Update
Der 2. Senat des BVerfG hat einen Eilantrag auf Außervollzugsetzung des § 217 StGB abgelehnt (Beschl. v. 21.12.2015 – 2 BvR 2347/15, NJW 2016, 558). Vier Mitglieder des Vereins Sterbehilfe Deutschland eV hatten einen zulässigen Antrag auf einstweilige Anordnung gestellt, der aber vom BVerfG als unbegründet zurückgewiesen wurde. Den Antragstellern war vom Verein Sterbehilfe Deutschland zugesagt worden, auf ihr Verlangen hin – den rechtlichen Rahmenbedingungen entsprechend (vgl. unten) – Unterstützung bei ihrer eigenverantwortlichen Selbsttötung zu erhalten, welche der Verein nun mit Verweis auf § 217 StGB verweigerte.
Im Rahmen einer Folgenabwägung unter Berücksichtigung der hohen Anforderungen an eine Außervollzugsetzung iRd § 32 BVerfGG entschied sich das BVerfG für die Aufrechterhaltung des strafbewehrte Verbots der geschäftsmäßigen Sterbehilfe, es bestünde eine zu große Gefahr, dass schwerkranke Menschen, die oft nicht in der Lage seien, reflektierte Entscheidungen zu treffen, zur Selbsttötung verleitet werden könnten. Gerade dann entfiele aber der durch die Norm sowie den Gesetzgeber intendierte Schutz menschlichen Lebens aus Art. 2 II 1 GG, was zu verhindern sei. Dieser Schutz der Allgemeinheit überwiege die berechtigten Einzelinteressen der potentiellen Suizidenten an einer selbstbestimmten Entscheidung über ihren Tod.
Der Beschluss des BVerfG ist überzeugend, auch wenn es wegen weiterhin bestehender Zweifel an der ausreichenden Bestimmtheit der Norm – auf die in der Eilentscheidung allerdings nicht einzugehen war – abermals der Judikative obliegen wird, den Tatbestand durch einschlägige Rechtsprechung hinreichend zu konkretisieren.
Geschäftsmäßige Sterbehilfe künftig strafbar
Am vergangenen Freitag, den 6.11.2015, hat der Deutsche Bundestag einen Gesetzesentwurf beschlossen, der voraussichtlich wie folgt in das StGB aufgenommen wird:
217 StGB: Geschäftsmäßige Förderung der Selbsttötung
(1) Wer in der Absicht, die Selbsttötung eines anderen zu fördern, diesem hierzu geschäftsmäßig die Gelegenheit gewährt, verschafft oder vermittelt, wird mit Freiheitsstrafe bis zu drei Jahren oder mit Geldstrafe bestraft.
(2) Als Teilnehmer bleibt straffrei, wer selbst nicht geschäftsmäßig handelt und entweder Angehöriger des in Absatz 1 genannten anderen ist oder diesem nahesteht.
Der Entwurf hatte sich unter drei weiteren Gesetzesvorschlägen durchgesetzt, während einige Parlamentarier die Meinung vertraten, die gesetzlichen Regelungen sollten nicht verändert werden.
Mit der Neuregelung des § 217 StGB soll künftig die geschäftsmäßige Sterbehilfe in Deutschland verboten werden. Erfasst werden auf diese Weise nach der Intention der Parlamentsmehrheit insbesondere Vereine aber auch Privatpersonen, die bislang innerhalb einer rechtlichen Grauzone Suizidwilligen auf meist straffreie Weise letale Medikamente verschaffen konnten. Denn mangels teilnahmefähiger Haupttat – die Selbsttötung ist in § 212 StGB nicht unter Strafe gestellt; die Tötung eines Menschen meint dort begriffslogisch die Tötung „eines anderen“ Menschen – ist eine Beihilfe im Sinne des § 27 StGB straffrei.
Aus rechtlicher Sicht ergeben sich allerdings Bedenken gegen die genannte Neuregelung. Zum einen kann aus verfassungsrechtlicher Sicht an der Bestimmtheit des neuen § 217 StGB gezweifelt werden (Bestimmtheitsgebot, Art. 103 Abs. 2 GG). Insbesondere ist nicht eindeutig, wie eine (strafbare) geschäftsmäßige Sterbehilfe mit Wiederholungsabsicht von einer (straflosen) Sterbehilfe im Einzelfall exakt abgegrenzt werden soll. Bei Vereinen und im Gegensatz dazu bei Privatpersonen erscheint die Abgrenzung in der Regel ohne Weiteres möglich. Bei Ärzten hingegen erscheint die Abgrenzung alles andere als eindeutig. Zum anderen kann eine ungewollte Kriminalisierung von Ärzten auch aus der Begriffsdefinition der Geschäftsmäßigkeit per se resultieren. Denn diese setzt eben gerade keine Gewinnerzielungsabsicht voraus, viel mehr ist allein erforderlich, dass sich die Absicht des Täters auf eine wiederkehrende Begehung konkretisiert. Somit werden dem Grundsatz nach auch Ärzte von der Regelung erfasst.
Mithin bleibt es – einmal mehr – der Rechtsprechung überlassen, die Lücken an Rechtsunsicherheit zu schließen, die durch die wertungsoffene Neuregelung geschaffen werden. Dabei wird insbesondere das Recht auf ein menschenwürdiges Sterben, das der Bundesgerichtshof 2010 in einem Grundsatzurteil zur passiven Sterbehilfe entwickelt hatte, zu beachten sein (BGH v. 25.6.2010 – 2 StR 454/09, vgl. unsere Besprechung hier).
In diesem Kontext sollten sich Studenten / Examenskandidaten die Unterschiede zwischen den folgenden Formen der Sterbehilfe vor Augen führen:
- Aktive Sterbehilfe, gezielte Herbeiführung des Todes des Patienten, u. U. § 216 StGB bei ernstlichem Verlangen als Privilegierung des § 212 StGB nach h. L., § 34 StGB scheidet aus (vgl. das Prinzip der Unantastbarkeit fremden Lebens).
- Indirekte Sterbehilfe, Verabreichung schmerzlindernder, aber zugleich lebensverkürzender Medikamente im Rahmen der ärztlich indizierten Schmerzlinderung / Palliativmedizin, grundsätzlich straflos („Tod als Nebenwirkung“); strittig, ob § 34 StGB eingreift oder bereits wegen des Schutzzwecks der Norm des § 216 StGB die Tötungshandlung zu verneinen ist, manche wollen auch die objektive Zurechnung ablehnen (kein rechtlich zu missbilligendes Risiko).
- Passive Sterbehilfe, Unterlassen oder Abbruch lebensverlängernder Maßnahmen, irreversibler Krankheit wird ihr natürlicher Lauf gelassen, aber Achtung: Abschalten eines Beatmungsgerätes durch einen Arzt ist in der Regel Unterlassen, während ein Dritter, der die Behandlung durch einen Arzt abbricht, aktiv handelt (die Abgrenzung erfolgt anhand des normativen Schwerpunkts der Vorwerfbarkeit). Beachte in diesem Zusammenhang sowohl die Indizwirkung der Patientenverfügung gemäß § 1901a BGB als auch Irrtumsprobleme sowie weitere Einzelprobleme (zB der genannte Behandlungsabbruch).
Kurz zur Klarstellung: entgegen anders lautender Kommentare unter diesem Artikel hat der BGH die Differenzierung zwischen aktiver (direkt/indirekt) und passiver Sterbehilfe nicht aufgegeben. Vielmehr bezieht sich die Rechtsprechungsänderung allein auf die passive Sterbehilfe selbst. Aber auch bei dieser ist die oben erwähnte Differenzierung nicht hinfällig. Besonders für die Frage, ob § 216 I StGB oder die §§ 212 I, 13 I StGB zu prüfen sind, kann die Unterscheidung noch relevant sein. Und auch im Rahmen der Rechtfertigung spielt sie eine Rolle. Denn auf die vom BGH entwickelten Grundsätze des Behandlungsabbruchs ist erst dann zurückzugreifen, wenn ein Dritter einen aktiven Behandlungsabbruch vornimmt, so dass eine passive Sterbehilfe nicht mehr in Betracht kommt, erfasst diese doch allein das Sterbenlasssen. Um aber Unbilligkeiten bzgl. der Strafbarkeit eines Täters, der aktiv handelt und wegen der Einwilligungssperre des § 216 StGB nicht über § 34 StGB gerechtfertigt ist, und der Straflosigkeit eines Arztes, der passiv unterlässt und über die passive Sterbehilfe nach § 34 StGB in verfassungskonformer Auslegung gerechtfertigt ist, zu vermeiden, hat der BGH im Rahmen der Rechtfertigung eine Einwilligung zugelassen. Dass dies zulässig ist, zeigt ein systematischer Vergleich mit § 1901 a BGB. So ist also auch ein Dritter, der aktiv die Behandlung durch einen Arzt (zB durch Ausschalten eines Beatmungsgerätes) abbricht, gerechtfertigt, wenn 1) eine ausdrückliche oder mutmaßliche Einwilligung vorliegt, 2) die Krankheit letal wirkt und dieser ihr natürlicher Lauf gelassen wird, 3) die Maßnahme erkennbaren Behandlungsbezug aufweist.
Für die Klausur gilt es zukünftig die folgenden Punkte in Erinnerung zu haben, falls (geschäftsmäßige) Sterbehilfe im Raum stehen könnte:
- Die Geschäftsmäßigkeit in § 217 StGB n.F. erfordert keine Gewinnerzielungsabsicht, eine alleinige Wiederholungsabsicht ist ausreichend.
- An der Bestimmtheit der Vorschrift kann aus verfassungsrechtlicher Sicht gezweifelt werden.
- Steht die Strafbarkeit eines behandelnden Arztes im Raum, ist besondere Vorsicht geboten und auf die Formulierungen des Sachverhalts wertend einzugehen, wobei das Recht auf ein menschenwürdiges Sterben i.S.d. Art. 2 I, 1 I GG sowie eine oft nicht gewollte Strafbarkeit des altruistisch handelnden Arztes zu berücksichtigen sind.
In der aktuellen Literatur liefert besonders Gaede in Jus 2016, 385 ff. belastbare Abgrenzungskriterien, um zu erreichen, dass allein Sterbehilfevereine von § 217 StGB erfasst werden, nicht aber Ärzte, die in der Sterbehilfe keine Dienstleistung erblicken. Insoweit fordert er, dass die Sterbehilfe das Geschäftsmodell des Handelnden darstellt. Ärzte, die eine Sterbehilfe hingegen nur als ultima ratio im konkrete Einzelfall innerhalb einer gefestigten, vertrauensvollen Patientenbeziehung durchführen, sollen nicht unter das Merkmal der Geschäftsmäßigkeit fallen.
Detaillierte Informationen können in der BT-Drucksache 17/11126 eingesehen werden.