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Schlagwortarchiv für: Erlaubnistatbestandsirrtum

Redaktion

Verbreitete Fehler bei der Behandlung des Erlaubnistatbestandsirrtums

Rechtsgebiete, Startseite, Strafrecht, Strafrecht AT, Verschiedenes


Der Verlag De Gruyter stellt jeden Monat einen Beitrag aus der Ausbildungszeitschrift JURA – Juristische Ausbildung zwecks freier Veröffentlichung auf Juraexamen.info zur Verfügung.
Der heutige Beitrag

“Verbreitete Fehler bei der Behandlung des Erlaubnistatbestandsirrtums am Beispiel des Hells Angels-Falles (BGH, NStZ 2012, 272)” von PD Dr. Erik Kraatz

behandelt ein Thema, das den meisten Studierenden ab dem ersten Semester bekannt sein dürfte. Dennoch bereitet die richtige Darstellung des Erlaubnistatbestandsirrtums (ETBI) in der Strafrechtsklausur bis ins Examen oft große Schwierigkeiten. Der vorliegende Beitrag nimmt einen medienwirksamen Fall zum Anlass, den Prüfungsaufbau des ETBI  und potentielle Fehlerquellen umfassend zu erläutern.
Den Beitrag findet Ihr hier.
 

02.09.2015/0 Kommentare/von Redaktion
https://www.juraexamen.info/wp-content/uploads/2022/05/je_logo.svg 0 0 Redaktion https://www.juraexamen.info/wp-content/uploads/2022/05/je_logo.svg Redaktion2015-09-02 09:00:132015-09-02 09:00:13Verbreitete Fehler bei der Behandlung des Erlaubnistatbestandsirrtums
Gastautor

Errare humanum est – Einführung in die strafrechtliche Irrtumslehre

Rechtsgebiete, Startseite, Strafrecht, Strafrecht AT, Verschiedenes

Der heutige Beitrag resultiert aus einer Kooperation zwischen juraexamen.info und dem Phi Delta Phi – Michael Hoffmann-Becking Inn Frankfurt am Main. Das Michael Hoffmann-Becking Inn ist Teil der weltweiten Juristenorganisation und Honor Society Phi Delta Phi, welche die älteste noch bestehende Juristenvereinigung amerikanischen Ursprungs darstellt (siehe hierzu etwa bei Wikipedia). Künftig wird im Rahmen der Kooperation in regelmäßigen Abständen ein Artikel erscheinen, der sich inhaltlich an dem bestehenden Konzept von juraexamen.info ausrichtet.
Diesen Monat stammt der Beitrag von dem Phi Delta Phi Mitglied Manuel Köchel. Er ist externer Doktorand bei Prof. Bosch am Lehrstuhl Strafrecht I in Bayreuth und Wissenschaftlicher Mitarbeiter in einer Wirtschaftskanzlei in Frankfurt am Main.
I. Einleitung
„Errare humanum est“: Der Irrtum gilt als Kehrseite des Wissens einer Person. Während Irrtümer im Öffentlichen Recht, wenn überhaupt, stiefmütterlich behandelt werden und im Zivilrecht abgesehen von den §§ 119 ff. BGB auch eher einen Randbereich des juristischen Curriculums ausmachen, nehmen entsprechende Fehlvorstellungen in der strafrechtlichen Falllösung einen nicht nur unwesentlichen Bestandteil ein. Der nachfolgende Beitrag beleuchtet die strafrechtliche Irrtumslehre, welcher ab dem ersten Semester bis zum Ende einer jeden juristischen Ausbildung uneingeschränkte Relevanz beizumessen ist. Aufgrund ihres hohen Abstraktionsgrads und der mannigfaltigen Terminologie wird diese Thematik von den Studierenden gerne aufgeschoben. Statt sich von Einzelfall zu Einzelfall zu hangeln, sollte man sich von den zahlreichen Einzelbegriffen der Lehrbuchs- und Kommentarliteratur lösen und sich zuvörderst auf die Grundstruktur der Irrtumslehre besinnen.
Vorangestellt sei in diesem Zusammenhang noch die Ausgangsüberlegung, dass sich vorsätzliche Erfolgsdelikte aus einem Erfolgsunrecht (= Eintritt eines Erfolgs, welcher im Widerspruch zur Rechtsordnung steht) und einem Handlungsunrecht (= rechtsfeindliche Gesinnung des Täters, welche in seinem Verhalten für die Außenwelt in Erscheinung tritt) zusammensetzen. Während ein abgelöster Handlungsunwert zu einer Bestrafung des Täters führen kann (bspw. im Wege der Versuchsstrafbarkeit), ist das für ein selbstständiges Erfolgsunrecht nie der Fall (der Tot eines Menschen wird erst dann für § 212 StGB relevant, wenn er auf ein Verhalten des Täters zurückgeführt werden kann).
Die Grundstruktur des Irrtumsbegriffs ist aufgrund der Ausgangsdefinition vergleichsweise simpel: „Irrtum ist jede Abweichung subjektiv Vorgestellten vom objektiv Vorhandenen„. Unterscheidet man im Hinblick auf diese Fehlvorstellung zwischen einer Komponente der Unkenntnis („Täter hat keine Kenntnis davon, dass …“) und einer Komponente der irrigen Annahme („Täter geht irrig davon aus, dass …“) und übertragt man dies auf die drei Prüfungsschritte der juristischen Falllösung – Tatbestand, Rechtswidrigkeit und Schuld – so gelangt man auf Basis dieser Struktur zu lediglich sechs Irrtumskonstellationen.

    TB

          Unkenntnis                  RW             irrige Annahme

       Schuld

 
Ergänzt werden kann dieses Grundmuster dann noch durch weitere zusätzliche Kriterien (Bezugspunkt der Fehlvorstellung im Sinne eines Irrtums über einen tatsächlichen Umstand oder eine rechtliche Wertung – dann sind 12 Konstellationen denkbar – bzw. darüber, ob sich der Irrtum zu Gunsten oder zu Ungunsten des Täters auswirkt, etc.).

          TB

         Tatsächlicher Umstand        RW            Rechtlicher Umstand

           Schuld

                                                                                                                                                                                                   

        TB

          Zugunsten des Täters                 RW            Zuungunsten des Täters

          Schuld

 
Im Folgenden soll der Übersichtlichkeit halber zunächst auf die sechs Ausgangskonstellationen betreffend die Irrtümer hinsichtlich der Unkenntnis und irrigen Annahme tatsächlicher Umstände eingegangen werden (II.) und im Anschluss auf die sechs Ausgangskonstellationen über die Irrtümer im Hinblick auf die Unkenntnis und irrige Annahme rechtlicher Bewertungen (III.). Außen vor bleiben im Folgenden Irrtümer im Zusammenhang mit der Beteiligungslehre und den Unterlassungsdelikten. Auf die Verwendung der herkömmlichen Nomenklatur der Irrtumsumschreibungen wird aufgrund des Grundlagencharakters dieses Beitrags ausdrücklich verzichtet. Sobald der Prüfling das Konzept durchdrungen hat, können die relevanten Begriffe jederorts nachgelesen werden. Entscheidend für die Klausur ist vielmehr, dass die jeweilige Irrtumsproblematik korrekt im Prüfungsaufbau verortet wird und gerade nicht, dass das entsprechende Schlagwort fällt. Selbstverständlich fällt es positiv auf, wenn der Bearbeiter zusätzlich noch den entsprechenden Fachterminus nennt. Wer lediglich den Begriff nennt, dabei aber nicht oder nur unzureichend die zutreffende rechtliche Würdigung bzw. Subsumtionsarbeit leisten kann, hat aus Prüfersicht rasch den Stempel des bloßen „Auswendiglerners“ auf der Stirn stehen.
II. Der Irrtum über tatsächliche Umstände
1. Tatbestand
Der erste Prüfungspunkt im Rahmen des dreigliedrigen Deliktsaufbaus ist regelmäßig der Tatbestand. Dieser setzt sich aus dem objektiven und dem subjektiven Tatbestand, ggf. noch aus einer objektiven Bedingung der Strafbarkeit (bspw. die Rauschtat bei § 323a StGB) zusammen. Der objektive Tatbestand der Erfolgsdelikte lässt sich weiter in die Handlung des Täters, den Erfolgseintritt, die Kausalität sowie die objektive Zurechnung untergliedern. Demgegenüber setzt sich der subjektive Tatbestand im Wesentlichen aus dem Vorsatz und z. T. aus sonstigen subjektiven Merkmalen (die Zueignungsabsicht bei § 242 StGB oder die Bereicherungsabsicht bei § 263 StGB) zusammen. Der Tatbestandsirrtum nach § 16 StGB stellt die Kehrseite des Wissenselementes des Vorsatzes dar. Um die Rechtsfolge des § 16 Abs. 1 StGB zu erreichen, muss diese Fehlvorstellung sich nur auf einen einzigen relevanten Tatumstand beziehen.
a. Unkenntnis
Nach § 16 Abs. 1 S. 1 StGB handelt derjenige ohne Vorsatz der „bei Begehung der Tat einen Umstand nicht kennt“ (, der zum gesetzlichen Tatbestand gehört). Bedeutung gewinnt hierbei die Unterscheidung zwischen normativen und deskriptiven Tatbestandsmerkmalen (klassisches Beispiel ist in diesem Zusammenhang das Entfernen der Striche auf dem Bierdeckel als Urkundenfälschung nach § 267 Abs. 1 StGB).

§ 16 Abs. 1 S. 1 StGB „Unkenntnis“

objektiver Tatbestand (+)                    subjektiver Tatbestand (-)

 
Bsp.: B führt im Wald Schießübungen durch. Dabei erschießt er den X, ohne diesen erkannt zu haben.
Prüfungsort: subjektiver Tatbestand (Vorsatz bzgl. des konkreten Tatbestandsmerkmals; hier: Tatobjekt gem. § 212 Abs. 1 StGB „Mensch“). Ggf. Strafbarkeit aus dem (falls vorhandenen) Fahrlässigkeitstatbestand nach § 16 Abs. 1 S. 2 StGB; hier: fahrlässige Tötung nach § 222 StGB.
b. Irrige Annahme
Geht der Täter hingegen irrtümlich von einem anderen als dem tatsächlich vorliegenden Geschehen aus, liegt konstruktiv ein Versuch vor. Dies ergibt sich aus der vorangestellten Differenzierung zwischen dem Handlungs- und dem Erfolgsunrecht.

§ 16 Abs. 1 S. 1 StGB „Unkenntnis“

objektiver Tatbestand (-)                    subjektiver Tatbestand (+)

 
Bsp.: B schießt auf ein Reh, weil er es für den X hält.
Prüfungsort: Subjektiver Tatbestand bzw. Tatentschluss (Vorsatz bzgl. des konkreten Tatbestandsmerkmals; hier: Tatobjekt gem. § 212 Abs. 1 StGB „Mensch“). Ggf. Strafbarkeit aus dem (falls vorhandenen) Versuch und dem Fahrlässigkeitstatbestand; hier: fahrlässige Sachbeschädigung ist nicht strafbar, vgl. § 16 Abs. 1 S. 2 StGB, aber ggf. versuchter Totschlag nach §§ 212, 22, 23 Abs. 1 StGB.
c. Sonderfälle
Lediglich hingewiesen werden soll in diesem Kontext auf die Spezialprobleme des sog. „error in persona vel in obiecto“; der „aberratio ictus“; dem Zusammentreffen von „error in persona vel in obiecto“ und „aberratio ictus“, sowie dem Irrtum über den Kausalverlauf („mittelbare Individualisierung“); § 16 Abs. 2 StGB.
2. Rechtswidrigkeit
Ein vollständiges Unrecht setzt neben der Subsumtion unter den strafrechtlichen Tatbestand auch das Fehlen eines (un-)geschriebenen Rechtfertigungsgrundes voraus. Das Verhältnis wird regelmäßig mit dem Satz umschrieben: „die Tatbestandsmäßigkeit indiziert die Rechtswidrigkeit“. Wie den Tatbestand kann man auch die Rechtfertigungsebene in einen objektiven und einen subjektiven Teil aufspalten. Während der objektive Teil das Vorliegen der objektiven Rechtfertigungselemente (diese ergeben sich bei den gesetzlich normierten Rechtfertigungsgründen aus dem Gesetz) verlangt, erfordert das subjektive Pendant, dass der Täter in Kenntnis der tatsächlichen Sachlage und aufgrund der ihm dadurch zustehenden Befugnis handelt. Kontrovers wird die Rechtsfolge bei Fehlen des subjektiven Rechtfertigungselements diskutiert.
a. Unkenntnis
Die Fälle der mangelnden Kenntnis tatsächlicher Umstände, die den Täter rechtfertigen, zeichnen sich durch das Fehlen des subjektiven Rechtfertigungselements aus.

Rechtfertigung

obj. rechtfertigende Lage (+)           subj. Rechtfertigungselement (-)

 
Bsp.: X erschießt den T, weil er ihn nicht leiden kann, ohne zu erkennen, dass T gerade dabei war auf den ahnungslosen A anzulegen und diesen zu erschießen.
Prüfungsort: Subjektives Rechtfertigungselement; zum einen strittig, ob subjektives Rechtfertigungselement generell erforderlich ist (so die h. M.). Zum anderen unterschiedliche Auffassung darüber, ob aus vollendeter oder versuchter Tat zu bestrafen ist.
b. Irrige Annahme
Hier stellt sich der Täter irrtümlich Tatsachen vor, bei deren Vorliegen er gerechtfertigt wäre. Das Merkmal des subjektiven Rechtfertigungselements kann bejaht werden, allerdings erfüllt das objektive Geschehen nicht die vom Gesetz vorgesehenen Rechtfertigungsmerkmale.

Rechtfertigung

obj. rechtfertigende Lage (-)            subj. Rechtfertigungselement (+)

 
Bsp.: B streckt den X mit einem Faustschlag nieder, da er davon ausgeht von X angegriffen zu werden.
Prüfungsort: Nach wohl hA im Rahmen der Schuld (ansonsten je nach vertretener Meinung). Nach der eingeschränkten Schuldtheorie § 16 Abs. 1 S. 1 StGB analog (zum Umgang mit dem ETBI in der Klausur). Ggf. Fahrlässigkeitsdelikt; hier: fahrlässige Körperverletzung nach § 229 StGB.
Prüfungsort:
(1) TB
(2) RW
Hier handelt der Täter rechtswidrig, weil obj. gerade kein Rechtfertigungsgrund vorliegt.
(3) Schuld
Klausurvorschlag: Vorab sollte der Bearbeiter sich überlegen, welcher Theorie im Rahmen der Falllösung gefolgt wird, weil davon der Prüfungsort abhängt. Folgt man der hM (eingeschränkten rechtsfolgenverweisenden Schuldtheorie) hat man den Diskurs in der Schuld, genauer gesagt in der Vorsatzschuld zu prüfen.
„Der Vorsatzschuldvorwurf könnte entfallen, wenn der Täter sich in einem Erlaubnistatbestandsirrtum befunden hätte.“
(a) Vorliegen eines ETBI
Dazu müsste sich der Täter Umstände vorgestellt haben, bei deren Vorliegen er tatsächlich gerechtfertigt gewesen wäre (siehe oben unter 2 b.)  inzidente Prüfung des entsprechenden Rechtfertigungsgrundes aus der Sicht des Täters
(b) Auseinandersetzung mit den Theorien
Klausurtipp: in einer Strafrechtsklausur wird man je nach Umständen des Falles nicht die Zeit haben auf alle Theorien einzugehen. Es bietet sich an, neben der Meinung, der schlussendlich gefolgt wird, auf zwei weitere Ansichten einzugehen (zum Umgang mit dem ETBI in der Klausur).
3. Schuld
Neben dem Tatbestand und der (indizierten) Rechtswidrigkeit setzt die volle Strafbarkeit des Delinquenten dessen entsprechende Schuld voraus. Der Gesetzgeber hat gewisse außergewöhnliche Motivationslagen erkannt, die eine Bestrafung trotz tatbestandlichem und rechtswidrigem Geschehensablauf nicht erfordern. Das vom Täter verwirklichte Unrecht bleibt allerdings insofern bestehen, als es Anknüpfungspunkt für ein Teilnahmedelikt sein mag. Der letzte Prüfungsstein des dreigliedrigen Deliktsaufbaus kann weiter unterteilt werden in die Schuldfähigkeit nach §§ 20 f. StGB, ggf. spezieller Schuldmerkmale (bspw. Rücksichtslosigkeit bei § 315c StGB) und der persönlichen Vorwerfbarkeit, insb. den Entschuldigungsgründen, dem Unrechtsbewusstsein (vgl. § 17 StGB) sowie der Vorsatzschuld. Ähnlich wie bei den Rechtfertigungsgründen ist es auch bei den Entschuldigungsgründen angebracht, die Prüfung in einen objektiven und einen subjektiven Part zu trennen.
Unabhängig davon, ob der Täter das Unrecht der Tat aufgrund etwaigen Nichtwissens oder aufgrund einer tatsächlichen Fehlvorstellung nicht erkennen konnte, hängt die Anwendbarkeit des § 17 S. 1 StGB (Fehlt dem Täter bei Begehung der Tat die Einsicht, Unrecht zu tun, so handelt er ohne Schuld, wenn er diesen Irrtum nicht vermeiden konnte. Konnte der Täter den Irrtum vermeiden, so kann die Strafe nach § 49 Abs. 1 gemildert werden.) von der Vermeidbarkeit des Irrtums ab.
Ein Verbotsirrtum ist vermeidbar (vgl. § 17 S. 2 StGB) wenn der Täter bei gehöriger Anspannung seines Gewissens und Anstrengung aller geistigen Kräfte das Unrecht der Tat erkennen konnte. Insgesamt legt der BGH sehr strenge Maßstäbe bei der Beurteilung an, so dass der Verbotsirrtum (auch in der Klausur) in der Regel vermeidbar sein wird. Bei Zweifeln an der rechtlichen Zulässigkeit der Tat besteht eine Erkundigungspflicht.

§ 17 StGB „Einsicht“

Vermeidbarkeit S. 2              Unvermeidbarkeit S. 1

 
I. Irrtum über tatsächliche Umstände
a. Unkenntnis
Der Täter ist nicht entschuldigt, da er ohne Kenntnis der tatsächlichen Umstände nicht aus der Motivation der entschuldbaren Zwangslage heraus handelt.

Entschuldigung

obj. entschuldigende Lage (+)             subj. Motivationslage (-)

 
Bsp.: X und Y sind schiffbrüchig und treiben zusammen auf einer morschen Holzplanke. Die Planke kann auf Dauer nur einen tragen. X erkennt dies nicht, will aber die Situation nutzen, um Y zu töten, und schubst diesen ins Wasser. Y ertrinkt.
Prüfungsort: Entschuldigungsgrund (umgekehrter Entschuldigungstatbestandsirrtum). Aufgrund der fehlenden psychischen Zwangslage ist die volle Strafbarkeit zu bejahen.
b. Irrige Annahme
Gesetzlich geregelt in § 35 Abs. 2 StGB als Entschuldigungstatbestandsirrtum: nimmt „bei Begehung der Tat irrig Umstände an, welche ihn nach Absatz 1 entschuldigen würden“.

Entschuldigung

obj. entschuldigende Lage (-)           sub. Motivationslage (+)

 
Bsp.: Wie soeben. X und Y sind schiffbrüchig und treiben zusammen auf einer morschen Holzplanke. Die Planke kann auf Dauer beide tragen. X geht irrtümlich davon aus, dass nur einer getragen werden kann (Entschuldigungstatbestandsirrtum) und schubst Y ins Wasser. Y ertrinkt.
Prüfungsort: Schuld. Schuld entfällt, sofern der Irrtum unvermeidbar gewesen ist. War der Irrtum vermeidbar kann Strafe nach §§ 35 Abs. 2 S. 2, 49 Abs. 1 StGB gemildert werden.
II. Irrtum über rechtliche Wertungen
Vergleichbar mit den Irrtümern über Tatumstände ist es auch beim Irrtum über rechtliche Umstände/Wertungen denkbar, dass der Delinquent das Verbot nicht kennt (Unkenntnis), oder aber auch, dass er auf Grund einer fehlerhaften Vorstellung sein Verhalten nicht für rechtswidrig hält (Irrige Annahme).
1. Tatbestand
a. Unkenntnis
Der Irrtum im rechtlichen Bereich auf Tatbestandsebene führt zu einem Verbotsirrtum nach § 17 S. 1 StGB.

§ 17 StGB „Einsicht“

Vermeidbarkeit S. 2             Unvermeidbarkeit S. 1

 
Bsp.: Der Täter geht nicht davon aus, dass die Verschmutzung eines Gewässers entgegen § 324 StGB nicht nur ökologisch bedenklich, sondern auch rechtlich verboten ist.
Prüfungsort: Schuld. Bei Unvermeidbarkeit entfällt die Schuld, ansonsten kann eine fakultative Strafmilderung erfolgen.
b. Irrige Annahme
Der Täter verwirklicht kein strafrechtlich relevantes Unrecht, geht aber davon aus, dass sein Handeln verboten ist. Merkformel: „Wäre der Täter auch ohne seinen Irrtum straflos, kann der Irrtum nicht zur Strafbarkeit führen“.
Bsp.: A nimmt irrigerweise an, dass Klingelstreiche bei Privatpersonen strafbar seien.
Prüfungsort: Ggf. am Ende eines anderen Straftatbestandes, aber selten prüfungsrelevant.
2. Rechtswidrigkeit
a. Unkenntnis
Der Delinquent ist gerechtfertigt, weil die Voraussetzungen des jeweiligen Rechtfertigungsgrunds vorliegen, obwohl er dessen Grenzen zu eng auslegt.

Rechtfertigung

obj. rechtfertigende Lage (+)        subj. Rechtfertigungselement (+/-)

 
Bsp.: Ehefrau F wird von ihrem Ehemann M verprügelt. Aus Furcht vor weiteren Verletzungen greift sie zum nächstliegenden Kerzenständer und schlägt lebensgefährlich zu. Sie verkennt dabei, dass auch lebensgefährliche Verteidigungshandlungen vom Notwehrrecht mit umfasst sind.
Prüfungsort: Subjektives Rechtfertigungselement. Es ist die Frage aufzuwerfen, ob der Irrtum über die Gebotenheit der Verteidigungshandlung das Notwehrrecht entfallen lässt. Dies ist aber zu verneinen, da der Täter objektiv wie subjektiv gerechtfertigt ist.
b. Irrige Annahme
Geht der Täter irrig davon aus, dass ein Rechtfertigungsgrund vorliegt, der sein Verhalten legitimiert, bzw. dehnt er einen bestehenden Rechtfertigungsgrund zu weit aus, irrt er auf juristischer Bewertungsebene.

Rechtfertigung

obj. rechtfertigende Lage (-)            subj. Rechtfertigungselement (+)

 
Bsp.: Der im Rollstuhl sitzende R erschießt den davonlaufenden Kirschendieb K, weil er davon ausgeht, diesen bereits für den Diebstahl an den Kirschen zur Strecke bringen zu dürfen.
Prüfungsort: Schuld. Die Behandlung des Irrtums richtet sich erneut nach § 17 StGB.
3. Schuld
a. Unkenntnis
Verkennt der Täter bei Kenntnis der Sachlage und bei vorhandenem Rettungswillen den Entschuldigungsgrund, so ist er wegen bestehender seelischer Zwangslage entschuldigt.

Entschuldigung

obj. entschuldigende Lage (+)         subj. Motivationslage (+/-)

 
Bsp.: Ehefrau F wird von ihrem Ehemann M über längere Zeit hinweg verprügelt. Aus Furcht vor weiteren Verletzungen greift sie, während dieser schläft, zum nächstliegenden Messer und sticht lebensgefährlich zu. Sie verkennt dabei, dass auch lebensgefährliche Verteidigungshandlungen vom Notstandsrecht mit umfasst sind.
Prüfungsort: Schuld. Es ist die Frage aufzuwerfen, ob der Irrtum über die Reichweite des entschuldigenden Notstands die Straffreiheit verhindert. Dies ist nach allgemeiner Ansicht aber zu verneinen.
b. Irrige Annahme
Der Täter geht irrigerweise vom Vorliegen einer Entschuldigungsnorm aus bzw. legt die Reichweite der Entschuldigungsnorm zu weit aus.

Entschuldigung

obj. entschuldigende Lage (-)         subj. Motivationslage (+)

 
Bsp.: Ehefrau F wird von ihrem randalierendem Ehemann M regelmäßig verprügelt. Aus Furcht vor weiteren zerstörten Einrichtungsgegenständen greift sie, während dieser schläft, zum nächstliegenden Messer und sticht lebensgefährlich zu.
Prüfungsort: Schuld. Irrtum nach hA unbeachtlich (allenfalls im Rahmen der Strafzumessung nach § 46 StGB zu berücksichtigen).
So unübersichtlich die Irrtumsproblematik aufgrund der unterschiedlichen Terminologie auf den ersten Blick erscheint, gelingt es doch mit wenigen Weichenstellungen diesem Irrgarten eine gewisse Systematik einzuverleiben. Aufgrund dieser Möglichkeit strukturiertes Denken abzufragen, ist die Irrtumsproblematik ein beliebter Mosaikstein in der strafrechtlichen Schein-, Zwischenprüfungs- und Examensklausur.
 

29.09.2014/1 Kommentar/von Gastautor
https://www.juraexamen.info/wp-content/uploads/2022/05/je_logo.svg 0 0 Gastautor https://www.juraexamen.info/wp-content/uploads/2022/05/je_logo.svg Gastautor2014-09-29 08:00:052014-09-29 08:00:05Errare humanum est – Einführung in die strafrechtliche Irrtumslehre
Dr. Maximilian Schmidt

Pistorius: klassischer Erlaubnistatbestandsirrtum?

Lerntipps, Mündliche Prüfung, Schon gelesen?, Startseite, Strafrecht, Strafrecht AT, Tagesgeschehen

Oscar Pistorius ist wegen fahrlässiger Tötung schuldig gesprochen worden (s. hier). Er hatte seine Freundin durch eine Badezimmertür erschossen, weil er einen Einbrecher hinter dieser vermutet hatte. Der Fall bietet – übertragen auf das deutsche Rechte – viele Anknüpfungspunkte für eine mündliche Prüfung oder gar eine Examensklausur im Strafrecht. An dieser Stelle sei auf unsere ausführlichen Artikel zum Erlaubnistatbestandsirrtum in der Klausur sowie der irrtümlichen Notwehrlage eines HellsAngels Mitglieds hingewiesen. Letztlich läuft der Fall Pistorius analog. Im Folgenden werden die wohl wesentlichen Prüfungspunkte dargestellt:
I. Subjektiver Tatbestand: Zunächst bräuchte Pistorius Vorsatz, das heißt Wissen und Wollen, hinsichtlich der Tötung seiner Freundin. Da Pistorius jedoch einen Einbrecher vermutete, liegt ein error in persona vor. Dieser ist aber unbeachtlich, da die Tatobjekte rechtlich gleichwertig sind. In einer mündlichen Prüfung könnte die Abgrenzung von (unbeachtlichem) error in persona zu einem aberratio ictus (Fehlgehen der Tat) abgefragt werden.
II. Rechtfertigung: In Betracht kommt die Notwehr nach § 32 StGB. Tatsächlich lag kein kein gegenwärtiger rechtswidrig Angriff auf Pistorius vor, sodass es schon an einer Notwehrlage mangelt.
III. Erlaubnistatbestandsirrtum: Subjektiv hat sich Pistorius (nach Beweislage) aber vorgestellt, dass ein gegenwärtiger rechtswidriger Angriff, also eine Notwehrlage vorlag. Dies führt zum Problem des Erlaubnistatbestandsirrtum, der von verschiedenen Seiten unterschiedlich behandelt wird (die Vorsatztheorie bzw Lehre von den negativen TB-Merkmalen gem. § 16 Abs. 1 StGB, die strenge Schuldtheorie gem. § 17 StGB, die eingeschränkte Schuldtheorie gem. § 16 Abs. 1 S. 1 StGB analog und die rechtsfolgenverweisenden Schuldtheorie, der im Ergebnis gefolgt werden sollte gem. § 16 Abs. 1 S. 1 StGB analog).
Anschließend muss geprüft werden, ob nach der Vorstellung von Pistorius ein Notwehrrecht tatsächlich vorgelegen hätte und ob dieses dann  nach seiner Vorstellung rechtmäßig ausgeübt wurde. Hier kann man Überlegungen anstellen, ob mehrere Schüsse durch eine geschlossene Badezimmertür ohne vorherige Ankündigung noch ein erforderliches Mittel zur Abwehr des (vermeintlichen) Angriffes sind. Für eine Erforderlichkeit kann angeführt werden, dass Pistorius beinamputiert ist und in der besagten Nacht keine Prothese trug. Somit war er in seiner Verteidungsbereitschaft stark eingeschränkt, was zu einer Absenkung der Anforderungen an einen Schusswaffengebrauch führen kann. Die Theorien zur Behandlung des Erlaubnistatbestandsirrtums sollten letztlich erst an dieser Stelle ausführlich diskutiert werden, da diese nur bei tatsächlichem Vorliegen eines Erlaubnistatbestandsirrtum eine Rolle spielen.
Nimmt man nun an, dass Pistorius die Grenzen seines vermeintlichen Notwehrrechtes aus Verwirrung, Furcht oder Schrecken überschritten hat (die Vermutung könnte insbesondere wegen des unangekündigten Schusswaffengebrauches nahe liegen), käme man zu einem sog. Putativnotwehrexzess, also einer Überschreitung seines Notwehrrechts gem. § 33 StGB bei gleichzeitigem Vorliegen eines Erlaubnistatbestandsirrtums. Wie dieser Putativnotwehrexzess rechtlich zu behandeln ist, ist umstritten.

In Betracht kommt eine analoge Anwendung des § 33 StGB, die aber abzulehnen ist. Liegt keine Notwehrlage vor, kann das Risiko des Überschreitens der Grenzen des Notwehrrechtes nicht auf den vermeintlichen Angreifer übertragen werden. Eine vergleichbare Interessenlage liegt daher nicht vor (ganz h.M.; vgl. BGH – 4 StR 267/02). Teilweise wird § 35 Abs. 1 S. 2 StGB analog angewendet, teils auf eine Mitverursachung durch den Geschädigten abgestellt. Da dies hier nicht vorliegt, wäre Pistorius strafbar wegen vorsätzlicher Tötung.

a.A.: Sieht man die Grenzen des vermeintlichen Notwehrrechtes hingegen als gewahrt an und lehnt im Folgenden eine Vorsatzstrafbarkeit ab, muss noch die fahrlässige Tötung geprüft werden gem. § 222 StGB. Die Strafbarkeit ergibt sich hierbei aus § 16 Abs. 1 S. 2 StGB (analog).
Man sieht: Der Fall kann Futter für eine mündliche Prüfung liefern und sollte daher ein Mal komplett durchdacht sein. Trotz aller Kritik – die der Polemik im Fall der Tötung eines Polizisten durch ein Mitglied der HellsAngels nahe kommt – ist das Urteil zumindest nach deutschem Recht nachvollziehbar.

17.09.2014/10 Kommentare/von Dr. Maximilian Schmidt
https://www.juraexamen.info/wp-content/uploads/2022/05/je_logo.svg 0 0 Dr. Maximilian Schmidt https://www.juraexamen.info/wp-content/uploads/2022/05/je_logo.svg Dr. Maximilian Schmidt2014-09-17 13:40:382014-09-17 13:40:38Pistorius: klassischer Erlaubnistatbestandsirrtum?
Nicolas Hohn-Hein

Irrtümliche Notwehr gegen Polizeibeamten

Rechtsprechung, Schon gelesen?, Strafrecht, Strafrecht AT

Die Berliner Morgenpost hat vorgestern ein aktuelles Urteil des BGH (Urteil vom 2. November 2011 – 2 StR 375/11) aufgegriffen, an dem sich vortrefflich typischer Prüfungsstoff durchexerzieren lässt. In der Sache ging es um die Ausübung des Notwehrrechts nach § 32 StGB im Rahmen eines Erlaubnistatbestandsirrtums (sog. Putativnotwehr). Da das Urteil noch nicht im Volltext abgedruckt ist, können wir den Ausführungen z.Z. nur die Infos aus der Pressemitteilung zu Grunde legen. Eine kurze Darstellung der Entscheidungsgründe wird ggf. nachgereicht. Der Sachverhalt entstammt 1:1 aus der Pressemitteilung und liest sich wie eine Klausur.

Sachverhalt
Das Landgericht hat Folgendes festgestellt: Der Angeklagte, ein führendes Mitglied des Motorradclubs „Hell´s Angels“, hatte erfahren, dass er von Mitgliedern des konkurrierenden Clubs „Bandidos“ ermordet werden solle. Zeitgleich erließ das Amtsgericht in einem gegen den Angeklagten geführten Ermittlungsverfahren einen Durchsuchungsbefehl für seine Wohnung. Wegen der zu befürchtenden Gewaltbereitschaft des Angeklagten und seiner polizeibekannten Bewaffnung wurde zur Vollstreckung des Durchsuchungsbefehls ein Sondereinsatzkommando (SEK) der Polizei hinzugezogen.

Am Tattag versuchte das SEK gegen 6.00 Uhr morgens, die Tür des Wohnhauses des Angeklagten [A] aufzubrechen, um ihn und seine Verlobte im Schlaf zu überraschen. Der Angeklagte erwachte durch die Geräusche an der Eingangstür, bewaffnete sich mit einer Pistole Kal. 45, die mit acht Patronen geladen war, und begab sich ins Treppenhaus, wo er das Licht einschaltete. Er erblickte von einem Treppenabsatz aus durch die Teilverglasung der Haustür eine Gestalt, konnte diese aber nicht als Polizisten erkennen. Vielmehr nahm er an, es handle sich um schwerbewaffnete Mitglieder der „Bandidos“, die ihn und seine Verlobte töten wollten. Er rief: „Verpisst Euch!“ Hierauf sowie auf das Einschalten des Lichts reagierten die vor der Tür befindlichen SEK-Beamten nicht; sie gaben sich nicht zu erkennen und fuhren fort, die Türverriegelungen aufzubrechen.

Da bereits zwei von drei Verriegelungen der Tür aufgebrochen waren und der Angeklagte in jedem Augenblick mit dem Eindringen der vermeintlichen Angreifer rechnete, schoss er ohne weitere Warnung, insbesondere ohne einen Warnschuss abzugeben, nun gezielt auf die Tür, wobei er billigend in Kauf nahm, einen der Angreifer tödlich zu treffen. Das Geschoss durchschlug die Verglasung der Tür, drang durch den Armausschnitt der Panzerweste des an der Tür arbeitenden Polizeibeamten [P] ein und tötete diesen.

[Hat sich der Angeklagte A wegen Totschlags gemäß § 212 Abs.1 StGB strafbar gemacht?]

Bei den folgenden Ausführungen handelt es sich nur um einen Lösungsvorschlag. Er erhebt keinen Anspruch auf inhaltliche Richtigkeit. Darstellungen sind zum Teil verkürzt.

§ 212 Abs.1
Indem A die Schüsse auf P abgegeben hat, könnte er sich wegen Totschlags gemäß § 212 Abs.1 StGB strafbar gemacht haben.

I. Die objektiven Tatsbestandsmerkmale sind erfüllt. A hat durch die das Abfeuern der Pistole in Richtung der Glasscheibe den P tödlich verletzt und damit ursächlich dessen Tod herbeigeführt.

II. a) A müsste subjektiv mit Wissen und Wollen der Tatbestandsverwirklichung gehandelt haben, wobei ein dolus eventualis schon ausreicht. Hier hat A den Tod eines Menschen zumindest billigend in Kauf genommen, sodass dolus eventualis zu bejahen ist. A hat vorsätzlich gehandelt.

b) Problematisch könnte sein, dass A zwar vorsätzlich (s.o.) gehandelt hat, sein Vorsatz aber auf die Tötung eines vermeintlichen „Bandidos“-Mitglieds und nicht auf die eines Polizeibeamten gerichtet war. Verwechselt der Täter sein Tatopfer mit einer anderen Person, zum Beispiel auf Grund schlechter Lichtverhältnisse, liegt regelmäßig ein sog. error in persona vor. Der Vorsatz des Täters war damit auf ein ganz anderes Tatopfer und nicht auf P gerichtet. Diese Abweichung vom vorgestellten Tatverlauf ist jedoch dann unbeachtlich, wenn das getroffene Objekt rechtlich gleichwertig (Joecks SK § 15 Rz.4ff) ist, da der Gesinnungsunwert in gleicher Weise seine Verwirklichung gefunden hat. Hier hat A anstelle eines Bandidos-Mitglieds irrtümlich einen Polizeibeamten erschossen. In beiden Fällen geht es um den Angriff auf einen Menschen. Mithin ist jeweils das Rechtsgut „Leben“ betroffen, sodass eine Gleichwertigkeit im obigen Sinne besteht. Der error in persona bei A ist unbeachtlich.

Hinweis: Die Ausführungen zum objektiven und subjektiven Tatbestand sollten möglichst knapp gehalten werden, wenn – wie hier – die Sachlage eindeutig ist.

III. Die Tötung des P ist rechtswidrig, wenn keine Rechtfertigungsgründe eingreifen. A könnte gemäß § 32 StGB gerechtfertigt sein.

1. Dafür müsste zum Zeitpunkt der Tat A sich in einer Notwehrlage befunden haben.

a) Angriff ist jede durch menschliches Verhalten drohende Verletzung rechtlich geschützter Güter oder Interessen. Hier haben die Polizeibeamten Vorkehrungen getroffen, in das Gebäude bzw. in die Wohnung des A einzudringen und sie zu durchsuchen. Die Wohnung und die Privatsphäre des Einzelnen sind von der Rechtsordnung geschützt. Ein Angriff war folglich gegeben.

b) Gegenwärtig ist jeder Angriff, der unmittelbar bevorsteht, gerade begonnen hat oder fortdauert. Die Beamten standen unmittelbar davor, sich Zutritt zum Gebäude des A zu verschaffen, indem sie bereits 2 von 3 Verriegelungen an der Haustür beseitigt hatten. Folglich war der Angriff auch gegenwärtig.

c) Es könnte jedoch an der Rechtswidrigkeit des Angriffs fehlen. Diese entfällt, wenn die Beamten ihrerseits zu der Angriffshandlung berechtigt gewesen waren. Vorliegend war gegen A ein Durchsuchungsbefehl nach §§ 102ff StPO im Rahmen eines Ermittlungsverfahrens rechtmäßig angeordnet worden. Die Durchsuchung war auf die Wohnung des A bezogen. Anhaltspunkte, die Zweifel an der Rechtmäßigkeit der Maßnahme begründen könnten, sind nicht ersichlich. Folglich waren die Beamten in ihrem Vorgehen gerechtfertigt.

2. Mangels eines rechtswidrigen Angriffs auf A scheidet § 32 StGB als Rechtfertigungsgrund aus. Sonstige Rechtfertigungsgründe sind nicht ersichtlich.

IV. Indem A darüber geirrt hat, „Bandidos“-Mitglieder seien gekommen, um ihn „zu ermorden“, könnte ein Erlaubnistatbestandsirrtum gegeben sein, sodass A straflos wäre. A müsste irrtümlich die Voraussetzungen eines anerkannten Rechtfertigungsgrundes angenommen haben.

Hinweis: Andere prüfen den ETB in der Schuld. Mit Blick auf den Streit um die Rechtsfolge beim ETB (dazu gleich mehr) ist m.E. ein eigener Prüfungspunkt „unverfänglicher“. Geschmackssache.

1. A könnte irrtümlich angenommen haben, er sei zur Notwehr nach § 32 StGB berechtigt. Sein Vorstellungsbild müsste alle objektiven und subjektiven Merkmale der Notwehr umfassen.

a) Aus Sicht des A bestand in dem Verhalten der Beamten ein gegenwärtiger rechtswidriger Angriff auf sein Leben. Die mutmaßlichen „Bandidos“-Mitglieder waren nach der Vorstellung des A gekommen, um ihn zu töten. Eine Notwehrlage wäre in diesem Fall zu bejahen.

b) Ferner müsste unter dieser Prämisse die Notwehrhandlung erforderlich gewesen sein. Erforderlich ist die Handlung dann, wenn sie dazu geeignet ist, also grundsätzlich dazu in der Lage ist, den Angriff abzuwehren oder ihm zumindest ein Hindernis in den Weg zu stellen und dies das mildeste zur Verfügung stehende Mittel darstellt. Der Schuss war zumindest geeignet, die „Angreifer“ zumindest in ihrem Vorgehen zu verlangsamen und ggf. in die Flucht zu schlagen. Fraglich ist, ob A auch das ihm zur Verfügung stehende, mildeste Mittel angewendet hat.

aa) Der Verteidiger kann bei mehreren unterschiedlich belastenden Mitteln dasjenige anwenden, das den Angriff am effektivsten zurückschlägt . Unter mehreren gleichwirksamen Möglichkeiten ist diejenige zu wählen, die den geringsten Schaden anrichtet (BGHSt 3, 217). Einem gezielten Schuss muss daher in der Regel eine Androhung des Waffeneinsatzes, ein Warnschuss oder ein Beinschuss vorausgehen, wenn der Angreifer auf andere Weise nicht aufgehalten werden kann (vgl. Joecks § 32 Rz. 14; BGH in stdr Rspr). Abzustellen ist dabei auf die Sicht eines Durschnittsbetrachters objektiv ex ante. Nach diesen allgemeinen Gesichtspunkte hätte A hier keine andere Wahl gehabt, als sich gegen eine größere Anzahl mutmaßlich schwerbewaffneter, gewaltbereiter „Bandidos“ mittels Waffengewalt zu verteidigen. In Anbetracht dessen, dass er über die genaue Anzahl, Absichten und vor allem Bewaffnung der „Eindringliche“ im Unklaren war, wäre es A aber zumutbar gewesen, den Waffeneinsatz zumindest in irgendeiner Form anzukündigen. Der Ausruf „Verpisst euch!“ konnte von den Angreifern lediglich dahingehend gedeutet werden, dass A mit dem Eindringen in dessen Wohnhaus nicht einverstanden war. Eine Ankündigung des unmittelbaren Schusswaffengebrauchs war damit nicht verbunden.

bb) Der BGH hingegen sieht im konkreten Fall den Schuss ohne entsprechende Vorwarnung als von § 32 StGB gedeckt an. Dazu der BGH in der Pressemitteilung

[…] Danach muss der gezielte Einsatz einer lebensgefährlichen Waffe zwar grundsätzlich stets zunächst angedroht und ggf. auch ein Warnschuss abgegeben werden. Ein rechtswidrig Angegriffener muss aber nicht das Risiko des Fehlschlags einer Verteidigungshandlung eingehen. Wenn (weitere) Warnungen in der konkreten „Kampflage“ keinen Erfolg versprechen oder die Gefahr für das angegriffene Rechtsgut sogar vergrößern, darf auch eine lebensgefährliche Waffe unmittelbar eingesetzt werden. Nach den für das Revisionsgericht bindenden Feststellungen des Landgerichts war hier ein solcher Fall gegeben. Im Augenblick – irrtümlich angenommener – höchster Lebensgefahr war dem Angeklagten nicht zuzumuten, zunächst noch durch weitere Drohungen oder die Abgabe eines Warnschusses auf sich aufmerksam zu machen und seine „Kampf-Position“ unter Umständen zu schwächen. […]

Demnach muss auf den konkreten Einzelfall abgestellt werden. Eine generelle Betrachtung reicht nach der Rechtssprechung des BGH nicht aus. In Verbindung mit den dem A bekannten Mordplänen und der Gesamtsituation (früher Morgen, zahlreiche und gut ausgerüstete „Angreifer“, keine Reaktion auf das Rufen des A) war es A nicht zumutbar, eine „abwartende“ oder defensive Haltung einzunehmen.

Die Verteidigungshandlung war damit insgesamt erforderlich.

c) A hat mit dem notwendigen Verteidigungswillen gehandelt, indem er den Angriff durch Schüsse durch die Glastür beenden wollte. Die Notwehrhandlung war in Anbetracht der Umstände (s.o.) auch geboten. Insbesondere ist kein krasses Missverhältnis zwischen Angriffs- und Verteidigungshandlung zu erkennen, da A davon ausgehen konnte, dass die Angreifer ebenfalls bewaffnet und „zu allem bereit“ erschienen waren.

Hinweis: Zur Gebotenheit des Notwehrrechts findet sich hier bereits ein ausführlicher Beitrag

Zwischenergebnis: Die Voraussetzungen des § 32 StGB waren aus Sicht des A zum Zeitpunkt der Verteidigung folglich erfüllt.

2. Die Rechtsfolge des ETB ist umstritten. Vertreter der (veralteten) Vorsatztheorie sehen das Unrechtsbewusstsein als einen Teil des Vorsatzes, welcher bei fehlendem Unrechtsbewusstsein entfallen soll. Die strenge Schuldtheorie verortet den ETB allein in der Schuld und lässt § 17 StGB zur Anwendung kommen. Die eingeschränkte Schuldtheoerie in ihren jeweiligen Spielarten hingegen erkennt die Ähnlichkeit des ETB mit dem Tatumstandsirrtum nach § 16 StGB (Wahrnehmungsmangel) und lässt mit unterschiedlichen Begründungen den Vorsatz im Ergebnis entfallen. Die jeweiligen Schuldtheorien lassen nach § 16 (direkt oder analog) im Ergebnis den Vorsatz oder nach § 17 StGB die Schuld entfallen. Der Täter bleibt straflos.

Die vertretenen Ansichten kommen jedoch nur dann zu unterschiedlichen Ergebnissen, wenn der Irrtum vermeidbar war . Denn § 17 StGB S.2 StGB sieht nur eine Strafmilderung vor, während § 16 StGB (direkt oder analog) den Vorsatz unmittelbar ausschließt War er unvermeidbar, ist ein Streitentscheid nicht von Belang (vgl. Joecks § 16 Rz.44), da sowohl nach § 16 StGB, als auch nach § 17 StGB die Straflosigkeit des Täters anzunehmen ist

Hinweis: Hiervon ist die Frage nach der etwaigen Strafbarkeit eines Teilnehmers zu unterscheiden,  wenn also eine vorsätzliche rechtswidrige Haupttat vorliegen muss.

Unvermeidbar ist ein Irrtum nur dann, wenn er auch bei hinlänglicher Sorgfalt nicht hätte verhindert werden können. Nach den Gesichtspunkten des BGH war es dem A schon nicht zumutbar, auf eine andere Art als durch unmittelbare Waffengewalt der Situation Herr zu werden. Entsprechend lässt sich ebenso für die Frage der Vermeidbarkeit argumentieren, dass A schlichtweg keine Möglichkeit hatte, die Sachlage auf ihre Richtigkeit zu überprüfen. Der ETB war damit unvermeidbar.

Ergebnis: A hat sich nicht nach § 212 Abs.1 StGB strafbar gemacht.

Hinweis: Ferner wäre noch § 222 StGB zu prüfen und im Ergebnis abzulehnen, da der BGH zu dem Schluss gekommen ist, dass A den Irrtum nicht fahrlässig verursacht hat.

Fazit:
Die Entscheidung zeigt, dass die allgemeinen Grundsätze zur Erforderlichkeit einer Notwehrhandlung nicht ausreichen, sondern der konkrete Einzelfall betrachtet werden muss. Für die Klausur heißt das, möglichst alle relevanten Gesichtspunkte aus dem Sachverhalt in die Lösung einzubauen und gegeneinander abzuwägen, wobei es weniger auf das richtige Ergebnis als auf eine saubere Argumentation ankommt.

Bezüglich der Notwehr ist zunächst der „reguläre“ Rechtfertigungsgrund des § 32 StGB aufzugreifen und abzulehnen, bevor es in die Prüfung des ETB geht. Die hierzu vertretenen Meinungen sollten in etwa bekannt sein, wobei im vorliegenden Fall aus den genannten Gründen der Schwerpunkt nicht auf einem Streitentscheid liegt. Diesen zu erzwingen, wäre in der Klausur ohnehin ein schwerer Fehler und zumeist nur für die Strafbarkeit eines Teilnehmers relevant. Eine detailliertere Darstellung der vertretenen Auffassungen hinsichtlich des  ETB findet in sich in jedem Lehrbuch oder demnächst auf Juraexamen.info.

Überraschend an der Entscheidung ist, dass an die Erforderlichkeit  der Notwehrhandlung im Milieau der Schwerstkriminalität keine höheren Anforderungen gestellt werden. Wer eine geladene Schusswaffe griffbereit aufbewahrt und mit einem Mordanschlag in den eigenen vier Wänden unmittelbar rechnet, ist sich der Gefahren seiner „Aktivitäten“ in der Regel bewusst und – im Gegensatz zu einem „Laien“ – entsprechend „kampferprobt“. Folglich müsste es gerade solchen Personen zumutbar sein, den Schusswaffengebrauch zumindest durch einen Warnschuss anzukündigen. Die genauen Entscheidungsgründe bleiben abzuwarten.

05.11.2011/10 Kommentare/von Nicolas Hohn-Hein
https://www.juraexamen.info/wp-content/uploads/2022/05/je_logo.svg 0 0 Nicolas Hohn-Hein https://www.juraexamen.info/wp-content/uploads/2022/05/je_logo.svg Nicolas Hohn-Hein2011-11-05 09:36:202011-11-05 09:36:20Irrtümliche Notwehr gegen Polizeibeamten

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