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Carlo Pöschke

Brandschutz nur vorgeschoben: Räumung und Abriss von Baumhäusern im Hambacher Forst rechtswidrig

Baurecht, Öffentliches Recht, Polizei- und Ordnungsrecht, Rechtsgebiete, Rechtsprechung, Startseite, Verwaltungsrecht

Mit Urteil vom 08.09.2021 (Az.: 23 K 7046/18, BeckRS 2021, 25334) hat sich das Verwaltungsgericht Köln zur Rechtmäßigkeit der Räumung und des Abrisses von Baumhäusern im Hambacher Forst geäußert. Der Tenor des Urteils dürfte hinreichend bekannt sein, schließlich hat die Entscheidung des VG Köln den vergangenen Bundestagswahlkampf maßgeblich mit beeinflusst. Inzwischen ist das Urteil im Volltext verfügbar. Eine eingehende Beschäftigung mit der Entscheidung ist vor allem für fortgestrittene Studenten ratsam. Die nachfolgenden Ausführungen wurden an das geltende Baurecht angepasst. Freilich bezieht sich die Darstellung auf das nordrhein-westfälische Landesrecht. Angesichts der Tatsache, dass die entscheidenden Aussagen des VG Köln solche des allgemeinen Verwaltungs- und Verwaltungsprozessrechts sind und das Verwaltungsvollstreckungsrecht in den Ländern an §§ 6 ff. BVwVG angelehnt und damit strukturell weitgehend parallel ist, dürfte der Fall insbesondere aufgrund der großen medialen Aufmerksamkeit auch außerhalb der Landesgrenzen von Nordrhein-Westfalen in Prüfungsaufgaben einziehen.
 
A. Sachverhalt (dem Tatbestand des Urteils entnommen, vereinfacht und leicht abgewandelt)
In den Jahren 2012 bis 2018 errichteten Gegner des Braunkohlebergbaus in den verbliebenen Teilflächen des Hambacher Forstes eine Vielzahl von Baumhäusern, Plattformen in Bäumen, Holzunterständen und Zelten auf dem Erdboden, Lagerflächen und anderen Anlagen. Im Laufe des Jahres 2018 beabsichtigte das dort tätige Energieunternehmen die Rodungen im Hambacher Forst mit Beginn der Rodungsperiode ab Oktober 2018 fortzusetzen, zugleich verstärkten sich die Proteste gegen dieses Vorhaben. Im Juli 2018 beantragte das dort tätige Energieunternehmen bei der großen kreisangehörigen Stadt Kerpen, die Räumung von Waldbesetzungen in Teilbereichen der Reste des Hambacher Forstes zum Zwecke der planmäßigen Fortsetzung des genehmigten Braunkohletagebaus Hambach zu verfügen und zwangsweise durchzusetzen. Diesen Antrag lehnte der Bürgermeister der Stadt Kerpen mit bestandskräftigem Bescheid ab. In der Folge fanden Besprechungen im Ministerium des Innern NRW unter Beteiligung von Vertretern des Ministeriums für Heimat, Kommunales, Bau und Gleichstellung NRW (im Folgenden: Bauministerium), des Verfassungsschutzes, des Kreises Düren und der Stadt Kerpen statt. Ausweislich der in den Akten der Stadt Kerpen befindlichen Niederschriften über diese Besprechungen befürworteten insbesondere die Vertreter der Polizei und des Ministeriums des Innern NRW ein baurechtliches Vorgehen gegen die Anlagen im Hambacher Forst. Die Vertreter der unteren Bauaufsichtsbehörden lehnten dies weit überwiegend ab. In einer E-Mail vom 06.09.2019 erklärte der zuständige Abteilungsleiter an mehrere Beteiligte, das mit Blick auf ein Verfahren beim OVG NRW die geplanten Rodungen im Hambacher Forst nicht vor Ablauf der zweiten Oktoberwoche beginnen würden, sodass spätestens bis zu diesem Zeitpunkt die Räumung erfolgt sein müsse.
Am 12.09.2018 erließ das Bauministerium eine Weisung gegenüber den oberen Bauaufsichtsbehörden (Bezirksregierung Köln und Rhein-Erft-Kreis). Hiermit gab das Ministerium den oberen Bauaufsichtsbehörden unter anderem auf, im Wege der Aufsicht die betroffenen unteren Bauaufsichtsbehörden umgehend anzuweisen, die folgende Maßnahme zu treffen: „Im Wege des Sofortvollzuges sind beginnend ab Donnerstag, dem 13. September 2018, 7:00 Uhr, auf Grundlage von § 20 Abs. 1 S. 2 OBG NRW i.V.m. § 82 Abs. 1 BauO NRW die baulichen Anlagen in Gestalt der Baumhäuser im Hambacher Forst unter vorheriger Ankündigung zu räumen und diese baulichen Anlagen zu beseitigen.“ Zur Begründung führte das Ministerium im Kern aus, im Rahmen der durchgeführten Ortsbesichtigung seien Wohn- und Lagerstrukturen entdeckt worden, die offenkundig der längerfristigen Unterbringung von Menschen dienen sollten. Es seien Verstöße gegen das materielle Bauordnungsrecht gegeben, insbesondere seien Bestimmungen des Brandschutzes verletzt. Die Entscheidung berücksichtige die überragende Rolle der bauordnungsrechtlichen Brandschutzvorschriften. Bei der Einschätzung der Dringlichkeit einer Gefahr mit Bezug auf den Brandschutz seien auch die örtlichen Gegebenheiten zu berücksichtigen. Insoweit bestehe die eindeutige Einschätzung, dass bei einem Brand- und Unglücksfall im Hambacher Forst eine zeitnahe Rettung der im Forst befindlichen Personen nicht gewährleistet sei. Aufgrund des Zustands und der Lage der baulichen Anlagen bestehe eine akute Lebensgefahr, sodass die weitere Nutzung der baulichen Anlagen nicht vertretbar sei. Der Abriss der Anlagen sei auch verhältnismäßig, insbesondere sei die alleinige Untersagung der Nutzung nicht hinreichend effektiv, da mit einer Wiederaufnahme der Nutzung zu rechnen sei. Nach Erkenntnissen der Polizei- und Verfassungsschutzbehörden sei die Nutzerstruktur im Hambacher Forst zu einem signifikanten Anteil von gewaltbereiten Personen durchsetzt. Bei erneuter Aufnahme der Nutzung sei davon auszugehen, dass sich Vorfälle wie in der Vergangenheit, bei denen Polizisten angegriffen und zum Teil durch den Beschuss mit „Zwillen“ schwer verletzt worden seien, wiederholen würden. Dies gelte es zu verhindern. Schließlich sei es auch erforderlich, im Wege des Sofortvollzugs zur Abwehr einer gegenwärtigen Gefahr vorzugehen. Dies gelte gerade mit Blick auf die erheblichen brandschutzrechtlichen Gefahren.
Am Morgen des 13.09.2018 begann die Räumung der Anlagen im Hambacher Forst, gefolgt von der Beseitigung der Anlagen. So widerfuhr es auch X, der eines der Baumhäuser seit längerer Zeit bewohnte. Zuvor verlas ihm der Bürgermeister der Stadt Kerpen folgenden Text: „Das von Ihnen genutzte Baumhaus ist zu räumen und muss beseitigt werden. Ich untersage Ihnen die weitere Nutzung des Baumhauses. Es besteht Gefahr für Leib und Leben. Es liegen schwerwiegende Verstöße gegen geltendes Bauordnungsrecht vor. Ihr Baumhaus verfügt nicht über die erforderlichen Rettungswege. Es wurde entgegen der einschlägigen brandschutzrechtlichen Vorschriften errichtet, die erforderliche Erschließung ist nicht sichergestellt, die Verkehrssicherheit ist nicht gegeben und die Standsicherheit ist nicht sicher gewährleistet. Sofern Sie das Baumhaus nicht freiwillig innerhalb der nächsten 30 Minuten räumen und dessen Nutzung unterlassen, werde ich die Räumung in Anwendung des unmittelbaren Zwangs vornehmen. Bitte nehmen sie beim Verlassen des Baumhauses ihre persönlichen Gegenstände mit.“
K erhob daraufhin Klage beim zuständigen Verwaltungsgericht Köln mit dem Antrag, den von der Stadt Kerpen durchgeführten Sofortvollzug zur Räumung und Beseitigung seines Baumhauses aufzuheben.
Hat die Klage des X Aussicht auf Erfolg?
Bearbeitervermerk: Es ist davon auszugehen, dass das Baumhaus des K mit dem materiellen Bauordnungsrecht nicht vereinbar ist. Der Falllösung zugrunde zu legen ist die BauO NRW 2018 (im Folgenden: BauO NRW).
 
B. Gutachterliche Falllösung
Die Klage des X hat Erfolg, soweit diese zulässig und begründet ist.
 
I. Die Klage müsste zulässig sein.
 
1. Für eine Klage vor dem Verwaltungsgericht müsste der Verwaltungsrechtsweg eröffnet sein. Mangels aufdrängender Sonderzuweisung bestimmt sich die Eröffnung der Verwaltungsrechtswegs nach der Generalklausel des § 40 Abs. 1 S. 1 VwGO. Nach dieser Vorschrift ist der Verwaltungsrechtsweg in allen öffentlich-rechtlichen Streitigkeiten nichtverfassungsrechtlicher Art gegeben, soweit diese Streitigkeiten nicht durch Bundesrecht einem anderen Gericht ausdrücklich zugewiesen sind.
Öffentlich-rechtlich ist eine Streitigkeit, wenn die streitentscheidenden Normen dem öffentlichen Recht angehören. Streitentscheidend sind vorliegend §§ 55 VwVG NRW, die die Vollzugsbehörde einseitig berechtigen, Mittel des Verwaltungszwangs gegenüber dem Bürger anzuwenden. Somit gehören §§ 55 ff. VwVG nach Maßgabe der modifzierten Subjektstheorie dem öffentlichen Recht an.
Weder X noch die Stadt Kerpen sind Verfassungsorgane. Auch geht es vorliegend schwerpunktmäßig um die Anwendung und Auslegung verwaltungsrechtlicher und nicht verfassungsrechtlicher Norm, weshalb die Streitigkeit mangels doppelter Verfassungsunmittelbarkeit auch nichtverfassungsrechtlicher Art ist.
Eine abdrängende Sonderzuweisung ist ebenfalls nicht ersichtlich, sodass der Verwaltungsrechtsweg gemäß § 40 Abs. 1 S. 1 VwGO eröffnet ist.
 
2. Die statthafte Klageart bestimmt sich gemäß § 88 VwGO nach dem klägerischen Begehren; an die Fassung der Anträge ist das Gericht jedoch nicht gebunden. K hat die Aufhebung des von der Stadt Kerpen durchgeführten Sofortvollzugs zur Räumung und Beseitigung seines Baumhauses beantragt.
 
a) Möglicherweise ist eine Anfechtungsklage gemäß § 42 Abs. 1 Alt. 1 VwGO statthaft. Dies würde voraussetzen, dass es sich bei den durchgeführten Vollstreckungsmaßnahmen um Verwaltungsakte i.S.d. § 35 S. 1 VwVfG handelt.
Problematisch ist insofern vor allem das Merkmal der Regelungswirkung. Eine Maßnahme zeitigt eine Regelungswirkung, wenn sie unmittelbar auf Herbeiführung einer Rechtsfolge gerichtet ist. Die Wirkung einer Vollstreckungsmaßnahme erschöpft sich jedoch im rein tatsächlichen Bereich; der Stadt Kerpen kam es auf den Abriss des Baumhauses und nicht auf die Setzung einer Rechtsfolge an. Zwar begründete insbesondere die frühere Rechtsprechung die Regelungswirkung unter Rückgriff auf die Figur der konkludenten Duldungsverfügung. Dieses auf das Preußische Recht zurückgehende Vorgehen wirkt jedoch bereits vom äußeren Geschehensablauf her konstruiert. Zudem ist unter Geltung der VwGO der Rückgriff auf die Figur der konkludenten Duldungsverfügung nicht erforderlich, da mit der Feststellungsklage und der allgemeinen Leistungsklage auch ein effektiver Rechtsschutz gegen Realakte gewährt wird. Mithin stellt die Vollstreckungsmaßnahme mit der heute ganz herrschenden Meinung mangels Regelungswirkung keinen Verwaltungsakt dar.
Möglicherweise ist, obwohl es sich bei der Räumung und der Beseitigung des Baumhauses um einen Realakt handelt, dennoch eine Anfechtungsklage statthaft. Zu diesem Ergebnis kommt – unter Bezugnahme auf die Rechtsprechung der OVG NRW – auch das VG Köln:

Denn ungeachtet der Verwaltungsaktsqualität sind gemäß § 18 Abs. 2 BVwVG gegen die Anwendung von Zwangsmitteln ohne vorausgehenden Verwaltungsakt die Rechtsmittel zulässig, die gegen Verwaltungsakte allgemein gegeben sind. Jedenfalls in entsprechender Anwendung dieser Vorschrift für landesrechtliche Vollstreckungsmaßnahmen kann damit die Aufhebung der Versiegelung wegen Rechtswidrigkeit begehrt werden.
(OVG NRW, Urt. v. 16.10.2008 – 7 A 696/07 – juris Rn. 35)

Fraglich ist, ob dieses Vorgehen Zustimmung verdient. Vorliegend wurde nicht durch eine Bundesbehörde vollstreckt, sodass das BVwVG jedenfalls keine direkte Anwendung findet. Eine Parallelvorschrift zu § 18 Abs. 2 BVwVG findet sich im VwVG NRW nicht. In Betracht kommt somit lediglich eine analoge Anwendung des § 18 Abs. 2 BVwVG. Die analoge Anwendung einer Norm setzt das Bestehen einer planwidrigen Regelungslücke bei vergleichbarer Interessenlage voraus. Aufgrund des Fehlens einer Parallelvorschrift zu § 18 Abs. 2 BVwVG im VwVG NRW besteht eine Regelungslücke. Diese wäre planwidrig, wenn anzunehmen ist, dass der nordrhein-westfälische Gesetzgeber eine derartige Regelung schlichtweg übersehen hat, wobei insbesondere auch auf verfassungsrechtliche Wertungen zu rekurrieren ist. Art. 19 Abs. 4 GG garantiert einen effektiven Rechtsschutz. Wie bereits dargelegt vermittelt das Rechtsschutzsystem der VwGO jedoch auch auf anderem Wege als über eine Anfechtungsklage effektiven Rechtsschutz. Deshalb erscheint zumindest aus verfassungsrechtlichem Blickwinkel die Annahme einer Anfechtungsklage nicht zwingend geboten. Bei § 18 Abs. 2 BVwVG handelt es sich vielmehr um eine spezifische Entscheidung des Bundesgesetzgebers. Mangels eines anderweitig zutage getretenen Willens darf das ausdifferenzierte Rechtsschutzsystem der VwGO nicht durch die analoge Anwendung des § 18 Abs. 2 BVwVG unterlaufen werden.
Aus diesem Grund ist die Anfechtungsklage nicht die statthafte Klageart.
 
b) In Betracht kommt weiterhin eine Feststellungsklage gemäß § 43 Abs. 1 Var. 2 VwGO. Eine Feststellungsklage gemäß § 43 Abs. 1 Var. 2 VwGO ist statthaft, wenn der Kläger die Feststellung des Nichtbestehens eines Rechtsverhältnisses begehrt und der Subsidiaritätsgrundsatz des § 43 Abs. 2 VwGO gewahrt ist. Unter einem Rechtsverhältnis versteht man die sich aus einem konkreten Sachverhalt aus einer öffentlich-rechtlichen Norm ergebenden Rechtsbeziehungen einer Person zu einer anderen Person oder zu einer Sache. Der Kläger muss also die gerichtliche Beantwortung einer konkreten streitigen Rechtsfrage begehren. Zur Konkretheit der Rechtsfrage gehört es, dass sie sich auf einen fest umrissenen und überschaubaren Sachverhalt bezieht. Um konkrete Rechtsfragen handelt es sich insbesondere dann, wenn zwischen Bürger und Behörde einzelne Rechte oder Pflichten, die sich aus einer Rechtsvorschrift ergeben, umstritten sind. Hier steht in Frage, ob der Bürgermeister der Stadt Kerpen in dem konkreten Lebenssachverhalt auf Grundlage der §§ 55 ff. VwVG NRW berechtigt war, X gegenüber Verwaltungszwang auszuüben. X begehrt also die Feststellung des Nichtbestehens eines Rechtsverhältnisses. Wie bereits dargelegt kommt eine Gestaltungsklage in Form einer Anfechtungsklage nicht in Betracht, weshalb auch der Subsidiaritätsgrundsatz des § 43 Abs. 2 VwGO gewahrt wird. Dass die Räumung und der Abriss des Baumhauses bereits abgeschlossen sind und daher ein vergangenes Rechtsverhältnis in Rede stehen könnte, schadet nicht. Nach einhelliger Auffassung ist nämlich auch ein vergangenes Rechtsverhältnis nach § 43 Abs. 1 VwGO feststellungsfähig.
 
c) Statthafte Klageart ist somit eine Feststellungsklage im Sinne des § 43 Abs. 1 Var. 2 VwGO.
 
3. X müsste über ein berechtigtes Interesse an der baldigen Feststellung verfügen. Unter das Feststellungsinteresse fällt jedes schutzwürdige Interesse rechtlicher, wirtschaftlicher oder ideeller Art. Sollte das Rechtsverhältnis, dessen Nichtbestehen X festgestellt wissen will, ein vergangenes sein, müsste es über seine Beendigung hinaus anhaltende Wirkungen äußern. In diesem Fall kämen mit dem Fortsetzungsfeststellungsinteresse vergleichbare Fallgruppen zum Tragen. Zu klären ist daher, ob vorliegend ein vergangenes Rechtsverhältnis in Rede steht, wovon auszugehen wäre, wenn sich die Rechtsbeziehung zum Zeitpunkt der Entscheidung bereits erledigt hätte. Nach Ansicht des VG Köln habe sich die angegriffene Maßnahme noch nicht erledigt:

Nach der Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts, […], der sich die Kammer anschließt, tritt eine Erledigung einer Vollstreckungsmaßnahme nicht ein, so lange diese noch Grundlage einer Kostenforderung sein kann. Dies ist vorliegend der Fall, weil nach § 77 VwVG NRW i.V.m. § 20 Abs. 2 Nr. 7 und 8 VwVG-VO NRW die Beträge, die bei der Ersatzvornahme oder der Anwendung unmittelbaren Zwangs an Beauftrage und an Hilfspersonen zu zahlen sind sowie sonstige Kosten der Ausführung des unmittelbaren Zwangs vom Ordnungspflichtigen zu erstatten sind.

Selbst wenn man entgegen der Rechtsprechung Erledigung annehmen würde, stünde dies der Zulässigkeit der Klage jedoch nicht entgegen, da sich ein Fortsetzungsfeststellungsinteresse jedenfalls aus dem Gesichtspunkt einer sich kurzfristig erledigenden Eingriffsmaßnahme ergibt.
 
4. Nach herrschender Meinung muss der Kläger auch bei Feststellungsklage analog § 42 Abs. 2 VwGO klagebefugt sein. Demnach müsste nach den substantiierten Behauptungen des Klägers die Möglichkeit bestehen, dass er durch die angegriffenen Maßnahmen in seinen subjektiv-öffentlichen Rechten verletzt ist. Hier ergibt sich die Klagebefugnis jedenfalls unter dem Gesichtspunkt eines Eingriffs in die allgemeine Handlungsfreiheit aus Art. 2 Abs. 1 GG. Ob angesichts der Tatsache, dass sich X in dem betreffenden Bereich des Hambacher Forsters „wohnmäßig“ aufgehalten hat, auch ein Eingriff in Art. 13 GG im Raum steht, könne – so die Kölner Richter – offenbleiben.
 
5. Unter Zugrundelegung des allgemeinen Rechtsträgerprinzips ist die Klage gegen die Stadt Kerpen zu richten.
 
6. X ist gem. §§ 61 Nr. 1 Alt. 1, 63 Nr. 1, 62 Abs. 1 Nr. 1 VwGO beteiligungs- und prozessfähig. Als Gebietskörperschaft des öffentlichen Rechts ist die Stadt Kerpen nach §§ 61 Nr. 1 Alt. 2, 63 Nr. 2 VwGO beteiligungsfähig und nach § 62 Abs. 3 VwGO, vertreten durch den Bürgermeister (§ 63 Abs. 1 S. 1 GO NRW), prozessfähig.
 
7. Die Klage des X ist zulässig.
 
II. X wendet sich sowohl gegen die Räumung als auch gegen die Beseitigung seines Baumhauses. Er verfolgt also mehrere Klagebegehren. Die Voraussetzungen der objektiven Klagehäufung gemäß § 44 VwGO sind vorliegend erfüllt, sodass die Begehren zusammen verfolgt werden können.
 
III. Die Klage des X ist begründet, soweit die zu den Vollstreckungsmaßnahmen berechtigenden Rechtsverhältnisse nicht bestanden. Dies wäre dann der Fall, wenn die Vollstreckungsmaßnahmen rechtswidrig waren.
 
1. Die Räumung des Baumhauses ist rechtmäßig, soweit diese auf einer Ermächtigungsgrundlage beruht, von der in formell und materiell rechtmäßiger Weise Gebrauch gemacht wurde.
 
a) Rechtsgrundlage für die Räumung des Baumhauses ist §§ 55, 57 Abs. 1 Nr. 3, 62 VwVG NRW.
 
b) Die Räumung müsste formell rechtmäßig sein.
 
aa) Die Zuständigkeit des Bürgermeisters zur Räumung des Baumhauses ergibt sich aus § 56 Abs. 1 VwVG NRW.
 
bb) Mangels Verwaltungsaktsqualität der Räumung musste X nicht gemäß § 28 Abs. 1 VwVfG NRW angehört werden.
 
cc) Somit ist die Räumung formell rechtmäßig.
 
c) Die Maßnahme müsste auch materiell rechtmäßig sein.
 
aa) Dann müsste der Verwaltungszwang gemäß § 55 VwVG NRW zulässig sein.
 
(1) In Betracht kommt zunächst das gestreckte Verfahren nach § 55 Abs. 1 VwVG NRW.
 
(a) Dann müsste zunächst ein Verwaltungsakt vorliegen, der auf die Vornahme einer Handlung, Duldung oder Unterlassung gerichtet ist. Ein solcher Verwaltungsakt ist in der Aufforderung des Bürgermeisters zu erblicken, das von X genutzte Baumhaus zu räumen.
 
(b) Der Verwaltungsakt müsste vollziehbar gewesen sein. Die Aufforderung, das Baumhaus zu räumen, und die Räumung erfolgten am selben Tag. Somit war die Klagefrist des § 74 Abs. 1 S. 2 VwGO noch nicht abgelaufen. Möglicherweise hatte die Aufforderung des Bürgermeisters jedoch keine aufschiebende Wirkung. Der Bürgermeister ist nicht Polizeivollzugsbeamter, sodass die aufschiebende Wirkung nicht bereits gemäß § 80 Abs. 2 S. 1 Nr. 2 VwGO entfallen ist. Fraglich ist, ob die sofortige Vollziehung gemäß § 80 Abs. 2 S. 1 Nr. 4 VwGO angeordnet wurde. Jedenfalls ordnete der Bürgermeister die sofortige Vollziehung nicht ausdrücklich an. Mit den gewählten Formulierungen („Gefahr für Leib und Leben“, „innerhalb der nächsten 30 Minuten“) bringt der Bürgermeister jedoch eine besondere Dringlichkeit zum Ausdruck. Zu klären ist daher, ob hierin eine konkludente Anordnung der sofortigen Vollziehung liegt. Aus den unmissverständlichen gesetzlichen Anforderungen des § 80 Abs. 2 S. 1 Nr. 4 VwGO („besonders angeordnet“) und § 80 Abs. 3 S. 1 VwGO („schriftlich zu begründen“) folgt jedoch, dass die Vollziehungsanordnung nicht konkludent möglich ist. Somit war der Verwaltungsakt nicht vollziehbar.
 
(c) Der Bürgermeister der Stadt Kerpen konnte also auch nicht nach dem gestreckten Verfahren gemäß § 55 Abs. 1 VwVG vorgehen.
 
(2) Damit stellt sich die Frage, ob der Verwaltungszwang im gekürzten Verfahren gemäß § 55 Abs. 2 VwVG NRW zulässig war.
 
(a) Dann müsste der Verwaltungszwang ohne vorausgehenden Verwaltungsakt angewendet worden sein. Problematisch erscheint hier, dass der Bürgermeister zuvor einen Verwaltungsakt mit dem Inhalt erließ, das Baumhaus zu räumen. Hat die Behörde schon eine Grundverfügung erlassen, ist sie deshalb jedoch nicht automatisch auf das gestreckte Verfahren festgelegt. Zwar hat dieser Fall keine gesetzliche Regelung gefunden, es wäre jedoch sinnwidrig, wenn die Behörde nach dem Erlass der Grundverfügung die Dringlichkeit der Gefahrenlage erkennt, aber im gestreckten Verfahren vollziehen müsste. Wenn die Behörde im Sofortvollzug gänzlich ohne Grundverfügung vollstrecken kann, so muss ihr dies – bei Vorliegen der anderen Tatbestandsvoraussetzungen des Sofortvollzuges – vielmehr erst recht möglich sein, wenn sie vorher eine Grundverfügung erlassen hat. Auch droht keine Umgehung der Voraussetzungen des § 55 Abs. 1 VwVG NRW, da die Voraussetzungen des § 55 Abs. 2 VwVG NRW strenger sind als die des § 55 Abs. 1 VwVG NRW. Dass der Bürgermeister der Vollstreckung vorausgehend eine Räumungsverfügung erlassen hat, steht der Zulässigkeit des Verwaltungszwangs gemäß § 55 Abs. 2 VwVG NRW nicht entgegen.
 
(b) Weiterhin verlangt § 55 Abs. 2 VwVG, dass die Vollzugsbehörde innerhalb ihrer Befugnisse gehandelt hat. Mit dem Handeln innerhalb der Befugnisse meint § 55 Abs. 2 VwVG NRW dabei die Rechtmäßigkeit eines hypothetischen Grundverwaltungsakts. Hier hat der Bürgermeister der Stadt Kerpen sogar einen Grundverwaltungsakt erlassen, sodass die Rechtmäßigkeit dieser Verfügung zu prüfen ist. Auch bezüglich des Grundverwaltungsakts gilt, dass dieser rechtmäßig wäre, soweit dieser auf einer formell und materiell ordnungsgemäß angewendeten Ermächtigungsgrundlage beruht.
 
(aa) Ermächtigungsgrundlage für die Verfügung, das Baumhaus zu räumen, ist § 82 Abs. 1 S. 2 BauO NRW.
 
(bb) Der Grundverwaltungsakt müsste formell rechtmäßig sein.
 
(aaa) Der Bürgermeister der Stadt Kerpen war gemäß § 57 Abs. 1 S. 2 i.V.m. S. 1 Nr. 3 lit. a) BauO NRW für den Erlass der Räumungsverfügung zuständig.
 
(bbb) Grundsätzlich hätte der Bürgermeister X gemäß § 28 Abs. 1 VwVfG NRW vor Erlass der Räumungsverfügung anhören müssen. Angesichts der Tatsache, dass wegen Missachtung der Brandschutzvorschriften bei einem Brand- und Unglücksfall im Hambacher Forst eine zeitnahe Rettung der im Forst befindlichen Personen nicht gewährleistet gewesen ist, bestand akute Lebensgefahr. Somit war eine Anhörung wegen Gefahr im Verzug gemäß § 28 Abs. 2 Nr. 1 VwVfG NRW entbehrlich.
 
(ccc) Grundsätzlich hätte der Bürgermeister gemäß § 58 Abs. 1 S. 1 BauO NRW, §§ 12, 20 Abs. 1 S. 1 OBG NRW eine schriftliche Ordnungsverfügung erlassen müssen. Wegen Gefahr im Verzug bedurfte es gemäß § 20 Abs. 1 S. 2 Hs. 1 OBG NRW ausnahmsweise nicht der Schriftform.
 
(ddd) Der Grundverwaltungsakt ist formell rechtmäßig.
 
(cc) Der Grundverwaltungsakt müsste auch materiell rechtmäßig sein.
 
(aaa) Zunächst müsste es sich bei dem Baumhaus um eine Anlage handeln. § 2 Abs. 1 S. 4 BauO NRW legaldefiniert den Begriff der Anlagen als bauliche Anlagen und sonstigen Anlagen und Einrichtungen im Sinne des § 1 Abs. 1 S. 2 BauO NRW. Nach der Legaldefinition des § 2 Abs. 1 S. 1 BauO NRW ist eine bauliche Anlage wiederum eine mit dem Erdbunden verbundene, aus Bauprodukten hergestellte Anlage. Daran, dass das Baumhaus aus Bauprodukten hergestellt wurde, bestehen keine Zweifel. Allerdings wirft die Tatsache, dass das Baumhaus nicht unmittelbar mit dem Erdboden verbunden ist, Probleme auf. Ob auch eine mittelbare Verbindung mit dem Erdboden ausreicht, ist durch Auslegung des § 2 Abs. 1 S. 1 BauO NRW zu ermitteln. Zweck der bauordnungsrechtlichen Begriffsbestimmungen ist es, Anlagen zu erfassen, von denen für Bauwerke typische Gefahren ausgehen können. Das Baumhaus ist für den dauerhaften Aufenthalt von Menschen geeignet und wird hierfür auch genutzt. Auch von einem Baumhaus gehen daher Gefahren aus, die typischerweise mit Mitteln des Bauordnungsrechts abgewehrt werden. Insbesondere eine am Telos des § 2 Abs. 1 BauO NRW orientierte Auslegung führt zu dem Ergebnis, dass es sich bei dem Baumhaus um eine Anlage handelt.
 

Anmerkung: In seinem Urteil ließ das VG Köln dahinstehen, ob es sich bei einem Bauhaus um eine bauliche Anlage im Sinne des § 2 Abs. 1 S. 1 BauO NRW handelt. In einer gutachterlichen Fallbearbeitung wird jedoch erwartet, dass auf alle im Sachverhalt aufgeworfenen Rechtsfragen eingegangen wird. Hier wurde – ebenso wie im Rahmen der formellen Rechtmäßigkeit des Grundverwaltungsakts – der Argumentation des Bauministerium gefolgt, um zu dem Hauptproblem des Falles zu gelangen, ohne ein Hilfsgutachten anfertigen zu müssen.

 
(bbb) X müsste das Baumhaus im Widerspruch zu öffentlich-rechtlichen Vorschriften genutzt haben. Ausweislich des Bearbeitervermerks ist von der materiellen Bauordnungsrechtswidrigkeit des Baumhauses auszugehen, sodass diese Voraussetzung erfüllt ist.
 
(ccc) Als Bewohner des Baumhauses ist X jedenfalls Verhaltensverantwortlicher im Sinne des § 58 Abs. 1 S. 1 BauO NRW, §§ 12, 17 Abs. 1 OBG NRW.
 
(ddd) Auf Rechtsfolgenseite eröffnet § 81 S. 2 BauO NRW einen Ermessensspielraum. Zu prüfen ist daher, ob beim Erlass der Räumungsverfügung Ermessensfehler im Sinne des § 114 S. 1 VwGO begangen wurden.
 
Eine Besonderheit ergibt sich im vorliegenden Fall daraus, dass der Bürgermeister der Stadt Kerpen nicht aufgrund einer autonomen Entscheidung handelte, sondern vielmehr eine an ihn gerichtete Weisung ausführte. Zwar eröffnet § 81 S. 1 BauO NRW der unteren Bauaufsichtsbehörde Ermessen, allerdings wollen die Ermessensnormen die Verwaltungshierarchie nicht außer Kraft setzen. Daraus hat das VG Köln gefolgert:
 

Die Weisung verschiebt daher nur die Anforderungen an eine rechtmäßige Ermessensausübung „eine oder zwei Stufen höher“, ohne sie inhaltlich zu verändern. Die angewiesene Behörde hat somit die Ermessenserwägungen, die die anweisende Behörde vorgenommen hat, zu übernehmen und zur Grundlage ihres Handelns zu machen.

 
Vorliegend könnte das Bauministerium das ihr zustehende Ermessen zweckwidrig i.S.d. § 114 S. 1 Alt. 2 VwGO ausgeübt haben:
 

Ein besonderer Fall der zweckwidrigen Ermessensausübung ist dabei die „Vorwegbindung“ der Behörde. Voraussetzung jeder Ermessensausübung ist der unvoreingenommene Blick auf den Sachverhalt. Die Unbefangenheit des entscheidenden Verwaltungsbeamten ist eine wesentliche allgemeine Voraussetzung des Verwaltungsverfahrens und muss es wegen des größeren Freiraums erst recht für die Ermessensentscheidung sein. Die bewusste Berücksichtigung unsachlicher Motive ist daher nicht nur ein beachtlicher Verfahrensfehler, sondern zugleich zumindest Fehler der Ermessensausübung. Vorwerfbare subjektive Motive oder Haltungen des konkreten Amtswalters, der den Verwaltungsakt erlässt, widersprechen der aus der Ermessensnorm entstehenden Pflicht zur Berücksichtigung der maßgeblichen einschlägigen Gesichtspunkte.
[…]
Weiter ist zu berücksichtigen, dass es bei mehreren Ermessensgründen für die Rechtmäßigkeit des Verwaltungsaktes ausreicht, wenn der maßgebliche Grund dem Gesetz entspricht. Dieser Grund muss jedoch wirklich tragend und nicht nur Vorwand sein. Umgekehrt führt es zum Ermessensfehler, wenn ein zweckwidriger Grund für die im Ermessensweg getroffene Entscheidung gewichtige Bedeutung hatte.
[…]
Gemessen hieran ist die Ermessenausübung in der Weisung vom 12. September 2018 in tragenden Teilen zweckwidrig und damit fehlerhaft.
Zweck der hier herangezogenen Ermächtigungsnorm […] [ist], das formelle und materielle Baurecht (Bauordnungsrecht wie Bauplanungsrecht) durchzusetzen. Hiervon ausgehend muss die Ermessenausübung darauf bezogen sein, ob bauordnungs- und/oder bauplanungsrechtliche Ziele verfolgt bzw. Missstände beseitigt werden sollen.
In der Weisung vom 12. September 2018 wird […] zunächst – dem Zweck der Ermächtigungsnorm entsprechend – der hohe Stellenwert des Brandschutzes und der damit verbundene Schutz von Leib und Leben der Bewohner betont. Sodann folgen jedoch umfangreiche Ausführungen dazu, welche Personen nach Erkenntnissen der Polizei und des Verfassungsschutzes zu der Waldbewohnerszene gehören, welche Art von erheblichen Angriffen (z.B. Zwillenbeschuss) von diesen Personen gegen Polizeibeamtinnen und Polizeibeamte […] ausgegangen sind und dass diese Personen nach Angriffen immer wieder in den „Wohn- und Lagerstrukturen im Wald“ untergetaucht sind. Dieser gewichtige Teil der Ermessenserwägungen weist keinen Bezug zu [§ 82 BauO NRW] auf. Schon der sprachliche Wechsel von „baulichen Anlagen“ zu „Wohn- und Lagerstrukturen“ führt klar vor Augen, dass es hier nicht mehr um Bauplanungs- und/oder Bauordnungsrecht geht, sondern dass die Räumungsmaßnahme der allgemeinen Gefahrenabwehr dient. […] Damit lösen sich die Ermessenserwägungen vollständig vom dem Zweck der Ermächtigungsnorm.
Darüber hinaus zeigt der Inhalt der Akte deutlich, dass hier – mit Blick auf die gewählte Eingriffsnorm aus dem Bauordnungsrecht – ein Fall der „inneren Vorwegbindung“ gegeben ist. Schon in der ersten Besprechung im Ministerium des Innern NRW am 25. Juli 2018 bestand am gewünschten Ergebnis, nämlich der Beseitigung sämtlicher Anlagen im Hambacher Forst, kein Zweifel. […] Letztlich ging es erkennbar darum, für die polizeilichen Aktionen eine Rechtsgrundlage zu finden, die – aus Gründen, die sich der Akte nicht entnehmen lassen – nicht im Polizei- und Ordnungsrecht liegen sollte.
Dass der dem Schutz der Bewohner dienende Brandschutz lediglich als „Vehikel“ genutzt wurde, um [§ 82 BauO NRW] als Ermächtigungsgrundlage heranziehen zu können, zeigt auch die E-Mail des zuständigen Abteilungsleiters des Ministeriums für Heimat, Kommunales, Bau und Gleichstellung NRW […] an die Bezirksregierung Köln, den Kreis Düren und die Beklagte […]. Während in den Weisungen die besondere Dringlichkeit des Eingreifens mit dem hohen Stellenwert des Brandschutzes und den akuten Gefahren für die Bewohner der Baumhäuser begründet wurde, führt der Abteilungsleiter in dieser E-Mail u.a. aus, da sich das Land aufgrund eines Verfahrens beim Oberverwaltungsgericht NRW dafür einsetze, dass die Rodungen nicht vor Ablauf der zweiten Oktoberwoche beginnen, komme eine Verschiebung der Fristen (für die Räumung) um wenige Tage in Betracht. Damit wird in bemerkenswerter Klarheit zum Ausdruck gebracht, dass die besondere Eile und das Ziel des schnellen Eingreifens nicht den Brandgefahren geschuldet waren.

 
(eee) Mithin ist die Grundverfügung ermessensfehlerhaft und damit materiell rechtswidrig.
 
(d) Die Räumungsverfügung ist rechtswidrig. Damit handelte der Bürgermeister der Stadt Kerpen nicht innerhalb seiner Befugnisse.
 
(c) Die Anwendung von Verwaltungszwang im gekürzten Verfahren gemäß § 55 Abs. 2 VwVG NRW war nicht zulässig.
 
(3) Der Verwaltungszwang war nicht gemäß § 55 VwVG NRW zulässig.
 
bb) Die Räumung des Baumhauses war materiell rechtswidrig.
 
d) Die Räumung des Baumhauses war rechtswidrig.
 
2. Zu beantworten bleibt schließlich die Frage, ob auch die Beseitigung des Baumhauses rechtswidrig war. Als Ermächtigungsgrundlage für die Beseitigung des Baumhauses kommen §§ 55 Abs. 2, 57 Abs. 1 Nr. 1, 59 VwVG NRW in Betracht. Die der Vollstreckung zugrunde liegende, auf § 82 Abs. 1 S. 1 BauO NRW gestützte Beseitigungsverfügung leidet allerdings unter denselben Ermessensfehlern wie die Räumungsverfügung. Somit war auch die Beseitigung des Baumhauses rechtswidrig.
 
3. Demzufolge waren sowohl die Räumung als auch die Beseitigung des Baumhauses rechtswidrig. Die zu den Vollstreckungsmaßnahmen berechtigenden Rechtsverhältnissen bestanden also nicht. Die Klage des X ist begründet.
 
III. Die Klage des X hat Erfolg.
 
C. Summa
Angesichts der Länge der Ausführungen soll die Summa umso knapper ausfallen: Der vom VG Köln entschiedene Fall erscheint wie gemalt für eine Examensklausur. Er kombiniert Probleme aus dem Baurecht mit solchen aus dem Verwaltungsvollstreckungs-, allgemeinen Verwaltungs- sowie Verwaltungsprozessrecht. Besondere Aufmerksamkeit verdienen die angesprochenen Zulässigkeitsprobleme sowie die Frage, auf wessen Ermessenserwägungen abzustellen ist, wenn eine Behörde eine Maßnahme in Ausführung einer an sie gerichteten Weisung anordnet. Auch sollte man sich vergegenwärtigen, dass die „Vorwegbindung“ der Behörde einen Unterfall der Zweckverfehlung darstellt.
Insgesamt bietet der Fall einen Anlass, die Grundzüge des Verwaltungsvollstreckungsrechts zu wiederholen. Bei Prüfungsaufgaben im Verwaltungsvollstreckungsrecht ist es – wie der vorliegende Fall zeigt – besonders wichtig, den Überblick zu bewahren.  Dies gilt insbesondere dann, wenn statt der Rechtmäßigkeit der Vollstreckungsmaßnahme die Rechtmäßigkeit eines Kostenbescheids zu prüfen ist, wodurch der Prüfungsaufbau durch eine weitere Ebene weiter verkompliziert wird.

08.11.2021/1 Kommentar/von Carlo Pöschke
https://www.juraexamen.info/wp-content/uploads/2022/05/je_logo.svg 0 0 Carlo Pöschke https://www.juraexamen.info/wp-content/uploads/2022/05/je_logo.svg Carlo Pöschke2021-11-08 08:39:542021-11-08 08:39:54Brandschutz nur vorgeschoben: Räumung und Abriss von Baumhäusern im Hambacher Forst rechtswidrig
Dr. Maike Flink

BVerwG: Kein Anspruch auf Befreiung von der Motorrad-Helmpflicht aus religiösen Gründen

Öffentliches Recht, Rechtsgebiete, Rechtsprechung, Schon gelesen?, Startseite, Verfassungsrecht

In seinem Urteil vom 4. Juli 2019  (Az.: 3 C 24.17) hat sich das BVerwG mit der höchst klausurrelevanten Frage beschäftigt, ob religiöse Gründe einen Anspruch auf eine Befreiung von der Schutzhelmpflicht im Straßenverkehr begründen können. Insofern werden Probleme aus dem Verwaltungs- und dem Verfassungsrecht kombiniert, sodass sich die Entscheidung hervorragend insbesondere für Examensklausuren, aber auch für die mündliche Prüfung eignet.
 I. Sachverhalt
K hat zwar ein Auto und verfügt auch über eine entsprechende Fahrerlaubnis, er fährt aber auch regelmäßig Motorrad, wobei er gem. § 21a Abs. 2 S. 1 StVO verpflichtet ist, einen Schutzhelm zu tragen. Allerdings ist K auch praktizierender Sikh. Bestandteil dieser Religion ist es – so führt K aus –, seine Haare zu bewahren, sie niemals zu schneiden und durch einen Turban zusammenzuhalten. Allenfalls zum Schlafen könne der Turban abgenommen werden, jedoch keinesfalls in der Öffentlichkeit. Indem K gezwungen sei, zum Motorradfahren seinen Turban abzunehmen, um stattdessen einen Helm zu tragen, müsse er gegen seine Religion verstoßen. Daher beantragt K bei der zuständigen Straßenverkehrsbehörde die Erteilung einer Ausnahmegenehmigung gem. § 46 Abs. 1 S. 1 Nr. 5b StVO zur Befreiung von der beim Motorradfahren geltenden Schutzhelmpflicht. Dies lehnt die Straßenverkehrsbehörde ab. K erhebt daraufhin Klage. Er möchte, dass die Straßenverkehrsbehörde zur Erteilung der Ausnahmegenehmigung verpflichtet wird.
 II. Rechtsausführungen
Die Klage des K ist begründet, soweit die Ablehnung oder Unterlassung der Erteilung der Ausnahmegenehmigung rechtswidrig und der K dadurch in seinen Rechten verletzt ist (§ 113 Abs. 5 S. 1 VwGO). Dies ist der Fall, wenn K einen Anspruch auf Erteilung der Ausnahmegenehmigung hat.
1. Anspruchsgrundlage
Dazu müsste K sein Begehren auf eine Anspruchsgrundlage stützen können. Gemäß § 46 Abs. 1 S. 1 Nr. 5b StVO kann die Straßenverkehrsbehörde im Einzelfall eine Ausnahme von der Pflicht zum Tragen von Schutzhelmen gem. § 21a StVO genehmigen. K kann sein Begehren damit auf eine taugliche Anspruchsgrundlage stützen.
 2. Formelle Anspruchsvoraussetzungen
K hat auch einen Antrag auf Erteilung der Ausnahmegenehmigung bei der zuständigen Straßenverkehrsbehörde gestellt. Die formellen Anspruchsvoraussetzungen liegen vor.
3. Materielle Anspruchsvoraussetzungen
Zudem müssten auch die materiellen Anspruchsvoraussetzungen vorliegen. 
a) Vorliegen der Tatbestandsvoraussetzungen
Dazu müssten zunächst die Tatbestandsvoraussetzungen des § 46 Abs. 1 S. 1 Nr. 5b StVO erfüllt sein. Die Norm bestimmt indes allein, dass die Straßenverkehrsbehörden im Einzelfall Ausnahmen von der Schutzhelmpflicht genehmigen können, ohne dies an besondere Voraussetzungen zu knüpfen. Ziel der Norm ist es, besonderen Ausnahmesituationen Rechnung zu tragen, in denen bei strikter Anwendung der Schutzhelmpflicht eine unbillige Härte für den Betroffenen entstehen würde. Dies ist beispielsweise der Fall, wenn der Betroffene aus gesundheitlichen Gründen nicht in der Lage ist, einen Motorradhelm zu tragen. Möglich erscheint es allerdings auch, eine derartige Ausnahmesituation anzunehmen, wenn der Betroffene aus religiösen Gründen gehindert ist, einen Schutzhelm aufzusetzen. Denn befolgt der Betroffene seine von ihm als verbindlich empfundenen Bekleidungsvorschriften, die das Tragen eines Schutzhelms unmöglich machen, so müsste er auf das Motorradfahren verzichten und wäre damit zumindest mittelbar in seiner Religionsfreiheit beeinträchtigt. Eine unbillige Härte liegt mithin wegen der eintretenden Grundrechtsbeeinträchtigung auch in einem solchen Fall vor. Die Tatbestandsvoraussetzungen des § 46 Abs. 1 S. 1 Nr. 5b StVO sind damit erfüllt.
b) Rechtsfolgen
Fraglich ist allerdings, welche Rechtsfolge dies nach sich zieht. § 46 Abs. 1 S. 1 Nr. 5b StVO bestimmt, dass die Straßenverkehrsbehörden eine Ausnahme von der Schutzhelmpflicht genehmigen können, es handelt sich mithin um eine Ermessensentscheidung. Der Betroffene hat dabei grundsätzlich lediglich einen Anspruch darauf, dass diese Entscheidung ermessensfehlerfrei erfolgt. In Betracht kommt allerdings eine Ermessensreduzierung auf Null, die letztlich einen Anspruch des Betroffenen auf Erteilung der Ausnahmegenehmigung begründet. Eine Ermessensreduzierung auf Null setzt dabei voraus, dass der Ermessensspielraum der Verwaltung aufgrund besonderer Umstände so weit reduziert ist, dass alle Entscheidungen – mit Ausnahme der durch den Betroffenen begehrten – ermessensfehlerhaft wären. Solche besonderen Umstände könnten sich vorliegend daraus ergeben, dass dem Betroffenen der Verzicht auf das Motorradfahren nicht zugemutet werden kann.  K hat allerdings auch ein Auto und verfügt über eine entsprechende Fahrerlaubnis.  Er ist damit nicht zwingend auf die Nutzung des Motorrads angewiesen, sodass nicht davon auszugehen ist, dass ihm ein Verzicht auf das Motorradfahren nicht zugemutet werden kann. Eine Ermessensreduzierung auf Null kommt mithin nicht in Betracht.
Allerdings müsste die Entscheidung der Behörde, die Erteilung der beantragten Genehmigung abzulehnen, dennoch ermessensfehlerfrei sein. Dies wäre indes nur dann der Fall, wenn die Entscheidung nicht gegen die Religionsfreiheit des K gem. Art. 4 Abs. 1, 2 GG verstößt. Die Religionsfreiheit ist vorbehaltslos gewährleistet, sodass Einschränkungen nur zum Schutz kollidierenden Verfassungsrechts, d.h. zum Schutz von Grundrechten Dritter oder Gemeinschaftswerten mit Verfassungsrang zulässig sind. Dazu führt das BVerwG aus:
„Die in § 21a Abs. 2 Satz 1 StVO angeordnete Verpflichtung, beim Motorradfahren einen Schutzhelm zu tragen, soll dazu beitragen, die Folgen von Kraftradunfällen zu mindern und die Verkehrssicherheit auf öffentlichen Straßen zu erhöhen (Amtliche Begründung, VkBl. 1975, 667 <676>). Die Vorschrift dient zwar primär dem Schutz des Motorradfahrers und seiner Mitfahrer vor schweren Kopfverletzungen. Sie hat aber auch den Schutz der Allgemeinheit im Blick und soll Gefährdungen anderer Unfallbeteiligter oder Dritter vermeiden.“
Denn ein Motorradfahrer wird nach einem Unfall eher in der Lage sein, Gefahren für Leib und Leben anderer Personen abzuwenden, wenn er selbst – gerade weil er einen Helm getragen hat – weniger schwer verletzt ist. Die Schutzhelmpflicht dient damit dem Schutz von Leib und Leben, die ihrerseits durch Art. 2 Abs. 2 S. 1 GG geschützt sind. Die Wahrscheinlichkeit, dass er Erste Hilfe leisten oder einen Notarzt rufen kann steigt, wenn er einen Schutzhelm trägt. Außerdem kann er besser dazu beitragen, weitere Schäden zu vermeiden, indem er die Unfallstelle z.B. durch das Aufstellen eines Warndreiecks absichert.
Dies ist auch von der Reichweite des Art. 2 Abs. 2 S. 1 gedeckt:
„Es ist dem Gesetzgeber nicht verwehrt, in Ausübung seiner Schutzpflicht schon die Entstehung von Gefährdungslagen zu bekämpfen und auf eine Risikominimierung hinzuwirken. Art. 2 Abs. 2 Satz 1 GG gewährt nicht nur ein subjektives Abwehrrecht gegen staatliche Eingriffe in das Leben oder die körperliche Unversehrtheit; das Grundrecht stellt zugleich eine objektive Wertentscheidung der Verfassung dar, die staatliche Schutzpflichten begründen. Danach hat der Staat die Pflicht, sich schützend und fördernd vor diese Rechtsgüter zu stellen.“
4. Ergebnis
Damit stehen der Religionsfreiheit des K andere, ebenso schutzwürdige Interessen gegenüber. Diese in einen sachgerechten Ausgleich zu bringen, gewährleistet das der Straßenverkehrsbehörde durch § 46 Abs. 1 S. 1 Nr. 5b StVO eingeräumte Ermessen im Einzelfall. Der Religionsfreiheit kommt damit jedenfalls kein genereller Vorrang zu, die Entscheidung ist mithin nicht bereits aus diesem Grund ermessensfehlerhaft und rechtswidrig. K hat keinen Anspruch auf Erteilung der Genehmigung. Seine Klage ist unbegründet.
III. Fazit
Die Entscheidung des BVerwG macht deutlich, dass fundiertes verfassungsrechtliches Wissen auch im Rahmen verwaltungsrechtlicher Klausuren erhebliche Bedeutung zukommt. Dies sollte Ansporn sein, bereits im Studium besonderes Augenmerk auf die Erlangung solider Kenntnisse in diesem Bereich zu legen das Rechtsgebiet auch in der Examensvorbereitung keinesfalls zu vernachlässigen.
 
 

25.11.2019/1 Kommentar/von Dr. Maike Flink
https://www.juraexamen.info/wp-content/uploads/2022/05/je_logo.svg 0 0 Dr. Maike Flink https://www.juraexamen.info/wp-content/uploads/2022/05/je_logo.svg Dr. Maike Flink2019-11-25 10:00:432019-11-25 10:00:43BVerwG: Kein Anspruch auf Befreiung von der Motorrad-Helmpflicht aus religiösen Gründen
Dr. Maike Flink

Rechtsprechungsüberblick Öffentliches Recht (Quartal 2 und 3/2019) – Teil 2: Verwaltungs- und Staatshaftungsrecht

Öffentliches Recht, Öffentliches Recht, Rechtsgebiete, Rechtsprechung, Rechtsprechungsübersicht, Schon gelesen?, Staatshaftung, Startseite, Verwaltungsrecht

Bei der Vorbereitung auf die schriftliche und vor allem mündliche Examensprüfung, aber auch auf Klausuren des Studiums, ist die Kenntnis aktueller Rechtsprechung von entscheidender Bedeutung. Der folgende Überblick ersetzt zwar keinesfalls die vertiefte Auseinandersetzung mit den einzelnen Entscheidungen, soll hierfür aber Stütze und Ausgangspunkt sein. Dargestellt wird daher eine Auswahl der examensrelevanten Entscheidungen der vergangenen Monate anhand der betreffenden Leitsätze, Pressemitteilungen und ergänzender kurzer Ausführungen aus den Gründen, um einen knappen Überblick aktueller Rechtsprechung auf dem Gebiet des Öffentlichen Rechts zu bieten.
 
I. Verwaltungsrecht
BVerwG (Urt. v. 13.6.2019 – 3 C 28.16, 3 C 29.16) zur Rechtmäßigkeit des sog. „Kükenschredderns“
Das BVerwG hat sich mit einer rechtlich, aber auch gesellschaftlich brisanten Thematik beschäftigt, nämlich der Frage nach der Rechtmäßigkeit des „Schredderns“ männlicher Küken unmittelbar nach dem Schlüpfvorgang. Diese beurteilt sich anhand von § 16a Abs. 1 S. 1 TierSchG i.V.m. § 1 S. 2 TierSchG: Das Töten männlicher Küken ist nur dann zulässig, wenn es nicht gegen das Tierschutzgesetz verstößt. Ein solcher Verstoß liegt allerdings vor, wenn einem Tier ohne vernünftigen Grund Schmerzen, Leiden oder Schäden zugefügt werden. Inwiefern ein solcher „vernünftiger Grund“ für das Töten der Küken vorliegt, ergibt sich aus einer Abwägung zwischen dem menschlichen Nutzungsinteresses und dem Tierschutz. Dabei können rein wirtschaftliche Interessen allerdings nicht ausreichen, um ein überwiegendes menschliches Nutzungsinteresse zu begründen. So heißt es in der Pressemitteilung des Gerichts:

„Vernünftig im Sinne dieser Regelung ist ein Grund, wenn das Verhalten gegenüber dem Tier einem schutzwürdigen Interesse dient, das unter den konkreten Umständen schwerer wiegt als das Interesse am Schutz des Tieres. Im Lichte des im Jahr 2002 in das Grundgesetz aufgenommenen Staatsziels Tierschutz beruht das Töten der männlichen Küken für sich betrachtet nach heutigen Wertvorstellungen nicht mehr auf einem vernünftigen Grund. Die Belange des Tierschutzes wiegen schwerer als das wirtschaftliche Interesse der Brutbetriebe, aus Zuchtlinien mit hoher Legeleistung nur weibliche Küken zu erhalten.“

Trotz der damit anzunehmenden grundsätzlichen Unzulässigkeit des „Kükentötens“ bleibt das Verfahren indes zumindest vorübergehend weiterhin zulässig:

„Ohne eine Übergangszeit wären die Brutbetriebe gezwungen, zunächst mit hohem Aufwand eine Aufzucht der männlichen Küken zu ermöglichen, um dann voraussichtlich wenig später ein Verfahren zur Geschlechtsbestimmung im Ei einzurichten oder ihren Betrieb auf das Ausbrüten von Eiern aus verbesserten Zweinutzungslinien umzustellen. Die Vermeidung einer solchen doppelten Umstellung ist in Anbetracht der besonderen Umstände ein vernünftiger Grund für die vorübergehende Fortsetzung der bisherigen Praxis.“

Vgl. ausführlich unsere Entscheidungsbesprechung.
 
OVG Koblenz (Beschl. v. 12.6.2019 – 10 B 10515/19.OVG) zur Gleichbehandlung bei der Benutzung einer kommunalen Einrichtung
Das OVG Koblenz hatte die Rechtmäßigkeit einer Regelung in der Badeordnung eines gemeindlichen Schwimmbads zu beurteilen, die das Tragen von sog. Burkinis im Schwimmbad untersagte. Betreibt eine Gemeinde ein Schwimmbad als öffentliche Einrichtung, so hat sie grundsätzlich zugleich die Befugnis, das Benutzungsverhältnis durch Sonderverordnung zu regeln. Allerdings findet diese Regelungsbefugnis ihre Grenze einerseits in den verfassungsrechtlichen Rechten der Nutzer, andererseits darin, dass die jeweilige Nutzungsvorschrift der Erfüllung des bestimmungsgemäßen Anstaltszweck dienen muss. Zwar mag dabei das Burkiniverbot als solches – das eine Kontrolle ermöglichen soll, ob bei den Nutzern des Schwimmbads gesundheitsgefährdende Krankheiten bestehen – dem Anstaltszweck dienen, da es zum Schutz der übrigen Badegäste zumindest beiträgt. Allerdings verstößt die Regelung gegen den Gleichbehandlungsgrundsatz des Art. 3 Abs. 1 GG, denn: Sie belastet Trägerinnen von Burkinis stärker als andere Badegäste, deren Badebekleidung den Körper ebenfalls weitgehend bedeckt. Dazu führt das Gericht aus:

„Neoprenanzüge können ebenso wie Burkinis den ganzen Körper bedecken und haben unter Umständen auch eine Kopfhaube, lassen daher zur Kontrolle durch das Badepersonal nicht weniger Körperteile frei als Burkinis. Dass Neoprenanzüge nur während des Schwimmtrainings zugelassen sind, vermag daran nichts zu ändern. Dadurch dürfte zwar die Zahl der Badegäste, die in einem solchen schwimmen (und folglich auch die von ihnen ausgehenden potentiellen Gesundheitsgefahren), eher gering sein. Dies gilt aber in gleicher Weise für die Trägerinnen von Burkinis, weil nach den Angaben der Antragsgegnerin die städtischen Schwimmbäder zur Zeit von nur fünf Burkini-Trägerinnen besucht werden. […] Nach alledem ist die ungleiche Behandlung von Burkini-Trägerinnen einerseits und Trägerinnen und Träger von Neoprenanzügen andererseits nach dem Regelungsprogramm der Antragsgegnerin sachlich nicht gerechtfertigt und verstößt gegen den Anspruch der Antragstellerin auf Gleichbehandlung aus Art. 3 Abs. 1 GG.“

Vgl. ausführlich unsere Entscheidungsbesprechung.
 
II. Staatshaftungsrecht
BGH (Urt. v. 6.6.2019 – III ZR 124/18) zur Stellung als Verwaltungshelfer
Der BGH hat sich mit der Frage beschäftigt, inwiefern Mitarbeiter eines privaten Unternehmens, die zur Ausführung einer verkehrsbeschränkenden Anordnung der Straßenbaubehörde und des der Anordnung beigefügten Verkehrszeichenplans Verkehrsschilder nicht ordnungsgemäß befestigen, als Verwaltungshelfer und damit Beamte im haftungsrechtlichen Sinne anzusehen sind. Dabei legte es folgende Kriterien zugrunde:

 „[Es] ist nicht auf die Person des Handelnden, sondern auf seine Funktion, das heißt auf die Aufgabe, deren Wahrnehmung die im konkreten Fall ausgeübte Tätigkeit dient, abzustellen […]. Hiernach können auch Mitarbeiter eines privaten Unternehmens Amtsträger im haftungsrechtlichen Sinne sein. Dies kommt neben den Fällen der Beleihung eines Privatunternehmens mit hoheitlichen Aufgaben auch dann in Betracht, wenn Private als Verwaltungshelfer bei der Erledigung hoheitlicher Aufgaben tätig werden […] Dafür ist erforderlich, dass ein innerer Zusammenhang und eine engere Beziehung zwischen der Betätigung des Privaten und der hoheitlichen Aufgabe bestehen, wobei die öffentliche Hand in so weitgehendem Maße auf die Durchführung der Arbeiten Einfluss nimmt, dass der Private gleichsam als bloßes „Werkzeug“ oder „Erfüllungsgehilfe“ des Hoheitsträgers handelt und dieser die Tätigkeit des Privaten deshalb wie eine eigene gegen sich gelten lassen muss […].“.

Vor diesem Hintergrund wurde der mit der Anbringung des Verkehrsschildes betraute Mitarbeiter als Verwaltungshelfer eingeordnet: Die getroffene Verkehrsregelung (§ 45 StVO) stellt eine Maßnahme der Eingriffsverwaltung dar: Das durch sie angeordnete Ge- oder Verbot ist ein für die Verkehrsteilnehmer bindender Verhaltensbefehl. Indes ist die Regelung ohne das Aufstellen des entsprechenden Verkehrsschildes nicht wirksam, sodass es sich auch bei dieser rein tatsächlichen Tätigkeit um eine hoheitliche Aufgabe handelt. Dabei hatte der Mitarbeiter die vorgegebene Verkehrsregelung an der vorgegebenen Stelle umzusetzen, einen eigenen Entscheidungs- oder Ermessensspielraum hatte er daher nicht, er war allein „verlängerter Arm“ der zuständigen Behörde.

02.10.2019/0 Kommentare/von Dr. Maike Flink
https://www.juraexamen.info/wp-content/uploads/2022/05/je_logo.svg 0 0 Dr. Maike Flink https://www.juraexamen.info/wp-content/uploads/2022/05/je_logo.svg Dr. Maike Flink2019-10-02 10:00:292019-10-02 10:00:29Rechtsprechungsüberblick Öffentliches Recht (Quartal 2 und 3/2019) – Teil 2: Verwaltungs- und Staatshaftungsrecht
Dr. Maike Flink

VGH Baden-Württemberg: Selbstbindung der Verwaltung durch jahrzehntelange Praxis

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Ein in Examensklausuren im Rahmen der Überprüfung von Ermessensentscheidungen häufig wiederkehrender Klassiker des allgemeinen Verwaltungsrechts ist die Frage nach der Selbstbindung der Verwaltung. Welche Anforderungen an das Bestehen einer derartigen Bindungswirkung zu stellen sind, hat nunmehr den VGH Baden-Württemberg in seinem Beschluss v. 17.12.2018 – 6 S 2448/18 beschäftigt.
 
I. Sachverhalt (vereinfacht)
B betreibt seit Jahren eine Gaststätte in einem belebten Stadtteil der Gemeinde G, in dem sich auch eine Vielzahl anderer Gaststätten befindet. B hat sein Betriebskonzept auf ein Publikum abgestimmt, das bis in den frühen Morgen hinein ausgehen möchte. Daher beginnt B den Betrieb der Gaststätte erst um 23 Uhr und hat an Werktagen bis 5 Uhr, an den Wochenenden bis 7 Uhr geöffnet. Seit dem 12.2.1992 hatte G der B durchgehend eine jeweils auf sechs Monate befristete Sperrzeitverkürzung täglich auf 6 Uhr auf Grundlage von § 12 S. 1 GastVO BW erteilt. Gem. § 12 S. 1 GastVO kann bei „Vorliegen eines öffentlichen Bedürfnisses oder besonderer örtlicher Verhältnisse (…) für einzelne Betriebe die Sperrzeit“ verkürzt werden. Eine Vielzahl anderer Gaststätten in diesem Stadtteil hatten in den vergangenen Jahrzehnten ebenfalls vergleichbare individuelle Sperrzeitverkürzungen erhalten. Folge dessen war, dass die allgemein durch § 9 GastVO BW festgelegte Sperrzeit im Ergebnis vollständig aufgehoben wurde. Nachdem die zuletzt an B erteilte Sperrzeitverkürzung am 10.11.2017 ausgelaufen war, lehnte die Gemeinde G die Erteilung einer weiteren Sperrzeitverkürzung ab. Dies begründete G damit, dass in den letzten Jahren vermehrt Beschwerden von Anwohnern registriert worden seien, die in den letzten sechs Monaten zudem stark zugenommen hätten. Dies beziehe sich auf den Betrieb des B, aber auch auf die Gesamtsituation im Stadtteil. Neben der lauten Musik aus den Gaststätten, störe die Anwohner insbesondere das Lärmen der Besucher auf den Straßen vor der Gaststätte. B wandte sich daraufhin gegen die ablehnende Entscheidung der G.
 
II. Lösung des VGH Baden-Württemberg
 
Im Ergebnis nahm der VGH Baden-Württemberg eine Selbstbindung der Gemeinde durch die in der Vergangenheit jahrzehntelang gewährte Sperrzeitverkürzung an. Dies hat zur Folge, dass sich das der Gemeinde durch § 12 GastVO BW grundsätzlich eingeräumte Ermessen in Bezug auf die Erteilung der Sperrzeitverkürzung auf Null reduziert hat, sodass die Versagung der erneuten Sperrzeitverkürzung letztlich rechtswidrig war. Dies stützt der VGH Baden-Württemberg auf folgende Erwägungen:
1. Grundsätzlich soll eine Sperrzeitverkürzung für einzelne Betriebe nach § 12 GastVO BW stets nur befristet und widerruflich erteilt werden. Dies ergibt sich aus einer Zusammenschau der Vorschriften des § 11 GastVO BW und § 12 GastVO BW. Während § 11 GastVO BW allgemeine Ausnahmen von der Sperrzeit durch Rechtsverordnungen zulässt, betrifft § 12 GastVO BW den Fall einer Ausnahme für einzelne Betriebe durch Verwaltungsakt. Dies spricht grundsätzlich dagegen, dass allein eine wiederholte Erteilung einer Sperrzeitverkürzung über längere Zeit zu einem Anspruch auf eine Erteilung auch in Zukunft führt. Ein etwaiges Vertrauen auf die Beibehaltung der in der Vergangenheit gewählten Praxis ist im Hinblick auf den Zweck des § 12 GastVO BW, der gerade nur befristete Ausnahmen von der Sperrzeit ermöglichen soll, nicht schutzwürdig.

„Anders liegt es allerdings, wenn die Behörde mit der strittigen Entscheidung gegen den Gleichheitsgrundsatz aus Art. 3 Abs 1 GG bzw. mit der Ablehnung einer beantragten Sperrzeitverkürzung gegen diesen Grundsatz verstößt. Anders (…) dürfte es auch dann liegen, wenn die Gaststättenbehörde durch jahrzehntelang wiederkehrende (allgemeine) Erteilung von Sperrzeitverkürzungen bzw. -aufhebungen an alle daran interessierten Gastronomen im Bereich eines näher bestimmten innerstädtischen Ausgehbezirks trotz Handelns in der Rechtsform der (individuellen) Ausnahme gemäß § 12 GastVO faktisch (…) für diesen Bereich die normative Wirkung einer Rechtsverordnung nach § 11 GastVO herbeiführt.“

In der Vergangenheit hatte G jahrzehntelang an B, aber auch an die übrigen im konkreten Stadtteil ansässigen Gastwirte, Sperrzeitverkürzungen erteilt und damit faktische eine normative Wirkung der durch sie festgelegten Sperrzeit herbeigeführt. Eine entsprechende Verwaltungspraxis war damit entstanden.
2. Möglicherweise konnte die G ihre Verwaltungspraxis jedoch zulässigerweise für die Zukunft abändern.

„Eine Ermessensbindung in Gestaltung einer rein tatsächlichen Verwaltungspraxis (kann) – ohne Verstoß gegen Vertrauensschutzaspekte – aus sachgerechten Erwägungen für die Zukunft geändert werden, auch wenn die Betroffenen gegenüber der bisherigen Praxis benachteiligt werden, sofern der zur Änderung der Verwaltungspraxis herangezogene Sachgrund konsequent umgesetzt wird.“

G hat allerdings keine individuelle Bewertung des Antrags der B auf Sperrzeitverkürzung vorgenommen. Insbesondere hat sie keine auf den konkreten Einzelfall bezogenen Ermessenserwägungen angestellt, sondern den Antrag allein unter Verweis auf den Beitrag der B zur Gesamtlärmbelastung abgelehnt, obwohl keine Anhaltspunkte dafür bestanden, dass B für sich genommen die maßgeblichen Lärmschutzwerte überschritten hat. Hinzu kommt, dass nicht sicher ist, ob durch die Versagung der Sperrzeitverkürzung gegenüber B eine Verbesserung der Lärmsituation für die Anwohner überhaupt erreicht werden kann. Im Hinblick auf die durch Art. 12 Abs. 1 GG geschützte Berufsausübungsfreiheit der B erscheint die Versagung daher unverhältnismäßig. Weniger belastend wäre beispielsweise die Versagung der Sperrzeitverkürzung nur gegenüber solchen Gaststätten im fraglichen Stadtteil, die über eine Außenbewirtschaftung verfügen und daher eine höhere Lärmbelastung für die Anwohner erzeugen. Zumindest hätte der B jedoch ein angemessener Übergangszeitraum für eine Neuausrichtung ihres Betriebskonzepts gewährt werden müssen.
3. Erforderlich ist allerdings auch insofern, dass das Vertrauen in den Fortbestand der bisherigen Verwaltungspraxis schutzwürdig ist. Dies wäre dann nicht der Fall, wenn die B die tatsächlichen Gründe für die Änderung der Verwaltungspraxis kannte oder infolge grober Fahrlässigkeit nicht kannte. Anhaltspunkte dafür, dass die B mit einer Änderung der Verwaltungspraxis rechnen musste, bestanden jedoch nicht.
 
III. Fazit
Auch wenn die Entscheidung des VGH Baden-Württemberg für die Frage nach der Selbstbindung der Verwaltung keine grundlegend neuen Erkenntnisse beinhaltet, bietet sie doch Anlass zur Wiederholung der insofern bestehenden Voraussetzungen und auch der Rechtsfolgen, die sich aus der Bindung an eine bestehende Verwaltungspraxis ergeben können. In besonderem Maße zeigt die Entscheidung jedoch erneut auf, welche Bedeutung die genaue Arbeit mit dem Sachverhalt und eine saubere Subsumtion für eine erfolgreiche Klausurbearbeitung haben.

07.03.2019/1 Kommentar/von Dr. Maike Flink
https://www.juraexamen.info/wp-content/uploads/2022/05/je_logo.svg 0 0 Dr. Maike Flink https://www.juraexamen.info/wp-content/uploads/2022/05/je_logo.svg Dr. Maike Flink2019-03-07 09:18:172019-03-07 09:18:17VGH Baden-Württemberg: Selbstbindung der Verwaltung durch jahrzehntelange Praxis
Dr. Jan Winzen

VG Aachen: Protestcamp Tagebau Hambach muss geräumt werden

Baurecht, Öffentliches Recht, Öffentliches Recht, Rechtsgebiete, Rechtsprechung, Rechtsprechungsübersicht, Startseite, Verwaltungsrecht

Mit Beschluss vom 03.07.2013 (5 L 193/13) entschied das Verwaltungsgericht Aachen über den Eilrechtsschutzantrag eines Grundstückseigentümers gegen eine an ihn gerichtete bauordnungsrechtliche Beseitigungsverfügung. Gegenstand der angegriffenen Verfügung des Kreises Düren war die Beseitigug eines auf dem Grundstück des Antragstellers erichteten Protestcamps gegen die Erweiterung des Tagesbaus Hambach.
A. Sachverhalt
Im Rahmen der Proteste gegen die (weitere) Ausdehnung des Tagebaus Hambach errichteten Aktivisten auf dem Grundstück, das im Bereich des geplanten Tagebaus liegt, ein aus Zelten, Wohn- und Bauwagen, Pkws mit Vorzelt bzw. Windschutz, Holzhütten sowie einer „Kriechbude“ mit blauer Folienabdeckung bestehendes Protestcamp. Der Eigentümer des im Außenbereich liegenden Grundstücks hatte den Aktivisten die Errichtung des Camps Ende 2012 gestattet. Wie von dem Antragsteller im Verfahren ausgeführt, sollte das Camp primär den „Protestorganismus“ am Leben erhalten und verhindern, dass die Beteiligten „in alle Himmelsrichtungen“ vertrieben werden. Dabei diene es auch als Obdach seiner Bewohner und als Ausgangsbasis für die Planung des Widerstands und insbesondere von Protestveranstaltungen. Mit Bescheid vom 22.03.2013 verfügte der Kreis Düren gegenüber dem Eigentümer der Wiese, unter (formell ordnungsgemäßer) Anordnung der sofortigen Vollziehung, das Camp zu beseitigen. Gegen diesen Bescheid hat der Grundstückseigentümer Anfechtungsklage beim Verwaltungsgericht erhoben. Zugleich begehrt er im Wege des einstweiligen Rechtsschutzes die Wiederherstellung der aufschiebenden Wirkung seiner Klage.
B. Rechtliche Würdigung
Der Antrag des Grundstückseigentümers hat Erfolg, wenn er zulässig und begründet ist.
I. Zulässigkeit
Angesichts der zahlreichen materiell-rechtlichen Probleme, die der Fall im Rahmen der Begründetheit aufwirft, sollte die Zulässigkeitsprüfung in einer Klausur möglichst kurz ausfallen. Gleichwohl sind im Eilrechtsschutz stets (also auch hier) folgende Punkte zumindest kurz anzusprechen (siehe ausführlich zur Zulässigkeitsprüfung unseren Grundlagenbeitrag zu § 80 Abs. 5 VwGO):
1. Statthaftigkeit
Statthaft ist der Antrag auf Wiederherstellung der aufschiebenden Wirkung nach § 80 Abs. 5 Satz 1 Alt. 2 VwGo, da sich der Antragsteller gegen den Vollzug eines ihn belastenden Verwaltungsakts (in Form der Beseitigungsverfügung) wendet, gegen den in der Hauptsache die Anfechtungsklage (§ 42 Abs. 1 Alt. 1 VwGO) statthaft ist. In diesen Fällen ist Eilrechtsschutz vorrangig nach den §§ 80, 80a VwGO und nicht nach § 123 Abs. 1 VwGO zu gewähren (vgl. § 123 Abs. 5 VwGO).
2. Rechtsschutzbedürfnis
Das für einen Antrag nach § 80 Abs. 5 Satz 1 Alt. 2 VwGo erforderliche Rechtsschutzbedürfnis ist gegeben, da der Anfechtungsklage des Antragstellers wegen der Vollziehungsanordnung der Behörde keine aufschiebende Wirkung zukommt (§ 80 Abs. 2 Satz 1 Nr. 4 VwGO) und die Klage fristgerecht erhoben worden, also nicht offensichtlich unzulässig ist.
II. Begründetheit
Der Antrag nach § 80 Abs. 5 Satz 1 Alt. 2 VwGO ist begründet, wenn die Anordnung der sofortigen Vollziehung formell rechtmäßig ist und das private Aussetzungsinteresse (Suspensivinteresse) des Antragsstellers das öffentliche Vollzugsinteresse der Behörde überwiegt. Dies richtet sich in erster Linie nach den (summarisch zu prüfenden) Erfolgsaussichten des Rechtsbehelfs in der Hauptsache. Ist der Verwaltungsakt danach (offensichtlich) rechtswidrig, hat der Antrag nach § 80 Abs. 5 Satz 1 Alt. 2 VwGO regelmäßig Erfolg, da an dem Vollzug eines rechtswidrigen Verwaltungsakts kein öffentliches Interesse bestehen kann. Ist der Verwaltungsakt (offensichtlich) rechtmäßig, überwiegt das Vollzugsinteresse der Behörde (im Fall des § 80 Abs. 5 Satz 1 Alt. 2 VwGO) aber nur, wenn ein besonderes Vollzugsinteresse vorliegt.
1. Formell rechtmäßige Anordnung der sofortigen Vollziehung
Im Hinblick auf die formellen Anforderungen an die behördliche Vollziehungsanordnung nach § 80 Abs. 3 VwGO bestehen laut Sachverhalt keine Bedenken
2. Interessenabwägung – Erfolgsaussichten in der Hauptsache
Als Ermächigungsgrundlage für die bauordnungsrechtliche Verfügung kommt § 61 Abs. 1 BauO NRW in Betracht. Danach haben die Bauaufsichtsbehörden bei der Errichtung, der Änderung, dem Abbruch, der Nutzung, der Nutzungsänderung sowie der Instandhaltung baulicher Anlagen darüber zu wachen, dass die öffentlich-rechtlichen Vorschriften und die aufgrund dieser Vorschriften erlassenen Anordnungen eingehalten werden (Satz 1). Sie haben in Wahrnehmung dieser Aufgaben nach pflichtgemäßem Ermessen die erforderlichen Maßnahmen zu treffen (Satz 2).
a) formelle Rechtmäßigkeit
Die formellen Voraussetzungen (Zuständigkeit/Verfahren/Form) waren vorliegend gewahrt. Etwaige Anhörungsmängel wurden jedenfalls im Rahmen des gerichtlichen Verfahrens nach § 45 Abs. 1 Satz 1 Nr. 3, Abs. 2 VwVfG NRW geheilt (im Interesse der Leserlichkeit des Beitrags wird die Thematik hier nicht näher dargestellt – siehe vertiefend etwa hier).
b) materielle Rechtmäßigkeit
Auf Tatbestandsebene setzt eine auf § 61 Abs. 1 BauO NRW gestützte Beseitigungsanordnung das Vorliegen einer baulichen Anlage sowie deren formelle und materielle Illegalität voraus.
aa) Protestcamp als bauliche Anlage im Sinne der §§ 2, 61, 63 BauO NRW
Bei den das Protestcamp bildenden einzelnen Bestandteilen müsste es sich um bauliche Anlagen im Sinne des § 2 BauO NRW handeln.
Bauliche Anlagen sind mit dem Erdboden verbundene, aus Bauprodukten hergestellte Anlagen (§ 2 Abs. 1 Satz 1 BauO NRW). Eine Verbindung mit dem Erdboden besteht nach § 2 Abs. 1 Satz 2 BauO NRW auch dann, wenn die Anlage durch eigene Schwere auf dem Erdboden ruht oder auf ortsfesten Bahnen begrenzt beweglich ist oder wenn die Anlage nach ihrem Verwendungszweck dazu bestimmt ist, überwiegend ortsfest benutzt zu werden.

Zu diesen Anlagen gehören neben Zelten, die mit Heringen und/oder ähnlichen Befestigungen mit dem Erdboden verankert sind, vgl. Gädtke/Czepuck/Johlen/Plietz/Wenzel, BauO NRW, 12. Aufl., § 2 Rdnr. 45, auch zu Wohnzwecken genutzte Wohn-, Bau- und Verkaufswagen, bei denen die Funktion als Transportmittel bei wertender Betrachtung in den Hintergrund tritt, vgl. OVG Berlin, Beschluss vom 13. März 1998 – 2 S 2.98 -, BRS 60 Nr. 206; Hessischer Verwaltungsgerichtshof, Beschluss vom 22. Oktober 1985 – 4 TH 1864/85 -, BRS 44 Nr. 136 = juris, sowie Pkws mit Vorzelt bzw. Windschutz, wenn diese überwiegend ortsfest benutzt werden.

Folglich handelt es sich bei den verschiedenen Bestandteilen des Camps um bauliche Anlagen.
bb) formelle Illegalität
Die formelle Illegalität folgt grds. aus dem Umstand, dass der Grundstückeigentümer die für die einzelnen baulichen Anlagen gemäß § 63 BauO NRW erforderliche Baugenehmigung nicht besitzt.
Man kann an dieser Stelle (wie auch das Verwaltungsgericht) noch eine Abgrenzung zu fliegenden Bauten im Sinne des § 79 BauO NRW vornehmen (die keiner Baugenehmigung nach § 63 BauO NRW bedürfen). Dies lässt sich leicht mit Hilfe der Legaldefinition des § 79 Abs. 1 BauO NRW vornehmen. Die insoweit erforderliche Eignung und Bestimmung zum wiederholten Aufstellen und Zerlegen an verschiedenen Orten ist vorliegend angesichts des zum Enscheidungszeitpunkt bereits monatelang unveränderten Standorts des Camps zu verneinen.
cc) materielle Illegalität
Materiell ist das im Außenbereich befindliche Vorhaben (das die Errichtung von baulichen Anlagen zum Inhalt hat, vgl. § 29 Abs. 1 BauGB) an § 35 BauGB zu messen. Im Rahmen des § 35 BauGB ist zuerst zu prüfen, ob ein privilegiertes Vorhaben im Sinne des § 35 Abs. 1 BauGB vorliegt (und öffentliche Belange nicht entgegenstehen). Ist dies nicht der Fall, kann sich die bauplanungsrechtliche Zulässigkeit als sonstiges Vorhaben aus § 35 Abs. 2 BauGB ergeben, wenn die Ausführung oder Benutzung öffentliche Belange nicht beeinträchtigt und die Erschließung gesichert ist.

  • Protestcamp kein privilegiertes Vorhaben im Sinne des § 35 Abs. 1 Nr. 4 BauGB

In Betracht kommt vorliegend allein der Tatbestand des § 35 Abs. 1 Nr. 4 BauGB. Danach sind Vorhaben privilegiert, die wegen ihrer besonderen Anforderungen an die Umgebung, wegen ihrer nachteiligen Wirkung auf die Umgebung oder wegen ihrer besonderen Zweckbestimmung nur im Außenbereich ausgeführt werden sollen.
Die Bestimmung stellt einen Auffangtatbestand für diejenigen nicht in § 35 Abs. 1 BauGB benannten Vorhaben dar, die auf einen Standort im Außenbereich angewiesen sind. Zur Bejahung der Tatbestandsvoraussetzungen bedarf es einer rechtlichen Wertung, ob das Vorhaben nach Lage der Dinge des jeweiligen Einzelfalls aus einem der in der Vorschrift genannten Gründe hier und so sachgerecht nur im Außenbereich untergebracht werden kann. Diese Wertung beinhaltet vor allem die Entscheidung, ob das Vorhaben überhaupt im Außenbereich ausgeführt werden soll. Das ist nicht der Fall, wenn es zur Erfüllung der zulässigen und an sich außenbereichsadäquaten Funktion nicht erforderlich ist (siehe dazu zuletzt etwa die lesenswerte Entscheidung des OVG Münster, Urteil vom 15.02.2013 – 10 A 237/11 Rz. 27 ff. – juris, zu einem Hundeauslaufplatz im Außenbereich).
Gemessen an diesen Kriterien verneint das Gericht die Einordnung des Protestcamps als privilegiertes Vorhaben im Sinne des § 35 Abs. 1 Nr. 4 BauGB:

In Anwendung dieser Grundsätze fehlt es vorliegend an hinreichenden Anhaltspunkten dafür, dass die Vorhaben auf Verhältnisse angewiesen sind, die typischerweise im Außenbereich anzutreffen sind. Die Eigentümer der streitgegenständlichen Anlagen nutzen das „Protestcamp“ nach den eigenen Angaben des Antragstellers in dem Schriftsatz vom 6. Mai 2013 primär um den „Protestorganismus“ am Leben zu erhalten und zu verhindern, dass die Beteiligten „in alle Himmelsrichtungen“ vertrieben werden. Es dient als Obdach seiner Bewohner und als Ausgangsbasis für die Planung des Widerstands und insbesondere von Protestveranstaltungen, z.B. der vom Antragsteller selbst organisierten Demonstration vom 18. November 2012 an der Autobahnabfahrt Kerpen-Buir. Es ist nichts dafür ersichtlich, dass ein derartiges „Basislager“ nicht auch im Innenbereich realisiert werden könnte.

  • Beeinträchtigung öffentlicher Belange im Sinne des § 35 Abs. 2 BauGB

Zur Bestimmung möglicher öffentlicher Belange, die ein sonstiges Vorhaben nach § 35 Abs. 2 BauGB beeinträchtigen könnte, sollte man sich immer zunächst an den Regelbeispielen des § 35 Abs. 3 BauGB orientieren. Diese sind freilich nicht abschließend. Im vorliegenden Fall könnte das Vorhaben sowohl den Darstellungen des Flächennutzungsplans widersprechen (§ 35 Abs. 3 Satz 1 Nr. 1 BauGB) (dieser stellt das Baugrundstück als „Fläche für die Landwirtschaft“ dar), oder das Entstehen einer Splittersiedlung befürchten lassen (§ 35 Abs. 3 Satz 1 Nr. 7 BauGB).
Das Verwaltungsgericht lässt die Frage jedoch offen und stellt maßgeblich auf das vom Bundesverwaltungsgericht entwickelte – in § 35 Abs. 3 BauGB nicht ausdrücklich geregelte – öffentlichen Belang „Erfordernis einer förmlichen Planung“ ab. Dabei geht es vereinfacht gesagt um die Frage, ob das in Rede stehende Gebiet bauplanungsrechtlich zum Gegenstand eines Bebauungsplans gemacht werden müsste. In einem solchen Fall sind die Kriterien des § 35 BauGB nicht geeignet, um die Zulässigkeit eines Vorhabens zu beurteilen:

Die öffentlichen Belange, die der Gesetzgeber in § 35 Abs. 3 Satz 1 BauGB aufzählt, haben nur beispielhaften Charakter. Zu den nicht benannten öffentlichen Belangen gehört auch das Erfordernis einer förmlichen Planung. Dieser öffentliche Belang hat allerdings eine andere Qualität als die in § 35 Abs. 3 BauGB genannten. Er bringt zum Ausdruck, dass die in § 35 BauGB selbst enthaltenen Vorgaben nicht ausreichen, um im Sinne des erwähnten Konditionalprogramms eine Entscheidung über die Zulässigkeit des beabsichtigten Vorhabens treffen zu können. Das im Außenbereich zu verwirklichende Vorhaben kann eine Konfliktlage mit so hoher Intensität für die berührten öffentlichen und privaten Belange auslösen, dass dies die in § 35 BauGB vorausgesetzte Entscheidungsfähigkeit des Zulassungsverfahrens übersteigt. Ein derartiges Koordinierungsbedürfnis wird vielfach dann zu bejahen sein, wenn die durch das Vorhaben berührten öffentlichen und privaten Belange einen in erster Linie planerischen Ausgleich erfordern, der seinerseits Gegenstand einer abwägenden Entscheidung zu sein hat. Eine in diesem Sinne „abwägende“ Entscheidung ist nach der Gesetzeslage weder der Genehmigungsbehörde noch der Gemeinde im Rahmen des § 36 Abs. 1 BauGB zugestanden. Sie ist nach Maßgabe der §§ 1 ff. BauGB allein in einem Bauleitplanverfahren zu treffen.

Ob ein Erfordernis förmlicher Planung besteht, richtet sich im Einzelfall vor allem nach dem Umfang des Vorhabens und der Möglichkeit seiner Einordnung in die nähere Umgebung, wobei der Katalog der § 35 Abs. 3 BauGB insoweit wichtige Anhaltspunkte liefert.

Lässt sich die Koordination der Belange sachgerecht letztlich nur im Wege einer Abwägung sicherstellen, so ist dies auch ein hinreichendes Anzeichen für seine bodenrechtlich relevanten Auswirkungen, die geeignet sind, ein Planungsbedürfnis auszulösen.
Eine solche Situation ist hier gegeben. Dabei kommt der Tatsache, dass nur die einzelnen baulichen Anlagen, nicht aber die Gesamtanlage als solche, bei der es sich nicht um einen Campingplatz im Sinne von § 2 Abs. 1 der Verordnung über Camping- und Wochenendplätze handelt, genehmigungspflichtig ist, keine Bedeutung zu. Die 19 baulichen Anlagen treten nämlich schon wegen ihrer Verwirklichung in einem engen räumlichen Zusammenhang auf einem Flurstück und wegen ihres Charakters als (wildes) Camp als einheitliche Anlage in Erscheinung. Ein solches inmitten landwirtschaftlich genutzter Felder gelegenes Camp setzt eine förmliche Planung voraus, weil die ortsfeste Aufstellung der Anlagen eine Nutzung des Grundstücks durch die Mitglieder der Protestbewegung ermöglicht, die gesteigerte Anforderungen an die Gestaltung der in der näheren Umgebung befindlichen Wege und Straßen, die in erster Linie für den landwirtschaftlichen Verkehr ausgebaut sind, und an die Erschließungsanlagen (Wasser und Abwasser) stellt. Dies sind Belange, die grundsätzlich einer planerischen Steuerung bedürfen.

Die Zulässigkeit des Vorhabens kann damit im Ergebnis nicht auf § 35 BauGB gestützt werden, da es einer formelle Planung bedurft hätte.

  • dd) Zwischenergebnis: Protestcamp formell und materiell illegal

c) Rechtsfolgenseite
Auf Rechtsfolgenseite sind nun verschiedene Gesichtspunkte zu erörtern. Die Erwägungen müssen in einer Klausur in eine sinnvolle (vertretbare) Reihenfolge gebracht werden. Da § 61 Abs. 1 Satz 2 BauO NRW der Behörde Ermessen einräumt („Sie haben in Wahrnehmung dieser Aufgaben nach pflichtgemäßem Ermessen die erforderlichen Maßnahmen zu treffen“) und sich die Begründetheit des Antrags nach den Erfolgsaussichten der Hauptsache richtet (s.o.), empfiehlt es sich, zunächst – wie gewohnt – die ordnungsgemäße Ermessensbetätigung im Hinblick auf Maßnahme und Störer überprüfen (vgl. dazu § 114 VwGO) und dann auf eine mögliche Beeinträchtigung von Grundrechten einzugehen.
aa) Auswahlermessen: hohe Anforderungen an Beseitigungsanordnung im Eilrechtsschutz
Eine bauaufsichtsrechtliche (auf die Generalklausel des § 61 Abs. 1 Satz 2 BauO NRW gestützte) Verfügung, mit der die Beseitigung baulicher Anlagen (im Gegensatz zur Untersagung ihrer Nutzung oder einer Baueinstellung) angeordnet wird, setzt wegen der besonders hohen Eingriffsintensität jedenfalls die formelle und materielle Ilegalität der Anlagen voraus. Selbst wenn das Vorhaben formell und materiell illegal ist, bedarf es stets der Prüfung, ob nicht auf andere Weise (durch weniger einschneidende Maßnahmen) rechtmäßige Zustände hergestellt werden können. Hier ist nun zu erkennen, dass die Rechtmäßigkeit einer Beseitigungsanordnung im Eilrechtsschutz höheren Anforderungen unterliegt und regelmäßig zu verneinen ist.

Der Antragsgegner konnte die angefochtene Verfügung auch in rechtlich zulässiger Weise auf die formelle und materielle Illegalität der Vorhaben stützen, soweit hierdurch das Entfernen der baulichen Anlagen vom Grundstück des Antragstellers gefordert wird. Das öffentliche Interesse an der sofortigen Vollziehung einer bauaufsichtlichen Beseitigungsverfügung ist, worauf der Antragsteller zu Recht hinweist, zwar regelmäßig zu verneinen, weil der – nur durch ein Eilverfahren bestätigte – Abbruch von baulichen Anlagen die Hauptsache in unangemessener Weise vorwegnehmen kann.
Formell und materiell illegalen Baumaßnahmen ist daher regelmäßig durch Stilllegung der Baumaßnahmen oder Untersagung der Nutzungsaufnahme zu begegnen. Mit der Anordnung dieser Maßnahmen wird dem Zweck der Genehmigungspflicht – das Bauvorhaben soll (vor seiner Ausführung) auf seine Zulässigkeit geprüft werden – in aller Regel hinreichend Rechnung getragen. Auch kann der Vorteil, den der ohne die erforderliche Baugenehmigung Bauende gegenüber dem gesetzestreuen Bürger dadurch erlangt, dass er eine nicht zugelassene Baumaßnahme bzw. Nutzung schon vor der Erteilung der Baugenehmigung verwirklicht, durch die Stilllegung oder Nutzungsuntersagung weitgehend aufgehoben werden.

Gemessen an diesen Kriterien unterliegt die Rechtmäßigkeit der Beseitigungsanordnung zunächst erheblichen Bedenken. Etwas anderes kann aber gelten

in Ausnahmefällen, wenn beispielsweise die Beseitigung den ohne die erforderliche Baugenehmigung Bauenden nicht wesentlich härter trifft als ein Nutzungsverbot oder – wie bei Werbeanlagen – das Nutzungsverbot einer Beseitigung gleichkommt, darf die Behörde die sofortige Entfernung des Baukörpers allein wegen formeller und materielle Illegalität verlangen. In jedem Fall muss die Beseitigung der baulichen Anlage ohne erheblichen Substanzverlust und andere – absolut und im Wert zur baulichen Anlage gesehen – hohe Kosten für Entfernung und Lagerung möglich sein.

Nach Ansicht des Verwaltungsgerichts liegt hier ein solcher Ausnahmefall vor, denn

Die Beseitigung der streitgegenständlichen baulichen Anlagen ist ganz offensichtlich ohne (größeren) Substanzverlust und wesentliche wirtschaftliche Aufwendungen möglich. Die Zelte und Vorbauten können abgebaut, zusammengelegt, in den verschiedenen Fahrzeugen verstaut und gemeinsam mit den Fahrzeugen vom Grundstück entfernt werden. Die Hütte, die aus Holzresten behelfsmäßig gezimmert wurde, und die Kriechbude, die aus in den Boden eingegrabenen Holzplatten und hierauf befestigten Folienabdeckungen besteht, können auseinandergenommen und die Bauteile später einer erneuten Verwendung zugeführt werden. Ein nennenswerter Substanzverlust tritt daher nicht ein.
Die Beseitigung der baulichen Anlagen trifft den Antragsteller bei objektiver Betrachtung auch nicht härter als ein Nutzungsverbot. Denn ein solches hätte ebenfalls zur Folge, dass aus Sicherheitsgründen zumindest die Zelte, zeltartigen Konstruktionen und Vorbauten abgebaut und ebenso wie die Fahrzeuge entfernt werden müssten, da diese ansonsten der Gefahr einer Beschädigung durch Witterungseinflüsse ausgesetzt und/oder dem Zugriff Dritter schutzlos preisgegeben wären.
Darüber hinaus könnte eine Nutzungsuntersagung wegen der Lage der Bauvorhaben im Außenbereich aber auch nicht wirksam überwacht werden, so dass allein die Beseitigung der streitgegenständlichen baulichen Anlagen für eine Wiederherstellung baurechtmäßiger Zustände in Betracht kommt.

bb) Störerauswahlermessen: Grundstückseigentümer als Störer
Im Hinblick auf die Störerauswahl gilt es zu erkennen, dass grundsätzlich auch eine Inanspruchnahme der einzelnen Camp-Insassen (als Verhaltensstörer) in Betracht gekommen wäre. Allerdings lag es unter dem Gesichtspunkt der Effektivität der Gefahrenabwehr nahe, den Eigentümer des Grundstücks in Anspruch zu nehmen:

Zwar wäre auch in Betracht gekommen, den jeweiligen Inhaber der baurechtlich illegal aufgestellten und genutzten Anlagen in den Grenzen seiner jeweiligen Verhaltensverantwortlichkeit (§ 17 Abs. 1 des Gesetzes über den Aufbau und Befugnisse der Ordnungsbehörden) einzeln heranzuziehen. Eine Verpflichtung, das Auswahlermessen in der letztgenannten Weise auszuüben, bestand für den Antragsgegner jedoch nicht. Denn es gibt kein generelles Rangverhältnis zwischen der Inanspruchnahme des Verhaltens- und des Zustandsstörers; die Entschließung, wer als Pflichtiger heranzuziehen ist, ist vielmehr an den Umständen des Einzelfalles, dem Grundsatz der Verhältnismäßigkeit und auch dem Gebot effektiver und schneller Gefahrenabwehr auszurichten.
Ausgehend hiervon erweist sich die Entscheidung des Antragsgegners, den Antragsteller als Störer heranzuziehen, als ermessensgerecht. Sie beruht im Kern auf der Erwägung, dass die Bewohner der baulichen Anlagen häufig wechseln und daher nur schwer zu ermitteln sind, und berücksichtigt ergänzend, dass der Antragsteller über das bloße Zurverfügungstellen des Grundstücks hinaus durch eigenes Handeln – nämlich die aktive Unterstützung der Bewohner des Camps – die baurechtlich illegalen Anlagen in ihrem (Fort-)Bestand erhält. Diese Überlegungen sind nicht zu beanstanden. Die Inanspruchnahme des Antragstellers entspricht vielmehr dem Ziel effektiven Verwaltungshandelns, weil derzeit weder die einzelnen Nutzer noch deren Namen und Anschriften bekannt sind und ein Vorgehen gegen diese Personen mit erheblichen Aufwand verbunden wäre, den zu treiben der Antragsgegner nicht verpflichtet ist.

cc) Ermessensüberschreitung – Beeinträchtigung von Grundrechten
Ein Ermessensfehler (in Form der Ermessensüberschreitung) kann auch in einer Verletzung von Grundrechten liegen. Das Verwaltungsgericht prüft im vorliegenden Fall, ob die Beseitigungsanordnung in den Schutzbereich des Art. 8 GG eingreift. Dann müsste da Protestcamp eine Versammlung im Sinne des Art. 8 Abs. 1 GG sein. Dies verneint das Verwaltungsgericht wegen des fehlenden funktionalen Zusamenhangs zwischen der Camp-Infrastruktur und dem Versammlungszweck:

Geschützt ist zwar der gesamte Vorgang des Sichversammelns, wozu auch der Zugang und die Abreise zu einer bevorstehenden oder sich bildenden Versammlung gehört. Ebenso wenig wie es für die Eröffnung des Schutzbereich des Art. 8 GG ausreicht, dass die Teilnehmer einer Veranstaltung durch einen beliebigen Zweck miteinander verbunden sind, kann auch nicht jede Begleiterscheinung einer Versammlung oder eine für deren Durchführung begehrte Infrastruktur (Zelte, Sitzgelegenheiten, Ver- und Entsorgungseinrichtungen etc.) dem Schutzbereich des Art. 8 GG unterfallen. Dies ist vielmehr nur dann anzunehmen, wenn die jeweils in Rede stehenden Gegenstände und Hilfsmittel zur Verwirklichung des Versammlungszwecks funktional und symbolisch für die kollektive Meinungskundgebung wesensnotwendig sind, denn der Versammlungsbegriff bzw. dessen Schutzbereich ist nicht weiter auszudehnen, als dies zur Schutzgewährung nach Art. 8 GG erforderlich ist. (…) Solange das Camp primär als Basislager zur Organisation des Widerstands dient, der u.a. die Mobilisierung der örtlichen Bevölkerung zum Ziel hat, ist der gemeinsame Zweck nicht auf die unmittelbare Teilnahme an einer der Meinungsäußerung und Meinungsbildung dienenden Veranstaltung gerichtet. Seine Errichtung hat vielmehr die Schaffung derjenigen „Infrastruktur“ zum Ziel, die für die Erhaltung der Protestorganisation erforderlich ist. Eine feste „Infrastruktur“ fällt aber gerade nicht unter den Schutz des Grundrechts

Die Beseitigungsanordnung ist damit auch unter Ermessensgesichtpunkten nicht zu beanstanden und stellt sich damit im Ergebnis als offensichtlich rechtmäßig dar.
3. Besonderes Vollzugsinteresse
Hat der Rechtsbehelf in der Hauptsache keine Aussicht auf Erfolg, weil der Verwaltungsakt offensichtlich rechtmäßig ist, bedarf es zur Rechtmäßigkeit der Anordnung der sofortigen Vollziehung wegen des in § 80 Abs. 1 VwGO (Regelfall: aufschiebende Wirkung) zum Ausdruck kommenden Regel-/Ausnahme Verhältnis eines besonderen öffentlichen Vollzugsinteresses. Hier ist stets eine Würdigung der Umstände des Einzelfalls angezeigt:

Für die hier gewählte Beseitigungsanordnung spricht zudem, dass aufgrund des bisherigen Verhaltens des Antragstellers, der eine Ausweitung des Camps in der Vergangenheit nicht nur hingenommen, sondern bewusst gefördert hat, Anhaltspunkte dafür bestehen, dass weitere ungenehmigte Baumaßnahmen zu befürchten sind. Auch insoweit ist die Anordnung der sofortigen Vollziehung gerechtfertigt, da nur so einer weiteren Verfestigung und Entstehung baurechtswidriger Zustände auf dem Grundstück des Antragstellers wirksam entgegengewirkt werden kann.
Letztlich geht von dem Protestcamp auch eine Vorbildwirkung aus, obwohl dieses im Außenbereich gelegen und nach den Angaben des Antragstellers nicht ohne Weiteres einsehbar ist. Denn es ist nicht auszuschließen, dass sich andere Gegner des Tagebaus Hambach durch das pressewirksame Camp ermutigt sehen, in der näheren Umgebung in gleicher Weise illegale bauliche Anlagen zu errichten.

III. Ergebnis

 Der Antrag des Grundstückseigentümers auf Wiederherstellung der aufschiebenden Wirkung seiner Anfechtungsklage gegen die Beseitigungsanordnung des Kreises Düren hat keine Aussicht auf Erfolg.
IV. Fazit
Die Entscheidung ließe sich unverändert als Examensklausur stellen. Sie enthälten eine ganze Reihe verwaltungsrechtlicher Problemstellungen, sowohl aus dem allgemeinen (Heilung einer unterlassenen Anhörung im gerichtlichen Verfahren, Störerauswahl, Ermessensprüfung), als auch aus dem besonderen (Begriff der baulichen Anlage, Voraussetzungen einer Beseitigungsanordnung, bauplanungsrechtliche Zulässigkeit nach § 35 BauGB) Verwaltungsrecht. In einer Klausur würden vermutlich einzelnen Erwägungen des Gerichts auch bereits im Sachverhalt angedeutet werden. Die zugrundeliegende Thematik (Tagebau Hambach) ist zudem äußerst öffentlichkeitswirksam und eignen sich deshalb ausgezeichnet für ein mündliches Prüfungsgespräch.
Abschließend sei noch einmal auf unseren Grundlagenbeitrag zu § 80 Abs. 5 VwGO verwiesen.
 
 
 

22.07.2013/2 Kommentare/von Dr. Jan Winzen
https://www.juraexamen.info/wp-content/uploads/2022/05/je_logo.svg 0 0 Dr. Jan Winzen https://www.juraexamen.info/wp-content/uploads/2022/05/je_logo.svg Dr. Jan Winzen2013-07-22 13:00:462013-07-22 13:00:46VG Aachen: Protestcamp Tagebau Hambach muss geräumt werden
Dr. Jan Winzen

VG Göttingen: Werbe- und Hausverbot gegen juristische Repetitorien bestätigt

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Der seit geraumer Zeit andauernde Verwaltungsrechtsstreit um Werbemaßnahmen juristischer Repetitorien in den Räumlichkeiten der Uni Göttingen geht nach dem jüngsten Urteil des VG Göttingenvom 20.09.2012 (4 A 258/09) in eine neue Runde.

A. Verfahrensgang

Zwei kommerzielle Anbieter juristischer Repetitorien hatten u.a. in der juristischen Fakultät durch verschiedene Werbemaßnahmen auf sich aufmerksam gemacht (Handzettel, Plakate, persönliche Ansprachen etc.). Die Universität erließ gegen die Repetitorien und ihre Hilfspersonen ein Werbe- und Hausverbot (betreffend das Betreten des Juridicums zu Werbezwecken) und ordnete die sofortige Vollziehung an. Auf einen Eilrechtsschutzantrag hin, stellte das VG Göttingen die aufschiebende Wirkung der gegen das Hausverbot erhobenen Klage wieder her (4 B 10/10 – siehe dazu bereits hier). Das Gericht begründete seine Entscheidung im Wesentlichen mit einem Verstoß gegen Art. 3 Abs. 1 GG. Die Universität sei nämlich gegen andere ebenfalls auf ihrem Gelände werbende juristische Repetitorien nicht in gleicher Weise eingeschritten.

Zwar suchte das daraufhin im Wege der Allgemeinverfügung gegenüber sämtlichen kommerziellen Repetitorien erlassene Haus- und Werbeverbot diese Bedenken auszuräumen. Die Beschwerde der Universität (§§ 146, 147 VwGO) gegen den Beschluss des VG Göttigen wies der u.a. für das Hochschulrecht zuständige zweite Senat des OVG Lünerburg (2 ME 167/10 ) dennoch mit der Begründung zurück, die im einstweiligen Rechtsschutzverfahren maßgeblichen Erfolgsaussichten der Hauptsache seien – auch unter Berücksichtigung der nunmehr erlassenen Allgemeinverfügung – offen; die in diesem Fall vorzunehmende Interessenabwägung falle zu Gunsten des Aussetzungsinteresses der Repetitorien aus (siehe ausführlich zur Begründetheit eines Antrags nach § 80 Abs. 5 VwGO hier – die Allgemeinverfügung konnte das Gericht in seine Entscheidung überhaupt nur einbeziehen, weil maßgeblicher Beurteilungszeitpunkt für die Sach- und Rechtslage im Verfahren nach § 80 Abs. 5 VwGO nach hM stets der Zeitpunkt der Eilentscheidung – und nicht etwa der der letzten Behördenentscheidung – ist).

In seiner Entscheidung vom 20.09.2012 hat das VG Göttingen (4 A 258/09) die Rechtmäßigkeit des Hausverbots nunmehr in der Hauptsache bestätigt (allein das vorausgegangene Eilrechtsschutzverfahren enthält schon zahlreiche prüfungsrelevante Fragestellungen – insoweit wird aber auf die Lektüre der zitierten Beschlüsse und unseren Grundlagenbeitrag zu § 80 Abs. 5 VwGO verwiesen).

B. Begründetheit der Anfechtungsklage im Hauptsacheverfahren 

Die Anfechtungsklage hat Erfolg, wenn sie zulässig und begründet ist (die Zulässigkeit der Anfechtungsklage stand im vorliegenden Verfahren nicht Frage).

Die Anfechtungsklage ist begründet, soweit der angefochtene Verwaltungsakt (also das Werbe- und Hausverbot) rechtswidrig und der Kläger dadurch in seinen Rechten verletzt ist.

I. Ermächtigungsgrundlage: § 37 Abs. 3 Satz 1 NHG

Die Ermächtigungsgrundlage für das Werbe- und Hausverbot im Universitätsbetrieb findet sich regelmäßig in dem jeweiligen Landeshochschulgesetz. Im vorliegenden Fall gilt § 37 Abs. 3 Satz 1 NHG. Danach wahrt das Präsidium die Ordnung in der Hochschule und übt das Hausrecht aus (vergleichbare Vorschriften finden sich etwa in Art. 21 Abs. 12 Satz 1 BayHSchG oder § 18 Abs. 1 Satz 4 HG NRW).

Es handelt sich bei den regelmäßig so formulierten Vorschriften der Landeshochschulgesetze keineswegs um bloße Aufgabenzuweisungen oder Zuständigkeitsnormen. Die „Ausübung“ des Hausrechts umfasst vielmehr die Wahrnehmung sämtlicher sich aus dem Hausrecht ergebenden Befugnisse. Zu diesen Befugnissen gehört insbesondere auch der Erlass eines den Inhalt des Hausrechts konkretisierenden Hausverbotes (so etwa das VG Braunschweig in einem Urteil vom 10.3.2005 – 6 A 159/03 Rz. 32 juris).

II. Formelle Rechtmäßigkeit

Im Rahmen der formellen Rechtmäßigkeit des Verbotes geht das Gericht nur sehr kurz auf eine möglicherweise unterlassene Anhörung ein:

Ob die Klägerin vor Erlass des Bescheides angehört worden ist, kann dahinstehen. Denn jedenfalls ist durch den Schriftwechsel der Beteiligten im Eil- und Klageverfahren, in dem beide Seiten ihre Standpunkte ausgetauscht haben, ein etwaiger Anhörungsmangel geheilt worden (§ 1 Abs. 1 NVwVfG i.V.m. § 45 Abs. 1 Nr. 3, Abs. 2 VwVfG, s.a. Nds. OVG, a.a.O.).

In der Klausur sollte man sich hier etwas mehr Zeit nehmen. Zumal der Sachverhalt dann sicherlich ausdrücklich von einer (zunächst) unterbliebenen Anhörung ausgehen wird und man zur Frage einer möglichen Heilung Stellung nehmen muss.

Fehlende Anhörung?

Das Werbe- und Hausverbot ist ein belastender Verwaltungsakt (das hätte man in der Klausur bereits im Rahmen der Statthaftigkeit festgestellt). Bevor ein belastender Verwaltungsakt erlassen wird, ist dem Betroffenen Gelegenheit zu geben, sich zu den für die Entscheidung erheblichen Tatsachen zu äußern (§ 28 Abs. 1 VwVfG). Ist laut Sachverhalt eine Anhörung nicht erfolgt, muss man zunächst die Ausnahmetatbestände des § 28 Abs. 2 VwVfG in den Blick nehmen. Der vorliegende Fall bereitet insoweit gewisse Schwierigkeiten, als das Hausverbot ja auch noch einmal im Wege einer Allgemeinverfügung ausgesprochen wurde. Von der Anhörung kann nämlich gemäß § 28 Abs. 2 Nr. 4 VwVfG insbesondere abgesehen werden, wenn die Behörde eine Allgemeinverfügung erlassen will. Das VG Göttingen ist auf diesen Umstand – wie gesagt – nicht weiter eingegangen. In einer Klausur müsste man aber an Hand der im Sachverhalt enthaltenen Angaben prüfen, ob es in diesem konkreten Fall vielleicht dennoch einer Anhörung bedurft hätte. Wegen der besonderen rechtsstaatlichen Bedeutung der Anhörung im Verwaltungsverfahren sind die Ausnahmetatbestände des § 28 Abs. 2 VwVfG eng auszulegen. Für die Allgemeinverfügung heisst das, dass der Eingriff nicht von besonderer Schwere und Intensität sein und auch keine Dauerwirkung entfalten darf (Hauptanwendungsfall sind die Verkehrszeichen). Mit guter Argumentation sind je nach Sachverhaltslage verschiedene Ergebnisse vertretbar.

Heilung?

Kommt man zu dem Ergebnis, dass eine Anhörung nicht nach § 28 Abs. 2 VwVfG entbehrlich (und das Hausverbot deshalb eigentlich formell rechtswidrig) war, ist die nächste wichtige Norm § 45 Abs. 1  Nr. 3 VwVfG. Danach ist eine Verletzung von Verfahrens- oder Formvorschriften, die nicht den Verwaltungsakt nach § 44 VwVfG nichtig macht, unbeachtlich, wenn die erforderliche Anhörung eines Beteiligten nachgeholt wird. Ein Nichtigkeitsgrund dürfte regelmäßig nicht vorliegen. Man muss sich also die Frage stellen, ob der Schriftwechsel der Parteien während des Verwaltungsstreitverfahrens die unterbliebene Anhörung geheilt haben könnte.

Die ständige Rechtsprechung zur Heilung einer unterbliebenen Anhörung ist relativ streng. Dem Betroffenen muss (wie im Rahmen des § 28 Abs. 1 VwVfG) Gelegenheit gegeben werden, sich – schriftlich oder mündlich – zu den für die Entscheidung wesentlichen Tatsachen zu äußern. Darüber hinaus muss die Behörde ein etwaiges Vorbringen des Betroffenen zur Kenntnis nehmen und bei ihrer Entscheidung in Erwägung ziehen.

Problematisch ist zudem, dass eine unterlassene Anhörung nach Sinn und Zweck der Heilungsnorm grundsätzlich nicht durch die Möglichkeit der Stellungnahme in einem gerichtlichen Eilverfahren nachgeholt werden kann. Eine Heilung soll insoweit aber ausnahmsweise in Betracht kommen, wenn der Betroffene weiß, dass es (auch) um die Anhörung zum Zwecke der Entscheidung über den VA in der Hauptsache geht (siehe etwa bei Sachs, in: Stelkens/Bonk/Sachs, VwVfG 7. Auflage 2008, § 45 Rn. 87).

Anhand dieses Prüfungsmaßstabes sollte dann die Heilung der unterbliebenen Anhörung (so man nicht schon eine Ausnahme nach § 28 Abs. 2 VwVfG bejaht hat) und damit die formelle Rechtmäßigkeit des Hausverbotes bejaht werden können.

III. Materielle Rechtmäßigkeit

§ 37 Abs. 3 Satz 1 NHG setzt eine Beeinträchtigung der Ordnung der Hochschule voraus. Eine solche liegt nach Ansicht des Gerichts insbesondere vor, wenn Zweckbestimmung und Dienstbetrieb gestört werden. Es bedarf also einer Bestimmung des Zwecks der Hochschule im Rahmen der Juristenausbildung.

Es folgen umfangreiche Ausführungen zu den Aufgaben, die nach Ansicht des Gerichts einer Hochschule im Rahmen der Juristenausbildung zukommen. So heisst es etwa Eingangs noch recht allgemein gehalten:

Zu den Aufgaben der Beklagten gehört die Ausbildung und Hinführung der Studierenden zu einem berufsqualifizierenden akademischen Abschluss durch Bereitstellung eines entsprechenden Lehrangebots.

Problematisch ist nun aus Sicht des Gerichts, dass die Repetitorien in für die Bewältigung dieser Aufgabe wesentlichen Aspekten in Konkurrenz zur Hochschule treten:

Im Rahmen des juristischen Studiums bietet die Beklagte (neben den für den Studienabschluss notwendigen Lehrveranstaltungen) speziell zur Wiederholung und Examensvorbereitung für höhere Semester Repetitorien, Klausurenkurse und Probeexamina an. Die Klägerin wirbt für vergleichbare Veranstaltungen kommerzieller Art und richtet sich damit an dieselbe Zielgruppe.

Es könnte schließlich bei den Studenten der Eindruck entstehen, die universitäre Ausbildung allein reiche zur erfolgreichen Vorbereitung für das erste juristische Staatsexamen nicht aus:

Die Werbung für solche Veranstaltungen im räumlichen Bereich der Beklagten ist geeignet, bei den Studierenden den Eindruck zu vermitteln, dass das universitäre Lehrangebot für einen erfolgreichen Examensabschluss nicht ausreicht und die Beklagte ihr Lehrangebot selbst nicht für ausreichend hält.

Vor diesem Hintergrund liegt also eine grundsätzliche Beeinträchtigung der Zweckbestimmung der Hochschule, die zu dem Erlass eines Hausverbotes berechtigt, vor:

Bereits diese Beeinträchtigung des Vertrauens in die Leistungsfähigkeit der Beklagten stellt eine Störung der Zweckbestimmung der Beklagten dar, die grundsätzlich eine Nutzungsuntersagung rechtfertigt. Erst recht gilt dies, wenn der Lehrbetrieb unmittelbar, z.B. durch Überkleben offizieller Mitteilungen mit kommerziellen Plakaten oder den Zugang zu Hörsälen behindernde Verteilung von Werbemitteln, gestört wird. Die Beklagte ist deshalb grundsätzlich berechtigt, gegen Werbetätigkeiten kommerzieller Repetitorien vorzugehen

Das Gericht untermauert diesen Befund sodann mit einigen lehrreichen Aussagen zur Gestaltung des Jurastudiums:

Dem steht nicht entgegen, dass auch bei einem umfassenden Lehrangebot der Beklagten die private Vor- und Nachbereitung durch die Studierenden erforderlich ist. Es entspricht der Lebenserfahrung, dass Wissenslücken entstehen können, die u.U. nicht mehr in Eigeninitiative, sondern mit Hilfe kommerzieller Nachhilfe- oder Lehrinstitute behoben werden. Im Regelfall ist die universitäre Ausbildung jedoch darauf ausgerichtet, dass neben den Lehrveranstaltungen die eigenständige Arbeit des Studierenden für den Studienerfolg ausreicht

Besonders prägnant dann der Verweis auf eine Aussage des Bundesverwaltungsgerichts aus den 1970er Jahren:

Erfahrungsgemäß können einigermaßen begabte, denkfähige und fleißige Studenten das Examen auch ohne Repetitor bestehen

Man muss sich also entscheiden, Rep oder Lehrveranstaltung:

Teilweise findet der Unterricht kommerzieller Repetitorien zudem zeitgleich zu den Lehrveranstaltungen der Beklagten statt, so dass sich die Studierenden für einen längeren, in der Regel über ein Semester hinausgehenden Zeitraum entscheiden müssen, ob sie sich mit Hilfe der Beklagten oder mit Hilfe des kommerziellen Repetitors auf die Prüfung vorbereiten.

Wird ein Richter nebenberuflich als Repetitor für Referendare tätig, ist dies im Übrigen mit der Werbung kommerzieller Repetitorien (im Hinblick auf das erste Staatsexamen) in der staatlichen Hochschule nicht vergleichbar, denn durch letztere werde

eine sachliche und räumliche Verbindung zur staatlichen Einrichtung geschaffen, welche die Annahme zulässt, die staatliche Einrichtung billige den Inhalt der Werbung, fördere die private Einrichtung und halte deren Besuch für nützlich oder gar geboten,

während die

auf die lehrende Person (des Richters) beschränkte Identität zwischen staatlicher und privater Ausbildung (…) in geringerem Maße eine Verbindung zur staatlichen Ausbildung her(stellt). Der Ausbilder wird erkennbar als Privatperson außerhalb der staatlichen Einrichtung und außerhalb seiner Dienstzeit tätig.

Außerdem (das dürfte wohl den meisten Referendaren bewusst sein)

dient die staatliche Referendarausbildung vorrangig dazu, den Referendar mit den Aufgaben der juristischen Praxis vertraut zu machen und nimmt – anders als die universitäre Ausbildung – nicht für sich in Anspruch, ein umfassendes Angebot zur Prüfungsvorbereitung bereit zu stellen.

Die auf diesem Wege festgestellte und mehrfach untermauerte Beeinträchtigung der Zweckbestimmung der Hochschule berechtigt grundsätzlich zum Erlass des Werbe- und Hausverbots.

Das auf Rechtsfolgenseite zu beachtende Ermessen hat die Hochschule nach Ansicht des Gerichts fehlerfrei ausgeübt. Insbesondere musste sie das Haus- und Werbeverbot nicht etwa auf das Juridicum beschränken. Denn überall, wo sich Jurastudenten möglicherweise aufhalten könnten, erwecke die Werbung der Repititorien den Eindruck der Duldung durch die Hochschule.

Ein Verstoß gegen Art. 3 Abs. 1 GG ist nach Erlass der alle kommerziellen juristischen Repetitorien betreffenden Allgemeinverfügung ebenfalls nicht ersichtlich. Das Gericht erteilt dazu noch einige interessante Hinweise. Nicht zu beanstanden ist etwa, das nicht kommerzielle Repetitorien die Werbung in der Hochschule nicht untersagt wurde. Diese stehen nach Ansicht des Gerichts nicht in einer vergleichbaren Konkurrenzsituation zur Hochschule und sind außerdem schon deshalb nicht zu beanstanden, wenn und weil die von Mitarbeitern der Hochschule (in deren Aufgabenbereich) geleitet werden. Auch die teilweise durchgeführte (und nicht untersagte) Werbung für Verlagsprodukte kommerzieller Repetitorien war nicht zu beanstanden, da insoweit die Zweckbestimmung der Hochschule nicht beeinträchtigt ist.

Die Kombination von Werbe- und Hausverbot findet ihre Rechtfertigung in dem (von der Hochschule vorgetragenen) Umstand,

dass andernfalls Werbung durch das Verteilen von Handzetteln oder kostenlosen Skripten und durch persönliche Ansprachen nicht wirksam begegnet werden könnte. So sei es z.B. öfter vorgekommen, dass Mitarbeiter kommerzieller Repetitorien unmittelbar nach einer Lehrveranstaltung den Hörsaal betreten hätten, um für kommerzielle Veranstaltungen gleichen Inhalts zu werben. (…) Gegen ein derartiges Vorgehen könne die Beklagte nur durch ein sofortiges Eingreifen mittels eines Hausverbots vorgehen.

Schließlich ist das Hausverbot auch angemessen, da es auf das Betreten zu Werbezwecken beschränkt wurde.

Die Anfechtungsklage ist im Ergebnis unbegründet.

C. Fazit

Die Entscheidung des VG Göttingen betrifft sicherlich keinen klausurtypischen Sachverhalt. Das Verhältnis von staatlicher Universitätsausbildung zu privatem Repetitorium und dessen Bedeutung für die Juristenausbildung ist indessen ein Thema, zu dem nahezu jeder (angehende) Jurist eine Meinung haben dürfte. Als Aufhänger für eine Diskussion in der mündlichen Prüfung eignet sich die Entscheidung (bzw. der ihr zugrunde liegende Sachverhalt)  deshalb ganz gewiss. Anknüpfungspunkte für die Prüfung verwaltungsrechtlicher Grundlagen enthält der Sachverhalt zu Genüge (einstweiliger Rechtschutz, Ermächtigungsgrundlage, Verfahrensfehler, Rechtsfolgenseite, Ermessen, Verhältnismäßigkeit etc.).

Hingewiesen wird zudem noch auf eine Entscheidung des Kartellsenats des OLG Karlsruhe vom 13.05.2009 (6 U 50/08). Hier ging es um einen ähnlich gelagerten Fall an der Uni Freiburg, der im Ergebnis ebenfalls zu Gunsten der Hochschule entschieden wurde.

Eines der betroffenen Repetitorien soll bereits einen Antrag auf Zulassung der Berufung (§ 124 a Abs. 4 Satz 1 VwGO) gestellt haben (siehe hierzu und zu weiteren interessanten Hintergrundinformationen den Bericht bei ). Wir werden über den weiteren Verlauf des Verfahrens berichten.

 

22.10.2012/7 Kommentare/von Dr. Jan Winzen
https://www.juraexamen.info/wp-content/uploads/2022/05/je_logo.svg 0 0 Dr. Jan Winzen https://www.juraexamen.info/wp-content/uploads/2022/05/je_logo.svg Dr. Jan Winzen2012-10-22 12:30:132012-10-22 12:30:13VG Göttingen: Werbe- und Hausverbot gegen juristische Repetitorien bestätigt

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