrenzung von Raub und räuberischer Erpressung nicht nur in der oben dargestellten klassischen Fallkonstellation haben: Der Tatbestand des erpresserischen Menschenraubs nach § 239 a StGB setzt voraus, dass der Täter „die Sorge des Opfers um sein Wohl oder die Sorge eines dritten um das Wohl des Opfers zu einer Erpressung (§ 253) ausnutzt“.
In diesem Fall ist im Rahmen des subjektiven Tatbestands zu fragen, ob die Tat auf eine Erpressung gerichtet ist. Auch insoweit kann die Abgrenzung des Raubes von der räuberischen Erpressung relevant sein (siehe BGH, Urteil v. 05.03.2003 – 2 StR 494/02, NStZ 2003, 604). Dabei sind die Abgrenzungskriterien äußeres Erscheinungsbild und innere Willensrichtung des Opfers aus Sicht des Täters zu beurteilen. Bei der Prüfung der Literaturansicht wird dabei erneut eine doppelt subjektive Betrachtung (s.o.) erforderlich.
§ 239 a StGB gibt dem Klausurersteller die Möglichkeit, die Abgrenzung von Raub und räuberischer Erpressung in einem für die meisten Prüflinge ungewohnten Gewand abzuprüfen. Dennoch sollte man sich nicht einschüchtern lassen: Wer hier Problembewusstsein beweist und dem Korrektor eine saubere Prüfung präsentiert, kann sich von der breiten Masse abheben.
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15.03.2018/1 Kommentar/von Gastautor
https://www.juraexamen.info/wp-content/uploads/2022/05/je_logo.svg 0 0 Gastautor https://www.juraexamen.info/wp-content/uploads/2022/05/je_logo.svg Gastautor2018-03-15 11:30:572018-03-15 11:30:57Examensklassiker: Abgrenzung Raub und räuberische Erpressung
Dr. Yannik Beden, M.A.

BGH: Neues zum Sachmangel beim Pferdekauf

Rechtsprechung, Schon gelesen?, Schuldrecht, Startseite, Zivilrecht, Zivilrecht

Neben dem Gebrauchtwagenkauf ist der Kauf von (Dressur-)Pferden einer der absoluten Examensklassiker. Üblicherweise finden sich in der Klausur Problemstellungen zum Mangelbegriff, zur Vertragsauslegung sowie zur Beweislastverteilung. Zu diesen Punkten hat sich der BGH nunmehr mit Urteil vom 18.10.2017 – VIII ZR 32/16 erneut geäußert und seine bisherige Rechtsprechung zur Frage des Sachmangels bei Abweichen eines Tieres von der „physiologischen Idealnorm“ bestätigt. Die Entscheidung bietet Gelegenheit zur Wiederholung und Vertiefung des in Klausuren regelmäßig behandelten Systems der Sachmängelgewährleistung im Kaufrecht. Sie verdient deshalb eine genauere Betrachtung.
I. Der Sachverhalt
Die Parteien schlossen im Jahr 2010 einen mündlichen Kaufvertrag über einen damals 10 Jahre alten Hannoveraner Wallach zum Preis von 500.000 €. Der Käufer beabsichtigte, den Wallach als Dressurpferd bei Grand-Prix-Prüfungen einzusetzen. Der Verkäufer, ein selbständiger Reitlehrer und Pferdetrainer, hatte das Pferd zuvor für eigene Zwecke erworben und zum Dressurpferd ausgebildet. Nach zwei Proberitten und einer „großen Ankaufsuntersuchung“, in der sich keine erheblichen Befunde ergeben hatten, wurde das Pferd dem Käufer am 30.11.2010 übergeben. Am 15. Juni 2011 wurde dann jedoch im Rahmen einer tierärztlichen Untersuchung ein Röntgenbefund an einem Halswirbel des Pferdes festgestellt – der Gelenkfortsatz des vierten Halswirbels des Tieres war deutlich verändert. Das Pferd lahmt und hat Schmerzen, sodass es sich einer reiterlichen Einwirkung widersetzt. Ob die schwerwiegenden Rittigkeitsprobleme auf die durch den Röntgenbefund festgestellte Veränderung des Halswirbels zurückzuführen sind, ließ sich nicht feststellen. Der Käufer erklärt – nach vergeblicher Fristsetzung zur Nacherfüllung – den Rücktritt vom Kaufvertrag und begehrt dessen Rückabwicklung.
II. Rechtliche Würdigung des Bundesgerichtshofs
Der Käufer könnte einen Anspruch auf Rückzahlung des Kaufpreises i.H.v. 500.000 € aus §§ 437 Nr. 2, 434 Abs. 1, 323 Abs. 1 Alt. 2, 346 Abs. 1 BGB haben. Die zentrale Fragestellung ist insofern, ob bei Gefahrübergang ein Sachmangel vorgelegen hat:
Der BGH stellt zunächst Überlegungen zu einer etwaigen Beschaffenheitsvereinbarung nach § 434 Abs. 1 S. 1 BGB an. Das Berufungsgericht entschied zuvor, dass es sich bei dem Röntgenbefund um einen Sachmangel i.S. der genannten Norm handele, und zwar unabhängig davon, ob die klinischen Erscheinungen des Pferdes auf den Befund kausal zurückgeführt werden können. Dafür wäre allerdings das Vorhandensein einer – ausdrücklichen oder konkludenten – Beschaffenheitsvereinbarung notwendig, der zufolge das Pferd einen Röntgenbefund im Bereich des Facettengelenks nicht haben dürfte. Nach ständiger Rechtsprechung des BGH setzt eine Beschaffenheitsvereinbarung voraus, dass der Verkäufer in vertragsbindender Weise die Gewähr für das Vorhandensein einer Eigenschaft der Kaufsache übernimmt und damit seine Bereitschaft zu erkennen gibt, für alle Folgen des Fehlens dieser Eigenschaft einzustehen (hierzu bereits BGH Urteil v. 4.6.1997 – VIII ZR 243/96). Eine solche Vereinbarung kann auch stillschweigend getroffen werden – der BGH stellt hier jedoch strenge Anforderungen, sodass eine Beschaffenheitsvereinbarung nicht im Zweifel, sondern nur bei eindeutigen Fällen in Betracht kommt (so bereits BGH Urteil v. 15.6.2016 – VIII ZR 134/15 und 29.6.2016 – VIII ZR 191/15). Da auch hinsichtlich einer stillschweigenden Vereinbarung keine Anhaltspunkte für einen darauf gerichteten Willen in irgendeiner Form vorlagen, verneinte das Gericht im Ergebnis den Abschluss einer Beschaffenheitsvereinbarung über den streitgegenständlichen Röntgenbefund am Halswirbel des Tieres.
Fraglich ist jedoch, ob ein Mangel i.S.v. § 434 Abs. 1 S. 2 Nr. 1 bzw. Nr. 2 BGB vorliegt. Zentraler Problempunkt ist insofern, dass der Hannoveraner Wallach ein hochklassiges Dressurpferd ist, das aufgrund der Veränderung des Halswirbels nicht mehr der „Idealform“ entspricht. Der BGH setzt diesbezüglich seine bisherige Rechtsprechung zu Mängeln bei Pferden fort: Die Eignung für die vertraglich vorausgesetzte Verwendung als Reitpferd ist nicht bereits dadurch beeinträchtigt, dass aufgrund von Abweichungen in der physiologischen Norm eine (lediglich) geringere Wahrscheinlichkeit für die Entwicklung künftiger klinischer Symptome besteht. Dem BGH zufolge gehört es nicht zur üblichen Beschaffenheit eines Tieres, „dass es in jeder Hinsicht einer biologischen oder physiologischen „Idealnorm“ entspricht“.
Dieser Wertung ist umfassend beizupflichten: Tiere unterliegen als Lebewesen einer ständigen biologischen Entwicklung, sodass es bereits äußerst schwer sein dürfte, einen Maßstab für eine derartige „Idealphysiologie“ zu bilden. Darüber hinaus handelt es sich beim Kauf eines Tieres nicht um ein industrielle hergestelltes Produkt, bei dem weitaus höhere Anforderungen an die physische und maschinelle Beschaffenheit gestellt werden können. Die individuellen Anlagen eines Tieres sind also im Rahmen der Bestimmung des Mangelbegriffs umfassend zu berücksichtigen.  Das Gericht entschied in diesem Zusammenhang auch noch, dass es auf die Häufigkeit bzw. Üblichkeit der morphologischen Veränderung nicht ankomme. Dies gelte sogar für erstmalig auftretende physiologische Abweichungen von der „Idealform“.
Da weder eine Beschaffenheitsvereinbarung über das Ausbleiben eines Röntgenbefunds am Halswirbel vorliegt, noch die Abweichung von der physiologischen Idealnorm einen eigenständigen Mangel zu begründen vermag, verbleibt die Frage, ob die „Rittigkeitsprobleme“ bereits bei Gefahrübergang vorhanden waren. Fest steht zwar, dass die Änderung des Halswirbels zu diesem Zeitpunkt schon bestand, jedoch ist nicht feststellbar, ob Lahmheit, Schmerzen und Widersetzlichkeit des Pferdes hierauf zurückzuführen sind. Fraglich ist demzufolge, ob dem Käufer die Vermutungswirkung des § 476 BGB zu Gute kommt. Problematisch und in der Klausur zu diskutieren wäre hier die Reichweite der Vermutungswirkung – Stichwort „Grundmangel“. Dafür müsste allerdings zunächst ein Verbrauchsgüterkauf nach § 474 Abs. 1 BGB vorliegen, der Verkäufer mithin als Unternehmer i.S.v. § 14 Abs. 1 BGB gehandelt haben. Mit Blick auf die objektiv zu bestimmende Zweckrichtung des Kaufs kommt das Gericht zu dem Ergebnis, dass der Verkäufer nicht in Ausübung einer gewerblichen oder selbständigen beruflichen Tätigkeit gehandelt hat. Zwar kann auch der erstmalige Abschluss eines Vertrags auf zukünftiges unternehmerisches Handeln gerichtet sein (vgl. zur Unternehmereigenschaft bei Startup-Unternehmen BGH Beschluss v. 24.2.2005 – III ZB 36/04). Hierfür bedarf es jedoch entsprechender Anhaltspunkte, die im zu entscheidenden Fall nicht ersichtlich waren. Darüber hinaus wurde das Pferd zuvor vom Verkäufer zu eigenen Zwecken ausgebildet und trainiert, sodass eine private Nutzung bestand. Da es auch keine Vermutung dafür, dass von Unternehmern getätigte Rechtsgeschäfte im Zweifel dem geschäftlichen bzw. beruflichen Bereich zuzuordnen sind, besteht, handelte der Verkäufer im Ergebnis nicht als Unternehmer i.S.v. § 14 Abs. 1 BGB. Mangels Verbrauchsgüterkaufs kommt dem Käufer also die Vermutungsregelung aus § 476 BGB nicht zu Gute, sodass auch die diversen „Rittigkeitsprobleme“ keinen bei Gefahrübergang nachweisbar bestandenen Mangel begründen. Summa summarum fehlt es also an einem Sachmangel i.S.v. § 434 BGB. Einen Anspruch auf Rückzahlung des Kaufpreises i.H.v. 500.000 € aus §§ 437 Nr. 2, 434 Abs. 1, 323 Abs. 1 Alt. 2, 346 Abs. 1 BGB hat der Käufer nicht.
III. Fazit
Die Entscheidung des BGH setzt die bisherige Rechtsprechung zum Mangelbegriff bei Tieren konsequent fort. Auch bei hochpreisigen Dressurpferden kann der Käufer grundsätzlich keine Beschaffenheit erwarten, die der – wie auch immer zu bestimmenden – Idealphysiologie entspricht. In der Klausur muss vor allem zwischen den verschiedenen Bezugspunkten für die Bestimmung eines etwaigen Mangels unterschieden werden. Hier ist eine präzise Differenzierung notwendig. Im Ergebnis handelt es sich um einen Fall, der sich für die juristische Staatsprüfung sehr gut eignet – der Pferdekauf bleibt ein echter „Dauerbrenner“.

04.12.2017/0 Kommentare/von Dr. Yannik Beden, M.A.
https://www.juraexamen.info/wp-content/uploads/2022/05/je_logo.svg 0 0 Dr. Yannik Beden, M.A. https://www.juraexamen.info/wp-content/uploads/2022/05/je_logo.svg Dr. Yannik Beden, M.A.2017-12-04 10:00:482017-12-04 10:00:48BGH: Neues zum Sachmangel beim Pferdekauf
Dr. Marius Schäfer

Typische Examensfehler: Zivilrecht (Teil 2)

Examensvorbereitung, Verschiedenes, Zivilrecht

Typische Examensfehler: Zivilrecht (Teil 2)
Die meisten Missgeschicke, die Examenskandidaten innerhalb von (Examens-)Klausuren begehen, lassen sich ohne weiteres vermeiden. Oftmals sind es auch immer wieder die gleichen damit verbundenen Probleme, auf welche die Klausurbearbeiter dabei stoßen. Daher soll dieser Beitrag einen Einblick zu den Erfahrungen gewähren, die ich im Rahmen meiner Tätigkeit als Korrektor bei der Examensvorbereitung der Universität Bonn sammeln konnte, um eine Hilfestellung für alle zukünftigen Examenskandidaten zu liefern. Dem ein oder andere mag sich in Bezug auf diese Hinweise so einiges als selbstverständlich vorkommen, doch kann ich euch versichern: Das ist es leider nicht!
Nachdem euch zuvor bereits Artikel zu allgemeinen Examensfehler sowie zu Examensfehlern auf dem Gebiet des Öffentlichen Rechts und des Strafrechts präsentiert wurden, ist es nun an der Zeit, sich dem letzten Rechtsgebiet zu widmen, indem euch einige Hinweise zu Klausuren im Bereich des Zivilrechts (siehe auch Teil 1) gegeben werden. Zwar lässt sich die unten dargestellte Liste insbesondere für das Zivilrecht noch weitaus umfassender erweitern, doch hoffe ich, dass euch die folgenden Punkte schon um einen entscheidenden Schritt im Rahmen eurer Examensvorbereitung weiterbringen können.
IV. Schuldrecht (Vertragliche Schuldverhältnisse)

  • (Aktuelle) Rechtsprechung: Gerade für die vertraglichen Schuldverhältnisse solltet ihr die aktuelle Rechtsprechung verfolgen und euch dort entschiedene Fallgestaltungen merken, denn diese finden äußerst zügig Eingang in Examensklausuren. Ein gutes Beispiel dafür ist die Frage nach der Erstattungsfähigkeit der Ein- und Ausbaukosten im Rahmen des Nacherfüllungsanspruches (auch: Fliesen-Fall, siehe hier).
  • Gewährleistungsrecht: Der Anspruch aus § 283 BGB ist zumindest gedanklich immer vor dem aus § 281 BGB zu prüfen.
  • Gestaltungsrechte: Es gibt keinen „Anspruch auf Minderung“, ebenso wie es keinen „Anspruch auf Rücktritt“ gibt.
  • Gewährleistungsausschluss: Hierbei ist § 442 BGB vor § 444 BGB zu prüfen.
  • Sachmangel: Bei einer Falschlieferung ist, wenn eine Gattungsschuld vereinbart wurde (Qualifikations-aliud), § 434 III BGB unbedingt vorrangig zu prüfen. Nur so überwindet ihr die Frage, ob überhaupt die §§ 434 ff. BGB einschlägig sind bzw. Erfüllung eingetreten ist (vgl. § 243 BGB). Wurde eine Stückschuld vereinbart (Identitäts-aliud) darf hingegen direkt § 434 I S. 1 BGB herangezogen werden.
  • Einwendungen: Zitiert die Einwendungsnorm mit, auf die sich der Schuldner beruft. Im Gewährleistungsrecht ist dies beim Rücktritt beispielsweise § 346 I BGB, im Falle der §§ 312 ff. BGB mittlerweile § 355 I S. 1 BGB.
  • Rückzahlungsbegehren: Bei einem Rückzahlungsbegehren etwa wegen Schlechtleistung lässt sich eine Rückzahlung in der Regel auf drei Anspruchsgrundlagen stützen: §§ 346 I, 437 Nr. 2 Alt. 2, 434, 323, 440 BGB, §§ 346 I, 437 Nr. 2, 434, 441 I, II BGB sowie §§ 437 Nr. 3, 280 I, II, 281 BGB. Dabei schließen sich Rücktritt und Schadensersatz nicht gegenseitig aus (§ 325 BGB); es erfolgt aber eine Anrechnung des bereits erhaltenen Betrages im Wege der Differenzhypothese. Das Minderungsrecht besteht alternativ zum Rücktrittsrecht (§ 441 I S. 1 BGB). Wenn ein umfassendes Gutachten von euch verlangt wird, solltet ihr also alle drei Möglichkeiten nennen und ein paar Worte zu den „intrasystemischen Anspruchskonkurrenzen“ verlieren.

V. Schuldrecht (Gesetzliche Schuldverhältnisse)

  • Verletzungshandlung: Bei dem Anspruch aus § 823 I BGB müsst ihr immer klar die in Rede stehende Verletzungshandlung benennen, denn Fragen der haftungsbegründenden Kausalität (z.B. bei einem Dazwischentreten Dritter) können nur dann klar beantwortet werden.
  • Schutzgesetz: Die Haftungsnorm des § 823 II BGB ist immer in Verbindung mit dem möglicherweise verletzten Schutzgesetz zu benennen. Denkt daran, dass nach herrschender Meinung z. B. auch § 858 I BGB ein Schutzgesetz ist, ebenso wie § 229 StGB oder aber auch die §§ 306 ff. StGB. Diesbezüglich solltet ihr wenigstens einmal einen Blick in einen Kommentar werfen, um sich das breite Spektrum möglicher Schutzgesetze zu vergegenwärtigen.
  • Kondiktionsarten: Euch sollte unbedingt bewusst sein, welche verschiedenen Typen von Leistungs- und Nichtleistungskondiktion es gibt und in welchem Verhältnis diese jeweils zueinander stehen. Den verschiedenen Arten der Leistungskondiktion liegen dabei jeweils verschiedene Zweckbestimmungen zugrunde, denen die Leistung dienen soll.
  • Einwendungen: § 814 BGB ist eine von Amts wegen zu beachtende rechtshindernde Einwendung und gilt ausschließlich für die condictio indebiti (§ 812 I S. 1 Alt. 1 BGB) sowie deren Erweiterung in § 813 I S. 1 BGB. Ebenso eine von Amts wegen zu beachtende rechtshindernde Einwendung ist § 817 S. 2 BGB, die allerdings für alle Arten der Leistungskondiktion gilt. § 817 S. 2 BGB kann nach Treu und Glauben teleologisch zu reduzieren sein, wenn die Aufrechterhaltung des verbotswidrig geschaffenen Zustandes mit Sinn und Zweck des Verbotsgesetzes unvereinbar ist und deshalb von der Rechtsordnung nicht hingenommen werden kann.
  • Bereicherungsgegenstand: Achtet im Hinblick auf den Bereicherungsgegenstand bei den §§ 812 ff BGB, dass nie die Sache selbst das erlangte Etwas darstellt, sondern im Zweifel Eigentum und Besitz daran.
  • Rechtsgrund: Auch solltet ihr euch unbedingt merken, was im Einzelnen als ein Rechtsgrund iSd §§ 812 ff. BGB gilt. Bei der Leistungskondiktion geht es um die Rechtswirksamkeit der der Leistungsbeziehung zugrunde liegende causa. Einen Rechtsgrund stellt z.B. die berechtigte GoA dar. Aber Vorsicht: Im Familienrecht fehlt der Rechtsgrund nur, soweit das BGB keine abschließende Sonderregelung enthält (z.B. § 1301 BGB, §§ 1371 ff. BGB). Bei der Nichtleistungskondiktion kommt es hingegen in der Regel auf gesetzliche Vorschriften oder spezielle Rechtfertigungsgründe als Behaltensgrund für den Empfänger an. Dabei ist nicht entscheidend, ob die Handlung, die zum Rechtserwerb des Schuldners auf Kosten des Gläubigers geführt hat, rechtswidrig war. Entscheidend ist vielmehr der eingetretene Zustand – entspricht dieser den allgemeinen Vorschriften der Güterzuordnung oder ist er bereicherungsrechtlich zu korrigieren? Deshalb ist beispielsweise der gutgläubige Erwerb nach den §§ 932 ff. BGB grundsätzlich kondiktionsfest, wie auch § 816 BGB zeigt.
  • Saldotheorie: Im Rahmen des § 818 II, III BGB sind die Saldotheorie und ihre jüngsten Entwicklungen zu berücksichtigen. Nach der Zweikondiktionentheorie haben bei gegenseitigen Verträgen beide Vertragspartner einen selbständigen Kondiktionsanspruch, der durch das Schicksal der Gegenleistung nicht beeinflusst wird. Damit trägt das Risiko des Untergangs der Sache der Verkäufer, der selbst schutzlos gestellt ist, wenn sich der Käufer auf § 818 III BGB beruft. Deshalb besagt die Saldotheorie im Falle gleichartiger Leistungen, dass von vornherein nur ein Kondiktionsanspruch besteht, der sich aus dem Überschuss der einen Leistung über die andere ergibt. Die dogmatische Begründung hierfür liegt in der Nachwirkung des Synallagmas. Bei ungleichartigen Leistungen führt die Anwendung der Saldotheorie zur ausnahmsweisen Zug-um-Zug-Verurteilung von Amts wegen. Nicht anzuwenden ist die Saldotheorie im Einzelfall aus Wertungsgesichtspunkten, beispielsweise nie zu Lasten Geschäftsunfähiger oder arglistig Getäuschter, auch nicht in Fällen der Bösgläubigkeit nach §§ 818 IV, 819 I BGB. Dann soll es bei der Anwendung der Zweikondiktionentheorie bleiben. Das heutige Schrifttum plädiert für eine Aufgabe der Saldotheorie zugunsten einer analogen Anwendung der §§ 346 ff. BGB mit dem Ziel einer Harmonisierung der Rückabwicklungssysteme vor allen Dingen hinsichtlich einer gleichgelagerten Zuweisung von Risiken und Verantwortlichkeiten.
  • Verschärfte Haftung gemäß §§ 818 IV, 819 I, 292, 987 ff. BGB: Die demnach geltende verschärfte Haftung, welche auch die Berufung auf § 818 III BGB ausschließt, wird leider oftmals übersehen.
  • Unterscheidung von berechtigter/unberechtigter und echter/unechter GoA: Selbst in Lehrbüchern wird diese Terminologie nicht ganz einheitlich verwendet. Ihr solltet euch jedenfalls einprägen, dass man von einer unberechtigten GoA immer dann spricht, wenn keiner der drei Berechtigungsgründe nach § 683 S. 1 BGB (Interesse und wirklicher oder mutmaßlicher Wille des Geschäftsherren), § 683 S. 2 i.V.m. 679 BGB (öffentliches Interesse oder gesetzliche Unterhaltspflicht des Geschäftsherren) oder § 684 S. 2 BGB (spätere Genehmigung durch Geschäftsherren) vorliegt. Fälle der unechten GoA sind hingegen jene, in denen es am Fremdgeschäftsführungswillen des Geschäftsführers fehlt; es sind dies die irrtümliche und die angemaßte Eigengeschäftsführung.
  • Anwendbarkeit der §§ 677 ff. BGB bei nichtigen Verträgen: Nach der Rechtsprechung soll die GoA auch Anwendung finden, wenn der zwischen Geschäftsherren und Geschäftsführer geschlossene Vertrag nichtig ist. Dagegen sprechen aber der fehlende Fremdgeschäftsführungswille und die Tatsache, dass das Gesetz für die Rückabwicklung von rechtsgrundlosen Leistungen die condictio indebiti vorsieht, die dann aber, weil die berechtigte GoA einen Rechtsgrund bildet, nicht mehr zur Anwendung gelangen würde.

VI. Sachenrecht

  • Sachenrechtliche Prinzipien: Bei der Lösung von sachenrechtlichen Problematiken solltet ihr immer die Grundprinzipien des Sachenrechts (Absolutheitsprinzip, Numerus-clausus-Prinzip, Trennungs- und Abstraktionsprinzip, Bestimmtheits-/Spezialitätsprinzip, Publizitäts-/ Offenkundigkeitsprinzip) im Hinterkopf behalten.
  • Gutgläubiger Erwerb: Macht euch bewusst, dass die §§ 932 ff. BGB nicht die fehlende Verfügungsbefugnis überwinden. Auch solltet ihr immer an die Möglichkeit des gutgläubigen Erwerbs eines Anwartschaftsrechtes denken. Im Immobiliarsachenrecht ist darauf zu achten, dass ein Grundstück nicht gemäß den §§ 873 I, 925 I, 932 I BGB gutgläubig erworben werden kann; für den gutgläubigen Erwerb z.B. eines Grundstückes gilt vielmehr § 892 I BGB.
  • EBV: Bei der Prüfung der §§ 987 ff. BGB ist immer daran zu denken, dass die Vindikationslage auch im maßgeblichen Zeitpunkt vorgelegen haben muss.
  • Sperrwirkung der §§ 987 ff. BGB: Diese besteht nach § 993 I BGB grundsätzlich gegenüber den §§ 812 ff. BGB sowie den §§ 823 ff. BGB innerhalb ihres jeweiligen sachlichen Anwendungsbereichs, d.h. bei Vorliegen einer Vindikationslage im Zeitpunkt der Tatbestandsverwirklichung, hinsichtlich Ansprüchen auf Nutzungs-, Verwendungs- und Schadensersatz wegen Verschlechterung der Sache zum Schutz des gutgläubigen und unverklagten Besitzers, unabhängig davon, ob die jeweiligen Haftungsvoraussetzungen erfüllt sind oder nicht. Eine Sperrwirkung besteht nicht gegenüber den Ansprüchen aus unechter GoA und § 826 BGB. Die berechtigte GoA verschafft ein Recht zum Besitz, sodass diese das Vorliegen einer Vindikationslage ausschließt. Nicht erfasst von §§ 987 ff. BGB werden Ansprüche wegen Verbrauch, Verarbeitung oder Veräußerung der Sache. Keine Sperrwirkung besteht dementsprechend aus Wertungsgesichtspunkten im Falle des Fremdbesitzexzesses. Der unrechtmäßige redliche Fremdbesitzer haftet dem Eigentümer für Verschlechterung und Unmöglichkeit der Herausgabe nach den allgemeinen Regeln; § 993 I BGB kommt ihm nicht zugute. Veräußert der redliche unrechtmäßige Besitzer die Sache, so kann der Eigentümer den Veräußerungserlös nach § 816 BGB herausverlangen. Die Eingriffskondiktion bleibt neben den §§ 987 ff. BGB anwendbar, sofern sie sich auf einen Eingriff in die Sache oder deren Surrogate gründet: Dies gilt für die Fälle der Verarbeitung/Verbindung/Vermischung nach § 951 BGB, wobei die §§ 994 ff. BGB den Rückgriff auf § 951 BGB sperren. Ferner beim Verbrauch der Sache durch den Besitzer und bei der Vermietung eines gesetzlich berechtigten Besitzers unter Überschreitung seines gesetzlichen Besitzrechts. Der redliche rechtsgrundlose Besitzer ist zur Herausgabe von Nutzungen verpflichtet, wenn er den Besitz an der Sache rechtsgrundlos erlangt hat.

 

12.06.2017/3 Kommentare/von Dr. Marius Schäfer
https://www.juraexamen.info/wp-content/uploads/2022/05/je_logo.svg 0 0 Dr. Marius Schäfer https://www.juraexamen.info/wp-content/uploads/2022/05/je_logo.svg Dr. Marius Schäfer2017-06-12 12:00:542017-06-12 12:00:54Typische Examensfehler: Zivilrecht (Teil 2)
Dr. Marius Schäfer

Typische Examensfehler: Zivilrecht (Teil 1)

Examensvorbereitung, Rechtsgebiete, Startseite, Verschiedenes, Zivilrecht

Die meisten Missgeschicke, die Examenskandidaten innerhalb von (Examens-)Klausuren begehen, lassen sich ohne weiteres vermeiden. Oftmals sind es auch immer wieder die gleichen damit verbundenen Probleme, auf welche die Klausurbearbeiter dabei stoßen. Daher soll dieser Beitrag einen Einblick zu den Erfahrungen gewähren, die ich im Rahmen meiner Tätigkeit als Korrektor bei der Examensvorbereitung der Universität Bonn sammeln konnte, um eine Hilfestellung für alle zukünftigen Examenskandidaten zu liefern. Dem ein oder andere mag sich in Bezug auf diese Hinweise so einiges als selbstverständlich vorkommen, doch kann ich euch versichern: Das ist es leider nicht!
Nachdem euch zuvor bereits Artikel zu allgemeinen Examensfehler sowie zu Examensfehlern auf dem Gebiet des Öffentlichen Rechts und des Strafrechts präsentiert wurden, ist es nun an der Zeit, sich dem letzten Rechtsgebiet zu widmen, indem euch einige Hinweise zu Klausuren im Bereich des Zivilrechts gegeben werden. Zwar lässt sich die unten dargestellte Liste insbesondere für das Zivilrecht noch weitaus umfassender erweitern, doch hoffe ich, dass euch die folgenden Punkte schon um einen entscheidenden Schritt im Rahmen eurer Examensvorbereitung weiterbringen können.
Allgemeine Hinweise

  • Obersätze: In zivilrechtlichen Klausuren ist bei der Bildung von Obersätzen insbesondere auf die Formel „Wer will was, von wem, woraus?“ zu achten.
  • Anspruchsgrundlagen: Es ist darauf zu achten, dass nur solche Anspruchsgrundlagen geprüft werden, die zum begehrten Anspruchsinhalt passen, d. h. das jeweiligen Begehren auf Herausgabe, Schadensersatz, etc. stützen. Diese sind dann vollständig durchzuprüfen.
  • Anspruchsreihenfolge: Grundsätzlich solltet ihr euch stets an die erlernte Anspruchsreihenfolge halten:
    • 1) Vertragliche Ansprüche,
    • 2) Quasivertragliche Ansprüche,
    • 3) Dingliche Ansprüche,
    • 4) Deliktische Ansprüche,
    • 5) Bereicherungsrechtliche Ansprüche.
  • Anspruchskonkurrenzen: Diese müssen von euch sicher beherrscht werden, sodass ihr diese am besten auswendig lernt. Beispielsweise sind die §§ 119 ff. BGB und §§ 812 ff. BGB neben den §§ 434 ff. BGB allenfalls im Falle der arglistigen Täuschung anwendbar, denn ansonsten schließen sich diese Vorschriften gegenseitig aus.
  • Anspruchsvoraussetzungen: Oftmals fehlt es im Rahmen der tatbestandlichen Prüfung der Anspruchsvoraussetzungen an einem strukturierten Aufbau, weil die Voraussetzungen im Einzelnen nicht sicher beherrscht werden, obwohl sich die Voraussetzungen in aller Regel aus der Lektüre des Gesetzestextes erschließen lassen (z.B. §§ 280 ff. BGB). Ansonsten solltet ihr die einschlägigen Schemata auswendig lernen.
  • Korrekte Schwerpunktsetzung: Oftmals sind die Schwerpunkte einer Klausur an Prüfungsstandorten zu finden, an denen dies nicht vermutet wird. Eine Klausurbearbeitung im oberen Bereich zeichnet sich angesichts der knappen Bearbeitungszeit jedoch durch eine umsichtige und korrekte Schwerpunktsetzung aus. Oftmals liegen die Schwerpunkte einer zivilrechtlichen Klausur daher auch gar nicht bei den einzelnen Anspruchsvoraussetzungen, sondern bei der Anspruchshöhe: Hier ist in der Regel beispielsweise der gestörte Gesamtschuldnerausgleich anzusprechen ebenso wie das Problem des Wettlaufs der Sicherungsgeber u. ä. Probleme.

 
BGB AT

  • Rechtsfähigkeit: Bevor ihr tief in die Prüfung etwa eines Vertragsschlusses einsteigt, müsst ihr bei entsprechender Sachverhaltskonstellation ggf. zuvor klarstellen, ob die handelnden Personen rechtsfähig sind oder aber ihr Handeln einer rechtsfähigen juristischen Person des Privatrechts bzw. einer (teil-)rechtsfähigen Personengesellschaft zuzuordnen ist. Dabei sind auch auf die Regelungen der Vertretung zu achten.
  • Vertragsschluss: Ist der Vertragsschluss problematisch, müsst ihr den Sachverhalt genau daraufhin untersuchen, ob die Äußerungen der Parteien als Angebot, als Annahme, als Ablehnung oder als Ablehnung verbunden mit einem neuen Antrag zu beurteilen sind. Besonderes Augenmerk muss dabei eventuell auch auf den Erklärungswert des Schweigens einer Person gelegt werden.
  • Formvorschriften: Bei allen Formvorschriften im BGB solltet ihr euch über deren unterschiedliche Funktionen bewusst sein (z.B. Identitäts- und Abschlussfunktion bei § 2247 I BGB) und gedanklich immer kurz überlegen, ob das Gesetz eine Heilungsmöglichkeit vorsieht (z.B. § 311b I S. 2 BGB). Auf die jeweilige Funktion und damit den Sinn und Zweck kommt es stets an, wenn die vorgeschriebene Form nicht exakt so eingehalten wurde und ihr euch darüber Gedanken machen sollt, ob das Rechtsgeschäft deshalb im Ergebnis nichtig ist.
  • Auslegung: Achtet hierbei auf den Vorrang der Auslegung und der ergänzenden Auslegung sowohl einseitiger (§ 133 BGB) als auch zweiseitiger (§§ 133, 157 BGB) Erklärungen und Rechtsgeschäfte bzw. vorrangige Berücksichtigung tatsächlicher Gegebenheiten vor dem Rückgriff auf gesetzliche Vermutungen (z.B. § 1006 BGB) und normierten Auslegungsregeln (z.B. § 2270 II BGB oder andere Auslegungsregeln im Erbrecht).
  • AGB-Recht: Vernachlässigt hier keinesfalls die Anwendbarkeit des AGB-Rechts. So finden die Vorschriften über AGB insbesondere keine Anwendung auf Verträge auf dem Gebiet des Erb-, Familien- und Gesellschaftsrechts (§ 310 IV S. 1 BGB). Bei Arbeitsverträgen ist auf die Besonderheiten des Arbeitsrechts Rücksicht zu nehmen (§ 310 IV S. 2 BGB). Auch finden bei Verwendung von AGB gegenüber Unternehmen bestimmte Vorschriften der §§ 305 ff. BGB keine Anwendung (vgl. § 310 I BGB).
  • Verjährung: Achtet unbedingt darauf, dass nur Ansprüche, d. h. das Recht, von einem Schuldner ein Tun oder Unterlassen zu fordern (vgl. § 241 Abs. 1 BGB), der Verjährung nach § 214 BGB unterliegen; im Übrigen gelten die §§ 215 ff. BGB. Auf vertragliche und gesetzliche Rücktrittsrechte als Gestaltungsrechte findet § 218 BGB Anwendung.
  • Stellvertretung: Geht es in einer Klausur in irgendeiner Weise um das Stellvertretungsrecht, so sind die einzelnen Fragen hinsichtlich der Vertretungsmacht streng voneinander zu unterscheiden: Wurde die Vertretungsmacht wirksam erteilt? Umfang bzw. etwaige Beschränkungen der Vertretungsmacht? Welche Auswirkungen hat die Überschreitung der Vertretungsmacht? Auch kann es teilweise erforderlich sein, die Stellvertretung von der Botenschaft abzugrenzen. Je nachdem, ob es sich um einen Stellvertreter oder einen Boten handelt, ergeben sich aus dieser Qualifikation heraus unterschiedliche Rechtsfolgen, etwa bei den Ansprüchen gegen die handelnden Personen bei einem bewussten Überschreiten. Da der Besitzerwerb kein Rechtsgeschäft darstellt, ist grundsätzlich auch keine Stellvertretung nach den §§ 164 ff. BGB möglich. Die §§ 164 ff. BGB sind jedoch dann anwendbar, wenn der Besitz mittels rechtsgeschäftlicher Stellvertretung unmittelbar für den Geschäftsherrn nach § 854 II BGB mittels rechtsgeschäftlicher Einigung erworben werden soll oder wenn zwischen Vertreter und Vertretenen ein antizipiertes Besitzmittlungsverhältnis besteht, sodass der Vertretene mit Aushändigung der Sache an den Vertretenen den mittelbaren Besitz erlangt.
  • Einwendungen: Achtet immer auch auf die strikt einzuhaltende Prüfungsreihenfolge von Einwendungen. Diese gestaltet sich grundsätzlich nach ihrer dogmatisch-funktionalen Bedeutung:
    • 1) Rechtshindernde Einwendungen, z.B. §§ 104 ff. BGB, §§ 116 ff. BGB, Formmängel, inhaltliche Mängel nach § 134, § 138 II, § 138 I BGB.
    • 2) Rechtsvernichtende Einwendungen, z.B. Erfüllung (§ 362 BGB), Erfüllungssurrogate, Erlass (§ 397 BGB), Abtretung nach §§ 398 ff. BGB, Schuldübernahme (§§ 414 ff. BGB), Aufhebungsvertrag, Gestaltungsrechte (z.B. Rücktritt, Kündigung, Widerruf), tatsächliche Ereignisse (z.B. Unmöglichkeit, Bedingungseintritt oder Konfusion), Entreicherung (§ 818 III BGB), Fälle des rechtsmissbräuchlichen Verhaltens nach § 242 BGB (z.B. venire contra factum proprium).
    • 3) Rechtshemmende Einwendungen (Einreden):
      • a) Dilatorische (vorrübergehende) Einreden, z.B. § 320 BGB, Zurückbehaltungsrechte (§ 273, § 1000 BGB), Stundung (§§ 311, 241 BGB), §§ 770, 771 BGB.
      • b) Peremptorische (dauernde) Einreden, z.B. Verjährung (§ 214 I BGB), § 821, § 853, § 1381 I, §§ 1990, 1991 BGB.
  • Fehleridentität: Prägt euch unbedingt die typischen Fälle zur Fehleridentität ein. Eine solche liegt vor, wenn ein und derselbe Mangel sowohl dem Verpflichtungs- als auch dem Verfügungsgeschäft anhaftet, z.B. in den Fällen von § 105, § 123, § 138 II BGB sowie ggf. auch bei § 134 BGB. Insoweit liegt also gerade keine Ausnahme vom Trennungs- und Abstraktionsprinzip vor.
  • Störung der Geschäftsgrundlage (§ 313 BGB): Beachtet in jedem Fall, dass ihr euch nicht gleich auf § 313 BGB stürzt, denn die Anwendung der Störung der Geschäftsgrundlage unterliegt dem Grundsatz der Subsidiarität. Keine Anwendung findet § 313 BGB daher, bei der Anwendung der Grundsätze der Unmöglichkeit (§ 275 BGB), einer ergänzenden Auslegung (§§ 133, 157 BGB), einer Anfechtung (§§ 119 ff. BGB), Gewährleistungsrechten (z.B. §§ 434 ff. BGB), der Zweckverfehlungskondiktion (§ 812 I S. 2 Alt. 2 BGB). Problematisch kann hier auch die Abgrenzung zwischen der sog. faktischen (§ 275 II BGB) und der sog. wirtschaftlichen (§ 313 BGB) Unmöglichkeit sein.

III. Schuldrecht (Allgemeiner Teil)

  • Anspruchsebenen: Beachtet bei vertraglichen Ansprüchen, dass es auch eine Tertiärebene gibt. Die unterschiedlichen Ebenen stellen sich wie folgt dar:
    • 1) Primärebene (auf Vertragserfüllung gerichtet).
    • 2) Sekundärebene (z.B. Schadensersatz, Surrogatansprüche, etc.).
    • 3) Tertiärebene (z.B. § 255, § 285 BGB).
  • Rechtliche Einordnung des Vertragstyps: Eine solche sollte in aller Regel nur geführt werden, wenn es für die Lösung auch darauf ankommt. Beispielsweise kann offen bleiben, ob der Finanzierungsleasingvertrag als atypischer Mietvertrag, Vertrag sui generis oder gemischt-typischer Vertrag mit Elementen des Darlehens-, Miet-, Kauf- und Geschäftsbesorgungsvertrages einzuordnen ist, wenn in einer Klausur lediglich nach dem Primäranspruch gefragt ist.
  • Anspruchsgrundlagen: Merkt euch für typische Fallgestaltungen die jeweils einschlägigen Anspruchsgrundlagen. Beispielsweise ist bei einem unbehebbaren anfänglichen Mangel § 311a II BGB einschlägig und nicht § 283 BGB. Oft wird §311a II BGB dabei übersehen.
  • Schuldverhältnis nach § 280 I BGB: Der Anwendungsbereich von § 280 I BGB setzt nicht zwangsläufig ein „vertragliches“ Schuldverhältnis voraus, denn auch gesetzliche Schuldverhältnisse können hier beachtlich werden (z. B. eine GoA).
  • Leistungsstörungen und Schadensarten: Die Unterscheidung von nichtleistungsbezogenen Nebenpflichtverletzungen i. S. v. § 241 II BGB, leistungsbezogenen Pflichtverletzungen (Verzögerung der Leistung und Schlechtleistung) sowie dem Ausschluss der Leistungspflicht nach § 275 BGB muss ebenso sicher beherrscht werden, wie die des Schadensersatzes statt und neben der Leistung.
  • Voraussetzungen des Schadensersatzanspruches nach § 280 I BGB: Prägt euch zumindest die Grundstruktur des Schadensersatzanspruches ein:
    • 1) Schuldverhältnis.
    • 2) Pflichtverletzung.
    • 3) Vertretenmüssen.
    • 4) Schaden.
    • Etwaige zusätzliche Voraussetzungen ergeben sich aus den §§ 280 ff. BGB, die ihr idR durch einfache Gesetzeslektüre erschließen könnt.
  • Anfängliche Unmöglichkeit: Achtet darauf, dass selbst ein Vertrag, bei dem Leistungshindernis i. S. v. § 275 BGB schon bei Vertragsschluss vorliegt, gemäß § 311a I BGB trotzdem wirksam ist.
  • Nachvertragliches Schuldverhältnis: Vergesst nicht, dass Schadensersatzansprüche wegen Verletzung nichtleistungsbezogener Nebenpflichtverletzungen nicht nur bei vorvertraglichen, sondern auch bei nachvertraglichen Schuldverhältnissen in Betracht kommen können (sog. culpa post contractum finitum), z. B. bei Aufbewahrungspflichten.
  • Widerrufsrecht: Bedenkt im Rahmen des Widerrufsrecht unbedingt die Gesetzesänderungen der §§ 312 ff. BGB.
  • Drittschadensliquidation vs. Vertrag mit Schutzwirkung zugunsten Dritter: Prägt euch unbedingt die Eigenschaften und Abgrenzung dieser Rechtsinstitute ein, denn Fallgestaltungen dazu sind ein äußerst beliebtes Klausurthema. Kurz gesagt: Bei der Drittschadensliquidation wird „der Schaden zum Anspruch gezogen“, beim Vertrag mit Schutzwirkung zugunsten Dritter wird „der Anspruch zum Schaden gezogen“.

 

08.06.2017/0 Kommentare/von Dr. Marius Schäfer
https://www.juraexamen.info/wp-content/uploads/2022/05/je_logo.svg 0 0 Dr. Marius Schäfer https://www.juraexamen.info/wp-content/uploads/2022/05/je_logo.svg Dr. Marius Schäfer2017-06-08 12:00:382017-06-08 12:00:38Typische Examensfehler: Zivilrecht (Teil 1)
Dr. Marius Schäfer

Typische Examensfehler: Strafrecht

Examensvorbereitung, Lerntipps, Rechtsgebiete, Startseite, Strafrecht, Verschiedenes

Die meisten Missgeschicke, die Examenskandidaten innerhalb von (Examens-)Klausuren begehen, lassen sich ohne weiteres vermeiden. Oftmals sind es auch immer wieder die gleichen damit verbundenen Probleme, auf welche die Klausurbearbeiter dabei stoßen. Daher soll dieser Beitrag einen Einblick zu den Erfahrungen gewähren, die ich im Rahmen meiner Tätigkeit als Korrektor bei der Examensvorbereitung der Universität Bonn sammeln konnte, um eine Hilfestellung für alle zukünftigen Examenskandidaten zu liefern. Dem ein oder andere mag sich in Bezug auf diese Hinweise so einiges als selbstverständlich vorkommen, doch kann ich euch versichern: Das ist es leider nicht!
Nachdem euch zuvor bereits Artikel zu allgemeinen Examensfehler sowie zu Examensfehlern auf dem Gebiet des Öffentlichen Rechts präsentiert wurden, ist es nun an der Zeit, sich dem nächsten Rechtsgebiet zu widmen, indem euch Hinweise zu Klausuren im Bereich des Strafrechts gegeben werden. Zwar lässt sich die unten dargestellte Liste noch deutlich erweitern, doch hoffe ich, dass euch die folgenden Punkte schon um einen entscheidenden Schritt im Rahmen eurer Examensvorbereitung weiterbringen können.
Hinsichtlich weiterer Problemstellungen sei an dieser Stelle auf die Artikel zu meinen Checklisten im allgemeinen (siehe hier) und besonderen Teil des Strafrechtes – in den Ausprägungen der Straftaten gegen die Individual- bzw. Allgemeinrechtsgüter (siehe hier) und der Straftaten gegen das Vermögen (siehe hier) – sowie im Strafprozessrecht (siehe hier) verwiesen.
 
I. Allgemeine Hinweise

  • Sachverhalt: Es sei zunächst erwähnt, dass der Sachverhalt komplett zu „verwerten“, jedoch nicht so zu „verbiegen“ ist, nur damit die Subsumtion möglichst einfach und bequem gestaltet werden kann.
  • Fallbearbeitung: Zu Beginn einer jeden Klausur im Strafrecht sind eine saubere Trennung von sinnvollen Tatkomplexen sowie eine Unterteilung anhand der Beteiligten von eminenter Wichtigkeit. Grundsätzlich ist dabei mit dem Tatnächsten zu beginnen. Darüber hinaus sollte die Prüfung – innerhalb eines Tatkomplexes und eines Beteiligten – mit dem Delikt begonnen werden, welches das höchste Strafmaß beinhaltet. Sofern für eine Tathandlung bzw. einen -erfolg rechtlich zwei Tatbestände in Betracht kommen, welche sich jedoch gegenseitig ausschließen (z. B. § 242 und § 263 StGB), solltet ihr mit dem Tatbestand beginnen, den ihr ablehnen werdet. Das Abgrenzungsproblem dürft ihr niemals vorangestellt prüfen, denn dieses ist stets in die Deliktsprüfung des ersten Tatbestandes einzubinden.
  • Bearbeitervermerk: Achtet in jedem Fall auf die Angaben und Anforderungen, welche im Bearbeitervermerk aufgeführt sind, insbesondere auf die oftmals vernachlässigten Strafantragserfordernisse.
  • Obersätze: Auf die Bildung korrekter Obersätze sollte besonderen Wert gelegt werden, denn nicht zuletzt kann eine ordentliche Subsumtion nur bei subsumtionsfähigen Obersätzen erfolgen. Die Obersätze sollten strafrechtsrelevante Ergebnisse nicht vorweg nehmen und im Sinne folgender Formulierung stets die konkrete strafrechtsrelevante Tathandlung sowie die zu prüfende Strafrechtsnorm benennen: „A könnte sich nach §§… StGB strafbar gemacht haben, indem er […].“ oder „A könnte sich durch […] gemäß §§… StGB strafbar gemacht haben.“ Beim Betrug gilt außerdem folgende Besonderheit: „A könnte sich durch Täuschung des B und zu dessen Lasten/zu Lasten des C nach § 263 I StGB strafbar gemacht haben, indem er […].“ Hinsichtlich der §§ 186, 187 StGB gilt zusätzlich: „A könnte sich durch die Äußerung gegenüber B, C habe […], zulasten des C nach § 186 StGB strafbar gemacht haben.“
  • Zitatation: Selbstverständlich müssen die Normen der geprüften Straftatbestände genau zitiert werden, also z. B. §§ 223 I, 224 I Nr. 2 Alt. 2 StGB, wenn es offensichtlich nicht um eine Waffe, sondern allenfalls ein anderes gefährliches Werkzeug geht.
  • Tatbestandsmerkmale: Vereinzelt finden sich leider Klausurbearbeitungen, in denen Tatbestandsmerkmale nicht definiert, erörtert oder gar genannt werden. Achtet auch stets darauf, zwischen unterschiedlichen Tatbestandsmerkmalen zu differenzieren.
  • Gutachtenstil: Vernachlässigt bitte nicht den Gutachtenstil. So gehört etwa hinter jede Definition auch eine Subsumtion. Zu beachten ist dabei in jedem Fall, dass sich die Subsumtion exakt auf die Definition und vor allem die Angaben des Sachverhaltes zu beziehen hat. Wenn etwas völlig unproblematisch ist, kann man zumindest jedoch die Definition weglassen und lediglich den Obersatz, die Subsumtion und den Ergebnissatz anführen. Ein Beispiel dazu sei wie folgt formuliert: „A könnte sich durch die Wegnahme des Leuchters eines Diebstahls gemäß § 242 I StGB strafbar gemacht haben. Der Leuchter ist eine fremde bewegliche Sache. Diese hat A auch weggenommen und dabei rechtswidrig sowie schuldhaft gehandelt, so dass er sich nach § 242 I StGB strafbar gemacht hat.“ Der Gutachtenstil sollte allerdings nicht überstrapaziert werden. Wenn ihr eure Deliktsprüfung fortwährend wie folgt einleitet: „Der Tatbestand müsste erfüllt sein. Zunächst müsste der objektive Tatbestand erfüllt sein.“ verliert ihr nicht nur wertvolle Bearbeitungszeit, sondern langweilt den Korrektor auch über alle Maßen. Anstatt auch direkt mit den einzelnen Tatbestandsvoraussetzungen zu beginnen, solltet ihr im Anschluss an den Obersatz die Anforderungen an die Erfüllung des objektiven Tatbestandes erläutern.
  • Meinungsstreit: Ein Meinungsstreit ist nicht so zu führen, dass jede Ansicht mitsamt dem Ergebnis, zu dem es im konkreten Fall führen würde, in jeweils zwei Sätzen aufgeschrieben wird. Stattdessen sind für jede Ansicht die Pro- und Contra-Argumente in der Reihenfolge und Gewichtung zu nennen, die dem in der eigenen Lösung vertretenen Ergebnis entspricht. Übt dies am besten mit den fünf gängigsten Theorien zum Erlaubnistatbestandsirrtum, weil in diesem Fall die Wahrscheinlichkeit recht hoch ist, dass eben dieser Meinungsstreit in einem Vortrag oder einer Strafrechtsklausur im Ersten und Zweiten Examen tatsächlich einmal abgeprüft wird. Alternativ empfiehlt sich dafür auch die Abgrenzung von Raub und räuberischer Erpressung nach den Meinungen der Rechtsprechung sowie der Literatur, unter Einbeziehung aller jeweiligen Prämissen und Konsequenzen. Führt jedoch nicht jeden Meinungsstreit aus, nur weil ihr diesen auswendig gelernt habt und sicher zu beherrschen gedenkt, sondern achtet darauf, ob dieser überhaupt entscheidungserheblich ist. Auch müssen Streitstände nur dann entschieden werden, wenn diese zu unterschiedlichen Ergebnissen führen.
  • Zivilrechtliche Prüfungen: Im Rahmen von § 242, § 249, § 253, § 259 oder § 263 StGB können durchaus schon einmal anspruchsvollere zivilrechtliche Prüfungen gewollt sein. Handelt zivilrechtliche Fragestellungen also nicht oberflächlich ab, denn diese können für euer (strafrechtliches) Ergebnis oftmals entscheidend sein.
  • Ergebnis und Konkurrenzen: Es empfiehlt sich, in das Gutachten Zwischenergebnisse einzufügen, um dem Korrektor den Überblick über eure Klausurbearbeitung zu erleichtern. Außerdem hilft es euch, am Ende ein Gesamtergebnis zu treffen und die Konkurrenzen besser darzustellen, was nur leider allzu oft vernachlässigt wird.

 
II. Strafrecht – Allgemeiner Teil

  • Aufbauschemata: Alle Aufbauschemata des Allgemeinen Teils sollten unbedingt auswendig gelernt und „im Schlaf“ beherrscht werden, z. B. zum Versuch, zum erfolgsqualifizierten Versuch, zum Versuchsbeginn bei der Verwirklichung eines Regelbeispiels, zum Rücktritt vom Versuch, zur Anstiftung und Beihilfe, zur Beihilfe zur Anstiftung, zur mittelbaren Täterschaft, zur Mittäterschaft, zu den einzelnen Rechtfertigungs- und Entschuldigungsgründen, zum Fahrlässigkeitsdelikt, usw. Hierauf darf in der Klausur keine Zeit zum Überlegen verschwendet werden, da gerade Strafrechtsklausuren ohnehin in aller Regel sehr umfangreich sind. Ich empfehle zum effektiveren Auswendiglernen die Verwendung von Karteikarten.
  • Deliktsprüfung: Bei der Prüfung eines jeden einzelnen Delikts sollte der Prüfung zumindest gedanklich das erlernte Aufbauschema aus dem Allgemeinen Teil zugrunde gelegt werden, denn nur so kann das Risiko minimiert werden, Entscheidungserhebliches zu übersehen. Qualifikations- (z. B. § 244 I Nr. 3 StGB) bzw. Privilegierungstatbestände (z. B. § 216 StGB) sind mit allen Merkmalen im objektiven und subjektiven Tatbestand zu prüfen, während Regelbeispiele (z. B. § 243 StGB) bzw. minder schwere Fälle (§ 213 StGB) als reine Strafzumessungsvorschriften hinter der Schuld zu prüfen sind.
  • Tatbestandsmerkmale: Vergewissert euch, dass ihr die jeweiligen Tatbestandsmerkmale in eurer Prüfung korrekt verortet habt und nicht etwa subjektive als objektive Tatbestandsmerkmale geprüft habt. Ein viel gesehenes Beispiel ist dafür § 267 StGB und das Merkmal „zur Täuschung im Rechtsverkehr“.
  • Vorsatz: Da es sich „eingebürgert“ hat, den Vorsatz ohne genaue Prüfung und Begründung zu bejahen, sollte wenigstens einmal innerhalb des Gutachtens die Definition des Vorsatzes fallen und § 15 sowie § 16 I 1 StGB angeführt werden.
  • Objektive Bedingung der Strafbarkeit: Diese unterscheiden sich von persönlichen Straf-/Schuldausschließungsgründen dadurch, dass bei ihrem Nichtvorliegen die Tat für jedermann straflos ist. Da sich der Vorsatz des Täters hierauf nicht erstrecken muss, sind diese im Anschluss an den subjektiven Tatbestand zu prüfen.
  • Schuld: Macht euch bewusst, dass die Schuld mehrere Prüfungspunkte enthält, und zwar die Schuldfähigkeit, spezielle Schuldmerkmale, die Vorwerfbarkeit der tatbestandlichen rechtswidrigen Handlung (Schuldform/-vorwurf, aktuelles oder potentielles Unrechtsbewusstsein, Nichteingreifen von Entschuldigungsgründen) sowie persönliche Strafausschließungs- oder -aufhebungsgründe. Entfällt beispielsweise schon die Schuldfähigkeit, braucht man sich über Entschuldigungsgründe oder persönliche Strafaufhebungsgründe keine Gedanken zu machen.
  • Akzessorietätslockerung: § 28 I StGB gilt nur für Teilnehmer und stellt eine Strafzumessungsregel dar; § 28 II StGB gilt für Täter und Teilnehmer und bewirkt eine Tatbestandsverschiebung; § 29 StGB gilt für Täter und Teilnehmer und bestätigt das Prinzip limitierter Akzessorietät.
  • Versuchsstrafbarkeit: Qualifikations- und Privilegierungstatbestände sind eigene Deliktstypen, sodass es bei der Frage, ob es sich um ein Verbrechen (§ 12 I StGB) oder ein Vergehen (§ 12 II StGB) handelt, auf den jeweiligen Qualifikations-/Privilegierungstatbestand und nicht auf den Grundtatbestand ankommt. Die Vorschrift des § 12 III StGB bezieht sich dagegen auf Milderungen nach § 13 II, § 17 S. 2, § 21, § 23 II, § 27 II, § 28 I, § 30 I und § 35 StGB.

 
III. Strafrecht – Besonderer Teil

  • Deliktsprüfung: Unscheinbare bzw. weniger bekannte Delikte werden häufig ausgelassen. Ihr solltet euch vor einer Klausur im Strafrecht jedoch unbedingt die Mühe machen, das Verzeichnis des StGB durchzuarbeiten und wenigstens im Überblick zu verinnerlichen, damit ihr in eurer Klausurbearbeitung kein Delikt auslasst.
  • Systematische Zusammenhänge: Diese sind im Besonderen Teil des Strafrechts oft von entscheidender Bedeutung. Macht euch vor allem die Systematik und Struktur der Aussage-, Beleidigungs-, Brandstiftungs- und Straßenverkehrsdelikte klar.
  • Subsidiaritätsregelungen: Ausdrücklich im Gesetz genannte Subsidiaritätsregelungen (z. B. § 145d I StGB) dürfen keinesfalls übersehen werden.
  • Promillegrenzen: Diese müssen zwangsläufig auswendig beherrscht und in der Prüfung stets angeführt werden. Die absolute Fahruntüchtigkeit liegt bei Auto-/Mofa-/Motorradfahrern bei einer BAK ab 1,1 Promille, bei Fahrradfahrern ab 1,6 Promille vor. Die relative Fahruntüchtigkeit ist bei einer BAK ab 0,3 Promille zu prüfen, d. h. es müssen alkoholbedingte Ausfallerscheinungen hinzutreten. Die Grenzen bezüglich der Schuldfähigkeit sind nicht starr; im Einzelfall kommt es z. B. auf die Höhe der Hemmschwelle zur Begehung der jeweiligen Delikte an oder aber auf die Trinkgewohnheiten des Täters. Dennoch solltet ihr euch für die Klausur folgende Richtwerte merken: Ab 3,0 Promille ist im Zweifel eine Schuldunfähigkeit im Sinne des § 20 StGB gegeben, während ab 2,0 Promille von einer verminderten Schuldfähigkeit im Sinne von § 21 StGB auszugehen ist.
  • Konkurrenzverhältnis von § 243 und § 244 StGB: Grundsätzlich tritt § 243 StGB hinter § 244 StGB zurück; ausnahmsweise kann aber Tateinheit anzunehmen sein, wenn die Strafschärfung nach § 243 StGB auf einem gegenüber § 244 StGB eigenständigen Unrechtsgehalt beruht und dieser zusätzlich eine strafverschärfende Berücksichtigung finden soll.
  • Betrug (§ 263 StGB): Häufig werden die unterschiedlichen Vermögensbegriffe nicht erörtert, obwohl dies für die Frage, ob überhaupt ein Vermögensschaden eingetreten ist, relevant sein kann.
  • Absichten bei Eigentums- und Vermögensdelikten: Verwechselt nicht die Zueignungs- (§ 242 I StGB), Beutesicherungs- (§ 252 StGB) und Bereicherungsabsicht (§ 263 I StGB) miteinander.
  • Definition „gefährliches Werkzeug“: Denkt daran, dass die Definition dieses Begriffes in § 244 I Nr. 1a) Alt. 2 und § 250 I Nr. 1a) Alt. 2 StGB (abstrakte Gefährlichkeit und subjektive Verwendungsabsicht), wo das bloße Beisichführen des gefährlichen Werkzeugs bereits den Qualifikationstatbestand begründet, eine andere ist als in § 224 I Nr. 2 Alt. 2 StGB (gefährlich nach konkreter Art der Verwendung im Einzelfall).
  • Sache von „bedeutendem Wert“: Wann eine solche Sache vorliegt, ist je nach Zielsetzung der Vorschrift unterschiedlich zu beurteilen: Bei den §§ 263 III 2 Nr. 5, 264 II Nr. 1 StGB ab 50.000 €, bei den §§ 307 I, 315b I, 306f II, 315 I StGB ab 750 €, bei § 69 II Nr. 3 StGB ab 1.300 €.
  • „Geringwertige Sache“: Eine solche im Sinne der §§ 248a, 243 II StGB ist bei 25 € und darunter anzunehmen, wobei es bei mehreren Tatbeteiligten auf die Gesamtmenge des Erbeuteten ankommt.

 
 

01.09.2016/1 Kommentar/von Dr. Marius Schäfer
https://www.juraexamen.info/wp-content/uploads/2022/05/je_logo.svg 0 0 Dr. Marius Schäfer https://www.juraexamen.info/wp-content/uploads/2022/05/je_logo.svg Dr. Marius Schäfer2016-09-01 10:00:432016-09-01 10:00:43Typische Examensfehler: Strafrecht
Dr. Marius Schäfer

Typische Examensfehler: Öffentliches Recht

Examensvorbereitung, Lerntipps, Öffentliches Recht, Rechtsgebiete, Startseite, Verschiedenes

Die meisten Missgeschicke, die Examenskandidaten innerhalb von (Examens-)Klausuren begehen, lassen sich ohne weiteres vermeiden. Oftmals sind es auch immer wieder die gleichen damit verbundenen Probleme, auf welche die Klausurbearbeiter dabei stoßen. Daher soll dieser Beitrag einen Einblick zu den Erfahrungen gewähren, die ich im Rahmen meiner Tätigkeit als Korrektor bei der Examensvorbereitung der Universität Bonn sammeln konnte, um eine Hilfestellung für alle zukünftigen Examenskandidaten zu liefern. Dem ein oder andere mag sich in Bezug auf diese Hinweise so einiges als selbstverständlich vorkommen, doch kann ich euch versichern: Das ist es leider nicht!
Nachdem euch zuvor schon ganz allgemein solche typischen Examensfehler eigens in einem Artikel präsentiert wurden, ist es nun an der Zeit, sich dem ersten Rechtsgebiet zu widmen, indem euch Hinweise zu Klausuren im Bereich des Öffentlichen Rechts gegeben und die typischen Examensfehler dazu aufgezeigt werden. Zwar lässt sich die unten dargestellte Liste noch deutlich erweitern, doch hoffe ich, dass euch die folgenden Punkte schon um einen entscheidenden Schritt im Rahmen eurer Examensvorbereitung weiterbringen können.
 
I. Allgemeine Hinweise

  • Fallbearbeitung: Ihr werdet insbesondere bei Klausuren im Öffentlichen Recht mit verschiedenen Begehren und Argumentationen der beteiligten Personen und Behörden konfrontiert, welche streng auseinanderzuhalten sind und vollständig in eurem Gutachten wiederzufinden sein sollten.
  • Schemata: Alle gängigen Schemata zu sämtlichen Klagearten, aber auch zur Prüfung der Rechtmäßigkeit eines Grundrechtseingriffes, VAs, zum Normal- und Sofortvollzug, zum Eingriff in eine Grundfreiheit, usw. müssen ganz sicher auswendig beherrscht werden, denn hierauf darf in der Klausursituation keine Zeit zum Überlegen verwendet werden.
  • Normkenntnis: Oftmals gewinnt man als Korrektor den Eindruck, dass sich der Klausurbearbeiter die einschlägigen Normen zum ersten Mal in der Klausur selbst angesehen hat und daher unsicher mit dessen Umgang ist. Ein gutes Beispiel, wie sehr eine solide Normenkenntnis weiterhelfen kann, sind etwa die §§ 48, 49 VwVfG zur Rücknahme eines rechtswidrigen bzw. zum Widerruf eines rechtmäßigen VAs.
  • Begrifflichkeiten: Benennt die einschlägigen Begrifflichkeiten unbedingt mit der exakten Bezeichnung, denn so heißt es etwa „Verwaltungsrechtsweg“ und nicht „Verwaltungsgerichtsweg“.
  • Definitionen: Ein absolutes Muss ist die sichere Kenntnis über die einschlägigen Definitionen oder die Bedeutung gerade von im Verfassungsrecht besonders relevanten Begriffen, denn sonst kann eine fundierte Subsumtion, auf die im Öffentlichen Recht besonderen Wert gelegt wird, nicht erfolgen. Beispielhaft dazu sei die Verhältnismäßigkeitsprüfung angeführt, denn hier ist zunächst zu definieren, wann eine Maßnahme verhältnismäßig ist („Eine Maßnahme ist verhältnismäßig, wenn diese zur Erreichung eines legitimen Zieles geeignet, erforderlich sowie angemessen ist.“) und was unter den aufgeführten Merkmalen zu verstehen ist. Ihr seht also, dass ihr euch mit ein wenig Mühe von euren Mitstreitern absetzen und einen guten Eindruck beim Korrektor hinterlassen könnt.
  • Auslegung: Beachtet vor allem, dass insbesondere im Öffentlichen Recht oftmals eine an den Auslegungskanones orientierte, methodische Herangehensweise gefragt ist, wie z.B. bei der Frage nach einem materiellen Prüfungsrecht des Bundespräsidenten.
  • Schwerpunktsetzung: In der Regel lassen sich die meisten Punkte im Rahmen der Begründetheit verdienen, sodass unproblematische Prüfungspunkte innerhalb der Zulässigkeit nur kurz abzuhandeln sind.
  • Analogien herstellen: Insbesondere im Hinblick auf Examensklausuren im Bereich des Öffentlichen Rechts könnten euch unbekannte Fallkonstellationen und -gestaltungen begegnen, die sich (nur) mit dem Ziehen von vergleichbaren Wertungen oder mit dem Herstellen von Analogien zu euch bekannten Grundsätzen lösen lassen. Als ein Beispiel sei hier meine erste Klausur aus dem Staatsexamen in NRW (Ö I – Mai 2012) angeführt.

 
II. Staats- und Verfassungsrecht

  • Verfassungsrechtliche Prinzipien: Diese spielen im Grunde zu jeder Problemstellung im Staats- und Verfassungsrecht eine Rolle. Wer etwa die demokratischen und rechtsstaatlichen Grundsätze nicht kennt, dem fehlen häufig wertvolle Argumentationslinien.
  • Organstreitverfahren: Die Zulässigkeit des Organstreitverfahrens ergibt sich nach Art. 93 Abs. 1 Nr. 1 GG i.V.m. den §§ 13 Nr. 5, 63 ff. BVerfGG. Zu beachten ist dabei insbesondere, dass § 63 BVerfGG den Art. 93 Abs. 1 Nr. 1 GG nicht wirksam einschränken kann, sodass sich die Parteifähigkeit der insoweit nicht erfassten Organe und Organteile direkt aus Art. 93 Abs. 1 Nr. 1 GG ergibt. Nach ständiger, aber problematischer Rechtsprechung des BVerfG sind politische Parteien „andere Beteiligte“ i.S.d. Art. 93 Abs. 1 Nr. 1 GG, was allerdings nur dann gilt, wenn und soweit sie mit Verfassungsorganen um Rechte streiten, die sich aus ihrem besonderen verfassungsrechtlichen Status ergeben. Wird im Übrigen auf ein Unterlassen als streitgegenständliche Maßnahme abgestellt, so bedarf es einer entsprechenden Handlungspflicht.
  • Verfassungsbeschwerde: Beachtet bitte, dass es sich bei der Verfassungsbeschwerde nicht um eine Klage handelt und daher auch die Nennung von Begriffen wie „Klagegegenstand“ oder „Klagebefugnis“ zu unterlassen sind. Übernehmt diesen immer wieder begangenen Fehler also nicht aus der BILD-Zeitung. Die Bildung der Obersätze bereitet vielen Bearbeitern Schwierigkeiten, was bereits bei der korrekten Zitierung der Normen beginnt. Häufig wird z. B. geschrieben: „Die Statthaftigkeit der Verfassungsbeschwerde richtet sich nach Art. 93 Abs. 1 Nr. 4a GG i.V.m. §§ 13 Nr. 8a, 90 ff. BVerfGG.“ Letzteres ist nicht ganz korrekt, denn vielmehr muss es heißen: „[…] nach Art. 93 Abs. 1 Nr. 4a GG i.V.m. den §§ 13 Nr. 8a, 90 Abs. 1 BVerfGG“. Oftmals ist nicht genau bekannt, was im Rahmen des Prüfungsumfanges des BVerfG, der im Übrigen nur bei einer Urteilsverfassungsbeschwerde anzusprechen ist, unter der Verletzung spezifischen Verfassungsrechtes zu verstehen ist. Insofern gelingt auch die Subsumtion nicht zufriedenstellend. Ebenso ist dies für die Benennung des Beschwerdegegenstandes im Fall einer Urteilsverfassungsbeschwerde zu verzeichnen, denn hier ist vielen Klausurbearbeitern oftmals unklar, dass es sich bei mehreren Exekutiv- und Judikativakten um einen einheitlichen Beschwerdegegenstand handelt. Innerhalb des Prüfungspunktes der Rechtswegerschöpfung ist darauf zu achten, dass gegen Gesetze des Bundes kein Rechtsweg existiert und § 90 Abs. 2 S. 1 BVerfGG bei Rechtssatzverfassungsbeschwerden keine Anwendung finden kann. Falsch ist es jedoch, wenn man in diesem Zusammenhang die Formulierung liest: „Mithin ist der Rechtsweg erschöpft“, denn ein Rechtsweg steht ohnehin nicht offen. Zu prüfen sind im Rahmen der Begründetheit unbedingt nur die Grundrechte sowie die grundrechtsgleichen Rechte, die den Beschwerdeführer möglicherweise selbst, gegenwärtig und unmittelbar betreffen könnten. Achtet daher auf die Konnektivität der Beschwerdebefugnis sowie der Grundrechtsprüfung innerhalb der Begründetheit. Eine solche besteht im Grunde auch mit Blick auf den Beschwerdegegenstand sowie den Eingriff. Mit Blick auf den letzten Punkt ist zu verzeichnen, dass die Subsumtion unter den klassischen Eingriffsbegriff leider nur selten gelingt, obwohl dieser immer wieder angeführt wird. Schwierigkeiten bereitet vielen Bearbeitern auch die Maßgabe, dass kollidierendes Verfassungsrecht im Rahmen schrankenlos gewährleisteter Grundrechte dennoch von einer einfach-gesetzlichen Regelung konkretisiert werden müssen.
  • Grundrechtskonkurrenzen: Diese werden leider nur von wenigen Klausurbearbeitern beherrscht, sodass ihr euch hier ganz besonders von euren Mitstreitern absetzen könnt. Beispielhaft sei hier nur das Verhältnis von Art. 5 GG zu Art. 8 GG angeführt. Ein Grundrecht mit einem spezielleren Schutzbereich verdrängt das Grundrecht, welches einen allgemeinen Schutzbereich bietet. Sofern ein Eingriff in den Schutzbereich eines speziellen Grundrechtes vorliegt, wird dadurch eine Sperrwirkung gegenüber Art. 2 Abs. 1 GG entfaltet.
  • Verhältnismäßigkeitsprüfung: Innerhalb der Verhältnismäßigkeitsprüfung vernachlässigen viele Bearbeiter oftmals, dass strikt zwischen der Normauslegungs- und der Normanwendungsebene zu unterscheiden ist. Auch die Begriffe „Wechselwirkungslehre“ und „praktische Konkordanz“ sind in diesem Zusammenhang nur selten bekannt. Dass die relevante Maßnahme einen legitimen Zweck verfolgen muss, wird insbesondere von Anfängern nur allzu oft vergessen. In Anbetracht der Häufigkeit, mit der die Verhältnismäßigkeitsprüfung zu leisten ist, ist es daher kaum verständlich, wenn diese nicht sicher beherrscht wird. Eine Hilfe könnte euch da unser Artikel vom 01. August 2012 sein.
  • Politische Parteien: Eine politische Partei darf übrigens auch dann als „verfassungsfeindlich“ bezeichnet werden, wenn sie nicht für verfassungswidrig erklärt wurde.

 
III. Europarecht

  • Grundlagen: Selbst wenn ihr „auf Lücke lernen“ wollt, solltet ihr wenigstens die Grundzüge des Europarechts, wie beispielsweise die Wirkweise einer Richtlinie, die Voraussetzungen der gängigsten Klagearten und Grundfreiheiten sowie die Lissabon-Rechtsprechung beherrschen. Es schadet auch nicht, einen Überblick über die Struktur und die Inhalte des EU-Vertrages zu kennen.
  • Einwirkung in andere Rechtsgebiete: Immer wieder gerne geprüft werden auch die europarechtlichen Anforderungen bei der Rücknahme eines Bewilligungsbescheides, sodass das Europarecht mittlerweile nicht mehr isoliert zu betrachten ist, sondern auch in andere Rechtsgebiete, wie hier im Falle des Allgemeinen Verwaltungsrechtes, einzuwirken vermag.

 
IV. Staatshaftungsrecht

  • Anspruchsgrundlagen: Wiederholt vor den anstehenden Klausuren noch einmal unbedingt die Voraussetzungen des Amtshaftungsanspruchs, des enteignenden und enteignungsgleichen Eingriffs, des Folgen-/Vollzugsbeseitigungsanspruchs, der öffentlich-rechtlichen Geschäftsführung ohne Auftrag sowie der öffentlich-rechtlichen culpa in contrahendo, denn im Examen sind Fallkonstellationen zu eben diesen Ansprüchen nicht unüblich, doch lassen sich gerade diese nur allein mit dem Gesetz keinesfalls lösen.
  • Rechtsfolgen: Hier muss zu den einzelnen Anspruchsgrundlagen unbedingt zwischen Schadensersatz und Entschädigung unterschieden werden.

 
V. Verwaltungsprozessrecht

  • Obersatz: Gewöhnt euch direkt zu Beginn eurer Examensvorbereitung die Formulierung „Die Klage hat Erfolg, soweit diese zulässig und begründet ist.“ an, denn zulässig ist diese zwar nur, wenn alle Sachurteilsvoraussetzungen vorliegen, begründet sein kann diese aber auch nur teilweise.
  • Verwaltungsrechtsweg: Vergesst an dieser Stelle nicht, gegebenenfalls auch an aufdrängende Sonderzuweisungen zu denken (z.B. § 126 Abs. 1 und 2 BRRG) Wenn es darum geht, die Frage zu beantworten, ob eine öffentlich-rechtliche Streitigkeit nicht-verfassungsrechtlicher Art gegeben ist, sollten zwingend die Begriffe „modifizierte Subjekttheorie“ und „doppelte Verfassungsunmittelbarkeit“ Erwähnung finden. Beachtet auch immer die korrekte Bezeichnung aller in Betracht kommenden streitentscheidenden Normen.
  • Statthafte Klageart: Bei der Ermittlung der statthaften Klageart ist auch immer kurz an die Möglichkeit eines Annexantrages nach § 113 Abs. 1 S. 2 und S. 3 VwGO zu denken. Häufig wird bei der Ermittlung der statthaften Klageart leider auch die actus-contrarius-Theorie übersehen.
  • Klagebefugnis: Insbesondere an dieser Stelle zeigt sich ein allgemein festzustellendes Phänomen, denn „Theorien“ werden des Öfteren unbedacht und teilweise in falschem Zusammenhang angewendet, speziell etwa die Adressatentheorie im Rahmen einer Verpflichtungssituation. Bei der Verwendung der Adressatentheorie ist also Vorsicht geboten, was vor allem daran liegt, weil diese nur dann passt, wenn auch ein VA mit der notwendigen Außenwirkung vorliegt (also z.B. nicht bei Maßnahmen im Sonderstatusverhältnis) und sich ein Rückgriff darauf bei Verpflichtungs- und Leistungsklagen ohnehin verbietet, da Art. 2 Abs. 1 GG prinzipiell nur ein Abwehr- und kein Leistungsrecht enthält. Besser verwenden Sie also stets die Formulierung: „A ist klagebefugt gemäß/analog § 42 Abs. 2 VwGO, wenn die Möglichkeit besteht, dass er durch […] in seinen subjektiven Recht verletzt wird/dass er einen Anspruch auf… hat.“ Im Rahmen der Klagebefugnis sollte im Übrigen immer auf die jeweils konkretere Normebene abgestellt werden. Geht es also beispielsweise um das Recht, an einer öffentlichen Versammlung teilzunehmen, sollte § 1 Abs. 1 VersammlG genannt werden und nicht (nur) Art. 8 GG.
  • Vorverfahren: Zwar sollten alle Examenskandidaten aus NRW immer die Regelung zum Absehen vom Vorverfahren gemäß § 110 Abs. 1 JustG NRW im Hinterkopf behalten, doch geht der bloße Verweis auf die Vorschrift im Rahmen der Allgemeinen Leistungs- sowie der Feststellungsklage fehl, da hier grundsätzlich kein Vorverfahren vorgesehen ist. Die Rückausnahmen nach § 110 Abs. 2 JustG NRW werden an dieser Stelle ebenfalls gerne übersehen. Nicht vergessen werden darf schließlich, dass ein Vorverfahren auch bei Untätigkeit der Behörde nach § 75 S. 1 VwGO entbehrlich ist.
  • Beteiligten-/Prozessfähigkeit/Klagegegner: Völlig unverständlich ist es, wenn den Klausurbearbeitern an dieser Stelle Fehler unterlaufen, da es sich hierbei um eine überschaubare Thematik handelt, die sich fast ausschließlich mit einem Blick auf die einschlägigen Normen beherrschen lässt. Wenn dann bei einer Maßnahme der Polizei der Klagegegner im Sinne von § 78 Nr. 1 VwGO in einer kreisfreien Stadt erkannt wird, so lässt sich ein solcher schwerwiegender Fehler kaum mehr wieder gutmachen. Im Widerspruchsverfahren ist auf § 78 VwGO im Übrigen nicht zurückzugreifen.
  • Prozessuale Besonderheiten: Oftmals fehlt in diesem Zusammenhang eine auch gedanklich klare Trennung von Haupt- und Hilfsantrag. Unsicherheiten bestehen nicht zuletzt auch im Hinblick auf die Voraussetzungen der objektiven Klagehäufung nach § 44 VwGO.
  • Fortsetzungsfeststellungsklage: Die Fallgruppen, wann ein Fortsetzungsfeststellungsinteresse zu bejahen ist, sind teilweise nicht bekannt, obwohl gerade hier eine dezidierte Subsumtion erwartet wird.

 
VI. Verwaltungsrecht

  • Ermessensprüfungen: Diese erfordern stets eine saubere Trennung von Tatbestands- sowie Rechtsfolgenseite und sind immer an eine konkrete Norm anzubinden (z.B. an § 114 S. 1 VwGO bzw. an § 40 VwVfG). Die Kategorien der Ermessensfehler müssen unbedingt sicher beherrscht werden.
  • Baurecht: Die Abwägungsfehlerlehre im Bauplanungsrecht ist nicht mit der allgemeinen Ermessensfehlerlehre zu verwechseln, auch wenn sich hier gewisse Ähnlichkeiten zeigen. Überhaupt ist zwischen Bauordnungs- und Bauplanungsrecht zu differenzieren.
  • Polizei- und Ordnungsrecht: Bei der Eröffnung des Verwaltungsrechtsweges nach § 40 Abs. 1 S. 1 VwGO sollte immer ein kurzer Satz dazu geschrieben werden, dass es sich um eine präventive polizeiliche Tätigkeit handelt und die abdrängenden Sonderzuweisungen speziell nach § 23 Abs. 1 S. 1 EGGVG und analog § 98 Abs. 2 S. 2 StPO nicht einschlägig sind. Immer wieder zeigen sich auch Schwächen im Bereich der Vollstreckungsvoraussetzungen, obwohl die im Prinzip völlig schematischen Voraussetzungen des Normal- und des Sofortvollzuges sicher auswendig beherrscht werden sollten. Probleme im Zusammenhang mit der Rechtmäßigkeit eines Kostenbescheid nach § 77 VwVG NRW sind die mangelnde vollständige Normzitation im Obersatz sowie Unsicherheiten hinsichtlich des verschachtelten Prüfungsaufbaus. Die jeweils korrekte Rechtsgrundlage für eingreifende polizeiliche Maßnahmen muss hinreichend dargelegt werden. Ebenso muss die Abgrenzung von Ersatzvornahme und Sicherstellung ausführlich bekannt sein, da Fallkonstellationen zu dieser Thematik nicht unüblich sind. Die Polizeifestigkeit der Versammlungsfreiheit wird leider häufig missachtet. Aus dem abschließenden Charakter des Versammlungsrechts als speziellem Gefahrenabwehrrecht folgt im Umkehrschluss, dass versammlungsbezogene Eingriffe allein auf der Grundlage des Versammlungsgesetzes und nicht auf der Grundlage des Polizeirechts zulässig sind. Der spezielle Schutz öffentlicher Versammlungen findet dabei seine Rechtfertigung in der grundlegenden Bedeutung der Versammlungsfreiheit für ein freiheitlich-demokratisches Gemeinwesen, weshalb entsprechende Freiheitsausübungen einem privilegierenden Sonderrecht unterstellt werden.
  • Kommunalrecht: Unsicherheiten und erhebliche Wissenslücken zeigen sich auch im Kommunalrecht, da dies relativ selten in Klausuren abgeprüft wird. „Auf Lücke“-Lernen ist riskant und lässt sich in der Klausur ggf. nur mit einer aufmerksamen Studie der kommunalrechtlichen Regelungen überwinden.

 

25.05.2016/2 Kommentare/von Dr. Marius Schäfer
https://www.juraexamen.info/wp-content/uploads/2022/05/je_logo.svg 0 0 Dr. Marius Schäfer https://www.juraexamen.info/wp-content/uploads/2022/05/je_logo.svg Dr. Marius Schäfer2016-05-25 10:00:182016-05-25 10:00:18Typische Examensfehler: Öffentliches Recht
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